I. Der Beruf der Frauen

Die Braut. Gattin. Mutter. Die Wittwen. Die Ehelosen. Liebe und Leben.

Der Beruf der Frauen! Welche lieblichen Bilder entfaltet man vor uns, wenn diese Worte ausgesprochen werden!

Da steht sie die weißgekleidete Braut, mit dem grünen blühenden Myrthenkranz und dem wallenden Schleier im schön geordneten Haar, da steht sie an der Seite des Bräutigams, umringt von ihren Gespielinnen, gesegnet von einem zweifachen Elternpaar, der Mittelpunkt des fröhlichen Hochzeitfestes – Alles hat nur Augen für sie, Alles ist nur darauf bedacht sie zu beschenken, zu verherrlichen, ihr zu dienen – sie ist die Königin des Festes; diese Blumen, diese Guirlanden, diese Gesänge – sie gelten ihr. Der Bräutigam, im vorschriftsmäßigen schwarzen, unpoetischen Anzug, verliert sich fast daneben – er spielt gewissermaßen die zweite Rolle. Aber alle die Aufmerksamkeiten, die man seiner Braut widmet, alle die Beweise der Freundschaft und Verwandtenzärtlichkeit, welche diese empfängt, sagen ihm ja, welch' ein Kleinod er erworben.

Und ist nicht jenes Bild dem ersten an Reiz zu vergleichen, wenn die junge Frau im einfachen, aber zierlichen Hauskleid in den Räumen waltet, die nun ihre Häuslichkeit bilden? Alles, was sie umgiebt, ist neu und modisch, nur eben frisch aus den Werkstätten der Industrie und des Handwerks hervorgegangen. Und nicht die Zimmer allein, versehen mit all' dem Schmuck, den die Hand der Liebe und der Kunst gespendet, sind mit reizenden Schmuckkästchen zu vergleichen: selbst die Küche steht nicht nach an Nettigkeit und Sauberkeit. Da ist an dem einfachen Holzgeräth noch kein Fleckchen zu entdecken, da funkeln und blitzen noch alle Blechgefäße in ihrem natürlichen[1] Stahlglanz oder im bunten Lack, und Heerd und Kochmaschine mit porzellanartigen Fließen tragen keine Spuren von Rauch und Ruß. Wie wohl steht es der jungen Hausfrau, wenn sie hier ab- und zugeht und sich keine Ruhe gönnt, bis sie weiß: das Lieblingsgericht ihres Mannes ist nun so gelungen, daß er sagen wird: es habe ihm nie, auch nicht in dem größten Hôtel so gut geschmeckt! Und wenn er nun heim kommt aus seinem Geschäft, von seinem Beruf und das wirklich sagt, wenn er allein mit ihr an dem Tische sitzt, den sie selbst gedeckt, wenn er die Hand küßt, die vielleicht um seinetwillen sich ein bißchen verbrannte, und wenn er dann nach dem Mittagsmahl ein Stündchen in ihren Armen auf dem Sopha ruht von den Anstrengungen, vielleicht Widerwärtigkeiten seines Berufes, die nicht hierher in dies stille Asyl seiner Liebe dringen dürfen – wie reich belohnt ist dann die liebende Gattin, in welchem rosenfarbenen Lichte erscheint ihr dann ihr Geschick, was sind all' ihre Mädchenfreuden gegen diese Momente süßester Genugthuung!

Aber es giebt noch ein reicheres Bild des Frauenlebens: es ist die Mutter im Kreise ihrer Kinder. Mag sie das jüngstgeborne Kind auf dem Arme tragen oder es in der Wiege zum Schlummer singen, mag sie ihren größeren Kindern Märchen erzählen oder die älteren bei ihren Schularbeiten beaufsichtigen, ja mag sie selbst an ihren Krankenbetten wachen und beten: es ist ein Bild, welches das Weib in seiner natürlichen Glorie, in seiner Unentbehrlichkeit zeigt.

Und schön ist auch noch das Loos der alten Frau, wenn sie an der Seite des mit ihr alt gewordenen Gatten noch immer freudig und rüstig waltend die erste Vorsteherin des Hauses ist. Schön auch noch dann, wenn es wieder leer und still geworden in den einst durch blühende Kinder belebten Räumen, weil jene nun längst selbst ihren eignen Heerd sich gegründet haben. Aber Festtage giebt es, wo sich die Kinder mit den lieben Enkeln wieder im alten Elternhaus versammeln, alle Kindererinnerungen wieder aufgefrischt werden und alle durch ihr Thun und Treiben bekunden: der Vater ist das Haupt der Familie, aber die Mutter ist das Herz derselben – an das flüchteten sich immer alle Glieder des Hauses, die einmal etwas auf dem Herzen hatten, und sie flüchten sich noch jetzt daran, wenn[2] Stürme des Lebens kommen und finden in ihrer Milde, in ihrer nach Prüfungen aller Art erkämpften und darum bleibenden Heiterkeit den verlornen Frieden wieder. Um den Segen der ehrwürdigen Matrone, die ihr ganzes Leben lang nur darauf bedacht gewesen Segen um sich auszubreiten, flehen alle, die zu einer solchen gottbegnadeten Familie sich zählen dürfen, in der die Liebe das Haus nicht allein erbaute, sondern auch bewachte, daß die Geister des Hasses und der Zwietracht, ja nur des Eigennutzes und des Zwistes für immer daraus verbannt waren.

Heil den Frauen, die all' das erlebten, denen ein solcher Beruf zu Theil ward und die es verstanden ihn auszufüllen!

Das, was wir da schilderten, ist der schönste und gewissermaßen leichteste, weil von der Hand der Natur selbst einfach vorgezeichnete Beruf der Frauen – daß man es aber als den einzigen derselben hinstellt, ist einerseits eine Verwirrung der Begriffe überhaupt und steht andererseits im grellen Widerspruch mit allen Verhältnissen, wie sie im Laufe der Zeit sich herausgebildet haben.

Die Begriffsverwirrung liegt schon einfach darin, daß nicht etwas, was von der Zufälligkeit des Geschickes abhängt, Beruf und Bestimmung des Menschen sein kann. Es ist eine allbekannte Thatsache, daß schon im Kindesalter mehr Knaben als Mädchen sterben und eben so, daß mehr Frauen als Männer ein hohes Alter erreichen. Daraus allein geht schon hervor, daß nicht jedes Mädchen sich verheirathen kann – außerdem, daß noch die statistischen Tabellen aller Länder nachweisen, daß sich die Ehen vermindern, daß viele Männer gar nicht heirathen und dadurch noch viel mehr Mädchen sich genöthigt sehen, auf das Glück der Ehe und der Erfüllung jedes damit zusammenhängenden weiblichen Berufs zu verzichten, als schon bisher der Fall war. Und das Mädchen, das durch sein Geschick sich ausgeschlossen sieht von dem natürlichsten und darum befriedigendsten Glück des Lebens, das will man auch noch mit dem Vorwurf, mindestens mit dem Bewußtsein belasten: seine Bestimmung verfehlt zu haben und will es doppelt unglücklich machen, indem man ihm den Glauben an sich selbst nimmt, den Glauben noch eine andere Bestimmung zu haben als die physische, noch einen andern[3] Wirkungskreis als den, der nur um den einen Mann sich dreht.

Und dennoch denken unzählige Eltern nur daran, ihre Mädchen für einen Beruf zu erziehen, den diese möglicher Weise ganz »verfehlen.« Sie haben immer nur eine künftige Ehe im Auge und da mit dieser die Leitung eines Hauswesens und die Mutterschaft und Kindererziehung meist zusammenhängt, so glauben Viele ihr Bestes zu thun, wenn sie die Aufmerksamkeit ihrer Töchter auf diese Punkte lenken. Noch einmal sei es wiederholt: auch wir halten die Ehe, d.h. nur eine rechte, zu wahrhaft gegenseitiger Ergänzung geschlossene, für das höchste Gut des Lebens und für denjenigen Zustand, in dem alle schönsten Anlagen des Gemüthes sich am segensreichsten entwickeln lassen; aber wir finden eben darum in der Ehe eine für beide Theile ganz gleiche menschliche, keineswegs nur eine specifisch weibliche Bestimmung, und so nöthig es ist ein Mädchen über die Pflichten zu belehren, die sie in der Ehe übernimmt, so nöthig wäre dies auch bei dem Manne. Wenn es der Beruf der Frau ist, wie wir vorhin sagten, das Herz einer Familie und der des Mannes, das Haupt derselben zu sein, so liegt eben der gemeinsame, natürlichste Beruf Beider darin, die Familie vereint zu begründen und zu erhalten. Damit übernehmen und lösen Beide eine heilige Aufgabe und wenn darin auch der Frau durch Alles, was mit der Mutterschaft zusammenhängt, die schwerere zu Theil wird, so ist doch der Mann nicht minder als sie für das Glück und moralische Gedeihen der Familie verantwortlich zu machen. Hat doch Mancher seine Familie nur dadurch unglücklich gemacht, daß er nicht wußte, was die Erhaltung einer solchen erforderte und niemals begriff, daß auch die beste und fleißigste Hausfrau einen Hausstand nicht in Blüthe zu erhalten vermag, wenn der Mann nicht eben so rastlos wie sie für die Seinen arbeitet und um ihretwillen sich selbst auch einmal etwas versagen kann. Und was die Kindererziehung betrifft, so macht oft der Unverstand und die Unfähigkeit manches Vaters, Kinder richtig zu behandeln, auch das mühsamste Werk der gewissenhaftesten Mutter zu nichte, und statt sie in ihrem schwierigen Werke durch Rath und That kräftig zu unterstützen, erschwert er es nur[4] durch seine Einfälle, Launen, oder durch Theorien, die sich meist unter den gegebenen Verhältnissen (deutlicher könnten wir auch sagen: mit dem gegebenen Wirthschaftsgeld) nicht ausführen lassen. Es wäre also eben so nöthig, auch der Mann bereitete sich auf die Pflichten vor, die er einer Frau und seinen Kindern gegenüber übernimmt, wie das Mädchen, und es wäre dann noch viel berechtigter, dem ledig bleibenden Mann vorzuwerfen: daß er eine seiner Lebensaufgaben nicht erfülle, wie dem ledig bleibenden Mädchen, denn bei dem Mann ist jenes eine Sache der freien Wahl und bei diesem nur zu oft Sache des Geschickes.

Aber wie man nicht den Mann, der ohne Lebensgefährtin bleibt, der keine Familie gründet, deshalb als unnützes Mitglied der menschlichen Gesellschaft betrachtet, da er ja doch einen Wirkungskreis hat, ein nützliches Mitglied des Staates und im Grunde für das, was er thut, Niemandem verantwortlich ist, als sich selbst – so muß auch für Mädchen das gleiche Recht in Anspruch genommen werden. Auch für die Mädchen, welche ledig bleiben wollen oder müssen, ist die gleiche Achtung zu beanspruchen. Auch sie müssen sich einen Wirkungskreis suchen können, der ihrem Leben einen Inhalt giebt, ihre Existenz sichert und sie zu nützlichen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft macht, auch sie darf man nicht mit dem immer erneuten Fluch belasten, ihre Bestimmung verfehlt zu haben.

Man muß daher aufhören, jene reizenden Bilder des Frauenlebens, die wir vorhin aufrollten, der jungen Mädchenwelt als dasjenige zu zeigen, was ihrer in der Zukunft warte und worauf sie sich allein vorzubereiten hätten, man muß ihnen nicht mehr sagen, daß sie nur dazu auf der Welt wären, einem Mann zu gefallen und ihn zu fesseln, Hausfrauen und Mütter zu werden, sondern man muß ihnen zeigen, daß auch sie sich Selbstständigkeit und einen nützlichen Wirkungskreis erringen können, daß auch sie nicht nöthig haben, über ein verlornes Leben zu klagen, wenn ihnen das Glück der Ehe nicht zu Theil wird.

Denn zu den schönen Lichtbildern von vorhin giebt das Leben selbst oft nur zu traurige Nachtstücke!

Wie viele von den schöngeschmückten Bräuten, die beneidet und gefeiert zum Altar gehen, lächeln nur darum, weil sie besorgen,[5] daß, wenn sie einmal einer Thräne freien Lauf ließen, würden zu viele folgen und der Schmerz sie überwältigen! Hunderte von Mädchen thun ja diesen Schritt zum Altar nur deshalb, weil man ihnen stets vorgeredet hat, daß es ihre Bestimmung sei, zu heirathen, und da der Bewerber ein Ehrenmann ist oder doch wenigstens dafür gilt, so giebt ihm das Mädchen ihre Hand, wenn auch das Herz widerstrebt: – denn es könnte ja sein, es käme kein zweiter Bewerber wieder, und wenn sie dann »sitzen bliebe,« wie der landesübliche Ausdruck lautet, das wäre ja eine Schmach, noch mehr! es wäre ja ein verfehltes Leben.

Andere wieder thun den Schritt zum Altar eben gedankenlos, nur weil es einmal so der Lauf der Welt ist. Gerade so, wie sie auf den ersten Ball gingen, so gehen sie in die Ehe. Es ist ja, nachdem einige Jahre einer harmlosen Mädchenzeit glücklich vertändelt und vertanzt sind, nachgerade auch langweilig, sich nur mit Balltoiletten zu beschäftigen! Diese und Jene der Jugendgespielinnen hat schon einen Bräutigam, einen Mann, jene reizenden Bilder des Brautstandes, der Hochzeit, des ersten Eheglückes haben sich in der Nähe betrachten lassen – und nun freut sich das Mädchen, sobald ein Bewerber kommt, der ihr das Gleiche bietet. Wie schmeichelt es doch der Eitelkeit, als Braut betrachtet und begrüßt zu werden, wie viel interessanter ist es doch, den Brautstaat, als den Ballstaat zu besorgen, sich mit der Ausstattung eines neuen Hauswesens zu beschäftigen! Auch dies ist das Motiv unzähliger Heirathen – und die Mädchen, die so denken, gelten noch nicht einmal als leichtsinnig – ein solches Beginnen oberflächlicher Geschöpfe wird nur naiv gefunden – ja man gönnt ihnen dies kurze Vergnügen gern, weil man weiß: der Ernst des Lebens wird doch noch zeitig genug an sie herantreten! Man nennt ein solches leichtfertiges Tändeln mit den heiligsten Empfindungen und dem wichtigsten Lebensschritte »den Mai des Lebens genießen« und weckt die Trunkenen nicht auf aus ihrem süßen Wahn – möge dann erst ein schreckliches Erwachen folgen, wenn es vielleicht zu spät ist.

Aber eine noch größere Zahl von Ehen wird nur geschlossen, weil die Eltern des Mädchens froh sind, ihre Tochter »versorgt« zu[6] sehen oder sie überhaupt »los« zu werden. Wie viele Eltern sind denn im Stande, mehrere großgewordene Töchter »standesgemäß« d.h. im süßen Nichtsthun oder doch in einer nichts einbringenden Geschäftigkeit und mit dem immer mehr sich steigernden Luxus gleichmäßig wachsenden Toilettenbedürfnissen zu erhalten? Darum wird es für wünschenswerth und nothwendig befunden, daß ihnen so bald wie möglich ein Mann diese Sorge abnimmt. Das Mädchen selbst fühlt sich überflüssig im Hause geworden, es fühlt, daß es den Ihrigen eine Last ist, ja noch mehr, es denkt mit Angst daran: was die Mutter beginnen wird, wenn der Vater, der Versorger stirbt, was dann aus der ganzen Familie werden soll? Und rathlos einem solchen Verhängniß gegenüber, nimmt sie die dargebotene Hand eines Mannes an, der ihr vielleicht gleichgiltig, vielleicht widerwärtig ist, der aber ihr selbst, vielleicht auch den Ihrigen, wenn die Tage der Noth kommen, eine Stütze sein wird! So bringt sie mit Bewußtsein sich selbst und ihr ganzes Leben als eine gehorsame und zärtliche Tochter den Wünschen der Ihrigen und den Verhältnissen zum Opfer. Und auch oft genug thut selbst das allein stehende Mädchen, das vielleicht eine unglückliche Liebe im Herzen trägt, dasselbe, hält es für Pflicht, für Bestimmung, die Hand anzunehmen, die sich ihr reichen will und schließt eine sogenannte Vernunftheirath ebenfalls nur, um versorgt zu sein, um sich vor Mangel zu schützen, oder auch um einen Lebenszweck zu haben.

Ja, als sich Opfernde und Geopferte schreiten alle diese durch Erziehung und falsche Lebensanschauungen Verblendeten, in falsche Lebensstellungen Gedrängten zum Altar – als Thörinnen, Lügnerinnen und Heuchlerinnen sprechen sie das Jawort der Trauung wie der Verlobung – denken wohl Wunder noch damit eine gute, vernünftige, ja eine heroische That zu vollbringen, daß sie etwas thun wider die Stimme ihres Herzens, wider den Gott in ihrer Brust und wider alle Sittlichkeit; daß sie im Stande sind, solche Verstellung zu üben, so über sich und den Zustand ihres eignen Herzens selbst den Mann zu täuschen, der dieses Herz verlangt.

Wahrlich, man muß in diesem Falle viel mehr als die Mädchen die Männer bedauern, mit denen solches Spiel voll Lüge und[7] kaltberechnender Unnatur getrieben wird; wo jene sich selbst zu opfern meinen, da werden diese auch geopfert. Ein Verbrechen, das man nicht allein an sich selbst, sondern an einem andern Wesen mit begeht, ist ja ein doppelt und dreifach schweres.

Und was sind die Folgen solcher Opferungen?

Gleicht die Braut, die ohne Liebe zum Altar tritt, nicht jenen unglücklichen Geschöpfen, die in einer barbarischen Zeit zur Folter geführt wurden? Sie schaudert vor dem, was sie erwartet, und kann doch nicht entrinnen – sie hat abgeschlossen mit den Freuden und Hoffnungen ihrer Jugend, das Leben hat ihr keine süßen Träume und rosenfarbnen Bilder mehr zu bieten – sie weiß es: sie hat nur noch Pflichten zu erfüllen, Pflichten, die um so schwerer sind, weil das Herz keinen Antheil daran nimmt, weil es sich dagegen sträubt. Besitzt sie jene edle Resignation, die sich sagt: sie begehre auch kein Glück für sich, aber im eitlen Hochmuth es dennoch unternehmen will den Andern zu beglücken: so wird dieser immerhin noch Achtung verdienende, wenn auch trügerische, Schluß die Täuschung des Gatten wenigstens verlängern, ja wenn er einer jener Männer ist, die keine innigen Gefühle, sondern, weil sie selbst die eignen entweder schon abgenutzt oder nie zu höheren Graden erwärmt haben, und wenn nicht die Begegnung eines andern Mannes die liebeleere Frau empfinden läßt, was sie für immer verloren: so kann eine solche Ehe sich im Laufe der Zeit vielleicht noch zu einer Existenz voll Frieden und Heiterkeit gestalten, wenn Eltern-Glück und Liebe zu theuern Kindern den Bund befestigen. Aber ganz und voll ein anderes Wesen beglücken kann doch nur, wer dabei selbst inneres Glück empfindet. Welche Freude aber kann eine Frau empfinden an allen Dingen, welche ihr das neue Verhältniß bietet, sobald ihr dies selbst nur Widerwillen einflößt? Wie kann sie sich fröhlich fügen in die Eigenthümlichkeiten eines Mannes, den sie nicht liebt? wie kann sie für ihn arbeiten, auf ihn warten, sich nach ihm richten mit heiterm Muthe, wenn er ihr nichts ist als ein aufgedrungner Gefährte? Sie wird bald in Allem, was sie um seinetwillen thut, nur eine lästige Pflicht finden, wird in gewohnter Steigerung in dieser Pflichterfüllung ein Opfer erblicken und – absichtlich oder nicht – dies auch[8] durchblicken lassen, und durch die eigne Verbitterung natürlich auch die des Mannes hervorrufen – und die unglückliche Ehe ist bald vollendet. Der Mann, der im Hause nicht mehr findet was er wünscht, sucht es außer dem Hause, sucht sich vielleicht zu zerstreuen durch Trunk und Spiel und leichtfertige Gesellschaft, vernachlässigt darüber sein Geschäft, sein Amt, wie die Frau ihn selbst und ihre Wirthschaft vernachlässigt – und der Untergang des Wohlstandes zieht jeden andern nach sich. Dieselbe Frau, die dadurch, daß sie diesen ungeliebten Mann heirathete, ihren eignen Eltern und Geschwistern eine Stütze verschaffen wollte, sieht sich vielleicht selbst noch in der Lage, bei eben diesen Eltern für sich und ihre Kinder wieder eine Zuflucht zu suchen.

Aber selbst, – es kommt nicht bis zu diesem Ende – muß sich nicht jede Frau, die sich dem ungeliebten Manne zur Ehe hingiebt um äußerer Vortheile willen, wie eine verkaufte Dirne erscheinen? Aller Reichthum, alles Schöne und Bequeme, das sie in ihrer neuen Wohnung umgiebt, und um das sie die Freundinnen beneiden – wird es ihr nicht immer zurufen, um welchen Preis es erworben und wird sie jemals dieser Güter froh werden können? Oder wenn es so wäre, daß sie in diesen glänzenden Aeußerlichkeiten den größten Reiz des Lebens, ihres eignen leeren Lebens und einen Ersatz dafür finden könnte: würde nicht eben dadurch ihr ganzes Innere selbst leer werden und sie daran doch geistig, wenn nicht physisch und moralisch zu Grunde gehen?

Und wo in einem Hause der Segen der Liebe fehlt, da kann auch die Familie nicht gedeihen. Wo Vater und Mutter uneins sind, da werden es die Kinder auch sein. Wie ein unreiner Mehlthau auf zarte Blüthen fällt jedes Wort, das der Zwietracht der Eltern entschlüpft, in die bildsamen Kinderherzen. Eltern, die nicht glücklich mit einander lebten, deren Haus keine Stätte des Friedens und der Freude war, werden nie jenen Familiensegen erleben, wie wir ihn oben schilderten.

Eine glückliche Ehe ist der Himmel auf Erden, aber eine unglückliche ist eben so gewiß die Hölle selbst.

Man sollte darum alles daran setzen die Zahl der letztern zu[9] vermindern, die Ursachen so viel wie möglich hinwegzuräumen, welche sie hervorrufen.

Und dazu ist wesentlich zweierlei nöthig. Erstens, man erziehe die Mädchen so, daß sie noch ein anderes Interesse am Leben haben, als das der Liebe und zweitens, man gebe ihnen Gelegenheit, auf eignen Füßen zu stehen, sich selbst zu erhalten.

Bei der Mädchen-Erziehung, namentlich in den höheren Ständen, ist man zwar nun endlich so weit gekommen, daß nicht mehr wie früher, aller Unterricht mit der Confirmation abgeschnitten ist, aber er nimmt doch noch allzuoft eine Richtung, der meist jeder ernste Hintergrund fehlt. Kommen auch zu den sonst nur üblichen Studien von Sprachen, Musik und Malerei, jetzt noch andere, die einen mehr wissenschaftlichen Charakter haben, so werden alle diese Dinge doch viel mehr um der Gesellschaft, höchstens auch zur eignen Unterhaltung, nicht aber um der eignen Ausbildung, noch weniger eines Berufes willen, getrieben. Bei den Meisten wird das Gemüths- und Phantasieleben, ohnedies schon das vorherrschende Element im weiblichen Innern – durch, nur die Phantasie beschäftigende Lektüre auf Kosten jedes andern Seelenvermögens, jeder geistigen Kraft, ausgebildet. Da treten nun die jungen Mädchen mit ihrem Traumleben in die Welt – erst in der Hoffnung sich zu »amüsiren,« aber sie fühlen bald, daß sie sich nicht amüsiren, wenn sie unbemerkt bleiben, sie müssen also versuchen, sich bemerkbar zu machen, und, wenn ihnen auch dies gelungen, zu glänzen. Ein Weilchen genügen diese Triumphe, bald aber fühlt sich die weiche, schwärmende, noch unverdorbene Mädchenseele nicht mehr, weder durch das Spiel, noch durch den Sieg der Eitelkeit, befriedigt – sie will mehr, will Anderes. Sie weiß nicht, was sie will, bis das Wort Liebe gesprochen und das Räthsel ihres ahnungsvollen, unbefriedigten Traumlebens gelöst ist durch die Zaubergewalt des ersten Kusses. Nun weiß die Jungfrau, warum sie lebt, nun ist all' ihre Sehnsucht, nun sind all' ihre Träume von Poesie und Glück und Seligkeit erfüllt, übertroffen, nun ist ihr ganzes Leben – Liebe. Liebe, die Alles hofft und Alles glaubt und darum auch meint, so müsse es nun immer sein und bleiben, das ganze Leben ein goldener Maientag der Liebe. Aber hat denn der[10] blühende Lenz eine ewige Dauer? Mitten im Liebesfrühlinge glaubt man nicht, daß der Mai trotz seiner einunddreißig Tage noch schneller vergeht als jeder andere Zeitabschnitt, daß die Rosen auch verblühen und die Nachtigallen auch aufhören zu schlagen. Auch der Mann glaubt es nicht, wenn er die Geliebte zum ersten Mal in seinen Armen hält – doch er hat noch eine Hand frei, an der ihn mächtig gefesselt hält: das Leben. Das Mädchen aber klammert sich mit beiden Händen an den geliebten Mann, sie weiß nichts vom Leben, soll nichts, will nichts von ihm wissen – ihr Leben ist ihre Liebe. Und trennt das Schicksal die vereinigten Herzen – was soll die Jungfrau im Leben, das sie nur durch die Liebe verstand, das weiter kein Interesse für sie hat, dessen einziger Beruf und Endzweck die Liebe war? Was hat sie noch im Leben zu thun, wenn Untreue oder Verhältnisse, oder Enttäuschung oder Tod ihre Liebe, die ihr Leben war, für ihr äußeres Leben zerstört haben? – Oder wird sie die Gattin des Geliebten und der Ernst des Lebens tritt an sie heran und der Mai geht vorüber und die Rose verblüht und die Nachtigall singt nicht mehr und die Frau hat nur noch den Schatten von dem, was sie einst Liebe nannte – wird sie nicht, auch wenn die Welt sie glücklich nennt, leise seufzen, zurückdenkend an jene entschwundene Zeit?

So lange man die Frauen nur für die Liebe und Ehe, nur für die Männer erzieht, so lange man die Interessen des Herzens selbst als die einzigen proklamirt, welche dem weiblichen Wesen entsprechen, so lange ist es auch gerechtfertigt, wenn sie in überschwenglichen Empfindungen und unerfüllbaren Forderungen nur diese eine Seite des Menschenlebens im Auge haben. Dürfen sie doch nichts im Leben thun als lieben, oder vielmehr warten bis sie geliebt werden; lesen sie doch oft nichts Andres, als von Liebe; knüpft sie doch kein anderes Interesse an das Leben, als das der Liebe.

In den kleineren bürgerlichen Verhältnissen lernen die Frauen allerdings ruhiger der überspannten, träumerischen Liebe entsagen. Man findet hier weniger Unzufriedenheit und Unbefriedigtheit als in den höheren Ständen, wenigstens in der Ehe selbst, weil jene nicht[11] Zeit haben, über Nebenzustände zu grübeln und sorgfältig, ja quälerisch, das eigne Herz zu befragen. Das Hauswesen, die mühevollste Pflege und Sorge für die Kinder fällt in den mittleren Ständen fast ganz der Gattin zu, und sie fühlt unter diesen tausend kleinen Dingen, die doch alle beachtet sein wollen und ihr Leben oft zu einer ununterbrochenen Kette liebevoller Aufopferungen machen, wohl auch ihr Ideal zuweilen schwinden – aber sie weiß, für was sie lebt, sie hat einen Wirkungskreis, dessen nothwendiger Mittelpunkt sie ist, und das giebt einem Frauenherzen immer Kraft und Befriedigung, den Lohn für alle Mühen und Anstrengungen. Aber in den durch Rang oder Reichthum bevorzugteren Ständen, wo das ganze Geschäft der Gattin nur darin besteht, kurze Befehle an die Dienerschaft zu geben, im Salon mit Grazie und Feinheit die Herrin zu repräsentiren, und im Uebrigen darüber nachzudenken, wie der Tag am besten sich hinbringen lasse, – was füllt hier die Seele einer Frau aus, welche nichts gelernt hat, als lieben, nichts begehrenswerth findet, als geliebt zu werden, welche es nur der Mühe werth hält zu leben, wenn sie nicht nur geliebt, sondern angebetet wird?

Wohl giebt es eine Liebe und ein Liebesglück, die ein ganzes Leben zu dauern vermögen, wohl giebt es glückliche Ehen, in denen beide Theile durch einander beseligt und mit einander verwachsen, selbst auf den gepriesenen Liebesfrühling ihres Brautstandes zurückblicken, nicht wie auf etwas Verlornes, sondern nur wie auf das verschwimmende Morgengrauen eines schönen Erdentages, an dem sie im Sonnenscheine dauernder Liebe den Sonnenaufgang segnen, der ihnen Alles gehalten, was er versprach – aber eben dies schönste Eheleben ist kein müßiges Träumen, noch kleinliches Tändeln, es ist die Harmonie zweier Seelen, die nicht allein für einander, sondern vielmehr noch mit und ineinander für die höchsten Zwecke des Daseins leben: die gegenseitige Veredelung, ein getreues Wirken in ihrem Berufe, ein segensreiches in dem Kreise, der ihnen erreichbar. Ein solches Glück kann der Mann nur erringen, wenn er im Weibe mehr zu würdigen weiß, als was seine sinnlichen Wünsche befriedigt und das Weib nur, wenn es befähigt ist den Beruf des Mannes zu achten, und seine größeren, allgemeinen Interessen zu theilen.[12]

Um dieses Glück erringen zu können, noch mehr um Zufriedenheit in einer minder glücklichen, Trost selbst in einer unglücklichen Ehe zu finden, am meisten aber, um auch den alleinstehenden Jungfrauen Befriedigung im Leben zu gewähren, muß ihr Streben, ihr Dichten und Trachten noch andere Ziele erhalten, als allein das oft nie erreichbare der Liebe und Ehe. Nicht dafür ist die Gesellschaft anzuklagen – wie es so oft von jenen liebegetäuschten Frauen geschieht – daß sie ihre thörichten Träume von Liebe nicht erfüllt, nicht darum haben sie ein Recht, mit dem Geschick zu zürnen, weil die Rosen der Liebe nicht immer für sie blühen und sinnberauschend duften können, sondern nur diejenigen sind zur Verantwortung zu ziehen, welche die Liebe zum einzigen Interesse des Weibes machen. Mag immerhin das Weib in dem Verlust ihres Geliebten oder Gatten den Verlust ihres Glückes beklagen – aber sie muß die Kraft und Fähigkeit haben, an einen andern Lebenszweck sich hinzugeben. Wäre es nicht so, verweigerte man ihr diese Möglichkeit, verschließt man ihr jeden andern Beruf: dann allerdings wäre der Brauch der alten Inder, die Wittwe über dem Grab des Gemahls zu verbrennen, eine weise Maßregel gewesen, deren Abschaffung sehr zu bedauern, dann müßte man es billigen, wenn jede verlassene Braut zur Selbstmörderin würde.

Hinweg mit diesen schauerlichen Bildern, welche doch nichts sind, als die Consequenzen verkehrter Lebensanschauungen und Gewohnheiten!

Aber wir wollten allerdings fragen, was das Loos all' der Mädchen ist, die nun doch trotz des Wunsches – vielleicht um jeden Preis – in die Ehe zu treten, dies Ziel nicht erreichen, um nicht einmal erst die zu erwähnen, denen man nur um jenes Vorurtheils willen aus ihrem Ledigbleiben einen Vorwurf machen könnte? Was das Loos der Wittwen, denen der Gatte, ihr Versorger und der Versorger ihrer Kinder stirbt, ohne daß er für sie, auch über sein Grab hinaus hat sorgen können? Nicht nur, daß die Kinderlose dann wieder ohne »Beruf« im Leben steht – die Lage der Bekinderten ist oft ungleich verzweiflungsvoller.

Wir haben hier hauptsächlich die Verhältnisse des Mittelstandes[13] im Auge, denn in den sogenannten unteren Ständen, dem Proletariat, ist es als unumgänglich angenommen, daß die Frau eben so arbeite, wie der Mann; wenn sie auch weniger verdient als er, muß sie doch zur Erhaltung der Familie mit beitragen, wie sie schon von Jugend auf gelernt hat, sich selbst zu erhalten.

Man klagt gerade in den gebildeten Ständen über Verminderung der Ehen, und von beiden Seiten darüber, daß bei den gegenwärtig gesteigerten Ansprüchen es kaum möglich sei, eine Frau ohne Vermögen zu heirathen. Wollte man sagen, ohne Vermögen, selbst etwas zu leisten und zu verdienen, so hätte die Sache eher einen Sinn. Denn das Capital muß schon ziemlich groß sein, das so viel Interessen abwirft, um zu der neuen Wirthschaft einen ansehnlichen Zuschuß zu gewähren, besonders wenn man bedenkt, daß ein vermögendes Mädchen gewöhnlich auch mit Ansprüchen erzogen ist, die noch über dies Vermögen gehen. Außerdem aber ist dasselbe auch unter hundert Fällen neunzigmal gewöhnlich in kurzer Zeit sehr geschmolzen wo nicht gar spurlos verschwunden. Der Mann bezahlt seine Schulden davon und im Bewußtsein einen Rückenhalt zu haben, wird es auch nicht so genau genommen, neue zu machen oder mehr zu verbrauchen als das Einkommen erlaubt, oder man trachtet es durch Actien und andere Speculationen zu vermehren, die oft verunglücken; – kurz, wenn der Mann stirbt, sieht sich diese Wittwe plötzlich oft eben so arm, wie diejenige, welche nie Vermögen besaß und hilfloser wie sie. Ist es denn dann nicht vortheilhafter, eine Frau zu heirathen, die in ihrer Arbeitskraft ein Vermögen besitzt, das sie bereit ist, dem Manne zu widmen? bereit, die Last, eine Familie zu ernähren, nicht ihm allein aufzubürden, sondern mit ihm vereint auch dafür zu wirken? Ein solches Wirken ist allerdings auch die Führung einer großen Wirthschaft (z.B. wenn der Mann ein großes Geschäft hat, dessen Leute mit beköstigt werden, was aber heutzutage immer seltener vorkommt als früher, oder Pensionaire u.s.w.) und die Pflege der Kinder, und dadurch erhält die Frau, erspart für den Mann, ohne speciell mit zu verdienen – aber dies sind eben auch schon Ausnahmen von der Regel, während bei Schließung der meisten Ehen die Frau entweder eine müssige oder ganz untergeordnete Rolle übernimmt,[14] das Letztere, wenn sie das Dienstmädchen selbst abgiebt, das Erstere, wenn sie ein solches hält, denn dann hat sie, wenn nicht den ganzen, doch den halben Tag Zeit sich anderweit nützlich zu beschäftigen. Man sage nicht, daß eine Frau, wenn sie z.B. durch Stundengeben oder eine andre Arbeit, die etwas einbringt, mit erwerben hilft, darüber ihren Gatten vernachlässigt – freilich wird es nöthig sein, daß dann auch er nicht willkürlich über ihre Zeit verfügt, so wenig sie dies über die seine thut, aber er wird dann auch keine Klage über Langeweile von ihr hören, noch über Vernachlässigung und tausend andere Dinge, auf welche jeder Mensch verfällt, dessen Tagesstunden nicht von einer nützlichen Thätigkeit ausgefüllt sind. Tausend Veranlassungen, einander durch Kleinlichkeiten das Leben zu erschweren, fallen weg, wenn auch die Frau eine selbsterworbene Einnahme hat und über dieselbe frei verfügen kann. Damit fällt jener Standpunkt, der die Frau nur zur ersten Dienerin des Mannes macht, deren Bedürfnisse er oft nicht einmal gleich denen einer Haushälterin befriedigt, die sie von ihrem Verdienst bestreitet, sondern die jede Kleinigkeit erst von ihm erbitten muß. Dies wäre ein andrer wesentlicher Schritt, die weibliche Würde aufrecht zu erhalten, die bisher mehr in den Gedichten als in der Lebensweise der Deutschen ihre Berücksichtigung fand. – Die Ehen werden zahlreicher und glücklicher werden, wenn die Frauen zur ökonomischen Selbstständigkeit gelangen.

Denn wie viele gerade der besseren Männer werden nicht durch die quälende Sorge: was wird aus Weib und Töchtern nach deinem Tode? zu übermäßigen Arbeiten, gewagten Speculationen, zur Aufreibung aller ihrer Kräfte und einem dadurch beschleunigten Ende getrieben? Haben sie aber eine Gattin, die schon vor ihrer Verheirathung sich selbst zu erhalten verstand, die auch in der Ehe sich mit mehr beschäftigte, als mit Kochen und Putzen, so wird diese Sorge sehr wesentlich verringert – und schon allein oft dadurch die Kraft und Gesundheit des Mannes länger erhalten. Oder wenn diese doch wankt – welch' ein Trost dann, wenn die Gattin ihm noch anders beizustehen weiß, als mit ihrer liebenden Pflege. Wenn sie selbst thätig und hilfreich eingreifen kann, statt nur zu klagen. Und wenn[15] er stirbt und sie mit ihm den besten Theil ihres Lebens verliert, so bleibt ihm doch auf dem Sterbebette noch der Trost, daß sie und seine Kinder nicht an das Mitleid Fremder gewiesen sind, sondern daß die Gattin sich selbst durchs Leben schlagen kann, daß die Töchter für sich selbst sorgen können, gleich den Söhnen.

Wenn in einer Familie der Vater stirbt, so kommt zu dem Schmerz um den persönlichen Verlust fast stets der wenn nicht tiefere, doch quälendere hinzu: wovon nun leben? Auch da, wo ein wenig Vermögen vorhanden, bleibt höchstens der Trost, es bei der Erziehung, dem Studium der Kinder zusetzen zu können, wobei man gewöhnlich nur Alles an die Söhne wendet; aber um durch die Interessen die ganze Existenz bestreiten zu können, müßte das Kapital schon sehr bedeutend sein. Für die Wittwen der Staatsbeamten existiren Pensionen, aber sie sind meist so gering, daß sie kaum ausreichen, davon eine Wohnung zu bezahlen, geschweige denn noch andere Lebensbedürfnisse, zumal in dieser Zeit der Theuerung oder richtiger der Geldentwerthung, in der, merkwürdig genug, alle Lebensmittel im Preise gestiegen, die Wittwenpensionen aber keineswegs erhöht worden sind. Aber selbst auf diese Weise pensionirt ist doch nur ein kleiner Theil der Wittwen. Man hat darum Pensionscassen je nach den verschiednen Berufszweigen und den daraus hervorgegangenen Vereinen eingeführt, man hat Lebensversicherungs- und Altersversorgungscassen u.s.w. gegründet und gewiß ist es jedem Mann, der eine Familie gründet, dringend zu empfehlen, dieselben zu benutzen; aber es liegt weder in ihnen eine allein ausreichende Unterstützung für verlassene Wittwen und Waisen, noch würden wir, selbst wenn dies der Fall wäre, darin das Nichtige finden. Freilich ist es ein scheinbares Glück für jede Wittwe, wenn sie zu den Reichen oder doch Bemittelten gehört, sich also um ihre Existenz keine Sorge zu machen braucht; aber ein wirkliches Glück ist es nur dann, wenn sie Kinder hat, und sich in den Stand gesetzt sieht, ganz für diese zu leben – ist sie aber kinderlos oder sind dieselben schon ihrer speciellen Fürsorge entrückt – dann befindet sie sich wieder in der Oede der Berufslosigkeit, der Unthätigkeit und Abgeschlossenheit, an denen so viele Frauen zu Grunde gehen. Denn hat auch sie wieder[16] mit dem Gatten ihr Alles verloren und beweint in ihm nicht nur den persönlichen Verlust, sondern hört nicht auf zu jammern und Andern durch das Hervorheben ihres Unglücks sich lästig zu machen. Dies sind die gefühlvollen und treuen Wittwen – die leichtsinnigeren aber, die nun auch nicht wissen, was sie mit der Berufslosigkeit einer plötzlich geschenkten Freiheit anfangen sollen, taumeln entweder von einem oberflächlichen Vergnügen zum andern, nur um sich zu zerstreuen, zu beschäftigen, und verfallen in Bizarrerieen oder Launen, die sie ihrer Umgebung eben so unbequem machen, als ewiges Klagen und Zurückblicken. Das alte gute Sprichwort: »Müßiggang ist aller Laster Anfang,« gilt für jedes Alter und für jedes Geschlecht, wenn es sich aber so oft auch bei dem weiblichen bewährt, muß man es beklagen, daß hier der Müßiggang nicht gerade freie Wahl, sondern daß er von den Verhältnissen oft octroirt ist. Wo die Veranlassung zu einer geordneten Thätigkeit, die Nothwendigkeit zu derselben fehlt, da muß entweder der Trieb zur Arbeit oder die Festigkeit der Grundsätze sehr vorherrschend sein, um nicht wenigstens in jene Art des Müßigganges zu verfallen, der nur eine ungeordnete und unproductive Geschäftigkeit ist, ein planlos angewendetes Schutzmittel gegen die Langeweile.

Diese Gefahren freilich verschwinden, wo die Wittwe aus bisher angenehmen, vielleicht sogar äußerlich glänzenden Verhältnissen, wie sie das Amt des Mannes mit sich brachte, sich plötzlich herausgestoßen, auf sich selbst angewiesen und in Armuth versetzt findet. Die Wittwen der Kaufleute, Gewerbtreibenden, Fabrikanten sind wieder glückliche Ausnahmen, da sie das Geschäft ihres Mannes, wenn er es nur sonst in blühendem Zustand zurückließ, übernehmen können. Aber in allen andern Verhältnissen steht die Frau meist hilf- und rathlos da, nicht wissend, was sie beginnen soll, um sich selbst zu erhalten. Sie sieht nur wenig Wege dazu sich offen stehen – hat sie ein wenig Vermögen, eine kleine Pension, so zieht sie es meist vor in Unthätigkeit eine kümmerliche Existenz fortzufristen, und dabei doch über alle Entbehrungen und die veränderte Lebensstellung zu klagen, statt Alles daran zu setzen, um aus eigner Kraft sich selbst in den gewohnten Verhältnissen zu erhalten.[17]

Nun kommt noch zu dem schmerzlichen Gefühl der Wittwenschaft die niederdrückende Erfahrung: nun gar nichts mehr zu gelten in der Welt, von Niemand mehr beachtet zu werden, die immer neu sich aufdrängende bittere Bemerkung, daß es nur der Nimbus des Mannes und seiner Stellung war, was ihr selbst Ansehen und Achtung verschaffte, daß dies Alles nun eine ganz andre Gestalt annimmt, seit sie allein in der Welt steht – so fühlt sie nicht allein die häusliche traurige Vereinsamung, die der verwittwete Mann ja auch empfindet – weil man sie jetzt empfinden läßt, welch' eine Null sie ist; so fühlt sie, daß sie stets und auch da eine solche war, wo sie an der Seite des Mannes an ihre eigne Bedeutung glauben konnte.

Und doch ist dies peinliche Loos einer Wittwe noch nicht mit dem zu vergleichen, das dem ledigbleibenden Mädchen, der als »alte Jungfer« Verspotteten, zu Theil wird. Das Vorurtheil von dem »verfehlten weiblichen Beruf« wirft beinahe etwas wie einen Makel auf sie. Ueberall in der Gesellschaft giebt man ihr zu verstehen, daß sie hinter den Frauen, auch wenn diese noch so jung und bornirt sind, zurückzustehen habe. Auch den ärmsten Wittwen pflegt man mit noch mehr Achtung und Aufmerksamkeit zu begegnen und gönnt ihnen eine freiere Stellung, als den alten Mädchen. Nur Einzelnen gelingt es, entweder durch Reichthum oder durch einen mit Glück ergriffenen Beruf, als Vorsteherin eines Pensionats oder in irgend einer Kunstsphäre, das Vorurtheil und Herkommen so weit zu überwinden, daß man sie als Ausnahmen tolerirt, ihrer errungenen Selbstständigkeit nicht mehr zu nahe tritt. Wehe aber denen, welchen es nicht einmal vergönnt ist, nach einer solchen Stellung, nach einem solchen Beruf zu streben! Die Unglücklichen, die, weil sie keinen andern Lebensweg vor sich sahen, im Hause eines Bruders oder einer Schwester das Gnadenbrod essen und dem Asyle doch ihre ganze Thätigkeit widmen, ohne daß sie mit Dank und Liebe vergolten wird, die, selbst auf eigne Familienfreuden verzichtend, nur alle Familienleiden kennen lernen, wenn sie Wöchnerinnen pflegen, Kinder warten, im Hause ein Dienstmädchen ersparen und für dies Alles doch als überflüssig betrachtet und später als altgewordene Tanten[18] nur noch wie jeder andere alte Hausrath geduldet werden, – diese Unglücklichen sind mehr als die Wittwen zu beklagen, die ein Glück und einen Beruf verloren, das sie beides ja niemals besessen.

Nun denn, das Glück läßt sich nicht erzwingen und nicht bannen und es hilft nicht einmal ihm nachzujagen – ein Beruf aber sollte Allen erreichbar sein – und weil er es Tausenden von Mädchen nicht ist, muß Alles daran gesetzt werden, diese verkehrten Zustände umzugestalten.

Quelle:
Louise Otto: Das Recht der Frauen auf Erwerb. Hamburg 1866, S. 1-19.
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