Achtzehnter Auftritt


[406] Vorige. Madame Storch. Rosalie. Peppi. Kauz. Sabine.


KAUZ tritt mit den Frauenzimmern zankend von der Seite rechts auf. Erlauben Sie mir, das is keine Sach' um einen Spaß z' machen.

MADAME STORCH, PEPPI, ROSALIE. So sein Sie nur nicht so kindisch.

KAUZ. Was kindisch, eine Brieftasche is kein Gegenstand zu einem Jux.

SABINE. Sie werden Ihre Brieftasche gleich wiederkriegen.

SCHNOFERL für sich. Ihm g'hört die Brieftaschen? – Ha Stearin- – Milly- – Apollo-Licht, was mir aufgeht! –

SABINE zu Kauz. Wie ich Ihnen sag', ich hab s' der Rosalie geben.

KAUZ. Und die Rosalie –?

ROSALIE. Ich hab s' dem Herrn von Gigl gegeben.

KAUZ. Also Gigl, heraus damit!

GIGL. Ich hab s' dem Schnoferl aufz'heben geb'n.

KAUZ erschreckend. Dem Schnoferl? Mit erzwungener Fassung. Herr Schnoferl, hab'n S' die Güte, meine Brieftaschen –

SCHNOFERL. Gleich, gleich, 's pressiert ja nicht. Wissen Sie, Herr von Kauz, daß Ihr Landhaus wirklich eine charmante Lage hat?

KAUZ sehr unruhig. Ja, ja, aber –

SCHNOFERL. Diese herrliche Luft, mitten im Sommer so kühl, gar nicht schwül, ich begreif' nicht, warum Sie so schwitzen?

KAUZ seine Unruhe verbergen wollend. Begreif's selbst nicht – aber geben Sie jetzt –

SCHNOFERL. Sehen Sie, wohl verwahrt.

KAUZ ihn beiseite ziehend. Herr Schnoferl!

SCHNOFERL leise zu ihm, indem er ihm den Brief zeigt. Die Handschrift ist Ihnen ohne Zweifel bekannt?

KAUZ ganz kleinlaut. Herr Schnoferl, Sie werden doch nicht –

SCHNOFERL leise, ihn stark fixierend. Sie haben sich durch die dritte Hand selbst beraubt, um einen Vorwand zu haben,[406] sich arm zu stellen, und Ihren Seitenverwandten den Erbschaftsanteil nur zizerlweis hinauszuzahlen.

KAUZ leise zu Schnoferl. Eine unglückliche Spekulation!

SCHNOFERL wie oben. Schaut's der Herr von Kauz. Laut. Mir sehr angenehm, daß Zeugen vorhanden sind, Zeugen, die die Sach' gewiß in alle Weltgegenden verbreiten werden.

KAUZ leise bittend. Schnoferl!

SCHNOFERL laut. Der Vater von diesem armen Mädl hier war unschuldig in Verdacht, seine Ehre is unbefleckt, wie der Tag, niemand kann daran zweifeln, denn der Herr von Kauz is gar nicht bestohlen worden.

THEKLA. Ich bin überglücklich!

GIGL. Thekla!

FRAU VON ERBSENSTEIN in größter Angst, leise zu Schnoferl. Ums Himmels willen tun S' unserm Haus die Schand' nicht an – ich bin seine Nichte!

SCHNOFERL leise zu Frau von Erbsenstein. Gerechtigkeit is das erste, strenge Gerechtigkeit. Laut. Das Geld nämlich hat der Herr von Kauz –

KAUZ in Desperation, leise zu Schnoferl. Wollen Sie mich unglücklich machen?

SCHNOFERL. Das Geld hat der Herr von Kauz nur verlegt.

ALLE. Verlegt?

SCHNOFERL. Sehn Sie, an seinem verlegnen G'sicht sieht man's, daß das Ganze nur verlegt war. Soeben hat er mir angezeigt, daß er in dieser Brieftaschen alles wiedergefunden. Zu Kauz, ihm die Brieftaschen gebend, nachdem er vorher den Brief herausgenommen. Da haben Sie s'. Leise. Den Brief behalt' ich aber noch!

SABINE. Kurios, wir haben sie doch durchsucht –

SCHNOFERL. Ja, es muß ganz ein verborgenes Fach sein –

KAUZ. Ich fang' an Atem zu schöpfen, aber noch nicht recht.

FRAU VON ERBSENSTEIN leise zu Schnoferl. Sie sind ein Engel!

SCHNOFERL leise zu Kauz. Jetzt kommen aber erst die Bedingungen, unter denen ich schweigen, und Ihnen auch den Brief zurückgeben will. Laut. Schön, Herr von Kauz, schön, das macht Ihnen Ehre. Sich zu den andern wendend.[407] Der Herr von Kauz versichert mich soeben, daß er seinen Seitenverwandten ihren ganzen Erbschaftsanteil sogleich, samt sechsprozentigen Interessen für die Zeit, als das Geld verlegt war, hinauszahlen wird. Mir zahlt er ebenfalls meine 3000 Gulden, na, das versteht sich von selbst, übrigens das is alles nur Schuldigkeit! jetzt aber erst das Edle –

KAUZ beiseite. Was denn noch?

SCHNOFERL laut zu allen. Der Tochter des Mannes, der unschuldig im Verdacht war, schenkt er zehntausend Gulden zur Aussteuer.

KAUZ beiseite. Verdammt!

SCHNOFERL wie oben. Ihrem Vater aber, der am meisten bei der G'schicht gelitten, fünfzehntausend Gulden als Entschädigung für ausgestandenes Ungemach.

KAUZ wie oben. Verfluchter Kerl!

SCHNOFERL wie oben. Das is schön, Herr von Kauz, wirklich schön, und extra noch –

KAUZ leise zu Schnoferl. Ja, ist's denn noch nicht genug?

SCHNOFERL wie oben. Extra noch, weil sich die Sach' so glücklich ausgestaltet hat, schenkt er zehntausend Gulden an die Armen.

KAUZ desperat, leise zu Schnoferl. Mensch – Hyäne, du ruinierst mich! –

SCHNOFERL Kauz umarmend. Edler Mann, du rührst mich. Zu den Anwesenden. Das is großartig, er sagt, zehntausend Gulden sind zu wenig, er will durchaus 12000 Gulden an die Armen geben.

KAUZ für sich. Ich fahr' aus der Haut, Leise zu Schnoferl. Satansschnoferl, ausgezeichneter Folterknecht von der Seelentortur.

SCHNOFERL zu Kauz, leise. Wie S' ein Wort reden, sag' ich fünfzehntausend Gulden, ich hab' Ihnen ja in der Hand. Zeigt den Brief, laut. Über alles dieses wird der Herr von Kauz noch in dieser Stund mir die nötigen Dokumente ausstellen. Leise zu Kauz. Dann kriegen S' Ihren Brief.

SABINE. Ich bin neugierig, weil der Herr von Kauz heut'[408] seinen großmütigen Tag hat, wie er sich bei seine Freundinnen einstellen wird.


Die Mädchen und Madame Storch nähern sich.


KAUZ sehr ärgerlich. Gehn Sie zum – ihr seid's schuld an allem!

DIE MÄDCHEN UND MADAME STORCH. Was!?

ROSALIE, SABINE. Was wäre das?

MADAME STORCH böse zu Kauz. So eine Aufnahme sind wir nicht g'wohnt. Kommt's, Mädln!

SABINE. Wir verbieten uns aber alle ferneren Besuche.

MADAME STORCH UND DIE MÄDCHEN im Abgehen. Schaut's den impertinenten Menschen an! Durch das Gittertor ab.


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 406-409.
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