Zwölfter Auftritt

[450] Später Adolf und Damian


Vorige ohne Zins.


FANNY. Hu! Dem brennt der Kopf!

EMILIE. Er ist ein vernünftiger Mann; wenn der Zorn vorüber ist, so –

FANNY. Jetzt von was anderm, Fräul'n! Ich lass' Ihnen nicht mehr aus; jetzt müssen Sie dem armen Adolf schreiben. Der gute Mensch ist so melancholisch, so –

EMILIE. Wie kann ich? Er hat ja mir noch nie geschrieben.[450]

FANNY. Er traut sich nicht, und eins muß ja den Anfang machen. Unter uns gesagt: Sie müssen nicht bös sein, Fräulein, aber ich hab' ihn heut' begegnet und da hab' ich ihm versprochen, weil er gar so blaß war, er kriegt heut' Schlag eins einen Brief von Ihnen. Da hat der Mensch eine Freud' g'habt, ah –! Nach der Wanduhr sehend. Aber es ist schon bald ein Uhr –

EMILIE eilig. Geschwinde, Feder, Tinte und Papier!

FANNY öffnet die Lade des kleinen Tischchens und nimmt das Verlangte heraus. Da ist schon alles!


Emilie setzt sich rechts und schreibt. Fanny sieht nach dem Fenster.


Adolf und Damian kommen durch die Mitte links.


DAMIAN benebelt. Ich lass' dich nicht aus, du mußt mir den Brief schreiben.

ADOLF. Vetter, ich hab' jetzt unmöglich Zeit.

DAMIAN. Du bist der Sohn meiner Schwester, du mußt Zeit haben; ich befehl' es als Oheim, verstehst du, als Oheim!

ADOLF nach einer hölzernen Wanduhr sehend, für sich. Bald wird es ein Uhr schlagen, die Stunde, der ich mit banger Ungeduld entgegensehe. – Wenn ich ihn nur fortbrächte![451]

DAMIAN. Du bist eine schwärmerische Seele, liest Romane, red'st hochdeutsch, hast einen guten Stil, du mußt mir den Brief schreiben.

ADOLF. Gut also, aber schnell! – Was hab' ich zu schreiben? Sieht während der folgenden Rede wieder nach der Uhr, öffnet das Fenster und richtet sich dann das Schreibzeug auf einem Tischchen.

DAMIAN. Das Verhältnis ist so: ich habe einen Rachedurst in mir; der Salerl ist einer nachgegangen, und den will ich trischacken. Da muß also ein Brief an ihn geschrieben werden, als wenn die Salerl einen zärtlichen Brief an diesen Nachgeher schreibet, daß wir ihn so zu der beabsichtigten Trischackung hierherlocken.

ADOLF. Aha! Setzt sich.

FANNY hat zum Fenster hinabgesehen. Das Fenster ist offen, er ist schon zu Haus.

EMILIE welche abwechselnd nachdachte und schrieb. Ich bin verlegen, was ich schreiben soll.

FANNY. Das ist nur beim ersten Brief.

DAMIAN. Der Brief muß aber Gefühl haben, sehr viel Gefühl.

ADOLF will schreiben. »Ich wünsche Sie heute abends zu sehen –«

DAMIAN. Nix, das is ja kein Gefühl!

ADOLF. Also anders! Schreibt. »Ich liebe Sie von ganzer Seele, ich bete Sie an –«[452]

DAMIAN. So is's recht. Da wird der alte Windbeutel wini!

ADOLF weiter schreiben wollend. »Kommen Sie also –«

DAMIAN. Das ist schon wieder ohne Gefühl!

ADOLF. Aha! Schreibt wieder. Also: »Wenn Sie meinem leidenden Herzen einen süßen Trost gewähren wollen, so kommen Sie –«

DAMIAN. Nur zu in der Dicken, das is Gefühl!

ADOLF weiterschreibend. » .... heute abend zu mir –« Denkt nach.

EMILIE. Soll ich schreiben, daß ich Antwort erwarte?

FANNY. Das glaub' ich. Schreiben Sie nur: »Die Schnur wird so lange am Fenster bleiben, bis Sie die Antwort daran geknüpft haben.«

EMILIE. Wie versteh' ich das?

FANNY. Schreiben Sie nur – Wispelt ihr leise zu.

ADOLF schreibt. »Das Glück meines Lebens hängt an der Erfüllung dieser Bitte.« Zu Damian. Ohne Unterschrift?

DAMIAN. Ohne Unterschrift! Das is das wahre Gefühl! Jetzt heißt's, den Brief petschieren.

EMILIE. Fanny, gib mir die Oblaten her!


Fanny tut es und befestigt dann einen Spagat am Fenster. [453]


ADOLF. Es ist weder Siegelwachs noch Petschaft da.

DAMIAN. Ich petschiere den Brief halt bei der Kasstecherin drüben. Nimmt den Brief. Wenn der Chevalier den Brief liest, kommt er unausbleiblich, Im Abgeben. und die Trischackung geht vor sich, und das tüchtig – o, nur Gefühl! Ab.


Quelle:
Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Ausgabe in sechs Bänden, Band 2, Wien 1962, S. 450-454.
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