Siebenzehnter Auftritt

[287] Vorige, ohne Emma.


TITUS für sich. Ich stehe jetzt einer Schriftstellerin gegenüber, da tun's die Alletagsworte nicht, da heißt's, jeder Red' ein Feiertagsg'wand'l anziehn.

FRAU VON CYPRESSENBURG. Also jetzt zu Ihm, mein Freund.[287]

TITUS sich tief verbeugend. Das ist der Augenblick, den ich im gleichen Grade gewünscht und gefürchtet habe, dem ich, so zu sagen, mit zaghafter Kühnheit, mit mutvollem Zittern entgegengesehen.

FRAU VON CYPRESSENBURG. Er hat keine Ursache, sich zu fürchten, Er hat eine gute Tournür, eine agreable Fasson, und wenn Er sich gut anläßt – Wo hat Er denn früher gedient?

TITUS. Nirgends; es ist die erste Blüte meiner Jägerschaft, die ich zu Ihren Füßen niederlege, und die Livree, die ich jetzt bewohne, umschließt eine zwar dienstergebene, aber bis jetzt noch ungediente Individualität.

FRAU VON CYPRESSENBURG. Ist Sein Vater auch Jäger?

TITUS. Nein, er betreibt ein stilles, abgeschiedenes Geschäft, bei dem die Ruhe das einzige Geschäft ist; er liegt von höherer Macht gefesselt, und doch ist er frei und unabhängig, denn er ist Verweser seiner selbst; – er ist tot.

FRAU VON CYPRESSENBURG für sich. Wie verschwenderisch er mit zwanzig erhabenen Worten das sagt, was man mit einer Silbe sagen kann. Der Mensch hat offenbare Anlagen zum Literaten. Laut. Wer war also Sein Vater?

TITUS. Er war schülerischer Meister; Bücher, Rechentafel, und Patzenferl waren die Elemente seines Daseins.

FRAU VON CYPRESSENBURG. Und welche literarische Bildung hat er Ihm gegeben?

TITUS. Eine Art Mille fleurs-Bildung; ich besitze einen Anflug von Geographie, einen Schimmer von Geschichte, eine Ahndung von Philosophie, einen Schein von Jurisprudenz, einen Anstrich von Chirurgie und einen Vorgeschmack von Medizin.

FRAU VON CYPRESSENBURG. Charmant! Er hat sehr viel, aber nichts gründlich gelernt, darin besteht die Genialität.

TITUS für sich. Das is's erste, was ich hör', jetzt kann ich mir's erklären, warum's so viele Genies gibt.

FRAU VON CYPRESSENBURG. Seine blonden Locken schon zeigen ein apollverwandtes Gemüt. War Sein Vater, oder Seine Mutter blond?[288]

TITUS. Keins von alle zwei; es is ein reiner Zufall, daß ich blond bin.

FRAU VON CYPRESSENBURG. Je mehr ich Ihn betrachte, je länger ich Ihn sprechen höre, desto mehr überzeuge ich mich, daß Er nicht für die Livree paßt. Er kann durchaus mein Domestik nicht sein.

TITUS. Also verstoßen, verschmettert, vermalmt?

FRAU VON CYPRESSENBURG. Keineswegs, ich bin Schriftstellerin und brauche einen Menschen, der mir nicht als gewöhnlicher Kopist, mehr als Sekretär bei meinem intellektuellen Wirken zur Seite steht, und dazu ernenn' ich Sie.

TITUS freudig überrascht. Mich? – Glauben Euer Gnaden, daß ich imstand' bin, einen intellektuellen Zuseitensteher abzugeben?

FRAU VON CYPRESSENBURG. Zweifelsohne, und es ist mir sehr lieb, daß die Stelle vakant ist; ich habe einen weggeschickt, den man mir rekommandierte, einen Menschen von Gelehrsamkeit und Bildung, aber er hatte rote Haare, und das ist ein horreur für mich; dem hab' ich gleich gesagt: »Nein, nein, mein Freund, 's ist nichts. Adieu!« Ich war froh, wie er fort war.

TITUS für sich. Da darf ich mich schön in Obacht nehmen, sonst endet meine Karriere mit einem Flug bei der Tür hinaus.

FRAU VON CYPRESSENBURG. Legen Sie nur gleich die Livree ab; ich erwarte in einer Stunde Gesellschaft, der ich Sie als meinen neuen Sekretär vorstellen will.

TITUS. Euer Gnaden, wenn ich auch den Jäger ablege, mein anderer Anzug is ebenfalls Livree, nämlich Livree der Armut: ein g'flickter Rock mit z'rissene Aufschläg'.

FRAU VON CYPRESSENBURG. Da ist leicht abgeholfen. Gehen Sie da hinein, Nach rechts deutend. dann durchs Billardzimmer in das Eckkabinett, da finden Sie die Garderobe meines verewigten Gemahls; er hatte ganz Ihren Wuchs. Wählen Sie nach Belieben und kommen Sie sogleich wieder hierher.

TITUS für sich. Wieder der Anzug von ein'm Seligen. Sich verbeugend.[289] Ich eile. Für sich im Abgehen. Ich bring' heut' ein'n ganzen seligen Tandelmarkt auf den Leib. Rechts in die Seitentür ab.


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 287-290.
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