Elftes Capitel
Des Narren Gnadenspende

[237] Das Schrecklichste war Ulrich geschehen: er war ausgestoßen aus dem heiligen Bruderbund der freien Steinmetzen, dem er seine ganze Seele und sein ganzes Leben geweiht hatte – was nun noch geschehen mochte, kümmerte ihn nicht mehr. Ob er lebendig begraben werden und verhungern sollte, vielleicht in demselben grauenvollen Gewölbe, dem er seinen Vater entrissen; ob er bestimmt war, auf einem Holzstoß zu enden, ein Opfer unseliger Vorurtheile – welche Marter und Qual man sonst für ihn ausgesonnen, das ließ ihn gleichgültig. Die gräßlichste Marter hatte er erlebt – das war da gewesen, als man in der Bauhütte ihn verurtheilte und sich von ihm lossagte, als jeder Baubruder einzeln und auch sein Freund Hieronymus zu ihm sagen konnte: »Ich habe keinen Theil an Dir!«[237]

Für ihn schien es kein Wesen mehr zu geben, das Theil an ihm hatte! Auch der Propst Kreß, sein Ohm, mußte sich von ihm gewendet haben. Während seiner Verurtheilung war er wieder krank und nicht mit in der Hütte gewesen; aber wie Ulrich erfuhr, hatte der Propst über Ulrich's Herkommen, das dieser aller dings selbst verrathen, die ausführlichste Aufklärung gegeben, in der Bestürzung, in die er gerathen, als er fand, daß die längst geführte Untersuchung nun nicht mehr zu unterdrücken war. Sich selbst stützte er außer auf seine geistliche Würde auf das Recht des Stärkeren, das Amadeus und Ulrich gegen ihn geübt, und dem er unterlegen sei. So war ihm der Propst ein freundlicher Gönner im Glück, ein Beistand und Berather auch in der Noth gewesen, so lange er sie glaubte von Ulrich und sich abwenden zu können; aber da trotz seiner Warnungen und Versuche, dem Unheil zu begegnen, es endlich doch über Ulrich kam: da nahm er es an, daß dieser alle Schuld sich selbst auflud – und suchte sich selbst davon zu befreien.

Um Vater und Mutter litt Ulrich diese Qual. Ein Leben voll ungestillter Sehnsucht nach dem Sohne hatten sie geführt; redlich mit sich gekämpft, um seinetwillen auf ein Wiedersehen mit ihm zu verzichten, damit er[238] nie das unselige Geheimniß seiner Geburt erfahre – und nun, nach so langer Zeit hatten sie es doch verrathen! Nun hatten die segnenden Elternhände auf seinem Haupt geruht – es waren nur Augenblicke gewesen voll Kampf und Qual und Wehmuth – und wie theuer waren sie erkauft! Wie hatte Ulrich nur allein seiner hohen Kunst gelebt! wie war ihm jede Versuchung leicht gewesen zu überwinden, die ihn einmal zum Niedern ziehen wollte, schon allein durch diesen heiligen Schwung seiner Seele, die vom Gemeinen und Rohen sich abgestoßen fühlte! Wie redlich hatte er mit sich gekämpft, wenn die Versuchung kam in einem reizenderen Gewande, mit einem Blick, der auch zum Himmel flog, in ihm den seinen zu begegnen – aber doch in irdisch schöner Form, an die er nie sich hingeben durfte! Der Schwärmerei widerstand er nicht, aber sie machte ihn nur begeisterter und wärmer und lockte ihn zu keiner Sünde. Nur der Versuchung, die von Elternhand ihm kam, hatte er nicht zu widerstehen vermögen. So wenig wie sein Dasein überhaupt ein Verbrechen war vor Gott, da es die Welt und zumal die Satzungen des Bundes, dem er angehörte, es doch dem Unschuldigen selbst dazu machten: so wenig war ein Verbrechen vor Gott, wenn der Sohn den Vater vom entsetzlichsten Tode[239] rettete, als dessen Ursache er sich selbst anklagen mußte; aber es war ein Verbrechen vor der Welt und vor dem Gericht, daß er ihm ein Opfer entzog. Er war vor sich selbst auf der Hut gewesen, nicht nach seiner Mutter zu forschen, und da er erfuhr, wie nahe sie ihm war, und in's Claragäßlein zog, um ihr noch näher zu sein: da hatte er dennoch jeder Versuchung widerstanden, sich und sie zu verrathen; aber wie hätte er mögen die Mutter auf dem Sterbebette sich vergeblich nach ihm sehnen lassen – wie hätte er mögen dem eigenen Sehnen widerstehen, den letzten Segen seiner Mutter zu erhalten? Nun war es geschehen – nun war es vorbei; er hatte keine Mutter mehr, und ihr Segen war ihm doch zum Fluch geworden, der flüchtige Vater ahnungslos ihm selbst zum Verräther!

Er hatte nichts gewonnen und Alles verloren.

Als man ihn vor dem geistlichen Gericht verhörte, bekannte er wieder, was er vor dem Hüttenmeister bekannte.

Sein Urtheil lautete in erster Instanz auf Tod durch das Feuer. Er vernahm es mit ruhiger Resignation. Mochte mit ihm geschehen, was da wollte – er gehörte ja nicht einmal in das Leben – seine bloße Existenz ward ihm ja schon zum Verbrechen angerechnet.[240] Er hatte von aufgeklärten, begeisterten Männern sprechen hören, die in Kostnitz noch vor seiner Zeit den Flammentod für ihre Ueberzeugung erlitten und auf dem Holzstoß noch fromme Triumphgesänge angestimmt hatten. Hätte er doch auch so leiden dürfen für eine höhere Idee! Aber aus dem schönsten und freiesten Bunde, der zu seiner Zeit bestand, aus einem kunstgeweihten Leben war er ausgestoßen worden, nur um eines blinden Vorurtheils Willen – und sterben sollte er für eine That, zu der sein Gewissen und natürliches Gefühl ihn gedrängt. Das war es, warum er nur bitter lächelte und nicht freudig, da ihm das Todesurtheil verkündet ward.

Aber es konnte noch nicht sogleich vollzogen wer den, denn die Schöppen vom Nürnberger Stadtgericht bedurften seiner als Zeugen im Prozesse wider die Juden. –

Der Rath von Nürnberg trachtete danach eine Gelegenheit zu ergreifen, sich der Juden für immer zu entledigen. Konnte zu den vielen Anklagen, welche gegen sie vorlagen, sich nun noch die gesellen, mit den Raubrittern geheime Verbindungen unterhalten zu haben, so hoffte der Rath endlich vom Kaiser die Erlaubniß zu erhalten, die Juden ganz und für immer aus der[241] Stadt zu vertreiben. Es durfte daher nicht versäumt werden, neue Schuldbeweise gegen sie vorzubringen, und dazu sollte nun auch Ulrich mithelfen. Denn Martin Behaim, der von Elisabeth erfahren, daß sie Ulrich's Kunde die Rettung seiner Schätze verdanke, wollte sich ihm dankbar erzeigen, und hatte ihn als den Ueberbringer des Vogels genannt. Es war wichtig von ihm zu erfahren, wie er in den Besitz desselben gekommen, und ob er wirklich, wie man munkelte, »diese Nachricht einer hübschen Judendirne abgeschwatzt« und welche Beweise er für die Betheiligung der Juden an jenem Raub etwa zu schaffen wisse.

Indeß hatte Elisabeth Scheurl den Propst Kreß gesprochen und von ihm erfahren, wie es um Ulrich stand. Er jammerte ihn – aber da er nicht absah, was er selbst thun konnte, das Geschick des ausgestoßenen Baubruders zu mildern, war er nun selbst auf der Hut das seinige nicht mit ihm zu verknüpfen; sah er aber ohne Gefahr für sich selbst eine Möglichkeit Ulrich zu retten, so war sie ihm tausendmal willkommen. Als ihn daher Elisabeth für ihr Vorhaben in's Vertrauen zog und dafür wieder Vertrauen von ihm verlangte, da gab er es ihr mit Freuden und verheimlichte ihr nichts, was ihr bei ihrem Vorhaben förderlich sein[242] konnte. So ernst und heilig ihm die Sache war – es spielte doch ein schlaues Lächeln um seinen Mund: er behielt doch recht, daß der Baubruder vor den Augen der stolzen Elisabeth Gnade gefunden; daß die Angst, welche sie um ihn empfand, der Entschluß, auch das Aeußerste zu seiner Rettung zu versuchen, mehr war als Dankbarkeit – ja, er ging in seinem Mißtrauen noch weiter: er begriff wohl, daß Elisabeth's unbegrenzter Stolz ihr nicht erlaubt hatte die Hülfe des Königs für sich selbst anzurufen, da sie derselben bedurft hätte, daß sie nicht ertragen mochte, sich ihm verdächtigt und erniedrigt zu zeigen – aber er dachte, daß sie wohl gern eine Gelegenheit benutze, König Max wieder an sich zu erinnern.

In der That war es eine günstige Zeit, in welcher sie nach Augsburg kam. König Max hatte eben eine der schönsten Handlungen seines Lebens gethan: einen unheilvollen Krieg im Herzen Deutschlands und deutscher Heere wider einander verhindert und damit gleichzeitig inmitten der eigenen Familie endlich Frieden und Versöhnung gestiftet.

Der schwäbische Bund hatte, dem Aufruf Kaisers Friedrich gehorsam, wider den Baiernherzog Albrecht, seinem Schwiegersohn, der sich ohne sein Wissen und[243] Willen mit Friedrich's Tochter Kunigunde vermählt hatte, ein mächtiges Heer in's Feld gestellt, in welchem 2150 Reiter, 18,000 Mann Fußvolk und 57 Kanonen, von freien Rittern und Knechten aber 1600 gezählt wurden. Da erkannte Herzog Albrecht die Bedenklichkeit des Streites. Er sprach die Hülfe seiner Vettern, der Pfalzgrafen an, doch selbst Herzog Georg von Landshut schrieb ihm ab und gab sogar die ihm verpfändete Markgrafschaft Burgau heraus, um nur den Frieden des Kaisers zu behalten. Er schrieb an die Reichsstände und erbot sich vor dem römischen Könige, vor den Kurfürsten von Mainz und Trier, dem Grafen Eberhard von Würtemberg, ja selbst vor des Bundes Häuptern wegen Regensburg vor Recht zu stehen: aber das Reichsheer achtete nur auf den Befehl seiner Führer, namentlich des Markgrafen Friedrich von Brandenburg, und bewegte sich vorwärts. Bei Stadel, wo die Herzöge Wolfgang und Christoph mit 200 Mann zu Pferde und einigen Hundert Mann Fußvolk hinzustießen, ward eine Brücke über den Lech geschlagen und das Heer hinübergeführt. Es nahm ein Lager bei Kaufring, unweit der schlagfertigen Baiern ein.

In diesem Augenblicke, wo man eine blutige Schlacht zweier deutscher Heere gewärtigte, erschien König Max[244] im Lager und verkündigte, daß er einen Tag nach Augsburg zum Vergleich dieser Sache angesetzt habe, und daß Herzog Albrecht denselben mit der Absicht beschicken wolle, den Wünschen des Kaisers Genüge zu leisten. Brüderlich und dringend hatte Max seinen Schwager ermahnt, dem Unglück des deutschen Vaterlandes, auf dem ohnehin große Noth und Theuerung lastete, durch verständige Nachgiebigkeit Einhalt zu thun, es nicht geschehen zu lassen, daß durch den Trotz der Fürsten Tausende ihrer Tapfern in den Tod gejagt würden, ohne dem Vaterlande einen Gewinn zu bringen. Seine Schwester Kunigunde hatte ihre Bitten mit den seinigen vereinigt, und so gab Albrecht endlich nach. Von frohen Hoffnungen beseelt kam Max in das Lager des Reichsheers, und nachdem er von dem Markgrafen Friedrich einen Waffenstillstand erlangt, nahm er die Bundeshauptleute Hugo von Wartenberg und Wilhelm Besserer mit sich nach Augsburg, wo Herzog Georg schon mit Vollmacht seines Vetters Albrecht wartete und auf die an diesen gestellte Forderung solche Sicherheit gab, daß noch vor Ende des Waffenstillstandes der kaiserliche Fiskal Johann Keßler dem Heere den Austrag des Streites und die Einstellung der Feindseligkeiten verkünden konnte. –[245]

Wie freute sich Max, daß es ihm endlich gelungen war die Seinen zu versöhnen, woran er seit acht Jahren vergeblich gearbeitet hatte! Keine Stunde länger als nöthig mochte er im prächtigen Augsburg bleiben, sondern wollte zu Herzog Albrecht eilen, um ihn und Kunigunden mit sich nach Linz zu führen zu dem greisen Vater, damit er vor seinem Ende noch segnend die Hand auf das Haupt der erst verstoßenen Tochter lege und zum ersten Male ihren Gatten als Sohn willkommen heiße! –

In diesem Augenblicke war es, als Elisabeth von ihrem Bruder Georg und Stephan Tucher begleitet in Augsburg eintraf. Schon war der König zur Abreise gerüstet und saß mit Kunz von der Rosen beim Frühstück, um noch einen kräftigen Imbiß mit auf den weiten Weg zu nehmen. Noch einmal stieß dieser fröhlich mit ihm an auf das gelungene Friedenswerk – da trat ein Edelknabe hastig ein, so daß Max aufbrechend rief: »Nun, sind die Rosse gesattelt und gezäumt? Auf mich soll Niemand zu warten haben!«

»Verzeiht,« antwortete der Eintretende, »ich wollte wohl Eurem Befehl folgen, Niemanden vorzulassen, da Ihr durchaus nicht aufgehalten sein wollt; aber eine trauernde Dame verlangte von mir Euch gemeldet zu[246] werden, und da ich mich dessen weigern wollte, gab sie mir diese Nadel – ich müsse sie Euch geben, dann werde sie nicht vergeblich bitten.«

Max blickte sinnend auf die Nadel und fragte: »Hat sich die Dame nicht genannt? – In Trauer sagst Du? – Nun, führe sie nur herein!«

Aber Kunz hatte kaum die Nadel gesehen, als er rief: »Das ist Nürnberger Hand: Wahrhaftig, Ihr Könige hab't doch das schlechteste Gedächtniß, der Narr muß es immer für Euch haben – selbst für Eure Narrheiten! Die Nadel schenktet Ihr einst der schönsten Nürnbergerin und ihrem Gatten zur Nadel den Adel! Wenn Ihr Elisabeth Scheurl vergessen hab't, weil sie tugendhafter blieb als Andere, die Euch gefielen, so habe ich sie mir deshalb um so besser gemerkt – denn ein Narr merkt sich die Ausnahmen immer besser, als die Regel.«

Auch ohne diese Mahnung würde der König, als Elisabeth selbst vor ihm stand, sogleich seiner schönen Wirthin und seines königlichen Wortes eingedenk gewesen sein, denn ihre Erscheinung übte denselben magischen Eindruck auf ihn wie einst, umhüllte sie auch jetzt die dunkle Trauerkleidung statt dem gewählten Putz, in dem er sie sonst gesehen.[247]

Auf den Lippen des lustigen Rathes erstarb vor ihrem Blick auf diese Trauerzeichen und der schmerzlichen Bewegung, die aus Elisabeth's Mienen sprach, wohl der Scherz, aber nicht die herzliche Anrede, mit welcher er sie begrüßte.

So fand sie schnell ein williges Gehör. Der König überreichte ihr die Nadel wieder und sagte: »Nehmt sie noch einmal aus meiner Hand als mein Versprechen Euer Gesuch zu gewähren, dafern das in der Macht des römischen Königs ist. Ich sehe Euch in Trauer wieder?«

Sie erwähnte nur kurz, daß sie Wittwe geworden, und sagte dann: »Ich komme nicht, um für mich selbst zu bitten, sondern für Einen, der, obwohl mir ein Fremder, zwei Mal sein Leben einsetzte, das meine zu retten oder mir einen Schimpf zu ersparen – ich komme, um von Euch das Leben und die Ehre eines Baubruders zu erbitten, dem Ihr einst in Nürnberg auch Eure Huld erwieset – ich bitte für Ulrich von Straßburg. Den königlichen Baubruder ruf' ich an, sich des Baubruders zu erbarmen.«

Max runzelte die Stirn. »Einen königlichen Baubruder,« sagte er, »giebt es nicht. Als freier Maurer bin ich nur der Bruder Max und habe nicht mehr[248] Macht als die andern – als König hab' ich die Statuten der Bauhütten bestätigt, als Baubruder muß ich ihre Entscheidungen ehren!«

Elisabeth erzählte so kurz als möglich Ulrich's Geschick: daß er aus der Bauhütte ausgestoßen worden, weil er nicht ehrlich geboren sei, und daß er nun zum Feuertode verurtheilt worden, weil er seinen Vater aus gräßlichem Gefängniß befreit. Sie hatte weder einen Namen, noch irgend eine Person in dieser traurigen Geschichte vergessen; aber mit besonderer Begeisterung sagte sie Alles, was zu Ulrich's Lob und Entschuldigung sich sagen ließ: wie er selbst erst vor Kurzem das Geheimniß seiner Geburt erfahren, und wie er nichts gethan habe, was nicht eher Bewunderung als Strafe verdiene.

Wohl war Max gerührt – aber er wußte selbst keinen Ausweg.

»Ei was,« sagte der Narr, der niemals ein Freund der Geistlichkeit war, auf ihre Kosten immer am meisten spottete und sich freute, wenn er ihrer Macht ein Schnippchen schlagen konnte, »wenn es nicht wahr sein soll, was ich Dir schon gesagt, daß Du ein gut Theil Deiner Macht aus den Händen gegeben, als Du die Bulle des Papstes Innocenz VIII. über den Hexenprozeß in Deutschland bestätigt, so zeige wenigstens, daß Du[249] die Inquisition nicht duldest – oder laß Dir von den Pfaffen helfen, statt daß Du ihnen hilfst. Hat der Maurerhof von Straßburg fast dreißig Jahre lang ein Auge zugedrückt über Ulrich's Herkommen, so ist's wohl auch kein Unglück, wenn es länger geschieht. Erkläre Du und laß es von einem Bischof oder in Rom, wenn es sein muß, bestätigen, daß Ulrich als ehrlich Geborner zu betrachten, weil seine Eltern Buße gethan haben im Kloster, und weil er selbst ein braver Kerl und rechter Baubruder geworden; so ist's gut, die Hütte muß ihn wieder mit Ehren aufnehmen und die Pfaffen müssen ihn auf Dein Fürwort herausgeben; er ist mit eingeschlossen in den großen Gnadenakt, den Du im Reich erlassen mußt, weil Dir ein Friedenswerk gelungen, das mehr noch als Deinem Lande Deinem Herzen und – dem Hause Habsburg zum Glück gereicht. Mir scheint, so ist's nur christlich gehandelt: wenn der Sohn dadurch, daß er wohl gerathen und auch vom vierten Gebot nicht gelassen hat, die Schuld der Eltern sühnen kann – das Umgekehrte, daß ihre Schuld an den Kindern heimgesucht werde, das überlaß den Juden.«

Elisabeth's Augen strahlten; sie faßte Kunzen's Hand und rief: »O wohl mir, daß ich in Euch einen[250] Fürsprecher gefunden, wo mir ohne denselben Rath und Hülfe fehlen würden!«

»Ihr würdet meiner nicht bedurft haben,« sagte Kunz, »wenn Ihr für Euch selbst etwas erbeten hättet; Ihr wißt, daß es den ritterlichsten König immer verdroß, daß Ihr bei ihm – an Andere denkt!«

Das traf. Max zog die Augenbraunen unwillig auf und sagte zu Elisabeth: »Da der Narr bessern Rath weiß als ich, so mag er die Papiere, die ich Euch als Freibriefe für Euren Schützling oder Schützer mitgeben will, nach Gutdünken ausfertigen. Ich habe Euch mein Wort gegeben, das die Erfüllung Eurer Bitte im Voraus gewährleistete – es soll mir eine Warnung sein, schönen Frauen gegenüber damit künftig vorsichtiger zu sein. Ich liebe diese willkürlichen Handlungen nicht, zu denen Ihr mich drängt!«

»Hoho!« sagte der Narr, indem er eifrig auf große Stempelbogen schrieb, »die Willkür der Gnade ist mir immer lieber als die der Rache. Das deutsche Reich ist ohnehin nicht in sonderlicher Ordnung, und der Wirwarr wird nicht größer, wenn Du einmal Gnade für Recht ergehen läßt. Bist Du erst Kaiser, hast Du aus den jetzigen schwachen Versuchen den großen und kleinen Raufereien und Zänkereien einen Damm entgegenzusetzen,[251] einen wahrhaften, dauernden, ewigen Landfrieden gestiftet und ein Reichskammergericht eingesetzt, das auf Ordnung sieht im Großen und Kleinen, dann bin ich gewiß der Letzte, der Dich zum eigenmächtigen Handeln drängt. Aber so lange Du Andere eigenmächtig das Böse thun siehst, kannst Du auch eigenmächtig das Gute thun – dadurch wird weder das Reich zu Grunde gehen, noch das Haus Habsburg!«

Als Elisabeth aus Kunzen's Händen die königlichen Schreiben mit der Unterschrift und dem Siegel Maxens empfing, wies der Narr ihren tiefempfundenen Dank zurück, indem er sagte: »Ihr kamet zur guten Stunde und hab't mir mehr geholfen, denn daß ich Euch geholfen hätte. Ich hatte schon daran gedacht, daß ein Friedens- und Freudenfest, wie die Versöhnung des Kaisers mit seinen Kindern, überall einen Nachhall finden sollte und einige arme Teufel aus Schöppen- und Pfaffenhänden befreien; aber die Majestät meinte erst, es sei schon genug, daß die ganze Heeresmannschaft wieder heimgehen könne zu den Ihrigen – wenn er gleich das schöne Heer lieber beisammen behielte, es an die flandrischen und französischen Grenzen zu schicken – und da war es gut, daß Ihr kamet und ich mein eigenes[252] Wünschlein hinter die Bitte aus schönen Frauenlippen verstecken konnte. Es schadet nichts, daß die Eva den Adam verführte, wenn auch erst so viel Unheil damit in die Welt gekommen: das Gute hat es gehabt, daß ihre Töchter ihre Macht über die Männer kennen und sie manchmal verführen – zu etwas Gutem. – Nun kehrt glücklich heim nach Nürnberg: Ihr werdet wohl bald wie Penelope von Freiern belagert sein – und wenn Ihr wieder Hochzeit haltet, so bittet mich zu Gaste wie zu der Jungfrau Muffel.«

Elisabeth erwiederte ruhig: »Hoffentlich findet sich eine andere Gelegenheit, Euch wiederzusehen; ich glaubte, Ihr dächtet besser von mir, als zu denken, daß ich zum zweiten Male –«

Sie stockte und er sagte: »Das ist die Redensart aller Wittwen, so lange sie trauern; aber dann –«

»Verzeiht,« unterbrach sie ihn, »Ihr ließt mich nicht ausreden – ich wollte sagen: um zum zweiten Male eine Thorheit zu begehen. Ihr seh't, ich habe Offenheit von Euch gelernt – und auf Heuchelei mich niemals verstanden!«

Er drückte ihr die Hand und sagte: »Es ist doch Schade, daß Ihr kein Mann geworden seid; Ihr könntet vielleicht einmal als mein Nachfolger Euer Glück machen.[253] Ihr versteht Euch darauf, Scherz und Ernst so zu vermengen, daß die Wahrheit herauskommen muß – und die hören gewisse Personen nur in solchem Gewande. – Wenn wir durch Wien reisen, werden wir Konrad Celtes treffen, der dort an der Universität auch die Wahrheit redet und dafür wirkt, daß sie mit der Schönheit die Gesittung und das deutsche Bewußtsein fördere in deutscher Nation – darf ich ihm einen Gruß von Euch vermelden und Alles sagen, was wir hier verhandelt haben?«

»Alles!« antwortete sie; »sagt ihm, daß Elisabeth Scheurl stolz ist auf seine Achtung, wie es einst Elisabeth Behaim auf seine Liebe war, und daß sie der hohen Bahn sich freue, die sein Genius wandle. Sag't ihm, daß gleich wie er bemüht sei, vaterländischen Sinn zu wecken unter den Gelehrten wie unter der Jugend, und dem deutschen Volk zu zeigen, daß es eine Geschichte habe: – Elisabeth seinem Streben zu folgen vermöge, und so viel sie es selbst könne, deutsche Art und Kunst mit fördern helfe in ihrem Kreise; daß sie alle Schätze, mit denen sie gesegnet sei, fortan nur dazu verwenden werde, und daß wir, wie weit getrennt auch immer, uns in jenem höhern Menschheitsleben begegneten, das durch ein segenbringendes Streben für[254] Andere, und wenn auch erst für spätere Geschlechter, wenigstens in einzelnen Weihestunden für alle Entbehrungen irdischen Glückes entschädigen kann!«

»Und ich werde hinzufügen,« sagte Kunz als letztes Abschiedswort, »daß Ihr mir sonst nur wie eine edle Königin, heute aber wie der Genius der leidenden Menschheit erschienet, und daß Ihr von hier schiedet mit so strahlenden Augen, wie eben dieser Genius, wenn er die Thränen von Tausenden getrocknet.«

Aber Elisabeth seufzte und schlug beschämt die Augen nieder. »Vielleicht werde ich noch, wie Ihr denkt, daß ich bin – Eurem Genius gegenüber fühle ich, daß ich doch nur als ein Weib kam, das nicht an Tausende, sondern nur an Einen dachte.«

Sie zog den schwarzen Schleier über ihr Antlitz – er verbarg ihr Erröthen und ihre Thränen.[255]

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 3, Bremen 21875, S. 237-256.
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