Achtes Capitel
Eine Hochzeit

[171] Nur wenig Wochen währte der in Eile berufene Reichstag.

Der Kaiser hatte schon vorher das bei Gelegenheit des Flandrischen Feldzugs so gut erprobte Aufgebot an die Reichsstände ergehen lassen, bei Verlust ihrer Lehen dem römischen Könige zu Hülfe zu ziehen. Aber die Berechnung, solche Aufgebote zur Gewohnheit zu machen, täuschte. Die Kurfürsten und Fürsten bewilligten zwar eine Halbjährige Hülfe von 8600 Mann, protestirten aber gegen die kaiserlichen mit Gebot und Zwang ausgerüsteten Mandate, erklärten diese Hülfe aus freiem Willen, nicht Kraft dieser Mandate zu leisten, und behielten sich das Recht vor, nach Gutdünken Geld zu zahlen oder Mannschaft zu stellen. Desgleichen erklärten sie sich gegen diese eilig berufenen Reichstage und bemerkten, daß sie unfruchtbar ausfallen müßten, wenn[171] nicht alle Stände des Reichs dazu aufgefordert würden. Daher wurden außer dem obigen alle andere Gegenstände der Verhandlung bis auf einen nächsten größern Reichstag vertagt, der auch zu besserer Jahreszeit gehalten werden sollte.

Stephan und Ursula mußten also mit der Hochzeit eilen, was auch Beiden ganz recht war, da der König selbst ihr beiwohnen wollte. In Muffel's Hause fehlte nun die mütterliche Frauenhand, die Vorbereitungen zu einem solchen Fest zu leiten, und es fehlte auch der Raum dazu, da der Würtemberger Fürst das Haus mit seinem Gefolge füllte. Darum bot Elisabeth Scheurl das ihrige dazu an und übernahm es die Hochzeit darin auszurichten.

War es doch fast allein ihr Werk, daß Ursula das Ziel ihrer Wünsche erreichte.

Wohl war Stephen Tucher von leidenschaftlicher Liebe für Ursula entflammt gewesen, und in der Trennung von ihr, im neuen Element des selbstgewählten Kriegerlebens hatte sich diese Flamme eine Zeitlang an süßen Erinnerungen und verlockenden Zukunftsträumen wie durch die Briefe der Geliebten genährt. Allein Stephan war eine vorwaltend sinnliche Natur und sein feuriges Temperament, durch keine sittlichen Grundsätze[172] oder wenigstens nicht durch eine vorwaltende Stärke derselben genugsam gezügelt, war nicht dazu geeignet, die Treue seiner Liebe in den Prüfungen der Trennung auf die Dauer zu bewähren. Ein Brief von ihm an Ursula, in dem er ihr geschrieben, daß sie ihren nächsten Brief nach Wien adressiren möge, war verloren gegangen; von einem Nürnberger Freund seines Vaters erhielt er die Nachricht, daß Ursula, um ihrem Vater zu gehorchen, ihm entsagen und in ein Kloster gehen wolle: da sie ihm nicht antwortete, erschien ihm dieser Umstand glaubwürdig – ja er glaubte ihm gern, weil eben eine verlockende Wienerin, in allen Stücken das Gegentheil seiner frommen und keuschen Ursula, ihn reizte. Der verführerischen Leidenschaftlichkeit einer üppigen Frau gegenüber erschien ihm Ursula's sittsame Jungfräulichkeit als Kälte und unnatürliche Tugendschwärmerei. Um seine wankende Treue zu rechtfertigen, sagte er sich, daß Ursula keiner wahren Liebe fähig sei, sonst habe sie ihm nicht widerstanden, da er sie entführen wollte, ihn nicht selbst fortgetrieben – jetzt führte sie dieselbe Ueberspannung in ein Kloster; er habe längst vorausgesehen, daß es mit ihr so kommen werde – wer hieß ihn auch eine solche Heilige zu lieben? Da war seine Wienerin ein ganz anderes lustiges Weltkind! In ihren[173] Armen vergaß er die stille Ursula und konnte bald darauf jenen Brief an seinen Bruder Anton schreiben, durch den er seiner Familie so viel Freude und seiner Ursula so viel Kummer bereitete – das letztere ebenso wenig ohne Absicht, als das erste; denn er dachte, wenn sie als künftige Nonne höre, wie leicht er sich über sie getröstet, werde dies eine verdiente Strafe für ihre übertriebene eiskalte Strenge sein. Denn mit dem ganzen Egoismus des gewöhnlichen Mannes fand er nun sein Betragen nicht nur ganz gerechtfertigt, sondern bemühte sich auch noch Ursula verdächtigen und verdammen und alle Schuld von sich auf sie wälzen zu können. Sie wandelte auf einem Irrpfad, und er ging allein den richtigen Weg durch's Leben.

Da kam ihm plötzlich die Kunde von dem Reichstag, der nach Nürnberg ausgeschrieben, und daß er mit Andern den König begleiten könne; er freute sich seiner Vaterstadt sich im Glanz der Ritterschaft zu zeigen und von seinen Heldenthaten erzählen zu können, denn er hatte sich in der That in mehr als einem Gefecht und Sturm durch persönliche Tapferkeit ausgezeichnet. Da er Abschied von seiner schönen Wienerin nehmen wollte, fand er sie in den Armen eines Andern – und jetzt erst erkannte er ganz den Werth einer leidenschaftlichen[174] Frau, die, weil sie dem Einen nicht widersteht, sich Jedem leicht ergiebt – indeß Stephan nur seiner Persönlichkeit und einem wahren Liebesfeuer diese Macht über sie zugetraut. Er schied mit Bitterkeit und Zorn im Herzen, die beide um so größer waren, da er eigentlich auf Niemanden weiter hätte zürnen sollen als auf sich selbst, und doch seinem Gewissen nicht vergönnen wollte, ihm dies mit deutlicher Stimme zu sagen.

So kam er nach Nürnberg. Ob er daselbst verbleiben oder dem König Max zu neuen kriegerischen Unternehmungen folgen wollte, war er noch unentschieden. Halb sehnte er sich nach der friedlichen Ruhe da selbst, nach dem weichlicheren Leben und dessen verfeinerten Genüssen, die er in der Vaterstadt zu finden gewohnt war; aber halb verknüpfte sich ihm auch mit diesem Wohnen bei seiner Familie und in der arbeitsamen Reichsstadt ein Gedanke von Langeweile, der ihn abschreckte. Das Kriegerleben hatte seine großen Gefahren und Strapazen – aber es ließ sie in immer wechselnden Bildern vergessen, es gab nicht nur Tage, sondern auch Wochen der Ruhe dazwischen, die in wechselnden Städten Abwechslungen und Genüsse aller Art boten; er wußte, daß er als Krieger sich ungestraft Manches erlauben durfte, was man dem Bürger der[175] Reichsstadt als Vergehen anrechnete – und so wollte er seinen Entschluß noch dem Zufall zur Entscheidung überlassen.

Von seiner Familie ward er ehrenvoll und herzlich empfangen, Niemand sprach mit ihm von Ursula, und er selbst mochte Niemanden nach ihr fragen – er wollte nicht den Unglücklichen spielen um eines Mädchens Willen, das, statt mit ihm zu fliehen, es vorgezogen hatte, die Braut des Himmels zu werden.

Nach einigen Tagen traf ihn Herr Christoph Scheurl, der, wie er damals der Vertraute seines Liebesverhältnisses gewesen und es begünstigt hatte, um dem stolzen Loosunger Tucher eine Demüthigung zu bereiten, jetzt sein Haupt immer höher hob, da der König bei ihm seine Wohnung genommen, dennoch jenen Plan immer noch mehr zu vervollständigen strebte.

»Nun, Herr Stephan,« sagte er, »meine Gemahlin hat täglich nach Euch gefragt und erwartet Euch in unserm Hause zu sehen, um den König für Euch und Ursula an sein gegebenes Wort zu mahnen.«

Da erst klärte es sich für Stephan auf, daß Ursula weder Novize noch Nonne geworden, sondern nur ganz zurückgezogen von dem Weltleben in Treue und Bangen seiner Rückkehr geharrt hatte. Stephan war bestürzt[176] und beschämt – er eilte zu Elisabeth. Er beichtete ihr nicht, er schob alle Schuld auf Ursula, die ihm nicht mehr geschrieben, an deren Standhaftigkeit er schon da habe zweifeln müssen, als sie sich geweigert mit ihm zu fliehen; er habe es glauben müssen, daß sie in ein Kloster gegangen, und gestrebt sie zu vergessen, da sie ihm nicht gehören könne.

Elisabeth wußte genug von Stephan und war genug Kennerin eines solchen Männerherzens, um zu verstehen, daß es ihm leicht geworden war, sich über Ursula's Verlust zu trösten – und daß er eigentlich weder die treue Liebe der reinsten Jungfrau, noch alle die Thränen verdiene, die sie um ihn geweint, noch alle die Schmerzen und Kämpfe, die sie um seinetwillen ausgehalten, und die ihr doch so schwer geworden, weil sie der eigene Vater ihr bereitet und ihr zartes Gewissen ihr immer vorwarf, daß sie ihm nicht so gehorsam war und ihn nicht so erfreute, wie er es von ihr forderte. Aber Elisabeth kannte ebenso wohl Ursula und das liebende Frauenherz. Sie wußte, daß diese nur in Stephan lebte, daß er ihr Ein und Alles war, daß sie selbst ihn niemals lassen werde, außer wenn er selbst sie von sich stieße, und daß es kein entsetzlicheres Geschick für sie gab. In dem Gedanken, daß Stephan[177] ihrer Liebe nicht werth sei, würde Ursula am wenigsten Trost gefunden haben – viel näher lag ihr der, daß sie nicht seiner werth war, sich selbst würde sie allein alle Schuld beimessen und mit peinvollen Selbstvorwürfen sich zu Grunde richten. War doch schon jetzt ihre sonst ungestörte Gesundheit dahin und ihr sonst blühendes Ansehen in ein bleiches gewandelt, das deutlich von geknicktem Lebensmuthe sprach. Darum ward Elisabeth Ursula's warme Fürsprecherin. Sie schilderte, was sie gelitten und noch leiden müsse in ihrer unwandelbar treuen Liebe – und in Stephan's Herzen wurden die alten Empfindungen wach. Noch mehr! er begriff, welch' andern Werth ein weibliches Gemüth habe, das so immer sich selbst getreu bleibe in seiner stillen, schönen Weise, als jenes leidenschaftliche Erglühen sinnlicher Frauen, das nur den Sinnen gilt und die Gegenstände wechselt. Ja auch der männlich ritterliche Geist wachte in ihm auf, der ihn anspornte, die schon feige aufgegebene Geliebte, die er nicht besitzen sollte, sich nun und plötzlich zu erobern. Schnell und kühn wollte er handeln, und ein Augenblick sollte Alles sühnen, um Ursula und den widerstrebenden Vätern zu zeigen, was er vermöge.[178]

Da kam wie gerufen Kunz von der Rosen zu dieser Unterredung. Er hatte Anfangs seine schöne Wirthin da er sie mit Stephan, dessen Glück bei den Frauen ihm bekannt war, abermals in Verdacht, daß sie wieder eine Prüfung ihrer Treue gegen den ungeliebten alten Gatten zu bestehen habe und Stephan vielleicht minder entschieden zurückweise wie Konrad Celtes. Aber schnell mußte er wieder anderer Meinung werden, als sie ihm zurief, er komme zur guten Stunde, um seinen klugen Rath zu ertheilen und einem langgeprüften Liebespaar zur schönen Vereinigung zu verhelfen. Nun erzählte sie ihm Alles – und wie König Max einst ihr und Ursula versprochen, ihnen beizustehen, wenn sie nach Stephan's Rückkehr dessen bedürfen würden.

Kunz war immer gern bereit mit seinem trefflichen Herzen und klugen Kopfe, Anderen zu ihrem Glück zu verhelfen – er sann ein Weilchen nach, und da man ihm die Frage bejahet, ob nicht in wenig Tagen ein Maskenfest stattfände, war er schnell mit seinem Plane zu Stande. Stephan sollte am Ende eines Fastnachtsspieles mit der Geliebten vor den König treten und von diesem öffentlich ohne Weiteres verlobt wer den. Er selbst wollte vorher Max dafür stimmen – und Elisabeth, meinte er, brauche ihn nur um seinen Beistand[179] zu bitten oder im Nothfall ihm die Nadel zu zeigen, so werde er gern ihren Wunsch erfüllen.

Es war ganz im Geiste dieser Zeit, die sich um zartere Frauenempfindungen wenig kümmerte, daß somit Ursula ohne ihr Wissen zur Theilnehmerin einer öffentlichen Darstellung gemacht ward, als auch, daß es eine Ueberraschung für sie sein sollte, ihr ersehntes Glück so plötzlich und ungeahnt zu empfangen – ja Kunz verlangte, sie solle auch bis dahin Stephan gar nicht sehen und im Ungewissen über seine Treue gelassen werden, um dann in ihm mit einem um so glänzenderen Lohn der ihrigen überrascht zu werden.

Allein die feiner fühlende Elisabeth drang in Stephan, Ursula wenigstens aus dem qualvollen Zustand zu reißen, in dem sie sich befand, seit sie von seiner Rückkehr wußte, ohne ihn gesehen zu haben, und in dem sie an ihn verzweifeln mußte. Und so eilte er heimlich zu ihr, sobald es geschehen konnte, gab ihr neues Leben und neue Hoffnung, ohne die ihr zugedachte Ueberraschung ihr zu verrathen.

Lag in dieser plötzlichen Entscheidung auf dem Maskenfest immerhin etwas Gewaltsames, so hatte sie doch gerade für Ursula das Gute, dadurch, daß sie ihr selbst ganz unvorbereitet kam, sie aller Bedenklichkeit[180] überhoben zu haben und auch ihrem Vater gegenüber vor allen Vorwürfen geschützt zu sein, die sie etwa verdient hätte, wenn sie ihm gegenüber in ein solch' heimliches Complot sich eingelassen. Im Grunde war auch Gabriel Muffel mit der Entscheidung ganz zufrieden, da sie der König herbeigeführt hatte, und dem Vater nichts übrig blieb, als zu gehorchen. Durch diese persönliche Theilnahme des Fürsten am Geschick Ursula's war ja auch ihr Vater geehrt, und keiner der Rathsherren konnte sich rühmen, eine größere Ehre erfahren zu haben. Er war dadurch gewissermaßen an Allen gerächt, die ihm noch immer durch schnöde Zurücksetzungen die That und das Geschick seines Vaters wollten entgelten lassen. Der reiche und stolzangesehene Stephan Tucher war ihm ein ganz erwünschter Eidam – nur mochte er ihn nicht durch eine Demüthigung vor seinem hochfahrenden Geschlechte erringen noch die Geringschätzung seines Vaters ertragen und sich nachsagen lassen, daß er ihm selbst die Tochter verkuppelt gegen den Willen seiner Familie. Nun waren mit Eins alle diese Bedenken weggefallen, der alte Loosunger mußte auch gute Miene zum bösen Spiele machen, und Gabriel Muffel durfte sich freuen, seine einzige Tochter glücklich zu sehen, um die er jetzt immer bekümmert[181] gewesen, wenn er ihr selbst auch oft gezürnt hatte, daß sie – unglücklich war.

So war es Ursula nun, als sei sie aus einem bösen Traum erwacht, als sei eine lange finstere Nacht vergangen und umspiele sie nur ein rosiger Sonnentag. In ihrem Herzen, im Hause überall sah sie nur Friede und Freude, wo vorher nichts als Kampf und Schmerz gewesen. Stephan bekannte ihr, daß er die Nachricht von ihrem Entschluß in's Kloster zu gehen, geglaubt und daß er versucht habe, sie in den Armen einer verbuhlten Wienerin zu vergessen – und über diese, wie über andere seiner Verirrungen leicht hinweggehend, machte er nicht nur Ursula sondern auch sich selbst glauben, daß er im Grunde seines Herzens ihr doch so treu gewesen, wie sie ihm – die keinen Augenblick aufgehört hatte an ihn zu denken und für ihn zu beten.

Ursula glaubte und vergab, und war selig in ihrer Liebe – sie hatte ja den Theuern wieder und war am Ziel ihrer kühnsten Wünsche.

So kam der Hochzeitstag heran.

Es war ein milder Februartag. Schon einige Tage vorher war der Schnee geschmolzen, und wenn es auch über Nacht wieder fror, so schien doch die Sonne schon warm und hell herab, als freue sie sich[182] selbst über den glänzenden Hochzeitstag, dem sie zur herrlichen Sebaldskirche leuchtete. Dergleichen war auch in Nürnberg noch nicht gesehen, wenn schon es immer viel von prächtigen und absonderlichen Aufzügen voraus hatte.

Voran schritten die glänzend geputzten Ceremonienmeister und Stadtmilizen, die dann außerhalb der Kirche ein Spalier bildeten, dem Zuge Platz zu machen. Dann kamen zwölf Jungfrauen aus den edelsten Geschlechtern Nürnbergs, die beiden Schwestern Pirkheimer, Beatrix Imhof und Andere – sie waren die Brautjungfern der Braut und trugen ihr brennende schön bemalte Wachskerzen vor. Ihnen folgte die Braut im reichsten Schmucke, den Stephan's Prachtliebe ihr gesendet; sittsam und bescheiden schritt sie einher, nur wissend, wie glücklich und geehrt, aber nicht wie schön und bewundert sie war. Ihren langen Schleppenmantel von schwerer weißer Seide mit Silber gestickt trugen Edelknaben, die ihr der Kaiser selbst gesendet, und ihre Hand ruhte in der des erlauchten Grafen Eberhard von Würtemberg. Mit warmer Leutseligkeit blickte der hohe Herr zu der zarten Jungfrau herab, und ein befriedigtes Lächeln ward trotz seines großen dunklen Bartes, der ihm den Beinamen gab, bemerkbar. Viel wohler war ihm so bei einem[183] bürgerlichen Familienfeste, das wirklich wenigstens zwei glückliche Herzen selig begingen und das seine Theilnahme ehrte, als bei prunkenden Hof- und Siegesfesten, die oft dem Volke nur Thränen kosteten oder mit seinem Blute erkauft waren.

Dann kam der stattliche Bräutigam Stephan in flimmernder Rüstung, den König Max noch vor wenig Tagen gleich seinem Wirth Herrn Christoph Scheurl öffentlich zum Ritter geschlagen und ihnen so die Adelswürde verliehen, die Stephan's Vater zwar schon für seine gedruckte Reisebeschreibung über den Orient erhalten hatte, aber doch nur für sich allein, während sie jetzt Stephan und Scheurl auch für ihre Nachkommen erhielten. Ihn geleitete Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen, der immer bereit Frieden und Freude zu stiften und das Gute zu fördern, wo er es konnte, auch Stephan mit dem anfänglich grollenden Vater versöhnt hatte und nun durch seine persönliche Theilnahme, als wahrer Freund des Hauses sich zeigte, das er bewohnte.

Ihnen folgte der lange Zug der Verwandten und Gäste. Hans von Tucher führte Elisabeth von Scheurl, die als neue Edelfrau zwar weder stolzer noch prächtiger gekleidet einherschritt, als sie schon immer gethan,[184] aber heute vielleicht noch schöner war als sonst, weil der Strahl einer milden Rührung auf ihrer Stirn ruhte, mit der sie sich sagte, daß es ihr Werk war, daß die geliebte Ursula dies schöne Fest des menschlichen Lebens begehen konnte. Gabriel Muffel führte Frau Eleonore Tucher, Stephan's Schwägerin, und so folgten noch viele Paare, bis die Spielleute kamen, die lustige Weisen aufspielten, indeß vom Sebaldsthurme alle Glocken feierlich läuteten, bis der Zug durch die herrliche Brautthür die Weihrauch durchduftete, festlich geschmückte erhabene Kirche betreten hatte und Braut und Bräutigam am Hochaltar vor den trauenden Priester knieeten.

Eine große Menschenmenge war in der Kirche versammelt, und als Elisabeth um sich blickte, gewahrte sie Eberhard von Streitberg mit dem Propste Anton Kreß im Gespräch. Sie hatte jenen seit dem Maskenfest nicht wiedergesehen, denn wie schon vor diesem, seit sie nur wußte, daß er hier war, hatte sie jeden Ausgang vermieden, um ihm nicht zu begegnen, und ihn darum auch nicht wiedergesehen, noch von ihm gehört. Was wollte er immer wieder hier, wenn er nicht ihretwillen kam? was mußte sie von ihm fürchten? was hatte er mit dem Propst so angelegentlich zu reden[185] und dabei auf sie herabzublicken, als sei sie der Gegenstand des Gespräches? – Ihr grauete, und doppeltes Weh erfaßte sie an dieser heiligen Stelle, an der sie selbst ein frevelhaftes Ja zu dem ungeliebten Mann gesprochen, weil jener Einst-Geliebte sie um den Glauben an die Liebe und an die Männer betrogen hatte. Sie war froh, als die Trauung vorüber war und sie sich diesen Basiliskenblicken wieder entziehen konnte.

In ihrem Hause ward das glänzende Hochzeitsfest gefeiert, dem auch der König mit Kunz von der Rosen und andern seinen Rittern selbst beiwohnte. Auch der Markgraf von Brandenburg war erschienen und noch viele hohe Gäste, sammt Allen, die am Hochzeitszug sich betheiligt.

Auch Konrad Celtes war zugegen. König Max selbst hatte seine Gegenwart gewünscht und beschlossen, den Dichter ganz an sich zu fesseln, Elisabeth sah ihren Wunsch erreicht, ihr eigenes Streben dazu war mit einem glücklichen Erfolg gekrönt: in ihrem eigenen Hause sah sie den König und den Dichter vereint und sich nahe gebracht, wie sie schon vor zwei Jahren zu König Max gesprochen: »Mich kümmert es wohl, die beiden einzigen Männer, die ich als die edelsten ihres Geschlechtes verehre, berufen, dem gesunkenen deutschen Reiche wieder[186] aufzuhelfen, Hand in Hand wirken zu sehen und die neue Zeit heraufzuführen, der Alle, welche denken können, sich entgegensehnen.«

Elisabeth beobachtete gegen Celtes wie gegen den König eine gleich strenge Zurückhaltung – eine strengere als vordem. Weder dem Einen noch dem Andern hatte sie ein Alleinsein mit ihr gestattet, obwohl der königliche Gast in einer aufgeregten Stunde einen Versuch gemacht hatte. Sie hatte sich Kunz von der Rosen zu ihrem Schützer und vertrauten Freund gewählt und ihm darauf gesagt, daß sie von ihm fordere, dafür einzustehen, als des Königs kluger Rath, daß jener das Recht der Gastfreiheit nicht verletze, noch daß sie selbst genöthigt werde es zu thun. Kunz nahm dabei noch einmal vor der ernsten Frau die Narrenmütze ab und sagte, daß er sich freue, unter allen feinen Kunststücklein Nürnbergs das feinste bei ihr zu finden: das schöne Weib eines alten Gatten, das ihm, selbst dem schönsten und mächtigsten Herrscher gegenüber, die Treue bewahre – und er werde Alles aufbieten, daß solch' heilig Kunstwerk selbst unverletzt bleibe, ja unbedroht von jedem Vandalismus.

Seitdem war ihr der König mit erneuerter Achtung begegnet, und als sie an dem Hochzeitsfest, da er im[187] Gespräch mit Celtes war, in seine Nähe kam, rief er sie zu sich und sagte:

»Nun, edle Frau – seid Ihr nun mit mir zufrieden? Mir fiel eben ein, wie ich einst mit Euch tanzte und Euch versprach, jede Bitte zu erfüllen, die Ihr an mich richten möchtet: Ihr batet für das Brautpaar und für Konrad Celtes – für Euch selbst wußtet Ihr nichts, und endlich besannt Ihr Euch darauf, daß ich einmal in Eurem Hause wohnen möchte. Das ist geschehen und auch das Andere ist erfüllt: das Brautpaar ist heute vermählt und Konrad Celtes wird mich begleiten und im Dienste des römischen Königs Größeres noch wirken können, als in dem des Bischofs von Worms.«

»Majestät,« sagte Elisabeth, »verzeiht, wenn ich noch nicht die rechten Worte fand für meinen Dank!«

»Nicht Dank!« antwortete er. »Als ich Euch die Rose gab, sagte ich Euch, daß ich, wenn Ihr sie mich wiedersehen ließet, Euch jeden Wunsch erfüllen würde, den Ihr daran knüpft. Die Rose habt Ihr wohl mir immer zu Ehren getragen, aber einen Wunsch habt Ihr nicht daran geknüpft.«

»Ihr sagt es selbst,« antwortete sie, »daß Ihr heute alle meine Wünsche erfüllt habt – für mich selbst ist[188] nichts mehr übrig zu wünschen –« und zu hoffen! dachte sie dabei und lächelte befriedigt, weil sie vor uneingestandenen Schmerzen hätte weinen mögen. »Die Rose bleibt mir als Talisman,« fuhr sie fort, »wer weiß, welche Gnade ich noch einst damit von Euch erbitte – heute kann ich Euch nur danken für die schon erwiesene.«

Der König schüttelte mit dem Kopf und meinte, sie wolle nicht nur darum nichts von ihm erbitten, damit er nicht dafür zum Danke Unziemliches von ihr verlange – er wendete sich darum fast unwillig, weil er beschämt war von ihrer klaren Frauenhoheit, schweigend von ihr ab.

Konrad Celtes blickte sie wohl traurig an, aber er verstand sie doch nicht ganz – nur das weiche Gemüth in Kunz fühlte, welch' eine Tiefe von Schmerz und Entsagung sich hinter diesem stolzen Lächeln verbarg – er konnte sich nicht helfen: er mußte ihr die Hand drücken und dann einen Augenblick sich abwenden, damit Niemand die Thräne sähe, die in seinem Auge stand.[189]

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 2, Bremen 21875, S. 171-190.
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