Sechster Auftritt

[19] Zwirn. Leim. Knieriem. Pantsch. Kellnerinnen.


LEIM. Dem sähet man's auch nicht an, daß er tausend Taler gewonnen hat.

KNIERIEM. Warum? er schaut dumm genug aus.

ZWIRN zum Wirt. Wer ist er denn?

PANTSCH. Der Oberknecht in der Bräuerei da darneben.[19]

ZWIRN. Da haben wir's, so ungebildetes Volk hat ein Glück. Ein Schneider gewinnt in seinem Leben nichts.

PANTSCH. Ich bin ihm drum gar nicht neidig, ich dank' Gott, daß ich die tausend Taler nicht g'wonnen hab'.

LEIM. Ist der Herr verruckt?

PANTSCH. Könnt's nit sagen. Morgen vormittag ist die Hauptziehung, da gewinnt man hunderttausend Taler, und das wär' so meine Passion.

LEIM. Na, die Passion wär' freilich nicht schlecht.

PANTSCH. Ich g'winn s' auch; denn meiner Frau Ahnl hat ja's Nummero traumt.

LEIM. Ah, nachher ist's schon g'wiß. – Weil aber der Herr heut noch kein Kapitalist ist, so macht's uns ein Stroh herein, daß wir uns niederlegen; es wird so bald Tag.

PANTSCH. Recht gern. O mich macht's Glück nicht stolz. Zu den Kellnerinnen. He! laßt's Stroh bringen.


Ab mit Hannerl und Sepherl.


LEIM. Das ist ein recht ein rarer Mann der Wirt, er ist gar nicht stolz auf den Treffer, der noch gar nicht gezogen ist.

KNIERIEM. Hunderttausend Taler! das gibt über eine Million Maß G'mischt's – die kann der Mensch nicht versaufen, mit'n besten Willen nicht. –

ZWIRN. Schuster, du bist ein gemeiner Kerl.

KNIERIEM auffahrend. Du, Schneider, trau mir nicht!

LEIM sie beruhigend. Seid's ruhig – schamt's euch. – Schaut's, wenn ich mir's recht überleg', glücklich – so was man sagt, recht glücklich, machet mich halt doch das viele Geld nicht, wenn nicht noch etwas dabei wär' – Seufzend. ein Etwas –

KNIERIEM. Da bist du ein Nimmersatt.

ZWIRN zu Knieriem. Aber merkst denn nicht, er ist ja verliebt.

KNIERIEM. Schwachheit.

ZWIRN. Ja wohl Schwachheit, in meiner Gegenwart von Madeln und Verliebtsein sprechen. Da müßt's mich erzählen lassen, ich könnt' euch meine Amouren bataillonweis aufmarschieren lassen.

LEIM. Ich war nur in ein einzige verliebt.[20]

ZWIRN. In eine einzige? Brüderl, das ist ja gar nicht der Müh' wert, daß man davon redt. Wie ich in der Lehr war, war ich schon in zehne verliebt. Mein erster Meister, zu dem ich als G'sell kommen bin, hat ein schön's jung's Weiberl g'habt, das Weiberl hat mir g'fallen, und ich ihr auch, denn ich war damals ein sehr ein liebenswürdiger Jüngling. – Einmal gibt mir das Weiberl ein Bussel, da kommt der Meister dazu, und der Esel halt sich drüber auf, daß mir sein Weib ein Bussel geb'n hat, und jagt mich auf der Stell davon. – Mein zweiter Meister hat fünf Töchter g'habt – das waren Zwilling – da war ich dir aber in alle fünfe zugleich verliebt. – Einmal haben wir Pfänder g'spielt – no du weißt, das geht auch mit'n Busselgeben aus –

KNIERIEM. Allemal.

ZWIRN. Wie wir die Pfänder ausg'löst haben, kommt der Meister dazu – der geht her, gibt mir für eine jede Tochter zwei Watschen, und jagt mich fort.

KNIERIEM. Zwei Watschen? Das ist zu viel.

ZWIRN. Nicht wahr? Ich wär' ja hinlänglich zufrieden gewesen, wenn er mir für eine jede Tochter eine Watschen gegeben hätte, aber zwei Watschen, das ist ja ein offenbarer Luxus. – Mein dritter Meister, der hat ein G'schwisterkind g'habt von 21 Jahren – aber hörst, Schuster, so ein schönes G'schwisterkind hab' ich in meinem ganzen Leben nit g'sehn. Da hab' ich aber hernach eine saubere Köchin kenneng'lernt, mit der bin ich durchgangen, und's G'schwisterkind hab' ich sitzenlassen.

KNIERIEM. Meine G'schicht ist nicht so lang, aber äußerst tragisch. Erstens ist mir meine Profession z'wider, ich hab' nur Sinn für die Astronomie – und dann hab' ich nichts als unverschuldete Unglücksfälle g'habt. – In Budweis hab' ich mein Meister g'haut.

LEIM. Warum denn?

KNIERIEM. Weil ich ein Rausch g'habt hab', also kann ich nix davor. In Altbrünn hätt' ich bald ein Lehrbuben zerrissen.[21]

LEIM. So was ist aber auch abscheulich.

ZWIRN. Aber was soll denn ein zerrissener Lehrbub anfangen? Und gar ein Schusterlehrbub – kann es denn etwas Zarteres geben als einen Schusterbuben?

KNIERIEM. Ich hab' damals einen unsinnigen Haarbeutel g'habt, also kann ich nix davor. Ich sag' euch, ich hab' schon so viel Malheur g'habt, und allzeit durch meine Räusch. Wann ich mir meinen Verdruß nit versaufet, ich müßt' mich grad aus Verzweiflung dem Trunk ergeben.


Zwei Hausknechte kommen mit Stroh, und bereiten die Schlafstellen.


LEIM. Sie, machen S' mir mein Bett etwas in Entfernung von den andern, denn ich schlag' furchtbar herum bei der Nacht.

ZWIRN. Warum denn?

LEIM. Das ist alles mein Herzenskummer. Ihr werdet mir's nicht glauben – ich seh' einem lustigen Kerl gleich, aber das is alles nur auswendig, inwendig schaut's famos aus bei mir. Wie ich trink', glaub' ich, ein jeder Tropfen ist Gift – wie ich iß, so ißt der Tod mit mir – wenn ich spring' und tanz', so ist mir inwendig, als wenn ich mit meiner Leich ging' – wie ich ein Kameraden seh', der nix hat, so gib ich ihm gleich alles, obwohl ich selbst nix hab', und das bloß, weil ich in Gedanken alleweil mein Testament mach'.

ZWIRN. Ja, Brüderl, wer ist denn deine Geliebte, daß sie dich gar so enderisch macht?

LEIM. Sie ist eine Tischlermeisterische.

KNIERIEM. Hat s' Laschi?

LEIM. Was? –

KNIERIEM. Knöpf.

LEIM. Wie? –

ZWIRN. Nein, nein – er fragt, ob sie Batzen hat.

LEIM. Geld? – Freilich hat s' Geld. Sie ist die Tochter vom reichen Meister Hobelmann in Wien.

ZWIRN. Von dem? – Schuster, den reichen Tischlermeister Hobelmann mußt ja kennen.[22]

KNIERIEM. Ich bin ein Schuster, was geht mich ein Tischler an. Beleidigt's mich nicht!

ZWIRN. Wart, ich werd' dir gleich draufhelfen. Der reiche Tischler Hobelmann logiert in – – in Wien logiert er. – Du kennst den reichen Tischler Hobelmann nicht?

KNIERIEM. Nein.

ZWIRN. Ich kenn' ihn auch nicht.

KNIERIEM zu Leim. Da weiß ich dir ein Rat, schau daß du s' kriegst.

LEIM. Das hätt' ich selber g'wußt; aber da ist's zu mit'n Kriegen, ich glaub' es hat s' schon ein anderer.

KNIERIEM. So nimm du dir auch eine andere.

LEIM. Das bring' ich nicht übers Herz. O meine Peppi!

ZWIRN. Ja, mag sie dich, oder mag sie dich nicht?

LEIM. Das ist's eben was ich nicht weiß. Ich hab' drei Jahr bei ihrem Vater gearbeitet –

ZWIRN. Und weißt nicht, ob dich's Madel mag? – Tischler, du hast ja Hobelschaten im Kopf?

LEIM. Der Vater ist reich, er lebt in Pracht und Herrlichkeit, er war zwar selbst immer beim Geschäft, aber die Tochter haben wir Gesellen kaum alle Monat einmal zu sehen kriegt. Einmal bringt meine himmlische Peppi ihrem Vater eine Schale Kaffee in die Werkstatt – ich schau' sie zärtlich an, sie laßt ihre Blicke auf mich, und die Schalen auf die Erd' fallen – der Vater, der gähzornigste Patron von der Welt, wirft's Stemmeisen auf sie – ich erseh' das, halt' mich vor, und das Stemmeisen fahrt mir zolltief in die Achsel hinein.

ZWIRN. Ah Spektakel!


Setzt sich aufs Stroh.


KNIERIEM. Hast'n nit g'haut den Alten? – Wann mir das g'schehn wär'!

LEIM. Warum nicht gar! Ich bin umg'fallen, und wie ich wieder zu mir kommen bin, war der Alte und die Peppi bei meinem Bett. Der Alte hat g'sagt, ich möcht' das nicht übelnehmen, es war nicht so bös gemeint.

KNIERIEM. Bedank' mich.

LEIM. Es wird Sein Schaden nicht sein, hat er g'sagt, Er hat[23] meiner Tochter das Leben gerettet; bis Er wieder gesund ist, wollen wir weiterreden über Sein künftiges Glück. Mittlerweile hat Zwirn sich mit einem zerrissenen Tüchel den Kopf eingebunden, sich auf das Stroh gelegt. Ein paar Wochen darauf, wie ich schon wiederhergestellt war, hör' ich auf einmal, der dicke reiche Strudl, der Wirt vom goldenen Nockerl, heirat – ich frag' wem? so heißt's: die Hobelmannische. – Das hat mir den Gnadenstoß geben; denn der Meister Hobelmann hat keine andere Tochter g'habt, als meine Peppi.

KNIERIEM. Na, da wirst aber doch aus Verzweiflung g'red't hab'n?

LEIM. Nein – es war grad Samstag, der Meister hat uns auszahlt – da bin ich den andern Tag in der Fruh aufg'standen, hab' auf ein Zettel g'schrieben: »Adieu Peppi, aus Bosheit heirat' ich jetzt auch« – und dann bin ich fort über Berg und Tal, ohne B'hüt' dich Gott und ohne allem; und so flankier' ich jetzt schon über zwei Jahr in der Welt herum.

KNIERIEM. Ich hätt' den Alten und den Wirt g'haut, und's Mädel hätt' ich g'heirat.

LEIM legt sich nieder. Mit mir ist's aus, ich hab' nichts mehr zu hoffen. Ich lauf' halt so mit, solang's sein muß.

KNIERIEM. Und ich sauf' halt so mit, solang's geht. Zieht den Rock aus. Ich hätt' jetzt ein Gusto zu astronomischen Beobachtungen; denn mich hat's G'mischte ein wenig duslich g'macht. Gähnt.

LEIM. Ich hab' schon seit ein paar Jahren kein Schlaf mehr. Gähnt.


Knieriem löscht das Licht aus und legt sich nieder.


ZWIRN. Werdt's nit bald still sein?


Schläft ein.


LEIM einschlafend. Peppi – Pep-pi –

KNIERIEM ebenso. Noch – ein – G'mischtes – denn der Komet –


Leise Musik beginnt. Wolken senken sich über den Hintergrund. Nach einer Weile teilen sich die Wolken, Fortuna wird sichtbar mit einem Füllhorn, daraus kommt die transparente Zahl 7359. – Der Schlaf der drei Gesellen wird unruhig. Die Wolken erheben sich wieder.[24]


LEIM sich nach und nach ermunternd. Ah – ah – Gähnt. Das war ein kurioser Traum – 7359. – Wenn ich's nur nicht vergiß. – Ah, ich merk' mir's schon bis morgen. Will wieder schlafen. Es laßt mir keine Ruh', ich muß – He, Schneider! Schneider! – Der schlaft fest. – Landsmann!

ZWIRN sich ermunternd. Was ist's denn?

LEIM. Hast keine Kreiden?

ZWIRN. Ich glaub' nit. – Zu was denn?

LEIM. Mir hat ein Numero traumt.

ZWIRN ihm eine Kreide gebend. Ein Numero hat dir traumt?

LEIM. Ja. Nr. 7359.

ZWIRN. Und mir hat auch ein Numero traumt – es war Nr. 7359.

LEIM. Was? das nämliche Numero? – Bruder, das hat was zu bedeuten. Nur g'schwind aufg'schrieben. Schreibt das Numero auf den Tisch.


Es wird von außen stark geklopft.


STIMMEN von außen. Heda! Aufg'macht! Aufg'macht!


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 19-25.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der böse Geist Lumpazivagabundus
Der böse Geist Lumpazivagabundus: Oder Das liederliche Kleeblatt

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Clementine

Clementine

In ihrem ersten Roman ergreift die Autorin das Wort für die jüdische Emanzipation und setzt sich mit dem Thema arrangierter Vernunftehen auseinander. Eine damals weit verbreitete Praxis, der Fanny Lewald selber nur knapp entgehen konnte.

82 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon