Zehnte Szene

[108] 1.2.3.4.

(Bühne frei)Der Vorige;IreneHerr von

Cyprian,(allein)Schmerz,

dann Herrdann Froh

von Sturm


Melancholisch.


IRENE allein. Himmel, was wird das werden!


Sanguinisch.


FROH noch von außen. Also is er schon da?

SCHMERZ. Mein Freund Trüb kommt nach Hause.[108]

FROH zur Mitte eintretend. Freund, alter Ami!

SCHMERZ. So kann ich endlich meine Tränen fließen lassen an deiner Brust! Sinkt ihm schluchzend an den Hals.


Phlegmatisch.


CYPRIAN zur Mitte eintretend. Er kommt wieder, er lärmt grad über die Stiegen herauf – Zu Fad, nähertretend. Euer Gnaden –


Sanguinisch.


FROH. Na, na, so sei nur wieder g'scheit. Mir sind auch vor Freud' die Tränen in die Augen kommen, aber gar so weinen –

SCHMERZ. O gönne mir diesen Genuß!


Phlegmatisch.


STURM ungestüm zur Mitte eintretend. Ich konnte des Kerls nicht habhaft werden, aber nur Geduld, Geduld, er läuft mir noch in die Hände, und dann zermalme ich, zerreiß' ich den Schuft!

CYPRIAN. Still, still, der gnädige Herr schlaft!

STURM. Wie? Was? Das ist er? Der Vater schläft, wenn der Ruf der Tochter gefährdet ist? Auf, betörter Alter, die Stimme der Ehre sei die letzte Posaune deiner Ruhe! Auf, erwache! Rüttelt ihn.


Sanguinisch.


FROH. Aber Freund, hörst noch nicht bald auf?

SCHMERZ. Nein, nie – nie!


Phlegmatisch.


FAD. Wa – was gibt's denn?

STURM. Was es gibt? Ein von einem zudringlichen Verführer verfolgtes Mädchen, das ist deine Tochter, einen wütenden Bräutigam, der bin ich, und einen schläfrigen Vater, der bist du!


[109] Sanguinisch.


FROH. Is dir denn was geschehn?

SCHMERZ. Die Erinnerung an unsere Jugend –!

FROH. Die is ja höchst lustig!


Phlegmatisch.


CYPRIAN zu Fad. Das is der Herr von Straßburg!

FAD. Mein alter Spezial! G'freut mich unendlich!

STURM. Mich freut's aber nicht, was ich für Entdeckungen gemacht! Deine Tochter ist ein Engel, aber der – der –

FAD in der Meinung daß Sturm von Robert spricht. Mein Gott, der junge Mensch ist halt versprengt in sie, und Jugend – Jugend –

STURM Hutzibutz meinend. O, gar so jung ist er nicht! Aber der Teufel soll ihm das Licht halten, wenn er ihr noch ferner nachlauft!

FAD. Freund, bis Straßburg lauft keiner!

STURM. Du nimmst das leicht, worüber ich ergrimme, wüte, rase. Er soll mir aber nicht entgehn, ich finde ihn, ich muß ihn finden, eher ruh' ich nicht! Wütend zur Mitte ab.


Sanguinisch.


SCHMERZ wehmütig den Kopf schüttelnd. Erinnerung ist ein schadenfroher Mahner an eine entschwundene schöne Zeit, drum liegt gerade im Wiedersehn ein tiefer, unnennbarer Schmerz!


Melancholisch.


IRENE aus der Lade des Tisches ein Portefeuille nehmend. Mein Tagebuch, du Kette bitterer Leiden, nimm den heutigen als den unseligsten auf! Setzt sich zum Tischchen und schreibt in das Tagebuch.


Sanguinisch.


SCHMERZ. Ich muß dich auf einen Augenblick verlassen – es ergreift mich zu mächtig – Im Übermaß des Gefühls. es zersprengt mir die Brust –! Stürzt zur Seitentüre ab.


[110] Phlegmatisch.


FAD. Das is ein schrecklicher Mensch, wie sich der geändert hat in die Jahre, seitdem ich ihn nicht gesehn hab', als wenn's gar nicht der nämliche wär' –


Sanguinisch.


FROH allein. Der is wie ausgewechselt!


Quelle:
Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Ausgabe in sechs Bänden, Band 3, Wien 1962, S. 108-111.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Unsühnbar

Unsühnbar

Der 1890 erschienene Roman erzählt die Geschichte der Maria Wolfsberg, deren Vater sie nötigt, einen anderen Mann als den, den sie liebt, zu heiraten. Liebe, Schuld und Wahrheit in Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

140 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon