An Nürnberg

[11] Du edles Nürnberg bist wie eine Blume

Im deutschen Reich, so herrlich anzusehn!

Du blühst dir selbst und aller Zeit zum Ruhme,

Läßt Balsamdüfte durch die Lande wehn!

Und deine Zauber wirken fort und fort

In Kunst und Wissenschaft, in Bild und Wort.


Dahin zog es von je die edlen Geister,

Die gern sich sonnen in des Lebens Glanz,

Die Herrn und Fürsten und die großen Meister

Von jeder Kunst im schön verbundnen Kranz.

Dort kämpfte man zuerst für Recht und Licht

Und huldigte der Schönheit und der Pflicht.


Auch ich sah dich – und deine Steine sprachen,

Von Allen Thürmen hallte Glockenklang,

Und tausend Stimmen aus vergangnen Tagen

Vereinten sich wie feiernder Gesang,

In deinen Kirchen, deinen Monumenten,

Schrieb Kunst die Chronik mit geweihten Händen.


Die Baukunst, die dem Namen der Germanen

Die höchste Ehr im Tempelbau erschuf,

Und die, entrückt dem Eingriff der Profanen,

Die freie Steinmetzzunft weiht dem Beruf

Zu zeigen, wie das Ewige erscheint

Im Endlichen, wenn es die Kunst vereint.
[11]

Solch Ringen war's, das nach dem höchsten Ziele

Baubrüder von St. Lorenz hier gepflegt,

Wie sie einst aufgerissen die Profile

Albertus Magnus Lehre treu gehegt:

Das ward auch hier, auch mir ein Offenbaren

Vom Tempelbau des Schönen und des Wahren.


Und also ging ein Auf- und Vorwärtsstreben

Grad durch die Zeit und durch das deutsche Reich.

Die Reichsstadt durfte hoch das Haupt erheben,

Stellt' Bürgerthum dem Fürstenthume gleich,

Und nur dem Kaiser, den sie mit gebüret

Gab sie die Huldigung, die ihm gebüret.


Und edle Frauen durften stolz sich zeigen,

Die Kunst beschützen, wie die Wissenschaft,

Den Lorberkranz erwählten Dichtern reichen,

Die Anmuth fügen zu der kühnen Kraft,

Und von der Blüthe solchen Bürgerthumes

Gehört für sie ein Theil des höchsten Ruhmes.


All dies in deinen Mauern wohl geborgen

Du edles Nürnberg zeigte mir der Geist,

Und was ich sah, und was ich konnt erhorchen,

Das dich vor aller Welt noch einmal preist:

Das hab ich, wie ich mich an dir erhoben

Dich auch erhebend in mein Werk gewoben! –


Geh hin, mein Buch, und grüß die deutschen Auen

Und grüße Alle, die Begeistrung weiht,

Baubrüdern gleich, am Tempel mit zu bauen,

Auf altem Grund im Dienst der neuen Zeit!

Daß deutsche Kunst und Art bleib' unvergessen,

Das ist das Ziel, deß sich dies Buch vermessen.


Nürnberg, October 1873.

Louise Otto.

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 1, Bremen 21875, S. 1.
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