VI. Fortschritte und Aussichten weiblicher Erwerbsthätigkeit

Künstlerinnen und Schriftstellerinnen. Weibliche Aerzte. Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen. Handels-Oekonomie- und Industrieschulen. Eintritt in das Handwerk. Fabrikarbeiterinnen.

[94] Haben wir in dem Vorhergehenden die Nothwendigkeit gezeigt, daß auch die Frauen selbstständig werden, Gelegenheit zu nützlicher Thätigkeit, zur Arbeit und zum Erwerb finden müssen, so wollen wir nur noch in der Kürze andeuten, auf welchen Gebieten sich ihnen zunächst Aussichten dazu eröffnen.

Vom Gebiete der Kunst, das dem weiblichen Geschlecht schon immer offen stand, könnten wir billig absehen, denn hier ist wenigstens in einigen Zweigen ihre Berechtigung eine so ziemlich dem männlichen Geschlecht gleiche und kann für andere Fächer als Muster aufgestellt werden.

So ist z.B. in den Conservatorien für Musik die Stellung der Zöglinge eine ganz gleiche und was z.B. den Gesang und das Pianofortespiel betrifft, so kann man auch sagen, daß die Leistungen[94] so ziemlich gleich sind. Es giebt vielleicht ebenso viel anerkannte und tüchtige Pianistinnen wie Pianisten, und am Gesang ist es sogar gewiß, daß es mehr treffliche Sängerinnen als Sänger giebt, was wir eben darin suchen wollen, daß mehr Mädchen als Jünglinge zu diesem Fach sich wenden, aus dem sehr natürlichen Grunde, weil die Mädchen eben nur sehr wenig Gelegenheit zu einem Beruf und Erwerb vor sich sehen und also, wenn sie nur einige Neigung dazu empfinden, nur einige Anlagen dafür an ihnen entdeckt werden, sie auch sogleich zu diesem Fach sich wenden: fast dem einzigen, in dem ein Mädchen sich eine glänzende Existenz erwerben kann – während dem Manne ja jede Wahl frei steht. Freilich ist jener Glanz oft nur eine trügerische Lockung und von Hunderten, die mit der Hoffnung auf die Tausende eines Primadonnengehaltes das Conservatorium besuchen, erringt sie einmal eine, während die Andern als Concertsängerinnen ein kümmerliches Dasein fristen oder als Sängerinnen an kleinen Bühnen eben so dem Untergange preisgegeben sind wie die Schauspielerinnen, die ohne Talent auch nur um der Existenz willen eine Laufbahn wählten, die ihre sehr gefährlichen Seiten hat.

Zu allen diesen Gebieten würde die Talentlosigkeit sich weniger drängen, wenn es mehr andere Gelegenheiten gäbe, Beruf und Erwerb zu bieten. Ganz dasselbe ist mit dem Schriftstellerthum der Fall. Vielleicht nie ist die Zahl der schreibenden Frauen so groß gewesen wie jetzt – und wenn viele darunter sind, die nur sehr Untergeordnetes leisten, die ohne innerlichen Beruf nur für Geld schreiben (was aber auch bei den Männern gerade so oft vorkommt, nur daß sie nicht die Entschuldigung haben, daß sie keine andere Gelegenheit hätten sich Existenzmittel zu verschaffen), so liegt die Ursache davon auch im Mangel andrer lohnender Beschäftigung.

Wenn man uns darum etwa entgegenhält: die Kunstgebiete wären schon jetzt von Frauen, unter denen die Hälfte meist zu den Mittelmäßigkeiten gehöre, überfluthet, dies würde noch weit mehr geschehen, wenn die Frauen im Allgemeinen zu höherer Bildung und zu dem Bewußtsein gebracht würden, einen selbstständigen Beruf und Erwerb haben zu müssen, so sagen wir gerade umgekehrt: sie werden die Gebiete der Kunst viel weniger überfüllen, wenn ihnen andere[95] Gebiete offen stehen, wenn es auch auf andern möglich ist eine unabhängige, ehrenvolle und einträgliche Lebensstellung zu erringen.

Den Künstlerinnen und Schriftstellerinnen gestattet man allenfalls sich frei zu bewegen, man betrachtet sie in einer Art von Ausnahmezustand, durch den man sie vielleicht ehren will, durch den auch die Egoistischen und Eitlen unter ihnen sich geehrt fühlen mögen: der aber Diejenigen, die nicht bloß von ihrer eignen Leistungsfähigkeit, sondern von der ihres ganzen Geschlechtes und seiner Würde durchdrungen sind, auf's Tiefste gerade in ihrer weiblichen Würde verletzen muß. – Nie ist es der Verf. eingefallen, dies oder jenes Recht zu männlicher Gleichstellung in Anspruch zu nehmen, weil die Schriftstellerin den Schriftstellern gleich steht – sie hat es nicht als eine »Belohnung« und »Auszeichnung« für etwaige Verdienste, sie hat es als ein Recht im Namen aller Frauen gefordert und betrachtet, und bei jeder Ausnahmestellung, die man ihr »aus Gnaden« zutheilen wollte, mit Posa gesagt: »O nicht um mich war mir's zu thun, nicht meine Sache wollt' ich führen.« –

Auf musikalischem Gebiet ist, wie gesagt, die Gleichstellung der Geschlechter wenigstens theilweise vollzogen und man kann die Conservatorien für Musik sehr gut als Musteranstalten denen entgegenhalten, welche z.B. die Frauen nur deshalb von höheren wissenschaftlichen Studien ausschließen wollen, weil sie gemeinschaftliche Lehranstalten für unmöglich halten. Was in einem Conservatorium geht, kann auch in andern Fächern gehen! Es können außerdem auch an höheren Lehranstalten sehr gut Sectionen für Mädchen errichtet werden, denn uns selbst kann allerdings nichts ferner liegen, als etwa der Wunsch: es möchten sich einzelne Mädchen unter eine rohe Studentenschaft mischen. – Mit den Kliniken, in welchen Chirurgie gelehrt wird, sind sehr häufig Institute für Hebammen verbunden. Die Frauen, die sich diesem äußerst wichtigen Beruf widmen, gehören doch meist den Ständen an, in denen die Mädchen gerade keinen sorgfältigen Unterricht genießen, sie kommen also meist ohne alle Vorkenntnisse in die Anstalt – dennoch versichern sachkundige Aerzte, daß sie sehr bald ihre Aufgabe begreifen und das keineswegs leichte Examen fast immer zur Zufriedenheit, oft glänzend nach einem verhältnißmäßig[96] sehr kurzen Lehrcursus bestehen. Was also in diesem einen Zweige medicinischer Studien erreicht werden kann, wird wohl in jedem anderen auch zu erreichen sein. Man könnte mit solchen Kliniken z.B. Sectionen für Orthopädie für Damen verbinden, ein Berufszweig, der sich nicht minder für die Frauen eignet. Wir gedachten schon einer sächsischen Frau, welche die betreffenden medicinischen Studien bei einzelnen Professoren gemacht und die Erlaubniß zur Praxis erhalten hat. Dieselbe ist bereits eine sehr ausgedehnte und zwar nicht allein um des außergewöhnlichen Rufes dieser genialen Frau willen, sondern gerade weil sie eine Frau ist. Jedes weibliche Wesen wird sich besonders in Fällen, wo eine Besichtigung des Körpers nöthig ist, wie bei Verkrümmungen, lieber von einer Geschlechtsgenossin untersuchen und behandeln lassen; und ganz aus demselben Grund als eine Forderung der Weiblichkeit sind weibliche Aerzte auf das dringendste zu wünschen. In Amerika sind dieselben längst üblich und die Frage: ob die Frauen auch dazu befähigt sind, ist schon keine Frage mehr. Wenn man als Schwierigkeit des weiblichen Studiums derselben will geltend machen: daß zu viel Ueberwindung des Schaamgefühls erfordert werde, wenn Mädchen von Professoren sich über den menschlichen Körper sollen gründlichst unterrichten lassen – so halten wir einmal wieder entgegen: warum man dies nicht auch bei den Hebammen fragt? und dies wäre eben nur eine Frage für die Zeit des Uebergangs – denn giebt es einmal weibliche Aerzte, so wird es unter diesen auch solche geben, welche ihre Geschlechtsgenossinnen lehren können. Aber auch ganz abgesehen davon ist jenem Einwurf doch damit zu begegnen: wenn es schlimm ist, daß einzelne Frauen im Dienst der Wissenschaft ihr Schaamgefühl unterdrücken müssen – ist es denn dann nicht tausendmal schlimmer, wenn alle Frauen im Dienst ihrer Gesundheit dies zu thun verdammt sind? Gerade um die Frauen von solcher Nothwendigkeit zu befreien, wünschen wir weibliche Aerzte und die Bornirtheit des Vorurtheils gegen einen solchen Fortschritt zu edler Sittlichkeit zeigt sich gerade hier in schlagender Weise. Es dürfen – im Durchschnitt – nicht zehn etwas »Unweibliches« thun, besser ist es, wenn dafür Alle sich das Unweiblichste gefallen lassen! Es schadet der Sitte,[97] wenn ein Mädchen anatomische Vorlesungen hört – das aber schadet nicht, wenn in der Klinik die schwangern und gebärenden Frauen, wovon viele gleichzeitig in einem Saal sich befinden, von einer Schaar junger studirender Männer untersucht und beobachtet werden – das heißt das Herkommen gut! Mögen doch Männer die Männerkörper studiren, aber die Frauen überlasse man den Frauen. –

Eine Hochschule nur für Frauen war schon 1849 in Hamburg gegründet worden – aber in den Jahren der Reaction mußte auch sie wieder verschwinden, wie Alles was dem Fortschritt huldigte und von Männern und Frauen des Fortschritts gegründet worden war.

Dafür sind wenigstens aller Orten Lehrerinnenseminare entstanden und diejenigen Mädchen, welche sich dem Lehrstande widmen, haben nicht mehr nöthig nur Gouvernantenstellen anzunehmen, um darin zu wirken, sie werden fast in allen deutschen Staaten zum Examen zugelassen und nicht nur an Privat- sondern auch an städtischen Schulen angestellt. In Mädchenschulen den Unterricht von Frauen, welche die nöthige Befähigung besitzen, ertheilen zu lassen, stellt sich allgemein als zweckmäßiger heraus und voraussichtlich wird die ganze Angelegenheit noch diese Wendung nehmen. Da die Schullehrer bekanntlich fast überall so schlecht gestellt sind, daß ein Mann meist in jeder andern Branche bessere Aussichten für die Zukunft hat, so widmen sich, seit dem letzten Jahrzehent namentlich, viel weniger Jünglinge diesem Berufe, als Lehrer gebraucht werden und man wird bei der Verbesserung und Verallgemeinerung des Unterrichts in Zukunft immer noch mehr brauchen und so kommt hier die Nothwendigkeit den Frauen zu Hilfe: der Staat sieht sich, gleich den Privatanstalten, genöthigt Frauen anzustellen, weil die Männer nicht ausreichen. – So wie es bisher nur Lehrerinnen in weiblichen Arbeiten, Sprachen, Musik und Malerei gab, so wird es bald eben so viel Schullehrerinnen geben und wenn dadurch die Concurrenz der ersteren vermindert wird, so kann sich auch deren Lage besser gestalten als es jetzt der Fall ist.

Durch Gründung der Kindergärten ist ferner unzähligen Frauen ein passender Wirkungskreis eröffnet worden. Wie der Gründer derselben Friedrich Fröbel dieser wichtigen Angelegenheit die Thatkraft[98] und Begeisterung eines ganzen Lebens widmete, so ward sie mit gleicher Begeisterung von seinen Schülerinnen aufgenommen und verbreitet. Da es vorzüglich die deutsch-katholischen Gemeinden waren, die diese Angelegenheit zuerst mit zu der ihrigen machten und Fröbel's ganzes System darauf beruht, die Kinder zu gesunden und selbstdenkenden Wesen zu erziehen, so war es eben so naturgemäß, wenn die Kindergärten derjenigen Partei ein Dorn im Auge waren, der nichts so verhaßt ist, als wenn die Zahl der Selbstdenker unter den Staatsbürgern sich mehrt. Diese Partei bot demnach Alles auf, die Kindergärten zu hemmen und zu unterdrücken und wir hatten das erhabene Schauspiel eines Kampfes der Ultramontanen und Genossen mit Kindern und schutzlosen Frauen. Die Kindergärtnerinnen jener Reactionsperiode haben in der That ein Märtyrerthum durchgemacht, das dem vieler um ihrer Gesinnung verfolgter Männer jener Zeit vollkommen ebenbürtig ist. Die Kindergärten wurden polizeilich verboten und die Vorsteherinnen derselben sahen sich plötzlich ohne Existenz; auch diejenigen, welche durch Unterricht und Vorträge Kindergärtnerinnen bildeten, mußten aufhören zu lehren und es fehlte nicht an Maßregelungen der mannigfaltigsten Art. Aber es ist auch damit gegangen wie mit andern Hemmungen des Fortschritts: – jetzt giebt es an unzähligen Orten Kindergärten und bald wird es keine Stadt und kein Städtchen mehr ohne einen solchen geben, ja, der Fortschritt wird dadurch noch größer, als man auch an die Kleinkinderbewahranstalten Kindergärtnerinnen als Lehrerinnen beruft. Dies ist gewiß ein Wirkungskreis, der kein Mädchen ihrer »natürlichen Bestimmung« entfremdet. Eine Kindergärtnerin wird, wenn sie selbst Gattin und Mutter wird, auch die beste Erzieherin und Behüterin eigener Kinder sein. Sie kann auch verheirathet noch dem Berufe der Leitung eines Kindergartens vorstehen, wenn sie noch eine oder ein paar Kindergärtnerinnen zur Seite hat – oder sollte ihr Mann andere Anforderungen an sie machen und sie es vorziehen diese Ausübung ihres Berufes aufzugeben, so weiß sie doch, sie kann ihn wieder aufnehmen und dadurch sich und ihre Kinder erhalten, wenn ihr Mann es einmal nicht mehr vermögen sollte. –

Wie es schon jetzt in vielen Geschäften Ladenmädchen und[99] Verkäuferinnen giebt und wie es sich in den Artikeln für Frauen, den Modemagazinen, Schnittgewölben u.s.w. kaum anders geziemt, so gestattet die Gewerbefreiheit, die ja nun fast überall in Deutschland eingeführt, den Frauen auch selbstständig Geschäfte zu eröffnen und zu führen. In Leipzig ist eine Handelsschule für Mädchen gegründet worden, in der sie nach einem zweijährigen Cursus und glücklich bestandenem Examen so weit befähigt entlassen werden, um nun Stellen nicht nur als Verkäuferinnen, sondern auch als Buchführerinnen, Correspondentinnen u.s.w. in jedem Comptoir übernehmen zu können. Sich kaufmännisch auszubilden ist auch für die Mädchen wichtig, denen die Verhältnisse diesen Beruf nahe legen; so z.B.: ihre Eltern haben ein Geschäft, so kann ihnen die Tochter den Commis ersparen, kann es nach deren Tod selbst übernehmen oder wenn sie sich wieder an einen Kaufmann verheirathet, ihm im Geschäft beistehen, besser natürlich als es schon sonst bei den meisten kleineren Kaufleuten geschah, wo die Frau mithelfen mußte, ohne je etwas von dem gelernt zu haben, was plötzlich von ihr gefordert ward. Außerdem aber kann sie auch selbstständig, wenn sie allein steht und nur die nöthigen Mittel dazu hat, ein Geschäft begründen ohne fürchten zu müssen, daß sie nur das Geld dazu gebe und Andere den Vortheil hätten, wie es ja nur zu oft der Fall ist. Wenn Frau und Tochter mit im Geschäft des Mannes arbeiten und Alles übersehen können, so wird die Gefahr, durch fremde Buchhalter, Commis u.s.w. betrogen zu werden, sich sehr verringern – und wer weiß, ob nicht auch die Zahl der leichtsinnigen Banquerotte kleiner wird! Frauen nehmen es in der Regel mit den Ausgaben genauer als Männer und wenn es auch oft bei dem Ruin eines Geschäftsmannes heißt: die Verschwendung der Frau sei daran schuld! – so üben die meisten Frauen diese allerdings nur zu oft vorkommende Verschwendung doch erst dann, wenn sie denken, daß sie ein Recht dazu haben, d.h. wenn sie der Mann in den süßen Traum wiegt oder darin erhält, daß sein Geschäft so viel einbringe um diese großen Ausgaben zu gestatten – sieht die Frau aber, selbst im Geschäft mithelfend und sich auf die Bücher verstehend, wie das Soll und Haben wirklich beschaffen ist, so wird jede nicht ganz verdorbene[100] sich gern danach richten. – Eine Oekonomieschule zur praktischen und höheren Ausbildung für Mädchen, die sich der Landwirthschaft widmen wollen, ist in Quedlinburg gegründet worden von einer Dame, die Mitglied des Allgem. deutsch. Frauenvereins ist.

In Frankreich sind die Frauen nicht nur schon längst in den Comptoiren der Kaufleute thätig, sondern auch in den Bureaus der Eisenbahnen, der Telegraphen und der Post. Jetzt endlich denkt man auch in Deutschland daran dies zu thun und namentlich gehen hier Sachsen und Würtemberg mit gutem Beispiel voran. Etwa seit Jahresfrist fordern die sächsischen Behörden die Mädchen zum Telegraphen- und Postdienst auf, sie haben einen Acceß und Examen zu machen gleich den Männern und werden dann angestellt; Telegraphistinnen giebt es schon viele, in Bezug auf die Post ist die Sache noch neuer. In Dresden ist bereits eine Lehranstalt gegründet worden, welche Mädchen zu diesen Fächern vorbereitet.

Dem Photographiren, auch dem Lithographiren und der Holzschneidekunst haben sich gleichfalls viele Frauen zugewendet und die Gewerbefreiheit öffnet, wie gesagt, jeden beliebigen Weg, einen Beruf zu ergreifen: – der Eintritt in das Handwerk ist ihnen nicht mehr verschlossen. Es kommt nur darauf an sich selbst zu entschließen etwas lernen zu wollen und das Vorurtheil zu überwinden. Die Fähigkeit wird sich zeigen und die Gelegenheit sich finden müssen.

Jedes Mädchen z.B. das einen Schuhmacher heirathet, richtet sich sofort in seine Arbeit ein und hilft ihm bei der Schuhmacherei, sie lernt es eben auch von selbst, da sie vorher vielleicht nie daran gedacht noch sich mit der gleichen beschäftigt hat – warum soll sie es nicht lernen und treiben schon als Mädchen zu ihrem eignen Erwerb? Schneidern und Frisiren für Damen ist nun vollends ein Gewerbe, das sich nicht für Männer ziemt, schon aus Schicklichkeitsrücksichten. Bäcker, Köche, Beutler sollten ebenfalls ihr Handwerk in weibliche Hände niederlegen, denn dergleichen Beschäftigungen sind eben »unmännlich,« nicht würdig des starken Geschlechtes. Sonst, als die Hausfrauen noch selbst das Brot bucken, Licht und Seife sotten, spannen und wirkten, gehörten ihnen diese Arbeiten, die später[101] Handwerk und Industrie ihnen abgenommen und sie sind vollständig berechtigt die alte Betheiligung daran zurückzufordern, nur so, daß sie jetzt nicht mehr im Hause, sondern außer ihm arbeiten, was die Fortschritte der Industrie in eine andere Werkstätte versetzten.

Industrieschulen für Mädchen würden wohl das beste Mittel sein, sie für das Handwerk zu bilden. Es ist hier wie bei dem Studium der Medicin: die Schwierigkeit liegt nur im Anfang – es müssen auf jedem Gebiet sich erst weibliche Winkelriede finden, die den Andern eine Gasse brechen und die feindlichen Speere nicht scheuen. Dann werden sich Werkstätten von Frauen finden, in denen wieder nur Mädchen ihre Lehrzeit durchmachen. Es ist Hoffnung vorhanden, daß der Frauenverein in Hamburg mit Gründung einer Industrieschule vorangehe.

Wie sich aber der meisten Handwerke die Fabrikindustrie bemächtigt hat, so dürfen auch die Frauen, auch die gebildeteren nichts Anstößiges mehr darin erblicken für Fabriken nicht nur zu Hause, sondern wo es erforderlich ist, auch in den Fabriken, selbst in geschlossenen Etablissements eine bestimmte Zahl Tagesstunden zu arbeiten. Nicht nur im industriellen Amerika thun dies die Frauen – Fabrikarbeiterinnen, die man »Lady's« nennt – die meist zu Wagen in die entfernte Fabrik geholt werden, wo man ihnen mit all der Achtung begegnet, die das weibliche Geschlecht überhaupt dort genießt – sondern auch in der benachbarten deutschen Schweiz verbindet man mit dem Begriffe: »Fabrikarbeiterin« nicht den einer armen und unwissenden Proletarierin, sondern man ehrt in ihnen selbstständige Jungfrauen, die Töchter guter Familien, die es für ehrenvoller halten, durch passende Arbeit sich ihre Existenz selbst zu sichern, als durch Nichtsthun ihren Angehörigen zur Last zu fallen. Und in der Schweiz hat bekanntlich trotz alledem das Familienleben nichts von seiner patriarchalischen Einfachheit und schönen Sitte eingebüßt – im Gegentheil: es ist gerade dadurch ein inniges und sittliches, weil es jedem Theile der Familie eine nutzenbringende Beschäftigung anweist und den träumerischen Müssiggang wie alles unpraktische Wesen aus seinem Kreis verbannt. –

In Leipzig besteht auch in einer großen Druckerei schon seit[102] Jahren ein Institut für Setzerinnen, die in einer von den Männern gesonderten Offizin arbeiten. –

Wir erwähnten schon einmal vorübergehend, wie unter den Fabrikarbeitern theilweise die Angst herrsche vor der Concurrenz der Frauen, wie es schon 1848 an manchen Orten geschehen, daß die Arbeiter die Frauen aus den Fabriken vertrieben. Neuerer Zeit hegt man da und dort ähnliche Gedanken, ja es ist – von den Lassalleanern – der Grundsatz aufgestellt worden: »die Lage der Frau kann nur verbessert werden durch die Lage des Mannes.« Dies ist der aller Gesittung und Humanität Hohn sprechende Grundsatz, den unsere ganze Anschauung und diese Schrift bekämpft. Gerade die Partei, die von »Staatshilfe« sich so viel verspricht, die das allgemeine Stimmrecht fordert, schließt von allen ihren Bestrebungen die Frauen aus – dadurch beweist sie, daß sie ihr Reich der Freiheit d.h. »die Herrschaft des vierten Standes« gründen will auf die Sclaverei der Frauen – denn wer nicht frei für sich erwerben darf, ist Sklave. Aber das ist Gott sei Dank nur der eine, der kleinere Theil der Arbeiter; der größere hat in der Arbeiterversammlung zu Stuttgart auch der Frauenarbeit das Wort geredet und später der Frauenconferenz zugestimmt; auch seine Organe, wie Arbeitgeber, Arbeiterzeitung u.s.w., sind auf der Seite der Frauenarbeit.

Und es ist unbegreiflich, wie Jemand mit sehenden Augen nicht auf dieser Seite sein kann! Selbst wenn man annehmen wollte: es entstände eine Concurrenz, es würden manche Männer weniger Arbeit und Verdienst haben als jetzt durch das Angebot weiblicher Arbeitskräfte – nun so bleibt es ja ganz gleich, ob Männer oder Frauen feiern und hungern: die Anforderung auf Brot haben sie doch mit einander unbestreitbar gemein! Und wenn die Männer nicht mehr nöthig haben für ihre Frauen, Töchter und Mütter Brot zu verschaffen, so haben ja gerade sie von der Einführung der Frauenarbeit den größten Vortheil – wie denn alle unsere Frauenbestrebungen ja gar nicht geschehen – wie auch ein Theil unsrer Gegner lächerlich behaupten will: in Feindschaft und als Kriegserklärung gegen die Männer, sondern umgekehrt: weil es jetzt nicht mehr möglich[103] ist, daß zwei Hände allein genug arbeiten und verdienen können, um ein ganzes Leben lang eine ganze Familie zu ernähren. Von diesem Druck, dem härtesten den es giebt, dem der Nahrungssorgen, von Verhältnissen, in denen es zum Verbrechen wird einmal Zeit und Kraft einem Unternehmen zu widmen, das vielleicht der ganzen Menschheit zu Gute kommt, gewiß aber der Familie nichts, oder doch vielleicht nichts einbringt – von diesem Drucke wollen wir die Männer so gut dadurch erlösen, wie wir uns selbst von dem Druck der Abhängigkeit erlösen wollen, indem wir eine naturgemäße Theilung der Arbeit fordern für Mann und Frau.

Der Mann, der arbeiten will, findet immer und überall eine Gelegenheit zu Arbeit und Verdienst – nur die Faulen, die Leichtsinnigen, Hochmüthigen und Lasterhaften sind es, die arbeitslos werden und dadurch in Schande und Elend versinken, im »Kampf um das Dasein« unterliegen. Es tritt auch Niemand zu ihnen und sagt: komm, Du brauchst nicht zu arbeiten und sollst es besser haben und mehr verdienen als wenn du arbeitest und Dein Leben hinbringst in Opfer und Entbehrung! So sagt Niemand zu dem Manne: aber zu dem Mädchen wird es tausendmal gesagt in feiner und roher Form, wird es gesagt von Männern, die nur unter der Herrschaft ihrer Sinnlichkeit stehen, wird es gesagt von alten Frauen, die selbst längst in den Abgrund der Schande versunken und verhärtet sind und von jungen Frauen, die eben noch im Rausch der Sünde lustig dahin leben – wird es gesagt vielleicht von den eignen Eltern!

Und so hören Tausende und aber Tausende auf diese Stimme und ergreifen das Mittel, das ja so leicht ergriffen ist! so geben sich die Einen dem Manne hin, der sie mit Geschenken und Versprechungen kirrt und aus ihrer verlaßnen Lage in eine freundliche versetzt, so werfen sich die Andern dem scheußlichsten Gewerbe in die Arme, weil es das einzige war, das ihnen offen stand – und dann entsetzt man sich über den Verfall des weiblichen Geschlechts und macht es für ein verbrecherisches Leben verantwortlich, das alle heiligsten Naturgesetze mit Füßen tritt, die Heiligkeit der Familie untergräbt, für die Gesetzgeber selbst zu einem Problem wird, das noch keine befriedigende Lösung gefunden![104]

Und wen trifft die Schuld von diesem Verbrechen? – Die Sittenlosigkeit der Männer und der Frauen! antwortet man schnell und denkt damit wohl noch ein gerechtes Urtheil zu sprechen, weil man die Männer nicht ganz frei davon spricht.

Aber wen trifft die Schuld dieser Sittenlosigkeit? Nicht allein die Einzelnen, die ihr erliegen – diese Schuld haben alle die Männer und Frauen, auch die sittenreinsten, auf ihrem Gewissen, welche den Grundsatz festhalten: das Weib ist nur da um des Mannes willen, – alle die Männer und Frauen, welche ihre Töchter nicht so erziehen, daß sie sich selbst erhalten können, alle die Männer, welche den Frauen das Recht auf Erwerb durch ihre eigene Arbeit streitig machen, – alle die, welche sie zum Müssiggang verdammen, ihnen nicht die Mittel zur Bildung, zur Arbeit, zu einer selbstständigen Stellung im leben gewähren! Jene Schuld trifft auch den Staat, wenn er es zuläßt, daß den Frauen das Recht auf Erwerb verkümmert werde – und um von dieser großen Schuld der Zeiten wenigstens ein Sandkorn zu tilgen, habe ich diese Schrift geschrieben!

Quelle:
Louise Otto: Das Recht der Frauen auf Erwerb. Hamburg 1866, S. 94-105.
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