Zwölftes Capitel
Rache und Versöhnung

[256] Ueberall im deutschen Reich und in den baierschen Landen zumal wie in den angrenzenden Staaten, besonders auch im reichsunmittelbaren Nürnberg, herrschte große Freude über die Friedenskunde, die Heimkehr der in's Feld gezogenen Mannschaften und den Gnadenakt mit dem König Max das von ihm längst ersehnte Versöhnungsfest seiner Familie begleitete, und der auf seinen Wunsch überall ausgeführt ward. Begann auch damals schon in den fürstlichen wie in den städtischen Kanzleien eine aufhaltende Vielschreiberei einzureißen, so gab es doch noch genug besondere Fälle, wo davon gänzlich abgesehen ward und einzelne fürstliche oder oberherrliche Machtsprüche vollständig genügten, einem gefaßten Beschluß Gültigkeit zu verleihen, daß er alsobald in's Werk gesetzt werden mußte.[256]

Dem Abt des Benediktinerklosters, der nicht allein auf die Aussagen des Riesen-Jacob hin, sondern gedrängt von der höheren geistlichen Behörde, zu deren Ohren das fast zum Nürnberger Stadtgespräch gewordene Ereigniß gekommen war, die Untersuchung nicht mehr hatte hemmen können, kam diese plötzliche Niederschlagung und Beendigung derselben sehr gelegen. Um wie viel mehr nicht dem Propst Kreß, der selbst mit hinein verwickelt war, und es mehr noch Ulrich's Edelmuth als dem Ansehen, in dem er stand, so wie seiner Stellung vor der Welt, in der man ihn gern schonen wollte, zu danken hatte, daß die Sache nicht bedrohlicher für ihn war, die es aber jeden Tag noch werden konnte! Der Novize Konrad hatte sich selbst als Ulrich's Mitschuldiger bekannt, obgleich dieser Anfangs versucht hatte ihn als solchen zu verläugnen; der stille Jüngling wollte um so weniger etwas von dieser Schonung wissen, als er nun in Ulrich einen Leidensgefährten in jeder Beziehung erkannte: einen Ausgestoßenen, gleich sich selbst. Er war zwar nicht zum Tode, aber doch zu enger Kerkerhaft im Kloster verurtheilt, die härter erschien als der Tod. Dazu kam das schreckliche Geschick seiner Mutter Katharina, die er nur noch einmal vor ihrem Tode sehen durfte, mit dem sie ihre Missethat schrecklich zu büßen hatte. Auf Räuber und Mörder[257] erstreckte sich der Gnadenakt nicht mit, und so entgingen weder sie noch Jacobea der gesetzlichen Todesstrafe, nur daß man sie bei Katharina in minder grausamer Weise ausführte. Jetzt war auch Konrad der Strafe überhoben. Aber das war nicht Alles – Elisabeth ließ ihn zu sich entbieten, sie wollte den Sohn nicht verantwortlich machen für die That der Mutter, vielmehr die Schuld des Vaters an ihm sühnen.

Von dem Propst und Stephan Tucher hatte sie strenge Verschwiegenheit verlangt über ihre Fahrt gen Augsburg und deren Resultat – ja sie, die man so stolz und hochfahrend schalt, verheimlichte in edler Bescheidenheit, daß es ihr Werk war, daß unzählige Unglückliche schrecklichen Strafen entgingen – womit es ihr ja leicht gewesen zu prunken, sich Ansehen und Dankbarkeit zu verschaffen. Wie gut hätte sie doch mit ihrem Einfluß bei König Max prahlen können und dem huldreichen Empfang, der ihr geworden, wie die andern Nürnbergerinnen demüthigen können und doppelt, wenn sie erkennen ließ, wie sie selbst, da sie in Gefahr war, nur allein auf ihre Unschuld und ihr Recht sich verließ, die königliche Hülfe verschmähend, da sie derselben doch so gewiß hätte sein mögen, wie jetzt, da sie für Andere sie forderte. Aber sie wollte sich keinen eitlen Triumph verschaffen, wo ihre Seele von dem schönsten in ihren[258] heiligsten Tiefen erfüllt war. Ja, sie wollte auch nicht den bösen Leumund von einer Hallerin preisgegeben sehen, was sie mit dem reinsten Hochsinn des Herzens gethan, dem ein edles Wesen folgt, auch wenn es sich sagen muß, daß es sich damit dem Spott oder der Verläumdung aussetze. Am meisten aber wünschte sie aus weiblichem Zartgefühl, daß es Ulrich selbst verborgen bleibe, was sie für ihn gethan: ihr schönster Lohn war es, daß sie ihm Leben und Ehre wiedergegeben, ihr genügte dies Bewußtsein, sie wollte keinen Dank, und sie wollte auch kein Begegnen, das ihren und seinen Ruf auf's Neue gefährden könne.

Aber freilich: bis jetzt war auch nur das eine Versprechen des Königs in Erfüllung gegangen, daß die Verurtheilten begnadigt und frei und die noch schwebenden Untersuchungen niedergeschlagen waren – aber daß Ulrich für ehrlich erklärt ward und in die Bauhütte wieder aufgenommen, das ging nicht so schnell, das bedurfte erst noch anderer Schritte und Vorbereitungen und konnte ihm nur als Hoffnung verkündet werden. Indeß hatte Elisabeth doch die königliche Schrift in Händen, welche für Ulrich zum Freibrief werden sollte, aber da sie das Dokument in die Hände des Propstes legte, geschah es nur unter der Bedingung: Ulrich weder[259] zu sagen, durch wen er es erhalten, noch wem er diese glückliche Wendung seines traurigen Geschickes verdanke.

Da der Propst mit zu den Ersten gehörte, welcher die glückliche Nachricht von der Niederschlagung dieser Untersuchung erhielt, so war es ihm auch leicht die Erlaubniß zu erhalten: Ulrich selbst die Freiheit zu verkündigen. Es drängte ihn um so mehr dazu, als er sich jetzt, nun die Gefahr vorüber, seiner Feigheit und seines Kleinmuthes schämte, womit er selbst Ulrich preisgegeben, und nur sich selbst aus der Schlinge zu ziehen gesucht hatte. Um sein eigenes Gewissen zu beruhigen, redete er auch sich selbst glücklich ein, daß er, da Elisabeth ihn zu Rath gezogen, ehe sie gen Augsburg reiste, doch einigen Antheil an dem glücklichen Resultat habe, das sie mit heimgebracht, und daß er sich wenigstens mit einigen solchen Andeutungen bei Ulrich entschuldigen dürfe.

Ulrich war wie ein Träumender – das Leben war ihm wieder geschenkt, und mehr als das: die Ehre, und mehr als beides: die hohe Kunst, der er diente, der er voll heiliger Begeisterung sich ganz geweiht, ein Tempelbauer, der mit reinen Händen die reine Form zu bilden strebte, die das Schöne mit dem Erhabenen vereinend über der betenden Menschheit einen Himmel zu wölben suchte, der es ihr leicht machte, sich zu dem Ueberirdischen emporzuschwingen; er hatte sich vergebens[260] gelebt und gestrebt bis jetzt – er durfte weiter leben und streben zu dem erhabensten Ziele! – aber dennoch – von Allem, was er erlebt und gelitten, war in seinen Ohren das Wort, das ihn verdammte, am lebendigsten geblieben: »Ich habe keinen Theil an Dir!« Die Baubrüder hatten es alle gesprochen – auch Hieronymus! – Von der Erinnerung daran noch einmal gefoltert, rief Ulrich:

»So hatte Keiner Theil an mir – und Niemand nahm ihn – kein einziges Wesen unter Allen, für die ich selbst gern mein Leben eingesetzt hätte, hatte etwas Anderes als Schmach für den Ausgestoßenen!«

Da dachte der Propst nicht mehr daran, das ihm anvertraute Geheimniß zu bewahren; er gab es preis, um Ulrich's Glauben an die Menschen zu retten. »Eines ausgenommen,« sagte er, »oder auch zwei, wenn Du willst – Elisabeth Scheurl und König Max.

Ulrich fuhr empor und der Propst erzählte ihm Alles.

Nach seiner Freilassung wohnte Ulrich bei dem Propst und wartete bei dem Gottesjunker, bis man ihn wieder in die Hütte berufen würde; so lange wollte er sich auch nicht in den Straßen von Nürnberg sehen lassen. Aber da er einmal allein war, überwältigte ihn sein Gefühl – er konnte es nicht ertragen, zu wissen, daß Elisabeth seine Retterin, ohne ihr danken zu dürfen.[261] Sie, das einzige Wesen, das an ihn geglaubt und für ihn gehandelt, sie mußte er wiedersehen, ihr danken, und sei es nur mit einem einzigen Wort; das war nicht wider sein Gelübde – umgekehrt hätte er sich eines Gelübdes geschämt, das ihm Undankbarkeit zur Pflicht gemacht, es sei gegen wen immer es sei. Aber er wollte nicht allein gehen; an dem Tage, an welchem sie selbst den Novizen Konrad zu sich beschieden, beschloß er diesen zu begleiten.

Konrad hatte im Kloster die Erlaubniß erhalten, zu Frau von Scheurl zu gehen, die dem Abt hatte sagen lassen, daß sie nicht wolle, daß der Sohn büßen solle für die Schuld seiner Eltern, sondern daß sie selbst ihm zu dem verhelfen wolle, was ihm zukäme. Der Abt, der Elisabeth's Großmuth und Freigebigkeit kannte, erwartete, daß sie ihm einen Theil von dem ihr allein zugefallenen Vermögen Scheurl's, dessen Sohn überweisen werde, und erwartete daher von dem Gang desselben zu ihr einen Vortheil für das Kloster – mit Freuden ließ er darum den jungen Novizen gen Nürnberg ziehen.

Dieser ging zuerst zu Ulrich und schüchtern, wie Konrad war, machte er Jenem selbst den Vorschlag, ihn zur Frau Scheurl zu führen.

Als sie in ihr Haus kamen, wurden sie sogleich zu ihr gelassen.[262]

Martin Behaim hatte gerade auf einem Marmortisch, der in dem Chörlein stand, Karten und Zeichnungen ausgebreitet, weil hier das hellste Licht war, um sie seiner Schwester zu zeigen. In der Mitte des Tisches stand ein Globus, der Nürnberger Meister hatte ihn eben nach Martin Behaim's eigener Angabe vollendet – er war der erste Globus, den es jemals gab – und Martin freute sich des neuen wichtigen Werkes, das zugleich aus seinem Forschergeist und einer deutschen Werkstatt hervorgegangen, das der Wissenschaft neue Pforten öffnete und ihre Arbeit allen kommenden Geschlechtern erleichterte. Er hatte beschlossen, diesen ersten Globus seiner Vaterstadt zum Geschenk zu machen und sich damit selbst, ehe er sie für immer wieder verließ, ein Denkmal in ihr zu setzen, das sie und sich in gleicher Weise ehrte; aber die Erste, die seine Freude an dem gelungenen Werke theilen sollte, mußte Elisabeth sein, deren weitschauender Geist am ersten die Tragweite dieser neuen Erfindung, wenn nicht ganz beurtheilen, doch mit jenen heiligen Schauern ahnen konnte, die bei jedem großen Werke über sie kamen – mochte es nun eine große That sein, oder ein Kunstwerk, oder ein bahnbrechender Gedanke der Wissenschaft.

So stand sie auch jetzt mit strahlenden Augen neben dem Bruder, seinen Erklärungen lauschend, ihre kleine[263] weiße Hand ruhte auf dem Südpol des Globus und ihr ausgestreckter Finger suchte die Stelle, auf der wohl jetzt Christoph Columbus schiffen mochte das ersehnte Land zu finden – ja vielleicht war dies der Augenblick, in dem er es gefunden. Sie trug noch Trauerkleidung, aber den Schleier hatte sie im Zimmer abgelegt, ihr glänzendes Haar war nur von einem schwarzen Band ein wenig aufgehalten und wallte in malerischen Locken auf die blendenden Schultern. Da hörte sie Tritte im Zimmer und trat hinein. Sie war schon in einer gehobenen Stimmung durch das Gespräch mit ihrem Bruder – sie blieb in ihr, da sie neben dem erwarteten Konrad auch den unerwarteten Ulrich sah, und hieß sie Beide willkommen.

Sie neigten Beide die Kniee vor ihr und wollten Worte des Dankes sprechen. Aber Elisabeth hieß sie aufstehen, wenn sie nicht zürnen solle, und sagte zu Konrad:

»Euch ließ ich zu mir entbieten, oder vielmehr zu meinem Bruder Martin Behaim, von dem Ihr vielleicht gehört. Ihr seid zu jung und hattet Euch zu innig an die hohe Kunst gehangen, um Euch und Eure Kraft in ein Kloster zu vergraben – unterbrecht mich nicht – ich weiß, daß nur der Zwang Euch dahin trieb und daß die Bauhütten Europas sich Euch verschließen.[264] Aber mein Bruder sucht Bauleute die ihn über das Meer zu begleiten, und auf jenen, nur von Heiden bewohnten Inseln kümmert man sich nicht um die Statuten dieser alten Welt: bringt Ihr nur Begeisterung mit für den christlichen Glauben und die christliche Kunst, so seid Ihr würdig in der neuen Welt die erste christliche Kirche bauen zu helfen – an Geld dazu aus dem Vermächtniß Eures Vaters, meines seligen Gemahls, soll es Euch nicht fehlen.«

Konrad drückte begeistert und Freudenthränen weinend Elisabeth's Hand an seine Lippen und rief: »Ihr seid eine Heilige, die Todte zu erwecken vermag – denn mir ist, als habe ich im Grabe gelegen und Ihr wecktet mich zu neuem Leben!«

»Geh't dort hinein zu meinem Bruder,« sagte sie auf das Chörlein deutend, »er wird das Fernere mit Euch besprechen.«

Konrad gehorchte, die Glasthür des Chörleins zog er hinter sich zu.

»Ihr wolltet meinen Dank verschmähen, hohe Frau,« sagte Ulrich erglühend, »dennoch ertrug ich's nicht; ich mußte Euch wenigstens sagen, daß ich täglich für Euch bete, nicht nur mit den Lippen, noch nur mit meinem Herzen, sondern daß ich für Euch beten will mit meiner ganzen Kunst und Euch danken in meinen Werken!«[265]

Sie gab ihm die Hand und sagte mit sanfter Stimme: »Ich wollte, ich dürfte sprechen wie Ihr! Wohl Euch, daß Ihr Eure Empfindungen im Stein verewigen könnt und sie zu Kunstwerken verklären, an denen Ihr Euch selbst erheben und läutern dürft und Tausende, die nach Euch kommen.«

»Vielleicht ist dies das Schönere, vielleicht auch das Leichtere!« rief Ulrich; »aber das Höhere ist's, das eigene Sein und Leben selbst zu einem Kunstwerk verklären, das nur Segen spendet in dem Kreis, in den es tritt – so für Andere wirken und handeln und Euch opfern, wie Ihr gethan!«

»Nein, Ulrich! keine Unwahrheit!« unterbrach sie ihn. »Mir gebührt kein Dank von Euch, denn ich hatte Euch zu danken, und hab' es nicht gethan. Zwei Mal hab't Ihr mir Ehre und Leben gerettet, und ich floh Euch, um Euch nicht zu danken – ich wollte es vergessen, daß dies meine Pflicht war. Als ich Euch zum ersten Male sah, folgte ich rücksichtslos meinem augenblicklichen Gefühl, und Ihr bereitetet mir dafür eine Demüthigung, gegen die sich mein ganzes Wesen empörte; von diesem Augenblicke an war mir, als müsse ich Euch entweder hassen oder lieben, und ich fühlte dabei doch, daß ich entweder das Eine noch das Andere – durfte. Ihr kamet immer wieder in meinen[266] Weg, auch ohne daß Ihr es wolltet; jetzt endlich kam der Augenblick, da ich Euch vergelten konnte, jetzt endlich durft' ich Euch sagen: Ulrich, nun sind wir quitt! – und – o Gott – was habe ich Euch denn gesagt!«

»Nur Aehnliches, als was ich selbst empfunden!« rief Ulrich. »Mein Thun und Fühlen glich dem Euern! Wohl uns, daß wir in diesem Kampfe nicht erlegen sind, daß er uns nicht hinabgezogen hat in den Pfuhl der Sünde oder auch nur in den Staub des Alltaglebens; er hat uns geläutert und erhoben zu jener einzig wahren Gemeinschaft der Heiligen, die im reinen Streben nach dem Höchsten Ersatz finden für die Schmerzen und das Entsagen, unter dem sie danach ringen. Eure Hand, Elisabeth! Kein Fliehen und kein Suchen mehr – ein freudiger Triumph, zu wissen, was wir Ein's dem Andern danken – ein Sieg des Geistes, der die Welt überwunden, indem er sie verklärt im Dienst der Kunst. Was ist der kurze Rausch des Erdenglückes gegen die Seligkeit eines Streben und Ringens, das nach Aeonen zählt und uns seine Wahrzeichen hinterläßt in ewigen Schöpfungen?«

Groß und herrlich standen die Beiden einander gegenüber – als Priester und Priesterin des Ideals, dem, so lange die Welt steht, alle strebenden Geister[267] nachringen, um es zu erreichen für sich selbst und die Menschheit, der sie dienen; der letzte Sonnenstrahl der hinter Gewitterwolken purpurumsäumt scheidenden Sonne fiel auf sie und umwob sie mit einem gemeinsamen Heiligenschein – da donnerten Männertritte draußen durch den Corridor.

Elisabeth sagte zu Ulrich: »Ruft meinen Bruder!« und indeß er die Thür des Chörleins öffnete, stürmte durch die entgegensetzte Zimmerthür ein Mann in Bettlerkleidung herein, unter seinem Mantel zog er ein Schwert hervor, drang damit auf Elisabeth ein, die arglos auf die Thür zugegangen war, stieß es in ihre weiße Brust und rief:

»Du entgehst Deinem Schicksal nicht!«

»Streitberg!« rief sie außer sich und stürzte auf den Teppich nieder.

Es war ein Augenblick, und wenn auch in demselben noch die drei Männer zu Hülfe sprangen, die alle unbewaffnet waren – denn Ulrich wollte nicht das Schwert wieder tragen, das man ihn in der Bauhütte abgenommen, – so war es doch zu spät – zu spät sogar einen andern Eindringenden abzuhalten, der Streitberg nachstürzte und diesen mit einem Wehgeschrei, ehe er sich dessen versah, mit seinem Schwert durchbohrte.[268]

»Amadeus!« rief Konrad, den Mönch in der ritterlichen Tracht erkennend, indeß Martin und Ulrich sich über Elisabeth neigten und sie auf das Sopha hoben. Sie war ohnmächtig, aber sie lebte noch; Martin drückte ihr ein Tuch in die tiefe Wunde, Ulrich rief nach den Leuten, die schon von dem Lärm gelockt herbei kamen; sie liefen nach dem Bader und Doctor. Zwei Diener schafften Streitberg in ein Nebengemach. Eine Dienerin sagte, daß sie den zudringlichen Bettler vergeblich habe abweisen wollen, er habe sich durch die Thür gedrängt und sie einen Treppenabsatz hinabgeworfen. –

Amadeus erklärte, daß man ihm in Augsburg erzählt, daß eine Frau von Scheurl bei König Max gewesen und für einen zum Tode verurtheilten Baubruder, der seinen Vater aus dem Kloster befreit, gebeten habe; Amadeus war zurückgeeilt nach Nürnberg, um sich selbst auszuliefern und dadurch den Sohn zu retten. Durch Nürnbergs Straßen gehend, war er einem Bettler begegnet, der ihm aufgefallen. Er hatte Streitberg erkannt, und nichts Gutes ahnend, war er ihm nachgegangen, als dieser in Scheurl's Hause verschwunden, Amadeus war zu spät gekommen die Unthat an Elisabeth zu verhindern; vielleicht aber wäre Ulrich ein zweites Opfer gewesen – und so hatte er doch den Sohn gerettet.[269]

Streitberg kämpfte nur einen kurzen Todeskampf. Als er auf der Flucht und versteckt erfahren, daß Weyspriach gefangen war und dann, daß die Nürnberger es wagten den Ritter enthaupten zu lassen, hatte er Rache geschworen und tollkühn wie er war, sich selbst als Bettler verkleidet nach Nürnberg begeben. Er sah Elisabeth mit Martin am Fenster, da er ihr Haus umschlich; er sah auch Ulrich in dasselbe gehen – da erwachte seine Leidenschaft, er folgte ihr in blinder Wuth, traf sein Opfer und fiel selbst von einer plötzlich eingreifenden Rächerhand.

So erklärte es Amadeus Ulrich und Konrad, während Martin mit Elisabeth's Dienerin diese in ihr Schlafzimmer und zu Bett brachten und der herbeigerufene Bader ihre Wunde untersuchte und verband – er konnte keine Hoffnung geben.

»Ulrich!« flüsterte sie und Martin ging den Baubruder zu rufen.

Er knieete an ihrem Lager. »Ulrich!« sagte sie, »mein Mörder giebt mir jetzt einen schöneren Tod als das erste Mal – ich rede nicht irre – er war der Geliebte meiner Jugend, und ich mußte erkennen, daß er mich betrog – damals zerriß er mein Herz ohne Schwertstreich – es schmerzte mehr als heute.«

Nach einer Pause sagte sie: »Es ist schön, in dem[270] Augenblicke zu sterben, in dem die Seele ihren Flug schon zum Himmel nahm, sie kommt nun in kein fremdes Reich. – Ihr verspracht mir schon die Begräbnißkapelle der Behaim mit dem Werk Eurer Hand zu schmücken – versprecht nun es auch für die Kapelle der Scheurl – ich habe keine Erben – meine Erbin sei die Kunst in meiner Vaterstadt – meine Brüder werden das Testament vollstrecken.«

»Elisabeth!« rief Ulrich, »Ihr seh't Thränen in meinen Augen – sie versprechen Euch Alles, was Ihr wünschet. Ich will nicht vor Schmerz weinen in dieser Stunde – wir wollen uns freuen, daß es also kam; der höheren Weihestunde von vorhin wird keine profane folgen – ich werde in meinen Werken nicht mehr für Euch beten – sondern zu Euch!«

Ihre Hand ruhte auf seinem Scheitel. »Lebt wohl!« hauchte sie noch einmal und winkte ihm dann fort. Er küßte ihr die Hand und ging.

Sein Vater und Konrad begleiteten ihn stumm. Auf der Straße begegnete ihnen Hieronymus – es war zum ersten Male, daß sich die Freunde wiedersahen.

Hieronymus stand beschämt vor Ulrich. »Kannst Du mir vergeben?« fragte er beklommen.

Ulrich drückte ihm die Hand. »Ich komme von Elisabeth's Sterbebette – nein, ich komme von der Verklärungsstätte[271] eines Genius – in meinem Herzen ist lauter Gottesfriede – kannst Du noch mein Freund sein?«

»Wenn Du mich nicht verstößt!« rief Hieronymus und blieb an seiner Seite. –

Amadeus ging wieder in sein Kloster; sich freiwillig stellend, gehörte er mit zu den Begnadigten, und büßte nun, wie er vorher gebüßt, ehe die Sehnsucht nach Ulrich ihn halb wahnsinnig gemacht. Der Sohn hatte ihn gesegnet und Ulrike auf ihrem Sterbebette vergeben – er hatte Frieden.

Nicht lange währte es mehr, da ward Ulrich wieder feierlich in die Bauhütte aufgenommen. In Behaim's und Scheurl's Begräbnißkapelle vollendete er hohe Kunstwerke, darunter Elisabeth's Statue selbst die vollendetste war. Dann verließ er Nürnberg, um auch in andern Landen an der Erbauung hoher Dome sich selbst und seine Kunst zu fördern. –

Auf Ansuchen des Nürnberger Rathes ertheilte ihm Max die Erlaubniß, die Juden für immer aus der Stadt zu weisen. Auch Ezechiel und Rachel waren unter den Auswandernden.

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 3, Bremen 21875.
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