Zwanzigste Szene

[57] 1.2.3.4.

(Bühne frei)Fad (allein)Trüb,(Bühne frei)

dann Schlankel,

dann Irene,

dann Hutzibutz


Melancholisch.


SCHLANKEL durch die Mitte eintretend. Untertänigster Diener, Herr von Trüb! Ist es Ihnen angenehm, wenn ich Ihnen jetzt balbier'?[57]

TRÜB. Angenehm? Freund, mir ist nichts angenehm auf dieser Welt. Meinetwegen, rasieren Sie mich. Setzt sich.

SCHLANKEL ihm das Tuch umgebend und ihn einseifend. Es gibt Sachen, denen man nicht ausweichen kann im Leben, darunter gehört das Balbiertwerden; und das is immer noch am erträglichsten, wenn's nur vom Balbierer g'schiecht. Wenn einem aber Angehörige halbieren –

TRÜB. Sie nehmen die Sachen in metaphorischer Bedeutung. Meine Tochter – die ist noch mein einziges Glück – wohl dem, der eine solche Tochter hat.

SCHLANKEL. Die hat Ihnen noch nicht balbiert, aber – Wie in der Rede abbrechend, aber doch mit pikanter Beziehung. eing'seift sein S' schon.

TRÜB den Sinn fassend. Wie? – Entsetzlicher –! Wie meinen Sie das?

SCHLANKEL das Messer abziehend. Sie sind schon eing'seift, und ich werd' gleich zum balbieren anfangen.

TRÜB. Nein, nein, täuschen Sie mich nicht, Sie haben es anders gemeint.

SCHLANKEL rasierend. Und wenn's auch anders gemeint wär' – trösten Sie sich, es geht mehr Leuten so.

TRÜB. In diesem Trost liegt eine Sündflut von Unheil! Sprechen Sie offen, wenn Sie Gefühl haben für das, was sich im Vaterherzen regt.

SCHLANKEL rasierend. Ich hab' für alles Mögliche Gefühl! Ich bitt', den Kopf auf die andere Seiten – ich will Euer Gnaden sagen, ich bin hinter was kommen, und um Ihnen nicht lang leiden zu lassen, will ich's Ihnen auf einmal sagen: die Fräulein Tochter will durchgehn mit 'n liederlichen Mussi Felix da darneben.

TRÜB verhüllt sich mit beiden Händen das Gesicht. Meine Tochter?! – Ist's möglich?

SCHLANKEL. Aber, Euer Gnaden, jetzt haben S' die Seife in Händen statt in G'sicht, da kann man wieder von vorn anfangen. Repariert die Einseifung.

TRÜB. Irene, meine gute, sanfte Irene!


[58] Phlegmatisch.


FAD schmauchend. Ja, ja, das sein die ärgsten, die fatalesten Verdrießlichkeiten, die häuslichen.


Melancholisch.


SCHLANKEL. Lassen Sie sich fertig rasieren!

IRENE kommt aus der Seitentüre. Sie haben mich gerufen, o mein Vater?

TRÜB. Gerufen?

SCHLANKEL. Nur Fassung!

TRÜB leise. Ihr Anblick schneidet, mir ins Herz.

SCHLANKEL. Wenn S' so z'samm'schnappen mit 'm Kopf, so schneid' ich Ihnen in die Nasen.

IRENE zu Trüb. Wünschen Sie –?

TRÜB. Nichts, ich wünsche nichts mehr.

HUTZIBUTZ einen Pack Kleider über dem Arm tragend, tritt zur Mitte ein. Da bring' ich die ausgeputzten Kleider.

TRÜB. Leg' Er sie nur dort auf den Stuhl!

HUTZIBUTZ tut es, zeigt dabei Irenen einen Brief hinter dem Rücken des Vaters und steckt ihn in die Tasche eines Rockes, den er über die Stuhllehne hängt.

SCHLANKEL einen halben Blick auf Hutzibutz heftend, während dem Rasieren leise zu Trüb. Euer Gnaden, jetzt hat er ihr ein' Brief zeigt und hat ihn in Ihrem Kaput in Sack g'steckt.

TRÜB. Schändlich! Schändlich!

SCHLANKEL. Nur Fassung!

HUTZIBUTZ. Sonst befehlen Euer Gnaden nichts?

TRÜB mit gebrochener Stimme. Nein, nichts mehr.

HUTZIBUTZ für sich. Der Triumph Nummer eins wäre errungen! Zur Mitte ab.

SCHLANKEL leise zu Trüb. Jetzt geben Euer Gnaden auf d' Fräulein Tochter acht – sehen S', sie schleicht schon hin.

TRÜB laut. Irene![59]

IRENE welche, um den Brief zu nehmen, im Begriff war, zu dem Stuhl zu schleichen, auf welchem die Kleider hängen, erschrocken. Mein Vater –?

TRÜB. Du weißt, ich liebe die Einsamkeit, gehe auf dein Zimmer!

IRENE. Sogleich! Für sich. Himmel, wenn er den Brief findet –! In die Seitentüre ab.

SCHLANKEL das Rasierzeug zusammennehmend. So, ich hab' Ihr G'sicht in Ordnung gebracht, wenn's Ihnen über dem Brief aus 'n Leim geht, meine Schuld is es nicht. Zur Mitte ab.


Quelle:
Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Ausgabe in sechs Bänden, Band 3, Wien 1962, S. 57-60.
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