III. Jaromir

[35] »Zu lieben mit dem reinsten, wärmsten Triebe,

Bis Dir das Herz im Rausch der Weihe bricht –

Und grüßt Dich dennoch keine Gegenliebe,

Das ist der Leiden bitterstes noch nicht.«

Karl Beck.


In einer geschmackvoll meublirten Stube lag im modischen Schlafrock ein junger Mann auf dem weichen Sopha bequem und schief ausgestreckt. In der einen feinen, weißen Hand hielt er eine glimmende Cigarre, mit der andern, an der ein kostbarer Siegelring blitzte, hielt er die Blätter eines Romanes, der vor ihm aufgeschlagen auf dem Tisch lag und in dem er eifrig las. Der junge Mann hatte eines jener Gesichter, deren ganzer Ausdruck in den Augen ruht; wenn sie mit diesen vor sich nieder sehen, so ist das ganze Gesicht höchst unbedeutend, sind dieselben aber gerad aus oder aufwärts auf irgend einen Gegenstand gerichtet, so genügen sie allein, den, dem sie gehören, schön und interessant[35] zu machen. Die Augen des Lesenden waren von einem dunklen Braun, aber so glänzend und hell bei dieser tiefen Dunkelheit, daß man oft nicht wußte, ob man sie licht oder dunkel nennen sollte. Lange Wimpern beschatteten sie, und gaben ihnen einen schwärmerischen Ausdruck. Die braunen Haare fielen zu beiden Seiten des blassen Gesichtes in leichten Wellenlinien, ringsum in gleicher Länge die Halsbinde berührend, herunter, ein kleiner Bart umgab den Mund, um welchen ein verächtliches Lächeln spielte.

Eine malerische Unordnung herrschte in der Stube. Bücher lagen auf den Stühlen, ja hie und da auch darunter. Leere Cigarrenkistchen standen auf einem Bücherbreie, und mancher gelbe Glacehandschuh steckte seine fünf Finger aus einem Winkel des Schreibtisches, wie bedenklich drohend, hervor. Ein feiner schwarzer Filzhut saß verwegen genug auf einer weißen Büste Göthes, und eine gefüllte Geldbörse lag zu den Füßen einer niedlichen Statuette der Taglioni. Auf einem Seitentisch lagen Briefe, Visitenkarten, Journale u.s.w. wirr genug durcheinander. An den Fenstern hingen mehrere zierliche Diophonieen von Porzellan, an den buntgemalten Wänden hingen einige werthvolle Stahlstiche in goldenen Nahmen und manche niedliche Stickerei, die als irgend ein brauchbares Meubel diente. Luxus und Nachlässigkeit, die doch immer noch geschmackvoll und, wenn man will, ästhetisch blieb, reichten einander in diesem Zimmer[36] die Hand. Sein Bewohner war Graf Jaromir von Szariny. –

Die Thüre ward geöffnet, und ein junger Mann trat herein. Er war ziemlich lang und blond, hatte sehr lichte Augen, und sah überhaupt sehr farblos und sehr langweilig aus. Es war Baron von Füßli.

Die Herren begrüßten einander heiter und freundschaftlich, und Szariny entschuldigte sich leichthin, daß er noch nicht zum Ausgehen fertig sei, indem er die Zeit unbeachtet habe verstreichen lassen. Er schritt darauf zur Vollendung seiner Toilette, während sich Füßli in den Lehnsessel am Fenster warf und gähnend sagte:

»Aber, mein Bester, wissen denn auch Sie gar nichts Neues?«

»O, ich sage Ihnen, diese Residenz ist eines der langweiligsten Nester, die ich kenne, selbst auf dem Gute meines Oheims war es nicht langweiliger, und Berlin würde ich im Leben nicht verlassen haben, wenn nicht Bella auf den wahnsinnigen Einfall gekommen wäre, sich hier engagiren zu lassen – und ganz aufrichtig gestanden, auch sie fängt jetzt an mich zu langweilen. – Wäre sie nur noch einige Monate in Berlin geblieben, so war meine Leidenschaft ruhig abgekühlt, und ich hätte sie ruhig reisen lassen, statt daß ich den dummen Streich machte, ihr zu folgen. Sechs Wochen bin ich nun schon hier! Und warum? Um mich so[37] zu langweilen, daß mir diese sechs Wochen wie eben so viel Monate, – ach, was sage ich, eben so viel Jahre erscheinen.«

»Nun,« versetzte Jener, »ich fange seit Kurzem an, mir einiges Amüsement zu versprechen. Neulich im Theater hab' ich ein bildhübsches, muntres Mädchen gesehen, von dem ich jetzt weiß, daß es eine Pensionärin des Nollin'schen Instituts ist. Sie war jugendfrisch, wie eine Obstbaumblüthe, hatte blitzende Augen, die sich munter und keck nach allen Seiten drehten, lebendige Beweglichkeit – kurz, ich glaube ein muntres Fischlein, das leicht zu fangen – und wenn es dann an meiner Angel hängt – wer weiß, im Nollin'schen Institut sind nur reiche Mädchen – –«

»Wahrhaftig, Sie amüsiren mich – ein hübsches Kind gefällt Ihnen auf dem ersten Anblick, und Sie knüpfen sofort weitläufige Combinationen daran, welche bis zum Traualtar gehen. – Alle Liebesverhältnisse arten in Langeweile aus – aber bis zur Langeweile des ehelichen Lebens nein, dahin soll es mit mir nicht kommen, daran können auch Sie nicht ernsthaft denken!«

Der Baron sagte achselzuckend: »Je nun, eine reiche Partie ist oft das einzige Mittel, einige finanzielle Lücken auszufüllen – man spielt eine neue Rolle in der Welt, wenn man das eigne Haus zum Mittelpunkt glänzender Feste machen kann. – Und was wollen Sie? Eine fashionable[38] Ehe lös't doch nur ein Liebesverhältniß auf – das, welches wir mit unsrer Gattin hatten, bevor sie solche war – jedes andere wird dann nur um so pikanter.«

Jaromir lachte und sagte dann kopfschüttelnd: »Dann wählen Sie nur kein harmloses, unschuldiges Mädchen, sondern eine Kokette, die mit Ihren Grundsätzen übereinstimmt – sonst sollte mir das arme Wesen leid thun. Zu einer solchen Scheinehe bin ich zu stolz, zu stolz, einem Wesen meinen Namen zu geben, dem ich nicht für immer mein Herz zu geben gedenke – und da mich dieser Jugendwahn nicht mehr befallen kann – so bleibt es denn bei meinem Entschlusse.«

»Aber es ist göttlich!« rief der Baron mit lautem Lachen. »Wie wir hier über Sein und Nichtsein der Heirath philosophiren, während wir uns doch anders amüsiren könnten – wir machen eine Runde um die Stadt, und dann begleite ich sie zu Bella, sie war gestern göttlich als Lukrezia.«

»Gut, so wollen wir zu ihr gehen – nach einer großen Opernpartie ist sie immer angegriffen, schmachtend, sanft und macht weniger ihre eigenwilligen Launen geltend, als an Tagen, wo sie sich heiser melden läßt, und in ihrem Muthwillen ausgelassen lustig darüber ist, ihren Mitsängern und der Direction einen ärgerlichen Streich gespielt zu haben.«[39]

Als sie zur Vorhausthüre heraustraten, kam der Briefträger die Treppe herauf. »Von der Stadtpost,« sagte er, und gab Jaromir einen Brief.

»Eine unbekannte Hand und ein T im Siegel –« bemerkte der Empfänger. –

»Eine unbekannte Hand – das ist in den meisten Fällen interessant, wenn es nicht von einem unsrer Handwerksleute und Lieferanten kommt – doch die Mahnbriefe sind immer unfrankirt. Es scheint eine niedliche Damenhand zu sein – so öffnen Sie doch nur, ich bin ungeheuer neugierig.«

»Nein, das ist eine Theologenhand,« sagte Jaromir, der in Folge eines unerklärlichen Gefühls sich beinahe scheute, den Brief zu öffnen und ihn sinnend in der Hand hielt. Endlich war das Siegel gelös't. Er las:

»Klingt Ihnen der Name Amalie noch bekannt? Amalie, die Sie einst liebten, ist eine Sterbende, und hat auf dieser Welt nur noch den einen Wunsch, sich sterbend mit Ihnen zu versöhnen, Ihre Vergebung zu erlangen. Wenn Ihnen je der letzte Wunsch einer Sterbenden heilig war, so kommen Sie heut' Nachmittag zwischen 4 und 6 Uhr in die Klosterstraße Nr. 18, zwei Treppen, links, wo Sie an der Thüre den Namen finden: Doctor Thalheim.«

Eine ganze Vergangenheit wachte plötzlich vor Jaromir auf – er starrte regungslos auf das Papier, und stand[40] wie angewurzelt fest – – »Amalie, Thalheim – ganz recht, das war der Name ihres Gatten – –«

»Nun,« fragte der Baron, »wollen Sie ewig hier stehen bleiben? Worüber sind Sie so außer sich gerathen? Kommen Sie – Bella wird Sie wieder beruhigen.«

»Bella? Gehen Sie allein zu ihr, ich kann nicht mitgehen. – Aber was ist denn das?« fuhr er fort, auf das Papier starrend. – »Klosterstraße Nr. 18 – da wohnt ja Bella auch! –«

»Aber was haben Sie denn? So kommen Sie doch nur! – Was ist denn das für ein verhängnißvolles Billet, das Sie so gedankenlos, so verdreht macht – so lassen Sie doch sehen! – Oder ist es ein zu zartes Geheimniß, das einen Vertrauten nicht duldet?«

»Ja,« rief Jaromir, indem er den Brief einsteckte, »es ist ein Geheimniß, das einer frühern Zeit und einem frühern Menschen angehört, als der Szariny ist, der Ihr Freund ward!« und ruhiger fügte er in seinem gewöhnlichen Ton hinzu: »Rechnen Sie es mir nicht als Unart an, wenn ich Sie heute nicht zu Bella begleiten kann. –«

»Was, und Sie versprachen mir noch gestern, mich sobald als möglich bei ihr einzuführen?«

»Sie werden ihr auch ohne Einführung von meiner Seite willkommen sein – oder kommen Sie noch eine[41] Augenblick in mein Zimmer, ich gebe Ihnen ein Billet von mir an sie mit, das ist der sicherste Weg zu ihr.«

Jaromir kehrte eilig wieder in sein Zimmer zurück, und schrieb, während der Baron langsam und kopfschüttelnd nachkam, hastig an seinem Schreibtisch:

»Leider ist es mir heute unmöglich, selbst nachzufragen, wie meiner schönen Freundin die gestrige Anstrengung bekommen ist. Ich lasse mich durch meinen vertrauten Freund, Baron von Füßli, bei Ihnen vertreten, der schon längst nach dem Glück Ihrer Bekanntschaft strebte. – Sie werden in ihm einen geistreicheren und liebenswürdigeren Gesellschafter finden, als in ihrem ergebenen

Szariny


Er las diese Zeilen hastig vor, siegelte sie dann rasch ein, und trieb damit den Baron zum Fortgehen, indem er ihm nochmals zurief: »Sie werden Bella sehr schön finden, und ich bin es gern zufrieden, wenn sie alle Rechte, die mir ihre Freundschaft gewährt, auch auf Sie überträgt.«

Der Baron fand Jaromir heute so sehr in seiner von ihm so genannten Sonderlingslaune, daß er es wirklich für das Beste hielt, nicht neugierig in ihn zu dringen, und so ging er.

Als er fort war, warf sich Jaromir in das Sopha, nachdem er die Thüre verriegelt hatte, und sagte: »Endlich bin ich ihn los!«[42]

Er lehnte sein Haupt mit der Stirn auf das Sophakissen, drückte noch beide Hände vor, als wolle er gar Nichts sehen von der Außenwelt, und versank in ein tiefes Sinnen.

Polen war gefallen, und Jaromir war in den ersten Jünglingsjahren mit seiner deutschen Mutter nach Deutschland geflüchtet. Der Vater war im Kampf geblieben – ein Bruder der Mutter nahm die armen Flüchtlinge auf seinem Gute auf. Die Gräfin Szariny, die in der letzten Zeit so viel erlebt hatte, alle Schrecknisse des Kriegs, alle Gefahren und blutigen Scenen der Revolution, den blutigen Tod des Gatten, den Verlust ihrer großen Standesherrschaft und all' ihres Reichthums, so daß sie zuletzt in rascher Flucht Nichts retten konnte, als das Leben des einzigen, theuern Sohnes und ihr eigenes – erlag bald so vielfachen Lebensstürmen und starb. Ihr Bruder, Graf Galzenau, versprach der Sterbenden, sich ihres Sohnes anzunehmen. Der Graf war verheirathet, und hatte selbst eine zahlreiche Familie, und ein im Verhältniß zu dieser und seinem Stand nicht eben beträchtliches Vermögen. Er selbst that für den Schwestersohn, was er thun konnte, aber die Seinigen sahen immer ein Wenig scheel auf den. Polenflüchtling, und behandelten ihn nie mit verwandtschaftlicher Herzlichkeit, sondern oft mit kaltem Stolz, mit verächtlicher Zurücksetzung. So lernte Jaromir früh das Leben von der ernstesten Seite kennen; er bezog ein Gymnasium, und dann die Universität.[43] In den Ferien kam er nur auf den ausdrücklichen Wunsch seines Oheims in dessen Haus, wo er sich gedrückt fühlte. Jaromir war fest entschlossen, sobald als möglich die Wohlthaten seines Oheims nicht mehr anzunehmen, deshalb studirte er. – Aber was konnte es ihm nützen? Konnte ein vertriebener Pole auf eine Anstellung in Deutschen Staaten rechnen? – Er griff zu dem einzigen Mittel, welches ihm übrig blieb, um wenigstens im Augenblick eine kleine Quelle des Erwerbes sich zu öffnen – er ward Schriftsteller! Er hatte Genie – und er schrieb mit Begeisterung – er wählte den neuen Beruf nicht allein aus Noth, und weil keine Wahl ihm blieb, er war ihm zugethan mit Lust und Liebe. Aber trauriges Schicksal des Armen, der in Deutschland der Muse leben will, und zugleich auch gezwungen ist, von ihr zu leben! Jaromir entging ihm nicht – – – oft, wenn er sich gedrungen fühlte, die Feder zur Hand zu nehmen, und ein Lied niederschreiben wollte, wie er es tief im Herzen fühlte – oft warf er das kleine Blatt Papier wieder weg, auf das er die erste Zeile geschrieben, und griff nach einem großen Bogen, denn noch heute mußte der Journalartikel fertig sein, den er zu liefern versprochen hatte, und den man ihm gut bezahlte; das Lied aber bezahlte ihm Niemand, kaum daß es im Winkel irgend einer Zeitschrift überhaupt auf einen Platz rechnen konnte, und so wurde es in der Geburt erstickt, der bestellte Artikel hingeschrieben[44] ohne Lust und Behagen, und dann mit einem: »Gott sei Dank, daß ich fertig bin!« die Feder ärgerlich weggeworfen. Oder wenn er irgend eine Skizze, die ihm just durch den Sinn fuhr, für die er aber nicht gleich einen Verleger wußte, niederschreiben wollte, so sandte man ihm Polnische und Englische Blätter, und verhieß für die schnelle Uebersetzung ein gutes Honorar – und er übersetzte – – – dann warf er die Feder mit Ekel weg, und konnte sich oft lange nicht überwinden, sie wieder anzurühren, aus Verachtung vor ihr und sich selbst, daß er sie so oft halb gezwungen führen mußte. – Er hatte es seinem Oheim gesagt, daß er allein für sich selbst sorgen könne, und nur mit Mühe hatte dieser ihn vermogt, wenigstens so lange, als die Zeit seiner Studien bestimmt sei, für diese das Geld von ihm anzunehmen. Jaromir hatte jenen edlen Stolz unabhängiger Charaktere, der Nichts gemein hat mit jenem gemeinen Stolz auf Rang und Ansehen. Daher hielt er sich auch entfernt von der höhern Gesellschaft, die seinen Rang und Stand, aber nicht seine übrigen Verhältnisse kannte, und begierig den schönen, geistreichen jungen Mann in ihre Kreise zu ziehen suchte. Da dies vergebens war, erklärte man ihn für einen Sonderling und Grillenfänger – dadurch ward er nur noch mehr zum Gegenstand des allgemeinen Interesses, und manches zärtliche Briefchen kam auf einem geheimen Weg zu ihm, das ihm Theilnahme und[45] Tröstung bei dem Kummer verhieß, der ihn zu drücken scheine. Er warf diese Billets, verächtlich lachend, in's Camin, und ging zu seiner Amalie. – Er hatte das schöne, arme Mädchen kennen und lieben gelernt – er sah sich von ihm angebetet, und gab sich mit aller Innigkeit des ersten Liebeserwachens in einem noch von keinem unlautern Gefühl entweihten Herzen demselben hin. – Er liebte Amalien wirklich und wahrhaftig mit der reinen Gluth, deren seine schwärmerische Seele fähig war, mit all' der edlen Hingabe seines starken Charakters. Daß sie ein armes, bürgerliches Mädchen war, das kümmerte ihn nicht – er war auch arm, und sein Grafentitel galt ihm Nichts. Er hoffte, sich später eine sorgenfreiere Existenz zu sichern, die er ihr bieten könnte, und ob seine Verwandten ihm über die Mesalliance zürnen würden – kümmerte ihn nicht, er war ihnen nicht mehr verpflichtet. Von seiner eignen, festvertrauenden Liebe schloß er auf die Amaliens – er hielt ihre Liebe für so fest, wie die seine, er war ruhig und glücklich im Besitz ihres theuern Herzens. Er wußte es, wie sie ihn liebte. – Mußte nicht auch sie es wissen, da er es ihr einmal gesagt, wie wechsellos und treu er sie liebte? Wozu bedurfte es immer neuer Wiederholungen? Sein schönes Vertrauen nahm sie für Kälte. Ihr Geständniß gegen ihren Gatten erklärt, wie es zwischen ihr und Jaromir zum Bruch kommen konnte. Er lebte, wie in ***, als er es hatte[46] verlassen müssen, eingezogen und einsam. Er war bald wieder in literarischen Verbindungen, da er sie suchte, denn der angenommene Name, unter dem er schrieb, hatte einen guten Klang bekommen. Er dachte an sein Liebchen, und schrieb fleißig an einem größern Werke, auf das er manche Hoffnung für sich und Amalien baute. Wohl kränkte ihn zuweilen ihre Eifersucht, allein er hielt diese mehr für eine weibliche Laune, die nur auf der äußern Oberfläche erscheine, nimmer aber aus der Tiefe des Herzens komme – wußte er sich doch so frei von jeder kleinsten Regung, die einen Vorwurf verdient hätte. Es beruhte in Wahrheit: eine Polnische Gräfin, in deren Hause er zufällig wohnte, hatte ihn zu sich einladen lassen, und er hatte keinen Grund gehabt, die Einladung auszuschlagen. Aber bald fand er, daß es in ihrem Hause ein Wenig frivol zugehe, daß die Gräfin all' ihre Koketterie-Künste anwende, um in ihm einen galanten Ritter zu finden – da zog er in ein entlegenes Stadtviertel, und schickte der Gräfin eine Abschiedskarte. Ein Bekannter der Gräfin, der ihn in diesem Cirkel kennen gelernt hatte, traf ihn einige Zeit darauf zufällig, und als er ihm seine Verwunderung aussprach, daß er noch in Berlin sei, da er der Gräfin doch eine Abschiedskarte geschickt habe, sagte Jaromir: »Für die Personen, denen man Abschiedskarten schickt, ist man nicht mehr da – gleichviel, ob man die Stadt gewechselt hat, oder nur die Straßen.« –[47] So selbstbewußt nun durch diese und ähnliche Handlungen Jaromir sich fühlte, von Amalien auch nicht den kleinsten Zweifel an seiner Liebe zu verdienen, so glaubte er auch nicht daran, daß sie im Ernst an seiner Treue zweifeln, und daß sie selbst je anders handeln und fühlen könne, als er – so fiel es ihm doch, wie er nun den Brief von Amaliens Mutter und seinen Ring mit der Anzeige ihrer Verlobung mit Thalheim erhielt, plötzlich wie Schuppen von seinen Augen. – Sie hatte ihn nie geliebt, nie geliebt, wie er allein geliebt sein wollte! – Sie hatte nie das große, heilige Gefühl verstanden, das ihn bewegte; er hatte seine edelsten Empfindungen, sein ganzes großes Herz weggeworfen an ein Wesen, das nur damit gespielt hatte! – Es war über ein Jahr vergangen, und er hatte keinen andern Gedanken gehabt, als den: Amalie! – Für sie hatte er gearbeitet, für sie gedarbt – für sie seine Nächte am Schreibtisch, oft seine Neigungen in der Literatur dem sicheren Erwerb geopfert – und jetzt sah er sich von ihr bei Seite geworfen, einem Andern geopfert! – Wäre sie ihm entrissen worden durch den Tod, durch irgend eine Allgewalt der Verhältnisse, er hätte es mit edler, männlicher Entsagung ertragen – aber durch ihre Untreue wurden die bittersten Gefühle in ihm rege, durch ihren Verrath sah er sich um das schönste Jahr seines Lebens schrecklich betrogen. Er mußte die Erinnerung an dieses Liebesglück fliehen denn[48] dieses selbst erschien ihm jetzt als nichts Anderes, als eine ungeheure Lüge. Er schickte Amalien ihren Ring wieder, ohne ein Wort des Vorwurfs, ohne irgend eine Erklärung – sie war seinem stolzen, edlen Herzen plötzlich so verächtlich, als sie ihm erst theuer gewesen. Er suchte jeden Gedanken an sie zu verbannen – – aber wie nun die tödtende Leere ausfüllen, die dadurch in seinem Innern, in seinem ganzen Leben entstand? Er stürzte sich in einen Strudel von Zerstreuungen, er trank und spielte, und wenn der Schlaf nach durchschwärmten Nächten auf ihn herabsank, so fand er ihn selten nüchtern. Wenn er schreiben wollte wie sonst, und er allein in seiner stillen Stube saß – da stand Amaliens Bild plötzlich vor ihm, und er schaute es liebesselig an wie sonst – aber dann besann er sich, daß das Alles ja vorüber und Nichts gewesen sei, als ein langer Betrug, und sprang auf, floh das Nachdenken, floh die Einsamkeit, um nur auch ihrem Bild zu entrinnen, und suchte wieder den goldnen Stern der Vergessenheit im goldnen Wein, Dies wilde Leben stürzte ihn in Schulden, er hatte bald mit der entsetzlichsten Noth, den peinlichsten Sorgen zu kämpfen. Da erhielt er einen Brief seines Oheims. Ein Verwandter Jaromirs in Rußland hatte diesem geschrieben. Jaromirs Standesherrschaft war der Russischen Krone verfallen, und er selbst durfte nicht wieder dahin zurückkehren, aber der Verwandte, der auf Rassischer Seite[49] stand, und daselbst viel Einfluß hatte, hatte es dahin gebracht, daß Jaromir sein übriges beträchtliches Vermögen erhielt. Das schrieb ihm Golzenau, und übersandte ihm die betreffenden Documente. Der arme Jaromir erwachte eines Morgens und fand sich reich. Er frohlockte, der Reichthum gab ihm ja die Mittel, sich zu zerstreuen, zu betäuben. Er verließ Berlin und ging auf Reisen. Nach einem Jahre kehrte er wieder zurück. Er war nunmehr auch ein gern empfangner Gast auf Schloß Golzenau – kam zuweilen dahin, weil der Graf ihn wie einen Sohn liebte, und weil er den alten Mann schätzte, der früher, trotz den Widersprüchen der eignen Familie, so väterlich an ihm gehandelt hatte. Jaromir hatte ihm Alles wieder erstattet, was er früher von ihm empfangen, und um so unbefangener konnte er ihm jetzt seine Dankbarkeit bezeugen. Uebrigens lebte Jaromir die folgenden Jahre in Berlin unter der großen Welt, der er so lange fremd geblieben war. Er galt für einen der ersten Salonherrn in diesen Kreisen und da er unter ihnen nicht nur seinem Aeußern nach der schönste, sondern zugleich auch der geistreichste war, da man es sich zuflüsterte, daß er ein Dichter, ein Journalist sei so gab dies seiner ohnehin bedeutenden Persönlichkeit noch einen besondern Glanz, der ihn für die Frauen besonder anziehend machte, und nicht wenig dazu beitrug, daß manch Männer ihn halb mit Neid, halb mit Furcht betrachteten.[50] So beherrschte er die Gesellschaft durch hundert Eigenschaften, vor welchen eben diese Gesellschaft sich bewundernd neigt. Es war ein neues Leben im Aeußern für ihn aufgegangen. Er war ein andrer Mensch geworden. Er huldigte jeder Modethorheit, jeder Grille, die in ihm aufstieg – er war heute der dienstbare Sklave irgend einer schönen Frau, um sich morgen über sie lustig zu machen. Er ließ heute wirklich sein Herz und seine Sinne von irgend einer blendenden, weiblichen Erscheinung verführen, und morgen stand sie wieder vor ihm all' dieses Glanzes bar, den seine Phantasie um sie gewoben, und er wandte sich mit bitterm Lächeln ab. Er redete sich heute selbst ein, zu lieben und selig zu sein, wenn ein schönes Weib die Arme berauscht und berauschend um ihn schlang – aber morgen verhöhnte er das eigne Gefühl und lös'te zürnend das raschgeknüpfte Band. Er achtete nicht darauf, daß wohl viel Thränen still um ihn flossen, daß manche Wange bleich ward, die er einst geküßt – er hatte längst aufgehört, an das weibliche Herz zu glauben, was galten ihm da noch weibliche Thränen, Seufzer und Worte? – Und sein eignes Herz blieb so leer und öde, wie eine Wüste, so hatte er ja das weibliche genannt. Er dachte nicht mehr an Amalien, die Erinnerung an sie war verloren. Nicht um den Gedanken an sie zu entfliehen, führte er ein zerstreuendes Leben – ihr Bild erschien ihm schon lange nicht mehr, sondern nur um[51] die Leere seines Innern in den Augenblicken auszufüllen, wo er diese Leere am drückendsten fühlte, und jeder solcher Versuch zeigte ihm doch nur, welche vergebliche Mühe es war, ihn zu machen. – Er war noch Schriftsteller, und jetzt glücklich: er brauchte nicht mehr für Geld zu schreiben – diesen ungeheuern Fluch hatte ja der Reichthum von ihm genommen; er konnte schreiben, was der Geist ihm eingab, und er that es. In solchen Stunden war ihm dann am wohlsten. Aber seine Anonymität behauptend, war er zu der Gesamtliteratur in eine ziemlich schiefe Stellung gekommen. Seine Ansichten und Aussprüche machten ihm viele Freunde, und erwarben seinem angenommenen Namen Anerkennung – aber er war und blieb allein, da er sich eben nicht selbst dazu bekannte, der Träger dieses Namens zu sein. Nicht die warmen, ehrlichen Herzen, die mit ihm zugleich schlugen, und auf dem Tummelplatz der Journale kämpften für Freiheit und Recht, waren seine Gefährten, sondern jene vornehmen, blasirten Stutzer mit prunkenden Titeln und hohen Namen, deren Augen nicht weiter reichten, als bis in die goldumrahmten Spiegel geschmückter Salons, und denen die wirkliche große Welt, die über und außer ihrer sogenannten großen Welt lag, ein unbekanntes Reich war. Mit einigen von ihnen theilte Jaromir ein gemeinschaftliches Interesse: das Theater. Während jene aber zumeist die Operngucker auf die verführerischen Bewegungen[52] der Ballettänzerinnen richteten, saß Jaromir sinnend im Schauspiel, im Lustspiel, in der Oper, und war ein aufmerksamer, kritischer Beobachter, ob die Darsteller ihre Rollen richtig auffaßten, ob sie ihre schwierigen Aufgaben lös'ten. Er hatte in dieser Zeit eine förmliche Leidenschaft für das Theater, für die Kunst, und ließ es dann an öffentlichen oder privaten Aufmunterungen oder Zurechtweisungen nicht fehlen, wo ihm dies der Mühe werth schien. In der Rolle der Norma sah er Bella zuerst, und noch nie hatte er gesehen, wie diese Rolle, welche alle Leidenschaften und Gefühle des weiblichen Herzens zur Anschauung bringt, so vollkommen dargestellt würde. Gesungen hatten wohl schon Andere diese Arien und Recitative eben so gut – aber Keine mit seelenvollerer Stimme, Keine hatte das Hochtragische in dieser Rolle so edel und richtig aufgefaßt, als Bella. Ihre schöne Gestalt, ihre anmuthigen Züge waren es nicht, was Jaromir zu ihr hinzog, sondern das große Künstlertalent, das ihn einen verwandten Genius, eine der seinen verwandte Begeisterung für die Kunst ahnen ließ. – Er mußte sich ihr nähern, aber es war nicht leicht, Zutritt bei Bella zu finden – sie war noch unvermählt, und lebte unter dem Schutze einer alten Verwandten, ziemlich eingezogen, und wußte ihre Schmeichler und Bewunderer immer in gehöriger Entfernung zu halten. Endlich aber, da Jaromir erst unter seinem Dichternamen einen Briefwechsel[53] über ihre Kunst mit ihr angeknüpft hatte, nahm sie seinen Besuch an. Es währte nicht lange und Jaromir galt als Bella's Liebhaber. Eine Zeit lang war dieses Verhältniß eine Quelle reinen Glückes für Beide – aber bald bemerkte er, wie er sich getäuscht hatte, wenn er geglaubt, daß Bella's Dienst am Altare ihrer Kunst der einer Priesterin sei, welche in edler Begeisterung auf demselben Alles opferte. Es war wahr, Bella liebte ihre Kunst, sie weihte sich ihr mit Eifer und that sich selten in einer Rolle genug, denn sie hatte ihren großen Beruf begriffen – aber deshalb war sie nicht frei von jenem trotzigen Eigenwillen, jenen kleinlichen Ränken, mit denen Publikum und Theaterdirection sich so oft zum Besten haben lassen müssen. Der Weihrauch, den die enthusiastischen Berliner ihr streuten, verfehlte seine unheilvolle Wirkung nicht, sie ward eitler, stolzer, zugleich auch leichtfertiger und trotziger, als sie je gewesen war, und endlich überwarf sie sich in hochmüthiger Laune mit der Theaterintendanz, und vertauschte sofort Berlin mit der kleineren Residenz, in welcher sie jetzt lebte. Jaromir, obwohl er sie nicht mehr wirklich verehrte, wie einst, war doch noch zu sehr durch Hundert Bande zärtlicher Gewohnheit an sie gefesselt, als daß ihm Berlin ohne sie nicht bald hätte verödet sein sollen. Er folgte ihr also nach wenig Wochen in ihren neuen Wohnort. Noch eh' er sie selbst[54] gehend von Berlin mit ihr entzweit, und sie waren nicht in friedlicher Stimmung von einander geschieden, ging er mehrmals an dem Hause vorüber, das man ihm als ihre Wohnung bezeichnet hatte. Er hoffte, auf diese Weise sie zufällig zu sehen, einen Wink, einen Ruf von ihr zu erhalten – lange war es aber vergebens, bis endlich eines Abends eine Rose zu seinen Füßen fiel, an welcher ein Zettel befestigt war. Wo anders her als von Bella konnte dieses Zeichen kommen, er drückte es entzückt an seine Lippen und las dann bei'm Schein der nächsten Laterne den Zettel. Es war offenbar hastig und mit zitternder Hand geschrieben – es war nicht Bella's zierliche Handschrift – aber in der Eile war es wohl möglich, daß sie so nachlässig geschrieben hatte. Er las verwundert lächelnd: »Wir dürfen uns einander nicht nähern, aber mein Herz bewahrt für Jaromir unverändert dasselbe Gefühl.«

Er wußte sich diese Worte nicht recht zu deuten – hatte Bella irgend ein andres Verhältniß angeknüpft, daß er sich ihr nicht nähern dürfe? Er mußte darüber Gewißheit haben, und eilte am nächsten Morgen zu ihr. Sie empfing ihn mit fröhlicher Ueberraschung. Er wollte endlich Ausschluß über die Rose – das war vergebens, denn sie war nicht von Bella gekommen – diese vermuthete endlich, eines ihrer Kammermädchen habe sich vielleicht einen schlechten Spaß damit machen wollen – man ließ die[55] Sache auf sich beruhen, und vergaß sie bald in den ersten frohen Tagen zärtlichen Wiedersehens. Aber Wochen waren vergangen, und Jaromir erlag wieder dem Dämon, der ihn unaufhörlich verfolgte, seitdem er in der vornehmen Welt lebte: der Langeweile. Auch Bella war ihm langweilig geworden.

In solcher Stimmung erhielt er Thalheims Billet.

Er las den Namen: Amalie – und die Erinnerungen seiner frühen Jugend wachten wieder auf.

Nicht Amaliens Bild war es, was ihn jetzt am Meisten bewegte, denn er hatte längst aufgehört, sie zu lieben – ihn bewegte das Bild dessen, der er selbst in jenen Tagen gewesen war: glücklich und zufrieden bei allen Sorgen, denn er nannte ein Herz sein, für das er sich mühen, und an dem er dann ausruhen konnte – er hatte stolz und selbstbewußt in's Leben schauen können – er hatte markige Jugend- und Geisteskraft in sich gefühlt, die ganze Welt zu erobern, er hatte sich vertrauend in die Arme des bewegten Lebens geworfen, und fröhlich auf die eigne Kraft gebaut – er hatte wohl Schmerz und Kümmerniß empfunden – aber nie Langeweile – er hatte nie mit seinen Gefühlen gespielt, nie über das eigne Herz sich lustig gemacht, wie er es jetzt so oft that.

Und er streckte jetzt sehnend seine Arme aus nach dieser Vergangenheit, und er hatte sie für ewig verloren.[56]

Amalie, die erste, die einzige reine und allmächtige Liebe seiner Jugend, war eine Sterbende – und sterbend, wie sie, das fühlte er, war sein besseres, unentweihtes Selbst!

Er drückte die Hände vor die Stirn und versank wieder in lange, bange Gedanken.[57]

Quelle:
Louise Otto: Schloß und Fabrik. Band 1–3, Band 1, Leipzig 1846, S. 35-58.
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