Zehnter Auftritt

[281] Vorige. Monsieur Marquis.


MARQUIS zur Mitte eintretend. Schönste Constanze –

TITUS für sich. Das ist der erlauchte Peruckenspender, wenn der nur nicht plauscht. Zieht sich seitwärts.

MARQUIS. Beinahe wäre mir nicht mehr das Glück zuteil geworden, diese reizende Hand an meine Lippen zu drücken.


Küßt ihr die Hand.


TITUS für sich, erstaunt. Diese Herablassung – Ein Marquis und küßt ihr die Hand, einer antichambrischen Person, – das ist viel.

CONSTANTIA. Es ist schon so spät, daß ich glaubte, Sie würden heute gar nicht kommen.

MARQUIS. Sie können denken, daß nur ein außerordentlicher Zufall – was ist das? Bemerkt Titus, welcher ein, auf einen Stuhl liegendes, Tuch ergreift und emsig die Möbel abstaubt. Ein neuer Jäger aufgenommen?

CONSTANTIA. Seit heute; ein Mensch, der viele Anlagen besitzt.

MARQUIS. Wie können Sie die Anlagen eines Jägers beurteilen? Hat er was getroffen?

CONSTANTIA. Sie sehen, daß er sehr fleißig ist und sich zu allem gebrauchen läßt.

MARQUIS sich bemühend, Titus im Gesicht zu sehen, welcher es aber durch komische Emsigkeit vermeidet. Ja, ja, das seh' ich.

TITUS für sich. Mein G'sicht zeig' ich ihm um kein'n Preis.

CONSTANTIA. Sie vergessen aber ganz, mir den Vorfall zu erzählen.

MARQUIS öfter nach Titus hinübersehend. Es war mehr ein Unfall, der mit einem genickbrechenden Wasserfall geendet hätte, wenn nicht der Zufall einen Menschen, gerade in dem Augenblicke, wo das abscheuliche Tier, mein feuriger Fuchs –

TITUS erschreckend. Jetzt hab' ich glaubt, er nennt mich beim Nam'n.

CONSTANTIA. Fuchs? Ich glaubte, Sie haben noch den häßlichen Rotschimmel?[281]

TITUS für sich. Wieder ein heimliches Kompliment.

MARQUIS. Ich habe ihn umgetauscht, weil sein Anblick Ihnen so zuwider war. Dieser Mensch also – Titus scharf fixierend. mein Retter – Titus umdrehend. ich irre mich nicht, – der ist's!

TITUS sich tief verneigend. Ich bitt', – Euer Gnad'n – Herr Marquis nehmen mich für einen andern – Will zur Mitte ab.

MARQUIS ihn zurückhaltend. Wozu das Leugnen, edler Mann, Sie sind's, die Gestalt, die Stimme, die Farbe der Haare –

TITUS für sich in ängstlicher Verlegenheit. Uie! jetzt kommt er schon über d' Haar.

CONSTANTIA. Gewiß, wer diese Haare einmal gesehen, der wird sie nicht vergessen; wirklich bewundernswert sind diese Locken.

MARQUIS sich geschmeichelt fühlend. Oh, ich bitte, zu gütig!

TITUS zu Constantia. Der Herr Marquis bedankt sich, anstatt meiner, für das Kompliment, meiner Bescheidenheit bleibt also nichts mehr übrig –

CONSTANTIA zum Marquis. Sie verstehen das: ist Ihnen je so ein Glanz, so eine Krause – Zeigt nach dem Kopfe des Titus, als ob sie ihm mit der Hand durch die Locken fahren wollte.

TITUS zurückprallend. Oh, nur nicht anrühren, ich bin da so heiklich –

MARQUIS halbleise, pikiert zu Constantia. Sie scheinen übrigens besonderes Interesse an dem Domestiken zu nehmen.

CONSTANTIA etwas verlegen. Ich? – hm, – es ist eine Art von Kameradschaft, die –

MARQUIS wie oben. Die meines Erachtens zwischen dem Jäger und der Kammerfrau nicht existiert.

CONSTANTIA halbleise zum Marquis. Monsieur Marquis, ich danke für die Aufklärung; was schicklich ist oder nicht, weiß ich schon selbst zu beurteilen.

MARQUIS für sich. Ich habe sie beleidigt. Zu Constantia in einem sanften Ton. Verzeihen Sie, schönste Constanze, ich wollte nur –

CONSTANTIA. Sie wollen die blonde à l'enfant-Perücke der gnädigen Frau frisieren; im Kabinett dort Nach rechts zeigend.[282] im kleinen Wandschrank werden Sie sie finden; gehen Sie an Ihr Geschäft.

TITUS erstaunt. Was ist das? Das is ja ein Friseur. – Zum Marquis. Ich hab' geglaubt, Sie sind ein Marquis, eine Mischung von Baron, Herzog und Großer des Reichs?

MARQUIS. Ich heiße nur Marquis und bin Perruquier.

TITUS. Ja, das ist ein anderes Korn. Jetzt füllt sich die Kluft des Respekts mit Friseurkasteln aus, und wir können ungeniert Freundschaft schließen miteinand.


Reicht ihm die Hand.


MARQUIS ihm ebenfalls die Hand reichend. Ich bin Ihnen Dank schuldig; Leise. aber auch Sie mir, und es wird sehr gut für Sie sein, wenn wir Freunde bleiben.

TITUS. Auf Leben und Tod!

CONSTANTIA für sich. Monsieur Titus soll von meinem Verhältnis zum Marquis noch nichts erfahren, und des Friseurs eifersüchtiges Benehmen könnte leicht – das beste ist, ich entferne mich. Laut. Meine Herren, wichtige Geschäfte, – ich lasse die beiden Freunde allein.


Geht zur Mitte ab.


TITUS ihr nachrufend. Adieu, reizende Kammeralistin.


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 281-283.
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