Fünfte Scene

[41] Schmidt, Evchen, Datterich in einiger Entfernung.


EVCHEN in einen Mantel gehüllt. Hm. Hustet.

SCHMIDT hustet gleichfalls und nähert sich schüchtern. Genawend, Freilein.

EVCHEN leise. Genawend, Herr Schmidt.[41]

SCHMIDT hustet, für sich. Wos soll ich nor schwätze? Laut. Wie is doch die Nadur im Allgemeine so schee!

EVCHEN. Gor schee.

SCHMIDT. Hehrn-Se die Nachdigalle peife? – seifze, wollt ich sage.

DATTERICH im Hintergrund. Ich hehr nix wie Fresch quaakse.

EVCHEN. Es is doch e wenig windig.

SCHMIDT. Ja, es is sehr windstill. Pause. Schmidt sieht sich verlegen nach Datterich um.

DATTERICH. Wos sich der Kerl so dreidrethig stellt! Nähert sich und flüstert ihm zu: Schwätz doch von deiner Lieb! Zieht sich zurück.

SCHMIDT. Wanns nor so Wedda bleibt. – – Wos die Blumme so stack riche – – Für sich. Ich lahf fort! Laut. Glauwe-Se auch, Freilein, daß es winschenswerth wehr, wann die Derke aus Eiroba vadriwwe wern dehte?

EVCHEN. Wie meine-Se?

SCHMIDT schnell. Freilein, ich will Ihne emal Ebbes sage: – ich lieb' Ihne. Für sich. Da, jetz is es haus!

DATTERICH im Hintergrund. Bravo!

EVCHEN seufzt. Ich kann's net recht glahwe.

SCHMIDT für sich. Ich, wahß Gott, aach net! Laut. Sie kenne sich druf valasse.

EVCHEN. Wann-Se mir'sch nu mache, wie dem Marieche?

SCHMIDT bestürzt. Ja, des ahrm Marieche! – awwer ich bleib Ihne drei.

EVCHEN. Wie dem Marieche?

SCHMIDT sich vergessend. Ach schweie-Se mer still mit dem Marieche – ich bin e schendlicher Mensch!

EVCHEN mit erhöhter Stimme. Is Des Ihne ihr Ernst?

DATTERICH für sich. Ei so soll dich dann aach! Tritt näher. Bäsje, Sie derfe sich an sei Bleedigkeit net stoße: er is so, bis er Ihne emal neher kennt.

SCHMIDT tritt bei Seite. Ach Marieche, uf wos for Wäge bin ich geroothe!

DATTERICH zu Evchen. Gucke-Se, er is ganz ewäck; die Worte fehle'm, um sei Gefihle auszudricke. Sie mahne vielleicht, er deht noch an die Marie do denke?[42]

EVCHEN. Ehr wie net.

DATTERICH. Da sollt mer'm en Vormund setze! Die dumm Genslies war nix for en.


Das vermeintliche Evchen gibt ihm eine Ohrfeige und tritt in's Helle: es ist Marie.


MARIE. Da host de dei Genslies, du Hahmducker!

DATTERICH fährt zurück; höflich. Ich bedanke mich.

SCHMIDT stürzt auf Marien zu. Marieche, lieb Marieche, du bist's?

MARIE. Ja, ich bin's un hab dich jetz kenne lerne!


Sie will gehen.


SCHMIDT hält sie zurück. Geh net so fort, eh's-de mer vagewwe hast!

MARIE sucht sich loszumachen. Worscht widder Worscht! Ich kann aach ohne dich läwe.

SCHMIDT in Verzweiflung. O hett ich den Kerl nie gesähe!

MARIE. Dort steht Ahner un riwwelt sich sein Backe: an den halt' dich: du host-em jo die ganz Zeit gefolgt. Sie tritt auf Datterich zu. Gell, Sie schlechter Mensch, Feindschafte kenne-Se stifte un kenne en Annern zu beese Sache vafihrn, wann er Ihne nor die Gorjel schwenkt?

DATTERICH höchst erstaunt. Da soll awwer doch Jedes! Der hat mich ehr vafihrt, als wie ich ihn.

SCHMIDT stürzt auf ihn los. Vafihrt host-de mich, Unheilskerl! Host-de was dagäje? Host-de mich net mit deine himmelscheene Vaspreche erumgezoge? Host-de mich net in alle Werthshäuser erumgeschleppt? Host-de mich net weis gemacht, die Marie hett's mit eme Annern?

MARIE entrüstet. Wos, Kalfakter, wie kannst-de dich Des unnerfange?

DATTERICH mit Ruhe. Ich merk, Freilein, Sie sinn mit der Zung äwe so hordig, als wie mit der Hand.

SCHMIDT drohend. O ich hett Lust un deht dich abziehe, daß de –

DATTERICH kaltblütig. Die Sticheleie wern sich vabäte.

SCHMIDT zu Marien. Sich, Marieche, vazeih mer nor deßmol: Der is an Allem schuld.

DATTERICH. Die Unschuld muß heidiges Daags viel leide. Iwwrigens erklehr ich Ihne hiermit, daß unser Schmolles ufgehowwe is. Gesteigert. Sie vadiene mei Freindschaft net, Sie Donnerwedda![43]

SCHMIDT. Nor net grob, sonst krijje-Se Ihr Feng, eh'-Se sich umgucke!

DATTERICH pathetisch. Wann ein Dippche voll is, brotzelt-s iwwer: alleweil haw-ich genug. Meine- Se, daß ich der Mann wehr, der sich so mir nix dir nix uf dem unschullige Buckel erum danze lasse deht, Sie? –

SCHMIDT. Der Bengler werd Ihne schon noch druf erum danze, wann ich's aach net bin.

MARIE. Ach, laß-en doch jetz geh'.

SCHMIDT. Komm, mer wolle'n mit seiner Schlechtigkeit ellah losse. Will mit Marien gehn, Datterich tritt ihm in den Weg.

DATTERICH. Halt, des geht so net! Sie hawwe mich greblich beleidigt: des kann nor dorch Blut abgewesche wern: mir schieße uns!

MARIE. Ach, losse-Se sich mit der Belzkapp schieße!

SCHMIDT entschlossen. Ja, ich schieß mich mit-em!

MARIE. Ach bei Leibe net! Herr jeh, Kall –

SCHMIDT. Ich muß in deine Aage widder zu Ehrn kumme. Es is e Wort, mer schieße uns –

DATTERICH für sich. Er hat werklich Lust. Laut. Sie denke wohl net mehr an die Geschicht mit meim Bareenche? Deßmal setzt sich kah Schmaaßert uf mei Visier, wann-Se sich vielleicht dadruf valasse.

SCHMIDT. Selbst Schmaaßert! Jetz halte-Se Ihr Maul un sage-Se mer, wann's vor sich geht.

DATTERICH. Bis Freidaag Middaag um drei Uhr hinner de drei Brunne. Ich deht's glei uf Morje bestimme, awwer ich will Ihne doch Zeit lasse, Ihne ihr Testement zu mache.

SCHMIDT. Un Sie, bezahle-Se erscht noch Ihne ihr Schuldleit, sonst gibt's en zu lange Leichezuck. Kumm, Marieche.

DATTERICH ruft ihnen nach. Sekendante sinn iwwerflissig: for die Pistole wer ich sorge. Schmidt und Marie ab.


Quelle:
Ernst Elias Niebergall: Datterich. Berlin 1963, S. 41-44.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Datterich
Datterich. Lokalposse in sechs Bildern in der Mundart der Darmstädter
Der Datterich im Darmstädter Biedermeier

Buchempfehlung

Brachvogel, Albert Emil

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.

68 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon