Dritter Abschnitt

[42] Indes erscholl die Nachricht von dieser Predigt und von ihren Folgen bald bis in die fürstliche Residenz. Sebaldus hatte im Konsistorium zwei sehr mächtige Feinde. Zuerst den Präsidenten, zugleich ein Ehrenmitglied verschiedener deutschen und lateinischen Gesellschaften. Er fertigte viele sehr fließende deutsche Reime und viele sehr deutliche lateinische Chronodistichen auf alle am fürstlichen Hofe vorfallenden Galatage, auf alle Landplagen, als Heuschrecken, Hagel, feindliche Einfälle, auf alle Promotionen der ihm untergebenen Konrektoren und Landprediger. Wilhelmine, als eine feine Kennerin, glaubte sich dem falschen Geschmack, der in ihrem Vaterländchen beschützt ward, widersetzen zu müssen. Sie sprach daher bei jeder Gelegenheit von den deutschen Versen des Präsidenten überaus verächtlich, und seine lateinische Chronodistichen wußte sie aus dem »Zuschauer« mit einer Reihe Soldaten zu vergleichen, in welcher einige Riesen zwischen einer Anzahl Zwerge ständen. Nun ist es bekannt, daß alle Dichter sehr empfindlich und die schlechten gemeiniglich die empfindlichsten sind. Es läßt sich also leicht erachten, wie der Präsident es für einen unerhörten Eingriff in die Landesverfassung und die gute Subordination halten mußte, daß eine Landpfarrerfrau sich über die Verse eines Mannes wie er öffentlich aufhalten dürfte, und wie er keine Gelegenheit werde verabsäumet haben, seinen Widerwillen wider den guten Geschmack der Frau den Mann empfinden zu lassen. Der zweite Feind des Sebaldus war der Generalsuperintendent Doktor Stauzius, der ehemalige Dorfpfarrer, der unsern Sebaldus mit Wilhelminen getrauet hatte, der wilde Mann, der so gern vom Obersten Menzel und vom lustigen Treffen zu Roßbach sprach. Er[42] hatte kurz nach Sebaldus' Heirat die von diesem verschmähte Ausgeberin des Präsidenten geheiratet und war dadurch Generalsuperintendent geworden. So wie er am Stande zunahm, wuchs auch sein Eifer für die Orthodoxie, und er ließ sich zum Doktor der Theologie machen, um einen doppelten Beruf zu haben, sich der Orthodoxie alles Fleißes anzunehmen. Er erhielt auch im Lande eine solche Einförmigkeit in der Lehre wie ein Hauptmann in einer wohleingerichteten Kompanie Soldaten, wo jeder Rock so lang als der andere, jeder Zopf so dick als der andere, jede Stiefelette so hoch aufgeknüpft ist als die andere und die sich nie nach ihrem eigenen Willen, sondern bloß nach dem Winke ihrer Obern beweget. Jeder Prediger, der nur den geringsten Geruch von Ketzerei an sich spüren ließ, wurde abgeschafft. Dadurch ward das Ländchen so rein gehalten, daß nur der einzige Sebaldus auf der schwarzen Liste stand. Doktor Stauzius hatte mit ihm noch als Dorfpfarrer schon oft über die Ewigkeit der Höllenstrafen gestritten, die er eifrig behauptete, wogegen Sebaldus, wie wir den Leser schon haben merken lassen, davon zwar ganz menschenfreundliche, aber nicht orthodoxe Begriffe hegte. Seitdem nun Doktor Stauzius Generalsuperintendent geworden war, glaubte er die Lehre von der Ewigkeit der Höllenstrafen noch weniger entbehren zu können. Er merkte beim Antritt seines Amtes bald, daß bei den Kammerjunkern und den fürstlichen Räten mit dem florentinischen Wetterglase, woraus er vormals seinen Bauern Wind und Wetter vorhersagte2, nicht viel auszurichten wäre. Er legte sich also, um die Hofleute in kirchlicher Zucht zu halten, auf ein recht derbes Gesetzpredigen. Er malte ihnen den höllischen Schwefelpfuhl[43] recht schrecklich und die Martern der Verdammten recht gräßlich vor, wobei er dann mit einem hohlen klagenden Tone das Wort ewig! ewig! ewig! erschallen ließ. So streng und unerbittlich er aber auf der Kanzel gegen die Sünder losdonnerte, so gefällig und nachgebend bezeigte er sich gegen seine Frau, die er aus so vornehmen Händen empfangen hatte, die ihn daher ganz regierte. Unglücklicherweise für Sebaldus war sie auf denselben und auch auf dessen Frau sehr übel zu sprechen, denn sie konnte es ihm noch nicht vergeben, daß er ihre Hand und mit ihr das einträglichere Amt ausgeschlagen hatte, bloß um eine jüngere und schönere Person zu heiraten. Wenn also Doktor Stauzius über Sebaldus nur ein verdrießliches Wort sagte, so setzte sie noch zwei oder drei hinzu und brachte sowohl ihren jetzigen Mann als ihren gewesenen Herrn wider ihn auf. Es war also kein Wunder, daß Sebaldus sehr oft, auch bei den geringfügigsten Vorfällen, nachdrücklichste Verweise aus dem Konsistorium bekam.

Die gegenwärtige Sache hingegen ward zu wichtig befunden, als daß sie mit einem bloßen schriftlichen Verweise hätte können abgemacht werden. Sebaldus ward nach der fürstlichen Residenz gefordert, um in Person vor dem Konsistorium zu erscheinen. Als er nun vor die Schranken trat, sah ihn der Präsident von oben bis unten an, seufzte, machte die Augen zu, hob das Angesicht gen Himmel und hielt ihm in einem feinen, etwas heisern und langgezogenen Tone seinen Unfug vor, daß er von etwas anders als von Buße und Zerknirschung des Herzens gepredigt hätte, welches den symbolischen Büchern schnurstracks zuwider sei. Kaum hatte der sanfte Präsident ausgeredet, als der heftige Generalsuperintendent aufstand. Er schrie mehr, als er sprach, zitterte vor Eifer, ward feuerrot im Gesichte, runzelte[44] seine starken, halb grauen und halb roten Augenbrauen, konnte vor Zorn nicht sprechen und schüttete, als er endlich anfing, in einem hohlen und bellenden Tone so schnell, daß ein Wort das andere jagte, ein gestottertes Anathema über das andere auf den armen Sebaldus aus. Er hielt ihm vor, die zehn angeworbenen Bauerkerle hätten vermutlich in den Stand der Gnade kommen können, da sie aber nun in dem sittenlosen preußischen Lande Atheisten würden, müßten sie ewig verdammt werden. Auch er, Sebaldus, hätte die ewige Verdammnis dadurch verdient, daß er an dem ewigen Wehe von zehn Seelen schuld wäre – und was des Verdammens mehr war.

Sebaldus antwortete bescheiden mit wenig Worten und ließ am Ende seiner Rede einfließen, daß Gott gnädiger wäre als erbitterte Menschen, daß er uns nach der reinen Absicht unsers Herzens, nicht aber nach einem nicht vorhergesehenen Erfolge unserer Handlungen richten werde. Stauzius fuhr ihn mit unbeschreiblicher Wut an: Ob er die Ewigkeit der Höllenstrafen glaube? Sebaldus antwortete ganz gelassen: Er glaube nicht, daß es Menschen gezieme, der Güte Gottes Maß und Ziel zu setzen. »Sie sehen, meine Herren«, redete der äußerst aufgebrachte Superintendent die Anwesenden an, »daß dieser gottlose Mann in den Grundlehren des Glaubens irrig ist und schändliche grundstürzende Irrtümer behauptet; ich trage also darauf an, daß er unverzüglich seines Amtes entsetzt werde, damit er die Seelen der ihm anvertrauten Herde nicht ferner in Gefahr bringe.« Der Präsident antwortete hierauf mit sanftmütiger Miene: »Es ist zwar wahr, daß Ehrn Nothanker sich eine schwere Verschuldung hat zur Last kommen lassen, doch erfordert die christliche Liebe, daß man in einer so wichtigen Sache, als die Absetzung vom Amte ist, sich nicht[45] übereile. Daher ist meine Meinung, daß dem Fiskal aufgetragen werde, eine in gehöriger Form abgefaßte Klage zu überreichen, welche dem Beklagten mit dem Bedeuten, sie in zwei Tagen zu beantworten, sub poena praeclusi, und daß alsdann in contumaciam wider ihn erkannt werde, zu kommunizieren sei, desgleichen daß derselbe auf nächste Session in vierzehn Tagen beschieden werde, um die alsdann abzufassende Sentenz anzuhören.« Dieser Meinung fielen alle bei, und Sebaldus verfügte sich mit schwerem Herzen nach Hause.

Die Klage des Fiskals lief in wenig Tagen ein; und weil darin noch mehr auf die Ewigkeit der Höllenstrafen als auf die gehaltene Predigt Rücksicht genommen war, so glaubten Sebaldus und Wilhelmine darin die Feder des Doktor Stauzius zu erkennen. Sebaldus beantwortete sie in den gesetzten zwei Tagen ausführlich, und Wilhelmine fügte noch einige Anmerkungen hinzu, wodurch ihrer Meinung nach die Unschuld ihres Mannes so treffend bewiesen wurde, daß sie glaubte, es ließe sich auch nicht das geringste nur mit einigem Scheine dawider einwenden. Diese Verantwortung schickte Sebaldus sogleich nach der Kanzlei und schwebte indes zwischen Furcht und Hoffnung. An dem angesetzten Tage begab er sich nach der Residenz. Er mußte in dem Vorzimmer der Sessionsstube eine halbe Stunde warten, während das Konsistorium über sein Schicksal ratschlagte. Darauf ward er hineinbeschieden, um die Sentenz anzuhören, welche nach dem gewöhnlichen Eingange folgendermaßen lautete: »Daß Beklagter wegen irriger Lehre und Abweichung von den teuer beschworenen symbolischen Büchern, wobei er aller liebreichen Ermahnungen ohnerachtet verharret, seines Predigt- und Lehramts zu entsetzen und zu bedeuten sei, sich alles fernern Lehrens, Predigens und sonstiger Actuum ministerialium[46] gänzlich zu enthalten, so lieb als ihm sei die Vermeidung fürstlicher Ungnade und zweijähriger Zuchthausstrafe. V.R.W.« Es fand keine Appellation statt. Der Konsistorialbote nahm unverzüglich dem guten Sebaldus Kragen und Mantel ab, zugleich ward er ernstlich bedeutet, die Pfarrwohnung sogleich zu räumen, indem die Pfarre bereits vergeben sei, und darauf mit einer väterlichen Ermahnung in Frieden entlassen. Das Konsistorium aber blieb noch versammelt, um den Präsidenten ein lateinisches Chronodistichon auf diesen merkwürdigen, zur Festhaltung der reinen orthodoxen Lehre abzweckenden Actum verlesen zu hören, das er in den vierzehn Tagen seit der letzten Session zustande gebracht hatte.

Sebaldus war so betäubt, daß er alle Besonnenheit verlor. Seine Füße trugen ihn nur mechanischerweise nach Hause. Wilhelmine hatte sich aus zureichenden Gründen von dem Ausgange des Prozesses die beste Hoffnung gemacht. Sie hatte daher in der von ihr selbst gepflanzten Laube neben dem Pfarrhause eine ländliche Abendmahlzeit zugerichtet und ging darauf mit ihren beiden Töchtern ihrem Manne entgegen. Er kam endlich. Noch einige Schritte von ihm entfernt, sah sie schon in seinen wilden, starr auf sie gerichteten Augen einen Teil des über sie schwebenden Unfalls. Er kam näher und sagte ihr in wenig Worten, wie groß ihr Unglück sei. Wilhelmine ward blaß, die Knie zitterten ihr, sie sank zur Erde, und beide Töchter warfen sich weinend auf ihre Mutter. Diese kam erst nach geraumer Zeit wieder zu sich und ward in großer Schwachheit nach Hause gebracht. Alle Vergnügungen, die sich diese kleine Familie bei dem Abendmahle in der Laube nach der Zurückkunft ihres Vaters versprochen hatte, waren dahin. Wilhelmine, vom heftigen Schrecken erschüttert, lag in[47] wenig Stunden in einem starken Fieber. Mariane, ob sie gleich ihr Herzeleid in sich zu verschließen suchte, konnte doch, indem sie ihrer Mutter Handreichungen leistete, ihre nassen Augen nicht verbergen. Die kleine Charlotte winselte unaufhörlich über das Leiden ihrer Mutter. Sebaldus aber, über sein Unglück kaum so sehr niedergeschlagen als über die Härte rachgieriger Menschen bestürzt, saß staunend in der stillen Schwermut, die äußerlich kalt scheint, aber innerlich mit desto größerer Heftigkeit auf die Lebensgeister wütet.

2

Siehe »Wilhelmine«, S. 105.

Quelle:
Friedrich Nicolai: Leben und Meinungen des Herrn Sebaldus Nothanker, Berlin 1960, S. 42-48.
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