II. Ein Geständniß

[18] »Herz ward vom Herzen blutend losgerissen,

Und jetzt auf meinem Sterbelager muß

Ich Deines Anblicks süßen Trost vermissen.«

Betty Paoli.


In derselben Nacht, in welcher Elisabeth und Aurelie den Namen Thalheim flüsterten, wachte der, von dem sie sprachen, einsam und sorgenvoll am Krankenlager der Gattin.

Eine düster brennende Lampe beleuchtete matt das kleine Gemach. Die Fenster waren dicht verhangen. In der Nische des einen hing ein hölzerner Vogelbauer, dessen kleiner Inwohner zuweilen das bunte Köpfchen aus der dichten Federhülle hervorsteckte, als wolle er sehen, ob es noch nicht bald tage. Hie und da sang er auch leise unruhige Töne im Schlafe. Eine große Stutzuhr, deren prachtvolles Gehäus von Silber und Alabaster auffallend von der einfachen, ja armseligen Meublirung der Stube abstach, folgte mit hellem, forttönendem Klange den fliehenden Minuten. Außer ihr und den einzelnen Lauten des Vögelchens[18] vernahm man Nichts, als die langen, unruhigen Athemzüge der Kranken.

In der dunkelsten Ecke des Gemaches saß der Gatte der Kranken in einem schwarzen Lehnstuhl. Sein Arm stützte sich auf eine Seitenlehne des Sessels, so daß die emporgehaltene Hand das müde herabgesenkte Haupt trug.

Thalheim mogte einige dreißig Jahre zählen. Die Züge seines Antlitzes waren von männlicher Schönheit und antiker Regelmäßigkeit; aber aus den leichten Furchen seiner hohen, breiten Stirn, Furchen, welche nur der Schmerz gezogen haben konnte, war bald zu lesen, daß manch hartes Geschick den Mann getroffen haben mogte, und die Blässe seines Antlitzes, das dunkle Feuer, das in seinen tiefblauen Augen brannte, das schmerzliche Zucken um den Mund, das die Oberlippe emporzog und ihn halb öffnete, so daß man eine Reihe großer mormorweißer Zähne gewahrte, deutete auch jetzt auf ein schmerzlichbewegtes Innere. Bei All' dem aber konnte Thalheim's Anblick auch in seiner jetzigen niedergebeugten Stellung weniger Mitleid, als Ehrfurcht erwecken. Etwas Unaussprechliches, Unnennbares prägte sich in seiner Gestalt, auf seinem Gesichte aus, etwas Heiliges, Unüberwindliches.

Er stand jetzt auf, denn die Kranke, welche er im Schlummer glaubte, hatte sich jetzt plötzlich rasch aufgerichtet und rief ungeduldig:[19]

»Johannes!«

Im Augenblick stand er geräuschlos neben dem Bett und legte sanft seine Hand auf die fieberheiße seines Weibes, indem er flüsterte:

»Willst Du etwas, gute Amalie?«

»Sterben!« ächzte sie, indem sie beide Hände vor ihre Stirn schlug und das Haupt auf ihre Kniee legte. So zusammengebeugt seufzte sie laut und ungeduldig unter ihren Schmerzen. Er legte ihr die in einander gewühlten Kissen wieder zurecht, schlang den Arm sanft um ihre Schultern und wollte sie zärtlich aufrichten. Aber sie zuckte zusammen, als mache seine Berührung ihr Schmerz, verzog den Mund bitter und flüsterte ein zurückweisendes: »Geh!« und: »Laß!«

Thalheim nahm seinen Arm zurück und blieb eine Weile schweigsam stehen, seine Augen weilten unverändert mit zärtlicher Theilnahme auf der Kranken, die jetzt ihren Kopf aufrichtete, und hastig flehend sprach: »Nur einen Wunsch erfülle mir noch, damit ich sterben kann –« auch mit bitter'm Tone hinzufügte: »Du kannst es – er kostet kein Geld.«

Thalheim warf einen Blick an die Decke des Zimmers, einen Blick, der den Himmel suchte – aber es schien kein Himmel über ihm zu sein, sein Blick traf nur die graue Decke. Amalie war schon lange krank, und er war arm[20] – diese Armuth wagte er Niemand einzugestehen, denn in der Stadt, in der er jetzt lebte, hatte er keine Freunde, die er um Hülfe hätte angehen können, und Bekannte in Anspruch zu nehmen, war er zu stolz. Sein Gehalt reichte nur gerade hin, ihn mit Weib und Kind zu ernähren, weiter nicht – die lange Krankheit hatte ihn bereits in Schulden und Verbindlichkeiten verwickelt, die ihm unerträglich waren, und um sie nicht noch zu mehren, um nicht sich und seine Familie noch immer tiefer in eines jener Labyrinthe des Elends zu führen, aus welchen der Rückweg so schwer zu finden ist, hatte er der Kranken hie und da einen jener grilligen Wünsche unerfüllt lassen müssen, an denen Kranke gewöhnlich so reich sind, und deren Erfüllung ihnen weder Erleichterung noch Freude giebt, deren Verweigerung sie aber unmuthig macht. Thalheim hatte das Bewußtsein, daß er mit Aufopferung aller seiner Kräfte Alles für seine Frau that, was ihm irgend möglich war. Er hatte nie ein Wort des Dankes, der Anerkennung von ihr verlangt, denn er sagte sich, daß er nur seine Pflicht thue, – aber statt eines milden Liebesblickes, nach dem er sich sehnte, gab sie ihm Vorwürfe. – Aber jener einzige Blick aufwärts und ein schnell wieder unterdrücktes Zucken um den Mund war Alles, wodurch er einen Moment seiner heftigen innern Bewegung einen Ausdruck geben mußte, er sagte mit unveränderter Freundlichkeit: »Und welchen Wunsch[21] hast Du? Gewiß, ich werde Alles aufbieten, ihn Dir zu erfüllen!«

»Du weißt, daß ich sterben muß,« begann sie milder, als sie vorhin sprach, und er fiel ihr in's Wort und rief:

»O, sprich nicht so!«

Aber sie bat weiter: »Unterbrich mich nicht, um mich zu schonen, es ist mir ja Erleichterung, wenn ich einmal frei sprechen darf. Suche mir das nicht zu verheimlichen, was ich ja doch wünschen muß. Laß mich reden. Höre mir zu. Du hast es selbst mit angesehen, wie oft der Tod zu mir gekommen ist – er packte mich, warf mich hin und her, daß ich vor unsäglichen Schmerzen stöhnen und wimmern mußte, wie ein Kind – aber die Stunde ging vorüber, und der Tod mit ihr – ich blieb immer noch sein zuckendes Opfer – und nun ist es mir klar geworden, warum ich nicht sterben kann – ich soll nicht unversöhnt aus dem Leben gehen. Ich bedarf der Verzeihung zweier Menschen, an denen ich mich schwer vergangen habe – Deiner und seiner – – –«

Sie hielt inne – er sah sie fragend an und sprach kein Wort. Nach einer Pause fuhr sie fort:

»Johannes! – Auf dem Sterbebette lass' mich nicht mehr heucheln. Nicht aus Liebe ward ich Dein Weib – in diesem Herzen hat ewig nur das Bild eines Andern gelebt!« sie sprach die letzten Worte kaum hörbar und mit[22] niedergeschlagenen Augen, dann aber heftete sie dieselben weitgeöffnet ängstlich auf ihren Gatten, um zu erforschen, welchen Eindruck dieses Geständniß auf ihn mache.

Ueber seine ganze Gestalt rießelte es wie ein eisiger Schauer – seine Hände ließen die Bettpfoste los, auf die sie sich vorhin gestützt hatten – er sah auf sie, eben so starr, eben so fest, wie sie auf ihn – doch lag ein ungläubiges Forschen in diesem Blick und eine innige Zärtlichkeit, welche flehte: nimm das Wort zurück – ich verstehe Dich nicht.

Sie hielt diesen vertrauenden Liebesblick nicht aus, und indem sie ihr Gesicht abwendete, schrie sie auf: »Fluch mir lieber! Ich kann das eher ertragen, als Deine Engelmilde, als Deine blindvertrauende Liebe – – ich habe Dich geachtet, ich habe Ehrfurcht vor Dir gehabt – ich habe mir tausend Mal gesagt, daß Du edler, besser seiest, als all' die andern Männer – auch als er – mein Geist hat es mir gesagt, nicht mein Herz – mein Verstand, aber nicht mein Gefühl – und so habe ich Dich niemals lieben können, wie Du Dich geliebt glaubtest – niemals wie ihn – – und so habe ich doppelt gefehlt, an ihm, dem ich die Treue brach, und an Dir, dem ich Liebe heuchelte – ich habe Euch Beide unglücklich gemacht, Ihr müßt mir Beide vergeben, damit ich versöhnt aus dem Leben gehen kann.«

Johannes trat noch ein paar Schritte zurück und[23] lehnte sich an den Ecktisch, auf dem die Nachtlampe stand – durch den kleinen Stoß an den Tisch tauchte das Lämpchen unter das Oel, auf dem es schwamm, und verlöschte. Amalie schrie auf – ihm gab der kleine Umstand die Fassung wieder – er erinnerte ihn daran, daß er ja der Wärter einer Kranken sei, welche Schonung bedürfe. Er nahm das Feuerzeug zur Hand, und gab der Lampe ihre Flamme wieder, sie brannte aber jetzt unruhiger, flackernder als zuvor. Johannes sah, wie Amalie im Fieber glühte – er warf einen besorgten Blick auf sie und setzte sich stumm neben ihr Bett.

»Bin ich keines Wortes mehr werth?« fragte Amalie seufzend.

»Du wolltest mir einen Wunsch nennen, den ich Dir erfüllen könnte,« sagte er ruhig und bezwang sogar das Beben seiner Stimme – »Warum nennst Du ihn nicht? Ich bin zu Allem bereit, was Du verlangst, wenn es in meiner Macht ist.«

»Versöhne mich mit ihm!« rief sie.

»Mit wem?« fragte er tonlos.

»Mit Jaromir von Szariny!« flüsterte sie und drückte ihr erglühendes Antlitz in die Kissen. »Ich kann nicht sterben, wenn er mir nicht vergeben! – Ach, lass' Dich beschwören,« fuhr sie fort, »der Tod lös't ja alle Bande der Convenienz, macht Alles gleich – im Angesicht seiner[24] dürfen alle Schranken fallen und Seele zur Seele reden, wirf mit mir alle Vorurtheile bei Seite und erfülle meine Bitte, ich muß ihn sehen!«

»Wie wäre das möglich?« sagte Johannes bestürzt. »Ist der Graf denn hier? Und dann – und –« er war zu betroffen von dem nun eben Gehörten, in dem er ja noch gar keinen Zusammenhang fand, um darüber ruhig denken und sprechen zu können, und dabei sagte er sich selbst unaufhörlich, daß er die Tod ranke schonen, jede Aufregung vermeiden müsse – und doch war sein Herz so voll von eben darin erweckten Qualen, daß es Tausend verzweiflungsvolle Fragen, welche der Mund nimmer auszusprechen wagte, an die Gattin that.

»Ach, Johannes,« begann sie wieder, »ich habe Dir Alles sorgfältig verborgen, was mich gemartert hat bis zu dieser Stunde. Darüber bin ich oft launenhaft und hart gegen Dich gewesen, denn es ist nicht leicht, sein Herz zu einem Gefühl überreden zu wollen, zu dem es ewig nein sagt.«

»Aber Amalie, ich beschwöre Dich! –« sagte er mit gepreßter Stimme.

»Still, Johannes,« fiel sie ihm in's Wort, »ich weiß, was Du sagen willst, schone mich nicht – doch Du willst dies, und so will ich denn selbst für Dich reden. Du willst mich fragen, warum ich Dein Weib ward, da ich doch[25] einen Andern liebte. – – – Ach, ich war ein thörigtes, eitles Mädchen. Jaromir studirte in meiner Vaterstadt – wir hatten uns gesehen, erst nur aus der Ferne, als wir uns schon liebten – der schöne, stolze Graf, der liebenswürdige Pole, um dessen Zuneigung sich die vornehmsten Frauen und Fräuleins der Stadt vergebens bemühten – er lag zu meinen Füßen, zu den Füßen des armen Mädchens, das Niemand kannte, Niemand beachtete, das um Lohn manche Stickerei für jene reichen Damen liefern mußte, die ihn in ihre Netze ziehen wollten. O, ich war selig! Meine Mutter machte erst Einwendungen gegen unser Liebesverhältniß, der Abstand der Verhältnisse machte sie mißtrauisch – aber Jaromir besiegte ihre Einwendungen – er wechselte den Ring mit mir, er erklärte uns, daß er selbst ziemlich so arm sei, wie wir, daß er ein Geächteter sei, dessen Güter der Russischen Krone verfallen, daß er keine Familie habe, die seine Wahl misbilligen werde, daß er, wenn er selbst ein andres Mädchen als mich lieben könne, doch zu stolz sei, als Bettler und Geächteter um die Hand einer Reichen und Hochgestellten zu werben – und Allem fügte er hinzu, daß er mich über Alles liebe und daß dies ja der beste Grund sei, ihn nicht abzuweisen. – Ach, wie beredt er immer sprach, und welch' selige Stunden wir verlebten, als meine Mutter selbst unsere Liebe beschützte! –« Und Amalie lächelte, als sie so sprach, und blickte vor sich nieder, in selige Erinnerungen[26] versunken, Erinnerungen, welche eine solche Gewalt über sie hatten, daß sie jetzt ihrer Sprache einen lebhafteren Ausdruck gaben, daß vor ihnen die Schwäche des kranken Körpers zu weichen, seine Schmerzen aufzuhören schienen. Unter entsetzlichen Qualen rang Johannes während dieses Geständnisses, er vermogte nicht mehr, die begeistert Sprechende anzusehen, er blickte vor sich nieder, und blieb stumm.

Nach einer Weile begann sie wieder: »Niemand ahnte unser verborgenes Glück – Jaromir galt in der Gesellschaft als ein Sonderling, den nur die Einsamkeit reize – o, es war die Einsamkeit meines kleinen Zimmers, das für uns ein Paradies war. Aber so schön, so geistreich, wie er war, so unbedeutend kam ich mir neben ihm vor, und je leidenschaftlicher ich ihn liebte, desto häufiger quälten mich auch eifersüchtige Befürchtungen! – Ein halbes Jahr, nachdem wir uns kennen gelernt, ward er auf der Universität in Händel verwickelt, welche ihn zwangen, diese und die Stadt zu verlassen. Wir nahmen traurig Abschied, und gelobten uns ewige Treue. – Mein Leben ward furchtbar öde, da er fort war – wir schrieben uns oft, wenn auch die Mutter darüber schalt, daß ich Tage lang schrieb, ohne zu nähen, und über das viele Postgeld. Aber nun ward die Eifersucht zu meinem Dämon – ich hatte keine ruhige Minute mehr. Schrieb er mir einmal länger nicht, als gewöhnlich, so sprach ich im nächsten Brief meine Unruhe[27] darüber aus, machte ihm Vorwürfe, nannte ihn untreu –« die Kranke unterbrach sich hier, sie fing an zu schluchzen, nach einer Weile sammelte sie sich wieder und fuhr fort: »So war in stiller Pein ein halbes Jahr verstrichen, da wurdest Du der Lebensretter meiner Mutter – sie war auf den vom Eise glatten Stufen gefallen, hatte den Arm gebrochen, Du hobst sie auf, brachtest sie zu dem Chirurgen, dann in unsre Wohnung – Du sahst, wie arm wir waren, wie wir noch ärmer werden mußten, da die Mutter nun nicht mehr arbeiten konnte, Du bezahltest den Arzt, Du halfst überall, und doch warest Du selbst arm. So war ich Dir gleich, als ich Dich kennen lernte, zu Dank und Lohn verpflichtet.«

»Verpflichtet? O, mein Gott!« rief jetzt Thalheim, sich vergessend, außer sich. »Pflicht – wo ich ein Herz bot für ein Herz, Dank und Lohn, diese Kinder des Hochmuthes und des Egoismus, wo ich nach wahrer Liebe mich sehnte! O, Amalie, wie jämmerlich klein mußt Du von mir gedacht haben!« Und er sprang mit diesen Worten auf, ging an's Fenster und drückte die brennende Stirn an die kühlen Glasscheiben.

»Bleibe hier, Johannes,« bat sie, »ich gestehe Dir jetzt meine Schuld, damit ich versöhnt sterben kann. Warum klagst Du in schmerzlicher Ueberraschung? Ich habe es Dir[28] zuvor gesagt, daß ich Deiner Vergebung ja so sehr bedarf! Komm, komm!«

»Vergieb mir,« sagte er, »diese Aufwallung, ich will still anhören.« Und er setzte sich wieder auf seinen vorigen Platz, drückte schmerzlich-lächelnd Amaliens Hand, die sie ihm entgegen streckte, und sah dann aufmerksam lauschend vor sich nieder. Niemand konnte es ihm mehr ansehen, welche widerstreitenden Gefühle in seiner Seele tobten.

Die Kranke begann wieder: »Lass' mich kurz sein. Du gingest oft bei uns aus und ein, meine Mutter hing mit der wärmsten Hochachtung und zugleich zärtlichsten Mutterliebe an Dir – ich bewunderte Deine Großmuth, Deine Aufopferungen, Deine stete Milde – aber mir war ewig, als stündest Du auf einer kalten, klaren Höhe, die ich nimmer erklimmen könnte, die mich auch nimmer lockte. Da war es wieder einmal, daß mir Jaromir lange nicht geschrieben, ein Gerücht nannte ihn als den Liebhaber einer schönen verwittweten Gräfin – ich machte ihm eifersüchtige Vorwürfe, die er stolz ignorirte, endlich antwortete er aufgebracht, ich möge ihn nicht so unzart quälen, er thue es ja auch mir nie, denn er vertraue mir – – In diesen edlen Worten sah ich nur die Sprache der Gleichgültigkeit, mein Stolz überredete mich, daß er mich so sehr in seiner Gewalt zu haben glaube, daß neben ihm für mich jeder andere Mann verschwinden müsse – dafür wollt' ich ihn demüthigen,[29] ich schrieb ihm begeistert von Dir, war auch freundlicher als zuvor gegen Dich, um ihm zu zeigen, daß noch andere edle Männer um meine Gunst sich bewerben könnten. O, er kannte mich nur zu gut! Er machte einen Scherz aus meinem Bestreben, seine Eifersucht zu erregen, wie er es durchschaute, und schrieb mir, daß er trotz dem meiner unveränderten Liebe gewiß sei – – ich hatte kaum diesen Brief, der meinen Stolz empörte, durchflogen, und ihn zürnend weggeworfen, als Du kamst, mir Deine Liebe gestandest, mir Deine Hand botest – und wenn ich nun Ja! sagte, rief eine teuflische Stimme in mir, so wäre Jaromir doch gedemüthigt, und ich sagte Ja in derselben Stunde, und meine Mutter kam und segnete uns.«

Amalie hielt erschöpft inne, und Johannes flüsterte zwischen den Lippen: »Unüberlegte, kindische Rache eines eitlen Mädchens, und meine wahre, riesenstarke Liebe!«

Sie fuhr nach einer Weile fort: »Du warst so gütig, so edel, ich sah mich so unendlich geliebt, Du übtest einen mächtigen Zauber über mich – meine Mutter dankte Dir ihr Leben und mehr, sie hatte längst gehofft, mit der Zeit werde mein Verhältniß zu diesem Jaromir enden, denn sie sah nicht ab, was daraus werden sollte – sie war glücklich über meine Handlung, ich war wie eine Träumerin – erst nach Wochen, als ein Brief Jaromir's anlangte, worde er sein Befremden über mein längeres Schweigen ausdruckte,[30] und ängstlich zärtlich fragte: ob ich krank, oder was sonst geschehen sei? – da kam ich erst eigentlich zum klaren Bewußtsein dessen, was ich gethan hatte. Ich war in Verzweiflung – meine Mutter schrieb für mich an Jaromir, besinnungslos unterschrieb ich den Brief – ich ward krank, dadurch entging Dir mein tiefes Herzeleid. Ich hoffte immer noch, er würde wieder schreiben, mich beschwören, zu widerrufen – dann wollte ich mein Wort von Dir zurückverlangen, es möchte daraus entstehen, was da wolle. Aber er schickte mir meinen Ring wieder und schrieb kein Wort dazu. Da wollte ich glücklich sein – ihm zum Trotz. In solchen Momenten war ich dann so zärtlich gegen Dich, wie ich es nur immer gegen ihn gewesen – und es war doch nur eigentlich er, den ich in Dir liebkoste. Ach, ich habe untreu gegen ihn gehandelt, mein Gefühl konnte ihm nie untreu werden!«

Sie hielt wieder inne, von Erinnerungen überwältigt. – Das Nachtlicht flackerte unruhig, die Uhr im Zimmer schlug helltönend Mitternacht. –

Nach einer langen Pause begann Amalie auf's Neue: »Meine gute Mutter starb, ich wäre verlassen und hilflos gewesen, wenn Du Dich meiner nicht angenommen. Du führtest mich zum Altar. Ich mußte das Schicksal segnen, das mir in Dir diese Stütze gab – aber doch war ich nicht ruhig, nicht glücklich, ich konnte Jaromir nicht vergessen![31] – Ach, Johannes, kannst Du mir das Alles vergeben? Kannst Du mir es vergeben, damit ich ruhig sterben kann?«

»Vergeben ist eine heilige Pflicht,« sagte Johannes aufstehend und feierlich, aber mit gepreßter Stimme. »Ich vergebe Dir Alles!«

»Du vergiebst mir – nur aus kalter strenger Pflicht, nicht aus zärtlichem Herzen, Du vergiebst mir, weil es Deine strenge Tugend Dir so befiehlt –« flüsterte sie vorwurfsvoll, »doch ja, ich verdiene das – Du vergiebst doch – ich danke Dir! Aber vollende, kröne Dein Werk, wenn ich, mit Dir versöhnt, sterben darf, so versöhne mich auch mit Jaromir, ich habe an ihm unrecht gehandelt, wie an Dir, ich habe ihn unglücklich gemacht, wie Dich – –!«

Johannes sah sie fragend an und schwieg.

Nach einer Pause begann Amalie wieder hastig: »Du willst mich nicht verstehen – Jaromir ist hier, ich habe ihn wiedergesehen!«

»Auch noch das!« sagte Johannes tonlos.

»Einige Tage vorher, eh' ich krank ward, sah ich ihn unter meinen Fenstern vorübergehen – die fünf Jahre unsrer Trennung hatten ihn sehr verändert, er sah blaß und abgezehrt aus, und ein tiefer Gram wohnte in seinen früher so fröhlich glänzenden Augen, Mehrmals des Tages ging er vorüber, immer sah er herauf – aber ich bezwang[32] mich, und verbarg mich immer hinter den Blumen am Fenster – nur ein Mal in der Abenddämmerung warf ich ihm eine geknickte Rose zu, an die ich einen Zettel mit den Worten gebunden hatte: ›Wir dürfen uns einander nicht nähern, aber mein Herz bewahrte für Jaromir immer dasselbe Gefühl.‹ Er drückte die Rose an seine Brust, bedeckte sie mit Küssen, und obwohl es schon dunkelte, sah ich doch an allen seinen Bewegungen die eines Glücklichen. Am andern Tag ward ich so krank, daß ich das Bett nicht wieder verlassen konnte. – Weiter habe ich ihn nicht gesehen und Nichts von ihm gehört, denn ich wagte nicht, Jemanden nach ihm zu fragen. Nun geht es mit mir zu Ende – ich kann nicht sterben, bis ich ihn nicht noch ein Mal gesehen, bis er mir nicht vergeben. Der Sterbenden darfst Du es nicht verweigern, den letzten Abschied von dem zu nehmen, der dem Herzen, das bald nicht mehr schlägt, Alles war.«

»Thue, was Dir Dein Herz gebietet,« sagte er, »Du bist mir für keinen Deiner Wünsche, Deiner Gefühle mehr verantwortlich, seitdem ich weiß, daß ich Deine Liebe nie besessen. – Du betrachtest Dich als eine aus dem Leben Scheidende – aber Du kannst Dich irren; Du betrachtest den Mann Deiner Liebe als einen durch fünf lange Jahre sich gleich Gebliebenen – und Du kannst Dich auch irren. Bedenke, daß es Dich dann reuen könnte, durch ein Wiedersehen,[33] wie Du es ersehnst, dem Herkömmlichen, dem man Achtung schuldig ist, zuwider gehandelt zu haben.«

»Bemühe Dich nicht, mich von meinem Wunsch abzubringen –« fiel sie ihm bitter in's Wort, »seiner bin ich gewiß! Ich habe mich bezwungen, so lang' ich lebte, dem Tod gegenüber hört dies elende Spiel auf, wie bald das elende Leben. Ich bin eine hilflose Kranke, es steht in Deiner Macht, mir meinen letzten Wunsch nicht zu erfüllen, und mich unversöhnt und qualvoll sterben zu lassen – thu' es – und mein verzweifelnder, brechender Blick wird ewig vor Deiner Seele stehen – Du wirst –!«

»Spare Deine Worte,« sagte er mild zu der Heftigen, »gönne nun endlich Deinem Körper Ruhe, das viele Sprechen macht Dich matt. Ich will dem Grafen schreiben, daß er zu seiner sterbenden Amalie kommen soll – und er wird kommen.«

Aber länger konnte sich Johannes nicht beherrschen, er eilte zur Thüre hinaus in den finstern Vorsaal, riß draußen das Fenster auf und starrte in die Nacht hinaus.

Es wäre vergebens, schildern zu wollen, was ihn jetzt so heftig bewegte. Er liebte seine Gattin – und all' die Stunden, in denen er früher an ihrer Seite glücklich gewesen, sanken vor ihm in Nacht – er war auch um seine Erinnerungen betrogen – ein Betrug waren diese vier Jahre – sie hatte ihn nie geliebt.[34]

Quelle:
Louise Otto: Schloß und Fabrik. Band 1–3, Band 1, Leipzig 1846, S. 18-35.
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