Neuntes Capitel
Die freien Maurer

[193] Am Tage, nach dem Ulrich am Sterbebett seiner Mutter gewesen, war er mit Hieronymus der erste vor der Bauhütte; bald darauf kam der Pallirer dieselbe zu öffnen, aber es fehlte fast noch eine halbe Stunde an der bestimmten Zeit.

Ulrich sah aus wie nach einer durchwachten Nacht und seine Augen glänzten doppelt schwärmerisch als gewöhnlich.

»Fehlt Dir etwas?« sagte Hieronymus theilnehmend; »Du bist so früh gekommen?«

»Weil ich nicht weiß, wie lange ich noch kommen werde!« antwortete Ulrich wehmüthig. »Du gehörst hier immer mit zu den Ersten, es freut mich, daß Du es auch heute bist – es drängt mich noch mit Dir zu reden.«[193]

»Du bist so feierlich!« sagte Hieronymus; »mir ließ es auch keine Ruhe heute Dich zu sehen – das Geschick der Scheurlin beunruhigt Dich doch wohl, auch wenn es nur Mitleid ist.«

»Nein,« sagte Ulrich fest, »das ist es nicht – sie ist nicht schuldig.«

Hieronymus schüttelte verdrüßlich den Kopf: »Wenn ich nicht Dein Freund wäre und Dir mehr vertraute als den Reden der Leute, so könnte ich bei dieser Behauptung Dich doch in demselben Verdacht haben wie meine Mutter –«

»In welchem?« fragte Ulrich, da Hieronymus stockte, und sah ihn fest und flammend an.

»Daß es dieses Weib Dir angethan!« sagte Hieronymus, und schlug doch die Augen nieder, weil er sich dieser Aeußerung schämte.

Ulrich lächelte: »Ihr könnt Recht haben im gewissen Sinne, nur nicht etwa in dem, der jetzt die Gemüther verwirren will mit dem Glauben an Hexen und Zauberspuk. Aber warst Du nicht der erste, der mir diese Elisabeth zeigte, nicht nur als das schönste, sondern als das aufgeklärteste Weib von Nürnberg? Und war es nicht in demselben Augenblick, als ich die Rose wegwarf, die aus ihrer Hand mich getroffen? Hab' ich[194] sie nicht gemieden wie jedes Weib, hat sie nicht dasselbe mir gethan und hat nicht Deine Mutter gleich Dir sie gerade darum gescholten, weil sie dadurch undankbar erschien? Ob eben durch dies Schelten, durch diesen ungerechten Verdacht, ob durch ihre Schönheit oder durch Alles, was ich von ihr sah und hörte, durch die Zeichen ihrer Geisteshoheit, die nur in einzelnen Zügen und Worten sich mir offenbarten – ich weiß es nicht: aber ich habe durch sie erst eine Ahnung bekommen von der Macht und Größe des Weibes – durch sie erst gefühlt, daß unser Gelübde, seine Gemeinschaft zu fliehen, ein schweres ist, das, wenn wir in allen Versuchungen treu an ihm fest halten, uns Kraft geben muß, auch jeden andern Kampf im Leben oder in uns selbst siegreich zu bestehen. Die Bewunderung, die ein schönes Kunstwerk uns einflößt, die Andachtsschauer der Verehrung, die ich zuweilen empfand, wenn ich zur Himmelskönigin betete, das Mitleid mit dem Leiden und Dulden anderer heiligen Frauen, denen wir Monumente und Altäre weihen – das hab' ich für diese Elisabeth empfunden, und rechne mir diese Gefühle nicht als Sünde an, um so weniger, als ich an ihre Tugend glaube und sie meiner Verehrung würdig finde. Ich wäre nur unglücklich, wenn ich an ihr irre werden müßte. Unser Gelübde[195] der Entsagung bereue ich darum nicht, es erscheint mir nur in einem andern Lichte: ein Freibleiben und Losgerissensein von irdischen Banden und Pflichten, die dem Genius Fesseln anlegen können, der nur frei und allein sich entfalten kann – ein Aufschwung und Aufstreben zur höchsten Freiheit, die sich selbst bewußt an das Ganze hingiebt und nur im Ideal Ziel und Schranken findet! – Sage mir, Hieronymus, wenn man mich auch beschuldigt, wirst Du an mich glauben?«

»Ich habe es gethan bis zur Stunde,« antwortete Hieronymus, »und begreife Deine Frage nicht, noch was Dich sonst so bewegt?«

»Eine Ahnung,« antwortete Ulrich, »vielleicht auch die feierliche Beklommenheit, die immer über uns kommt, wenn wir die letzte Hand an ein Werk legen, an dem wir lange gearbeitet. Sieh', diese Halbsäule mit ihrem Hochbild vorn ist bald vollendet,« fuhr er fort, auf eine solche deutend, aus der Eichenzweige hervortraten, auf welchen ein Eichhörnchen saß, zum Sprunge ausholend, indeß von unten eine Schlange emporzischte, die Eichenblätter wölbten sich oben zu einer Krone empor; »das unschuldige Eichhörnchen braucht nicht im Bann der Schlange zu bleiben,« fuhr er fort, »aber es wird doch immer so erscheinen, es kann höher klettern, im freien[196] Walde von Zweig zu Zweig sich schwingen, die drohend vorgesteckte Schlangenzunge und ihr Gift verachten, kein ekles Kriechthier vermag ihm etwas anzuhaben. So hab' ich in den Stein hinein gedichtet, woran ich jetzt zumeist gedacht.«

Die letzten Worte hörte der Pallirer, der jetzt näher zu den Beiden getreten war, und sagte: »Seid Ihr das Eichhörnchen selbst oder hab't Ihr an eine andere Person dabei gedacht?«

»Nicht an eine bestimmte Person,« antwortete Ulrich; »es ist ja kein Conterfei, sondern ein Symbol. Wer in Unschuld wandelt und doch vermag sich zu den höchsten Höhen mit kühnem Sprunge empor zu heben, den mag die Schlange irdischer Gemeinheit und Bosheit immer zu verderben drohen – ja ihn gar einmal verschlingen, wo er sie am wenigsten vermuthet: er war dennoch eines höhern Looses werth!«

Der Pallirer klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Grabet Euer Zeichen ein, man wird bei diesem Symbole Eurer selbst gedenken!« Dann wandte er sich mit einem mitleidigen Blicke ab, als habe er schon zu viel gesagt.

Die andern Gesellen und Lehrlinge waren einstweilen[197] auch gekommen und das Morgengebet ward gehalten. –

Es war ein schwüler Sommertag, eine drückende heiße Luft lag auf der Bauhütte und verbreitete in ihr einen Dunst, der Alle lässig oder beklommen machte. Nur Ulrich gönnte sich nie eine Minute Ruhe, um sein Werk zu vollenden.

In dem kleinen Gemach in der Hütte, neben dem großen Saal, in welchem die Steinmetzen arbeiteten, pflegte sich der Hüttenmeister aufzuhalten, wenn es Geschäfte zu ordnen, Contrakte abzuschließen oder eine Untersuchung zu führen gab. Es war eine Art von Comptoir. Als es um die zehnte Stunde war, ließ er Hieronymus und Ulrich hinein rufen. Neben dem Hüttenmeister befanden sich zwei ältere Gesellen, die, wie es schien, als Zeugen dienen sollten.

Der Hüttenmeister begann zu den Beiden: »Es sind schwere Anklagen wider Euch erhoben worden. Ich frage Euch im Namen Gottes, des Sohnes und des heiligen Geistes, der heiligen Dreieinigkeit, zu der sich die gesammte Christenheit bekennt – ich frage Euch im Namen des heiligen Johannes, des erhabenen Schutzpatrones und Vorbildes aller freien Maurer: wollet Ihr die Wahrheit bekennen unerschrocken und ohne[198] Menschenfurcht gleich ihm? wollet Ihr sie bekennen, auch wenn sie Euch hinaus in die Wüste führte oder in's Gefängniß, oder Euch den Tod brächte?«

»Wir wollen sie bekennen!« riefen Beide zugleich, aber bei Ulrich klang es wie der entschlossene Ruf eines Märtyrers, bei Hieronymus mischte sich etwas wie Schreck und Furcht hinein.

»Leistet den Schwur jetzt vor mir mit Wort und Hand; was Ihr ausgesagt hab't, werdet Ihr dann vor der ganzen Baubrüderschaft noch einmal bekennen müssen!«

Nach diesen Worten des Hüttenmeisters leisteten Beide den üblichen Schwur.

Ulrich ward einstweilen entlassen und Hieronymus zuerst verhört. »Du bist sammt Ulrich von Straßburg angeklagt worden, daß Ihr mit ehrlosen Juden gemeinschaftliche Sache gemacht hab't und eine Judendirne mehr als einmal nächtlicher Weile in Eurer Wohnung gewesen ist; daß Ihr mit denselben wieder im Benediktinerkloster seid zusammen gekommen und dann einen Mönch, der darin wohlverdienter Maaßen zum Tode verurtheilt gewesen ist, befreit hab't und im Kloster Andere dazu verführt, Euch bei diesem Werke zu helfen. Steh' Rede über das Alles.«[199]

Hieronymus antwortete erstaunt: »Das kann ich nicht, denn ich weiß von dem Allen nichts.«

»Gedenke Deines Eides!« mahnte der Hüttenmeister.

»Ich gedenke meines Eides und betheure meine Unschuld!« antwortete Hieronymus.«

»Ueberlege was Du sprichst! gedenke Deines Eides!« wiederholte der Hüttenmeister; »weißt Du auch nichts von Ulrich's Schuld?«

Hieronymus schwieg und blickte zu Boden. Es herrschte eine lange Pause und Stille – man hörte nur draußen das Feilen der Steinmetzen, das gerade jetzt wie ein zur Andacht rufendes Geläute ineinander klang.

Endlich sagte der Hüttenmeister wieder: »Du weißt, wir drohen mit keiner Folter, um von den Unsern Geständnisse zu erpressen; wir brauchen keine profanen Mittel und Hände, um die Wahrheit von Denen zu erforschen, die sie verbergen und verleugnen wollen – wir kennen nur eine einzige Drohung: Wer nicht freudig die Wahrheit redet und bekennt, auch wo sie ihm Schaden bringen kann, wer betroffen wird auf einer Lüge, wer nur im Kleinsten sich versündigt hat an der Heiligkeit des Bundeseides – der wird ausgestoßen aus der Gemeinschaft freier Maurer, die Profanen mögen ihn richten.«[200]

Hieronymus blickte empor und sagte flehend: »Ulrich ist mein Bruder und Freund; er hat mir das Leben gerettet mit Gefahr seines eigenen, wie Ihr wißt – ich kann nicht wider ihn zeugen.«

»Damit hast Du schon seine Anklage ausgesprochen,« sagte der Hüttenmeister ernst; »aber Du weißt auch, daß die Wahrheit bei uns herrschen muß über jedes andere Gefühl, jede andere Rücksicht; der Eid, den Du geschworen, da Du Mitglied unseres Bundes wurdest, band Dich früher als jeder andere; Du durftest gar keine andere Verpflichtung eingehen ohne diesen Vorbehalt – Bundesbrüder sind wir Alle; aber über uns Allen herrscht Einer und ein einziges Gesetz, dem zu dienen mehr gilt, als unsern Gefühlen, ja dem zu Ehren wir diese bekämpfen müssen, wenn sie einmal mit ihm in Widerspruch gerathen wollen. Stehe Rede und Antwort – vielleicht kann Dein redliches Bekenntniß Ulrich eher retten als verderben, denn seine Sache steht schlimmer als die Deine, und ich verlange nicht, daß Du wider ihn zeugest, sondern für ihn, wenn Du es kannst. Gedenke Deines Eides!«

Hieronymus begann: »Ein Judenmädchen, Rachel, hat ein paar Mal versucht sich an uns zu drängen, und da wir einmal bei einem Straßenlärm vor unserm[201] Hause ihrem Vater, dem alten Ezechiel, Hülfe leisteten, da er sonst wäre von Betrunkenen erschlagen worden, hatte sich seine Tochter in unser Haus geflüchtet, und Ulrich sperrte sie dort allein in eine dunkle Kammer, bis sie ungefährdet heim gehen konnte. Wohl fand ich es unrecht, daß er das Mädchen so lange duldete, da er uns dadurch in Schande bringen könne. Zwei Tage darauf wurden wir in das Benediktinerkloster gesandt und dann hat Ulrich nicht mehr bei mir gewohnt. Das Mädchen hatte damals einen Ring verloren, den Ulrich ihrem Vater in der Wirthschaft des Klosters wieder zugestellt hat; aber weiter hat er keine Gemeinschaft mit den Juden gehabt.«

Der Hüttenmeister frug weiter: »Und was hab't Ihr im Benediktinerkloster gethan – außer der Arbeit, die Euch zukam?«

»Ich weiß von nichts,« antwortete Hieronymus.

»Hast Du nicht den Mönch Amadeus schon vorher gekannt, der das Weihbrodgehäuse zertrümmerte?«

»Gekannt? – nein!«

»Auch Ulrich nicht? auch nicht gesehen?«

»Gesehen – ja,« antwortete Hieronymus nach einigem Zögern; »Ulrich's Schwert war vor Jahren im Gedränge an dem Rosenkranz des Mönches hängen geblieben,[202] er hatte sein Kreuz verloren, das Ulrich bewahrte, um es ihm wieder zu erstatten.«

Der Hüttenmeister lächelte ungläubig; »Ihr hattet Glück im Finden! – Wie seid Ihr im Kloster mit Amadeus in Berührung gekommen?«

»Wenn es eine Berührung war: als seine Ankläger. Wir sahen, daß das Tabernakel gewaltsam zerstört war – da hat er sich selbst als schuldig bekannt; als wahnsinnig ist er im Gefängniß an die Kette gelegt worden – weiter weiß ich nichts von ihm.«

»Kanntest Du den Novizen Konrad?«

»Er begrüßte uns als Baubruder – ich mißtraute ihm, weil er von unserer freien Kunst der Möncherei sich zugewendet, gleichviel ob es aus freiem Willen geschehen oder aus Strafe.«

»Aber Ulrich traute ihm?«

»Allerdings – es schien so.«

»Ihr seid schon zwei Mal angeklagt gewesen, Euch in Händel mit Raufbolden und Raubrittern eingelassen zu haben, die Frau von Scheurl zu beschützen,« begann der Hüttenmeister ein anderes Thema; »das erste Mal hat unser königlicher Bruder Max Euch selber freigesprochen, zum andern Male hat man es Euch um deswillen nachgesehen und Ihr seid mit einem Verweis[203] und einer Verwarnung, nicht unnütz das Schwert zu ziehen, davon gekommen – weißt Du, ob Ulrich sich weiter mit diesem Weibe eingelassen?«

»Ich weiß es nicht,« antwortete Hieronymus; »Ihr wißt, wir haben seit Monaten nicht mehr zusammen gewohnt.«

»Geh' an Deine Arbeit! Wir werden weiter erfahren, ob Du die Wahrheit geredet.«

Nachdem Hieronymus mit diesen Worten entlassen war, ward Ulrich zu dem Hüttenmeister berufen.

Er wiederholte ihm die vorige Anklage und fügte hinzu: »ich hoffe, Du wirst bekennen, wie Hieronymus auch bekannt hat.«

»Hieronymus!« rief Ulrich, »er ist unschuldig; Alles, was Ihr mir da vorhaltet, ist allein mein Verbrechen – wenn es eines ist.« Und Ulrich schilderte wahrheitsgetreu, wie das Judenmädchen seinen Beistand für Andere angerufen, wie er selbst in jener Nacht sie beschützt habe, weil er in ihr das edle Streben erkannt, das Unrecht zu verhüten, daß ihr Vater oder andere Leute, von denen sie es erfahren, an Andern, an Christen hatten begehen wollen, und wie er, um Hieronymus vor jedem falschen Verdacht zu bewahren, von diesem gezogen sei. »Ich meine, ich habe kein Gelübde gebrochen,«[204] fügte er hinzu, »daß ich dieses Judenkind anhörte; so oft es kam meine Hülfe zu fordern, war es für Andere – und sonst habe ich keine Gemeinschaft mit ihm gehabt, mich fern und frei gehalten von allen Dingen, die wider unsere Statuten verstoßen.«

»Aber Du und Hieronymus,« fragte der Hüttenmeister, »Ihr habt Amadeus befreit; leugne nicht, denn ich weiß es, und Du wirst wohl ahnen, durch wen.«

Ulrich blickte auf und sagte nach einer Pause: »Ich that es, aber ich allein, Niemand außer mir hat daran eine Schuld; Hieronymus hat aus Freundschaft gelogen, wenn er sich dazu bekannt – er kann nur durch Eure Fragen das erste Wort davon erfahren haben.«

»Und wie konntest Du Dich dessen erfrechen,« sagte der Hüttenmeister streng, »wie Dich unterstehen, Dich so aufzulehnen wider die Entscheidung eines geistlichen Gerichtes und der Gerechtigkeit des Klosters ein Opfer zu entziehen? Wer eines solchen Verbrechens fähig, wie Du jetzt eingestanden, der wird keinen Gehorsam, kein Gebot der Kirche oder unserer Brüderschaft mehr heilig halten, der muß ausgestoßen werden aus der Bauhütte, die von ihren Mitgliedern Reinheit, Gehorsam und Treue fordert. Doppelt hast Du Dich versündigt, denn der, dem Du aus dem Kloster halfst, war nicht[205] allein ein Verbrecher an seinem Orden, sondern auch an uns, den Dienern der geweihten Kunst, da er eines ihrer herrlichsten Werke aus schändlichem Muthwillen zertrümmerte; solch' ein Scheusal von einem Menschen –«

»Das ist er nicht – haltet ein!« rief Ulrich außer sich.

»Er ist es!« donnerte der Hüttenmeister, »und Du bist es mit, weil Du es wagen kannst, ihn zu vertheidigen, es wagtest, um dieses Ungeheuers Willen nicht nur den heiligen Klosterfrieden zu brechen, sondern auch Dein Gelübde und damit den ganzen erhabenen Bund der Maurerei in Dir und durch Dich, als einem ihrer Gesellen zu schänden. Du brauchst Dich nun nicht mehr zu scheuen, Alles zu gestehen, denn Du kannst nichts mehr sagen, das Dich unseres Bundes unwürdiger machte, als diese That! – Geh' hinaus und zertrümmere auch Dein letztes Werk, und dann leugne noch, daß Du ein Verbrechen begangen, indem Du den Meißel gebrauchtest, diesen Heiligthumschänder zu befreien – oder hast Du auch nur ein einziges Wort zu Deiner Entschuldigung zu sagen?«

»Nur ein einziges!« antwortete Ulrich tonlos.

»Nun?«[206]

»Amadeus wäre frei ausgegangen, wenn ich nicht an dem Tabernakel die Frevlerhand erkannt und auf Untersuchung gedrungen hätte. Ich war an seinem Loose schuld.«

»Das hatte Dich nicht zu kümmern, Du hattest recht daran gehandelt und die Strafe war des Sünders würdig – das ist keine Entschuldigung für Dich.«

»Nun denn, ich habe Wahrheit geschworen – Ihr sollt sie haben; besser, daß ich so selbst ein unschuldig Schuldiger den Stab über mich breche, als daß Ihr es thut. Mein Geständniß wird mich nicht retten – aber vielleicht rettet es das Werk meiner Hände, und Ihr erlaßt mir die Strafe, die Ihr drohtet. In demselben Augenblick, da ich den Frevler am Tabernakel angeklagt, erfuhr ich, daß ich der größere war – ich entdeckte in ihm meinen Vater.«

Der Hüttenmeister hörte dies voll Verwunderung und sagte: »Das ist eine sonderbare Ausflucht; – sie ändert auch nichts an der Thatsache.«

»Ich mag dieselbe Strafe verdienen nach den Gesetzen,« sagte Ulrich, »aber vor menschlich fühlenden Herzen und christlichen Brüdern verdiene ich Entschuldigung. Ich allein trage die Schuld und bin Verantwortung schuldig; wenn man Andere angeklagt hat,[207] als hätten sie Theil daran, so hat man sich vom Scheine täuschen lassen – ich habe keine Genossen und Helfershelfer dabei gehabt, außer solchen, welche nicht wußten, um was es sich handelte.«

»Hieronymus, der Novize Konrad und sogar – der Propst Kreß sind mit Dir angeklagt!« sagte der Hüttenmeister. »Jene haben Dir geholfen Amadeus aus dem Kerker zu befreien, und dieser hat ihn hier bei sich versteckt. Ich sage Dir dies, damit Du nicht durch unnützes Leugnen die Sache in die Länge ziehst.«

Ulrich gerieth in Feuer: »Ich will es beschwören mit jedem heiligen Eid: Hieronymus ist unschuldig! Konrad hat nichts gethan, als mir den Weg zu Amadeus' Gefängniß gezeigt, ohne meine Absicht zu kennen, und der Propst – nun, Ihr wißt, der ehrwürdige Herr hat eine einzige Schwäche – er war nicht nüchtern, da ich und Amadeus ihn auflauerten und ihn zwangen, uns in der Propstei eine Nacht zu behalten. Werdet Ihr nicht lieber mich, als den allein oder doppelt Schuldigen bestrafen wollen, denn zugeben, daß über diese menschliche Schwachheit unsers Gottesjunkers verhandelt werde? Möglich, daß er Euch lieber alles Andere eingesteht, denn daß er trunken war und seiner Sinne nicht mächtig; aber ich kann es beschwören; es[208] war so.« Und nun bekannte Ulrich aufrichtig, aber alle Mitschuld der Andern mit auf sich nehmend, Alles ohne Rückhalt, was er gethan hatte.

»Du hast also selbst das Vergehen eingestanden,« sagte der Hüttenmeister. »Du mußt an das geistliche Gericht abgeliefert werden, wir haben nichts weiter mit Dir in dieser Angelegenheit zu thun. Aber es giebt noch andere Anklagen wider Dich. Man beschuldigt Dich nicht nur, daß Du das Judenmädchen habest verführen wollen, sondern daß Du Dich an die Frau von Scheurl gedrängt, oder Dich hast von ihr verführen lassen – vielleicht zum Ehebruch – vielleicht zum Mord –«

Einen Augenblick erbleichte Ulrich, denn diese Anklage kam ihm doch unerwartet. Stolz sagte er: »Solch' ungerechter Anklage gegenüber habe ich keine Antwort, als meine Unschuld zu beschwören.« Seine weiteren Aussagen über diesen Punkt stimmten mit denen des Hieronymus, und dann fügte er hinzu, daß er nur einmal in Scheurl's Hause gewesen sei und mit der Hausfrau allein gesprochen habe, als er ihr den indianischen Raben gebracht, den das Judenmädchen ihm für Jene übergeben.[209]

Der Hüttenmeister glaubte Ulrich gern, denn er hatte ihn, seit er in der Lorenzkirche arbeitete, gleich sehr als Menschen wie als Künstler schätzen lernen, und ihn oft den andern Steinmetzen als Muster vorgestellt; aber höher als der Einzelne stand ihm das Ganze der Brüderschaft und die gewissenhafte Aufrechterhaltung ihrer Statuten. Er sagte:

»Ich habe dem geistlichen Inquisitor, der Dich vorladen ließ, die Antwort gegeben, daß Du ihm heute Abend ausgeliefert werdest – wenn wir Dich schuldig befunden, als ein Ausgestoßener aus unserm Bunde; wenn wir Beweise für Deine Unschuld haben, aber als einen der Unsern, den wir vertreten werden vor Kaiser und Reich, und dem kein Haar gekrümmt werden darf, es sei denn, daß unsere oberste Behörde, der Maurerhof zu Straßburg, zuvor sein Urtheil gefällt. Draußen läutet jetzt die Mittagglocke – während die Andern gehen, bleibe hier und erwarte Dein Urtheil.«

Darauf entfernte sich der Hüttenmeister mit dem einen Beisitzer, der andere blieb als Wächter für Ulrich und Hieronymus zurück.

Die Freunde umarmten sich schweigend, da man sie wieder zusammen ließ.[210]

»Dir kann nichts geschehen!« sagte Ulrich freudig, »Du bist unschuldig.«

»O hättest Du mir mehr vertraut,« klagte Hieronymus, »ich hätte Dich besser vertheidigen können!«

Ulrich schüttelte mit dem Kopf: »Von dem Augenblick an, da ich fühlte, daß der Schein gegen mich zeugen und mich verderben konnte, mußte ich Dich meiden, mich von Dir zurückziehen, damit ich Dich nicht mit in meinen Sturz verwickelte. Nun begreifst Du wohl, warum es den Anschein hatte, als sei meine Freundschaft für Dich erkaltet – aus Freundschaft mußt' ich Dich meiden, und das Band lockern, das uns umschlang.«

Hieronymus konnte kaum sprechen und weinte an dem Halse seines Kameraden; als er sich wieder von ihm losmachen wollte, hielt Ulrich seine Hand fest und sagte: »Laß mir jetzt die Hand noch, die vielleicht in der nächsten Stunde sich mir als einem Ausgestoßenen und Beschimpften für immer entziehen muß.« –

Als der Pallirer wieder kam und die Glocke zur Arbeit rief, durften auch die beiden Baubrüder wieder mit an die ihrige gehen. Ulrich war es dabei wunderbar zu Muthe. Vielleicht war dies seine letzte Arbeitsstunde, vielleicht schwang er zum letzten Male den Meißel[211] und lenkte das Richtscheit, vielleicht war er zum letzten Male in der Hütte, vielleicht war er in der nächsten Stunde kein Baubruder mehr – mit Schimpf und Schande ausgestoßen aus dem geweihten Bund! Und seine ganze Seele hing an ihm – schlimmer als Tod war es, wenn man ihn ausstieß – und doch sah er kein anderes Loos vor sich; aber war es ihm nur gelungen, dadurch, daß er die Schuld auf sich allein nahm, die drei andern Mitangeklagten als Unschuldige darzustellen, so fühlte er in sich einen freudigen Triumph, der ihn wenigstens auf Augenblicke sich selbst vergessen machte.

Daß in dem Verhör, als Ulrich Amadeus seinen Vater nannte, der Hüttenmeister nicht weiter danach gefragt, das befremdete Ulrich. Seitdem er gestern am Sterbebett seiner Mutter gewesen, um ihren letzten Wunsch zu erfüllen, dadurch allen Zwang von sich werfend, den er bis jetzt sich angethan und seinem kindlichen Gefühl – seitdem war er darauf gefaßt gewesen, daß er über seine Eltern verhört werden würde. Nun hatte man diese Frage gegen ihn gar nicht berührt, da doch seine Erklärung, daß Amadeus sein Vater sei, schon eine Art von Geständniß war. Strahlte nicht hierin ein Hoffnungsschimmer? Hatte nicht vielleicht der Propst[212] Kreß einen Beweis gesucht und gefunden, daß Amadeus und Ulrike durch Priestersegen verbunden waren? Gab es für ihn wirklich noch eine Rettung? Der Ertrinkende in einer Fluth von Unheil sieht in der schwimmenden Strohähre einen Rettungsanker.

Da es ein Samstag war, so ward an diesem Tage eine Stunde früher als sonst zum Feierabend geläutet.

Als alle ihre Werkzeuge weggelegt hatten, pflegten sie noch zusammen zu bleiben, weil an diesem Tage jedem der Wochenlohn ausgezahlt ward. Da die Strafen für kleinere Vergehen wie Betrinken, Sichverspäten, Schimpfen u.s.w. meist in Lohnentziehungen bestanden, die dafür in die allgemeine Büchse flossen, oder in Wachs, das von den Strafbaren abgeliefert werden mußte, so wurden auch diese bei derselben Gelegenheit mit den üblichen Ermahnungen zur Besserung mit ertheilt.

Darauf erklärte der Hüttenmeister, daß das geistliche Gericht Anklage erhoben habe wider Hieronymus und Ulrich von Straßburg – daß man aber keinen Grund habe an der Unschuld des ersteren zu zweifeln, daher derselbe nach wie vor daheim bleiben und ruhig zur Arbeit kommen solle. Ulrich von Straßburg aber,[213] der sich selbst als schuldig angegeben, solle den draußen harrenden Dienern des Gerichts übergeben werden.

»Wir und die Haupthütte zu Straßburg,« fuhr der Hüttenmeister fort, »sind über ihn und seine Herkunft getäuscht worden durch falsche Zeugnisse; es bewährt sich nicht nur an ihm, daß Gott die Sünden der Väter heimsucht an den Kindern, sondern auch, daß kein Frevel an der Wahrheit ohne Entdeckung und ohne Rache bleibt. Ulrich von Straßburg war von je ein Unehrlicher und Unreiner, der nicht in unsern reinen Bund gehört: sein Vater war ein Mönch und seine Mutter eine Nonne –«

»Haltet ein!« rief Ulrich, als er auf allen Gesichtern Spuren des Abscheus, der Verachtung oder des Spottes sah; »haltet ein, meine Eltern solchen Frevels zu beschimpfen; ein grausames Geschick hatte sie getrennt, und sie wählten das Kloster erst vor zwölf Jahren, um zu büßen und zu entsagen.«

»Es mag so sein,« sagte der Hüttenmeister, »aber Dir geziemt zu schweigen; Du bist ausgestoßen aus unserem Bund! ein Unreiner, der niemals daran hätte Theil nehmen sollen. Lege dein Werkzeug hin und kniee nieder.«[214]

Ulrich gehorchte schweigend, sein Antlitz ward todtenblaß und er suchte es in seinen Händen zu verbergen.

Der Hüttenmeister stieß ihn mit dem Fuße noch tiefer nieder, schritt über ihn hinweg, spie ihn an und sagte: »Du Unreiner! wir haben keinen Theil an Dir! Unsere Hütte ist beschimpft und entweiht unsere heilige Kunst, wenn wir Dich noch länger unter uns dulden. Mögen Dich die Profanen richten, wie Du es verdienst, uns bist Du nichts mehr, denn Du bist uns zum Schandfleck geworden, und Dein Steinmetzzeichen wird vertilgt werden, wo man es nur findet!«

Bei den letzten Worten war es Ulrich, als zertrete der schwere Absatzstiefel des Hüttenmeisters sein Haupt – einen solchen Schmerz fühlte er innerlich bei diesem Spruch in dem Sitz seiner Gedanken, die hochaufstrebend schon Unsterbliches geschaffen und noch mehr zu schaffen gehofft – aber schon schritten der Werkmeister und der Pallirer auch über seine zu Boden geworfene Gestalt und wiederholten denselben Spruch:

»Wir haben keinen Theil an Dir!«

Und so folgten alle Gesellen mit demselben Spruch, schritten über Ulrich und spieen ihn an.

Jetzt kam auch Hieronymus an die Reihe. Er zögerte; da traf ihn ein prüfender Blick des Hüttenmeisters[215] – Hieronymus mußte; wenn er nicht that wie die Andern, so machte er sich zu dem Mitschuldigen und Genossen des Ausgestoßenen. Noch bleicher als dieser, der für den Freund erröthete, ward Hieronymus Antlitz, als er über ihn hinweg schritt und zitternd stammelte:

»Ich habe keinen Theil an Dir!«

Diesmal war es Ulrich, als habe der Fußtritt sein Herz getroffen und zertreten. Mochten nun noch die Lehrlinge, die unmündigen Knaben, ihre Füße über ihn heben und ihn beschimpfen; mochte nun noch mit ihm geschehen was da wollte – er hatte das Aergste erlebt: der Freund, für den er sein Leben hatte opfern wollen, der jetzt nur, weil Ulrich alle Schuld auf sich allein nahm, ganz frei ausging – der hatte auch sagen können: »Ich habe keinen Theil an Dir!« Wen gab es denn nun noch, an dessen Theilnahme er glauben durfte? –

Die traurige Ceromonie, die an diesen Akt der Ausstoßung sich knüpfte, währte zwar lange, aber endlich war sie doch vorüber.

Zwei Steinmetzgesellen hoben Ulrich auf und begleiteten ihn zur Thüre, ihm diese öffnend. Dann[216] stießen sie ihn mit den Füßen hinaus auf den Platz, auf welchem die Gerichtsdiener seiner mit Ketten harrten, und sagten: »Nehm't ihn hin! er ist kein freier Maurer mehr – wir haben keinen Theil an ihm!« –[217]

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 3, Bremen 21875, S. 193-218.
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