Achte Szene


[555] Peter, Klara, Thomas; die Vorigen; dann ein Kellner.


THOMAS mit Peter und Klara von rechts aus dem Vordergrunde. Aber wie's da voll is! Die ganze schöne Welt –

KLARA entzückt, ohne auf die Leute zu sehen. Der Himmel so blau und die Erde so grün.

PETER. Und doch habens' Blau und Grün zur Narrenfarb' gemacht, das kecke Menschengeschlecht!

THOMAS zu den Anwesenden. Gehorsamer Diener allerseits! –

PETER die Anwesenden grüßend. Servus!

KLOPF zu Peter. Guten Tag!

PETER ohne zu bemerken, daß nur Klopf seinen Gruß erwidert. Da is noch ein leerer Tisch, da kann man völlig von Glück reden.

THOMAS gutmütig schmollend, zu Klara. Aber Mamsell Klara, Sie schauen immer, was fliegt, aber unserein' schauen S' gar nicht an!

KLARA. Sein S' nicht bös –

PETER. Sie is halt überrascht, wie schön der blaue Musterstreif Himmel, der in unser Gassel eingezwickt ist, sich im ganzen Stuck ausnimmt. Sie setzen sich an den Tisch links vorne.

FRAU KÜBLERIN zu Kübler, Flachs und Frau Flachsin. Ich begreif' nicht, wie solche Leut' noch wo hingehen können.

KÜBLER. Frechheit, reine Frechheit!

PETER zu Klara. Wenn dir das Heraußtsitzen nur nicht schad't, Klara! Die Septemberluft –[555]

KLARA. Will ich eben genießen.

THOMAS. Und dauert eh' nur bis ersten Oktober.

FRAU FLACHSIN zu Flachs, Kübler und Frau Küblerin. Setzen wir uns da hinauf! Nach dem erhöhten Tanzplatz zeigend.

FLACHS, KÜBLER UND FRAU KÜBLERIN. Ja, das tun wir. Stehen auf.

KÜBLER zu den am nächsten Tische Sitzenden. Kommen Sie mit uns, das Auf Peter, Klara und Thomas zeigend. ist keine Gesellschaft. Gehen nach dem erhöhten Platze.

THOMAS. Kellner!

KELLNER aus dem Hintergrunde zu Thomas. Sie schaffen?

FRAU SCHMALZERIN zu Schmalzer. Unser Tisch wär' gar schön in der Nachbarschaft! Komm! – Steht auf und geht mit Schmalzer nach dem erhöhten Platze.

KELLNER zu Thomas und Peter. Sehr wohl. Entfernt sich.

PETER zu Klara. Weil's dir gar so g'fallt, so wollen wir da deinen Ehrentag feiern.

KLARA freudig. Wirklich?

PETER. Da dein Josef ohne Loskaufung militärfrei geworden is, dürfen wir schon anderseits etwas weniger ökonomisch sein.

FRAU KLOPFIN zu Klopf. Du hast recht! Im Hintergrunde hört man die Instrumente stimmen.

KLOPF. Es tut einem weh – gehn wir! Geht mit Frau Klopfin und Netti nach dem erhöhten Tanzplatz, die am nächsten Tische Sitzenden folgen ihnen.

THOMAS dies bemerkend. Regnet's denn, daß alles geht?

KLARA. Wir sitzen auf einmal ganz allein.

PETER. Hörst denn nicht? Die Musikanten stimmen, das zieht alles hinauf.


Kellner kommt mit Gläsern und Wein, Thomas und Peter schaffen während der nächstfolgenden Reden an.[556]


NETTI kommt vom Tanzplatze zurück und geht zu dem Tische, wo sie früher gesessen. D' Frau Mutter muß doch immer was vergessen. Nimmt einen Beutel vom Stuhl und will wieder zurückeilen.

KLARA. Grüß' dich Gott, Netti! Nimmt sie bei der Hand.

NETTI sich losreißend. Laß mich gehn! Läuft nach dem Tanzplatze.

KLARA befremdet, für sich. Warum is denn die so unfreundlich? Ich hab' ihr doch nix getan.

SPRING mit Susi von Seite rechts herbeieilend. Meine Tänzerin sind Sie, reizende Susette, und kein anderer soll –

BIEGEL UND LEICHT nacheilend, zu Spring. Du hast es mit uns zu tun.

KLARA freundlich. Susi!

SUSI zurückweichend. Geh, die Mutter hat mir's verboten!

KLARA. Was?

SUSI. Ich darf nit reden mit dir, ich könnt' verdorben werden. Geht mit Spring nach dem Tanzplatz, Biegel und Leicht folgen.

KLARA äußerst befremdet. Was? – Ich kann unmöglich recht verstanden haben. – Sie will einen Spaß machen, aber – Musik im Hintergrunde spielt einen Walzer.

KELLNER zu Thomas und Peter. Sehr wohl. Entfernt sich nach dem Hintergrunde.

THOMAS. Mamsell Klara, verschmähen Sie mich als Kirchtagsupplenten meines Sohnes?

KLARA. O nein!

THOMAS. Wenn Sie den Willen fürs Werk nehmen, werden Sie an mir recht ein' guten Tänzer finden.


Thomas, Klara, Peter gehen auf den erhöhten Tanzplatz. Thomas beginnt mit Klara zu tanzen,

allsogleich hören die andern Paare zu tanzen auf; Thomas und Klara tanzen jedoch fort, ohne es zu bemerken. Frau Schmalzerin geht mit Schmalzer, Klopf, Frau Klopfin, Netti und noch einigen Personen vom Tanzplatze herab.[557]


SCHMALZER. Solchen Leuten muß man's fühlen lassen.

KLOPF zu den Seinigen. Die Netti soll ihr Tuch nehmen, wir gehen nach Haus.

FRAU KÜBLERIN mit Kübler, Flachs, Frau Flachsin, Susi, Spring, Biegel, Leicht und noch einigen Personen vom Tanzplatz herabkommend, zu Susi. Mich g'freut's nur, daß du s' so ab'trumpft hast, die Person.

KÜBLER. Wenn sie's jetzt noch nicht merken, müssen s' Tippelbäum' im Kopf haben.

PETER noch oben auf dem Tanzplatz, staunend und aufgebracht, für sich. Was soll denn das bedeuten? Zu Thomas und Klara. Hörts auf! Ihr tanzts ja ganz allein?!

THOMAS UND KLARA zu tanzen aufhörend. Was is denn g'schehn?

PETER. Das werden wir gleich hören. Zum Tanzorchester. Still, Musikanten! Zu dem Tanz spiel' ich mir selber auf! Die Tanzmusik schweigt, zu Thomas und Klara. Kommts! Nimmt beide bei der Hand und führt sie vom Tanzboden herab in den Vordergrund.

KÜBLER zu den Seinigen. Für mich is so was ein Genuß!

PETER zu allen Anwesenden. Jetzt bitt' ich mir Red' und Antwort aus! Das Aufstehn früher, wie wir uns niederg'setzt haben, das Aufhören jetzt, wie meine Schwester mit ihrem künftigen Schwiegervater zu tanzen hat ang'fangt – war das zufällig oder is es auf uns gemünzt?

MEHRERE ANWESENDE. Ja, wie man's nimmt – jetzt, das heißt – Ziehen sich zurück.

FLACHS. Es kann eigentlich jeder tun, was er will.

PETER ihm drohend. Das wär' ein Unglück für 'n Herrn, wenn ich jetzt seiner Meinung wär'!

KÜBLER spitzig zu Peter. Ohne Ursach' is wohl nix auf der Welt.

SCHMALZER. Die Nachbarschaft hat Augen im Kopf.

KÜBLER. Und dann hat jede Nachbarschaft wieder eine Nachbarschaft, die auch nicht blind is.[558]

FLACHS. Und 's Reden laßt sich schon gar keine Nachbarschaft verbieten.

FRAU KÜBLERIN, FRAU FLACHSIN, FRAU SCHMALZERIN. Das ging' uns ab!

PETER. Oh, jetzt is G'legenheit, jetzt muß g'red't werd'n, und zwar ins G'sicht, das is ganz was Neues für euch, die ihr nur g'wohnt seids, hinter'm Rücken zu reden. Heraus mit der Sprach'!

KLOPF. Herr Span – ich bin überzeugt, daß der Herr Span keinen Teil hat an der gegebenen Ärgernis –

PETER frappiert. Ärgernis –?!

SPRING zu Peter. Wenn Sie Fasson hätten, würden Sie uns nähere Erklärungen ersparen und mit den Ihrigen das Weite suchen.

PETER Spring mit Geringschätzung messend. Lauf auf d' Herberg', Jüngling, und hol' dir elf Kameraden, über ein' Schneider geh' ich nicht!

KLOPF zu Peter. Es is traurig, wenn ein rechtschaffener Bruder so eine Schwester hat. –

PETER. Was –?!

THOMAS. Mein' Sohn seine Klara!?

PETER mit Entrüstung. Wer kann gegen das Mädel, gegen das Muster von Eingezogenheit und Sitten –

KÜBLER. Hier is nicht die Red' von die Sitten, die sie hat, sondern von die Visiten, die sie kriegt.

FLACHS. Alle Abende eine andere.

KÜBLER. Gestern Abend gar a noble, während Bruder und Schwiegervater im Wirtshaus waren.

PETER wütend zu Kübler. Mensch, das war dein letztes Wort, nicht einmal zum Widerruf sollst du mehr ein' Atem kriegen. Will ihn packen.

KLOPF Peter zurückhaltend. Halt – er hat leider nicht gelogen.

PETER entrüstet zu Klopf. Herr Klopf, Ihnen erwürg' ich mit schwerem Herzen – wann's aber sein muß –

KLOPF. Ruhig, Freund – ohne Beweis, ohne Gewißheit traueten wir uns keiner, so was zu sagen.[559]

PETER seiner Sinne kaum mächtig. Beweis? Gewißheit? Leut', ihr müßt seit gestern trinken, euer Rausch ist zu enorm für einen Tag, selbst wenn's ein Kirchtag is. – Zu Klara sich wendend. Klara! jetzt is es an dir. Ich hab' nur Fäust' für solche Menschen, du wirst Worte haben für sie. Ich kann nur ihre Leiber blau färben, und das sehr fleckig, du aber kannst ihre ganzen Seelen blutrot machen vor Schand', wenn du ihnen sagst, wie namenlos sie sich an dir versündigt hab'n. Red'!

THOMAS. Ja, Klara, reden S'!


Klara, die bisher, vor Staunen halb besinnungslos, die Anwesenden anstarrte, bedeckt mit beiden Händen das Gesicht und weint.


FRAU KÜBLERIN nach einer Pause. Sie weint!

FRAU FLACHSIN. Das können wir auch.

MEHRERE FRAUEN. Jawohl!

PETER zu Klara. Red' – so red' doch – es is unmöglich, daß du schuldig bist! Pause.

KÜBLER zu Flachs. Wie g'fallt dem G'vattern die Rechtfertigung?

PETER zu den Anwesenden. Wo sind die Zeugen einer solchen Beschuldigung?

MEHRERE. Die werden wir stellen.

KÜBLER UND EINIGE MÄNNER. O ja, das können wir auch.

PETER sich dringend zu Klara wendend. Klara, ich bitt' dich um alles in der Welt – red'!

THOMAS bittend zu Klara. Sie blamieren durch Ihr Stillschweigen zwei Häuser.

KÜBLER. Wenn sie uns Lugen strafen könnt', tät' sie's schon.

FLACHS zu Thomas. Die Hußbergerin sitzt drin.

SCHMALZER Thomas unter den Arm nehmend. Da kann sich der Herr Thomas am besten überzeugen.

THOMAS mit Staunen und erwachendem Argwohn. Was? – Ah, also – ah?! Wird von Flachs und Schmalzer[560] über den erhöhten Tanzplatz nach der Wirtsstube geführt.

PETER heftig zu Klara. Red', du unglückseliges Geschöpf! Klara ringt die Hände, will sprechen, aber das Schluchzen raubt ihr die Stimme, sie bricht noch heftiger in Tränen aus und schweigt, ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckend.

FRAU KÜBLERIN zu Kübler, indem sie höhnisch auf Klara zeigt. Verstehst du die Sprach'?

KÜBLER. Nein.

FRAU SCHMALZERIN. Sie weiß halt nix.

FRAU KÜBLERIN. Welche von uns is denn still, wenn sie was weiß?

KÜBLER. Recht hat s', die Meinige. Gehn wir jetzt wieder zu unserer Unterhaltung und melieren wir uns nicht weiter.

ALLE außer Peter, Klara und Klopf. Freilich, was geht's uns weiter an?! Gehen alle, außer Peter und Klara, auf den Tanzplatz ab.


Quelle:
Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Ausgabe in sechs Bänden, Band 4, Wien 1962, S. 555-561.
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