II. Häusliche Beschäftigungen

[198] Das Schlimmste, was der Kindheit und Jugend geschehen kann, ist wenn sie Mangel an Beschäftigung hat und wenn sie nicht gelernt, sich selbst zu beschäftigen.

Das gute alte Sprichwort, daß Müßiggang aller Laster Anfang, hat auch noch heute seine volle Geltung – und umgekehrt legt die Fähigkeit, sich nützlich und schön zu beschäftigen, nicht allein den Grundstein zu jeder Tugend, sondern auch zum eigenen Glück und zum Beglücken Anderer.

Es ist daher nur nöthig, diese Fähigkeit zu wecken und zu üben – so wird sie zur Gewohnheit und, wie man sich auszudrücken pflegt: zur andern Natur. Es gehört mit zum höchsten Lobe, das man einem Mädchen, einer Frau ertheilen kann, wenn man sagt: sie könne nicht müßig gehen. Freilich giebt es auch einen geschäftigen Müßiggang, der sich das Ansehen der Arbeit zu geben sucht, es demnach mit dem Schein, statt dem Sein zu thun hat und darum für die Umgebung oft noch lästiger ist, als der wirkliche Müßiggang. Auch vor diesem Zerrbilde der Arbeit sind Diejenigen bewahrt, die früh dazu angeleitet worden, sich nützlich zu beschäftigen.

Wenn wir absehen von dem, was die Schule und was die mehr und mehr sich auch für die Mädchen als nöthig herausstellende Berufsbildung außer dem Hause erheischt, so lenken wir unsere Blicke gerade auf die häuslichen Beschäftigungen, nicht etwa, weil wir der täglich mehr und mehr veraltenden Ansicht huldigten, welche die Mädchen auf das Haus beschränkt wissen und sie aus jedem Wirkungskreise, der sie über dessen Schwelle hinausführt, verbannen möchte, sondern vielmehr, weil wir überzeugt[198] sind, daß bald mindestens die Hälfte derselben einen solchen verlangen und erlangen wird und damit jene Harmonie des ganzen Menschenlebens vorbereiten, der wir schon im Eingang als eines Weltgesetzes gedachten.

Damit aber diese Harmonie wirklich erreicht und gewahrt werde, ist es nöthig, daß sie jedes einzelne Wesen zunächst für sich selbst und seine Umgebung wahre, mit ihr sich im Einklang befinde und sich nicht einbilde, einen großen Kreis würdig zu erreichen, wenn der nächste kleine, in den wir gestellt sind, verschoben und verzerrt worden. Um noch deutlicher zu reden: wir halten das Haus und die Familie für die stille Pflanzstätte alles gedeihlichen und segensreichen Waltens, wie weit es sich auch über die Grenzen desselben erstrecken möge, und wir halten es darum für die erste Pflicht aller Frauen, zuerst das Haus sich und Andern angenehm zu machen, und finden, daß dies gar wohl zu erreichen ist in den meisten Verhältnissen, ohne deshalb selbst im Hause zu verkümmern oder über seinen kleinen Anforderungen die größeren des Lebens draußen, die sich doch immer wieder darauf zurückbeziehen, zu verabsäumen.

Lieb aber kann das Haus nur Denen sein, welche gelernt haben, sich in ihm zu beschäftigen und es sich selbst schön und traulich zu gestalten.

So muß denn vor Allem im Mädchen die Geschicklichkeit gepflegt und hierzu der Sinn für Häuslichkeit geweckt werden. Das Beste hierzu thut freilich immer das Beispiel der Mutter. Alle mit Worten gegebenen guten Lehren, mögen sie aus dem Munde der Eltern oder Anderer kommen, oder aus Büchern herausgelesen werden, nützen wenig im Vergleich zu dem, was Beispiel und[199] Gewöhnung thun. Eine Mutter, die auf Ordnung und Schönheit in ihren Räumen hält und gleichviel, ob dieselben, je nach den Verhältnissen, elegant oder einfach eingerichtet sein mögen, keine Unsauberkeit und kein Stäubchen darin duldet, sondern selbst mit Hand anlegt, dieselben zu vertilgen, wird auch ihren Töchtern, ohne große Rede darüber zu halten, denselben Sinn einpflanzen und sie nicht allein dahin bringen, daß sie sich mit ihr den gleichen Beschäftigungen, welche dazu dienen, das Haus wohnlich und angenehm zu machen, unterziehen, sie nicht gering achten, sondern um ihrer Resultate willen liebgewinnen.

Leider freilich kommt es häufig vor, das manche Mütter, weil ihre Töchter mehr lernen müssen, als sie selbst gelernt, oder vielleicht auch nur aus einer affenartigen Mutterliebe, die dem lieben Töchterchen nicht zu viel zumuthen will, oder aus mütterlicher Eitelkeit, die es nur zur Salondame zu verziehen und so zu glänzen sucht, – lieber selbst alle häuslichen Arbeiten verrichten, als sich von ihren Töchtern darin beistehen lassen, sie selbst verwöhnen und verzärteln, oder jenen thörichten Hochmuth in ihnen nicht bekämpfen, der sich einbildet, die Hand, welche Piano spielt oder den Pinsel führt, werde verdorben, wenn sie einmal Feuer anmache; oder der Kopf, der sich mit wissenschaftlichen Studien beschäftigt, sei nun mit zu erhabenen Gedanken erfüllt, um noch die Unordnung eines Zimmers zu bemerken; oder die Phantasie die sich bis zum Dichten versteige, dürfe nun nicht von den Alltagsbedürfnissen des Lebens in Anspruch genommen werden.

Es ist nothwendig, solche verkehrte Ansichten zu berichtigen und ihre ganze Hohlheit nachzuweisen.

Der wahre Sinn für das Schöne, der besonders in[200] den Mädchen gepflegt werden muß, zeigt sich nicht nur darin, daß man Geschmack beweist, in der Art sich zu kleiden und einzurichten oder daß man Sinn für die Kunst hat, oder selbst in der einen oder andern dilettirt: sondern er zeigt sich in der Harmonie, die uns umgiebt, deren Grundsatz die Ordnung, deren erstes Erforderniß das Maßhalten ist; er zeigt sich darin, daß wir auch mit den einfachsten Mitteln diesen Eindruck der Schönheit hervorzubringen wissen und daß wir unser Verständniß des Schönen in Allem, was wir selbst thun und schaffen, in unserm Haushalt, unsern Handarbeiten, die einfachsten nicht ausgenommen, offenbaren. Es ist um unsern ästhetischen Sinn sehr schlecht bestellt, wenn wir ihn nur durch Eleganz und Luxus offenbaren zu können glauben, und sehr schlecht auch um unsern poetischen, wenn wir ihn nur in der Schwärmerei für Gedichte oder durch eigene zu bewähren wissen, ihn aber nicht so in uns selbst aufgenommen haben, daß er uns auch die prosaischsten Arbeiten des Alltagslebens verkläre.

In unserer Zeit, wo der Luxus eine schwindelhafte und zum Schwindel führende Höhe erreicht, wo – und dies ist berechtigt – die Arbeitslöhne wie auch die Löhne der weiblichen dienenden Classe immer höher steigen, ist es besonders wichtig, daß die Töchter des Hauses, besonders dann, wenn sie sich nicht zu einem speciellen Erwerbs- und Fachberuf bestimmen, im Hause selbst mit einzugreifen, sich selbst zu bedienen und ihre Toilettenbedürfnisse zum größern Theil sich selbst anzufertigen verstehen. Nahm, wie wir schon erwähnten in früherer Zeit das Wäschenähen mehr als jetzt – wo die Nähmaschine, diese Arbeit verkürzt – die weibliche Thätigkeit in Anspruch, so[201] ist es jetzt wünschenswerth, daß die Mädchen ihren Putz und ihre Kleider selbst verfertigen, daß sie wenigstens verstehen, was ihnen auch später in den verschiedensten Lebensverhältnissen die besten Dienste leisten wird. Die Muster- und Modezeitungen ermöglichen ja auch den in die kleinste Stadt oder das entlegenste Dorf Verschlagenen, immer die nöthigen Schnitte zu haben. Damit wollen wir nicht etwa der Modenarrheit und dem steten Beschäftigen mit der eigenen Toilette das Wort reden, im Gegentheil: wir hoffen, wer sich Alles selbst arbeitet, wird den unnützen, mühevollen Firlefanz am ehesten weglassen, halten es aber jedenfalls für besser, wenn die eigene Arbeit die großen Putz- und Schneiderrechnungenun möglich macht, als wenn sie an unnützen und kostspieligen Stickereien sich erschöpft. Zu Geschenken für Weihnachts- und Geburtstagsfeier schätzen wir auch diese nicht gering, doch die Uebertreibung darin, das stete Beschäftigtsein damit, das meist in Spielerei ausartet, erachten wir als Zeit- und Geldverschwendung.

Was wir aber bei den häuslichen Beschäftigungen am meisten im Auge haben, ist nicht allein ihre ökonomische Ersparniß, sondern der Wunsch, daß jede Tochter es verstehe, sich selbst und Andern das Haus angenehm und wohnlich zu machen, daß jedes weibliche Wesen im Hause sich am wohlsten fühle, am liebsten immer wieder dahin zurückkehre, daß es im Hause sich nicht langeweile, vielmehr gerade ihm die liebsten und schönsten Stunden danke.

Wenn wir die Frauen auch erwerbsfähig und selbstständig machen, jede Bildungsstätte der Kunst und Wissenschaft ihnen öffnen wollen, so hindert uns das Alles nicht,[202] das Haus als die Stätte zu erklären, die durch das Walten der Frauen so bereitet und geordnet sein soll, daß sie ihnen und durch sie auch den Männern die Stätte sei, in der sie nicht nur am liebsten ausruhen von allen Anstrengungen, Kämpfen und Stürmen des Lebens draußen, sondern in der sie sich dazu vorbereiten und in der Gemüthlichkeit der Häuslichkeit sich die Kraft, die Weihe dazu holen. Gerade diejenigen Mädchen die genöthigt sind, sei es noch als Lernende oder schon Ausübende eines Berufes, sei es als Lehrerin, Künstlerin, in einem Geschäft u.s.w., den größten Theil des Tages außer dem Hause zuzubringen, bedürfen dann der geordneten Häuslichkeit, eines traulichen Daheim und wenn sie von der eigenen Familie losgerissen sind, so ist es für sie ein doppelter Segen, wenn sie gelernt haben, auch allein »in ihren vier Pfählen«, wie man es gern ausdrückt, mögen dieselben auch noch so eng gesteckt oder mögen sie freundlich erweitert sein, sich glücklich zu fühlen, und sie werden dies um so mehr, je mehr sie gelernt haben, in den häuslichen Beschäftigungen zu ihren andern, vielleicht gelehrten und aufregenden, ein gutes Gegengewicht zu finden, und als sie dadurch selbst gelernt, ihr kleines Daheim auch mit kleinen Mitteln sich behaglich zu gestalten.

Quelle:
Louise Otto: Frauenleben im Deutschen Reich: Erinnerungen aus der Vergangenheit mit Hinweis auf Gegenwart und Zukunft, Leipzig 1876, S. 198-203.
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