Dreizehnter Auftritt

[454] Vorige ohne Damian später Schlucker.


Die Vorigen.


EMILIE. Ich bin fertig.

FANNY. Geben Sie nur geschwind!


Sie bindet den Brief an das Ende der Schnur und läßt ihn übers Fenster.


Die hölzerne Wanduhr schlägt Eins.


ADOLF. Schon ist es ein Uhr vorbei. Fanny versprach mir an einer Schnur – Sieht gegen das Fenster. Ha, was seh' ich? Darf ich meinen Augen trauen –? Eilt hin.


Schlucker tritt ein, einen großen Laib Brot unterm Arm tragend.


ADOLF. Da ist der heißersehnte Brief! Zieht den Brief bei dem Fenster herein und löst ihn ab.

SCHLUCKER Adolf bemerkend, stutzt und sagt leise für sich. Was g'schieht denn da? Schleicht in Adolfs Nähe.

ADOLF jubelnd den Brief emporhaltend. Ich hab' ihn![454]

SCHLUCKER rasch vortretend und Adolf den Brief aus der Hand reißend. Nein, ich hab'n.

ADOLF erschrocken. Ha, mein Vater –!

FANNY freudig zu Emilie. Er hat ihn schon.

EMILIE ängstlich, aber in freudiger Bewegung. Gott, wie mir das Herz schlägt!

SCHLUCKER. Komm' ich endlich hinter deine Schlich'? Liebesbrieferln? G'schichterln? Sacherln? Na, wart'! Legt den Laib Brot auf den Tisch.

ADOLF. Vater, hören Sie mich!

SCHLUCKER mit verhaltenem Ärger. Ich muß erst lesen. Liest. »Mißdeuten Sie es nicht, daß ich zuerst an Sie schreibe. Ich glaube von der Wahrheit und Innigkeit Ihrer Liebe überzeugt zu sein –« Brav sehr brav! Lacht vor Ärger.

EMILIE zu Fanny. Jetzt wird mein Adolf ihn lesen. Setzt sich, in Gedanken versunken, zum Schreibtisch.


Fanny sieht abwechselnd zum Fenster hinaus.


SCHLUCKER weiterlesend. »Kann meine Gegenliebe Sie glücklich machen, so nehmen Sie die Versicherung, daß nur Ihr Bild in meinem Herzen lebt.«[455]

ADOLF entzückt. Wär's möglich? O, ich Überglücklicher!

SCHLUCKER. O du Hauptspitzbub! – Solche Masematten fängst du mir an? Liest weiter. »Erfreuen Sie mich durch einige Zeilen von Ihrer Hand, die Schnur wird so lang am Fenster bleiben, bis Sie die Antwort daran geknüpft, die ich mit Sehnsucht erwarte.«

ADOLF. Liebster Vater! –

SCHLUCKER von einer Idee ergriffen. Halt! Das is das G'scheiteste! Du gehst jetzt mit mir in die Kammer, kommst mir nicht von der Seiten, und ich beantwort' der Fräule anstatt deiner den Brief auf eine Art, daß sie dich für den impertinentesten Flegel halten muß und dich in ihrem Leben nicht mehr anschaut.

ADOLF. Vater, das könnten Sie?!

SCHLUCKER. O ja, ich kann Flegel sein.

ADOLF. Vater, Sie treiben mich zur Verzweiflung.

SCHLUCKER. An der Krankheit ist noch kein Tandlerssohn g'storben. Nur vorwärts!

ADOLF. Ich beschwöre Sie –!

SCHLUCKER. Keine Faxen g'macht ich beantwort' einmal den Brief.


Schiebt Adolf in die Seitentüre rechts und geht nach.


FANNY zu Emilie. Geben Sie acht, wie liebevoll er antworten wird.


Quelle:
Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Ausgabe in sechs Bänden, Band 2, Wien 1962, S. 454-456.
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