Zehntes Capitel
Todesurtheile

[218] Elisabeth war in ihrem eigenen Hause eine Gefangene – sie erklärte selbst es sein zu wollen, bis auch jede Spur des entsetzlichen Verdachtes von ihr genommen, den die Bosheit auf sie geworfen. Wie groß auch das Ansehen war, in welchem das Geschlecht der Behaim stand, gerade jetzt, da Martin diesen Namen auch im Ausland zu hohen Ehren gebracht hatte: so gewannen doch jetzt täglich Elisabeth's Feinde mehr und mehr Oberhand im Rath, und selbst die meisten Männer und Frauen, die ihr früher gehuldigt und geschmeichelt, verläugneten sie jetzt um so mehr, damit man im Fall, daß Elisabeth wirklich verurtheilt werde, es vergesse, daß sie einst mit ihnen freundschaftlich verbunden gewesen.

Nur Ursula und Clara Pirkheimer waren unter den Nürnbergerinnen ihr treu geblieben und suchten ihr im[218] Leide beizustehen, wenn nicht mit Rath und Trost – da sie selbst oft weniger hatten, als die geistesklare Elisabeth, doch mit den Beweisen ihrer Treue und einer Anhänglichkeit, die eben erst jetzt die erste Gelegenheit fand sich zu bewähren.

An dem Tage, an welchem Elisabeth in das Verhör beschieden ward, war Ursula auch bei ihr und sagte:

»König Max hat einen Tag nach Augsburg ausgeschrieben zum Vergleich zwischen Herzog Albrecht den Baiern und dem Kaiser Friedrich. Mein Eheherr brachte mir diese Kunde und er hofft, daß der König binnen Kurzem in Augsburg sein werde. Dorthin will er reiten und dem König sagen, wie die Nürnberger gegen Dich verfahren, und er wird keinen Augenblick zögern ihnen bessere Sitten zu lehren und Dich zu beschützen. Aber sollte Stephan vielleicht den König nicht treffen oder nicht selbst bei ihm Gehör finden, so gieb ihm die Nadel mit, die er Dir einst schenkte – jetzt ist es Deine Pflicht sie zu benutzen.«

Elisabeth blickte stolz und zürnend auf: »Welch' ein Vorschlag!« rief sie. »Was kann mir an einem Schutz liegen, der nicht ein Schutz meiner Ehre ist? Und wie möchte eine Bürgerin dieser freien Reichsstadt ein gekröntes Haupt anrufen, dem Nürnberger Rath Vorschriften[219] zu machen, die dieser nicht bedarf? Für Euch giebt es keinen Schutz als meine Unschuld, und keine Rettung als durch sie.«

Ursula sagte: »Gewiß wird sie einst an den Tag kommen, aber wer weiß, ob sich die Sache bald aufklärt! Wenn ein Fürwort des Kaisers es nur dahin bringt, daß man –«

Elisabeth schnitt die Rede vom Munde der Freundin ab und ergänzte sie in ihrer Weise: »Daß man ein Recht habe zu sagen: Da ist es doch erwiesen, daß Elisabeth Scheurl des Königs Buhlerin gewesen – wie nähme er sonst die Giftmischerin in seinen Schutz? Kein Wort mehr davon! Es ist wahrlich nicht leicht fortzuleben unter der Wucht dieses entsetzlichen Verdachtes, jeden Augenblick bereit vor rohen und hämischen Richtern zu stehen, die nur darauf lauern, ein stolzes Weib zu demüthigen: aber leichter ist es noch, als wie sich ihnen nur durch fremde Fürsprache zu entziehen, welche der Bosheit neue Waffen in die Hand drückt und uns vor uns selbst erniedrigt.«

Elisabeth blieb fest bei dieser Antwort, was auch Ursula noch dagegen reden wollte. »Wenn man nun doch keine Schonung für Dich kennt!« rief sie angstvoll, »wenn man es wagen sollte Deinen zarten Leib der[220] Folter auszusetzen – neben all' ihren Qualen den tausendmal entsetzlicheren durch die Blicke und Berührungen der gräßlichen Folterknechte! – Wenn wir nun gar nichts weiter vom König erflehen wollten als seine Fürsprache, Dir das zu ersparen?«

Wohl schauderte Elisabeth, aber sie antwortete: »Gegen solche Entehrung wird mich dieser Dolch beschützen!« – und sie zeigte einen solchen, den sie verborgen in ihrem Trauerkleide trug; »aber ich hoffe noch, daß mich dagegen auch die Fürsprache meiner Brüder, Deines Gatten und Vaters und ein paar anderer, mir noch ergebener Rathsherren bei den Schöppen schützt! Nicht mit einer andern Entehrung will ich vor der einen mich retten! – Ursula, ich beschwöre Dich! wenn die Gefühle der Dankbarkeit, die Dich für mich beseelen, wie Du mir immer sagst, Dich antreiben etwas für mich zu thun, so laß es das sein, daß Du Deinen Gemahl abhältst, zum König zu eilen und ihm von meinem Unglück zu sagen. Es ist noch ein Trost für mich, wenn er wenigstens es nicht kennt, nicht ahnt, was der Frau geschehen, die er vielleicht gerade darum vor Andern auszeichnete, weil sie ihn zwang an weibliche Tugend zu glauben!«[221]

So mußte Ursula traurig auf ihren Vorschlag verzichten, in dem sie einen Rettungsschimmer für die Freundin gesehen, der sie das ganze Glück ihres Lebens dankte.

Von ihrem Bruder Georg begleitet war Elisabeth auf das Rathhaus in's Verhör gegangen. Wer die schöne Frau so gehen sah im kohlschwarzen dunklen Trauerkleid, Hals und Arme von Krepp umschlossen, und vom Haupt herab fast die ganze Gestalt mit einem wallenden Kreppschleier umhüllt – der mußte immer gestehen, daß in dieser majestätischen Haltung und dem festen Gange, den sie angenommen, kein Schuldbewußtsein lag.

Trotz aller Mühen ihrer Feinde war nichts aufgefunden worden, sie bestimmt des Mordes ihres Gatten zu zeihen, aber eben so wenig sie von dem Verdacht desselben zu entbinden.

Sie beantwortete alle an sie gerichtete Fragen mit einfacher Kürze und Würde, und da sie sich in nichts widersprach, so konnte auch der gegen sie erhobene Verdacht keine Steigerung finden. Die Aussage Katharina's: die Geldbörse Scheurl's von seiner Gattin erhalten zu haben, wies sie als freche Lüge zurück. Sie war bereit, ihre Aussagen wie ihre Unschuld zu beschwören,[222] erklärte aber selbst, daß sie, bis die schauderhafte That an das Licht gekommen, und ihr und dem Namen ihres Gatten vollkommen Gerechtigkeit geworden, ihr Haus nicht verlassen werde.

Der Eindruck, den ihre Erscheinung in ihrer ruhigen Sicherheit und weiblichen Majestät machte, war doch ein solcher, dem keiner der Schöppen und Rathsherren, die mit im Verhörzimmer waren, sich entziehen konnte; es wagte keiner, ihr mit der Folter zu drohen, oder auch nur mit Ketten und Gefängniß; sie lasen auf ihrer reinen Stirn die Reinheit ihres Gewissens, sie behandelten sie mit Achtung, trotz allen Vorsätzen, welche Einige vorher daheim gefaßt, ihre Verachtung der stolzen Frau empfinden zu lassen und sie recht tief in den Staub zu treten. Sie ging so stolz und frei fort, wie sie gekommen – und doch auch so niedergedrückt und bange athmend: denn sie war ebenso wenig frei gesprochen worden als schuldig erklärt.

In diesem Zustand verging ein Tag nach dem andern. Denn nur in gewissen Fällen übte der Rath von Nürnberg schnelle Justiz: wenn es nämlich seinen Ruf und sein Recht nach Außen zu wahren galt, namentlich dem Adel, Fürsten und Herren und unruhigen Grenznachbarn gegenüber. Dann eilten die gestrengen Herren[223] von Nürnberg zu zeigen, daß Niemand sie ungestraft kränken und beleidigen dürfe, und daß sie sehr wohl die Leute wären, auf Ordnung zu halten im Reich, sich selbst Recht zu sprechen und zu schützen gegen die Uebergriffe Solcher, die sich dünkten mehr zu sein als die ehrsamen Reichsbürger, und von diesen doch nur Placker und Straßenräuber, Landfriedenbrecher und Ritter von Habenichts genannt wurden, wenn sie auch noch so stolze Embleme in ihrem Wappen führten.

Diese schnelle Justiz erfuhr der Ritter Axel von Weyspriach an sich. Es war erwiesen und er selbst hatte gar kein Hehl daraus gemacht, daß er lange Zeit in seiner Veste nur von Straßenraub gelebt, und daß er den friedlichen Handelsleuten, die aus oder nach Nürnberg ihre Wagen und Waaren an dem ihm zugehörigen Wald vorüberführten, aufgelauert und einen Theil ihrer Waaren oft als Lösegeld genommen hatte, daß er die Leute selbst ungefährdet ziehen ließ oder ihnen nicht Alles nahm. Oft jedoch waren seine Ausfälle minder gemüthlicher Art, und es kam dabei auf einige Todte nicht an, wenn durch solchen Raubmord nur ein einträgliches Geschäft gemacht ward. Ja, die meisten Ritter rechneten sich solche Thaten nicht etwa als verbrecherisch und ehrlos an: im Gegentheil, dergleichen war ihnen[224] mehr ein Scherz, ein Recht des Stärkeren, ein Sieg ihres ritterlichen, kühnen Unternehmungsgeistes, dem stillen Krämergeist der Städter gegenüber; den Spießbürgern geschah ganz recht, wenn sie um ihr Eigenthum kamen – warum wollten sie jetzt so hoch hinaus und es in Allem dem Adel gleich oder zuvor thun! Ja, diese Raubanfälle steigerten sich um so mehr zum Heldenthum, als sie jetzt durch den von Kaiser Friedrich gegebenen und vor Kurzem auf neue acht Jahre verlängerten Landfrieden, auch eine Auflehnung waren gegen Kaiser und Reich. Die trotzigen Ritter, die sich durch die neue, zu Gunsten des Bürgerthums sich wendende Ordnung der Dinge in ihren Rechten sehr beeinträchtigt sahen, setzten eine Ehre darein, zu beweisen, daß sie sich an kein neues Gesetz zu binden brauchten und daß sie noch zeigen wollten, wer mehr Macht habe im Lande: die Bürger oder der Adel – und die Gefahr reizte nur zu um so frecheren Handlungen.

Als Weyspriach und Streitberg mit dem Führer jenes Waarentransportes von Augsburg zusammengetroffen waren, der so wundersame Geschenke für die Behaim und Scheurl enthielt, so geschah es im doppelten Interesse, ihn aufzulauern: einmal um dieser Gegenstände Willen, und dann um sich dadurch an Elisabeth[225] zu rächen. Das ahnten sie freilich nicht, daß nun die Herren von Nürnberg einmal Ernst machen würden, die Ritter als Thäter entdecken, verklagen, belagern, in die Reichsacht erklären – und schließlich wirklich in ihre Gewalt bekommen.

Als der Raub geschehen war und die Ritter nicht alle Kisten mit sich hatten fortschleppen können, waren einige derselben im Walde vergraben worden, um sie einmal bei gelegener Zeit mitzunehmen. Ezechiel und Rachel waren gerade auf einer ihrer Wanderungen über Land vorüber gekommen, und man hatte den Juden, um sich seiner zu versichern, zum Theilhaber an dem Verbrechen gemacht. Damit er schweige, hatte man ihm einen Sack mit werthvollen Kleinigkeiten geschenkt, und unbedacht auch den indianischen Raben, den Rachel aufgefangen. Nicht lange darauf mochten ihn Leute, die bei Ezechiel Geschäfte hatten, dort bemerkt haben; aber die Christen, welche dies thaten, schämten sich einzugestehen oder selbst zu verrathen, daß sie mit dem Juden in irgend welcher Berührung waren, und so verbreitete sich nur ganz im Allgemeinen und ohne bestimmte Angabe das Gerücht: die Juden hätten die indischen Schätze. Ezechiel selbst war gerade über Land auf ein paar Tage, als das Murren des Volkes wider die Juden[226] drohend ward. Rachel's Bruder Benjamin wollte den Vogel, der zum Verräther werden konnte, erwürgen und vergraben; Rachel war aber mit ihm verschwunden, und wagte doch erst lange nicht zu gestehen, wie und durch wen sie ihr Volk gerettet. –

Da Weyspriach gefangen in Nürnberg war und ihm in der Eile der Prozeß gemacht ward, suchte er sich wenigstens noch dadurch zu rächen, daß er Alles an das Licht brachte, was vielleicht die Nürnberger Herren in einige Verlegenheit setzen konnte. Er erklärte den Juden Ezechiel als seinen Verräther, nachdem er den Helfershelfer gemacht, da Niemand als er in Nürnberg wissen konnte, wohin man die Kisten gebracht – er habe es wohl der Frau Haller gesagt, deren ergebener Diener und Freund er ja sei. Ebenso werde es wohl die alte Jacobea gewußt haben, in deren Hause die Frau von Scheurl schon manches verliebte Abenteuer mit dem Steinmetzgesellen gehabt, und von deren Hand sie wahrscheinlich auch das Gift empfangen habe, mit dem sie ihren Gemahl beseitigt – denn darauf verstehe sich die alte Hexe wie Niemand sonst.

Die Folge dieser und anderer Aussagen von ihm war, daß man wenigstens den Juden Ezechiel und die alte Jacobea einziehen mußte. Indeß konnte doch ihre[227] Schuld oder Mitschuld keinen Einfluß auf Weyspriach's Geschick haben; er hatte sein Leben verwirkt, man wollte einmal ein Exempel statuiren: er ward verurtheilt lebendig gerädert zu werden, welches Urtheil dann durch besondere Gnade in den Tod durch das Schwert verwandelt ward.

Wohl waren damals Hinrichtungen an der Tagesordnung und das Volk war an blutige Auftritte gewöhnt – aber lange war es nicht vorgekommen, daß ein Ritter, ein Herr vom Adel war gerichtet worden. Der Bürger und Bauer hatte sein besonderes Ergötzen daran, daß auch einmal Einer, der ein stolzes Wappen trug, dem Henker verfiel. Der Tod durch dessen Schwert war überdies die ehrenvollste Todesstrafe, und sie war darum mit um so größerem Gepränge vollzogen und lockte die meisten Schaulustigen herbei. Viel gebräuchlicher war es, gemeine Verbrecher am Galgen aufzuknüpfen, zu rädern oder zu säcken, auch lebendig zu vergraben und zu pfählen, wobei ein förmlicher Wetteifer der Grausamkeit bei Verordnung und Vollziehung dieser und anderer gräßlichen Strafen stattfand.

Ganz Nürnberg war auf den Beinen, müssig und geputzt wie an einem Festtag, um den gefährlichen Straßenräuber sterben zu sehen, den Viele kannten, weil[228] er sich bei König Maxens Anwesenheit mit unter dessen Gefolge gemischt und mit den ehrsamen Nürnbergerinnen getanzt hatte. Gerade dadurch, daß sie nun seiner Enthauptung zusahen, meinten sie von sich selbst jeden Schimpf abzuwaschen und den seinen zu erhöhen. Auch Beatrix Immhof und die Hallerin fehlten nicht unter ihnen an den dicht besetzten Fenstern des Marktes; die Hallerin hatte zumeist Ursache ihre Verachtung zu zeigen, denn Weyspriach's Aussagen über ihre feindlichen Pläne gegen die Scheurl und die Gunst, die sie ihm selbst erwiesen, waren zu den Ohren des Rathsherrn Haller gekommen und machten ihm nun ihre Bemühungen, Elisabeth als schuldig erscheinen zu lassen, doppelt verdächtig, so daß ihm nöthig schien, zur äußersten Vorsicht und Rücksicht zu rathen. –

Das Läuten des Armensünderglöckchens, momentane Stille, dann Trommelwirbel und ein Aufschreien aus tausend und abermals tausend Menschenkehlen verkündete, daß der Henker sein Werk vollendet hatte. Ja, sie jubelten, die guten, gesitteten Nürnberger: es war der Triumph des Bürgerthums über das Raufboldthum der Ritterschaft, die sich selbst um ihr einstiges Ansehen gebracht – aber noch mehr war es das Aufheulen einer blutgierigen Bestie, die nach Blut dürstet und sich freut[229] wenn sie welches gesehen. So war das Volk in diesem Augenblick, so jedes menschlichen Gefühls und höheren Gedankens baar – ein Ungeheuer, das sich in seiner natürlichen Wildheit zeigte. –

Auch Elisabeth vernahm diese Trommelwirbel und dieses viehische Gebrüll, so abgelegen auch ihr Haus von dem Platz des Blutgerüstes war und das Zimmer, in dem sie weilte. Clara Pirkheimer war bei ihr und hatte ihr in derselben Stunde erzählt, was ihre Schwester Charitas im Kloster der heiligen Clara erlebt, wie sie in der Nonne Ulrike, Ulrich's von Straßburg Mutter entdeckt, und diese dann nicht eher habe sterben können, bis sie den Sohn auf ihrem Sterbebette gesegnet.

»Und jetzt höre ich,« fuhr Clara fort, »daß Ulrich aus der Bauhütte ausgestoßen ist und gefangen fortgeführt worden – ich weiß nicht, welches Verbrechens man ihn zeiht!«

Elisabeth hatte mit steigender Theilnahme zugehört; sie erbleichte und erröthete während dieser Erzählung – und jetzt, da der Trommelwirbel tönte, der das Ende eines Opfers der strafenden Gerechtigkeit verkündete, zuckte sie zusammen – in demselben Augenblick erfaßte sie die Vorstellung mit der furchtbarsten Angst: wenn Ulrich auch ein solches Opfer wäre? – Aber nein![230] das war unmöglich! Wenn Ulrich ein Schuldiger war, der ihr so rein und heilig erschienen, wie der heilige Johannes selbst, dem er diente, dann gab es nur noch lauter Verbrecher in der Welt! Wer konnte es wagen ihn anzuklagen? Wie konnten die freien Maurer, deren Zierde und erster Künstler er gewesen war, ihn ausstoßen aus ihrer Genossenschaft, wenn sie nicht irgend eine Schuld an ihm gefunden? Aber wieder: sie selbst war ja auch eine Unschuldige – und doch hatte man den Verdacht eines Verbrechens auf sie geworfen, vor dem ihre reine Seele schauderte!

Zwei Mal hatte er sein Leben für sie gewagt – jetzt war es an ihr, jetzt mußte sie Alles versuchen ihn zu retten! Auf einmal blitzte ein Gedanke in ihr auf. »Wißt Ihr, ob König Max schon in Augsburg ist?« fragte sie.

Clara antwortete: »Ich glaube es« – aber sie begriff nicht, wie Elisabeth in demselben Augenblick eine müssige Frage nach dem König thun konnte, wo sie gemeint hatte, sie sei ganz ergriffen von Ulrich's Geschick – und darum fügte sie nichts weiter hinzu.

Aber Elisabeth sagte: »Ich muß ihn retten, es ist meine Pflicht und ich hoffe, es ist in meiner Macht. Da mich der König mit der Nadel beschenkte, knüpfte[231] er das Versprechen daran, daß ich, wenn ich einmal etwas von ihm zu bitten habe, ihm nur die Nadel zu zeigen brauche, um gewiß zu sein, daß er meinen Wunsch erfüllt. Ist es nun nicht schon zu spät, so kann ich Ulrich retten; denn in wessen Händen er auch ist: des Königs Fürwort muß ihn befreien – muß ihm auch bei den Baubrüdern die verlorene Ehre wiedergeben; Max ist ja selbst ein Baubruder und wird sich Ulrich's von Straßburg noch gar wohl erinnern.«

»Ihr wolltet diesen Schritt für Ulrich thun?« rief Clara staunend; »Ihr könntet das wollen?«

Elisabeth fuhr zusammen – sie war ja selbst eine Gefangene! In diesem Augenblick hatte sie das vergessen, sie hatte ja überhaupt sich selbst vergessen, ihr eigenes trauriges Geschick über das eines andern theuern Wesens – nach edler Frauenart. Was sie erst selbst zu Ursula gesagt, da diese um ihretwillen zu König Max hatte senden wollen, das mußte sie jetzt sich erst von Clara sagen lassen – und mehr als das! sie fügte noch hinzu:

»So wißt Ihr nicht, wie die Rede Eurer verruchter Feinde in Nürnberg geht? daß diejenigen, die den schrecklichsten Verdacht auf Euch werfen, auch noch hinzufügen:[232] Ihr hättet die gräßliche That vielleicht um dieses Baubruders Willen gethan?«

»Herr des Himmels!« rief Elisabeth und verhüllte ihr Gesicht.

»Verzeiht mir!« sagte Clara; »ich würde Euch die Kränkung dieser Rede erspart haben, wenn es nicht hätte geschehen müssen, Euch Schlimmeres zu ersparen. Ihr dürft diesen Schritt nicht thun!«

Elisabeth richtete sich groß und feierlich nach einer langen Pause auf. Mit Hoheit sagte sie: »Ich werde diesen Schritt thun und wenn man mir nicht selbst gestattet mit sicherem Geleit gen Augsburg zu reisen, so werde ich Stephan Tucher's Vermittlung annehmen. Wenn ich ein Mittel habe, einen Unschuldigen zu retten, und nütze es nicht, dann bin ich vor Gott und mir selbst die verworfene Mörderin, zu der dieser hochweise Rath vor der Welt mich machen möchte. Der Schein hat mir stets weniger gegolten als das Sein, und wo ich ihn bewahren wollte, da ist er mir und andern nur zum Fluch geworden! – Der Propst Kreß,« fragte sie später, »sagtet Ihr, sei sein Oheim? Ich muß ihn noch heute sprechen, er wird mich näher über Ulrich unterrichten können – vielleicht mich zum Könige begleiten.«[233]

Noch war Clara bei Elisabeth, als Martin und Georg Behaim kamen, begleitet von Stephan Tucher, seinem Vater und auch dem andern Loosunger Herrn Holzschuher.

Was wollten die beiden Loosunger bei ihr mit der freundlichen Amtsmiene? Sie richtete sich stolz empor und trat ihnen mit imponirender Würde entgegen.

Die beiden alten Herren verneigten sich, küßten Elisabeth's Hand und Georg sagte: »Heute ist ein Tag, an dem die Behaim endlich gerächt und gerechtfertigt worden. Der Ritter, der uns so frech bestohlen, hat durch das Schwert geendet, und durch ihn hat es sich sichtbar gezeigt, wie die Heiligen noch Macht haben, das Werk der Teufel zu zerstören und an's Licht zu bringen und gut zu machen, was die Gottlosen beschlossen hatten böse zu machen.«

»Ihr werdet gerechtfertigt sein und Euer seliger Eheherr gerächt!« sagte der alte Herr von Tucher. »Wir kommen selbst zu Euch, um die Ersten zu sein, Euch dazu unsern Glückwunsch zu bringen und Euch unserer Ehrerbietung zu versichern.«

Sie meinten Elisabeth in einen Freudensturm ausbrechen zu sehen oder ein Wort des Dankes von ihr zu erhalten – aber sie sagte ruhig, als habe sie diese[234] Ueberraschung längst erwartet: »Ich war auch nahe daran zu verzweifeln an diesem hochedlen Rath von Nürnberg, der ohne Ursache und Recht es wagen konnte, die Wittwe eines ihrer Mitglieder unglimpflich zu behandeln.«

Herr Holzschuher biß sich in die Lippen; er meinte, daß sie doch außerordentlich glimpflich mit einer Verdächtigen verfahren seien – sie hatten ihr Gefängniß und Tortur erspart! Und nun erzählte Herr Tucher in langer förmlicher Rede, wie Katharina auf der Folter endlich Alles eingestanden, was sich wirklich ereignet hatte – wie sie geglaubt, das Gift, das ihr die alte Jacobea gegeben, sei nur ein Schlaftrunk. Man habe sich dieser bemächtigen wollen, aber sie sei nicht aufzufinden gewesen. Der Ritter von Weyspriach hatte dieselbe Jacobea als Hehlerin, Kupplerin und Giftmischerin angegeben, wie auch, daß sie in einer Waldhöhle, die er genau beschrieb, einen Schlupfwinkel habe für sich und geraubtes Gut. Dort hatte man sie aufgegriffen. Zwar hatte es lange gedauert, ehe sie gleich Katharinen bekannte, aber endlich hatte sie doch die Folter nicht länger ertragen, die ganze Wahrheit war an den Tag gekommen und dadurch Elisabeth's Unschuld.[235]

Beide Frauen wurden zu einem schimpflichen Tode verurtheilt: sie sollten gesackt werden und von der Brücke in die Pegnitz geworfen – um auch durch diese Todesart die venetianische Gesetzgebung nachzuahmen. Durch Elisabeth's Fürsprache für Katharina ward es erlangt, daß sie ihren Sohn Konrad vor ihrem Tode noch sollte sehen dürfen.[236]

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 3, Bremen 21875, S. 218-237.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Die Familie Selicke

Die Familie Selicke

Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon