Zukunftshoffnungen

[249] Obwohl die alten Germanen bei den Frauen, wenigstens bei den Priesterinnen, Prophetengaben voraussetzten und obwohl Viele der Neueren, die, zwar nicht einmal mehr den Thieren, aber doch den Frauen immer noch »Instinkt« zuschreiben und sie also damit noch unter das Thier classifizieren, dennoch aber glauben ihnen damit eine Schmeichelei zu sagen und sie mit einem schnell zu Ruf gelangten Philosophen durch die ihnen zuerkannte »Unbewußtheit« zugleich scheinbar erheben, in Wahrheit aber erniedrigen – so bin ich doch weit davon entfernt, für mich selbst Prophetengabe in Anspruch nehmen zu wollen.

Auch weiß ich: Jede geistige Weissagung erblaßt ihrer Erfüllung gegenüber. Was Einzelne des vorangegangenen Geschlechts, sei es in logischer Schlußfolgerung, sei es ahnungsvoll hier und da mit kühnen Worten aufgestellt, das wird immer von den Fortschritten der Zeit überholt. Kaum begreift dann noch Jemand, wie man einst leben konnte, ohne diese oder jene Einrichtung, Erfindung, Berechtigung, viel weniger aber glaubt man, daß Diejenigen, welche die Einführung dieses oder jenes Fortschrittes befürworteten, hofften, an ihn glaubten, ihn prophezeiten, wie man es nennen will, von ihren Zeitgenossen, wenn nicht zu Märtyrern ihrer Ueberzeugung gemacht, dafür belächelt, als schwärmerische,[249] sanguinische, überspannte oder leichtgläubige Köpfe bezeichnet wurden – je nachdem.

Man will behaupten das Alter mache conservativ, reactionair, es sei dem Fortschritt und dem Neuen feindlich, leugne daß es mit der Menschheit vorwärts gehe, verliere den Glauben an sie –: ich meinerseits finde je älter man wird, je öfter ist Einem ja der Glaube schon, – es mit einer Alltagsredensart zu bezeichnen – in die Hände gekommen: daß es vorwärts geht, trotz aller Hemmungen, daß möglich wird, was unmöglich schien und aus dem Wunderbaren ein Alltägliches.

Wir brauchen uns doch nur daran zu erinnern, welche Umwandlungen wir selbst erlebt haben – und dazu sollten meine Blicke in eine selbsterlebte Vergangenheit anregen.

Wer vor funfzig bis sechzig Jahren gesagt hätte, daß jedes Kind mittelst eines kleinen Hölzchens Licht machen könne, hätte nur Gelächter hervorgerufen.

Wer vor dreißig bis vierzig Jahren beim Anblick der ersten Locomotive und des ersten Schraubendampfers die Behauptung aufgestellt, daß man mit beiden werde bald in achtzig bis neunzig Tagen um die Erde fahren können, hätte für einen Witzbold gegolten. Vergnügungsreisen von Damen ohne männlichen Schutz kamen nur. als Ausnahmen vor.

Wer vor zwanzig bis dreißig Jahren gesagt, daß in unsern Wohnungen das Wasser in jede Etage gewissermassen »von allein« heraufkomme und kein Dienstmädchen es mehr heraufzutragen brauche, daß wir kochen könnten bei Gas und Petroleum, ohne Holz und Kohlen u.s.w.,[250] dem hätte man nachgesagt, daß er Märchen aus dem Schlaraffenland erzähle. –

Wer vor zehn und zwanzig Jahren an die Stelle der zierlichen Nähtischchens eine Nähmaschine setzte, eine Waschmaschine in das Waschhaus, ward dafür mit Achselzucken betrachtet –

Es sind dies Reformen, Revolutionen auf wirthschaftlichem Gebiet, die unzählige kleinere und größere im Gefolge haben und – so geht es weiter – immer weiter!

Die Veränderungen in unsern Häusern und Küchen mußten Veränderungen im ganzen Frauenleben herbeiführen, die Arbeitskraft, die für die Familie überflüssig geworden, muß sich darum andere Gebiete suchen.

Daß Mädchen turnen, schwimmen, schlittschuhlaufen lernten, wäre vor dreißig Jahren noch Niemanden im Traume eingefallen, das blieb den Knaben und Männern überlassen. Ueberhaupt mußten die Mädchen hübsch zu Hause und fern von solchen Leibesübungen bleiben, sie galten für unweiblich, der Grazie und Anmuth schädlich. Nur zu tanzen, in Tanzstunden und dann auf Bällen ganze Nächte hindurch, war erlaubt. Dort war auch jede Freiheit des Verkehrs zwischen Mädchen und Männern gestattet – sie durften, und dürfen noch heute sich von ihnen umfassen und im heißen Wirbel athemlos drehen lassen – aber mit Männern im Verkehr des Geschäftslebens oder des Reiselebens ohne eine Aufsicht zusammenzutreffen, ließ die Mädchen erröthen und galt mindestens bei einer gewissen Sorte von Männern als gute Gelegenheit, wo nicht als Aufforderung sich gegen sie Alles erlauben zu dürfen. Wer da gesagt hätte, daß in Geschäften,[251] auf Büreaus u.s.w. auch junge Mädchen und Männer zusammenarbeiten würden, ohne zarte Interessen oder sinnliche Aufregungen damit zu verbinden und wenn nicht die Moral doch die Schicklichkeit zu verletzen – der wäre über seine Begriffe von Sitte und Sittlichkeit schon arg verketzert worden.

Noch vor zehn und zwölf Jahren, als wir den ersten deutschen Frauentag hielten, galt eine öffentliche von Frauen geleitete Versammlung als ein kühnes Unternehmen, das man gern als komisch bezeichnet hätte – wäre es nur nicht so würdig und bei jeder Wiederholung würdiger ausgefallen, sodaß jetzt auch dergleichen nichts Außergewöhnliches mehr ist.

War es ein Ereigniß als etwa vor dreißig Jahren die ersten Lehrerinnenseminare gegründet wurden und ein zweites als man dann Lehrerinnen, die bisher nur an Privatanstalten oder in Familien gewirkt hatten, auch seitens des Staates und der Städte anstellte an öffentlichen Schulen, noch ein andres Ereigniß, als man »höhere Töchterschulen« und für diese wieder Fortbildungsclassen bis zum 18. Jahre gründete – warum sollte es da nicht wahrscheinlich sein, daß es einmal auch eine gleiche Zahl von Lehrerinnen wie Lehrern geben wird und zwar in allen weiblichen Schulen und daß sie nach ihren Leistungen auch den Lehrern vollständig gleichgestellt werden? Warum sollte der Staat nicht auch für seine Töchter gleiche Bildungsanstalten gründen, wie für seine Söhne ähnlich den jetzigen Gymnasien und Universitäten – natürlich mit andern, nicht allein der Weiblichkeit, sondern überhaupt den Fortschritten der Zukunft mehr entsprechenden Einrichtungen – denn wenn wir uns auch hier nicht[252] weiter darauf einlassen können, gehört doch auch eine Umgestaltung dieser höheren Bildungsanstalten mit zu den brennenden Tagesfragen.

Wenn es jetzt schon einzelnen Frauen gelungen ist, akademische Bildung und Doctorenwürde zu erlangen – warum sollte es nicht einst vielen gelingen und schließlich Alles darauf eingerichtet werden, daß es ihnen gelingen könne? Wenn es schon jetzt einige weibliche Aerzte giebt, welche ihren männlichen Collegen Achtung abnöthigen und nicht hinter ihnen zurückstehen – warum sollte es nicht einmal so viele geben, daß keine Frau mehr nöthig hätte, sich von einem Manne behandeln zu lassen und daß diese Überwindung des natürlichen weiblichen Schamgefühls nie mehr gefordert und wo sie noch vorkäme als »unverschämt« bezeichnet würde, weil sie nicht mehr wie jetzt eine Nothwendigkeit wäre? Warum sollte es nicht dahin kommen, daß auch an den höchsten Bildungsanstalten Frauen für Frauen neben den Männern lehrten und vortrügen, damit auch hierbei jede jetzt noch unausbleibliche Verletzung des weiblichen Zart- und Scham- und Schicklichkeitsgefühles wegfiele? Ob dann in dieser Zukunft die Frauen Doctoren und Professoren hießen oder nicht, das ist sehr gleichgültig, sobald sie nur dieselbe Gelegenheit hatten, ihre Fähigkeiten zu entwickeln, wie die Männer und dieselben Rechte, sie auszuüben, so ist das Ziel, das uns vorschwebt ja erreicht.

Ich habe in diesem ganzen Buche der politischen Zustände wenig gedacht – Erinnerungen selbsterlebter politischer Zustände und Kämpfe zu schreiben – dazu hätte der enge Raum dieses Buches nicht ausgereicht und ich habe sie auch darum hier nicht eingeflochten, um[253] diesem Buch nicht eine andere Parteifarbe zu geben als die einer weiblichen Fortschrittspartei: Denn so sonderbar es ist: diese Partei hat unter allen politischen und socialistischen Parteien ihre Freunde und ihre Gegner und das ist vielleicht auch ein Beweis dafür, daß sie eben die größte Reformfrage der Zeit ist und daß sie auf jenem reinmenschlichem Gebiete der alles besiegenden Humanität steht, deren Herrschaft zuletzt doch das ersehnte Endziel Aller ist, die nicht aus selbstsüchtigen Nebenzwecken in den Dienst irgend einer Partei sich begeben haben.

Dies Ziel muß dasselbe sein, wenn auch die Wege verschieden sind: das Ziel ist die Harmonie der Mensch-heit und diese ist so lange nicht hergestellt, so lange noch ein Mensch daran gesetzlich oder gesellschaftlich gehindert ist, sich selbst mit sich und seiner Umgebung in Harmonie zu setzen und er ist daran gehindert, so lange es ihm nicht möglich oder doch von andern Menschen erschwert wird, sich selbst und seine Fähigkeiten zu entfalten und zu benutzen im Interesse seiner selbst in freier Selbstbestimmung, wie des Allgemeinen in freiwilliger Unterordnung und Hingebung.

So soll denn auch hier mit dem Blick in die Zukunft auf dem politischen und humanen Gebiet kein specielles politisches Glaubensbekenntniß aufgestellt werden und nur einige der Verse aus dem »Schlußgesang« meiner »Lieder eines deutschen Mädchens« führe ich an, die 1847 erschienen und der also noch »vormärzlich« gedichtet und gedruckt war – also auch eine Prophezeihung, die vor fast 30 Jahren ein junges Mädchen wagte – noch heute gern wiederholt:
[254]

Einst wird's geschehn! es wird ein Tag erscheinen,

Wo alle Völker frei und stolz sich heben,

Zu gleichem Ruf, zu gleichem Thun sich einen:

Sei jedem Volk sein heilig Recht gegeben!

Das Recht der Sprachen und der heimschen Sitten

Wie sie die Weltgeschichte Jedem lehrt,

Nichts Fremdes sei im Vaterland gelitten!

Doch auch kein Thun, das nicht die Menschheit ehrt.

Ein heilig Erbtheil von Natur empfangen

Sei jeglichem die eigne Nation:

Wohl mögen herrlich ihre Säulen prangen

Doch hat die Menschheit einen höhern Thron

Vor diesen Thron soll'n sich die Völker neigen,

Als Brüder, Schwestern sich die Hände reichen.

Das ist der Menschheit neu errungnes Eden,

Das Reich des Herrn, um das wir täglich beten.


Ich weiß, nicht werd ich diesen Tag erleben

Wo zu der Liebe kehrt sich jeder Sinn,

Wo sich ihr Reich alleinig wird erheben,

Doch fühl ich mich als dessen Bürgerin.

Dem Reich der Liebe will ich Bürger werben,

Als Priesterin ihm leben und ihm sterben!


Bis jetzt hat sich diese Prophezeihung erst im Interesse unsrer deutschen Nation erfüllt! Und wenn wir vor und in und nach jener begeisterungsvollen Märzerhebung mit all unsern Denken und Thun eingetreten sind für die deutsche Einheit und Freiheit und jetzt doch die ersten errungen sehen, unser deutsches Vaterland einig und groß und mindestens von römischer Herrschaft sich frei machend: so ist das auch wieder unendlich mehr, als damals der[255] größere Theil unsrer Zeitgenossen für erreichbar hielt und wofür ein anderer Theil zu Märtyrern ward in Kerkern, in Verbannung, durch Pulver und Blei. – Wer es in den Zeiten der schmachvollen Neaction von 1850 – 1860 (man kann sagen: die große Schillerfeier vom November 1859 ward zum segensreichen Wendepunkt, wo die Nation an ihrem Dichter sich begeisternd, wieder an ideale Ziele glauben und danach ringen lernte) gesagt hätte, daß nach aber zehn Jahren Deutschland ein einziges Reich sein würde verbunden mit Elsaß-Lothringen, ein Reich mit einem Reichstag mit einer Heeresführung, mit Freizügigkeit und ohne Paß- und ähnliche Quälereien, ein Staat der die Kirche überwunden, der die Klöster aufgehoben, die Jesuiten verjagt, die er erst gern gehegt, Roms Macht gebrochen, auf die er sich erst so lange gestützt, die Civilehe geboten, die ihm erst als unchristlich, als Concubinat gegolten – wer das prophezeiht hätte: was anders wäre ihm als Antwort geworden als Hohngelächter, oder auch, je nach der Form der Prophezeiung, den Hochverrathsprozeß mit Gefängniß?

So haben sich die Zeiten geändert! So ermuthigen sie uns an neue Aenderungen zu glauben, neuen Prophezeiungen zu lauschen – oder sie auch selbst auszusprechen. Die Weissagungen der Einheit Deutschlands, eines einigen deutschen Reichs und stolzen Glanzes seines Namens sind verblaßt der Erfüllung der Gegenwart gegenüber – warum soll, ja muß es nicht mit andern auf das Princip stetigen Fortschreitens zu den höchsten Zielen menschlicher und menschheitlicher Vollendung gegründeten eben so ergehen?

Ein auf die Spitze des Schwertes gestellter Friede,[256] ein Volk in Waffen, ein Volk, das zumeist nach Gewinn und Genuß trachtet und dessen eine Hälfte ausgeschlossen ist von den meisten Bildungsmitteln und bürgerlichen Rechten –: das alles sind doch keine Zustände, welche dem Ideal von der Harmonie der Menschheit entsprechen – und darum haben sie keinen Anspruch auf eine ewige, nicht einmal auf eine lange Dauer.

Warum sollen wir da nicht prophezeihen können, daß eine Zeit kommt, wo die ganze unselige und unmenschliche Kriegswirthschaft aufhört mit all ihrer Barberei und all ihrem Jammer? wo die Völker friedlich nebeneinander wohnen und wo etwaige Streitigkeiten, die bei der Unvollkommenheit der menschlichen Natur, ja wohl auch bei fortschreitender Civilisation noch immer vorkommen können, durch Völkerschiedsgerichte, nicht aber durch das rohe Faustrecht entschieden werden?

Hat bisher die Weltgeschichte gezeigt, wie weit oder vielmehr wie wenig weit es die Menschheit gebracht hat in ihrer Entwickelung, ins besondere in der Entwickelung Allen zu Gute kommender humaner Zustände, ohne die selbstbewußte und gesetzliche Mitwirkung der Frauen –: warum sollte nicht einmal der Versuch gemacht werden zu sehen: wie weit man mit ihr komme?

Aber es handelt sich gar nicht einmal mehr dieses Versuches und dieses Zieles willen um die Beachtung und Mitwirkung der Frauen – es handelt sich darum ganz einfach im Namen ihres Menschenrechtes.

Was kann uns denn den obigen Erfahrungen gegenüber das Achselzucken und Hohngelächter noch sonderlich kümmern, mit dem uns vielleicht jetzt geantwortet wird, wenn wir ganz ruhig und fest unsere Überzeugung dahin[257] aussprechen, daß, und vielleicht nicht gar so fern, als man glaubt, eine Zeit vor uns liegt in welcher man es gar nicht mehr für möglich halten wird, daß man einst vom »Volk« gesprochen und »für das Volk« gearbeitet und sich gemüht, aber darunter nur die Männer verstanden hat? Wo man sich breit gemacht hat mit der Forderung und Ertheilung eines »allgemeinen Stimmrechtes«, wie der Ausdruck lautete, und doch die eine Hälfte des Volkes dabei hat leer ausgehen lassen, ja, sich gar nicht einmal nur die Mühe genommen hat wie bei andern Gesetzesparagraphen beizufügen: »Frauen und Minderjährige« sind ausgeschlossen! Es war dies ja eben »selbstverständlich.« Jetzt erst, wo man in England und Amerika schon lange um dieses Recht seitens der Frauen kämpft, im letzteren Lande es in einzelnen Staaten bereits errungen, im ersteren bei einer immer kleiner werdenden Minorität des Parlaments der betreffenden Bill gegenüber, jedenfalls bald erringen wird – jetzt erst wird es auch in Deutschland, aber natürlich nur mit aller möglichen Reserve hier und da einmal – aber noch lange nicht etwa in einer gesetzgebenden Versammlung zur Sprache gebracht. Die socialdemokratische Partei hat es mit in ihr Programm aufgenommen, aber unter allen andern Parteien sind es nur einzelne weitblickende und human gesinnte Männer, welche »eine Beleidigung des Jahrhunderts« darin erkennen, daß man die Frauen nicht gleichberechtigt neben die Männer stellt, aber noch steht in keinen ihrer Parteiprogramme dieser Satz. Natürlich! Es giebt eben noch der Männer so wenige, die ihn unterschreiben würden und darum schweigt man über eine Sache, welche die im Uebrigen einige Partei vielleicht decimiren würde. Wir[258] dürfen darüber nicht klagen, denn es ist dies auch die Taktik der für den weiblichen Fortschritt kämpfenden Frauenvereine. Auch sie setzten und setzen diese Frage noch nicht auf ihre Tagesordnung, um die nur für näher liegende Ziele mitwirkenden Frauen nicht zu beirren und andrerseits um erst Bildung, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit unter den Frauen so weit zu fördern, daß sie dann ganz von selbst den Muth und die Einsicht gewinnen werden, welche erforderlich sind, um auch politische Rechte sich selbst zu erkämpfen und die damit zusammenhängenden Pflichten in würdiger Weise auszuüben. Es wird auch hierbei von den Frauen nach demselben Grundsatz gehandelt, der eben durch die niederdrückenden Verhältnisse, unter denen sie gelebt in der Praxis sich eingeführt. Die Frau muß erst durch ihre Leistung und ihr ganzes Verhalten die Beweise beibringen, daß sie zur Uebernahme dieser oder jener Arbeit, dieser Pflicht und dieses Rechtes geeignet ist, was Alles beim Mann als selbstverständlich vorausgesetzt wird – leistet dann der Mann nicht, was er soll, so ist er mit seiner persönlichen Unfähigkeit dafür verantwortlich, bei der Frau aber kommt die persönliche Unfähigkeit auf Rechnung ihres ganzen Geschlechtes. Und daher die Angst und der Eifer und die Pflicht jeder Frau in einem selten von Frauen ergriffenem Fach auch gut zu bestehen, weil man sonst – freilich für sie selbst bequem genug! – sagen würde: es ist kein Fach für eine Frau. Es steht eben von diesen vorwärtsstrebenden Frauen keine für sich, sondern: Jede für Alle. –

Als jetzt, beim Kampf um die obligatorische Civilehe, Viele darin eine bedenkliche Neuerung sahen und viele Frauen besonders dieselbe für unchristlich nahmen und[259] Christenthum, Religion und Sitte dadurch beeinträchtigt wähnten, wurden sie meist beruhigt, wenn sie erfuhren, daß die kirchliche Einsegnung der Ehe in den ersten christlichen Zeiten nirgend stattfand, daß sie erst im achten Jahrhundert aufkam und es in Germanien noch viel länger währte, ehe sie für nöthig erachtet ward, ja, daß nicht einmal Luther sie unbedingt forderte. Sollte denn nun nicht die Forderung des Frauenstimmrechtes gerade in Deutschland um so berechtigter sein, wenn man erfährt, daß dies ein uraltgermanisches Recht war, das den Frauen nur im achten Jahrhundert entzogen ward und daß es nun nicht eben eine so ungeheuere Forderung ist, wenn die Frauen des neunzehnten Jahrhunderts nur wieder haben wollen, was sie bis vor tausend Jahren besaßen? Bei den alten Germanen waren die Frauen nicht allein Priesterinnen und Seherinnen und Schlachtenjungfrauen und als solche geehrt – auch jede Frau und Hausfrau hatte das Recht, in den Gemeindeverhandlungen mitzuerscheinen, mitzusprechen, mitzustimmen. Vor Allen durfte kein Krieg beschlossen werden, ohne Zustimmung der Frauen. Nicht aus Germanien –: aus Rom stammt der alberne Spruch, den man auf Latein uns immer vorgehalten: »Das Weib schweige in der Gemeinde.« Kann der noch uns fortgesetzt aufgetischt werden in den Zeiten des Culturkampfes? Es ist eine Beschimpfung deutscher Art und unsrer deutschen Vorfahren, wenn man es als modernes Gelüste bezeichnet, wenn einmal vom weiblichen Wahlrecht – und zwar vom activen, wie vom passiven die Rede ist. Denn auch vom letzteren weiß das deutsche Reich zu erzählen. Auf den deutschen Reichstagen hatte die gefürstete Aebtissin Sitz und Stimme[260] gleich dem gefürsteten Abt – und darunter litt die Würde der Versammlung am Wenigsten.

Vielleicht klingt es nun etwas weniger fremd – komisch oder gewagt, je nachdem man unsre »Prophezeiungen« aufnehmen will, wenn wir sagen, daß in Zukunft die Frauen wohl eine Stimme haben werden in der Gemeinde, der sie steuern, persönliche Betheiligung an allen den Dingen, die sie am nächsten angehen, wie in der Einrichtung und Beaufsichtigung und Führung von allen Anstalten für kleine Kinder, dann in den Mädchenschulen, in allen Rettungshäusern, Gefängnissen, Kranken- und Irrenhäusern, in denen sich weibliche Insassen befinden, bei der Armenpflege (wenn dieselbe in besseren Zeiten immer noch nöthig) u.s.w., kurz bei allen Anstalten, in denen weibliche Anordnung und Hilfe unbedingt natürlicher, sittlicher und entsprechender ist, als männliche Art und Weise. Und zwar dies Alles gerade deshalb, weil die Frauen der Zukunft nicht etwa sich befleißigen werden, das Thun der Männer nachzuahmen, sondern weil sie sich zu einer edlen Weiblichkeit durchgearbeitet haben werden, welche in der That bestimmt ist den Mann zu erheben, statt das, was man jetzt unter Weiblichkeit versteht sich nur zu oft als niederziehendes Bleigewicht an seine Füße hängt und sein Fortschreiten hemmt.

Und wie dann auch der Wahlmodus für spätere gesetzgebende und gesetzhütende Versammlungen sein mag, es wird kein anderer sein, als ein für Männer und Frauen ganz gleicher. Es wird wohl nicht allzulanger Zeit mehr bedürfen bis man den Frauen begreiflich gemacht hat, daß gerade je mehr es sich darum handelt ihre weibliche Würde in allen Punkten gewahrt zu sehen, sie auch[261] befähigt sein müssen, ihren weiblichen Ansichten, ihren weiblichen Willen zur gesetzlichen Geltung zu bringen neben dem männlichen, das allein ist eines auf die Principien des Menschheitsideals gegründeten Staates würdig. Wir sagen zur gesetzlichen Geltung, denn auf ungesetzliche Weise durch Beherrschung des Mannes mit den Mitteln der Heuchelei und Schmeichelei ihren Willen, besonders im persönlichen Interesse durchzusetzen, ist noch selten eine Frau in Verlegenheit gewesen. Dies letztre hat dann zu jenem unwürdigen Weiberregiment geführt, das von den schlechteren des Geschlechts geübt wird, die meist auch nur darum schlecht geworden, weil sie kein andres Mittel fanden, sich geltend zu machen – und dies Streben liegt so gut im Charakter des Weibes, wie in dem des Mannes.

Wie in den Gemeindeversammlungen werden in den gesetzgebenden Versammlungen Frauen neben den Männern tagen, je nachdem das Vertrauen ihrer Mitbürger und Mitbürgerinnen ihnen sich zuwendet. Verdienen sie dies nicht – nun so wird man sie nicht wählen!

Der von Frauen und neben den Männern beeinflußte Staat wird den Frauen gleiche Rechte und also auch gleiche Bildungsmittel gewähren, wie den Männern. In den höheren Schulen, mag man sie nun Gymnasien und Universitäten oder wie man sonst will, nennen, wird man solche Einrichtungen treffen, welche von Frauen für Frauen als die ersprießlichsten erachtet werden und so wenig, wie je Frauen sich unterfangen möchten zu sagen: so weit geht die Lern- und Leistungsfähigkeit des Mannes und nicht weiter, so wenig werden Frauen sich künftig das Gleiche von den Männern, ohne[262] vorhergegangene Probe vorschreiben lassen können. Darüber werden eben erst Versuche entscheiden, wie sie bisher noch niemals gemacht worden sind. – In jenen Lehranstalten werden dann eben in der Anatomie, wie in allen jenen Punkten, welche das weibliche Zart- und Schamgefühl verletzen, sobald sie von und vor Männern ihnen auseinandergesetzt werden, Frauen den Frauen vortragen und weibliche Aerzte werden das künftige Frauengeschlecht allein behandeln.

So wird es wohl auch weibliche Rechtsanwalte geben denen eine Frau sich ganz vertrauen kann, wenigstens in Ehesachen und mit ihren Mutterrechten – auch wo es sich um Vertheidigung ihrer Vergehen und Fehltritte handelt – und auch weibliche Geschworne werden mit unter Denen sein, die ihr Urtheil sprechen. Durch dies Alles werden Weiblichkeit und weibliche Würde ungleich besser gewahrt und ihnen Rechnung getragen sein, als jetzt, wo man die Frauen von allen diesen Aemtern ausschließt.

Alles, was wir von der Gegenwart fordern und von der Zukunft hoffen, fordern und hoffen wir nicht in der thörichten Voraussetzung, es bestehe kein Unterschied zwischen Frauen und Männern, nicht allein physisch, sondern auch psychisch, noch viel weniger fordern und hoffen wir es, damit das Weib die ihm endlich gegebene Freiheit gebrauche, sich der Familie und ihren Pflichten zu entziehen, sondern vielmehr, um dieselben um so reiner und treuer üben zu können. Wir fordern und hoffen eine solche höhere und vielseitigere Entwicklung des weiblichen Wirkens nicht allein im Inieresse der Frauen, sondern ebenso im Interesse[263] der Männer, des Volkes, des Vaterlandes, der ganzen Menschheit.

Wir sind überzeugt, daß, wenn den Frauen Gelegenheit gegeben wird, sich auszubilden und alle ihre Fähigkeiten zu entfalten in einem denselben entsprechenden Wirkungskreis und in der Möglichkeit sich selbst erhalten und ein nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft sein zu können, mit Einemmale sehr viel Noth, Unglück, Verbrechen aus der Welt geschafft sind und daß dadurch der weibliche Charakter von vielen der schlechten Eigenschaften gereinigt wird, die jetzt nur eine Folge der niederdrückenden Verhältnisse sind, unter welchen die Frauen auferzogen werden.

So lange man für die Frauen Liebe und Ehe nicht wie für den Mann als Verherrlichung und Vollendung des eignen Wesens betrachtet, sondern als den Hauptzweck ihres Daseins, die Liebe zum süßen Spiel, die Ehe zur Versorgungsanstalt entwürdigt – so lange nährt man in den Frauen nur Eitelkeit und Gefallsucht, Berechnung und Profanirung des heiligsten Gefühls. Sind ihre Interessen auf ernste Dinge gerichtet, sind sie sich bewußt, selbstständig ihren Weg durchs Leben gehen und für sich wie für Andere arbeitend leben, streben und nützen zu können – : so werden sie sich nicht in thörichter Sehnsucht nach Liebe verzehren und noch weniger in unwürdiger Weise nach einem Freier ausschauen und sich elend und unnütz fühlen, wenn derselbe ausbleibt – : aber ein solches Mädchen würde sich freudig hingeben an den Mann, mit dem es jede Sympathie vereint und es wird dies doppelten Werth haben. Doppelt schön ist eine Ehe, in der sich zwei gleichstehende, gleichberechtigte Wesen[264] in freier Wahl zusammenfinden, ohne berechnende Nebenabsichten und wenn Liebe und Seelensympathie den Bund geschlossen, wird ein gemeinsames Weiterstreben eine neue Quelle des Glückes für das Paar sein. / Gern wird ein liebendes Weib als ihre nächste Pflicht, die gegen ihre Familie betrachten und ein geistig hochstehendes wird sie, sei es gegen Eltern oder Kinder um so schöner erfüllen.

Die Familie wird um so herrlicher dastehen in der Zukunft als ihre Glieder nur durch Liebe, nicht durch den Zwang der Verhältnisse aufeinander angewiesen sind und nicht ein Theil von dem andern sich durch das Herkommen unterdrückt und übervortheilt sieht. Das Verhältniß der Geschlechter zu einander wird ein um so reineres und edleres werden, als sie nicht nur im geselligen Verkehr, wo Jeder bestrebt ist sich von der vortheilhaftesten Seite zu geben, sondern im gesellschaftlichen, im collegialischen, im politischen Verkehr des öffentlichen Lebens einander kennen lernen. Es wird sich dann nicht bei jeder Gelegenheit das erotische Element einmischen, wenn weibliche und männliche Seelen in Wissenschaft oder Kunst, in Politik oder Religion miteinander harmoniren, sich in ihrer geistigen Entwicklung gegenseitig fördern oder nach einem gemeinsamen Ziele streben und es wird auch das dazu beitragen, beide Geschlechter zu fördern und das Leben edler zu gestalten. Man wird dann auch nicht mehr begreifen, wie es einst eine Zeit gab, wo die meisten Männer die Frauen zu weiter nichts gut hielten, als zur Befriedigung ihrer Sinnlichkeit und die Mädchen theils selbst zitterten, wenn sie einmal einen Mann allein begegneten, theils sich verdächtigt sahen, wenn sie sich eifrig mit ihm unterhielten. Wie viel weniger Täuschungen aber wird[265] es in Liebe und Ehe geben, wenn beide Geschlechter einander besser kennen gelernt und wie viel ungesuchter und ungefälschter wird sich Seele zur Seele finden.

Nur gewinnen kann in der Zukunft das Leben in allen seinen Theilen! Das junge Mädchen verträumt die Zeit nicht mehr müssig, es hat seine Lern- und Vorbereitungsjahre, es macht sich nützlich und nur die Liebe führt es zum Traualter und damit in einen neuen Pflichtenkreis, mit dem es oft auch noch den früheren Beruf verbinden kann, wie der Mann den seinen. Die Hausfrau, die auf eine genützte Jugend zurückblicken kann, macht nun ihr Haus zum Tempel der Zufriedenheit und des Schönen, die Mutter erzieht ihre Kinder für das Vaterland und die Menschheit und pflegt jedes Ideal in ihnen – die Unvermählte, die Wittwe, die ältere Frau: sie alle sind nicht unbefriedigt; sie haben einen Wirkungskreis, entweder in einem Beruf, der sie zugleich ernährt oder doch in der Gemeinde, im Staatsleben. Unter allen Einwänden, welche man gegen die Betheiligung der Frauen, z.B. an den Wahlen und an sonstigen Gemeinde- oder politischen und sozialen Angelegenheiten vorbringt, ist nämlich der der allerlächerlichste: die Hausfrauen, die Mütter würden keine Zeit dazu finden! Als wenn nicht jetzt die bloßen geselligen Pflichten und Gewohnheiten, diese Besuche, Kaffees, Thees mit allen dazu nöthigen Toilettenkram gerade so viel Zeit in Anspruch nähmen und die Frau gewisser Stände noch weit mehr aus dem Hause führten, als dies auch die eifrigste Betheiligung am Gemeindeleben mit sich bringen würde! Diese Betheiligung macht sie noch außerdem zur Gefährtin des Gatten, jene entfremdet sie ihm eher.[266]

Doch, wir wollen uns den Blick in die Zukunft am Schluße unsres Buches nicht mit Eingehen auf solche Lächerlichkeiten trüben. Genug, daß wir wissen: Die Zukunft ist unser!

Wie sie sich gestalten, wie weit sie unsere Prophezeiungen erfüllen wird, wiebald oder wie spät, wer möchte es sagen wollen? Aber, wir wissen, daß, wo es sich um den Fortschritt der Menschheit handelt die Erfüllung jede Vorhersagung immer weit übertrifft. Darauf vertrauen auch wir!

Wie wenig auch bisher den Frauen Gelegenheit geboten ihre Fähigkeiten zu entfalten, wie noch seltner einzelnen vergönnt war, aus den Verborgenheiten des Wirkens im Familienkreis herauszutreten auf einen größeren Schauplatz, und wie immer nur von den Wenigsten auf sie Rücksicht genommen und ihrer gedacht ward: die Geschichte hat uns dennoch den Namen vieler Frauen aufbewahrt, die Großes geleistet haben. Man hat sie wohl hoch geprießen und bewundernd anerkannt: aber man hat sie als Ausnahmen ihres Geschlechtes betrachtet – man hat ihren »männlichen« Charakter, »männlichen« Geist u.s.w. gerühmt.

Wir aber hoffen, daß wenn die Zukunft den Frauen, die gleichen Rechte, wie den Männern auf Entwicklung und Vervollkommnung ihrer Anlagen und auf uneingeschränkte Bethätigung derselben gewährt haben wird, sehr wohl was einstens »Ausnahme« war, sich verallgemeinern kann und dann das Beiwort »männlich« nicht mehr als das höchste Lob für weibliche Charakterstärke und Thatkraft gilt. Wir wagen nicht zu glauben, daß die Menschen jemals über alle Unvollkommenheiten und Mängel erhaben[267] sein werden, – aber wir sind überzeugt, daß man dieselben künftig nicht nur den Frauen wird zuschreiben dürfen, daß vielmehr gerade sie berufen sein werden, ein neues Zeitalter heraufzuführen, darin sie als Hüterinnen und Priesterinnen des Ideals den Männern helfen in allen Bestrebungen, welche das Heil der Menschheit bezwecken.

So schließen wir mit der Wiederholung unsres vorigen Spruches:


Verschieden theilt der Schöpfer seine Gaben –

Doch was der Mensch erreichen will und kann,

Das kommt ihm zu – sei er ein Weib, ein Mann.
[268]

Quelle:
Louise Otto: Frauenleben im Deutschen Reich: Erinnerungen aus der Vergangenheit mit Hinweis auf Gegenwart und Zukunft, Leipzig 1876, S. 249-269.
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