Acht und zwanzigster Brief.

[137] K . . . Park, den 4ten August 1828.


Meine theuerste Freundin!


Ich befinde mich hier sehr wohl. Man lebt auf comfortable Weise, die Gesellschaft ist herzlich, la chère excellente und die Freiheit, wie überall hier auf dem Lande, vollkommen. Gestern machte ich auf einem unermüdlichen Pferde meines Wirths einen sehr angenehmen Spazierritt von einigen zwanzig Meilen, denn bei den guten Pferden und Wegen verschwinden hier die Distancen. Ich muß Dir davon erzählen.

Zuerst ritt ich nach der kleinen Stadt St. Asaph, um die dortige Cathedrale zu besehen, die ein großes Fenster von moderner Glasmalerei ziert. Viele Wappen waren sehr gut ausgeführt, und man hatte überhaupt den Fehler vermieden, Gegenstände darstellen zu wollen, die sich für die Glasmalerei nicht passen, welche grelle Farbenmassen und keine verschwimmenden Nuancen verlangt. Um mich in der Gegend besser zu orientiren, bestieg ich den Thurm. Dort bemerkte ich in der Entfernung von ohngefähr 12 Meilen[138] ein kirchenartiges Gebäude auf der Spitze eines hohen Berges, und frug den Küster, was es bedeute? Er erwiederte in holprigem Englisch: »dies sei das Tabernakel des Königs, und wer sieben Jahre lang sich weder waschen, noch die Nägel abschneiden, oder den Bart scheeren wolle, dem sey es erlaubt, dort zu wohnen, und nach dem siebenten Jahre habe er das Recht nach London zu gehen, wo ihn der König ausstatten und zum Gentleman machen müsse.« Dies tolle Mährchen glaubte der Mann im vollen Ernst und schwur auf seine Wahrheit. Voilà ce que c'est que la foi! Als ich mich später nach dem wirklichen Verlauf der Sache erkundigte, erfuhr ich von dem Ursprung der Geschichte bloß, daß das Haus zum Regierungs-Jubiläum des vorigen Königs von der Provinz oder County gebaut worden sey, und seitdem leer stehe, ein Spaßvogel aber einst am andern Orte eine bedeutende Summe in den Zeitungen ausgeboten, wenn Jemand die erwähnten Bedingungen in einer ihm zugehörigen Höhle erfülle. Das gemeine Volk hat nun jene Feuerprobe mit dem »Tabernakel« des guten Königs Georgs III. in Verbindung gesetzt.

Ich bin den Thurm jetzt wieder herabgestiegen, und am Fuße sanfter Hügel hin, kannst Du mich weiter gallopiren sehen, bis ich einen felsigen einzeln stehenden Berg erreiche, auf dem die Ruinen von Denbigh Castle stehen. An den Seiten des Berges klammern sich ringsum die baufälligen Häuser und Hütten des ärmlichen Städtchens an, und mit Mühe gelangt[139] man durch die engen Gassen zum Gipfel. Ein Herr zeigte mir gütig den Weg, welcher sich mir nachher als der Herrn Stadt-Chirurgus dekouvrirte, und mit vieler Artigkeit die Honneurs der Ruine machte. In ihren Mauern haben sich die Honoratioren ganz romantisch ihr Casino, nebst einem sehr zierlichen Blumengärtchen angelegt, von welchem letztern man eine vortreffliche Aussicht genießt. Der übrige Theil des weitläuftigen Schlosses bietet dagegen nur ein verlassenes Labyrinth von Mauern und Grasplätzen dar, wo die Distel wuchert. Alle drei Jahre wird jedoch auf diesem Platz ein großes Nationalfest gehalten – die Versammlung der welschen Barden. Gleich den ehemaligen Minnesängern Deutschlands kommen hier sämmtliche Harfner aus Wales zum Wettkampf zusammen. Der Sieger gewinnt einen goldnen Becher, und ein gemeinschaftliches Chor von hundert Harfen hallt zu seinem Ruhm in den Ruinen wieder. In drei Monaten sollte die Vereinigung statt finden, zu der man auch den Herzog von Sussex erwartete.

Von hier kam ich, einer Bergschlucht folgend, in ein wunderschönes Thal. Tiefe Waldesnacht umfing mich, Felsen streckten wieder, wie alte Bekannte, grüßend ihre bemoosten Häupter aus den Zweigen, der wilde Fluß schäumte, springend und tanzend durch die Waldblumen, und verborgene, heimlich glänzende Wiesen leuchteten mir wieder mit aller Goldfrische des Gebirges entgegen. Wohl einige Stunden irrte ich in diesen Gründen umher, dann erklomm ich die Höhe auf einem mühsamen Fußpfad,[140] um zu erfahren, wo ich eigentlich sey? Ich stand grade über der Bucht und dem weiten stillen Meer, das die sanften Bergabhänge vor mir näher zu rücken schienen als es wirklich war. Nach einiger Anstrengung entdeckte ich, unter den Baumgruppen der Ebene, auch das Schloß von K... Park, und rasch darauf zutrabend, erreichte ich es noch zur rechten Zeit für die Mittags-Toilette.


Den 5ten.


Mit der lieblichen kleinen Fanny, der jüngsten Tochter des Hauses, die noch nicht out ist,1 spazierte ich diesen Morgen, als Alle noch schliefen, im Park und Garten umher, wo sie mir ihre dairy (Milchkeller) und ihre aviary (Etablissement für Geflügel) zeigte.

Ich schrieb Dir schon, daß der Milchkeller hier immer eine der Hauptzierden jedes Parkes ausmacht, und von den Kuhställen ganz entfernt, für sich, in der Form eines eleganten Pavillons besteht, mit Fontaine,[141] Marmorwänden und kostbarem Porzellain geschmückt, dessen große und kleine Schalen mit allen Arten der schönsten Milch und Milchprodukten angefüllt werden. Kein besseres Plätzchen als dieses, um sich nach der Ermüdung des Gehens zu erfrischen. Es versteht sich, daß auch ein Blumengärtchen dabei ist, welches der Engländer gern jedem Gebäude beifügt. Hier wetteiferte das Steinreich in Pracht der Farben mit den Blumen. Der Besitzer hat nämlich einen Antheil an bedeutenden Kupferwerken in Anglesea, und kleine Berge dieses golden, roth, blau und grün schillernden Erzes dienten seltnen Steinpflanzen zum prachtvollen Bett.

Das Aviary, sonst wohl Goldfasanen und ausländischen Vögeln gewidmet, war hier bloß wirthschaftlicher Natur, nur für Hühner, Gänse, Pfauen, Tauben und Enten ausschließlich bestimmt, dennoch aber bot es, durch seine ausserordentliche Reinlichkeit und Zweckmäßigkeit, einen sehr angenehmen Anblick dar. Deutsche Wirthinnen hört und staunt! Zweimal des Tages wurden die mit den schönsten Bewässerungs-Anstalten versehenen Höfe und einzelnen Kammern, Taubenschläge und Brütbehälter – zweimal des Tages wurden sie gescheuert – und die Strohbetten der Hühner waren so zierlich, die Sprossen, auf denen sie horsteten, so glatt und blank, die mit Quadern eingefaßten Enten-Pfützen so klare Bassins, das großkörnige Gerstenfutter und der gekochte Reis, gleich dem Pariser Riz au lait, so appetitlich, daß man sich im Paradiese der Vögel zu[142] befinden glaubte. Auch waren diese alle frei wie dort, keinen die Flügel verschnitten, und ein, immediat an ihre Wohnung stoßendes Wäldchen hoher Bäume, diente ihnen zum anmuthigsten Vergnügungsort. Noch wiegten sich die meisten von ihnen behaglich auf den schwankenden Gipfeln, als wir ankamen; kaum erblickten sie aber die kleine rosige Fanny, wie eine wohlthuende Fee mit Leckerbissen in der Schürze ihnen entgegentretend, als sie in brausender Wolke herabeilten, und sich pickend und frohlockend zu ihren Füßen niederließen. Ich fühlte mich idyllisch gerührt, und trieb zu Haus, um noch vor dem Frühstück mich des Feuers meiner Begeisterung zu entledigen. Nun waren aber noch die Kindergärten zu besehen, und ein Haus der Laune, und Gott weiß was alles – kurz wir kamen zu spät und wurden ausgescholten. Mit englischem Pathos rief Miß Fanny:


We de but row –

And we are steered by fate.


Wir rudern wohl –

Jedoch das Schicksal sitzt am Steuer!


mit andern Worten: der Mensch denkt, Gott lenkt ... und ja wohl, dachte ich, der kleine Philosoph hat nur zu Recht! Es kömmt immer anders, wie man sich's vorstellt, selbst bei so wenig bedeutenden Dingen als die Promenade mit einem hübschen Mädchen, und das Warten der Eltern beim Frühstück. –[143]

Der Nachmittag sah mich wieder zu Roß. Ich suchte mir ungebahnte Wege in den wildesten Berggegenden landeinwärts, mehreremal den reißenden Fluß ohne Brücke passirend, und oft in den schönsten und überraschendsten Aussichten schwelgend. Zuweilen begegnete ich einsam arbeitenden Landmädchen, auffallend hübsch in ihrer originellen Tracht, die den Wuchs hervorhebt und den Busen sehr frei zeigt. Sie sind aber dabei schüchtern wie Rehe und züchtig wie Vestalinnen. Alles zeigt die Bergnatur, mein Pferd auch! unermüdlich, wie eine Maschine aus Stahl und Eisen, galoppirt es über die Steine bergauf und bergab, springt mit ungestörter Ruhe über die Heckenthore, welche alle Augenblicke die Feldwege verschließen, und macht mich weit eher müde, als es selbst Müdigkeit fühlt. Das ist die wahre Art, spazieren zu reiten – viele Meilen weit, in Gegenden, die man nie gesehen, wo man nicht weiß, wo man hinkömmt, und sich den Rückweg ebenfalls von einer andern Seite suchen muß. Heute gerieth ich zuletzt in einen Park, wo hölzerne, mit weißer Oelfarbe angestrichene Statüen, seltsam mit der erhabnen Natur kontrastirten. Kein Mensch ließ sich sehen, nur Hunderte von Kaninchen streckten ihre Köpfe aus den durchlöcherten Bergabhängen hervor, oder jagten eilig über den Weg. Allerlei wunderliche Dinge verriethen den Besitzer als einen Sonderling. Am besten nahm sich ein schwarzer Fichtenwald aus, den rund umher ein Ring von glanzfarbigen Malven einfaßte. Ich kam endlich auf einer kahlen Höhe wieder[144] heraus, wie ich hereingekommen war, durch ein von selbst zuschlagendes Fallthor; überall herrschte dieselbe Einsamkeit, und bald war das verwünschte Schloß weit hinter mir.


Bangor, den 8ten.


Ich sollte einige Wochen in K... Park bleiben, aber Du kennst meine Unstetigkeit – bald drückt mich das Einerley, wenn es auch gut ist – ich empfahl mich daher meinen gefälligen Freunden, besuchte noch einen andern Gutsbesitzer, der mich eingeladen, auf einige Stunden, statt Tagen, sah einen Sonnen-Untergang von den Ruinen Conway's, daß eine Place, und traf wieder in meinem Hauptquartier ein, das ich nun aber für immer verlasse. Ich befinde mich übrigens leider nicht recht wohl, meine Brust scheint von den Fatiguen in der letzten Zeit etwas angegriffen, und schmerzt oft recht empfindlich, mais n'importe.


Craig y Don, den 9ten früh.


Erinnerst Du Dich dieses Namens? es ist die schöne Villa, die ich Dir beschrieben, deren liebenswürdigen Besitzer ich seitdem kennen gelernt, und dessen freundlicher Einladung, bei ihm die letzte Nacht in Wales zuzubringen, ich nicht widerstehen konnte.[145] Wegen meiner Brustschmerzen vermochte ich gestern Abend nur kurze Promenaden, mit dem Sohne des Hauses in den lieblichen Gärten zu machen, und der Versuch, einen nahen höheren Berg zu besteigen, bekam mir fast übel, so daß ich nachher bis zum Essen mich mit den Zeitungen amüsiren mußte. In dem langen Wust war ein guter Einfall, den ich Dir citire. Der Artikel sprach von der Thronrede, worin die Worte vorkommen: »dem Speaker wird befohlen, dem Volke zu seiner allgemeinen Glückseligkeit zu gratuliren«. Dies, meint der Berichterstatter, sey doch zu insolent, sich so offenbar über dieses arme Volk lustig zu machen, obgleich es allerdings gegründet sey, daß die Wahrheit von ihm in dergleichen Dingen nie erwartet werden dürfe, denn, fährt er fort, sollte wirklich je ein König oder Minister so wahnsinnig sein, um die reine Wahrheit bei ähnlicher Gelegenheit sprechen zu wollen, so müsse er ja gleich im Anfang der Rede, statt dem gewöhnlichen exordium »Mylords and Gentlemen sagen My knaves and dupes. (Mes fripons et dupes.«)

Unser Wirth ist ein Mitglied des Yacht-Clubs, und ein leidenschaftlicher Freund des Meeres. Daher hätte auch unser Diné jedem Katholiken in der Fastenzeit genügen müssen, denn es bestand nur aus Fischen, vortrefflich auf mannichfache Arten zubereitet. Eine Austerbank, unter den Fenstern, sandte gleichfalls dazu ihre schlüpfrigen, noch Salzwasser feuchten, Bewohner. Zum Dessert aber lieferten die vor[146] dem Hause weidenden Kühe manche Delikatesse und die an den Salon stoßenden Treibhäuser köstliche Früchte.

Thut es nun nicht wohl, sich zu denken, daß Hunderttausende in England eine solche Existenz, einen so behaglichen und soliden Luxus, in ihren friedlichen Häusern froh genießen, freie Könige im Schooße ihrer Häuslichkeit, die ruhig in der Sicherheit ihres unantastbaren Eigenthums leben, Glückliche, die nimmer durch schwere Sendschreiben unhöflicher Behörden belästigt werden, welche bis in die Wohnstube und Schlafkammer Alles regieren wollen, und dem Staate schon einen bedeutenden Dienst erzeigt zu haben glauben, wenn sie am Ende des Jahrs den armen Regierten viele tausend Thaler unnöthiges Porto verursachen konnten, dabei aber auch nicht zufrieden, über den Regierten zu stehen, sich ihnen zugleich entgegen stellen, Richter und Parthei so viel sie können in einer Person vereinigend; – mit einem Worte, Glückliche, die frei von Eingriffen in ihren Beutel, frei von Unwürdigkeiten für ihre Person, frei von unnützen Plackereien ihre Macht fühlen lassen wollender Büreaukraten, frei von der Aussaugung unersättlicher Staatsblutigel sind, und dabei als unumschränkte Herren in ihrem Eigenthume, nur den Gesetzen zu folgen brauchen, die sie selbst mit geben helfen – wenn man dies bedenkt, sage ich, so muß man gestehen, daß England ein gesegnetes Land ist, wenn auch kein vollkommenes. Man kann es den Engländern daher auch nicht so sehr verdenken, wenn sie,[147] des Contrastes mit manchen andern Ländern inne werdend, Fremden, bei aller scheinbaren Höflichkeit und Verbindlichkeit, doch immer fremd bleiben. Ihr ganz gerechtes Selbstgefühl wirkt so mächtig, daß sie unwillkührlich uns für eine geringere Race ansehen, so wie wir z.B., aller deutschen Herzlichkeit ohngeachtet, doch schwer uns mit einem Sandwich-Insulaner ganz verbrüdern könnten. In einigen Jahrhunderten haben wir vielleicht die Rollen gewechselt, aber leider ist es jetzt noch nicht so weit!2


Holyhead, den 9ten Abends.


Ich habe eine üble Nacht gehabt, heftiges Fieber, schlechtes Wetter und holprige Straßen. Das Letztere, weil ich die große Route verließ, um die berühmten Paris mines auf der Insel Anglesea zu sehen. Diese Insel ist der völlige Gegensatz von Wales, fast völlig flach, kein Baum, nicht einmal Büsche[148] und Hecken, nur Felder an Felder gereiht. Die erwähnten Kupferbergwerke an der Küste sind aber interessant. Ich wurde (vom Obristen H... schon vorher annoncirt) mit Kanonenschüssen empfangen, die wild in den vielfachen Höhlen wiederhallten. Das Erz wird in diesen Höhlen gefördert, die, wo das Tageslicht hereinscheint, in bunten Farben blitzen. Ich sammelte selbst viel schöne Stücke. Die Steine werden nachher klein geschlagen, in Halden, gleich dem Alaunerz, aufgeschüttet und angezündet, worauf die Masse 9 Monat lang brennt. Der Rauch wird zum Theil aufgefangen und setzt sich als Schwefel an. Eine sonderbare Erscheinung ist es für den Layen, daß, während dieses neunmonatlichen Brennens, welches allen Schwefel austreibt, bloß durch die Kraft der Wahlverwandtschaft, die durch das Feuer frei gemacht wird, das reine Kupfer, welches vorher durch den ganzen Stein vertheilt war, sich nachher, in ein Klümpchen zusammengezogen, kompakt in der Mitte zeigt, so daß, wenn man die gebrannten Steine zertrümmert, man in jedem das Kupfer, wie den Kern in einer Nuß, erblickt. Nach dem Brennen wird das Erz, ebenfalls wie Alaun, ausgelaugt oder gewaschen, und das Wasser, welches davon abfließt, in Sümpfen aufgefangen. Das Mehl, was sich in diesen absetzt, enthält 25 – 40 Prozent Kupfer, und das übrig bleibende Wasser ist immer noch so stark geschwängert, daß ein eiserner Schlüssel, den man hineinhält, in wenig Sekunden eine schön rothgelbe Kupferfarbe annimmt. Hierauf[149] wird das Erz mehreremal geschmolzen und zuletzt raffinirt, worauf es in Quadrat-Stücken von 100 Pfund geformt, so verkauft, oder auf Mühlen zu Schiffsplatten verarbeitet wird. Bei dem Gießen, das ein hübsches Schauspiel gewährt, ereignet sich auch ein sonderbarer Umstand. Es fließt nämlich die ganze Masse in eine Sandform, welche in 8 – 10 verschiedene Compartiments, gleich einem für mehrere Thiere bestimmten Eßtroge, abgetheilt ist. Die Separationen erreichen nicht ganz die Höhe der Außenwände, so daß das glühende Erz, welches nur auf dem einen Ende hereinströmt, sobald der Pfropf herausgeschlagen ist, das erste Compartiment füllen muß, ehe es in das zweite übertritt u.s.w. Das Sonderbare ist nun, daß alles wirkliche reine Kupfer, was im Ofen enthalten ist, in diesem ersten Compartiment verbleibt, die andern Fächer aber allein mit Schlacke angefüllt werden, welche nur zum Straßenbau gebraucht werden kann. Der Grund des Phänomens ist folgender: Das Erz hat Eisen bei sich, welches sich im magnetischen Zustande befindet. Dieses hält das Kupfer zusammen, und zwingt es zuerst auszufließen. Da man nun aus Erfahrung ziemlich genau weiß, wie viel reines Kupfer die in einem Ofen geschobne Masse enthalten müsse, so ist die Größe des ersten Compartiments darauf eingerichtet, es gerade fassen zu können. Der Inspektor, ein gescheuter Mann, der aber halb welsch, halb englisch sprach, sagte mir, daß er diese Gußart erst erfunden, welche viele Mühe erspare, weshalb er,[150] auch ein Patent darauf entnommen. Der Vortheil, der daraus entsteht, ist allerdings einleuchtend, da sich, ohne die erwähnten Abtheilungen, das Kupfer, wenn gleich ebenfalls zuerst hinausfließend, doch nachher über die ganze Masse verbreiten, und schwer ablösen muß. Die Russen, welche im Fache der Industrie jetzt nichts versäumen, hatten bereits einen Reisenden hier, um sich das Verfahren ganz zu eigen zu machen, welches auch nicht im Geringsten verheimlicht wurde, wie denn überhaupt die meisten Fabrikherren hierin sehr liberal geworden sind.

Während ich noch am Schmelzofen stand, erschien ein Offizier, um mich zum Bruder des Obristen H., der ebenfalls Obrist ist, und ein in der Nähe stationirtes Husarenregiment commandirt, für diesen Mittag und die Nacht einzuladen. Ich befand mich aber zu ermüdet und unwohl, das Wagniß eines Offizier-Diners in England zu bestehen, wo, in der Provinz wenigstens, der Wein noch mit altenglischem Maaße zugetheilt wird; auch wünschte ich noch diese Nacht mit dem Packetboot nach Irland zu segeln, und lehnte daher die Invitation dankbarlich ab, den Weg nach Holyhead einschlagend, wo ich um 10 Uhr ankam. Mein gewöhnliches Seeunglück erlaubte indeß die Weiterreise nicht, da es so heftig stürmte, daß das Packetboot ohne Reisende abging. Ich bin jedoch nicht unwillig darüber, mich einen Tag hier, in einem ganz comfortablen Gasthofe, ausruhen zu können.


[151] Den 10ten.


So krank und matt ich bin, hat mir doch die Exkursion nach dem neu erbauten, 4 Meilen entfernten Leuchtthurme, ungemein viel Vergnügen gewährt. Obgleich die Oberfläche der Insel Anglesea sehr flach erscheint, so erhebt sie sich doch, am Ufer der irländischen See, in höchst malerischen, abgerissenen Felsenwänden, bedeutend hoch aus den stets brandenden Fluthen. Auf einem solchen, vom Ufer etwas entfernten, einzeln hervorragenden Felsen, steht der Leuchtthurm. Nicht nur senkrecht, sondern unter sich zurückweichend, fallen diese, über alle Beschreibung wilden Gestade, mehrere hundert Fuß tief nach dem Meere hinab, und sehen aus, als seyen sie durch Pulver gesprengt, nicht von der Natur so gebildet. Auf einem dichten Teppich von kurzem gelben Ginster und karmoisinrother Haide, gelangt man bis an den Rand des Abhangs, dann steigt man auf einer roh in den Stein gehauenen Treppe, von 4 bis 500 Stufen, bis zu einem in Stricken hängenden Stege hinab, auf dem man sich, an die Seitennetze anhaltend, über den Abgrund, der beide Felsen trennt, so zu sagen, hinüber schaukelt. Tausende von Seemöven, die hier zu brüten pflegen, umschwebten uns auf allen Seiten, unaufhörlich ihre melancholische Klage durch den Sturm rufend. Die Jungen waren erst kürzlich flügge geworden, und die Alten benutzten wahrscheinlich das ungestüme Wetter zu ihrer Einübung. Man konnte nichts Graziöseres sehen als[152] diese Fluglektionen. Leicht erkannte man die Jüngeren an ihrer grauen Farbe und ihrem noch ungewissen Schwanken, während die Alten, fast ohne einen Flügel zu rühren, minutenlang, bloß vom Sturm gehalten, wie in der Luft versteinert hingen. Die jungen Vögel ruhten auch öfters in den Felsenspalten aus, wurden aber von ihren strengen Aeltern immer schnell wieder zu neuer Arbeit genöthigt.

Der Leuchtthurm ist völlig dem bereits erwähnten in Flamboroughhead an der englischen Ostküste gleich, nur ohne rothe revolving lights. Auch hier war die Nettigkeit der Oehlkeller und die außerordentliche Reinlichkeit der spiegelblanken Lampen bewunderungswerth. Außerdem bemerkte ich eine ingeniöse Art Sturmfenster, die man ohne Mühe und Gefahr des Zerbrechens, auch beim heftigsten Winde, öffnen kann, und eine vertikale Steintreppe, gleich einer gezackten Säge, die viel Raum erspart. Beide Gegenstände lassen sich jedoch ohne Zeichnung nicht ganz anschaulich machen.


Dublin, den 11ten.


Eine widerwärtigere Seefahrt kann man nicht bestehen! Zehn Stunden ward ich, zum Sterben krank, umher geworfen. Die Hitze, der ekelhafte Geruch des Dampfkessels, die Krankheit aller Uebrigen, es war eine affreuse Nacht, ein wahres Carl von Carlsbergsches[153] Bild menschlichen Elends. Bei einer längeren Seereise aguerrirt man sich zuletzt, und vielfacher Genuß wiegt dann die Entbehrungen auf, aber die kurzen Ueberfahrten, welche nur die Schattenseiten zeigen, sind meine wahre Antipathie. Gottlob es ist vorüber, und ich fühle wieder festen Boden unter mir, obgleich es mir noch manchmal scheint, als schwanke Irland ein wenig.


Abends.


Dieses Königreich hat mehr Aehnlichkeit mit Deutschland als mit England. Jene fast überraffinirte Industrie und Kultur in allen Dingen verschwindet hier, leider aber mit ihr auch die englische Reinlichkeit. Häuser und Straßen haben ein beschmutztes Ansehn, obgleich Dublin durch eine Menge prächtiger Palläste und breiter allignirter Straßen geschmückt ist. Das Volk geht zerlumpt; den Leuten von gebildeterem Stande, denen man begegnet, fehlt auch die englische Eleganz, wogegen die Menge glänzender Uniformen, die man in London nie in den Straßen sieht, noch mehr nach dem Continent versetzen. Auch die Umgegend der Stadt hat nicht mehr die gewohnte Frische, der Boden ist vernachlässigter, Gras und Bäume magrer. Die großen Züge der Landschaft aber, die Bay, die fernen Berge von Wicklow, das Vorgebirge von Howth, die amphitheatralischen Häusermassen, die Quais, der Hafen sind schön. So ist wenigstens der[154] erste Eindruck. Uebrigens befinde ich mich, im besten Gasthofe der Hauptstadt, weniger comfortable, als in dem kleinen Städtchen Bangor. Bei aller Größe scheint das Haus still und verlassen, während ich mich erinnere, dort, nur während der Zeit meines Essens, 15 Wagen ankommen gesehen zu haben, die alle abgewiesen werden mußten. Der Zufluß der Fremden ist auf den Hauptstraßen in England so groß, daß Kellner in den Gasthöfen nicht für Geld gemiethet werden, sondern selbst für ihren Platz dem Wirth bis zu 300 Pfd. Sterl. jährlich zahlen müssen. Dennoch ersetzen ihnen die Trinkgelder diese bedeutende Auslage reichlich. In Irland tritt dagegen die Continentalsitte wieder ein. Sobald ich mich ein wenig erfrischt hatte, machte ich eine Promenade durch die Stadt, während der ich bei zwei ziemlich geschmacklosen Monumenten vorbei kam. Das eine stellt Wilhelm von Oranien im römischen Costume zu Pferde vor; mißgestaltet ist Roß und Reiter. Das Pferd hat ein Gebiß im Mund und Hauptgestell am Kopf, aber keine Andeutung der Zügel daran, obgleich die Hand des Königs gerade so ausgestreckt ist, als ob sie sie bahnenmäßig hielte. Soll dies bedeuten, daß Wilhelm keine Zügel brauchte, um John Bull zu reiten? Das andere Monument ist eine colossale Statue Nelsons, auf einer hohen Säule stehend, und in moderne Uniform gekleidet. Hinter ihm hängt ein Tau, das einem Schweife ähnlicher sieht; dabei ist die Stellung ohne Adel, und die Figur zu hoch, um deutlich zu seyn. Später kam[155] ich an ein großes rundes Gebäude, wo das Volk sich drängte, und Wache vor dem Eingang stand. Auf meine Nachfrage erfuhr ich, daß hier die jährliche Ausstellung von Blumen und Früchten statt finde. Man trug die ersteren zum Theil schon hinweg, als ich eintrat, demohngeachtet sah ich noch viele ausgezeichnet schöne Exemplare. In der Mitte dieser Blumen, die eine Art Tempel bildeten, befand sich ein durch Barrieren verschlossener Raum für die Früchte, welche zwölf daselbst sitzende Richter mit Wohlbehagen und ernster Amtsmiene schmatzend verzehrten, um zu entscheiden, welcher von ihnen die ausgesetzten Preise zukämen. Sie mußten lange unschlüssig gewesen seyn, denn Melonen, Birnen und Aepfelschalen, Ueberbleibsel von Ananas, Pfirsich-, Pflaumen- und Aprikosenkerne bildeten Berge auf den danebenstehenden Tischen, und obgleich die Blumen von den Eigenthümern nach und nach alle fortgeschafft wurden, so schien doch keine der Früchte ihren Ausgang aus dem Pomonatempel wieder zu finden.


Den 12ten.


Da ich nichts anderes zu thun wußte (denn alle notablen Bewohner der Stadt sind auf dem Lande) so besah ich eine Menge show places. Zuerst das Schloß, wo der Vicekönig wenn er hier ist, residirt, und dessen ärmliche Staatszimmer, mit groben Bretterdielen, nicht viel Anziehendes darbieten. Schöner[156] ist eine moderne gothische Capelle, deren Aeußeres hohes Alterthum täuschend nachahmt; sie ist inwendig mit herrlichen Glasgemälden aus Italien, im 15ten Seculum gemalt, geschmückt und reich mit Holzschnitzwerk verziert, welches dem alten nichts nachgiebt. Die ganze Kirche wird mit conduits de chaleur geheizt und ein eben so geheizter, mit Teppichen belegter Gang, verbindet sie mit der Wohnung des Lord-Lieutenants.

In den weitläuftigen und schönen Universitätsgebäuden diente mir ein Student als Cicerone. Diese müssen, in dem Bereich der Universität, über ihre gewöhnliche Kleidung, einen schwarzen Mantel, und eine hohe wunderliche Mütze mit Quasseln von ¾ Ellen Länge tragen, was ihnen ein ziemlich groteskes Ansehen gibt. Auf diese Kleidung wird strenger gehalten, als weiland auf Zopf und Puder von den sächsischen Stabsoffizieren.

Der junge Mann führte mich in das Museum, produzirte mir das Modell des Brennspiegels, mit dem Archimedes die römische Flotte verbrannte! die Harfe Ossians3 – einen ausgestopften indischen Chieftain, mit Tomahac und Wurfspieß, und einige reelle Säulenstücke des Giants Causeway, welche in der That Menschenhände nicht accurater formen könnten, und[157] die klingen, wie englisches Glas. Je vous fais grace du reste.

Im großen Saale, wo die Examina gehalten werden, (der Student kündigte mir diese Bestimmung mit einem leisen Schauder an) steht eine spanische Orgel, die auf der großen Armada erbeutet wurde. Interessanter sind die Portraits von Swift und Burke. Beide Physiognomien entsprechen den bekannten Eigenschaften dieser Männer. Der eine zeigt einen eben so feinen und schalkhaften, als gediegnen Ausdruck; der andere geistreiche und gewaltige, fast grobe, aber doch wohlwollende und ehrliche Züge, den donnernden Redner verkündend, der aufrichtig und ohne Schonung Andrer, für seine Meinung focht, aber nimmer bloß das eigne Interesse mit künstlichem Enthusiasmus übertünchte.

Nachdem ich den Justizpalast, die Douane etc., nebst andern prachtvollen Palästen besehen, und mich nun zu Haus begeben wollte, lockte mich noch die Ankündigung eines Peristrephic Panorama der Schlacht von Navarin. Dies ist ein sehr unterhaltendes Schauspiel, und giebt eine so deutliche Idee von dem »ungelegenen Ereignis« (untoward event) daß man sich fast trösten kann, nicht dabei gewesen zu seyn. Man tritt in ein kleines Theater, und sieht bald einen Vorhang aufgehen, hinter dem sich die Gemälde befinden, welche in einem großen Ganzen die Folge der einzelnen Begebenheiten der Schlacht vorstellen. Die Leinewand hängt nicht platt herab, sondern ist im[158] zurückweichenden Halbzirkel aufgespannt, und wird langsam über Rollen gezogen, so daß sich fast unmerklich die Bilder nach und nach verändern, und man ohne Zwischenraum von Scene zu Scene übergeht, während Jemand die dargestellten Gegenstände laut erklärt, und ferner Kanonendonner, militairische Musik und Schlachtgetöse die Täuschung noch vermehren. Durch panoramaartige Malerei, und durch leises Schwanken desjenigen Theiles des Gemäldes, der die Wellen und Schiffe darstellt, wurde oft die Nachahmung fast der Wirklichkeit gleich.

Die erste Scene zeigt die Bay von Navarin, mit der ganzen türkischen Flotte in Schlachtordnung. Am entgegengesetzten Ende der Bay sieht man, auf hohem Felsen, Alt-Navarin und seine Festung, seitwärts unter Dattelbäumen das Dorf Pylos, und im Vorgrund die Stadt Navarin, nebst Ibrahims Lager, wo Gruppen schöner Pferde und lieblicher, gefangener, griechischer Mädchen, welchen die Soldaten liebkosen, die Augen auf sich ziehen. In weiter Ferne, am Saum des Horizonts erscheint, wie in Duft gehüllt, die Flotte der Alliirten. Indem nun dieses Bild langsam verschwindet, wogt nur noch das offne Meer, dann tritt der Eingang der Bay von Navarin allmählich hervor. Man entdeckt Bewaffnete auf den Felsen, und erblickt endlich die alliirte Flotte, wie sie die Einfahrt forcirt. Durch optischen Betrug erscheint alles in natürlicher Größe, und der Zuschauer ist so gestellt, als befinde er selbst sich an der Türken Stelle in der Bay, und sähe jetzt das Admiralschiff[159] Asia mit vollen Segeln auf sich zueilen. Man bemerkt Codrington auf dem Verdeck, im Gespräch mit dem Capitaine, die andern Schiffe folgen in sich ausbreitender Linie und mit schwellenden Segeln, wie zur Attaque bereit – ein schöner Anblick! Nun kommen auf einander folgend die einzelnen Engagements verschiedener Schiffe, die Explosion eines Feuerschiffs, und das in Grundbohren einiger türkischen Fregatten, endlich der Kampf der Asia mit dem ägyptischen Admiralschiff auf der einen, und dem türkischen auf der andern Seite, welche, wie bekannt, beide nach hartnäckiger Vertheidigung und mehrstündigem Feuer sanken.

Der Schlacht folgten einige Ansichten von Constantinopel, die eine sehr anschauliche Idee von dem asiatischen Treiben gaben.

Abends besuchte ich das Theater, ein recht hübsches Haus mit einem etwas weniger rohen Publikum als in London. Die Schauspieler waren nicht übel, jedoch erhob sich keiner über die Mittelmäßigkeit. Viele Uniformen, mit Damen untermischt, füllten fast die ganze untere Logenreihe, was sich recht elegant ausnahm. Die höhere Gesellschaft besucht aber, wie ich höre, auch hier das Theater nur selten.


[160] Den 13ten.


Da ich die Stadt nun hinlänglich gesehen, begann ich heute meine Spazierritte in der Umgegend, die sich weit schöner entfaltet, als ich bei meiner Ankunft, grade von der unvortheilhaftesten Seite, voraussetzen durfte. Ein Weg mit reizenden Aussichten, erstens auf den Golf, den ein Molo von 3 Meilen Länge durchschneidet, und den, gleich zwei Säulen, die Leuchtthürme von Dublin und Howth schließen; dann auf die bewaldeten Berge von Wicklow, deren einige wie Zuckerhüte sich hoch über die andern erheben, und zuletzt durch eine Allee uralter Rüstern, längs des Canales führend, brachte mich in den Phönixpark, der Prater Dublins, welcher dem Wiener nicht nachsteht weder an Umfang noch schönen Rasenflächen zum Reiten, langen Alleen zum Fahren, und schattigen Spaziergängen. Dem Herzog von Wellington ist hier ein großer, aber schlecht proportionirter, Obelisk errichtet, und der Lord Lieutenant hat, auch im Bezirk des Parks, einen hübschen, von Gärten eingeschlossenen Sommerpalast. Ich fand im Ganzen den Park ziemlich leer, dagegen die Straßen der Stadt, durch welche ich meinen Rückzug nahm, desto belebter von Handel und Wandel. Der Schmutz, die Armuth und die zerlumpte Tracht des gemeinen Mannes übersteigt oft allen Glauben. Dennoch scheinen die Leute stets guter Dinge, und zeigten zuweilen auf offner Straße Anwandlungen von Lustigkeit, die an Verrücktheit gränzen. Gewöhnlich ist der[161] Whisky daran Schuld; so sah ich einen halbnackten Jüngling den Nationaltanz mit der größten Anstrengung auf dem Markte so lange tanzen, bis er gänzlich erschöpft, gleich einem muhamedanischen Derwisch, unter des Volkes Jubel bewußtlos hinfiel. Eine Menge Betteljungen füllen überdies die Straßen, welche, wie Fliegen um einen hersummend, unaufhörlich ihre Dienste anbieten. Ohngeachtet ihrer schreienden Armuth kann man sich doch ganz auf ihre Ehrlichkeit verlassen, und so gedrückt sie von Elend erscheinen, mager und verhungert, so merkt man doch ihren offenen, freundlichen Gesichtern auch keine Melancholie an. Es sind die wohlgezogensten und genügsamsten Straßenjungen von der Welt. Ein solcher Knabe rennt, wie ein regulärer Läufer, viele Stunden neben dem Pferde her, hält es, wenn man absteigt, besorgt jede Commission, und ist mit ein paar Groschen, die man ihm gibt, stets nicht nur zufrieden, sondern noch voller Dankbarkeit, die er mit irländischen Hyperbeln ausdrückt. Geduldiger als seine Nachbarn, durch lange Sclaverei aber etwas erniedrigt, erscheint überhaupt der Irländer. Ich war unter andern Zeuge, daß ein junger Mensch, welcher einen Comödienzettel falsch angeklebt hatte, von dem dazukommenden Schauspieldirektor auf offner Straße geohrfeigt und mißhandelt wurde, ohne daß er sich im Geringsten widersetzte. Jeder Engländer würde sogleich Repressalien gebraucht haben.

Den Abend brachte ich in dem Familienkreise eines alten Bekannten zu, eines Bruders des Lord Lieutenants,[162] der eben auf einige Tage in die Stadt gekommen war. Wir erinnerten uns alter Zeiten, wo ich ihn viel in London gesehen. Er hat ein besonderes Talent, den seligen Kemble nachzuahmen, dem er auch ähnlich sieht, und ich glaube wieder Coriolan und Zenga zu hören.


Den 14ten.


Ein andrer Freund, von noch älterem Datum, besuchte mich diesen Morgen, um mir sein Landhaus zum Aufenthalt anzubieten, Mr. W., dem ich einst in Wien einen Dienst zu erweisen Gelegenheit gehabt. Er hatte mich kaum verlassen, als man mir meldete, Lady B., eine irländische Peereß, und eine der hübschesten Frauen dieses Landes, deren Gesellschaft ich in der letzten Season in der Metropolis sehr cultivirt hatte, halte in ihrem Wagen unten am Hause und wünsche mich zu sprechen. Da ich noch im größten Negligé war, sagte ich dem Kellner, einem wahren Jocrisse, dessen irish blunders mich täglich amüsiren, ich sey nicht angezogen, wie er sähe, würde aber gleich erscheinen. Diesen Zustand meiner Toilette richtete er zwar aus, setzte aber de son chef hinzu, Mylady möge doch lieber heraufkommen. Denke Dir also meine Verwunderung, als er, zurückkehrend, mir meldete, Lady B. habe sehr gelacht und ließe mir sagen: warten wolle sie recht gern, aber Herren-Morgenbesuche auf ihrer Stube zu machen, sey in Irland nicht gebräuchlich. In dieser Antwort zeigte sich ganz der[163] freundlich heitere, niemals kleinlich-difficile Charakter der Irländerinnen, den ich schon früher lieb gewonnen hatte. Eine prude Engländerin würde entrüstet fortgefahren seyn, und vielleicht die Reputation eines jungen Menschen über ein solches qui pro quo ruinirt haben – denn in der englischen Gesellschaft stößt man nicht nur mit Dingen an, die anderwärts ganz das Gegentheil bewirken, sondern das »man sagt« ist im Munde einer einflußreichen Person dort ein zweischneidiges Schwert. He has a bad character4 ist genug, um einem Fremden hundert Thüren zu verschließen. Durch eigne Beobachtung läßt sich der Engländer weit weniger leiten als man denkt. Immer schließt er sich an eine Parthei an, mit deren Augen er sieht.

Die Villa meines Freundes, den ich Nachmittags besuchte, um bei ihm zu speisen, bot das Ziel für eine sehr anmuthige Promenade. Sie fing mit dem Phönixpark an, und folgte dann dem Laufe des Liffey, desselben Flusses, der durch Dublin fließt, wo er mit seinen schönen Quai's, steinernen und eisernen Brücken, so viel zu der Verschönerung der Stadt beiträgt. Hier dagegen erscheint er ländlich und romantisch, mit den fußbreiten Blättern der Tussilago behangen, von sanften Hügeln und frischem Laubholz[164] eingefaßt. Einen bettelnden Invaliden, den ich antraf, frug ich, wie weit ich noch nach W... habe, und ob der Weg gleich schön bliebe? O! rief er mit irländischer Vaterlandsliebe: Langes Leben Euer Ehren! Nur getrost vorwärts, nichts Schönres habt Ihr noch in dieser Welt gesehen!

Der Eingang zu W... Park ist auch, ohngefähr eine Viertelstunde Wegs weit, wirklich das Reizendste, was man in dieser Art sehen kann. Eine an sich sehr schöne Natur ist durch die Kunst zum höchsten Grade ihrer Empfänglichkeit benutzt, und ohne ihren freien Charakter zu verwischen, eine Mannichfaltigkeit und Reichthum der Vegetation hervorgebracht, die das Auge bezaubern. Buntes Gebüsch und wilde Blumen, der saftigste Rasen und Riesenbäume mit Schlingpflanzen bedeckt, füllen das enge Felsenthal, durch welches sich der Weg mit dem begleitenden Waldbach hinzieht. Fortwährend kleine Wasserfälle bildend, strömt dieser, bald sich unter dem Dickicht verbergend, bald wie geschmolznes Silber im grünen Becken ruhend, oder unter Felsenbogen hinrauschend, die die Natur als Triumphpforten für den wohlthätigen Flußgott des Thales aufgerichtet zu haben scheint. Sobald man indeß den tiefen Grund verläßt, schwindet der Zauber plötzlich. Der Rest entspricht den zu hoch gespannten Erwartungen keineswegs. Arides Gras, krüppliche Bäume, ein unbewegtes, schlammiges Wasser umgeben ein kleines gothisches Schloß, das einer schlechten Theaterdecoration gleicht. In demselben findet[165] man jedoch wieder einiges Interessante, unter andern Gemälde von Werth, und den herzlichsten und besten Wirth, den man sich wünschen kann. Eines originellen pavillon rustique muß ich noch erwähnen, der an einer passenden Stelle im pleasure ground erbaut war. Er ist sechseckig, die drei hintern Seiten dicht und mit rohen Holzästen sehr zierlich in Rosetten aller Formen, ausgelegt; die an dern drei Seiten in durchbrochenen déssins à jour, zwei mit Fenstern, und in der letzten die Thüre; der Boden besteht aus Mosaik von kleinen Flußsteinen! die Decke aus Muscheln, und das Dach ist mit Weizenstroh gedeckt, an dem man die vollen Aehren gelassen hat.


Den 15ten.


Ohngeachtet meine Brust mich fortwährend schmerzt und der Doctor zuweilen bedenkliche Gesichter macht, fahre ich doch in meinen Ausflügen fort, die mir allein wahres Vergnügen gewähren. In der ungeschminkten Natur wird mir wohler als unter den maskirten Menschen.

Von den ohngefähr 4 – 5 Meilen entfernten Bergen hatte ich mir schon lange den einen sehnsüchtig ausersehen, welcher auf seiner Spitze drei einzeln stehende Felsen zeigt, und deßhalb auch, »the three rocks« genannt wird. Die Aussicht von dort mußte sehr schön seyn – ich machte mich also früher wie gewöhnlich auf, um zur rechten Zeit auf dem Gipfel anzulangen. Oefters frug ich in den Dörfern, durch[166] die ich kam, nach dem besten Weg, konnte aber nie genaue Antworten erlangen. Endlich versicherte man mich in einem Hause, das am Fuße des Berges lag, man könne nur hinauf gehen, aber nicht reiten. Dies Erstere wäre bei dem Zustand meiner Brust nicht auszuführen gewesen, da ich aber die Unmöglichkeiten der Leute schon hinlänglich kennen gelernt habe, so folgte ich der angezeigten Richtung ganz getrost zu Pferde, um so mehr, da ich mich auf meine kleine gedungene Stute sehr gut verlassen konnte, und die irländischen Pferde, wie Katzen, über Mauern und Felsen klettern. Eine Zeit lang verfolgte ich einen ziemlich gebahnten Fußsteig, und als dieser aufhörte, das trockne Bette eines Bergwassers, welches mich auch, nach ohngefähr ¾ Stunden, ohne besondere Beschwerde glücklich hinauf geleitete. Ich befand mich nun auf einem großen kahlen Plateau, und sah 1000 Schritt vor mir die drei Felsen, gleich Hexensteinen, ihre Kuppen hervorrecken. Das Ganze schien aber nichts als ein weiter ungangbarer Sumpf. Ich probirte sehr vorsichtig, und fand bald, daß 8 – 10 Zoll tief unter dem Moder überall eine kiesige Unterlage ruhte. Dies hielt auch aus; nach einiger Zeit erreichte ich ganz festen Boden, und stand auf dem höchsten Punkte. Da lag die ersehnte Aussicht endlich vor mir. – Irland, wie eine Landkarte, Dublin, wie ein rauchender Kalkofen in der grünenden Ebne (denn der Steinkohlendampf ließ auch nicht ein Gebäude erkennen) die Bay aber mit ihren Leuchtthürmen, dem kühn sich[167] zeichnenden Vorgebirge Howth, und auf der andern Seite die bis an den Horizont ausgedehnten Berge von Wichlow, glänzten alle im Sonnenschein, so daß ich mich für die kleine Fatigue mehr als belohnt fand. Aber die Scene wurde noch belebter durch eine reizende junge Frau, die ich in dieser Wüste, bei dem bescheidnen Geschäft des Streumachens, entdeckte. Die natürliche Grazie der irländischen Bauerweiber, die oft wahre Schönheiten sind, ist eben so überraschend als ihre Tracht, oder vielmehr ihr Mangel an Tracht, denn ohngeachtet es recht kalt auf diesen Bergen war, bestand doch die ganze Kleidung der jungen Frau vor mir, aus nichts als einem weiten, sehr groben Strohhut, und, wörtlich, zwei oder drei Lappen aus dem gröbsten härnen Zeuge, die ein Strick unter der Brust zusammenhielt, und unter welchen sie die schönsten weißen Glieder mehr als zur Hälfte zur Schau trug. Ihre Unterhaltung war, wie ich schon bei andern bemerkt, heiter, neckend und witzig sogar, dabei ganz unbefangen und gewissermaßen frei, doch würde man sich sehr irren, wenn man sie deshalb auch für leichtfertig hielte. Diese Klasse ist im Gegentheil fast allgemein sehr sittlich in Irland, und besonders auf eine auffallende Weise uninteressirt, so daß, wenn Einzelne ja einmal vom Pfade der Tugend weichen, es gewiß höchst selten aus diesem, bei solchen Dingen unnatürlichen und niedrigen Beweggrunde des Eigennutzes geschieht.[168]

Nachdem ich den Berg, nun mein Pferd führend, so gut es gehen wollte, auf einer andern Seite wieder hinabgeklettert war, und eine große Landstraße erreicht, kam ich bei einem offenstehenden Parkthore vorbei, (denn auch hierin gleicht Irland dem Continent, wo ein Besitzer solcher Anlagen, vom König bis zum Landedelmann, am Genusse des Publikums seine eigne Freude vermehrt) und ritt hinein. Ich gab aber die Untersuchung bald auf, als ich zwei riesenmäßige Capuciner mit Kreuz und Kutte, aus angemalten Brettern geschnitten, am Scheidewege stehen sah, deren jeder ein Buch von sich abhielt, auf dem mit großen Buchstaben geschrieben war: Weg zur Fasanerie, Weg zur Abtei. Dieser schlechte Geschmack ist hier sonst ziemlich selten.

In der Stadt begegnete ich einem Londner Dandy, der mich anrief, denn ich erkannte ihn nicht, herzlich darüber lachte, uns in such a horrid place mit einander zu sehen, eine Weile über die Dubliner Gesellschaft fortsatyrisirte, und am Ende damit schloß, mir zu eröffnen, daß er, durch den Credit seiner Familie, eben eine Directorstelle hier bekommen, die ihm zwar über 2000 L. St. einbringe, auch nichts zu thun gebe, aber doch zwinge, pro forma eine Zeit lang des Jahres diesen chokanten Aufenthalt zu wählen. So, und noch viel reichlicher, wird mit Sinecuren ohne Zahl überall in England für die jüngeren Söhne der Aristokratie gesorgt – ich glaube aber, der Krug wird auch hier nicht ewig zu[169] Wasser gehen, ohne zu brechen, obgleich man gestehen muß, daß diese Fehler in der englischen Constitution, gegen die Willkür anderer Staaten gehalten, immer nur Wolken am reinen Himmel bleiben, versteht sich, Irland ganz ausgenommen, das fast in jeder Hinsicht stiefmütterlich behandelt zu werden scheint, und doch fast den stärksten Beitrag zur Größe und der Macht des englischen Adels geben muß, ohne dafür einen einzigen Vortheil, wie England deren so viele, zurück zu erhalten.


Den 18ten.


Deine Briefe bleiben immer noch so trübe, gute Julie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Du siehst also, daß weniger das, was wirklich geschieht, als Deine älter werdende, daher sorgenvollere und hypochondrischere Ansicht Schuld an diesem Trübsinne sind. Aber freilich; dieses ist gerade mehr als alles, ein unabwendbares Uebel! Man ist nicht mehr derselbe, der man war, und es bleibt der ewige Irrthum in der Welt: daß man glaubt, man könne noch sich durch Kraftanstrengung helfen, wo die Kraft nicht mehr da ist – eben so wenig wie wieder[170] jung werden und aussehen! Auch ich fange schon an dies zu spüren, doch nur da, wo mir die Ketten der Welt angelegt sind – bin ich mit meinem Gott und der Natur allein, so kann selbst der dunkelste Horizont des Lebens meine innere Sonne noch nicht verfinstern.

Ich frühstückte heute auf dem Lande bei einer sehr gefeierten jungen Dame, mit der schon erwähnten Lady B. Der Hausherr gab Migraine vor, und ich mußte daher allein mit den Damen einen langen Spaziergang in den Anlagen machen. Als wir jedoch an das Gartenthor kamen, welches uns in die schönste Wildparthie führen sollte, war es verschlossen, und kein Schlüssel zu bekommen, da nach Versicherung des alten Gärtners, die Kammerjungfer der gnädigen Frau hereingegangen und ihn abgezogen habe. Ein Diener mußte über die Mauer springen, um die Schuldige aufzusuchen, kam aber unverrichteter Sache zurück. Nun ließ ich eine Leiter bringen, und vermochte die lachenden Weiber hinüber zu klettern, wobei sie sich sehr ungeschickt anstellten, aber doch allerliebst ausnahmen. Nach einer Viertelstunde begegneten wir dem unglücklichen Kammermädchen, und zwar, da sie sich sicher glaubte – nicht allein, man kann sich denken, in wessen Gesellschaft. – Eine stumme häusliche Scene erfolgte, und zu gutmüthig, um zu lachen, that es mir von Herzen leid, durch meine Leiter solches Unglück angerichtet zu haben. Ich refüsirte das Diné, und eilte in die Stadt zurück, um Lady M... zu[171] besuchen, an welche ich einen Brief mitgebracht und die mir schon früher eine artige Einladung gesendet, die ich jedoch nicht annehmen konnte. Ich war sehr begierig auf diese Bekanntschaft, da ich sie als Schriftstellerin sehr hoch stelle, fand sie jedoch ganz anders, als ich sie mir gedacht. Es ist eine kleine frivole, aufgeweckte Frau, die ohngefähr zwischen 30 und 40 Jahre alt zu seyn scheint, nicht hübsch, nicht häßlich, jedoch nicht ohne Prätention für das Erste, und mit wirklich schönen, ausdrucksvollen Augen. Sie weiß nichts von fausse honte und Verlegenheit, ihre Manieren sind aber nicht die feinsten, und affectiren eine Aisance und Leichtigkeit der großen Welt, der doch die Ruhe und Natürlichkeit fehlt. Sie hat die ächt englische Schwäche: mit vornehmen Bekanntschaften zu prahlen und für sehr recherchiert scheinen zu wollen – in zu hohem Grade für eine Frau von so ausgezeichnetem Geist, und wird durchaus nicht gewahr, wie sehr sie sich dadurch selbst unterschätzt. Uebrigens ist sie nicht schwer kennen zu lernen, da sie sich, mit mehr Lebhaftigkeit als gutem Geschmack, von Anfang an ganz offen hingibt, und namentlich ihre Liberalität wie ihren Unglauben, letzterer etwas von der veralteten Schule des Helvetius und Condillac, bei jeder Gelegenheit auskramt. In ihren Schriften ist sie weit behutsamer und würdiger als in ihrer Unterhaltung, die Satyre der letzteren ist aber eben so beißend und gewandt als ihre Feder, und auch eben so wenig gewissenhaft, was die strenge Wahrheit betrifft. Du[172] kannst Dir denken, daß mit allen diesen Elementen zwei Stunden sehr angenehm für mich verflossen. Ich hatte Enthusiasmus genug, um ihr einiges Angenehme à propos sagen zu können, und sie behandelte mich mit vieler Zuvorkommenheit, einmal, weil ich einen vornehmen Titel hatte, und dann, weil sie mich stets in der Londner Morning-Post als: auf Almacks tanzend, und bei mehreren Fêten der Tonangeber gegenwärtig, aufgeführt gefunden hatte – ein Umstand, der ihr so wichtig schien, daß sie ihn mehrmals wiederholte.


Den 20sten.


Am gestrigen Abende sollte ich einer Soirée bei Lord C..., dem Chef einer neuen Familie, aber einen der ältesten Wit's von Dublin, beiwohnen, zu dem mich Lady M..., seine Freundin, eingeladen, wurde aber durch eine tragikomische Begebenheit daran verhindert. Ich war, den H... v.L. auf seinem Schlosse zu besuchen (das sich, êntre nous, so wenig wie er und seine Familie der Mühe verlohnte), auf's Land geritten, und es war schon spät geworden, als ich den Rückweg antrat. Um Zeit zu gewinnen, nahm ich meine Direktion querfeld ein à la Seidlitz. Eine Weile ging Alles vortrefflich, bis ich, schon bei anbrechender Dämmerung, an einen sehr breiten Graben kam, dessen vor mir liegendes Ufer bedeutend höher als das entgegengesetzte[173] war, und eine weite Wiese rund umher einschloß. Ich sprang demohngeachtet glücklich in diesen Enclos hinein, als ich aber auf der andern Seite wieder hinaus wollte, refüsirte mein Pferd, und alle Mühe es zum Gehorsam zu bringen, war vergeblich. Ich stieg ab, um es zu führen, dann wieder auf, um den Sprung an einem andern Ort zu versuchen, wendete Güte und Gewalt, alles ohne Erfolg an, bis es endlich, bei einem ungeschickten Versuch mit mir ins sumpfige Wasser fiel, und nur mit Mühe an der inneren niedrigeren Seite wieder zurück kletterte. Jetzt blieb alle Hoffnung verloren, den verzauberten Platz zu verlassen, in dem ich mich, wie in einer Mausefalle, gefangen sah – überdem war es ganz dunkel geworden, ich fühlte mich eben so erhitzt als durchnäßt, und mußte mich endlich entschließen, das Pferd zurück zu lassen, um zu Fuß, tant bien que mal, über den fatalen Graben zu setzen, und wo möglich eine Wohnung und Hilfe aufzusuchen. Der Mond kam glücklicherweise dienstfertig hinter den Wolken hervor, um mir zur höchst nöthigen Leuchte zu dienen. Nur nach einem recht sauren Gange über Aecker und durch hohes nasses Gras, gelangte ich nach einer halben Stunde zu einer erbärmlichen Hütte, in der bereits Alles schlief. Ich tappte hinein (denn verschlossen wird hier kein Haus) ein paar Schweine grunzten unter meinen Füßen – gleich darauf der neben ihnen liegende Wirth. Mit Mühe machte ich ihm mein Anliegen begreiflich, indem ich mit Silbergelde ihm vor den[174] Ohren klimperte. Dieser überall verständliche Klang erweckte ihn besser als mein Rufen, er sprang auf, holte sich noch einen Gefährten, und zurück ging's zu meiner Didone abbandonata. Die Irländer wußten sich zu helfen – sie trugen eine verloren aufgeschlagene Brücke in der Nähe ab, legten sie über den Graben, und so fand ich mich endlich mit dem befreiten Pferde wieder auf festem Wege, kam aber so spät und in einem solchen Zustande zu Hause an, daß ich, der Ruhe bedürftig, es gar nicht ungern hörte, wie Lady M..., die mich abzuholen gekommen, schon seit einer Stunde verdrießlich wieder abgefahren sey. Am andern Morgen trug ich ihr meine Entschuldigungen vor, wo sie mir auch gnädig verzieh, aber versicherte, daß ich viel verloren, da Alles, was noch Vornehmes und Fashionables in der Stadt sey, jener Soirée beigewohnt habe. Ich versicherte mit Aufrichtigkeit, daß ich nur die Entbehrung ihrer Gesellschaft bedauern könne, dafür aber durch ihre Güte entschädigt zu werden hoffte, sobald ich nur die »sentimental Journey« nach der Grafschaft Wicklow gemacht, nach der meine deutsche, romantische Seele inbrünstig verlange, und die ich morgen früh zu Pferde anzutreten gedenke. Die Unterhaltung fing nachher an, sehr heiter zu werden – denn sie liebt das – und endigte zuletzt so läppisch, daß sie mir zurief: finissez! Wenn Sie zurückkommen, werde ich mich Ihrer bloß wie eine ältere Schwester annehmen, und ich ihr lachend antwortete: Das kann ich nicht annehmen – je craindrai[175] le sort d'Abufar. Lady M... gegenüber war das allerdings ein etwas fader Spaß.

Aus Felsen und Bergen erhältst Du die Fortsetzung. Adieu, und möge der Himmel Dich erheitern, und alle Worte meiner Briefe Dir zurufen: Treue Liebe bis in den Tod.


Dein L...

1

To come out heißt bei den jungen Mädchen in England: in die Welt treten. Die Eltern lassen manche dieses Glück bis ins zwanzigste Jahr und noch länger erwarten. Bis dahin lernen sie die Welt nur aus Romanen kennen, und später geht es auch darnach, wo nicht die Häuslichkeit und Tugend (denn ein solches Ding giebt es zuweilen in England) einen zu festen Grund gelegt haben.

A.d.H.

2

Nichts ist lächerlicher als die häufigen Deklamationen deutscher Schriftsteller über die in England herrschende Armuth, wo es nach ihnen nur einige ungeheuer Reiche und tausend Nothleidende giebt. Grade die außerordentliche Menge wohlhabender Leute des Mittelstandes und die Leichtigkeit für den Aermsten, sich nicht nur das Nothwendige, sondern selbst Luxus zu erwerben, wenn er nur ernstlich arbeiten will – macht England selbstständig und glücklich. Den Oppositionsblättern muß man freilich nicht nachbeten.

3

Wahrscheinlich von Macpherson selbst eingesendet.

A.d.H.

4

Sein Charakter heißt im Englischen, wo der Schein mehr gilt als irgendwo, höchst charakteristisch, nicht das Resultat seiner geistigen und moralischen Eigenschaften, sondern sein Ruf, was man von ihm erzählt, auschließlich – in Deutschland – sein Titel, doch nur in der zweiten Bedeutung.

A.d.H.

Quelle:
[Hermann von Pückler Muskau]: Briefe eines Verstorbenen. Erster und Zweiter Theil: Ein fragmentarisches Tagebuch aus England, Wales, Irland und Frankreich, geschrieben in den Jahren 1828 und 1829, Band 1, Stuttgart 21831, S. 137-176.
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