An den Herrn von Tschirnhaus/ über den dreyfachen todes-fall seiner Frauen Gemahlin und zweyer Kinder

[193] Im namen eines andern.


B.N.


So offt ich bey mir selbst die schwere post bedencke/

Die der betrübte Job auff einen tag erhielt;

So offt erstarren mir puls/ adern und gelencke/

Und ich empfinde fast mehr als er selbst gefühlt.

Ein mann/ ein frommer mann/ dem Gott das zeugniß giebet/

Daß er sein lebenlang was schlecht und recht gethan;

Der böses stets gehaßt/ und gutes stets geliebet/

Ward ohne seine schuld der ärmste bettelmann.

Was sag ich bettelmann? Ein vater ohne kinder/

Ein land-herr ohne vieh/ ein hauswirth ohne knecht;

Denn eine stunde nahm ihm söhne/ knecht und rinder/

In einer stunde war lust/ ehr und gut geschwächt.

Und dennoch ließ er sich das wetter nicht erschüttern/

Und stund als wie ein fels/ den keine flucht bewegt/

Als wie ein eichen-baum/ den/ wenn die fichten zittern/

Doch weder wind noch sturm im walde niederschlägt.

Gott/ sprach er/ hat es mir gegeben und genommen/

Des Herren name sey gelobet und gepreist.

O unerschrockner Job! wer ist dir gleich gekommen?

Wer ist/ der so viel hertz bey solchen schmertzen weist?

Du bist es/ o du licht und krone der gelehrten/

Mein Tschirnhaus/ dessen ruhm biß an die wolcken steigt/

Die schläge/ die dem Job die süsse lust verstörten/

Sind heute noch einmahl der welt in dir gezeigt.

Denn einer kommt/ und sagt/ daß deine liebste stirbet/

Ein weib/ das niemahls dich mit willen hat betrübt/

Und auch im grabe noch das theure lob erwirbet/

Daß sie mehr ihren mann/ als ihren schmuck/ geliebt.

Weil dieser annoch spricht/ so kommt die post geflogen/[194]

Es sey auch allbereit um deinen sohn geschehn/

Um deinen liebsten sohn/ den du so aufferzogen/

Daß du dich so in ihm/ wie er in dir/ gesehn.

Ja weil auch dieser noch das wort im munde führet/

So meldt der dritte schon die herbe zeitung an/

Daß dir die todte frau ein todtes kind gebiehret/

Dem weder du noch sie die pflegung reichen kan.

Wen schrecket nicht der blitz von dreyen ungewittern?

Welch schiffer weiß ihm wohl beym dritten sturme rath?

Von dreyen minen muß der größte thurm zersplittern.

Was soll ein mensch nicht thun der fleisch und adern hat?

Wer/ was die liebe sey/ durch lieben selbst erfahren/

Wird wissen/ wie ihr bruch durch marck und hertze bricht;

Denn menschen können sich zwar leicht zusammen paaren/

Das scheiden aber steht in ihren kräfften nicht.

Man liebt ein treues weib offt höher/ als man glaubet/

Und fühlt vor freuden nicht die flamme/ so uns brennt;

Doch wenn der blasse tod uns ihr gesichte raubet/

So sieht man allererst/ daß man die liebe kennt.

Denn will man haus und hoff und alle güter geben/

Man bietet selber sich vor sie zum opffer an/

Und wünscht/ sie möchte nur noch eine stunde leben/

Ob würde die uns thun/ was nicht ein jahr gethan.

Was man um frauen fühlt/ geschiehet auch an kindern/

Auff die man seinen trost und alle hoffnung setzt;

Man siehet lieber sich als ihre zahl vermindern/

Und weinet/ daß man sie nicht aber uns verletzt.

Was aber thut man nicht/ wann uns die kinder sterben/

Bevor sie die geburt zu rechten menschen macht?

Denn alles/ was wir sehn vor seiner zeit verderben/

Ist mehrenteils von uns am meisten groß geacht.

Wir hoffen/ was wir sonst kaum würden hoffen können/

Drum kan auch in der welt kein härter stoß geschehn/

Als wenn die eltern sich von kindern müssen trennen/

Die sie als kinder doch niemahlen angesehn.

Diß ein' ist schon genug uns dreymahl zu begraben;

Wie aber soll sich nicht ein armer vater mühn/

Den alle drey/ mein Herr/ wie dich betroffen haben/[195]

Von dem auff einen tag kind/ sohn und liebste ziehn.

Jedoch dein fester geist trotzt alle qval und schmertzen/

Du küssest mit gedult die ruthe/ die dich schlägt/

Und nimmst den grossen fall zwar wie ein mensch zu hertzen/

Doch nur als einen dorn/ der endlich rosen trägt.

Was hastu anders nun als Hiobs glück zu hoffen?

Ihm brachte Gottes hand den seegen doppelt ein:

So steht dir auch bereits der himmel wieder offen/

Wo deine thränen nur nicht deine mörder seyn.

Quelle:
Herrn von Hoffmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte erster Teil, Tübingen 1961, S. 193-196.
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