Dreizehnte Erzählung.

[101] Handelt von einem Schiffskapitain, der sich unter dem Schein der Frömmigkeit in eine junge Dame verliebt, und was daraus entsteht.


Zur Zeit der Regentin, der Mutter Franz I., lebte am Hofe derselben eine Dame von großer Frömmigkeit, welche mit einem eben so frommen Edelmann verheirathet war. Er war alt und sie jung und schön; nichtsdestoweniger war sie ihm treu und liebte ihn wie den schönsten jungen Mann, und um ihm alle Gelegenheit zu Verdruß und Kummer zu nehmen, lebte sie, als wäre sie so alt wie er, floh Gesellschaft, Putz, Tanz und Spiel, die doch sonst junge Frauen lieben, und suchte Vergnügen und Erholung nur in religiösen Andachten. Die Folge davon war, daß ihres Mannes Liebe so in Sicherheit gewiegt wurde, daß sie ihn und sein Haus ganz, wie sie wollte, regierte. Eines Tages sagte ihr der Edelmann, es sei schon seit seiner frühesten Jugend sein Wunsch gewesen, einmal nach Jerusalem zu reisen, und fragte sie, was sie davon halte. Sie hatte keinen anderen Wunsch, als ihm gefällig zu sein, und antwortete: »Da Gott uns keine Kinder geschenkt hat und wir Reichthümer genug besitzen, so wäre ich ganz einverstanden, wenn wir einen Theil derselben auf dieser heiligen Reise verwendeten; denn hier sowohl wie allenthalben hin will ich mit Euch gehen und Euch niemals verlassen.« Der[101] gute Alte war so entzückt, daß er schon auf dem Calvarienberge zu sein glaubte. Während sie noch das Nähere hin und her überlegten, kam ein Edelmann an den Hof, der schon oft gegen die Türken zu Felde gezogen war, um beim König von Frankreich einen Eroberungszug gegen eine ihrer Städte, von deren Besitz großer Vorteil für die Christenheit zu erwarten sei, durchzusetzen. Der alte Edelmann forschte ihn wegen seiner Reise aus und nachdem er von seinem Unternehmen gehört, fragte er ihn, ob er gewillt sei, nach seinem Zug noch weiter bis nach Jerusalem zu fahren, wohin er und seine Frau gern reisen möchten. Der Capitain war über diesen Vorschlag sehr erfreut, versprach, ihn dorthin zu bringen und den ganzen Plan geheim zu halten. Der gute Alte lief schleunigst zu seiner Frau, die nicht weniger wie er selbst danach verlangte, daß die Reise zu Stande käme, um ihr die gute Nachricht zu bringen. In dieser Angelegenheit sprach sie auch oft mit dem Capitain, der mehr sie ansah, als auf ihre Worte hörte und in kurzer Frist sich so sehr in sie verliebte, daß er, wenn er ihr von seinen Seereisen erzählte, alles durcheinander warf, Marseille mit dem Archipel verwechselte, von einem Schiff sprechen wollte und von einem Pferde sprach u.s.w., gerade wie einer, der ganz den Verstand verloren hat. Sie er schien ihm aber so unnahbar, daß er nicht von seinem Gefühl zu ihr zu sprechen oder es sie merken zu lassen wagte. Die Verstellung aber zehrte an seinem Herzen, oftmals wurde er krank, und die junge Frau war dann eben so besorgt um ihn, als hinge von ihm allein die ganze Reise ab. Sie ließ sich oft nach seiner Gesundheit erkundigen, und wenn er hörte, daß sie nach ihm fragte, wurde er gleich ohne andere Medizin gesund. Einige Leute aber wunderten sich, daß die junge Frau so unbefangen mit dem Capitain umging, der viel mehr im Rufe eines übermüthigen Lebemannes als eines guten Christen stand, und als sie gar sahen, daß er plötzlich eifrig die Kirchen besuchte und Predigten und Messen hörte, zweifelten sie nicht, daß er das nur thue, um ihr Vertrauen zu erwerben, und machten ihm darüber einige Andeutungen. Der Capitain befürchtete nun, daß, wenn ihr etwas hiervon zu Ohren käme, er den Verkehr mit ihr verlieren würde, und sagte deshalb eines Tages zu ihr und zu ihrem Manne, daß er nun vom König[102] den Auftrag zur Expedition so gut wie erhalten habe und nächstens abreisen werde; vorher habe er aber noch einiges mit ihnen zu besprechen, und damit die Angelegenheit nicht von Unbefugten gehört würde, möchte er nicht in Gegenwart anderer davon reden, bäte vielmehr, ihn holen zu lassen, wenn sie bei sich allein wären.

Der Edelmann fand dies sehr vernünftig, legte sich nun alle Abende sehr früh zu Bett und ließ seine Frau ihre Nachttoilette machen; nachdem dann alle anderen sich zurückgezogen hatten, ließen sie den Capitain holen und besprachen die Jerusalemer Reise. Währenddem schlief dann der Edelmann öfters andächtig ein, und wenn der Capitain dann den alten Mann im festen Schlafe in seinem Bette liegen sah, neben welchem er in einem Stuhl in der unmittelbaren Nähe derjenigen saß, die ihm die Schönste auf der Welt erschien, drückte es ihm das Herz ab, und er schwankte zwischen der Furcht und dem Verlangen, sich ihr zu erklären; oft wurde er ganz stumm. Damit sie aber nichts merkte, sprach er dann von der heiligen Stätte Jerusalems, wo die zahlreichen Spuren von Christus Liebe und seiner Leidensgeschichte zu finden sind. Und indem er von dieser Liebe sprach, meinte er die seine und blickte unter Thränen und Seufzen zu ihr auf. Sie merkte aber nichts sie sah nur seine andächtige Miene und hielt ihn für einen sehr frommen Mann, so daß sie ihn eines Tages bat, ihr sein Leben zu erzählen, und wie er zu seiner so großen Gottesfurcht gekommen sei. Er sagte ihr, daß er ein armer Edelmann gewesen sei, der, um zu Reichthum und Ehren zu kommen, eine nahe Anverwandte, die sehr reich aber alt und häßlich war und die er nicht liebte, geheirathet habe. Nachdem er all' ihr Geld durchgebracht habe, sei er aufs Meer auf Abenteuer ausgegangen und habe sich durch Arbeit und Kämpfe eine angesehene Stellung geschaffen. Vor allem aber, seitdem sie mit einander bekannt geworden seien, hätten ihre frommen Reden und ihr gutes Beispiel eine Aenderung in seinem Leben hervorgerufen, so daß er nur noch das eine wünsche, wenn er von seinem Zuge glücklich heimgekehrt wäre, sie und ihren Mann nach Jerusalem zu geleiten, um dort Vergebung aller seiner Sünden zu erflehen, die er zwar alle abgelegt habe, bis auf den einen noch ungesühnten Punkt, das Unrecht an seiner Frau, das er aber[103] bald gut zu machen hoffe. Alle diese Reden gefielen der jungen Frau sehr und vor Allem freute sie sich, ihn zu einem gottgefälligen Lebenswandel zurückgeführt zu haben. So lange sie noch am Hofe weilten, setzten sie alle Abende ihre Gespräche fort, ohne daß er jemals seine Liebe erklärt hätte; einmal brachte er ihr als Geschenk ein Crucifix von Notre-Dame de Pitié und bat sie, wenn sie es anschaute, seiner zu gedenken. Als nun der Tag seiner Abreise herangekommen war und er sich bei dem Edelmann, der gleich wieder einschlief, verabschiedet hatte, ging er, sich bei der jungen Frau zu empfehlen. Sie hatte Thränen in den Augen, denn sie hielt ihn für einen aufrichtigen, ihr treuen Freund; als er das sah, übermannte ihn Sehnsucht und Kummer, er stürzte halbohnmächtig vor ihr auf die Knie sagte mit gebrochener Stimme und die Augen voll bitterer Thränen Lebewohl. So trennten sie sich. Die junge Dame war nicht wenig erstaunt, denn sie hatte solchen Abschiedsschmerz noch nicht gesehen. Trotzdem änderte sie aber ihre Gesinnung gegen ihn nicht, sondern begleitete ihn mit ihren Gebeten und Wünschen.

Einen Monat später, als sie von einem Spaziergang wieder in ihre Wohnung zurückkehrte, fand sie einen Edelmann vor, welcher ihr einen Brief vom Capitain überbrachte. Er bat sie, ihn allein zu lesen, und erzählte ihr, daß jener abgefahren sei, fest entschlossen, für seinen König und die Ausbreitung des christlichen Glaubens gegen die Ungläubigen zu kämpfen; daß er selbst wieder nach Marseille zurückkehren werde, um die Angelegenheiten des Capitains in dessen Abwesenheit wahrzunehmen. Die junge Frau trat in eine Fensternische, öffnete den zwei Blatt starken und auf allen Seiten beschriebenen Brief und las wie folgt:


Ich hab' so lang in Schweigen mich gehüllt

Und hab' mein Denken Dir so lang verborgen,

Daß ich nicht eher Ruhe wiederfinde,

Als bis ich Worte meinem Leid gegeben,

So lang ich nah' Dir war, hab' ich die Worte

Zurückgedrängt in mir mit vielen Schmerzen;

Doch fern von Dir verlassen mich die Kräfte.[104]

Und reden muß ich, gält' es gleich mein Leben

So schleicht sich nun die Wahrheit unverhohlen

In diese Zeilen ein; sie will Dir sagen,

Daß – da ich Deinem Angesicht entrückt,

Dem Angesicht, das anzuschaun mir immer

Der Gipfel der Glückseligkeit erschien,

Und da Dein Ohr mich nicht mehr hören kann –

Daß ich jetzt endlich zu Dir sprechen muß

Von meinen bittren Leiden; schweig' ich länger,

So sterb' ich sicherlich in meinem Gram.

Fast möcht' ich jetzt noch zögern, Dir's zu sagen,

Denn fürchten muß ich, daß zur Antwort Du

Dem feigen Wort, – das nur von ferne spricht,

Und als Du nah mir warst, sich fürchtete

Und nicht verlauten wollte, – spöttisch giebst:

»Du hättest lieber schweigend sterben sollen,

Als mir zu klagen, was Dein Herz bedrückt.«

Ach, wahrlich möcht' ich lieber zehnmal sterben,

Als mit der Worte ungestümem Klang

Zu sagen Dir, wie heftig ich Dich liebe.

Doch sterben darf ich nicht; denn tief bekümmern

Und schmerzen würd' mein Tod die edle Dame,

Um derentwillen ich allein mein Leben

Noch eine Weile mir erhalten möchte.

Denn hab' ich nicht, o Herrin, Dir versprochen,

Wenn meine Reise glücklich wär' beendet,

Zu Dir zurückzukehren, unverweilt?

Versprach ich nicht, Dich selbst und Deinen Gatten

Dahin zu führen, wo Dein Herz sich sehnt,

In frommer Andacht auf dem Berge Zion

Zu beten und zu danken Gott, dem Herrn?

Und wenn ich sterb', wird Niemand dich geleiten

Zu sehr betrauern würd'st Du meinen Tod,

Wenn unser schöner langgehegter Plan

So plötzlich in ein Nichts zerfließen sollte.

So werd' ich kommen und Dich treulich führen[105]

Ins heil'ge Land und wiederum zurück.

Wie ich gesagt, würd' ich den Tod mir wünschen

Dächt' ich an mich allein, doch ich muß leben

Für Dich, und um zu leben, muß ich beichten,

Was mir so schwer in Herz und Sinnen liegt.

Von meiner Liebe muß ich Dir berichten,

Die ist so groß und gut und so wahrhaftig,

Wie nimmer sie vorher zu finden war.

Was wirst Du sagen? O, der kühnen Worte!

Was wirst Du sagen, Du, mein kühner Brief?

Wirst Du von meiner Liebe ihr erzählen?

Ach, wärst Du dreifach stark, Du würdest dennoch

Noch nicht ein Tausendtheil verrathen können

Von dem, was mir die Seele tief bewegt.

Sag ihr, wenn Du's vermagst, daß ihre Blicke

Aus meinem Herzen alle Kraft gesogen,

Und daß mein Leib kernloser Schale gleicht,

Daß nur in ihr ich denke, athm' und lebe.

Ach, armes Wort, Du bist erbärmlich schwächlich,

Du kannst ihr noch nicht im entfernt'sten schildern,

Wie sehr ihr süßer Blick mein Herz bezwungen;

Noch wen'ger kannst Du ihrer holden Rede

Anmuth'gen Reiz gebührend halb beschreiben,

Du bist so schwach, so machtlos und so matt!

Ich wollt', Du könnt'st ihr sagen, wie zuweilen

Ein Wort von ihr, ein tugendliches, weises,

Mich dumm und stumm und närrisch machen konnte.

Wie oft mein Aug', verloren in den Anblick

Von ihrer zarten Schöne, sich mit Thränen

Ohnmächt'ger Lieb' gefüllt. Wie oft die Worte

Im Mund sich mir verdrehten, daß ich thöricht,

Anstatt von meiner Liebe ihr zu sprechen,

Von Monden schwatzte und von Himmelswundern,

Auch vom Polarstern und vom großen Bären – – –

Mein armes Wort, Du hast nicht Kraft genug,

Ihr von der heißen Qual ein Bild zu geben,[106]

In die die Liebe mich geschleudert hatte;

Auch giebt's im ganzen Weltall keine Feder,

Die ihr von meiner Lieb' genügend spräche.

Doch, wenn Du auch von meinem ganzen Zeilen

Ihr nicht berichten kannst, nimm etwas doch

Und also sprich: Aus Furcht, Dir zu umfallen

Hab' ich trotz meiner Lieb' so lang geschwiegen;

Doch soll sie jetzt vor Gott und Dir verlauten,

Denn Tugend ist der Fels, darauf sie stehet,

Und Tugend macht mir süß mein Liebesleiden.

So soll der Schatz nun offen vor Dir liegen,

Und tief in meine Seele sollst Du schauen.

Wer wollte einen solchen Ritter tadeln,

Daß er gewagt, zu huld'gen einer Dame,

Für die nur strengste Tugend Tugend ist?

Wär' nicht viel eher zu verwerfen der,

Der so viel Liebreiz sieht und ihn nicht liebt?

Ich aber sah und liebte ihn zugleich,

In mir blieb Liebe nur allein die Herrscherin.

Das ist die Liebe nicht, die flatternd leicht

Sich nur auf Schönheit stützt, auch nicht die wilde Liebe,

Die hin und her mich treibt und die sich sehne

Dich selbst, Du süße Fraue, zu besitzen.

Viel lieber wollt' auf dieser langen Reise

Ich elend sterben, als Dich minder züchtig

Und streng und fest und tugendlich zu wissen.

Ich will Dich lieben, wie man Engel liebt,

Du sollst so rein und so vollkommen bleiben

Wie nichts auf Erden; also heischt die Minne,

Die ich Dir bringe, keinen Lohn von Dir.

Je höher Deine Tugendflamme strahlet,

Je mehr und tiefer wurzelt meine Liebe.

Ich bin von jener Menge kein Genosse,

Die von der Liebe nichts als Lust verlangen;

So hoch ist meine Lieb' und so vernünftig

Und meine Dame ist der Lieb' so werth.[107]

Daß selbst der liebe Gott im Paradiese

Nichts andres von Dir sagen könnt' als ich.

Und wenn ich Deine Lieb' nicht kann erringen,

So will ich mich begnügen und bescheiden,

Wenn Du mich als den treu'sten Deiner Diener

Betrachten und als solchen achten willst.

Du wirst so lange mich als Diener schätzen,

Bis Du gesehen, daß, um Dich zu lieben,

Ich alles that, was Dir gefallen konnte.

Und wird mir dann von Dir kein andrer Lohn,

So will ich ganz zufrieden sein in meiner Liebe.

Glaub mir, nichts andres bildet mein Verlangen

Als auf dem Hochaltar der reinen Liebe

Für Dich zu opfern, was ich bin und habe.

Und glaube ferner, wenn ich glücklich kehre

Zurück von dieser allzulangen Reise,

Wirst Du in mir nichts andres wiederfinden,

Als Deinen allezeit getreuen Knecht.

Und wenn ich sterbe, stirbt mit mir Dein Ritter,

Wohl mehr ergeben, als je einer war.

So trägt nun auch die rollend wilde Woge

In ihrem Arm den Diener Dir davon;

Wohl kann den Leib das Meer mit sich entführen,

Doch nimmermehr mein Herz, das ist bei Dir geblieben,

Und von Dir reißen kann es keine Macht,

Da es mich ganz für Dich allein verlassen.

Könnt' ich dafür ein kleines winz'ges Stückchen

Von Deinem reinen Herzen mir erobern,

Von Deinem Herzen, das so glänzend klar

Wie eines Engels reines Herze ist,

So würde ich mit tausend hellen Freuden

Siegreich durch's Leben schreiten, Dir allein zum Ruhm.

Nun komme, was da will, ich hab' gesprochen,

Die Würfel sind gefallen; wie die Felsen fest,

Wird unveränderlich mein Denken bleiben.

Damit Du besser meinen Worten glaubest,[108]

Send' ich als Zeichen meiner reinen Ehre

Dir diesen Diamant, den Stein der festen

Und unerschütterlichen Sicherheit.

Laß ihn an Deinem weißen Finger leuchten,

Du wirst mich zu den Glücklichen erheben,

Wenn Du es thust. Laß diesen Stein Dir sagen,

Daß ich als Boten ihn zu Dir gesendet,

Er soll Dir von der süßen Hoffnung sprechen,

Die ich im Herzen nähr': Daß ich dereinst

Durch meiner Thaten ehrliches Verdienst

Zum Rang der Tugendreichen aufwärts steige,

Damit ich endlich noch mein Ziel erreiche

Und glücklich sei in meiner Herrin Gunst.


Als die junge Dame den Brief zu Ende gelesen hatte, war sie über die Anhänglichkeit des Kapitains nur noch mehr verwundert, errieth aber noch immer nichts. Als sie nun den großen schön geschnittenen Diamanten in dem schwarz emaillirten Ringe sah, war sie in großer Verlegenheit, was sie damit beginnen sollte. Die ganze Nacht verbrachte sie mit Nachdenken hierüber und war schließlich ganz froh, nun gar keine Gelegenheit mehr zu haben, ihm zu schreiben und eine Antwort zu senden, da der Bote schon wieder fort war. Sie sagte sich auch, daß bei allen Mühen und Sorgen, die ihm die Expedition genugsam verursachen würde, es nicht nöthig sei, daß er auch noch über ihre zurückhaltende Antwort bekümmert werde. Sie verschob es also bis zu seiner Rückkehr. Unklar blieb ihr nur, was sie mit dem Diamanten machen sollte, denn sie wahr nicht gewohnt, sich mit Edelsteinen zu schmücken, die nicht von ihrem Manne herrührten. Deshalb kam sie auf den Ausweg, diesen Diamanten in einer Gewissenssache des Kapitains eine Rolle spielen zu lassen. Sie schickte also einen ihrer Diener zu der verlassenen Frau des Kapitains, gab vor, eine Nonne aus Tarascon zu sein, und schrieb ihr folgenden Brief: »Madame! Ihr Mann hat sich einige Tage vor seiner Einschiffung hier aufgehalten und hat mir, nachdem er die Beichte gehört und das heilige Abendmahl genommen, mitgetheilt, daß ihm etwas schwer auf dem Gewissen laste, und[109] zwar der Vorwurf, Euch nicht, wie es seine Pflicht war, geliebt zu haben. Dann beschwor er mich, Euch nach seiner Abfahrt diesen Brief und den eingeschlossenen Diamantring zu senden, den Ihr als ein Zeichen Eurer Liebe zu ihm tragen möchtet, um Euch zu versichern, daß, wenn ihn Gott in Gesundheit zurückkehren läßt, er sich Euch und Eurem Wohlergehen widmen wolle, wofür Euch dieser Stein ein Unterpfand sein soll. Ich bitte Euch nun, ihn in Euer Gebet einzuschließen, wie er mein Lebelang in dem meinen eingeschlossen sein wird.«

Diesen Brief schickte sie, mit der Unterschrift einer Nonne versehen, an die Frau des Kapitains. Als die gute Frau den Brief und den Ring zu Gesicht bekam, weinte sie vor Freude, daß ihr Mann, der seit lange nicht mehr zu ihr zurückgekehrt war, ihrer noch gedachte; sie küßte den Ring viele Male und dankte Gott, daß er ihr am Ende ihrer Tage die Zuneigung ihres Mannes, welchen sie für immer verloren geglaubt hatte, wieder zuwandte, und schrieb auch einen Dankesbrief an die Nonne, die diese Wandlung zu Stande gebracht hatte. Der Bote brachte die Antwort seiner Herrin, die seinen Bericht und den Brief nicht ohne Lächeln entgegen nehmen konnte; sie war froh, den Diamanten los zu sein, und zwar mit der Wirkung, zwischen dem Kapitain und seiner Frau wieder eine Verbindung geschaffen zu haben, worüber ihr zu Muthe war, als hätte sie ein Königreich gewonnen.

Ewige Zeit später kam die Nachricht von der Niederlage und dem Tode des Kapitains; er war von denen, die ihn unterstützen sollten, verrathen worden, und die Rheder, denen die Geheimhaltung der Expedition anbefohlen worden war, hatten sie dem Feinde hinterbracht, so daß der Kapitain und alle übrigen, die gelandet waren, 80 an der Zahl, umkamen. Unter den letzteren befand sich ein Edelmann namens Johann und ein Türke, dessen Pathin bei seiner Bekehrung zum Christenthum die Frau des Kapitains gewesen war, sie war es auch, die beide dem Kapitain auf die Reise mitgegeben hatte. Der Edelmann fiel; der Türke hingegen, trotzdem ihn fünfzehn Pfeilschüsse verwundet hatten, rettete sich, indem er bis zu den französischen Schiffen schwamm. Von ihm allein auch hörte man alles Nähere über diese Niederlage. Ein[110] Edelmann nämlich, den der Kapitain für seinen ergebensten Kriegskameraden hielt und den er dem König von Frankreich und vielen anderen Großen empfohlen hatte, verrieth ihn und segelte, sobald er die übrigen gelandet sah, mit allen Schiffen von der Küste fort. Als nun der Kapitain sein ganzes Vorhaben entdeckt und 4000 Türken auf sich zukommen sah, wollte er sich auf seine Schiffe zurückziehen. Der Edelmann aber, dem er gerade sein volles Vertrauen geschenkt hatte, sagte sich, daß nach seinem Tode er den Oberbefehl über die ganze Armee erhalten und auch den ganzen Vortheil der Expedition allein einstecken würde; er sagte also zu den Edelleuten, man dürfe die Schiffe des Königs und so viele Truppen nicht wegen hundert Menschen aufs Spiel setzen. Die übrigen, denen es auch an rechtem Muth gebrach, fügten sich. Als der Kapitain nun sah, daß, je mehr er um Hülfe rief, um so mehr sie sich nur vom Ufer entfernten, wandte er sich gegen die Türken, und obwohl er und seine Getreuen bis an die Kniee im Sande wateten, vertheidigten sie sich mit solcher Tapferkeit und Todesverachtung, daß es war, als wollten sie allein die ganze Uebermacht des Feindes vernichten, den sein verräterischer Freund mehr fürchtete, als er nach Kriegsruhm verlangte. Am Ende aber erhielt er von den feindlichen Schützen, die nicht heranzukommen wagten, aus der Entfernung so viele Pfeilschüsse, daß sein Blutverlust ein großer wurde. Als die Türken nun die kleine Truppe ganz geschwächt sahen, stürmten sie mit ihren krummen Säbeln auf sie ein, wogegen sich jene, so weit ihre Kräfte noch reichten, auf das Hartnäckigste wehrten. Der Kapitain rief den Edelmann Johann, den seine Frau ihm mitgegeben hatte, und auch den Türken zu sich heran, steckte sein Schwert mit der Spitze in die Erde, fiel davor auf die Kniee, küßte und umarmte den Griff, der das Zeichen des Kreuzes bildete, und sagte: »O Herr, nimm die Seele desjenigen in Gnade zu Dir, der sein Leben daran gesetzt hat, Deinen geheiligten Namen auszubreiten.«

Der Edelmann Johann sah, daß ihn bei diesen Worten die Kräfte verließen, und stellte sich, das Schwert in der Faust, vor ihn hin, um ihn zu schützen; ein Türke schlich sich aber von hinten an ihn heran und versetzte ihm einen Schwertstreich über die[111] Schenkel. Mit den Worten: »Nun wohlan, mein Hauptmann gehen wir vor den Thron dessen, für den wir sterben«, sank er neben dem Kapitain, dessen getreuer Gefährte er im gewesen war, todt zu Boden. Der Türke, welcher sah, daß verwundet, weder dem einen noch dem andern dienlich zog sich nach dem Ufer zurück, rief nach den Schiffen um Hülfe und obwohl er von 80 der einzige Ueberlebende war, holte ihn der verrätherische Edelmann nicht vom Lande. Da er aber sehr gut zu schwimmen verstand, warf er sich ins Meer, wurde von einem kleinen Schiff aufgenommen und nach einiger Zeit von seinen Wunden geheilt. Nur durch diesen armen Fremdling erfuhr man die Wahrheit sowohl bezüglich der tapferen Gegenwehr des Kapiains wie des Verraths seines Kampfgenossen. Als von letzterem der König und seine Hofleute hörten, erschien ihnen sein verbrecherisches Thun so schimpflich, daß sie den schwersten Tod als zu gering für ihn erachteten. Als er aber selbst an den Hof kam, machte er so falsche Berichte und brachte so kostbare Geschenke mit, daß er nicht nur jeder Bestrafung entging, sondern sogar die Stelle desjenigen erhielt, dem er nicht einmal als letzter zu dienen würdig war.

Dieselbe Wirkung, welche diese Trauerkunde auf die Regentin, den König und alle Bekannten des Kapitains gemacht hatte, übte sie auch auf diejenige, welche er so sehr geliebt hatte. Denn als sie seinen beklagenswerthen und eines Christen würdigen Tod vernahm, vergaß sie die Härte, mit der sie ihm entgegentreten wollte, und hatte nur Thränen und Klagen. Ebenso auch ihr Mann, der sich der Hoffnung auf seine Reise beraubt sah. Ich will noch berichten, daß ein Ehrenfräulein der jungen Frau, welche den Edelmann Johann liebte, genau am Todestage desselben und des Kapitains zu ihrer Herrin gekommen war und ihr erzählt hatte, sie habe ihren Geliebten im Traum gesehen, er sei ganz weiß gekleidet gewesen und habe ihr Lebewohl gesagt und daß er mit seinem Kapitain ins Paradies gehe.

Als sie nun erfuhr, daß ihr Traum sich verwirklicht hatte, verfiel sie in einen so großen Trübsinn, daß ihre Herrin viel Mühe hatte, sie zu trösten. Einige Zeit später begab sich der Hof nach[112] der Normandie, wo der Kapitain herstammte, dessen Frau auch nicht verfehlte, an den Hof zu kommen, um der Regentin ihre Ehrerbietung zu beweisen. Sie wandte sich wegen der Vorstellung an die junge Frau, welche ihr Mann so sehr geliebt hatte. Während sie nun in einer Kapelle auf die Ankunft der Regentin und die Stunde der Vorstellung warteten, begann die alte Dame in Lobeserhebungen über ihren Gemahl auszubrechen und sagte unter anderem: »Und mein Unglück wird dadurch noch viel größer, daß gerade, als er mich mehr denn je zuvor liebte, Gott ihn mir genommen hat.« Bei diesen Worten zeigte sie den Ring, den sie als Unterpfand reinster Liebe und Treue an ihrem Finger trage, und obwohl sie heftig dabei weinte, konnte sich die junge Frau trotz ihres Mitleids des Lachens nicht erwehren, daß ihr kleiner Betrug so viel Gutes angerichtet hatte; sie war außer Stande, die Vorstellung bei der Regentin zu übernehmen, wies sie vielmehr an eine andere Dame und ging selbst in eine Kapelle nebenan, um wieder ruhig zu werden.

»Mir scheint es nun, meine Damen«, endete Parlamente, »daß alle, denen man solche Geschenke macht, es sich angelegen lassen sein sollten, sie so zu verwenden, daß eben so Gutes damit angerichtet wird, wie es diese junge Frau that. Dann würden die Damen finden, daß das Wohlthun die reinste Freude der Wohlthuenden ist. Auch darf man jene nicht etwa des Betruges zeihen, sondern man muß nur ihre Klugheit loben, daß sie etwas Unwerthem solchen Werth zu verleihen verstand.« »Wie«, sagte Nomerfide, »wollt Ihr etwa sagen, daß ein Diamant von 200 Thalern nichts Werthvolles sei? Ich versichere Euch, wäre er in meine Hände gefallen, weder seine Frau noch sonst eines der Seinen hätte je etwas davon gesehen. Was einem einmal geschenkt ist, ist gutes Eigenthum. Der Edelmann war todt, Niemand wußte etwas davon; sie hätte es sich wohl ersparen können, der armen Alten so viele Thränen zu verursachen.« »Ihr habt vollkommen Recht«, sagte Hircan, »es giebt Frauen, die sich nur besser zeigen wollen, als andere, und aus diesem Grunde thun sie etwas, was ihrer Natur an sich zuwider ist, denn sind die Frauen nicht alle geizig? Immerhin mag es vorkommen, daß Ruhmsucht ihren Geiz[113] noch überragt, und sie dann manches thun, was nicht aus dem Herzen kommt. So meine ich auch, daß die, welche den Diamanten weggab, auch garnicht würdig war, ihn zu tragen.« »Halt, halt«, rief Frau Oisille, »ich glaube nämlich jetzt zu errathen, wer es ist; deshalb verurtheilt sie nicht so ohne Weiteres.« »Madame«, erwiderte Hircan, »ich kenne sie nicht; aber wenn der Edelmann so ehrbar und tapfer war, wie uns hier gesagt worden ist, so konnte sie sich nur geehrt fühlen, einen solchen ergebenen Freund zu haben und einen Ring von ihm zu tragen; vielleicht aber hielt ein viel Unwürdigerer ihren Finger so fest, daß sich darauf überhaupt ein Ring nicht mehr stecken ließ.« »Immerhin«, warf Emarsuitte ein, »konnte sie ihn wohl behalten, da Niemand etwas davon wußte.« »Sollen denn alle diese Sachen den Verliebten erlaubt sein, vorausgesetzt nur, daß Niemand etwas davon wisse?« fragte Guebron. »Ich habe wenigstens«, bemerkte Saffredant, »noch kein Verbrechen und keinen Fehler bestraft werden sehen, ausgenommen die Dummheit, wenn ein Räuber oder Mörder oder Ehebrecher gerade so klug wie schlecht ist, so faßt ihn das Gericht nicht und die Menschen verachten ihn nicht. Oft aber verblendet sie das Verbrechen, sie werden unruhig und unbedacht, und es kommt alles ans Tageslicht; davon abgesehen werden nur immer die Dummen bestraft und nicht die Bösewichter.« »Nun, Ihr mögt sagen, was Ihr wollt«, sagte Oisille, »überlassen wir es Gott, das Herz dieser Dame zu ergründen; ich finde ihr Thun sehr ehrbar und sehr anständig. Damit wir aber nicht weiter darüber streiten, bitte ich Euch, Parlamente, das Wort weiterzugeben.« »Ich gebe es Simontault«, sagte diese; »nachdem wir aber zwei traurige Geschichten gehört haben, mag er uns eine erzählen, die uns wieder aufheitert.« »Ich danke Euch«, sagte Simontault, »aber ihr müßt mich nicht einen lustigen Erzähler nennen, diese Bezeichnung gefällt mir nicht. Und um es Euch zu vergelten, werde ich Euch zeigen, daß es Frauen giebt, welche gegen einzelne Männer und zu Zeiten sehr tugendhaft erscheinen, bis sie sich schließlich in ihrer wahren Gestalt zeigen.«

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 101-114.
Lizenz:
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