Achtes Capitel
Anklagen und Verhör

[171] Mit sonderbaren Empfindungen vernahm Jacobea die Kunde von dem plötzlichen Tode Christoph Scheurl's, von dem Verdacht, der auf seine Gemahlin fiel, und von der Verhaftung Katharina's – jenes mit teuflischem Triumph, dieses mit ängstlichem Erschrecken.

Wohl war Jacobea auch an dem Besitz des Ringes gelegen gewesen, doch war er ihr mehr Nebensache, die Hauptsache aber, daß ihr Pulver, welches sie für Elisabeth bereitet, irgend eine schädliche Wirkung auf dieselbe habe: entweder sie entstellte oder tödte – wenn sie auch nur gewagt hatte es Katharinen, die nicht so verdorben war als sie, unter dem milderen Namen eines Schlaftrunkes zu reichen. Zu einem Diebstahl, zu einer hinterlistigen Rache, wußte sie, war Katharina zu überreden; aber stets würde sie vermieden haben, einen Mord auf ihre Seele zu laden. War sie nun die unschuldig[171] Schuldige? hatte sie statt an Elisabeth, an Scheurl die Wirkung ihres Pulvers versucht, und war diese eine so plötzlich tödtende gewesen? Was hätte Jacobea darum gegeben, mit Katharinen reden zu können, die nun in den Händen der Gerichte war! Wenn nun die Folterknechte Katharinen, die mehr schwach als schlecht war, zum ganzen Geständniß der Wahrheit brachten – wenn sie sagte, wer ihr das Pulver gegeben, und Jacobea selbst mit in Untersuchung kam? Wenn sie selbst gefangen würde in der Schlinge, die sie für andere gelegt, wie es eigentlich Katharinen schon ergangen war? Oder umgekehrt: wenn es gelinge, Elisabeth als Giftmischerin und Gattenmörderin zu verderben; wenn die schöne Patrizierin auch auf der Folter, wenn auch nur aus Scham oder Schmerz gleich Andern, sich als schuldig bekennen würde, auch wenn sie es nicht war? Wenn sie gerichtet würde zum Schauspiel für ganz Nürnberg? – Konnte sich Jacobea doch noch des Tages erinnern, wo man den Nikolaus Muffel nicht geschont, sondern öffentlich enthauptet hatte, trotzdem daß er Loosunger war und mithin aus den edelsten Geschlechtern stammte, und trotzdem daß Kaiser Friedrich sich für ihn verwendet hatte – konnte nicht Elisabeth ein gleiches Schicksal haben? Gab es doch genug Feinde für sie in[172] den Mitgliedern des großen Rathes, und noch mehr Feindinnen unter deren Angehörigen. Der alte Loosunger Tucher hatte es ihr gewiß noch nicht vergessen, daß sie ganz allein durch den König Max ihm die für unebenbürtig gehaltene Schwiegertochter in's Haus gebracht, noch weniger aber die Hallerin, die ihren Gatten ganz zu lenken wußte, daß ihr Elisabeth beim König und bei allen Festen den Rang abgelaufen – und so gab es außer jenen noch Rathsherren genug, die ihr grollten, entweder weil sie einen Haß auf jedes Frauenzimmer warfen, das aus der gewöhnlichen engen Sphäre einer Art von Hörigkeit heraustrat, oder die selbst früher für sich selbst oder ihre Söhne vergeblich um Elisabeth geworben – und wieder gab es außer der Hallerin noch genug Frauen, die auf Elisabeth's geistige und körperliche Vorzüge eifersüchtig waren, ihr eine Demüthigung recht vom Herzen gönnten und ihrer Hoffart immer ein unglückliches Ende prophezeit hatten. Bei solchen Verhältnissen konnte es vielleicht gelingen, wenn man die Gelegenheit zu benutzen verstand, Elisabeth als schuldig erscheinen zu lassen, auch wenn sie es nicht war, noch selbst gestand. Ja, selbst wenn Katharina so schwach sein sollte, auf der Tortur über sich selbst die Wahrheit zu gestehen, so würde sie doch gewiß[173] nicht zugeben, daß sie den Mord vorsätzlich vollführt, da sie ja in der That nicht die Wirkung des Pulvers gekannt hatte, und es war sehr wahrscheinlich, daß sie ihre Geständnisse in der Art machen konnte, daß Elisabeth zum wenigsten als ihre Mitschuldige erschien, wie es gerade damals und namentlich auch in den angrenzenden Ländern bei den Hexenprocessen häufig vorkam, daß niedrigstehende Personen hochstehende als ihre Mitschuldigen nannten, um vielleicht um diese Willen mit ihnen frei aus zugehen. Freilich war es auch wahrscheinlich, daß Katharina nicht verschwieg, wie sie zu dem Gift gekommen, und die Schuld auf Jacobea zu wälzen suchte – und wenn diese nun auch entschlossen war, standhaft zu leugnen und gewiß war, daß Katharina keine Beweise für ihre Aussage finden konnte, so erschien ihr doch selbst die Aussicht auf die Tortur, die im Hintergrund drohte, schrecklich genug.

Aber fast gleichzeitig mit dieser Nachricht empfing sie auch die, daß Weyspriach's Burg gefallen und zerstört worden sei, und daß der Burgherr selbst mit gefangen genommen. Martin Behaim war selbst in Irrthum gewesen, als er Elisabeth erzählt hatte, daß Weyspriach entkommen sei und Streitberg gefangen nach Nürnberg geführt; es war gerade umgekehrt – aber[174] wie es leicht bei solchen Ereignissen und Nachrichten und dem Erringen eines plötzlichen Sieges erging: im Triumph, der ihm folgte, waren Namen und Personen verwechselt worden.

Jacobea war mehr als einmal die Helfershelferin dieser Ritter gewesen, und ihr Sturz war auch für sie ein Schlag. Wer weiß, ob nicht auch Weyspriach Geständnisse machte, die gefahrbringend für sie waren. Aber sie kannte Streitberg. Wie schlecht er auch war und keine List oder Gewaltthat scheute zur Erreichung seiner Zwecke, Furcht oder Feigheit waren ihm fremd, und wo er jetzt auch hingeflohen sein mochte, wie sehr er auch Ursache haben möge, Nürnberg und die über ihn verhängte Reichsacht zu scheuen, so würde er nun nur um so wüthender Rache an Elisabeth zu nehmen suchen, der er alles Ueble zuschrieb, was ihm und damit auch seinem Freund widerfahren. Streitberg war noch niemals der Herr seiner Leidenschaft gewesen, aber er war nicht so niederträchtig, einen Freund und Waffenbruder in der Gefahr zu verlassen, in die er selbst ihn mitgebracht, und wenn er jetzt sein Heil in der Flucht gesucht hatte, so war es entweder in der Meinung geschehen, daß auch Weyspriach dasselbe thun könne, oder[175] in der Absicht, ihn dann noch aus derselben helfen zu können.

Jacobea erdachte und verwarf einen Plan nach dem andern, und endlich beschloß sie, zu dem Juden Ezechiel zu gehen und mit ihm sich zu berathschlagen.

Ezechiel hatte endlich zu der Ueberzeugung gelangen müssen, daß es seine eigene Tochter gewesen war, welche ihm den indianischen Raben, den er in Verwahrung genommen, entführt und mit ihm Elisabeth oder die Behaim von dem Ort in Kenntniß gesetzt hatte, wohin die geraubten indianischen Schätze gekommen wären – ja er konnte ihr kaum darüber zürnen; denn dadurch allein war ja am andern Tage das Volk abgehalten worden, die Judengasse zu stürmen, und er dadurch noch einer größern Gefahr entgangen, als die andern seiner Glaubensgenossen, da er der specielle geheime Verbündete der Raubritter war und man bei ihm leicht ihn verdächtigende Artikel hätte finden können.

Rachel hatte eingestanden, daß sie diese That gethan von Angst gepeinigt, und getrieben von der Hoffnung, gleich den erhabenen Frauengestalten aus den Geschichten des alten Testamentes ihr Volk aus einer großen Bedrängniß zu retten und im Nothfall sich für dasselbe zu opfern; aber sie hatte ein hartnäckiges Stillschweigen[176] darüber beobachtet, wie sie das gethan und zu wem sie die Kunde zuerst gebracht.

Zürnte ihr der Vater auch über ihr eigenmächtiges Handeln, so konnte er es doch nicht ganz verdammen, nach den Motiven, welche sie angab. Aber er nannte sie ein ungehorsames, ungerathenes Kind, das klüger sein wolle als sein Vater – und um sich gegen diese Klugheit zu schützen, wie er selbst sagte, hielt er sie von dieser Stunde an eingesperrt und gestattete ihr nicht anders als an seiner Seite das Haus zu verlassen.

Darum hatte sie auch Ulrich eingeschlossen gefunden.

Ein Nachbar hatte ihn kommen sehen und das Ezechiel verrathen. Ein neuer Grund für diesen, Rachel sorgfältig bewacht zu halten, aber auch in Verbindung mit den Gerüchten, die in der Stadt über Elisabeth und dem Baubruder umliefen, und die nun nicht allein von ihren Feinden verbreitet waren, zu ahnen, daß gerade er es war, welchen Rachel zum Vermittler gewählt.

Der Jude gehörte zu den Creaturen, die aus allen Dingen, wie nachtheilig sie im Anfang auch scheinen mögen, am Ende doch einen Vortheil für sich selbst zu ziehen wissen. Eigentlich hatte seine Tochter, der er, durch Jacobea aufgehetzt, nicht mehr hatte trauen mögen, ja ganz in seinem Sinne gehandelt, ihm in die Hände[177] gearbeitet. Hatte so doch Rachel eine nächtliche Zusammenkunft Ulrich's mit Elisabeth in ihrem eigenen Hause veranlaßt – wie es später durch andere übereinstimmende Nachrichten vor Ezechiel sich aufklärte – hatte sie so doch ganz einfach und schnell bewerkstelligt, was seine List vergeblich bei beiden Theilen versucht hatte, erschien es nun nach dieser Thatsache doch leicht, eine Schuld auf Beide zu werfen – zunächst auf den Baubruder, der alle Frauen meiden sollte, und doch zu gleicher Zeit an das verachtete Judenmädchen, wie an die hoffärtige Patrizierin sich drängte.

Nun hörte er plötzlich, daß diese der Verdacht traf, ihren Gatten vergiftet zu haben: wahr oder nicht, daraus mußte sich ein Vortheil ziehen lassen – ja, selbst wenn es kein specieller gewesen: für den schadenfrohen Juden lag ein großer Triumph darin, eine so vornehme Christin, die ihn und seine Dienste mit Verachtung von sich gewiesen, so gedemüthigt und in Gefahr zu sehen.

Als er gleichzeitig hörte, daß Weyspriach gefangen sei und Streitberg entkommen, sank ihm freilich der Muth. Wenn Weyspriach angab, daß, wo er den Räuber und Stehler, der Jude oft genug den Hehler gemacht, so hatte er auch für sich selbst zu fürchten. Indeß vertraute er auch noch jetzt seiner Gewandtheit[178] im Lügen und Heucheln und dem Umstand, daß er vielen Mitgliedern des großen Rathes sich unentbehrlich zu machen verstanden und immer bei seinem Handel wie bei seinen Handlungen die Politik verfolgt hatte, von Allen, mit denen er in Berührung kam, etwas zu erfahren, das sie zu verschweigen wünschten, und sie dadurch, wie er's nannte, »an's Fädchen« zu bekommen, daran er, wenn nicht sie, doch sich selbst im Nothfall halten konnte.

Als Jacobea zu ihm kam, hütete sie sich wohl ihm zu verrathen, daß die eingesteckte Katharina ihre Muhme war, und noch mehr, daß es wahrscheinlich ihr eigenes Gebräu, an dem der Herr von Scheurl gestorben.

»Meinet Ihr nicht,« sagte sie zu dem Juden, »daß wir nun dem Steinmetzgesellen Ulrich alle seine Feindschaft wider uns vergelten könnten, wenn es hieße, daß er mit Antheil an dieser Mordthat habe? Bei den freien Maurern ist ja Alles geheim – die haben gewiß auch Geheimmittel, profane Menschen aus der Welt zu schaffen, und machen sich gar kein Gewissen daraus, wenn es nur nicht welche sind von ihrer Zunft Es geschieht ihnen ja nichts, wenn sie nicht vorher aus dieser ausgestoßen werden, da sie sich nach ihren eigenen Gesetzen richten – und davon erfährt Niemand etwas,[179] weil es immer heißen soll, daß die Baubrüder besser sind als andere Leute.«

»Oho!« rief der Jude, »habe gewartet nur bis heute, da ich habe gegeben Bedenkzeit dem Ulrich von Straßburg mir zu sein zu Willen oder zu fürchten meine Rache; habe ganz andere Dinge wider ihn zu bringen, als Ihr meint – wird bald gekommen sein seine letzte Stunde. Ihn und den Hieronymus klag' ich an, daß sie im Benediktinerkloster haben fortgeholfen einem Mönch, der verurtheil gewesen zum Tode; der ist dann lange verborgen gewesen in Weyspriach's Burg, wo ich ihn habe erkannt an Sachen, die mir die Baubrüder abgenommen, und habe selbst erfahren die ganze Geschichte, die bisher nur die Leute still gemunkelt.«

»Aber was wird man geben auf das Zeugniß des Juden?« warf Jacobea ein.

Ezechiel lachte: »Giebt es doch genug Christen, die trotzdem, daß sie sich für etwas Besseres halten und meinen, sie wären alle Brüder, und ihre Religion zusammengesetzt aus lauter Liebe, eine rechte Schadenfreude daran haben, wenn sie wider einen solchen christlichen Bruder können böses Zeugniß reden, es sei wahres oder falsches. Und zumal nun eine christliche Schwester gegen christliche Schwestern – diesmal bin ich ganz gewiß[180] meiner Sache. Hab' ich Euch nicht einmal gesagt, daß die Frau Katharina Hallerin, da der letzte Reichstag hier war, hat bei mir gehabt versetzt silberne und goldene Armleuchter, damit ich ihr Geld darauf leihe – könnt' ich der erweisen einen größern Dienst als ihr Gelegenheit zu geben, die Scheurlin zu verderben sammt dem Baubruder, der Gnade gefunden vor ihren Augen, wie sie vor den des Königs?«

Wohl mußte Jacobea dem Juden zu einer solchen Verbündeten Glück wünschen, deren Vertrauen sie freilich sich verscherzt, da es ihr mißlungen war, den Goldschmied Albrecht Dürer zur Anfertigung einer Nadel für sie, wie die war, welche Frau Scheurl vom König geschenkt erhalten, zu veranlassen. Katharina Haller, die Gattin des Bürgermeisters und die Tochter des Loosunger Holzschuher, die hatte freilich Einfluß genug, einer Anklage, die sich auf Thatsachen stützte, wenn sie auch aus dem Mund eines Juden kam, Gewicht zu verleihen und Zeugen für sie zu schaffen, wenn auch ihr Gatte eher zu den Männern gehörte, welche ihre Frauen kurz hielten und die Hausfrau gern zu einer Hausmagd herabwürdigten, als zu denen, welche sich selbst ehrten durch die Ehre, die sie ihren Frauen erwiesen.[181]

Eben diese Beschränkung und dieses Kurzhalten, welches Katharina Haller von ihrem Gatten erfuhr, war die Ursache, welche sie in die Hände des Juden führte. Haller setzte theils eine Ehre darein zu sparen und sein Gut zu mehren – theils glaubte er sich für berechtigt, Alles an sich und nichts an seine Frau zu wenden, theils hielt er auch streng darauf, daß diese nicht selbst die Luxus- und Kleidergesetze überschritt, welche der Rath gegeben hatte, da sich dies für die Frau eines Bürgermeisters am wenigsten gezieme. Aber Katharina, im Bewußtsein, daß die Mitgift einer Holzschuher viel reicher gewesen, als die einer Behaim, fand es unerträglich von Elisabeth Scheurl wie in allen andern Dingen, auch in Kleiderpracht und Putz übertroffen zu werden. Da ihr Gatte ihre Wünsche hierin nicht erfüllte, so suchte sie dieselben auf allerlei Schleichwegen zu befriedigen, und als der Reichstag kam, wußte sie für sich keinen andern Rath, als von dem Trödlerjuden, der auf Pfänder lieh, sich Geld zu verschaffen. Natürlich durfte ihr Mann nichts davon ahnen und darum war die Verschwiegenheit des Juden die erste Bedingung. Er hatte sie treu erfüllt und dadurch sich mehr und mehr in ihr Vertrauen geschlichen. Daß sie von Eifersucht und Neid gegen Elisabeth Scheurl erfüllt war, wußte der Jude[182] wie fast die ganze Stadt. Das war so gewesen von der Stunde an, wo Elisabeth neben ihr vom Kaiser war erwählt worden, als die schönste Nürnbergerin Konrad Celtes zu krönen, und hatte sich mit jedem Triumph derselben gesteigert, wie viel mehr nicht da, als König Max bei seiner zweiten Anwesenheit in Nürnberg in Scheurl's Hause Wohnung nahm. Alle gehässigen Gerüchte, welche über Elisabeth im Umlauf kamen, gingen theils von der Hallerin aus, theils wurden sie doch von ihr begierig aufgefangen und mit den abscheulichsten Zusätzen weiter verbreitet.

Wie triumphirte sie jetzt, da Scheurl's plötzlicher, unerklärbarer Tod einen schrecklichen Verdacht auf Elisabeth warf. Wie bestrebte sich die Hallerin ihn zu verstärken, so viel sie vermochte, und mit ihrer bösen Zunge die Feindin als das strafbarste und verabscheuungswürdigste Geschöpf darzustellen, das es je in Nürnberg gegeben. Hatte sie vorher doch schon tausendmal bereut, daß sie vor zwei Jahren dem Ritter von Weyspriach nur um einen Preis, den er sich vergeblich bemüht hatte ihr zu gewähren, versprochen hatte, Elisabeth zu sich und damit in das Netz des Ritters von Streitberg zu locken, und daß sie es trotzdem nicht gethan; nun aber wollte sie gewiß keine Gelegenheit wieder[183] vorübergehen lassen, Elisabeth zu demüthigen, unglücklich zu machen, wo möglich ganz zu verderben.

Schon war es ihr gelungen, ihrem Gemahl die moralische Ueberzeugung beizubringen, daß Elisabeth den Gatten vergiftet habe, indem sie sagte:

»Diesen alten Geck hat das eitle Weib doch nur geheirathet, weil er reich war und sie an seiner Seite übertriebenen Aufwand machen konnte. Mit andern Männern, wie mit dem Ritter von Streitberg und dem Poeten Konrad Celtes hat sie nur freche Buhlschaft getrieben, ohne an's Heirathen zu denken: jener hatte schon eine Frau und dieser konnte keine ernähren; aber das hinderte sie nicht, sich mit ihnen einzulassen und dann schnell den Scheurl zu heirathen, damit sie nicht etwa noch in Schande käme. Der hat es nun geduldet, daß Künstler und Gelehrte in seinem Haus ein- und ausflogen wie in einem Taubenschlag, um der gefallsüchtigen Frau die Zeit zu vertreiben und ihm auf einmal den Ruf eines kunstfreundlichen Mannes zu geben, und da der König ein Auge warf auf die üppige Frau, bei der er gewiß war, in allen Stücken eine zuvorkommende Wirthin zu finden, da drückte der Mann wieder ein Auge zu, weil seine Schande ihm die Ehre des adeligen Wappens einbrachte, und so lange hat[184] vielleicht das Paar im besten Einvernehmen gelebt. Aber als Scheurl dahinter gekommen, daß ihr auch ein Steinmetzgesell nicht zu schlecht ist und sie sich nicht scheut, ihn zur Brechung seines Gelübdes zu verführen, da ist ihm doch die Geduld gerissen. Elisabeth aber, die nie einen Widerspruch dulden mag und die wieder nur so lange den alten Herrn als Gemahl sich gefallen ließ, als sie ihn ganz beherrschen und nach ihren Lüsten leben konnte, mag nun das Loos einer reichen Wittwe besser gefunden haben, als einer abhängigen Ehegattin, und hat den Gemahl auf die Seite geschafft. Du hast selbst gesagt, daß er Nachts immer betrunken aus Euren Zechgelagen heimgegangen, da mag es leicht gewesen sein, ihm einen Gifttrunk beizubringen – und das Gift mag sie auch bei der Hand gehabt haben – sagt man doch, daß ihr Bruder Martin ein neues Schlangengift mitgebracht hat.«

Wußte Haller auch recht gut, daß ein gut Theil Neid und Eifersucht aus diesen Darstellungen sprach, so gehörte er doch auch zu den Männern gemeinen Schlages, die an keine Keuschheit und Tugend, am wenigsten bei schönen Frauen glauben, eben weil sie theils selbst weit entfernt sind und in der Verführungsmacht des andern Geschlechtes eine Entschuldigung für[185] die eigene Unmoralität suchen, theils auch weil sie die Frauen zu weiter nichts fähig oder berechtigt halten, als den Männern zur Unterhaltung oder Pflege zu dienen. Es schien ihm darum nicht ganz unwahrscheinlich, daß seine Frau über Elisabeth ziemlich richtig urtheilte, und er säumte nicht, unter den Rathsherren und Schöppen diese Ansichten zu verbreiten.

Als nun Ezechiel mit seinen Anklagen und Mittheilungen über Ulrich zur Hallerin kam, so fand er natürlich bei ihr nicht nur Gehör und Glauben, sondern sie wußte auch einen ihrer Vettern Bernard Holzschuher, den sie schon immer in's Vertrauen gezogen, der selbst Schöppe und einer der einst von Elisabeth abgewiesenen Freier war, zu bewegen, daß er die Anklage wider Ulrich von Straßburg und Hieronymus erhob und zwar zuerst bei dem Hüttenmeister der St. Lorenzhütte; waren die Baubrüder aus dieser ausgestoßen, so konnte dann weiter gegen sie verfahren werden.

Für Katharina Haller war es auch beschämend und quälend, daß der Ritter Axel von Weyspriach, auf dessen Aufmerksamkeiten einst sie und Beatrix Immhof stolz gewesen, jetzt als ein Placker, Straßenräuber und Reichsfriedenbrecher verhaftet war, und daß man ihn, um ein Beispiel zu geben und die Macht der freien[186] Reichsbürger diesem herabgesunkenen Adel gegenüber zu zeigen, unfehlbar zum Tode verurtheilen und hinrichten werde. Beatrix hatte wohl persönliches weibliches Mitleid für ihn – Katharina kannte solche bessere Empfindungen nicht, aber sie schämte und ärgerte sich, mit einem Straßenräuber, der nun den Tod für seine Verbrechen leiden sollte, getanzt zu haben, und haßte den Ritter doch doppelt, weil er sie zu einem Bubenstück verleitet hatte, dessen Ausführung doch nur an Meister Dürer's Ehrlichkeit und Vorsicht gescheitert war. Wenn diese Geschichte vielleicht noch an den Tag kam, so war sie zugleich der Verachtung und Lächerlichkeit Preis gegeben – sie, die sich immer so ihrer Tugend und Unbescholtenheit rühmte, gewissenhaft auf die Befolgung der kleinlichsten Regeln der hergebrachten Sitten hielt und unbarmherzig über Alle den Stab brach, welche auch nur in den kleinsten Dingen davon abwichen, geschweige denn, wenn sie sich ein wirkliches Vergehen dagegen zu Schulden kommen ließen. Katharina sagte sich, daß, wenn es möglich sei, daß sie jetzt eine derartige Demüthigung erfahre, sie doch zuvor an Elisabeth noch eine größere erleben oder ihr bereiten müsse – es koste was es wolle.[187]

So arbeiteten die sittenstolze Patrizierin, der schmutzige Jude und die verrufene alte Kupplerin gleichzeitig an dem Untergange der edelsten Menschen, die damals in Nürnberg lebten, und die eben darum nur in feindliche Conflikte mit ihren Nebenmenschen geriethen, weil sie über die Vorurtheile derselben erhaben und ihrer Zeit vorausgeeilt waren. –

Indessen hatte die Untersuchung über den Tod Christof von Scheurl's vor den geschworenen Schöppen ihren Gang.

Elisabeth selbst hatte vermuthet, daß ihr Gemahl am Abend vor seinem Tode bei dem Propst Kreß zum Nachtmahl gewesen sei. Auf Befragen bestätigte dies derselbe, und weder für ihn noch die andern Gäste hatten die aufgetragenen Speisen und Getränke eine schädliche Wirkung gehabt, so daß man etwa auf eine zufällige Vergiftung oder ein sonst gewaltsam herbeigeführtes Unwohlsein hätte schließen können. Martin Ketzel war mit Scheurl bis an dessen Straßenecke nach Hause gegangen und erklärte, daß derselbe zwar etwas angetrunken gewesen sei, aber nicht mehr als gewöhnlich, und daß ihm sonst nichts an ihm aufgefallen; übrigens gehörten beide Herren zu denen, welche versicherten, daß Elisabeth gewiß vollkommen unschuldig sei, daß[188] Scheurl ihr in allen Stücken vertraut und mit ihr einig gewesen sei – er habe ihr nie etwas in den Weg gelegt und sie ihm nicht.

Die gefangene Magd Katharina gab in der Angst ausweichende und widersprechende Antworten. Sie schwor hoch und theuer, an dem Mord unschuldig zu sein; die Frau Scheurl aber sei auf sie eifersüchtig gewesen und wolle nun deshalb die Schuld auf sie wälzen. Die Inquisitoren mußten bei dieser Antwort lachen, da das Alter und das wenig Anziehende, welches die Inquierentin noch besaß, einen solchen Fall sehr zweifelhaft erscheinen ließen – zumal im Vergleich mit der schönen Frau Scheurl. Katharina antwortete zwar auf dieses Gelächter, dadurch empört mit der Behauptung, daß sie beweisen und beschwören könne, wie Herr Scheurl ihr zugethan gewesen – war aber dabei auch nicht so schlecht, Elisabeth der That zu beschuldigen, sondern betheuerte nur ihre eigene Unschuld.

Man hatte in ihrer Kammer den Beutel mit Gold gefunden, welchen sie von Scheurl erhalten; Elisabeth und andere Hausbewohner erkannten diesen als den Scheurl's, und Katharina versicherte, daß er ihr eben diesen gegeben, weil er Gefallen an ihr gefunden. Auf[189] die Frage, wann dies geschehen sei, antwortete sie ausweichend, daß sie das nicht genau mehr wisse.

Der Beutel aber war das gefährlichste corpus delicti.

Herr Martin Ketzel erklärte auf späteres Befragen, daß er diesen Beutel noch am Abend des Nachtmahls in der Propstei bei Herrn Scheurl gesehen – die Herren hatten gespielt, was freilich nicht mit zu Protokoll genommen ward, denn schon hatte der immer auf Alles sorgfältig bedachte Rath gewisse Beschränkungen, das Kartenspiel betreffend, erlassen, das, obwohl noch nicht lange erfunden, doch bereits in bedenklicher Weise einzureißen drohte, aber die »Genannten« kehrten sich selten selbst an die von ihnen erlassenen Verbote: – der Beutel konnte also erst nach Scheurl's Heimgange in Katharina's Hände gekommen sein.

Als man Katharina dies in einem spätern Verhör vorhielt, verwickelte sie sich in neue Widersprüche.

Diese zu beseitigen, hielt man damals die Tortur für das wirksamste Hülfsmittel.

Katharina hielt nur den ersten Grad der gräßlichen Marter aus, dann errang sie sich Erlösung von dem schrecklichen Instrument mit dem Jammerruf der Verzweiflung:[190]

»Ich will bekennen!«

Aber damit trachteten nur die unglücklichen Opfer unmenschlicher Grausamkeit sich zu entziehen. Als Katharina sich wieder frei von den Eisenstangen und Schrauben fühlte, die ihre Glieder zu zerreißen drohten, fürchtete sie gleichwohl noch eben so sehr als vorher die Wahrheit zu bekennen, und um nur etwas Neues zu sagen, sagte sie eine neue Unwahrheit.

Sie erklärte, daß sie allerdings in jener verhängnißvollen Nacht den Herrn Scheurl habe nach Hause kommen hören, und daß sie dann später noch in das Schlafzimmer seiner Gemahlin gerufen worden. Hier habe ihr diese den Beutel mit dem Gold gegeben und gesagt, sie solle morgen wieder abziehen und dafür dieses Geld erhalten, wenn sie sich dem füge, ohne weiter etwas zu sagen, auch nicht daß sie noch diese Nacht mit ihr gesprochen. Sie, Katharina, habe gemeint, dies sei aus Eifersucht der Herrin geschehen, und habe sich gefügt. Am Morgen, eben da sie ihr Bündel habe schnürren wollen, sei das Schreckliche geschehen, und man habe sie um dieses falschen Scheines Willen verhaftet.

Wenn etwas hiervon sich als wahr erwies, so bekam die Sache eine andere Wendung und der Verdacht[191] fiel auf Elisabeth – jetzt gerade um so mehr, als Katharina gar nicht versuchte ihn auf diese zu werfen, sondern sich auch dabei ganz unschuldig und unbefangen stellte – in der That auch so suchte ihr eigenes Gewissen zu beruhigen; denn Katharina gehörte eben noch nicht zu den schlechtesten Creaturen und dachte nur an Selbsterhaltung. So lange als möglich wollte sie diese versuchen, ehe sie ein anderes Wesen für sich büßen ließe. Auch hoffte sie, die angesehene Patrizierin werde vor dem Rath von Nürnberg einen bessern Stand haben, als die fremde Regensburgerin.

Jedenfalls machte diese Aussage doch ein Verhör Elisabeth's nöthig, Katharina gewann Zeit, und was in solcher Lage Alles galt: sie hatte ein paar Tage Ruhe vor der entsetzlichen Folter und ihre geschundenen Arme und Hände konnten sich wieder ein wenig erholen.[192]

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 3, Bremen 21875, S. 171-193.
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