Siebzehnte Szene

[45] 1.2.3.4.

Walburga,Agnes,Irene,Marie,

EdmundRobertFelixGuido


Melancholisch.


FELIX zur Mitte hereintretend. Irene, meine teure Geliebte, angebetete, himmlische, göttliche Irene!

IRENE. Felix, du hast mein Herz gebrochen, lebe wohl auf ewig!

FELIX. Wie? Was wäre das?! Du sprichst vom ewigen Lebewohl, und ich bin da auf ewiges Wiedersehn im unzertrennlichen Liebesbund.


Sprechen durch Pantomime weiter.

Phlegmatisch.


ROBERT zur Mitteltüre hereinstürmend. Agnes, meine Agnes!

AGNES. Aber bin ich jetzt erschrocken! Warum klopfen S' denn nicht an?

ROBERT. Du erschrickst über mein Erscheinen? Und »Sie« nennst du mich? Du hast das trauliche »Du« vergessen und äußerst kalte Förmlichkeit gegen den, der mit glühender Liebe für dich brennt, in dessen Herzen die heißeste Flamme in verzehrender Leidenschaft lodert?

AGNES. Hören S' auf, Sie sind mir schon der Wahre!

ROBERT. Agnes –! Kann vor heftiger innerer Bewegung nicht weitersprechen.


[45] Sanguinisch.


GUIDO zur Mitte eintretend, im traurigen Tone. Marie, meine Marie!

MARIE. Ah, Sie sind's? Wegen was lamentieren S' denn? Über das vielleicht, daß Ihre heimlichen Schliche verraten sein? O, es is nichts so fein gesponnen, es kommt doch noch an die Sonnen.

GUIDO. Ich verstehe dich nicht. Du sprichst so sonderbar, so fremd, sollte also wirklich die alles verzehrende Zeit auch mein Glück mit unersättlichem Rachen verschlungen haben?

MARIE. Das versteh' ich nicht.

GUIDO. Wir verstehen uns nicht mehr! Das war's, was ich von dieser unglückseligen Trennung befürchtet.


Cholerisch.


EDMUND zur Mitte eintretend. Liebe Walburga!

WALBURGA. Ha, Ungeheuer! Auswurf der Menschheit, du wagst es, mir unter die Augen zu treten? Wagst es, den verräterischen Blick zu erheben zu der, die du betrogen, hintergangen, verraten, getäuscht, gemordet?

EDMUND. Ich weiß nicht, was du meinst, allein ich glaube, du tust mir unrecht.

WALBURGA. Unrecht? Dir, du Abbild des Betruges, du Widerschein der Falschheit, dir, der du das personifizierte Unrecht bist?

EDMUND. Ich staune!

BRAUS von innen rufend. Walburga, kommst du nicht, wenn ich zehnmal rufe!

WALBURGA ärgerlich. Zehnmal! Er hat noch nicht ein einzigesmal geruft! Der Papa macht mich rasend heut' mit seinem ewigen Rufen! Sehr böse zu Edmund. Warte, Elender!

EDMUND ruhig. Ich werde warten.


Walburga geht in die Seitentüre ab.

[46] Melancholisch.


FELIX. Also das ist's, meine Irene? Offen und wahr, Aug' in Auge – sieh mich an, bin ich einer Falschheit fähig? Ich habe an nichts gedacht und werde nie an etwas anderes denken, als dich glücklich zu machen und durch dich glücklich zu sein.

IRENE. Ist es so? O, dann laß mich Freudentränen weinen an deiner Brust!

FELIX. Die Freude lacht, du mein liebes Leben, das beständige Weinen mußt du dir abgewöhnen!


Phlegmatisch.


ROBERT. Siebentausend Ungeheuer sollen den frei in der Luft zerreißen, der so was über mich gesagt! Zehntausend Eide kann ich dir schwören –

AGNES. Das wär' alles recht schön, wenn man's glauben könnt'!

ROBERT. Du glaubst mir also nicht?

AGNES. Wenn ich einmal in die Zweifel hineinkomm', so komm' ich nicht so leicht wieder heraus.


Sanguinisch.


GUIDO. Mit tiefem Schmerz seh' ich, daß du mich ganz, ganz verkennst –

MARIE. O, man kennt den Vogel an den Federn, die Duckmauser mit düsterm Äußern tragen sehr helle, variable Farben im Herzen.

GUIDO. Ich sehe, du willst nicht an meine Treue glauben, sonst könnte dein Verstand unmöglich auf so schwachem Grund ein solches Riesengebäude von Argwohn bauen. Ich gehe – wollte der Himmel, es wäre dies mein letzter Gang! Will fort.

MARIE. Guido!

GUIDO. Was willst du noch?

MARIE für sich. Auf die Letzt' tu' ich ihm halt doch unrecht. Laut. So sei nur nicht gleich gar so desperat! Man wird doch das Recht haben, dann und wann einiges Mißtrauen zu äußern.[47]


Cholerisch.


WALBURGA aus der Seitentüre zurückkommend. Na, hat man schon auf Ausreden studiert? Ich war so diskret, Zeit zu lassen, bis die Lügen fertig sind.

EDMUND. Wie meinst du das?

WALBURGA. Ha, diese kalte Ruhe muß das gelassenste Gemüt aus der Fassung bringen! Ich soll diesen Hohn ertragen von einem Menschen, der mich dem Spott der Milchweiber preisgibt?

EDMUND immer ruhig. Welches Milchweib hat gespottet, und warum hat es gespottet, das Milchweib?


Melancholisch.


FELIX. Unserer Liebe droht also Gefahr, du sollst einen andern heiraten?

IRENE. O, weh' mir!

FELIX. Nein, wohl mir und dir! Dem Himmel Dank für diese Gefahr! Ich biete ihr eine kecke Stirne! Gefahr macht rasch handeln, rasch handeln führt zum Ziele, zum Ziele wünsche ich zu gelangen, folglich wird mein Wunsch erfüllt, gerade durch die Gefahr!


Phlegmatisch.


ROBERT. Wer ist der bestimmte Bräutigam und wo ist er? Ich morde ihn und dich, wenn du ihn begünstigst.

AGNES. Na ja, mord' nur die Leut' gleich paarweise! Du hörst ja, daß ich ihn nicht mag, daß ich nur dich mag, wenn ich anders deinen Versicherungen trauen darf.


Sanguinisch.


GUIDO. Einem andern sollst du angehören? Ich bin verloren! Alles, alles ist verloren!

MARIE. Warum nicht gar! Alles is gewonnen, wenn du einen gescheiten Plan ausdenkst, der dir meinen Besitz verschafft.

GUIDO. Das will ich, doch ich fürchte, es wird mißlingen.[48]

MARIE. Was? Ich hab' dich wieder lieb, will glauben, daß man dich nur verleumdet hat, und du wagst es, etwas zu fürchten?


Cholerisch.


WALBURGA für sich. Jetzt fallt's mir wie ein Bleigewicht aufs Herz, er kann unschuldig sein, er ist es gewiß, seine Ruhe ist ja der klarste Beweis. Wer weiß, über was das Milchweib gelacht hat. Die verdient meinen Zorn, die Kreatur, und er meine Liebe, meine heiße, ungeteilte Liebe! Laut. Edmund, mein Edmund!

EDMUND. Überlege alles noch einmal vernünftig und schließe mich dann in deine Arme!

WALBURGA. Hinweg mit jeder Überlegung! Blinder Glaube an dich, an deine Treue soll hinfort in meiner Seele leben! Umarmt ihn stürmisch.


Melancholisch.


IRENE. Geh jetzt, Felix, schreibe mir; du weißt, mein Vater ist dir nicht gewogen, wenn er käme, das wäre schrecklich.

FELIX. Nichts ist schrecklich, Irene, alles ist gut, und was nicht gut ist, muß gut werden.


Sanguinisch.


MARIE. Ich glaub', ich hör' den Papa!

GUIDO traurig. So muß ich fort!


Phlegmatisch.


ROBERT. Agnes, bist du entschlossen, der Liebe jedes Opfer zu bringen, sprich, o sprich schnell!

AGNES. Geh, du laßt einen gar nicht nachdenken, und schrei nicht so, der Vater hört dich sonst, und dann wär's g'fehlt.


Cholerisch.


WALBURGA. Du mußt mich befreien von dem verhaßten Nebenbuhler, mit Gewalt, wenn's nicht im Guten geht!

EDMUND. Ich werde die Sache reiflich in Erwägung ziehen.[49]

WALBURGA. Jetzt geh, eh' dich der Vater sieht, denn der ist heut' grimmig! Leb' wohl!

EDMUND im Ton seines Charakters. Auf Wiedersehen!


Edmund zur Mitte, Walburga in die Seitentüre ab.


Phlegmatisch.

AGNES im Tone ihres Charakters. Leb' wohl!

ROBERT im Tone seines Charakters. Auf Wiedersehn!


Robert zur Mitte, Agnes in die Seitentüre ab.

Sanguinisch.


MARIE im Tone ihres Charakters. Leb' wohl!

GUIDO im Tone seines Charakters. Auf Wiedersehn!


Guido zur Mitte, Marie in die Seitentüre ab.

Melancholisch.


IRENE im Tone ihres Charakters. Lebe wohl!

FELIX im Tone seines Charakters. Auf Wiedersehn!


Felix zur Mitte, Irene in die Seitentüre ab.


Quelle:
Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Ausgabe in sechs Bänden, Band 3, Wien 1962, S. 45-50.
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