Vier und dreyßigstes Kapitel.

Fast war es zu spät.

[347] Die Freunde der Gräfinn von Würtemberg hatten Ursach wegen ihrem Schicksal besorgt zu seyn; ihre Lage war, seit wir uns von ihr trennten, mit jedem Tage bedenklicher geworden.

Meine Leser wissen aus Konrads Erzählung, daß die tausend verunglückten Anschläge zu ihrer Entführung nicht wie sie wähnte von dem Erzbischofe, sondern von dem treuen Freunde ihres Herrmanns herrührten, der denen zu gefallen, welchen er dienen wollte, alles – selbst Klugheit und Vorsichtigkeit in die Schanze schlug.

Konrads Versuche hätten glücken müssen, wenn er weniger hastig zu Werke gegangen wär, und wenn nicht diejenige, welche sie am meisten hätte begünstigen sollen, sie geflissentlich vereitelt hätte; aber Ida wußte nicht, welche Hand sie aus dem Kerker zu reißen strebte, auch zweifeln wir billig, ob, hätte sie es gewußt, nicht ihre Grundsätze ihr dennoch diese Art der Befreyung verhaßt gemacht haben würden. Hinterlistige Flucht aus einem Kloster, Flucht an der Seite eines Mannes, war einmahl in jenen Zeiten ein Schritt, vor welchem die weibliche Delikatesse[347] zurückschauerte, ein Schritt, der ein Fräulein auf Lebenszeit mit Schande brandmarken konnte.

Ida hoffte und erwartete ihre Befreiung auf dem geraden Wege, durch sorgfältige Verwendung ihrer Freunde. Sie wußte nicht, wie kalt oft bloße altägliche Freundschaft in Ansehung verwickelter Anschläge ist. Die Fürstinn Gara und die Prinzessinn Elisabeth waren neue Freundinnen der Gräfinn von Würtemberg, waren zu glücklich in Mariens Besitz zu beschäftigt ihre hingesunkenen Kräfte durch mühsame Pflege zu erhöhen, als daß sie an die Geberinn ihrer Freuden, an Ida anders, als an eine Nebensache hätten denken sollen. Sie trösteten einander mit der Hoffnung, es würde sich auch schon mit ihrem Schicksal zum Besten fügen, und ersparten sich dadurch die Mühe zu handeln.

Die schwache Königinn nannte den Namen ihrer Retterinn unaufhörlich, aber man wußte sie durch Hoffnungen zu befriedigen, deren Ungrund sie nicht untersuchen konnte.

Herzog Albrecht, Idas warmer Verehrer, that mehr als die andern alle, aber er mußte seine Sorgfalt für das Schicksal seiner Freundinn einschränken, wenn er nicht wollte, daß kaum ausgerottete Eifersucht von neuem Wurzel schlagen sollte.[348]

Konrad, der unvorsichtige Konrad, war es also allein, der das Beste der Bedrängten mit Eifer betrieb, und wie es ihm glückte, das haben wir gesehen.

Der letzte Streich, den er wagte, hatte gewaltigen Aufruhr im Kloster gemacht. Die ganze Schwesterschaft vereinigte sich wider die unschuldige Ursacherinn dieser Dinge zu schreien. Täglich neue Schrecknisse! versuchte Entführungen! Einbruch in die Zellen! angelegtes Feuer! was für Dinge! Sollten wir alle das Opfer einer einigen werden? – Hinweg mit ihr aus unserm Heiligthum! Man schicke sie in eine entfernte Gegend, wo niemand sie finden, wo sie bis an ihr Ende für das Herzleid, das Unschuldigen um ihret willen zugefügt wurde, büssen kann: dies war die gemeinschaftliche Stimme der heiligen Schwestern zu Sankt Annen.

Die Aebtissinn, von Idas fehlerloser Aufführung, von ihrer eingebildeten Neigung zu einem Stande, den sie anfangs verabscheute, eingenommen, war ihr nicht ungewogen, hätte sie gern geschützt. – Aber eben ihre aufkeimende Liebe für die Unglückliche machte diese zu einem doppelten Gegenstande des Neides für die Nonnen. Sie mußte hinweggeschaft werden, um allen Nachtheil, den man von ihr besorgte, zu verhüten![349]

Ida war genöthigt sich auf ihrer Zelle eingezogen zu halten, so gar der Besuch des Chors war ihr versagt; man wußte nach und nach die Oberinn mit Verdacht einzunehmen: ob sie auch so ganz unschuldig an den Begebenheiten sey, welche man bisher ihret wegen erfahren hätte; ob nicht vielleicht ihr Abscheu vor der Entführung verstellt sey; ob man nicht bey ihr ein geheimes Verständniß mit den Feinden besorgen müsse, welches über lang oder kurz zum Verderben des Klosters ausschlagen könne?

Beschuldigungen dieser Art waren unwahrscheinlich, waren geradezu unvernünftig, doch wurden sie gehört, und zogen endlich das nach sich, was man in Klöstern ein Hauptverhör nennt. –

Ida ward vorgefordert, man legte ihr tausend Fragen vor; sie beantwortete sie alle zu Ehren ihrer Unschuld, und zu Beschämung ihrer Feindinnen. Nur eine konnte sie nicht so beantworten, wie es in dieser Lage ihr Vortheil verlangte, und dieser eine Punkt stürzte sie.

Wie hätte Ida, auf Befragung, ob sie ihren Beruf für rechtmäßig hielt, ob sie gern den Schleyer ergriff, das Kloster zu Sankt Annen den Herrlichkeiten der ganzen Welt vorzöge, wie hätte sie mit Ja antworten können? würde wohl eine einige ihrer Richterinnen es gekonnt haben? Ida gestand aufrichtig: ihr wären nur die Mittel,[350] welche man zu ihrer Befreyung gebraucht, nur der Ort, wo man sie wahrscheinlich habe hinbringen wollen, widerlich gewesen; sonst würde sie mit Freuden in die Welt zurückkehren, und die Verbindungen mit ihren liebsten Freunden erneuern. Sie erkläre hiermit feyerlich, daß sie nur aus Nothwendigkeit das Gelübde ablegen werde, und in sich nicht den mindesten Beruf zum Klosterleben fühle.

Man faltete die Hände vor Entsetzen, und aus aller Munde ertönte der Name Heuchlerinn! Man warf ihr vor, sie habe vor kurzem anders gesprochen, habe wenigstens durch Stillschweigen zu verstehen gegeben, daß sie gern zu Sankt Annen verbleibe. – Ida zuckte die Achseln und schwieg. Freylich um Mariens willen, um diese zu unterstützen, diese zu retten hatte sie eine Zeitlang gern in diesem Kerker gelebt, aber wie durfte sie dieses bekennen, ohne das Geheimnis der guten Königinn kund zu machen? und was würde ihr ein solches Bekenntniß geholfen haben? –

Ihr schweigt? sagte die Domina. – Hier liegen Dinge verborgen, die wir nicht ergründen können!

Und, sagte eine von den Schwestern, was mag sie mit dem Orte meynen, an welchen sie fürchtete, bey ihrer Entfliehung gebracht zu werden? – Sie weis, sie vermuthet ihn? – ist[351] nicht schon hieraus ein geheimes Verständniß mit der Welt erwiesen? –

Man setzte der bedrängten Gräfinn sehr ernstlich zu sich über diesen Punkt zu erklären, und Ida – war endlich genöthigt, den Namen des Erzbischofs zu nennen, und einige Winke von seinen ehemaligen gegen sie geäußerten Absichten zu geben. –

Durch dieses Bekänntniß war ihr Urtheil gesprochen. Man nannte sie eine boshafte lügnerische Verläumderinn, welche nicht werth sey länger über der Erde geduldet zu werden, und der man deswegen die Wohnung anweisen müsse, welche Verbrecherinnen ihrer Art zukäme. – Die Aebtissinn schien besonders durch die Beschuldigung des Erzbischofs beleidigt zu seyn; sie behauptete, es sey schlechterdings unmöglich, daß ein so alter, ernster, heiliger Mann, durch die irdischen Reitze eines solchen Kindes sollte gerührt worden seyn; sie wandte der Gräfinn voll Unwillen den Rücken, und befahl sie hinweg zu führen. Alle ihre bisherige Reigung für Ida war verschwunden, und die Bitten ihrer wenigen Freundinnen wurden nicht gehört.

Man brachte sie in eins von jenen unterirdischen Gefängnissen, von denen man noch heut zu Tage in Klöstern genugsame Spuren findet, welche[352] aber zu jenen Zeiten wahrscheinlich noch fürchterlicher waren als man sie sich jetzt aus diesen Ueberbleibseln denken kann. Ihre Führerinnen waren die beyden Nonnen, die in den letztvergangenen Tagen beynahe das Schicksal gehabt hatten, an Idas Statt entführt zu werden, und die sich bey ihrer Verurtheilung besonders geschäftig erwiesen hatten. – Sie hatten Ursach auf Rache zu denken. – Welch ein Schimpf für ein paar geistliche Jungfern, den heiligen Mauern ihres Klosters mehr als halb entrückt zu werden und – dann sich verächtlich wieder zurück geschickt zu sehen!

Idas Gefangenschaft ward durch nichts unterbrochen, als durch ein nochmaliches Verhör – Erzbischof Subinko, vielleicht in Ahndung seines baldigen Todes, hatte das Kloster in diesen Tagen besucht, hatte mit der jungen Novize, von deren gegenwärtigen Zustande man ihm nichts wissen ließ, eine Privatunterredung gefordert, und die Aebtissinn, welche viel Gewalt über ihn zu haben schien, hatte es für gut gehalten, ihm dieselbe abzuschlagen, und Ida in seiner Gegenwart, vor die ganze Versammlung zu fordern.

Man nöthigte Ida, in seiner Gegenwart das zu wiederholen, wovon sie schon zuvor einige Winke gegeben hatte; sie that es mit Muth und Bescheidenheit, indem sie zugleich versicherte, daß sie in Ansehung der Entführung auf bloße Muthmassung baue.

Der heilige Mann ereiferte sich gewaltig, er bewies seine Unschuld wenigstens in Ansehung des letzten, und die Verläumderinn Ida ward entlassen.[353]

Auch die andern Nonnen mußten sich entfernen, und der Erzbischof und die Aebtissinn blieben allein. Man weiß nicht, was zwischen diesen beyden vorgefallen ist, aber so viel ist gewiß, daß der heilige Mann das Kloster schnell und in der äussersten Gemüthsbewegung verließ. Alte verjährte Rechte machten es der Aebtissinn vielleicht erlaubt, mit ihm über gewisse Dinge aus einem beleidigenden Tone zu sprechen, der nachtheilige Folgen für die Gesundheit des Greises haben mußte.

Er war insgeheim von Presburg hinweg gereist, eben so geheim kam er zurück. Das Gerücht von seiner Krankheit bereitete sich aus, bald darauf die Nachricht von seinem Tode, – und mit dieser nahm Hoffnung zu Idas Befreyung in dem Herzen ihrer Freunde Platz.

Idas Schicksal ward indessen immer fürchterlicher, die Aebtissinn schien sie tödtlich zu hassen. Ihre Kerkermeisterinnen liessen zuweilen Worte fallen, welche sie mit Todesahndung erfüllen mußten, man sprach von Eröffnung gewisser Gemäuer in dem untersten Keller des Klostergebäudes, Ida hatte oft von der Bestimmung dieser abscheulichen Grüfte gehört, sie wußte, daß sie seit zwanzig Jahren nicht gebraucht worden waren, und sie konnte muthmaßen, daß sie nunmehr die erste Unglückliche seyn würde, die daselbst verschmachten sollte.

Ihr Zustand gränzte nahe an Verzweiflung, war zuweilen völlige Sinnlosigkeit. – Ach! seufzte sie in ihren hellern Augenblicken; von allen verlassen? – Herrmann? Albrecht? Marie? mein Vater? keine keine Hülfe?

Der Tag des Schreckens war angebrochen, kein weiteres Verhör! sie erwartete ihr Urtheil![354] – Die Thüren des Kerkers öffneten sich! – Die Aebtissinn in eigner Person stürzte herein! und Ida ward ohnmächtig bey ihrem Anblick!

Ich muß sie selbst sehen! schrie die Domina – Gott, so ein Zufall! – Wo ist sie! – Wie? auf der Erde ohne alle Empfindung ausgestreckt? – Wohl gar tod? –

Gott sey uns gnädig! nur das, nur das nicht! – Man fasse sie eilig und bringe sie in eins der obern Zimmer!

Heilige Mutter! rief eine von ihren Begleiterinnen! Gönnt ihr die Ruhe! – Sollte sie tod seyn! – ihr wißt, die Todten sprechen nicht! –

Ja, aber diese fürchterliche Gestalt! Dieser ausgezehrte Körper! – Alles, alles wird wider uns zeugen! – Laßt sehen! – Ja, sie lebt noch, es ist noch Athem in ihr! – Eilig hinauf! und alles herbey geschaft, was das Kloster an Erquickungen aufbringen kann!

Ida erholte sich nach einer Stunde; sie erstaunte, sich an einem hellen und reinlichen Orte zu sehen; sie glaubte, es sey ein Traum! Sie strebte sich von dem weichen Lager, auf welchem sie sich befand, aufzurichten: es war das eigene Bette der Aebtissinn, auf welches man sie gebracht hatte. –

Ruhig! ruhig! meine Theure! rief die Domina, welche neben ihr saß und ängstlich nach ihrem Puls fühlte, mit sanfter Stimme.

Wo bin ich? rief Ida!

Unter lauter Freunden; – Eure Prüfungen sind geendigt! Nur prüfen, nicht strafen wollten wir euch! Ihr wißt, wie sehr wir euch lieben.[355]

Ida wandte sich unwillig auf die Seite.

Sie bedarf der Ruhe, sagte die Aebtissinn zu einer anwesenden Klosterfrau, ich verlasse sie, um Anstalten zu machen. Lasset es ihr an nichts fehlen, und ruft mich, wenn sie erwacht ist.

Ida bedurfte der Ruhe, aber nicht des Schlafs, die Dinge, welche sie umgaben, waren zu ausserordentlich, um ihr denselben zu gönnen. Sie war zu schwach zu fragen; sie drückte der um sie beschäftigten Nonne die Hand, und verweilte mit mattem Blicke auf den bethränten Wangen ihrer Wärterinn; es war eine von Idas Freundinnen, eine von denen, welche durch ihre liebreiche Sorgfalt dem Tode entrissen wurden.

Was ist dies? fragte Ida nach einer Weile, welche Aenderung! –

Still! Still! winkte die Nonne, und schlich nach der Thür um zu sehen, ob ein Horcher vorhanden sey.

Wir erwarten, sagte sie beym Zurückkehren, morgen unsern neuen Erzbischof in unsern Mauren, er kommt in Begleitung des Grafen von Würtemberg, Herzog Albrechts, und des Grafen von Unna, eine unschuldig Leidende zu befreyen.

Ida wußte nichts von dem Tode des alten Erzbischofs, und konnte also die Erscheinung des neuen nicht begreifen. Ihren Vater wußte sie weit entfernt, und den Grafen von Unna kannte sie gar nicht; sie wußte nicht, daß ihr geliebter Herrmann hiermit gemeynt sey. – Sie hielt die Sage der Nonne für Traum, und schloß die Augen um weiter zu träumen.

Sie öffnete sie von neuem, und wandte sich[356] mit einer zweyten Frage an die Nonne, diese schwieg, und deutete auf auf die Thüre. Bald darauf trat die Domina herein.

Habt ihr geschlafen, mein Kind? fragte sie.

Sie ist so eben erwacht, sagte die Nonne.

Schlafet, schlafet! meine Theure! fuhr die Aebtissinn fort, diese bleichen Wangen müssen morgen blühen, diese matten Augen mit dem vorigen Feuer glänzen. Ihr wißt nicht, wen ihr morgen sehen werdet. – Einen Vater, einen Freund, – einen – einen – wie soll ich sagen? –

Die heiligen Lippen der Aebtissinn vermochten das Wort, Bräutigam, das ihr auf der Zunge schwebte, nicht auszusprechen, – auch hatte Ida genug gehört, um mit Entzücken erfüllt zu werden!

Also ists dennoch dennoch wahr? rief sie mit zusammengeschlagenen Händen.

Was denn, mein Kind? – hat man euch schon gesagt? –

Nein! aber mir träumte so etwas. –

Die Aebtissinn meynte, der Himmel pflegte seinen Heiligen mancherley im Traum zu offenbaren. – Auch sie habe einst geträumt, Ida müsse geprüft werden, scharf geprüft werden, um dereinst glücklich zu seyn. –

Um dieses Traums, und um der langen Predigten willen, welche ihr diesen Tag über von der Versöhnlichkeit, von der Verschweigung der Klostergeheimnisse und dem dankbaren Genuß des Glücks gehalten wurden, mußte sich Ida endlich zu dem Versprechen bequemen, gegen ihre ankommenden Freunde nichts von der Art der Leiden zu gedenken, die sie betroffen hatten, auf keine Rache zu sinnen und fleißig zu erwegen, das alles nur Prüfung,[357] nicht Strafe, nur Wirkung der Liebe, nicht des Hasses gewesen sey.

Diese abgezehrte Gestalt, diese Todtenmattigkeit, die der Domina im Grunde so viel Sorge machte, konnten, wie sie Ida versicherte, eben so wohl einer überstandenen Krankheit, als andern Dingen beygemessen werden. – Gern hätte sie alle ausgestandenen Leiden selbst ihr aus dem Sinne geschwatzt, sie ihr für Phantasien eines hitzigen Fiebers angerechnet! –

Lieber Leser, unsere Urkunden beginnen hier am Ende unserer Laufbahn mangelhaft zu werden, wir müssen unsere Zuflucht zur Lebhaftigkeit deiner Einbildungskraft nehmen ihre Lücken zu ersetzen.

Der frohe Tag, der Tag des Wiedersehens brach an! Man hatte der schwachen Ida so unabläßig von ihrem Glück vorgeredet, daß ihr die Idee davon anfing geläufig zu werden. Die kostbarsten Stärkungen, mit welchen man Sorge getragen hatte sie zu erquicken, gaben ihr wenigstens so viel Kraft, daß sie ausser dem Bette seyn, und sich den Kommenden entgegen leiten lassen konnte. Sie sank in die Arme ihres Vaters, ihres Herrmanns, eine schöne hinwelkende Rose, die der Morgenthau zu erfrischen beginnt. Welche Ausrufungen, welche Fragen! welch ein Gewirr von tausenderley auf mannichfaltige Art geäusserten Gefühlen! – Herrmann und Ida waren meistens sprachlos, die Freude des Grafen von Würtemberg hatte mehrere Worte. Herzog Albrecht wandte sich auf die Seite eine Thräne zu verbergen. Und Erzbischof Albikus schien so wohl mit dem Kaufpreis zufrieden zu seyn den er für Idas Befreyung erhalten hatte, daß er sich erbot, sie noch heute zur[358] Gräfinn von Unna zu machen, ein Vorschlag, welchem sich die Aebtissinn mit allen Kräften widersetzte. Wie hätte ein solches in den heiligen Klostermauern gestattet werden sollen? zu geschweigen, daß Ida, der Kleidung nach, noch eine Nonne war.

Der nächste Tag brachte die Gräfinn von Würtemberg in Mariens, Elisabeths und Rosas Arme, auch Münster war nicht fern, und der hülfreiche Konrad! – O Uebermaaß von Freude, wer vermag dich zu schildern!

Ida ward Herrmanns Gemahlinn, er stellte sie seinem ehrwürdigen Oheim dem Grafen von Unna vor, machte sie mit seinen Geschwistern, mit Aleken, Agnesen und Petronellen bekannt, auch Ulrich ward ihr Freund, auch der Ritter Johann erschien Theil an dem Glück seines Bruders zu nehmen, und es gelang Herrmannen den alten Grafen von Unna zu seinem Freunde zu machen! – Doch, mein Leser, wie soll ich dir einen Auszug von den abgerissenen Dokumenten liefern, welche von diesen und vielen folgenden Dingen handeln.

Nur zweye davon zeichnen sich dadurch vor den andern aus, daß sie von dem nagenden Zahn der Zeit ziemlich verschont worden sind, und das ganz liefern, was sie melden sollen. Das eine ist ein Brief der Münsterinn an ihren Mann, vom Jahr 1419, in welchem sie ihm die Niederkunft der jungen Gräfinn von Unna mit einem jungen Herrlein berichtet. Ida befand sich damals an dem Hofe ihrer Freundinn der Königinn Sophie; ach es war das letzte Jahr, in welchem Sophie die Krone trug! Wenzels Tod machte sie zur Wittwe und ließ sie die Ruhe, welche sie in so[359] langen Jahren auf dem Throne nicht schmeckte, endlich im Kloster finden.

Das andere Blatt, dessen wir gedenken müssen, ist eine Einladung Herrmanns Grafen von Unna, an Aleken von Senden, und ihren Gemahl Ulrich, gen Regenspurg zu kommen und bey seinem zweyten Sohn Pathenstelle zu vertreten. – Es scheint also, daß das Schicksal Berndten und Katarinen nöthigte vom Schauplatz abzutreten, damit ein paar der edelsten vom Schicksal getrennten Seelen, glücklich werden sollten.

Noch einige dunkle Spuren zeigen sich, daß Herrmann auf Zureden seines Schwiegervaters und Oheims, den Entschluß faßte, ein Mitglied jener Gesellschaft der im Verborgenen Richtenden zu werden, die sein vergangenes Leben mit so viel Schrecknissen erfüllt hatten; ein Wink, der uns nicht unwahrscheinlich dünkt. Wer in jenen Zeiten seines Lebens sicher seyn wollte, strebte immer darnach, sich oder einen seiner Freunde an die große Kette anzuschließen, welche alles umfaßte und allen unsichtbar war.

Herrmann ward ein nachdrücklicher Vertheidiger seines Freundes Konrad, den die Ehre des nunmehrigen Kaisers, Siegmunds, Diener zu seyn nicht vor seinen Verfolgern schützen konnte! Er brachte ihn an Herzog Albrechts von Oesterreichs Hof, der mit seiner Gemahlinn Elisabeth sich gern von Siegmunds und der gehaßten Barbara Anblick entfernte, um den Umgang der von allen tod geglaubten Marie im Stillen zu geniessen.

Da alles, was wir hiervon finden, nur dunkel und unzusammenhängend ist, so können wir nur wenig davon sagen, und – unsere Geschichte erreicht ihr Ende.

Fußnoten

1 Eine Art damaliger Münze.


2 Wenzel hatte sich, wie bekannt, erkühnt, eigenmächtig Beisitzer und Richter des heimlichen Gerichts zu schaffen, welche von den Aechten nicht anerkannt wurden, dieses dient vielleicht zu Erklärung dieser That.


3 Ueberhaupt liegt diese ganze Reise in tiefes Dunkel gehüllt, und wir haben in der wahren Geschichte nur wenig Spuren von ihr oder ihrer Veranlassung entdecken können.


4 Nach andern Johann von Langen.


5 Die gewöhnlichen Worte, an welchen die heimlich Verbundenen des Vehmgerichts sich erkennen, waren: Steil, Stein, Gras, Grein, doch wollen einige behaupten, daß bey verschiedenen Gelegenheiten auch andere Losungen gewählt wurden.


6 Herzog Friedrich entfernte sich, wie die Geschichte sagt, allein ins Gebüsch, so weit ein Mann mit einem Bogen schießen mag. Kurd, sein Leibknappe, fand sein Ausbleiben zu lang, und folgte ihm, fand ihn ermordet, und sahe die Mörder noch entfliehen, deren einen, den Hertingshausen, er noch ereilte.


7 Im maynzischen nicht wie am Ende des ersten Theils durch einen Druckfehler steht, im köllnischen.


8 Siegmunds Gemahlinn Barbara, welche ein Druckfehler im ersten Theile zu frühzeitig zur Kaiserinn gemacht hat, ward dieses erst lange nachher, und hieß jetzt nur erst Königinn von Ungarn.


9 Man erinnere sich, daß Kunzmann Herrmanns Schwerd in das Gebüsch schleuderte, wo Friedrich gefallen war.


10 Fürsten und Edle suchten in jenen Zeiten entweder selbst Beysitzer des heimlichen Gerichts zu werden, oder ihre Diener zu Freyschöppen machen zu können, es war dieses das einige Mittel in jener fürchterlichen Epoche, einer Art von Sicherheit zu genüßen.


11 Alle Mitglieder des Vehmgerichts oder die Wissenden, wie sie sich nannten, waren einander, und wenn sie sich auch nie zuvor gesehen hatten, auf eine Art kenntlich, welche uns ein Geheimnis ist, so wie ihre ganze Verfassung. Ein Verfehmter, das ist, einer, der auf viermalige Ladung nicht erschien, oder über welchem beschlossen war, er solle ungewarnt sterben, war gleichsam vor allen Freyschöppen vogelfrey erklärt; welcher von ihnen ihn fand, der mußte ihn tödten, ein jeder war verbunden, ihm nachzuforschen, und konnte er ihn nicht allein treffen, oder er war sonst zu schwach, ihn zu überwältigen, so war jeder seiner Mitbrüder, den er um Hülfe rief, durch die fürchterlichsten Eide gebunden, ihm beyzustehen.


12 Die Geheimhaltung dieser Dinge ging, wie Möser sagt, so weit, daß nicht allein die geringste Warnung des Verfehmten todeswürdiges Verbrechen war, sondern das selbst der Kaiser nichts von dem erfuhr, was im heimlichen Gericht vorging. Er durfte nicht fragen: wer ist in den heimlichen Acht? Auf die Frage, ist der oder jener darin, erhielt er allenfalls ja oder nein zur Antwort.


13 Auch die Mathäus und Mathias Kirche führte den Namen Bethlehem; von einem Kloster dieses Namens findet man nur wenig Spuren.


14 O rief er, o der schönen Gans, die mir so viel güldene Eier legt!


15 Man verzeihe den frommen Seelen jener Zeit ihre Irrthümer. Man wußte damals noch keine Ausflüchte wider die Bündigkeit der Eide!


16 Eins von Hussens Hauptverbrechen war, die Freiheit, mit welcher er, wohl sogar auf der Kanzel, von den Ausschweifungen des Clerus zu sprechen pflegte.


17 Die Freyschöppen verfolgten den Durchächteten so lang, bis sie ihn einsam trafen, oder ihre Zahl hinlänglich war, sein und seiner Helfer mächtig zu werden, in dem eigentlichen Mutterlande dieser Grausamkeiten, auf der rothen Erde, wie Westphalen sinnbildlich von ihnen genannt wurde, war ihre Gewalt am größten, niemand konnte ihr entgehen.


Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 2, Leipzig 1788.
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