Zweiundsechzigste Erzählung.

[398] Eine Dame erzählt eine Liebesgeschichte von sich selbst, spricht in der dritten Person, verspricht sich aber zuletzt.


Zur Zeit Franz I. lebte eine Dame aus königlichem Geblüt, reich ausgestattet mit Ehren, Tugenden und Schönheit, welche es sehr gut verstand, mit Anmuth zu erzählen, und welche auch lachte, wenn man ihr eine gute Geschichte erzählte. Als diese Dame einmal auf einem ihrer Schlösser war, kamen alle ihre Vasallen und Nachbarn zu ihr zu Besuch, denn sie war so geliebt, wie nur eine Frau geliebt sein kann. Unter anderen kam auch eine Frau zu ihr, welche immer nur darauf wartete, daß, um ihr die Zeit zu vertreiben, allerhand Geschichten erzählt wurden. Sie wollte nun den anderen nicht nachstehen und sagte einmal: »Erlauchte Frau, ich habe auch eine Geschichte zu erzählen, aber Ihr müßt mir versprechen, nicht davon zu reden«. Dann fuhr sie fort: »Die Geschichte, die ich erzählen will, ist wirklich passirt, ich nehme es auf mein Gewissen. Es war einmal eine verheirathete Frau, welche in allen Ehren mit ihrem Mann lebte, obwohl sie jung und er alt war. Ein Edelmann aus der Nachbarschaft verliebte sich in sie, als er sah, daß sie einen so alten Mann geheirathet hatte, und bedrängte sie mehrere Jahre hindurch. Niemals erlangte er aber von ihr einen anderen Bescheid, als wie ihn eine anständige Frau geben muß. Eines Tages überlegte der Edelmann, daß, wenn er sie einmal unvermuthet und in einer glücklichen Stunde träfe, sie nicht so abweisend gegen ihn sein würde. Nachdem er lange gegen die[398] Furcht vor der Gefahr, in welche er sich stürzte, gekämpft hatte, entschloß er sich, nach Ort und Gelegenheit auszuschauen. Er paßte genau auf, und als eines Tages der Mann dieser Dame auf ein anderes seiner Schlösser reiste und wegen der Hitze schon früh am Tage aufgebrochen war, eilte der junge Thor ins Haus der Dame, die er noch schlafend in ihrem Bett fand. Er sah, daß alle ihre Kammerzofen aus dem Zimmer gegangen waren, und ohne überhaupt daran zu denken, die Thür zu schließen, legte er sich gestiefelt und gespornt zu ihr ins Bett. Als sie erwachte, war sie so betrübt, als möglich. So sehr sie ihn aber auch ermahnte, er nahm sie mit Gewalt, indem er sagte, daß, wenn sie von der Sache spräche, er zu aller Welt davon sprechen und sagen würde, daß sie ihn habe holen lassen. Hiervor fürchtete sich die junge Frau so sehr, daß sie nicht zu schreien wagte. Nachher kam eine ihrer Kammerfrauen ins Zimmer. Der Edelmann erhob sich deshalb sehr schnell, und niemand hätte etwas gemerkt, wenn nicht sein Sporn an der Decke hängen geblieben wäre und diese ganz mit hinunter gezogen hätte, so daß die Dame ganz nackt auf ihrem Bette liegen blieb.« Und obwohl sie die Geschichte einer anderen Person erzählte, konnte sie sich doch nicht enthalten, hier zu sagen: »Niemals war eine Frau erstaunter, als ich, sich so nackt zu sehen«. Während bisher die Dame, die der Erzählung zuhörte, ganz ernst geblieben war, konnte sie sich jetzt des Lachens nicht enthalten und sagte: »Wie ich sehe, könnt Ihr recht gut Geschichten erzählen.« Die arme Frau versuchte alles Mögliche, um ihre Ehre zu retten, diese war aber so weit schon von ihr gewichen, daß sie sie nicht wieder einholen konnte.

»Ich versichere Euch nun, meine Damen«, fuhr Longarine fort, »wenn bei dieser Frau jene Angelegenheit rechtes Mißfallen erregt hätte, würde sie schon die Erinnerung daran verloren haben. Aber wie ich Euch sagte, eine Sünde offenbart sich noch eher selbst, als daß sie bekannt wird, wenn sie nicht mit jener Schutzdecke verdeckt wird, welche, wie David sagt, einen Menschen glücklich macht«. Emarsuitte sagte: »Nun, das ist denn doch die dümmste Frau, von der ich je gehört habe; sie läßt andere auf ihre eigenen Kosten lachen.« »Ich finde es garnicht merkwürdig«, sagte Parlamente,[399] »wenn in solchem Fall das Wort der That folgte; denn es sagt sich noch viel leichter etwas, als es gethan wird.« Guebron fragte: »Welche Sünde hat sie denn begangen? Sie lag schlafend im Bett, und er bedrohte sie mit Tod und Schande. Lukretia, die so gelobt wird, that doch dasselbe«. »Es ist schon richtig«, sagte Parlamente, »es giebt keinen so Gerechten, dem nicht auch einmal ein Unglück zustoßen könnte, aber wenn man in dem Augenblick selbst ein großes Mißfallen verspürt, so haftet das auch im Gedächtniß, und gerade um das auszulöschen, tödtete sich Lukretia; diese Dumme wollte aber darüber Andere lachen lassen«. »Immerhin scheint sie doch eine anständige Frau gewesen zu sein«, sagte Nomerfide, »denn sie hatte sich doch viele Male bitten lassen, ohne ihm nachzugeben, so daß der Edelmann sich genöthigt sah, zu Betrug und Gewalt seine Zuflucht zu nehmen, um sie zu täuschen«. Parlamente fragte: »Haltet Ihr eine Frau für bedacht auf ihre Ehre, wenn sie sich hingiebt, nachdem sie zwei-, dreimal sich geweigert hat? Dann wären manche sehr ehrbare Frauen, die man doch mit Recht für das Gegentheil hält. Denn man hat genug Frauen gesehen, die lange Zeit denjenigen zurückwiesen, an dem sie ihr Herz doch schon verloren hatten; die einen, weil sie für ihre Ehre fürchteten, die anderen, um sich nur noch heißer lieben und achten zu lassen. Deshalb muß man auf eine Frau nichts geben, wenn sie nicht bis zu Ende aushält.« »Und wenn ein junger Mann einmal ein schönes Mädchen zurückweist, würdet Ihr das nicht für eine große Tugend halten?« fragte Dagoucin. Oisille sagte: »Wenn ein junger und gesunder Mensch solche Zurückweisung übte, so würde ich ihn für sehr lobenswerth, die Sache aber für nicht recht glaublich halten.« »Dennoch kenne ich welche«, bekräftigte Dagoucin, »die Abenteuer zurückwiesen, welche alle ihre Genossen suchten.« »Ich bitte euch«, jagte Dagoucin, »nehmt meine Stelle, um uns etwas davon zu erzählen; aber erinnert Euch, daß wir hier gehalten sind, die Wahrheit zu sagen.« »Ich verspreche Euch«, sagte Dagoucin, »sie Euch ungeschminkt und ohne jede Beschönigung, die sie verdecken könnte, zu sagen.«

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 398-400.
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