Erster Theil

Der Tag neigte sich zu Ende. Leichte Nebel stiegen aus den Thälern und verbreiteten eine seltene zauberische Beleuchtung, indem sie die Strahlen der Sonne, welche einen warmen Frühlingstag verklärt hatten, sanft verhüllten. Wer hätte nicht der Natur Momente abgelauscht, wo die wunderbare Gestaltung der Wolken oder das durch Nebel gebrochene Licht so phantastische Erscheinungen hervorruft, daß wir uns an die reizenden Fabeln erinnert fühlen, denen wir schon im Schooß der Wärterin horchten, und die mit ihren goldnen Bäumen auf Wiesen von Smaragd, ihren Palästen von Rubin und Edelstein, ihren Ursprung in nichts Anderem, als in solchen zauberischen Naturgemälden, gehabt haben mögen.

Die weite Aussicht von dem Standpunkt, an den wir hier unsere Mittheilungen hauptsächlich anknüpfen, zeigte eine entzückende Vereinigung erhabener und lieblicher Naturgegenstände, und das Auge konnte von keinem unbefriedigt zurückkehren.

Wir befinden uns in dem schönsten Theile der Grafschaft Nottingham, zwischen Chesterfield und den anmuthigen Höhen von Cheffield. Hier lag das Stammschloß der Grafen von Derbery, Herzöge von Nottingham, und bildete mit seinen weitläuftigen Wäldern und reizenden Thälern den vornehmsten Theil dieser Gegend, indem es zugleich ein prächtiges und ausgezeichnetes Denkmal verschiedener Jahrhunderte mit ihrem fortschreitenden Geschmack und erweitertem Bedürfniß darstellte. Es brachte seinen alten Namen, Godwie-Castle, aus einer so grauen Vorzeit herüber, daß selbst das alte Geschlecht, das sich jetzt seine[3] Besitzer nannte, es nicht wohl erweisen konnte, ob es einen ihrer fernen Urväter als Erbauer des eigentlichen Castells nennen dürfe, das mit seinen von der Zeit fast spurlos verwischten Wappenschildern alle Bemühungen der Heraldik vereitelte. Nicht weniger aber ward es mit einer Sorgfalt geehrt und erhalten, von der es zweifelhaft blieb, ob sie der Verehrung für die früheste Periode der Baukunst angehöre, oder dem schmeichelhaften Glauben an einen bis in die graueste Vorzeit reichenden Besitz. Gewiß blieb es aber, daß die Vergrößerungen des Schlosses, die eben so vielen verschiedenen Zeiten, als Besitzern, angehörten, stets mit einem schonenden Rückblicke auf die erste, wenn auch rohe, doch von Ausdehnung zeugende Anlage unternommen wurden. So war, von dem frühesten Bedürfniß, nur eine gesicherte Wohnung zu besitzen, bis zu der freieren Existenz in einer Zeit, die, durch öffentliche Sicherheit, Reichthum und vorschreitende Bildung, das Schöne und Angenehme forderte und zuließ, ein überall beabsichtigter, wenn auch oft schwer zu erreichender Zusammenhang unter den verschiedenen Bauwerken beobachtet worden. Das Castell, das so als der älteste Theil bezeichnet ward, lag an dem Rande einer Höhe, die unfehlbar in früheren Zeiten einen Theil der Befestigungen getragen hatte und den späteren Besitzern, welche hier nur unscheinbare Trümmer vorfanden, den weiten Raum für ihre großartigen Anlagen gab. Das Castell war noch immer der Eingang zum Schlosse geblieben, und allerdings dazu durch den Ernst und die Größe seiner Formen und die überall noch sichtbaren Befestigungen sehr geeignet. Die breiten geebneten Wege, die das Thal und den Wald in verschiedenen Richtungen durchschnitten, liefen in dem weiten grünen Raume zusammen, der sich vor den Befestigungen ausbreitete und gegen Norden hin von dem prächtigen Walde in einem Halbkreis umschlossen ward. Die wasserreichen Gräben mit ihren grünen Wällen und befestigten Brücken schienen[4] noch jetzt einer kriegerischen Macht jeden Widerstand bieten zu können, doch blieb dem gründlicheren Beobachter nicht lange verborgen, wie diese schirmenden Wälle und Gräben sich sanft hinter der Hügelreihe in den schönen Wiesengründen verloren, die dem Thal nach Süden hin mit dem Zauber der Kultur eine bessere Aussicht auf Schutz und Sicherheit gewährten. Von dort aus zogen sich die Meiereien und ländlichen Wohnungen der Fischer und Waldheger, welche zerstreut angebaut waren, in einem Kreise um den Park, der nach Abend hin einen See umschloß. Die größte Ausdehnung hatte dieser nach Norden und verband sich dort mit dem Walde, der bis dicht an die Terassen des Schlosses seine mächtigen Häupter trug und, durch roh in Stein gehauene Stufen damit verbunden, theilweis zu den Park-Anlagen benutzt war.

Noch immer unterhielt man auf den verschiedenen Brückenthürmen Wächter, welche die Ankunft von Fremden aus der Ferne schon durch den Ruf ihrer Hörner verkündigten. Aber an die grauen Thürmchen mit ihren Schießscharten und Fallgattern lehnten sich freundliche Hütten; und blühende rothwangige Kinder, in trauter Gemeinschaft mit den zahmen Bewohnern des Waldes, die die grünenden, von der Sonne beschienenen Wälle gern zu ihren Futterplätzen ersahen, schienen die einzige streitbare Macht dieser ersten Festungslinie. Doch überschritt wohl keiner die letzte Brücke, ohne einen Augenblick zu weilen und den Ueberblick zu genießen, der diese großartige Architektur zugleich als eine interessante Geschichte der Baukunst darstellte.

Den Eingang zum Castell erreichte man über eine Zugbrücke, die unmittelbar in ein hohes gewölbtes Thor führte, das von zwei sonderbar gewundenen und mit Gallerien verbundenen Thürmen gehalten ward. Man hatte alsdann den Schloßhof erreicht, und dem Eingangsthor gegenüber zeigte sich die schönste, wenn auch nicht die älteste Seite des Castells. Sie gehörte[5] einer spätern Zeit und schon bestimmt der gothischen Baukunst an; aber sie war – durch welche Begebenheiten, blieb unentschieden, – in ihrem oberen Ausbaue der Zerstörung am meisten anheim gefallen und zeigte nur noch die unteren Räume erhalten, die in drei hohen gewölbten Hallen bestanden und den Durchgang nach dem zweiten Schloßhof bildeten. Mit angenehmem Erstaunen sah man sich von hier aus dem prächtigen Wohngebäude gegenüber, das, mit allem Glanz seiner stets reichen Besitzer in dem reinsten Style errichtet, den wohlthuenden Eindruck hervorrief, als ob man die Herrschaft des Schönen unter dem Schutze civilisirterer Zeiten hier aufgeblüht sähe.

Das Schloß lag auf dem höchsten Punkte und daher höher, als das Castell, und der Schloßhof führte in breiten gemauerten Wegen die leichte Anhöhe hinan. Die Hinterseite des Schlosses lag auf der Terrasse ausgebreitet, welche von da zu dem Parke führte. Hier, von der Gartenseite aus, gewahrte man den neuesten Anbau, unter dem Großvater des letzverstorbenen Herzogs entstanden, und zwar nach seiner Rückkehr aus Italien von einer Gesandtschaft an Sixtus den Fünften, wohin ihn Elisabeth gesendet, während ihrer kurzen Freundschaft mit dem heiligen Stuhle.

Der Erbauer hatte hier den Geschmack seiner Vorfahren am meisten beeinträchtigt. Italien hatte seine Phantasie mit Bildern entzückt, die keinen Raum auf dem vaterländischen Boden fanden. Kunstwerke jeder Art waren ihm gefolgt; aber die hohen gothischen Gemächer des alten Stammschlosses, mit ihren schmalen spitzen Fenstern und dem ungewissen Lichte der in tausend Farben spielenden Scheiben, war kein Aufenthalt für die Marmorbilder, die man aus ihren heiteren Säulenhallen weggeführt, noch für Kunstwerke des Pinsels, die vergeblich eine Gemeinschaft suchten an den mit Zierrathen überladenen Wänden, wo, nächst zahllosen, in Stein und Marmor gehauenen Wappenschildern,[6] nur die düsteren Ahnenbilder, aus der Kindheit der Kunst herstammend, zu ihnen niederstarrten. Die hierdurch erregte Besorgniß des Herzogs um seine Lieblinge löste sich bald im fröhlichen Gefühl ungemeiner Mittel, und er gab ihnen in einem neuen Flügel hinter hellen Scheiben und luftigen Kuppeln die Heimat wieder, so weit dies unter Englands Nebelhimmel möglich war.

Nahm der italienische Flügel vom Hauptgebäude aus den nördlichen Theil der Terrassen ein, so hatte dagegen die Gemahlin des Herzogs, eine Gräfin aus dem Hause Devereux, an der anderen Seite der Terrasse nach Süden eine Kapelle aufgeführt, die deutlich die Einwirkung zeigte, welche der Geschmack des Herzogs durch den Aufenthalt in Italien davon getragen. Aber es war auch nicht zu läugnen, daß man sich hier von dem unreinen Geschmack berührt fühlte, der später seine Verwirrung der gothischen und griechischen Baukunst über halb Europa ausbreitete. Dessenungeachtet diente auch diese weit aus der Erde gehobene Kapelle, mit ihren schönen Portalen, herrlichen Treppen und im blumenreichsten Schnitzwerk prangenden Fenstern, nicht minder zu einer Verherrlichung des Ganzen. Es führten von hier sanfte Wege ab in die angebauten Thäler, deren Bewohner sich auf denselben nach der Kirche begeben durften. Die Kapelle war durch den südlichen Thurm unmittelbar mit dem Schlosse verbunden. Der untere Raum desselben ward die Begräbnißkapelle genannt, weil darunter sich die Familiengruft befand und der Raum darüber vor Erbauung der neuen Kapelle zum Gottesdienst gebraucht ward. Dieser fast leere Raum grenzte an die fürstlichen Hallen, die in drei Abtheilungen sowohl die Tiefe als Länge des ganzen Schlosses einnahmen. Nur um den Eingang von dem Schloßhof her zu trennen und die breiten Treppen nach den obern Gemächern zu führen, war der mittlere Saal durch prachtvolle Gitter und die Decke[7] tragende Pfeiler getheilt. Trotz seiner ungeheuern Größe und seiner verschwenderischen Ausstattung ward er weniger geachtet, und bei feierlichen Gelegenheiten mehr als stillschweigend gestatteter Tummelplatz der höheren Schloßbeamten und der zahllosen Dienerschaft angesehn.

Dagegen waren die daranstoßenden Säle mit einem überraschenden Glanze geschmückt, und trugen den ganzen Stolz ihrer fürstlichen Bewohner und allen Luxus, den England damals aufzuweisen wußte, ergänzt durch Italiens Schätze und den Kunstfleiß der vorschreitenden Niederländer, zur Schau.

Statt der Fenster öffneten sich weite Thüren nach den Terrassen hin, die, gegen die Annäherung der verschiedenen Thiere des Waldes durch goldene Gitter geschützt, Luft und Licht gar anmuthig einließen, und bei unfreundlicherem Wetter häufig zu den regelmäßigen Spaziergängen der Frauen benutzt wurden; wie denn jene Säle überhaupt allem gemeinschaftlichen oder öffentlichen Verkehr der Schloßbewohner gewidmet waren.

Die Fürsten gaben hier ihren Unterthanen oder dem Adel der Grafschaft Audienzen. Hohe Gäste wurden hier bewirthet, die fürstliche Jugend mit ihren Gespielen trieb hier ihre verschiedenen Lustvarkeiten; Familienfeste und Zusammenkünfte, in guter Jahreszeit das allgemeine Frühstück und die Tafel, Alles ward hier abgehalten; bis zu den pomphaften Leichenbegängnissen dieser Familie, welche mit ihren strengen Ceremonien den Saal zunächst dem Erbbegräbniß füllten. Dagegen schloß der nördliche Thurm im Erdgeschoß die prächtige Bibliothek in sich, und durch sie gelangte man zu den schönen Marmorstiegen, die den italienischen Flügel sogleich als das Kind einer fremden Zone ankündigten, welcher seit dem Tode des Erbauers, der ihn nie mehr verließ, die stete Wohnung der Herzöge blieb.

Die Zimmer, welche die Herzoginnen bewohnten, hatten jedoch, obwohl die alterthümliche Urgestalt weder entfernt[8] werden konnte, noch sollte, nach und nach Umgestaltungen erlitten, welche zu ihrer ursprünglichen Pracht noch das Schöne und Angenehme fügten; und wenn wir den ferner liegenden Waffensaal und den der Ahnenbilder, den man noch immer die Gallerie nannte, abrechnen, boten diese Zimmer zugleich einen schönen und imposanten Anblick dar. Das Schlafzimmer der Herzoginnen war im südlichen Thurm und von der Erbauerin der Kapelle durch einen verhüllten Eingang unmittelbar mit dem Chorstuhl verbunden, den die Herzoginnen darin einnahmen. Außerdem waren unter dem letzt verstorbenen Herzoge für den Prinzen von Wales, welcher in naher Verbindung mit ihm stand, eine Reihe Zimmer eingerichtet, eines so hohen Besuches und so freigebigen Wirthes gleich würdig, welche, wenn auch nur selten geöffnet, doch stets für die vornehmsten Gäste ihre Bestimmung behielten. Alle Theile des Schlosses waren, wenn auch mit einem großen Aufwand an Raum, außerdem bewohnt, denn es gehörte zu dem Luxus damaliger Zeit, außer der höheren Dienerschaft beider Geschlechter noch einen unübersehbaren Troß geringer Dienstleute zu besitzen. Der argwöhnischen Politik der Königin Elisabeth war es zwar nach und nach gelungen, die eigentliche bewaffnete Dienerschaft ihrer Großen zu entfernen, die freilich fast jedes befestigte Schloß zu einer kleinen Festung umschufen, doch war kaum etwas Anderes erreicht, als daß die Waffen in den Rüstkammern hingen, und diejenigen, die sonst darin geübt murden, jetzt noch unnützer und geschäftsloser umherschweiften. Die nach Außen und Innen friedlichen Zeiten hatten diese frühere Gewalt auch von selbst ihres Werthes beraubt, denn entlassen waren diese zahllosen Bedienten nicht, und Herr und Diener sahen diese Schwelgerei unbeschäftigter Vasallen als einen nothwendigen Tribut an, den sie der Hoheit ihres Standes brachten. Doch war dieser Brauch, der in die Häuser der meisten Großen den Geist der Unordnung und Zügellosigkeit brachte,[9] hier auch in Grenzen gewiesen, die in Uebereinstimmung standen mit der hohen sittlichen Strenge ihrer Oberhäupter. Geprüfte Personen, an Bildung und Rang über die Dienerschaft erhaben, sorgten in den verschiedenen Abtheilungen dieses weiten Palastes für die Befolgung der strengen Vorschriften, welche diese Schwelger in Ordnung hielten, und waren mit hinreichender Gewalt bekleidet, um ihren Geboten Nachdruck zu geben. So glich das Schloß mehr einem kleinen, wohlgeregelten Staate, worin durch Pflichttreue und Fähigkeiten Erhöhung zu erlangen, und der Dienst im Schlosse, endlich in den Gemächern der herzoglichen Familie, ein Gegenstand war, um den sich der Ehrgeiz der Schloßdienerschaft drehte; denn grenzenlos war die Verehrung für ihre großmüthigen und erhabenen Herren, durch deren Glanz sie sich selbst über die Klasse ihres Standes erhoben wähnten.

Fast theilte England die Meinung der Vasallen. Das Geschlecht der Herzöge von Nottingham hatte durch Jahrhunderte einen seltenen Rang behauptet, in der Geschichte des Vaterlandes sowohl, als in der öffentlichen Meinung, die über Tugend und Karakter entscheidet; und es war um so höher zu verehren in den unruhigen Zeiten, welche die Inkonsequenz der Beherrscher über dieses so lange den schrecklichsten Parteiungen hingeopferte Land herbeigeführt hatte.

War das Schicksal auch nicht, ohne Opfer zu fordern, an ihrer Schwelle vorüber gegangen, das Höchste war ihnen geblieben: eine feste Behauptung edler Gesinnung! Nicht dem thörichten Wankelmuth zum Raube, der England seit Heinrich dem Achten zum religiösen und politischen Spielball seiner sich stets widersprechenden Könige machte, blieben sie treu ihren Unterthanspflichten, aber bei freier Bewahrung religiöser Ansicht, und zugleich in Milde und Duldung gegen anders Denkende. So wurden sie nie in die unseligen Kriege und Zwistigkeiten[10] verwickelt, die, der Natur und ihren heiligen Gesetzen Hohn sprechend, die Bewohner eines Landes, oft eines Heerdes zu blutiger Verfolgung für einen Glauben bewaffneten, dessen kaum Einer unter Tausenden sich klar bewußt war! Sie hatten in einer ruhmvollen Reihefolge den Feinden nach Außen sich gegenüber gestellt, die Verläumdung scheiterte an ihren patriotischen Opfern für Englands Beschützung, während an auswärtigen Höfen zu allen Zeiten die oft wiederholten Sendungen geistvoller Männer dieses Hauses achtungsvolle Aufnahme fanden.

Zur Zeit der Reformation warb Ortmar, Graf von Derbery, um die Prinzessin von Cleve für Heinrich den Achten. Erleuchtet von dem göttlichen Geiste Luthers, kehrte er aus Deutschland zurück, und von ihm ging für die Familie die Aufklärung aus, welche sie in fester Ueberzeugung ihrem alten Glauben entführte, und von da an zu treuen Anhängern der unter Eduard dem Sechsten beginnenden, unter Elisabeth endlich fest begründeten anglikanischen Kirche machte. Zur Zeit der katholischen Maria vom Hofe verbannt, zu ausgezeichnet, um größeren Verfolgungen ausgesetzt zu sein, entstiegen sie in verdoppeltem Glanze mit Elisabeth ihrer tugendhaften Verborgenheit, und der Vater des eben verstorbenen Herzogs genoß mit seinem ganzen Hause alle Auszeichnungen, welche diese erhabene Fürstin für die Belohnung treuer Anhänglichkeit so sinnreich zu erdenken wußte. Gern hätte sie dazu die unmittelbare Mitwirkung des Herzogs an den Regierungsgeschäften gefügt, wäre nicht die Neigung desselben, bei zunehmendem Alter sich auf den Umgang seiner Familie zu beschränken, ihr hinderlich gewesen, worein sie sich jedoch fand, ohne ihm ihre Gnade zu entziehen. Was indessen der Vater ihr versagen gedurft, glaubte sie desto bestimmter von seinem einzigen Sohne fordern zu können, und so ward der junge und schöne Mann an ihren Hof gerufen. In den ernsten und gelehrten Cirkeln,[11] die sie selbst umgaben, legte er, als der erste ihrer Diener, durch Umgang mit den ausgezeichnetsten Personen der damaligen Zeit den Grund zu der hohen Bildung, welche sich so segensreich für seine Familie zeigte. Sie sandte ihn später mit höchst wichtigen Aufträgen an Wilhelm von Oranien und vermählte ihn bei seiner Rückkehr mit einer Gräfin von Burleigh, welche sie als das erste Fräulein ihres Hofes angesehen wissen wollte, und welche in jeder Beziehung diesen Vorzug ihrer Königin verdiente. Sie sah ihren ehemaligen Pagen, wie sie ihn gern nannte, als ihr Werk an und war eitel darauf, die Erziehung eines Mannes vollendet zu haben, wie sie sich oft ausdrückte. Als dem Grafen kurz hintereinander zwei Söhne geboren wurden, äußerte sie lebhaft ihre Freude über das Fortblühen dieses Geschlechts, und machte sich mit einem Geschenke, welches bei ihr selten vorkam, zur Pathin des ersten, und ernannte den zweiten Sohn zum Grafen von Glandford, mit Wiederverleihung einer unter Maria confiscirten Besitzung, welche früher der Familie als freies Witthum der Gräfin Devereux mit der Bestimmung zugefallen war, dem zweiten Sohne der Familie Namen, Rang und Reichthum zu gewähren. Elisabeth freute sich, diese Stiftung auf Wunsch der Oberhäupter der Familie erneuern und sanctioniren zu können, und so zugleich eine Ungerechtigkeit ihrer gehaßten Vorgängerin wieder gut zu machen. Wenige Jahre später sandte sie ihn nach Frankreich an Catharina von Medicis, wo damals Troymorton, ihr ausgezeichneter Gesandter, sich aufhielt. Sie verzögerte seine Zurückberufung um ein Jahr, ihn selbst und den arglistigen Versailler Hof, der eine Vermählung des Herzogs von Anjou mit Elisabeth beabsichtigte, durch tausend kleine Vorspiegelungen hinhaltend, hinter denen sie gern ihre wahren Absichten verhüllte.

Der Graf von Derbery fand bei seiner Rückkehr seinen Vater nicht mehr und das Schloß nur von seiner trauernden[12] Gemahlin bewohnt; er eilte nun mit seinen beiden Söhnen nach London, um zu den Füßen seiner Königin den Lehnseid zu leisten und ihr die hoffnungsvollen Jünglinge vorzustellen, die sich schon in der Wiege ihrer Gunst erfreuten, und welche sie nun augenblicklich zum Aufenthalt an ihrem Hofe bestimmte. Der letzte und sicher nicht erwünschteste Auftrag der Königin bestimmte den Grafen, an Jakob den Sechsten die Nachricht von dem Tode seiner Mutter, der unglücklichen Maria von Schottland, zu überbringen. Wahrscheinlich leitete sie, neben der Rücksicht auf die Persönlichkeit dessen, der Jakob ihren Schmerzensbrief einhändigen und ihren merkwürdigen, allerdings etwas zweifelhaften Zorn gegen die Urheber dieser That bestätigen sollte, hauptsächlich der Wunsch bei dieser Wahl, den Herzog mit Jakob, den sie schon damals in der Stille zu ihrem Nachfolger ersehen hatte, zu befreunden. Durch die Art, wie sie den Herzog dem Könige empfahl, und der ungemeinen Hochachtung vertrauend, welche er sich überall zu erwerben wußte, war sie dies zu erreichen gewiß. Sie verlangte ausdrücklich, daß seine beiden Söhne ihn begleiten sollten, und berief unterdessen die Herzogin an den Hof. Robert, Graf von Derbery, der älteste Sohn, benutzte eben so, wie Archimbald, Graf von Glandford, diese Gelegenheit zu seiner Entwickelung mit ausgezeichnetem Eifer, und Archimbald, wie zum Diplomaten geboren, begleitete schon in den letzten Jahren der Regierung Elisabeths die Gesandtschaft, die mit Heinrich von Bearn wegen Sendung von Hülfstruppen gegen die Ansprüche Philipps des Zweiten auf die Thronfolge in Frankreich unterhandelte. Sein Benehmen war hier zwar ohne Einfluß, aber so fein und schicklich, daß Elisabeth von ihm Größeres für die Zukunft prophezeite. Zurückgekehrt, lebte er unter der Anleitung seines Oheims Cecil, ganz sich diesem Fache widmend. Er war das Bild der Selbstbeherrschung! Seine Figur war mittler Größe[13] und ohne Fülle, doch von einer augenscheinlich großen Kraft, die auch jeder seiner Bewegungen die vollkommenste Gewandtheit gab. Dies ließ die Meisten sehr leicht vergessen, daß dem Ausdrücke seines Gesichtes sowohl als seiner Figur jener imponirende, die Hoheit der Seele voraus verkündigende Anstand fehlte, den man vorzüglich später, als sein Name in seinem Vaterlande, wie an fast allen fremden Höfen bekannt ward, oft mit Befremden vermißte. Er beherrschte aufs Vollkommenste seine Muttersprache und außerdem fast alle fremden Sprachen, so wie die Sitten der von ihm besuchten Höfe ihm völlig bequem waren. Die Gabe, ohne allen Anschein der Beobachtung auch das Geringste wahrzunehmen, Alle durch seine Anreden oder Antworten zu befriedigen oder zu beschwichtigen, war ihm vollkommen eigen. Im Streit, in gelehrten oder politischen Unterhandlungen, bei der größten Ueberlegenheit im Wissen, Folgern und Beschließen, wußte er doch stets in die Einkleidung das bescheidene Aufhorchen eines Lernenden zu legen. Man konnte ihm nichts sagen oder mittheilen, was er nicht im Stande gewesen wäre, als längst bekannt und selbst in seinen fernsten Resultaten vorausgesehen, zurückzuweisen. Mit höchster Ruhe vermochte er den längsten Erörterungen zuzuhören, ohne das kleinste Zeichen der Ermüdung oder der Unaufmerksamkeit zu geben, und es stand eben sowohl in seiner Macht, endlich den Beifall daran mit Gründen zu rechtfertigen, als ihm die gefährliche Gewalt zu Gebote stand, in wenigen satyrischen oder kritischen Worten die auch noch so künstlich verflochtenen Gedanken ihres falschen Scheins zu entkleiden, und in ihr Nichts zurückzuführen. Doch konnte man ihm in seinem langen Leben nie nachsagen, daß er an einer guten Sache seinen Hang zur Satyre versucht hätte. Sein Stolz hatte bei dem vollen Bewußtsein seines Ranges und Namens doch jenen freieren Karakter, der sich in ihm mehr als Kosmopolit, denn als Engländer[14] entwickelt hatte, und den zu hegen, er mehr vielleicht noch seinen Eigenschaften, als seinem Namen vergab.

Robert, Graf von Derbery, der älteste Bruder und Erbe des herzoglichen Ranges, hatte bei mancher Verschiedenheit an Geist und Bildung den Bruder nicht erreicht. Er hatte von Elisabeth trotz seiner Jugend die Erlaubniß erhalten, den englischen Truppen zu folgen, die in der Normandie bei Dieppe zur Unterstützung des heldenmüthigen Heinrichs von Navarra erschienen, und so seinen heißesten Wunsch erreicht, der ihn mit schwärmerischer Verehrung zu diesem Prinzen zog. An Heinrichs kleinem Hofe, den kein anderer Glanz, als der der Waffen, schmückte, fand er jedoch Menschen, erwärmt von der großen Empfindung für Recht und begeistert von dem Gedanken der guten Sache: Zu siegen oder zu sterben! Ihm ward die Wohlthat, die erste Idee, die ihn ausschließlich erfaßte, für eine große und erhabene ansehen zu dürfen, für die er das Leben mit allen seinen Gütern einsetzte, und sich in diesem Brennpunkt aller Kräfte, noch vor den Jahren, zum Manne zu zeitigen.

Bald nachher war England durch den Tod seiner großen Beherrscherin in die tiefste und gerechteste Trauer versenkt. Elisabeth starb am vierundzwanzigsten Mai 1603, und nachdem Jakob der Sechste von Schottland als Jakob der Erste den Thron von England bestiegen, hielten die Großen, die ihm durch frühere Verhältnisse näher getreten waren, es für nöthig, am Hofe zu erscheinen, und die Familie des Herzogs von Nottingham zeigte sich für einige Zeit in London. Zwar war Jakob umlagert von den schottischen Großen, denen er sich verpflichtet hatte, und die jetzt Hülfe forderten und fanden; aber er war dennoch gerecht gegen seine neuen Unterthanen. Mit Erstaunen sah man Cecil, den Sohn des Grafen von Burleigh, seinen wichtigen Posten ruhig weiter behaupten, ohne seines Einflusses auf den Tod der unglücklichen Königin Maria weiter zu gedenken; und[15] während Jakob eben so eilig die Essex, Howards und Devereux aus ihrer Verbannung rief, gab er seinen Prinzen die Weisung, die Söhne der Gräfin Nottingham zu ihrem Umgange zu wählen. Nicht leicht ward ein Befehl des Königs mit mehr Lust erfüllt, als dieser. Die jungen Prinzen hatten schon in Schottland bei der damaligen Sendung des Herzogs, nach dem Tode der Königin Maria, wo die Jünglinge ihn begleiteten, mit den Grafen Freundschaft geschlossen. Obgleich Beide jünger, als die Grafen, glich sich doch dies leichter aus durch die angeborne Würde der Königssöhne.

Seltsam aber und doch bei der Prüfung der Karaktere sehr natürlich, schlossen sich, wie magnetisch angezogen, die am innigsten aneinander, die durch das Alter sich ferner standen. Heinrich, Prinz von Wales, hing sich mit Enthusiasmus an den Grafen von Glandford, während Carl, der jüngere Bruder, sich nicht mehr von seinem geliebten Robert zu trennen vermochte. Jakob sah die jungen Leute, unter denen er sich stets gefiel, so viel, wie möglich, um sich, doch der Wunsch, seinen geliebten Georg Villers ihnen zuzugesellen, blieb unerfüllt. Ohne sich auszusprechen, schien es eine stillschweigende Verabredung, ihn bei aller Höflichkeit, die sie dem Lieblinge des Königs schuldig zu sein glaubten, auf eine feine Weise von sich entfernt zu halten. Der König war seltsam genug, dies für Geringschätzung gegen seinen, wenn auch alten, doch nicht sehr ausgezeichneten Namen zu nehmen, ließ häufig wohl verständliche Winke darüber fallen und sagte endlich, als er seinen Liebling zum Herzog von Buckingham erhoben hatte: Nun werden meine stolzen Prinzen und ihre Grafen den Villers schon leiden mögen. Leicht hätte er beobachten können, wie wenig er seinen Zweck erreicht hatte, wären nicht Veränderungen in den Verhältnissen der jungen Leute selbst entstanden. Der Herzog von Nottingham wünschte seinen ältesten Sohn zu vermählen, und zwar mit der[16] einzigen Tochter des Heinrich von Digby, Grafen von Bristol. Lange Freundschaft verband die Häupter der Familien, und allerdings schien es für den jungen Grafen eine leichte Wahl, da die junge Gräfin so eben in dem vollen Glanze einer erhabenen Schönheit bei Hofe erschienen war; und abgesehen davon, daß ihrer ein fürstlicher Reichthum harrte, schien ihr Geist von ungewöhnlicher Bildung, und ihr Karakter an Festigkeit und Würde fast ihrem Alter vorausgeeilt zu sein. Sie war der Mittelpunkt aller Träume und Wünsche, aller Intriguen und Huldigungen, während sie selbst mit stolzer Kälte Alle von sich entfernt hielt, und den Herzog von Buckingham blos aus Rücksicht für den König, den Grafen von Derbery aus Gehorsam gegen ihre Eltern zu dulden schien. Doch war leicht wahrzunehmen, wie Robert nur die Rücksicht beobachtete, die ihm die Verhältnisse beider Familien abnöthigten, während er mit glühendem Angesicht einem andern Sterne sich zugewendet hatte, der zur selben Zeit den Hof verherrlichte. Der König hatte die Mutter, den Bruder und die Schwester seines übermüthigen Lieblings in den Grafenstand erhoben, und auch ihnen den Namen Buckingham verliehen. Die neue Gräfin erschien mit ihren Kindern am Hofe, dem Könige zu danken und ihre Tochter der Königin vorzustellen. Die Gräfin war eine schöne, würdevolle Frau, aus einer vornehmen, schottischen Familie, durch eigenen Werth und ausgezeichnete Verbindungen zu einer bedeutenden Stellung berufen. Ihr zur Seite stand das Fräulein von Villers, ihre einzige Tochter, in einer so vollendeten idealischen Schönheit, so abweichend von allem, was man vor ihr darunter verstanden hatte, daß Jakob selbst, höchst unempfänglich für weibliche Reize, lachend sich die Hände vor ihr rieb, und höchst verlegen um einen Ausdruck, oft wiederholte, daß seine hochselige Mutter auch von großer Schönheit gewesen, nicht zum Frommen und Seegen ihres armen Landes. Gott sei ihr gnädig! fügte er stets hinzu. Dies[17] indirekte Lob gab zu verstehn, daß er die Gräfin zu einem ähnlichen Anspruch auf Schönheit berechtigt glaube. Gewiß war es, daß nicht allein der König, der seine Mutter nur nach einem Bilde aus ihrer ersten Jugendzeit kannte, sondern auch Alle, die der unglücklichen Fürstin damals persönlich näher getreten waren, die auffallendste Aehnlichkeit der jungen Gräfin mit jener durch ganz Europa berühmten Schönheit fanden. Man flüsterte, daß, als die junge Gräfin zuerst an dem Hofe der Königin erschien, und zwar wegen ihres kurz vorher verstorbenen Vaters in tiefer Trauer, der Graf von Burleigh gegen die Regeln der Etikette einige Schritte vor dem König vorausgeeilt und, als sie, dadurch erschreckt, die großen melancholischen Augen zu ihm aufgeschlagen, von einem jähen Schwindel befallen worden sei, der ihn genöthigt, Whitehall sogleich zu verlassen. Schrecken war fast auch die erste Empfindung, womit sein Neffe Robert die Gräfin ansah; aber es war das Erschrecken, welches das unentweihte Herz erschüttert, wo die Liebe zuerst ihren Zauber verbreitete. Eine Sekunde schien ihn verwandelt zu haben. Zum ernsten Nachdenken über sich von Jugend auf gewöhnt, begriff er den Taumel nicht, in dem sich selbst wieder zu finden alle Bemühungen fruchtlos schienen! Der erste Seufzer entstieg dieser lebenskräftigen Brust, voll Sehnsucht suchte er den Freund, aber beiden Prinzen hatte ihr hoher Rang an der Seite der höchsten Schönheit einen Platz verschafft, und Buckingham stand mit übermüthigem Lächeln und blickte auf den Triumph, den unbewußt die Schwester ihm erringen half. Der Platz neben der jungen Gräfin von Bristol blieb unberührt von Robert von Derbery. Er war und blieb im Saale, der diesen Zauber in sich schloß, aber er war unfähig zu einem Worte, ja, er sah die Gräfin kaum, die seltsam bleich und verändert den kühnen Annäherungen Buckinghams ein so hingebendes zerstreutes Wesen entgegensetzte, daß er weiter, wie je, gekommen zu sein schien[18] und doch unzufriedener, als sonst, aus ihrer Nähe schied. Als Robert von Derbery den Prinzen nach seinen Zimmern begleitet hatte und das Gefolge bis auf ihn entlassen war, blickten die Jünglinge zuerst sich an, und stumm und heftig sanken sie einander in die Arme! Da fühlte Carl heiße Thränen an seinen Wangen, erschrocken richtete er den Freund in die Höhe und sah fragend in das glühende schöne Gesicht seines Robert. Stumm blickten sie sich eng umschlossen an, und leise öffnete der Graf die Lippen. Das Geständniß, was seine vom Himmelsglanz der Liebe strahlenden Augen verkündigten, sollte ihnen entgleiten, als Carl zum Tode erbleichend sich aus seinen Armen riß und mit fürchterlicher Heftigkeit abwehrend, die Hand nach ihm ausstreckend, ihm fast mit Entsetzen zurief: Schweig! Um Gottes willen, schweig! Kein Wort! Beim Himmel und der Erde, kein Wort! – Starr blieben sie so stehn, alles Leben schien von Beiden gewichen, bis Robert, über den Zustand Carls von zärtlicher Angst ergriffen, seine kalten Hände faßte und an seinem glühenden Gesicht, an seinem treuen Herzen sie zu erwärmen strebte. Doch Carl lag jetzt still und wortlos an des Freundes Brust, seine Augen waren tief zu Boden gesenkt; doch Beide, von Gefühlen überwältigt, sprachen kein Wort, bis schüchtern Porter, der Kammerdiener des Prinzen, die Thüre öffnete. Der Prinz kannte dies demüthige Zeichen, womit der treue Diener oft die langen Nachtwachen des Prinzen zu unterbrechen suchte; er folgte auch dies Mal sanft, wie ein geduldiges Kind. Ohne einen Blick auf Robert zu wenden, drückte er ihm die Hand, und mit kaum vernehmlicher Stimme sagte er ihm: Bleib mir getreu! Bis in den Tod! rief der Graf und beugte ehrfurchtsvoll sein Knie, indem er die geliebte Hand an seine Lippen drückte. Der Prinz entrieß sie ihm, preßte sie mit Heftigkeit an seine Augen und war verschwunden.[19]

So lange der Hof Zeit behielt, war man damit beschäftigt, die beiden schönsten Damen des Hofes, die Gräfinnen von Bristol und von Buckingham, zu vermählen. Am nächsten hierzu schienen wieder die jungen Grafen von Drebery, der Herzog von Buckingham und noch einige minder wichtige Herren des Hafes. Aber wie dies einzurichten war, blieb ein weites Feld für die verschiedensten Muthmaßungen. Buckingham bewarb sich mit größter Zuversicht um die Gräfin von Bristol, und Niemand wagte an seinem Gelingen zu zweifeln, besonders da sein mächtigster Rival, Robert, Graf von Derbery, seit dem Erscheinen der Gräfin von Buckingham verloren schien für die übrige Welt. Ohne sich ihr bestimmt zu nähern, schien er doch in ihrer Nähe nur Luft und Nahrung einzuathmen. Ein Wort aus ihrem holden Munde, ein Blick aus ihren himmlischen Augen, die stets so ernst und freudlos umherschauten, schien Kraft und Leben in ihm hervorzurufen; und wandte sie sich von ihm, brach er zusammen, als ob sie alle Kraft mit sich hinweg geführt. Er war so kindlich, so ohne Arg seinen Gefühlen hingegeben, daß er keine Ahnung davon hatte, wie kein Wesen bei Hofe lebe, das dies Gefühl nicht längst erkannt. Er sah weder die ernsten Blicke des Grafen von Bristol, noch hörte er die sanften Mahnungen seines geliebten Vaters. Seine Mutter berührte vergeblich mit zarter Frauenart die früheren Wünsche der Familie in Hinsicht seiner Vermählung. Mit sanftem Lächeln hörte er sie ruhig an, er verweigerte nicht, er gewährte nicht. Er schaute so rührend freundlich und doch so tief traurig in ihre Augen, daß ihr das Mutterherz zu brechen drohte, und wenn er sie verließ, wußte sie nicht, ob er sie nur gehört habe. Schon oft waren die Freunde zusammen getreten, sie hatten es gewagt, sich das Scheitern ihrer Hoffnungen zu gestehen, sie liebten beide den bezauberten Jüngling väterlich, und ein zartes Mitleiden mit seinem Zustande, den die wunderbar anziehende[20] Erscheinung selbst bei den ältesten Männern zu rechtfertigen schien, nahm ihrem Unwillen seine Schärfe. Die junge Gräfin von Bristol blieb dagegen Allen undurchdringlich. Mit derselben Würde erschien sie jeden Tag in dem ausgesuchtesten Schmucke, mit der Behauptung einer völlig gleichen Laune, bei Hofe. Sie war besonnen und geistreich, ohne Heiterkeit oder Witz zu besitzen; sie war prächtig, und ihre Stirn und der hohe, kalte Blick ihrer Augen wie zu einem Diadem geschaffen. Die blühende Fülle der Jugend, die sie vom Lande mitgebracht, und die ihrer Schönheit fast hinderlich war, hatte in der Stadt und von den endlosen Lustbarkeiten, denen sie wie einer Pflicht sich willig unterzog, gelitten, ihren Wangen war das glühende Licht entschwunden und ihrer Taille der volle Umfang; sie war nur noch schöner dadurch, und Buckingham schwur tausend Mal, sie überstrahle seine Schwester, wie die Sonne den Mond!

Wenige nur theilten diese Meinung. Man kaufte sich mit der Anerkennung ihrer seltenen Schönheit los, um sich an der Gräfin von Buckingham mit allen Entzückungen der Liebe und Bewunderung zu sättigen. Aber man frug sich, warum diese himmlischen Wangen so bleich sahen, warum diese tiefen seelenvollen Augen so melankolisch blickten, dieser süße Mund so selten lächelte, da doch aus diesem Lächeln der Wohllaut eines innern Himmels hervor zu brechen schien. Ihre hohe vollkommene Gestalt, ihre Bewegungen, das einfachste Wort, was von ihren Lippen mit sanftem Tone drang, es schien so ganz anders, wie alles Uebrige; und wenn die holdeste Demuth wie bittend aus ihr sprach, schien sie die Königin aller Gedanken, die Beherrscherin der Gefühle und Meinungen. Sie war der Liebling der Königin. Der König lächelte bei ihrem Erscheinen und sah ihr durch die langen Reihen nach. Man vermuthete, er hätte sie gern angeredet, hätte er je verstanden, einer Frau sich zu nähern; aber er freute sich unter seltsamen Bewegungen des Gesichts und[21] der Hände, wenn man sie rühmte, und rief oft, sein inneres Vergnügen dem Liebling zuwendend: Stenie macht mir immer Freude! Sie gleicht ihm, setzte er hinzu; doch schnell sich besinnend sagte er: Nein, nein, sie gleicht einer Andern! Er meinte damit unfehlbar das Bild seiner Mutter, vor welches er den Herzog von Buckingham geführt hatte, in der Absicht etwas zu sagen, aber sein geheimer und großer Stolz hielt ihn doch ab, diese Aehnlichkeit auszusprechen, und so schwieg der ganze Hof.

Um diese Zeit fing Heinrich, Prinz von Wales, an zu kränkeln. Graf Archimbald verließ sein Lager nicht; Carl, der seinen Bruder zärtlich liebte, erschien nicht mehr bei Hofe, und Robert, von Freund und Bruder verlassen, kannte keinen andern Platz, als den an der Seite der jungen Gräfin. Für alle übrige Beobachtung verloren, gewahrte er doch mit dem klaren Blick der Liebe ihre zunehmende Schwermuth, unter der sie fast zu erliegen schien, und das ängstlich sorgsame Betragen der alten Gräfin, die mit den holdesten Worten mütterlicher Liebe die offenbar Leidende zu erhalten bemüht war. Da trat der Augenblick ein, der England seiner stolzesten Hoffnungen beraubte. Heinrich, Prinz von Wales, endete sein schönes, viel versprechendes Leben in den Armen seines verzweifelnden Bruders. Robert hatte in dieser schrecklichen Nacht zu den Füßen seines Carls gewacht, der in halbem Wahnsinne das Leben seines Bruders erhalten wissen wollte. Männlich fest, obwohl vom Schmerz und der langen Pflege geisterbleich, stand Archimbald in diesem Sturme. Er bereitete Jakob auf den Augenblick vor, er rief die Königin an das Sterbebette seines königlichen Freundes, und als Heinrichs letzter Seufzer sanft seinen edlen Geist entfesselte, sank er an seinem Lager nieder, verhüllte sein Gesicht in die kalte geliebte Hand und stand bald auf, Andere zu unterstützen. Den unglücklichen Carl trug man leblos von der Leiche[22] seines Bruders. Sein zerstörender Schmerz zog den Jammer der königlichen Eltern von ihrem Verluste zu ihrem jetzt einzigen Sohne, den sie in ähnlicher Gefahr wähnten. Doch Carl hatte sich erholt, er riß sich von seinem Lager auf, als seine königlichen Eltern eintraten, er sank von Thränen überströmt zu ihren Füßen, und als sie ihn laut jammernd segneten, rief er gepreßt, als ob ihm das Leben mit diesen Worten entströmte: Ja, ich weihe mich zu dem fürchterlich erkauften Range Eures einzigen Sohnes! Hier sank sein Kopf auf den Boden, und nur der Angstruf Jakobs: Rettet meinen Sohn, rettet meinen letzten Prinzen! – Er stirbt! – riß ihn vom Boden empor und gab ihm Kraft, so lange zu stehen, bis der Arzt das bekümmerte Paar entfernte, dem Prinzen Ruhe empfehlend. Ohne Widerstand ließ sich Carl auf sein Lager zurückführen, er schien die Lippen öffnen zu wollen, aber vergeblich, er schloß sie wieder. So lag er halb träumend, halb wachend eine qualvolle lange Nacht; so öffnete er die Augen, unruhig suchend erreichte sein Blick den Grafen von Derbery, der an seinem Lager mit zärtlicher Angst ihn hütete. Er winkte ihn näher und wies mit einer Bewegung die Uebrigen an, zurück zu treten. Lange blickte er den Liebling an, prüfend, denkend, und endlich sagte er ihm leise einige Worte, die ihn bald darauf aus dem Krankenzimmer führten. Doch wer den jungen Grafen durch die Vorsäle gehen sah, bleich wie der Tod, mit geisterstieren Augen, weder Grußerwiedernd, noch gebend, der glaubte, der Tod habe mit riesiger Kraft auch diese blühende Jünglingsgestalt ergriffen.

Der nunmehrige Prinz von Wales, der nachmals so unglückliche Carl der Erste, hatte sich bald erholt; er fühlte, daß er um seiner Eltern willen seinem Schmerze gebieten mußte. Zwar schien Jugend und Heiterkeit von ihm gewichen, aber er stand wie ein Mann nunmehr dem Könige, seinem Vater,[23] zur Seite. Das Einzige, was seine innere Erweichung verrieth, war seine erhöhte Liebe zu den Eltern, zu den Freunden. Niemals schien seine Seele inniger an Robert zu hängen, als jetzt; aber der Graf blieb Allen ein Räthsel. Nachdem die tiefste Trauer vorüber war, bat er den Grafen von Bristol feierlich um die Hand seiner Tochter. Zurückgekehrt zu der festen Ruhe und Sicherheit, die ihn früher über Alle erhoben, schien die Zeit seiner Leidenschaftlichkeit vorüber. Er bat den Grafen um eine Unterredung mit seiner Tochter. Zu ihren Füßen und mit heißen Thränen hatte er lange zu ihr gesprochen; er brachte den entzückten Eltern ihr Jawort, und blieb von dem Augenblicke der aufmerksamste und freundlichste Verlobte der stolzen, so schnell versöhnten Gräfin. In wenigen Stunden eilten die Väter zum Könige, um seine Erlaubniß bittend. Verlegen und erstaunt rief Jakob: Meine Lords, was thut Ihr, ich glaubte, Stenie wollte Eure Gräfin heirathen! Der Herzog hatte sich nicht erklärt, und als dies Jakob hörte, ward er heiter, gab sein Wort, rühmte die Verlobten und überließ sich seiner ganzen Gutmüthigkeit.

So einfach die Sache sich gelöst, so wunderlich lauteten doch manche nicht zu verhehlende Nebenumstände. Robert hatte an seinem Verlobungstage eine heftige Scene mit dem Prinzen von Wales. Der Prinz war von den flehendsten Bitten zur höchsten Wuth übergegangen; man hatte von Befehlen, von Arrestgeben gehört, bis endlich eine lange Stille das Fernere der Beobachtung entzogen hatte. Als sie sich trennten und Beide Arm in Arm in dem Vorsaale erschienen, trugen sie wohl noch den Ausdruck heftiger Gemüthsbewegung im Gesicht, aber zugleich den der Versöhnung. Hier erschien unangemeldet Buckingham, und nach einigen wüthenden Worten gegen den Grafen, die Niemand verstand, befahl der Prinz der Dienerschaft, sich zu entfernen. Doch der heftig geführte Streit, der sich nun erhob, schien alle Grenzen zu übersteigen. Man hörte Buckinghams[24] Stimme, wie die eines Wahnsinnigen, und wenn die Worte dem Ohre unzugänglich blieben, mußte es Augen gegeben haben, welche zu sehen wähnten, er habe die Hand gegen den Prinzen drohend erhoben, Robert habe ihn mit Riesenkraft ergriffen, gegen die Thür gedrängt, während der Prinz nach Wache schrie und den Herzog verhaften lassen wollte. Doch dies hinderte der Graf ebenso, und Buckingham, der etwas zur Besinnung gekommen zu sein schien, stürzte mit wüthenden, unverständlichen Drohungen aus den Gemächern des Prinzen. Nach einem augenblicklich darauf erfolgten Besuche des Prinzen beim Könige erhielt Buckingham Befehl, auf seine Güter zu gehen. Doch zur selben Zeit verließ der Graf von Derbery in Begleitung seines Bruders auf vierundzwanzig Stunden London. Als er zurück kam, hatte ein unruhiges Pferd ihn geschleift und seinen Arm verwundet; es liefen darüber indeß einige andere Vermuthungen. Die Gräfin von Buckingham hatte ihre Abschieds-Audienz bei der Königin. Sie ward mit großer Huld entlassen, aber die junge Gräfin war noch blässer, ihr Auge trübe und ihre Schritte wankend. Als sie, aus den Zimmern der Königin kommend, an dem Grafen von Derbery vorüber ging und ihn achtungsvoll zum Abschiede grüßte, sah die Gräfin Bristol schüchtern zu ihrem Verlobten hin; aber sein bewegtes Gesicht senkte sich, um den Gruß der Gräfin zu erwiedern, als ob eine gekrönte Fürstin an ihm vorüber ginge. Schmerzlich ruhte das Auge der Scheidenden auf diesem Gruße, und sie schwebte hinweg, um nie wieder die prachtvollen Säle von Whitehall zu betreten, in denen sie der Mittelpunkt alles Schönen und Vollkommenen gewesen war.

Bald darauf ward die Vermählung des jungen Grafen vollzogen, und da Beide nichts lebhafter wünschten, als den Hof zu verlassen, an welchem sie sich gestehn mußten, ein Gegenstand des Erstaunens und der Beobachtung geworden zu sein, gingen[25] sie sogleich nach Godwie-Castle, während der Herzog von Nottingham in London verblieb, um sich zu seiner großen Sendung nach Spanien vorzubereiten, wohin seine Gemahlin und Graf Archimbald ihn begleiteten.

Man sagte, die Trennung des Grafen von Derbery vom Prinzen Carl sei von Seiten des Prinzen eine Scene des leidenschaftlichsten Schmerzes gewesen. Er verließ einen Tag vor der Hochzeit London und sah die Gräfin erst später als Frau seines Freundes wieder. Wenige Tage nach ihrer Abreise kehrte er zurück, aber in eine für ihn ausgestorbene Welt, und der Ernst, der seine Stirn umhüllte, ging fast in Melancholie über. Dessenungeachtet war seine erste Handlung, den König um die Zurückberufung des Herzogs von Buckingham zu bitten, weil er wohl wußte, wie schwer Jakob sich zu einer solchen Demüthigung seines Lieblings entschlossen hatte; und die Freude, die Jakob bei dieser Bitte zeigte, gab dem Prinzen die traurige Gewißheit, wie der König die gröbsten Beleidigungen gegen seinen Sohn eher vergessen, als den übermüthigen Liebling entbehren könne. Nie erfuhr ein Mensch den Grund dieser wüthenden Scene. Gewiß war es, daß die junge Gräfin von Buckingham an dem Tage der Verlobung des Grafen von Derbery den Grafen von Carlisle ausgeschlagen hatte. Auf ungestüme Befehle ihrer Brüder, des Herzogs und des Grafen Buckingham, diesen Antrag anzunehmen, hatte sie bestimmt erklärt, sich nie vermählen zu wollen. Sie fügte hinzu, ihre Gesundheit habe gelitten und sie wünsche mit ihrer Mutter das Schloß zu bewohnen, das der König derselben in Buckingham verliehen, und das sie nie mehr zu verlassen gedächte. Dies Schloß lag höchst einsam an einem kleinen Flecken, von Wäldern umgeben, und obwohl es der Gräfin ein bedeutendes Einkommen gewährte, schien es doch zu einsam und düster, um je von einem Mitgliede dieser glänzenden Familie bewohnt zu werden. Die Brüder erstarrten daher[26] vor Erstaunen und Wuth über den Entschluß einer Schwester, deren kurze Erscheinung sehr ehrgeizige Pläne, auf den ihr so verschwenderisch zu Theil gewordenen Beifall gegründet, hinreichend gerechtfertigt hatte. Sie hielt die empörendsten Vorwürfe und Beschimpfungen aus, ohne sie abzulehnen oder zu erwiedern; als jedoch der Herzog mit dem bittersten Hohne ihr die unglückliche Liebe zum Grafen Derbery vorwarf und wie er sie verlassen, um einer Andern willen, gab sie bei diesen Worten den ersten Schmerzenslaut von sich, und als der Herzog, von der Erinnerung seines eigenen Verlustes noch höher gesteigert, mit rasender Wuth Gott zum Zeugen anrief, sich an dem Grafen rächen zu wollen, sank sie mit dem Ausbruche der Verzweiflung zu seinen Füßen und bat ihn unter Strömen von Thränen, dies nicht über sie zu verhängen. Doch der Wüthende schien seine gekränkte Eitelkeit bis zu Mißhandlungen getrieben zu haben; man fand die Gräfin blutend am Boden, und ihre Mutter hatte dem Herzoge gedroht, sich unter den Schutz des Königs zu stellen.

So glaubte also die Welt, daß der Streit beim Prinzen eine Fortsetzung dieser Scene gewesen war, und daß des Herzogs Verbannung der unglücklichen Mutter zu Hülfe kam, um mit ihrer Tochter unangefochten den Hof verlassen zu können.

Buckingham kam stolzer zurück, als er gegangen war. Der Prinz schien ihn nie zu sehn, doch vermied er mit fast ängstlicher Sorge jede Störung des Friedens; auch dies konnte man kaum vom Herzoge sagen, und die größte Mäßigung des Prinzen mußte oft sich den Anmaßungen Buckinghams entgegenstellen, um den äußeren Anstand zu behaupten, den der Prinz von sich und seinen Anhängern forderte.

Erst nach Verlauf mehrerer Jahre, als dem nunmehrigen Herzog von Nottingham, der ein Jahr früher seinen Vater verloren hatte, das dritte Kind, nach zweien Söhnen die erste[27] Tochter, geboren ward, sah Carl seinen Freund in Godwie-Castle wieder. Die Trennung hatte beide nicht entfremdet, sie blieben in stetem Briefwechsel, und es war um so auffallender, daß der Prinz erst so spät den Wunsch seines Freundes, ihn in Godwie-Castle zu besuchen, erfüllt hatte. Die Herzogin hatte stets unter einer Art von Ehrerbietung die Kälte verborgen, mit der sie das Verhältniß des Prinzen zu ihrem Gemahl erfüllte. Sie hatte sich beleidigt gefühlt durch die Art, wie der Prinz sich bei ihrer Vermählung betragen hatte, und die sie für Mißbilligung der Wahl ihres Gemahls nahm, was ihr stolzes Herz nicht glaubte vergessen zu dürfen.

Aber der Augenblick, den der Prinz erwählt, sie wiederzusehen, war ein sehr glücklicher. Eine Tochter ruhte an ihrem Herzen, und rief alle Milde und Güte desselben ins Leben. Sie trat dem Prinzen mit ihren beiden schönen Knaben entgegen, eine Dienerin trug das holde Mägdlein ihr nach; ihre Augen strahlten von Glück und Freude, sie wollte sich dem Prinzen so glänzend zeigen, als sie konnte; nie war über ihre fast unveränderte Schönheit ein höherer Reiz verbreitet gewesen. Der Prinz betrachtete sie fast mit Erstaunen, und was er ihr dann sagte, trug den Ausdruck einer Huldigung und Freude, wogegen die stolze Frau nicht gleichgültig blieb. Doch von ihr weg eilte er, noch ein Mal den Herzog zu umarmen, und mit Thränen in den Augen rief er: Dem Himmel sei Dank, Du bist glücklich! Dies war der Herzog wirklich geworden, und hatte es eben so sehr seinen eigenen Tugenden, als denen seiner Gemahlin zu danken. Die leidenschaftliche Liebe, welche sie hinzufügte, ward auch von ihm herzlich erwiedert. Von dieser Zeit sahen sich der Prinz und der Herzog öfter, doch selten in Godwie-Castle. Der Prinz bestimmte dem Herzog irgend eines von den vertheilt liegenden königlichen Schlössern, wo sie stets mehrere Tage ohne alles Gefolge mit einander blieben.[28]

Wir übergehen hier eine Reihe von Jahren, die nur eine stille Vorbereitung der Epoche sind, über welche wir unsere Mittheilungen zu machen haben, und indem wir uns zu dem Frühlingsabende zurück wenden, der mit seiner schönen Beleuchtung die anmuthige Gegend von Godwie-Castle so wunderbar verklärte, betrachten wir das bis hieher Gesagte als den Hintergrund der folgenden Erzählung, als die nothwendige Erwähnung von Familienverhältnissen, in die wir uns leichter auf diese Weise zu finden wissen werden.
[29]

Wie schön auch Natur und Kunst den Raum geschmückt hatten, wie sehr er zum Glück und zu allen Genüssen des Lebens einzuladen schien, die Menschengestalten in dieser fröhlichen Außenwelt entsprachen solcher Hoffnung für den Augenblick nicht.

Eine Dame in der tiefsten Wittwen-Trauer der höheren Stände, von zweien Pagen in ehrerbietigster Ferne begleitet, die durch ihre schwarzen Kleider und wehenden Schulterblätter, welche die Farben des Hauses Nottingham, die Trauer über einen diese Familie betroffenen Verlust anzeigten, schritt langsam einher an dem Rande der großen Schloßterrasse. Wer hätte in der gebeugten Gestalt der Trauernden die einst so glänzende Gräfin von Bristol erkannt? Ihr Auge ruhete am Boden, und die Welt schien ihr versunken; ihr Gesicht blickte aus den tiefen schwarzen Verhüllungen mit der Bleiche des Marmors, und obgleich noch immer ihre Gestalt sich in einer besonderen Würde zeigte, ruhte doch ihr Kopf gebeugt auf dem tief athmenden Busen, und sie erhob ihn nur, um die schwermüthigen Blicke nach den großen Hallen des Schlosses zu wenden, die durch ihre goldenen Gitter die schwarz verkleideten Wände sehen ließen, und das trübe Licht der hohen Kerzen, die den Katafalk umgaben, der zunächst der Kapelle in der letzten Fürstenhalle errichtet war. Ein Katafalk, ohne die geliebte Leiche in sich zu fassen! Welch' ein Schmerz für das Herz der zärtlichen Gattin, der es nicht vergönnt ward, die freundlichen Augen zuzudrücken, die ihrem Leben geleuchtet. Der Herzog war in Spanien gestorben, wohin er sich mit seinem ältesten Sohne begeben hatte, und wo[30] damals sein Schwiegervater, der Graf von Bristol, um eine spanische Infantin für den Prinzen von Wales unterhandelte. Die Kunde seines Todes hatte die Herzogin schon vor einem Monat erreicht, und heute erwartete sie den geliebten Sohn und die theure Leiche, welche nur langsam den weiten Weg zurück zu legen vermochten. Mit welcher Empfindung, mit welcher Sehnsucht sah die unglückliche Gattin diesem Moment entgegen, welcher der letzte Trost ihres gebeugten Herzens schien.

Jeder andre, den die starke und fromme Frau finden zu müssen schien, war zurückgedrängt von dem zehrenden Verlangen, seine letzten Ueberreste zu besitzen.

Ja, sie schien gar nichts früher von sich zu fordern und blieb jedem Worte verschlossen. Darum richtete sie so oft die thränenlosen Augen nach dem Schlosse, weil sie jeden Augenblick hoffte, die mit Trauergestalten angefüllten Hallen würden sich öffnen und ihr den ersehnten Anblick zeigen. Noch ein Wesen folgte ungestört und so nah, daß es ihre Gewänder berührte, der trauernden Witwe; es war Gaston, der Lieblingshund und treue Begleiter des Herzogs, der nur dies Mal von der weiten Reise hatte zurückbleiben müssen. Er war eine von den schönsten Doggen des Königreiches, von ungewöhnlicher Größe und Schönheit des Körpers, und von einem rührend treuen Karakter. Seit die Herzogin in Schmerz und Trauer gehüllt war, hatte er seinen Platz in der Vorhalle verlassen und war nicht mehr von ihr zu entfernen.

Ernst und gravitätisch schritt er jetzt dicht neben ihr, mit so traurig gesenkten Ohren, so ohne allen Antheil für seine sonstige Lust in Garten und Wald, daß der Gedanke nicht abzuweisen war, er wisse, was auch ihn betroffen.

Es hatte etwas tief Rührendes, ihn zu sehen, wie zur Wache seiner trauernden Herrin bestellt. Am Ende der Terrasse, und so oft die Leidtragende still stand, setzte auch er sich dicht[31] vor sie hin und blickte sie an, als wollten die ehrlichen traurigen Augen Thränen weinen; schritt sie weiter, ohne ihn zu sehn, raffte er sich sogleich auf und schritt ihr in gleicher Ordnung nach. Um so auffallender war sein Betragen, als die Herzogin sich jetzt noch ein Mal dem Ende der Terrasse nach der Waldseite zu näherte und ruhend einen Augenblick an einen Sitz gelehnt blieb. Plötzlich unruhig werdend und die Herzogin verlassend schien er irgend etwas zu suchen, was ihm sein feiner Instinkt andeutete, jeden Platz um seine Gebieterin durchsuchend verschwand er plötzlich hinter der Brüstung der Terrasse nach der Treppe zu, welche in den Waldgrund führte. Bald hörte man sein wohlbekanntes lautes Anschlagen und darauf ein langes Geheul. Er sprang mit solcher Gewalt über die Terrasse zurück, daß die Herzogin, selbst davon erschreckt, aus ihrem starren Nachdenken gerissen ward. Er stürzte auf sie hin, bellte heftig, und indem er ein lautes Geheul ausstieß und mehrere Mal an ihr in die Höhe sprang, kehrte er eben so schnell zurück, um wieder an der Treppe zu verschwinden. Einen Augenblick nur hatte der Ungestüm dieses geliebten Thieres ihre traurigen Gedanken unterbrechen können. Langsam wandte sie sich zurück, als Gaston aufs Neue herbeistürzte, ihr fast den Weg vertrat, immer wieder mit lautem Geheul der Treppe zu fliegend, immer wieder umkehrend, und, als die Herzogin dennoch weiter gehen wollte, dies zu verhindern fest entschlossen schien, indem er ihr Gewand zwischen die Zähne nahm, um sie nach der Treppe hinzuziehen. So ungestüm aus sich herausgerissen, und von einem so treuen Gefährten ihres Gemahls, ward die Herzogin jetzt aufmerksam und bemerkte, daß Gaston am ganzen Leibe zitterte und den Wunsch zu erkennen gab, daß sie ihn begleiten möge. Dies erkennen und ihm sanft folgen, war eins, und nun erhob Gaston ein Freudengebell, stürzte nach der Treppe zu, stellte sich ruhig harrend hin, bis sie sich näherte, und schritt vor ihr[32] her die Stufen hinab. Eben blieb die Herzogin zweifelnd stehen, ungewiß, ob sie ihm weiter folgen solle, als mit dem ersten Schritt auf der Treppe sich ein Anblick ihr zeigte, der augenblicklich die ganze Stimmung der edlen Frau veränderte und ihre Aufmerksamkeit völlig in Anspruch nahm. In dem Ausrufe: O Gaston! verrieth sich das ganze Gefühl, welches die jetzt unverkennbare gute Absicht des klugen Thieres ihr einflößte. Sie schritt schnell einige Stufen weiter und befand sich jetzt vor einer weiblichen Gestalt, die, auf dem Gesicht liegend, die Arme weit vor sich hingestreckt, entweder todt oder ohnmächtig war.

Schnell überblickte sie, ob äußere Zeichen der Verletzung sich zeigten, und gewahrte, wie Gaston angstvoll um den Gegenstand seiner Sorge hertrat und sich nach dem Kopfe zu, unter das lange dichte braune Haar, drängte, dann zurück sprang und den mit Blut überzogenen Kopf zur Herzogin aufhob. Dies entriß der erschütterten Frau den ersten Schreckensruf, und ihre Diener, die nicht gewagt hatten, ungerufen herbei zu kommen, obwohl Gastons Betragen und das Verschwinden der Herzogin von der Terrasse sie besorgt näher geführt hatte, stürzten jetzt schnell herbei. Sie fanden die Herzogin, dem Umsinken nahe, an die Wand der Terrasse gelehnt und vor ihr Gaston mit dem Gegenstand seiner Sorge.

Die ehrerbietige Scheu zügelte das Erstaunen der Herbeigeeilten, und als die Herzogin mit der Kraft eines schönen Gefühls für Menschlichkeit sich erhob, eilten sie blos stumm ihre Befehle zu erfüllen. Die Unglückliche lag nämlich, durch ihren wahrscheinlichen Fall beim Erklimmen der Stufen, so am Rande des tiefen und steilen Waldgrundes, an dem die Treppe hinaufführte, daß die leiseste Bewegung sie hinabstürzen konnte, ja, es war zu glauben, daß Gaston durch Versuche, die Gestalt hinaufzuziehen, die Lage noch verschlimmert hatte, da der Boden[33] am Waldabhange frisch von seinen Pfoten unterwühlt schien, und das Gewand von dem linken Oberarm zurückgerissen und mit frischer Erde bedeckt war. Als aber die Diener sich näherten, die Gestalt vom Boden zu erheben, ergriff die Herzogin ein unaussprechliches Gefühl von Abneigung, die weibliche, offenbar junge und zarte Gestalt von Männern berühren zu lassen, sie winkte sie zurück und befahl, nach Mistreß Morton und ihren Frauen zu senden, den Doktor Stanloff zu rufen und eine bequeme Bahre an den Fuß der Terrasse zu bringen. Sie selbst blieb wie gefesselt vor dem Wesen stehn, von dem es zweifelhaft blieb, ob es noch zu den lebenden gehöre. Einige bange einsame Augenblicke ließen die Herzogin Entdeckungen machen, die ihr Interesse erhöhten. Obwohl nichts von der Gestalt zu sehen war, als Arme und Hände und eine Fülle des schönsten braunen Haares, das wie ein Mantel über sie ausgebreitet war, so ließen sich doch darunter lange schwarze Trauerkleider in dem Schnitt der vornehmeren Stände wahrnehmen, und die Arme und Hände, die vor den Füßen der Herzogin ausgestreckt lagen, waren, neben der zartesten Jugend, von einer so außerordentlichen Schönheit, daß die Herzogin sich gestehen mußte, nie etwas Vollkommeneres gesehen zu haben. Was aber ihr peinliches Erstaunen noch erhöhte, war, daß wahrscheinlich Gastons Bemühung an dem obern Theil des linken Armes ein Armband halb enthüllt hatte, welches in einer bedeutenden Breite von den prachtvollsten Juwelen an einander gereiht war. Jetzt nahte die ersehnte Hülfe. Mortons sanfte Stimme ließ sich hören, und die Herzogin streckte ihr, voll Schmerz, die Hände entgegen. O Morton! Morton! rief sie, was geschah hier? Welch' ein Unglück, welch' ein Verbrechen, vielleicht im Bereiche des Schlosses! Laß sie sanft anfassen, aber nur von Deinen Frauen. Wo ist Stanloff, daß er mir sage, ob sie lebt oder hier ohne Hülfe verscheiden mußte? – Mistreß Morton sah fast noch mit[34] größerer Bewegung, als der weisen und erfahrenen Frau das sonderbare Ereigniß abnöthigen konnte, die wohlthätige Einwirkung, welche die Stimmung ihrer Gebieterin erlitten; denn von sich selber abgelenkt schien ihr Herz in den Gefühlen der Menschlichkeit und der Theilnahme ganz aufgelöst, und Thränen, die das Uebermaaß ihres eigenen Grames bisher zurück gehalten hatte, flossen wohlthuend, durch ein fremdes Leiden hervorgerufen. Mortons sanfte Worte suchten ihre Gebieterin zu beruhigen, und während die Kammerfrauen ihren Winken folgten, führte sie die Herzogin zur Terrasse zurück. Doch weiter ging ihre Ueberredung nicht; denn sie wollte selbst sehen, ob nichts versäumt werde, und an die Brustwehr der Terrasse gelehnt, blickte sie mit höchster Unruhe hinab und sah, wie Gaston sich zu den Füßen der Unglücklichen niedergelegt hatte, und ihre nackten mit blutenden Wunden bedeckten Sohlen sorgsam nach allen Seiten hin mit seiner großen Zunge leckte. O Morton! rief die Herzogin überwältigt, welch' ein Herz in diesem Thiere, welch' ein Beispiel für uns alle! Die Kammerfrauen näherten sich jetzt mit ihrer sorgfältig emporgehobenen Bürde und legten sie sanft auf die bereitstehende Bahre, als Morton, von der Herzogin gesendet, heran trat, um das Haar von dem Gesicht zu entfernen, worauf sich ein vom Tode beschlichenes, aber wunderbar schönes jugendliches Angesicht enthüllte. Sinnend blieb sie, von einer dunkeln Erinnerung ergriffen, stehen, als das ehrerbietige Auseinanderweichen der Diener die Herzogin verkündigte, welche rasch herangetreten war. Morton wandte sich zu ihr, die Haare zurücklegend, und ward von Angst um ihre Gebieterin ergriffen, welche mit allen Zeichen der höchsten Erschütterung zurück schauderte, nachdem sie das bleiche Todtenbild einen Moment betrachtet hatte, und, indem sie fast wild in dem Kreis ihrer Diener umherblickte, mit einer lauten und heftigen Stimme rief: Heiliger Gott! wer ist dieses Weib?[35]

Niemand wußte diese Frage zu beantworten, und Alle standen erschüttert von dem Zustande ihrer Gebieterin, bis Morton, die keine weitern Zeugen wünschte, einen Wink ertheilte, sich mit der Bahre zu entfernen. Einige Augenblicke vergingen im tiefen Schweigen; langsam richtete sich die Herzogin alsdann empor, und als ob alle Spannung aus ihrem Körper gewichen, sagte sie mit matter Stimme: Führe mich, liebe Morton; ach! es ist zu viel, ich bin krank, ich will mich niederlegen. Ach! was geschieht um mich her; wie soll ich leben, wie ausempfinden, was über alles Maaß ist – kannst Du es begreifen? Morton hütete sich wohl, die zerstreute und traurige Gedankenreihe ihrer Gebieterin durch Antworten zu unterbrechen.

Seit der schrecklichen Todesnachricht hatte die Unglückliche bis auf wenige nöthige Befehle kein Wort freiwillig gesprochen, keine Thräne geweint, kein Bedürfniß der Ruhe geäußert, und der treue Doktor Stanloff hatte mit Angst die Entwickelung dieser gänzlichen Erstarrung erwartet. Morton, die seine Besorgnisse getheilt hatte, sah nun mit einem Male diese gefürchtete Katastrophe durch ein sonderbar von Außen kommendes Ereigniß herbeigeführt: ihre geliebte Gebieterin weinte, hatte gesprochen, fühlte selbst das Bedürfniß der Ruhe. Dies schienen alles glückliche Zeichen, und die treue Dienerin empfand eine Freude und einen Trost, wogegen die sonderbare und geheimnißvolle Veranlassung ganz in den Hintergrund trat. Man näherte sich langsam den Schloßhallen, und Morton hätte viel darum gegeben, wenn sie die Herzogin, die sich wankend stützte, durch einen andern Weg nach ihrem Zimmer hätte führen können, denn sie mußte fürchten, daß die schwermüthigen Trauerzurüstungen, welche diese Hallen erfüllten, die unglückliche Frau aufs Neue in ihren trostlosen Zustand versenken würden. Aber es schien etwas anderes tief in der Seele Erwecktes dem heftigen Schmerze der Herzogin das Gleichgewicht zu halten.[36]

Morton fühlte, je näher sie den Hallen kamen, ihren Schritt sich befestigen und beschleunigen, und sie richtete sich mit ihrer gewöhnlichen Strenge empor, als Stanloff am Eingange ihr hastig entgegen schritt, und ihn mit der Hand zurückweisend, sagte sie fest: Wir bedürfen Eurer Hülfe nicht; aber wo waret Ihr, da Ihr so nöthig hattet hier zu sein, um die Ungewißheit über Leben und Tod einer Unglücklichen von uns zu nehmen; die Ungewißheit, sage ich, Gott verhüte es, daß hier in der nächsten Nähe unseres Schlosses ein unerhörtes Verbrechen begangen worden sei. Sie schritt während dessen, Mortons Arm verlassend, fest in den mittlern Saal. Jepson! rief sie und winkte die Hand des Doktors zurück, als er den schwarzen Schleier, der als ein Theil ihrer Bekleidung von den Dienerinnen beim Aufheben abgedeckt und jetzt über sie geschlagen war, zurückziehen wollte, – dieser Ort scheint uns nicht passend für die wichtigen Untersuchungen, ob Leben und Tod obwaltet. Wir wünschen zu diesem Zweck den kunstreichen und erfahrenen Anordnungen unsers Doktors durch eine passende Wohnung zu Hülfe zu kommen, und bestimmen dazu die Zimmer im linken Flügel, welche die Vorzimmer zur Wohnung Seiner Hoheit des Prinzen von Wales ausmachen, und die durch den Kapellenthurm zugleich mit den Zimmern unserer Mistreß Morton verbunden sind, welcher wir, wenn Gott unser Gebet erhört und uns die Gnade gewährt, durch unsere wunderbar herbei geführte Hülfe ein Menschenleben gerettet zu haben, die besondere Pflege und Aufsicht übertragen wollen. – Jepson, der erste Vogt des Schlosses, mit seinem weißen Stabe und ebenso weißen Haupte, hörte, voll Ehrfurcht gebeugt, diese Befehle an, und begab sich alsdann, von der Bahre und mehreren von Morton beorderten Dienerinnen begleitet, nach der Vorhalle des Saales, von wo durch eine verschlossene Gallerie dieser Flügel für außerordentliche Fälle zu erreichen war. Auch Doktor Stanloff wollte sich[37] dahin entfernen, als die Herzogin ihn zurück rief und mit minder fester Stimme hinzufügte: Ich kenne Euch, Doktor, Ihr werdet all' Eure so oft bewährte Kunst, die uns manches theure Haupt erhielt, – ich sage, Ihr werdet diese Kunst auch heute anwenden, so Leben noch zu erwecken ist, und ein so schreckliches, empörendes Unglück, als ein Mord in unserm Bereich sein würde, dadurch vernichten. Sobald ich meine Zimmer erreicht habe, soll Morton Euch beistehen. – Nimm die übrigen Frauen mit Dir, Morton, und sorge vor allen Dingen, daß die Unglückliche geschont, und Alles mit Achtung und ohne Neugierde bei Seite gelegt wird, was sie noch an sich trägt und uns vielleicht, will's Gott, zur Kunde über ihre Angehörigen führen könnte.

Stanloff, der bejahrte treue Diener dieses Hauses, der seiner großen Dienste und seltenen Eigenschaften halber mehr als Freund, denn als Diener angesehen wurde, fühlte wohl das Versöhnende in den Worten der Lady, womit sie schnell zu begütigen suchte, was ihr stolzer und heftiger Sinn nur zu leicht verschuldete, doch nie ungestraft von einem zarten Gewissen und einem edlen Herzen. Dies, was Allen, die sie näher kannten, wohl bewußt war, sicherte ihr einen leichten Sieg über jeden trüb' heraufgeführten Augenblick, und flößte ihren Umgebungen eine Mischung von Furcht und Liebe ein, die sie mit vielem Geiste zu benutzen wußte, und die sie zu einer seltenen Herrschaft über die Gemüther erhob. Doch weniger als je, hatte sie Widerstand in dem sanften milden Herzen Stanloffs zu fürchten, denn er sah mit Freude in seiner geliebten Gebieterin das Gleichgewicht hergestellt, das so furchtbar noch bis vor wenigen Augenblicken zerstört war und ihn für ihr Leben fürchten ließ. Die Heftigkeit, die Ungerechtigkeit ihrer ersten Worte, waren so der natürliche Gang ihrer Außerungen, daß er einsah, ihr ganzes Wesen sei mit dieser Erschütterung in seine Bahn zurückgetreten. Er küßte voll Rührung die dargebotene Hand, wagte es noch[38] ein Mal die oft ertheilten, kaum angehörten, noch weniger befolgten Verordnungen für ihre Gesundheit zu wiederholen, und ging getröstet von dannen.

Sanft wandte die Herzogin sich zu Mistreß Morton und sagte ihr schmerzlich: Bringe mich hier weg, dieser Anblick scheint mich und meine Vernunft vernichten zu wollen. Sie wandte sich von dem Trauersaale ab, wollte sich so eben nach dem Ausgange begeben, als ein ferner Ton, wie ein Horn, an ihr Ohr traf, der nach einem Augenblick des bangen Harrens von einem näheren an der Thorbrücke, sodann zunächst von den Castellthürmen beantwortet wurde und keinen Zweifel ließ über die Ankunft der herzoglichen Leiche. Die Herzogin blieb einen Augenblick wie überwältigt, mit über die Brust gefalteten Händen und gegen die Decke gehobenen Augen stehn. Dann sank sie, wie getroffen, auf ihre Kniee nieder und beugte ihr Haupt wie zum Gebet. In einem Kreise umher kniete ihre noch immer die Halle erfüllende Dienerschaft, und die erhabene Feierlichkeit dieses Augenblicks und die tiefe Stille umher ward nur durch das sanft ausbrechende Schluchzen der Frau unterbrochen.

So fanden die beiden Töchter der Herzogin, die mit ihren Damen herbeieilten, die geliebte Mutter, die bei ihrer Ankunft das thränenbenetzte Gesicht mit schwermüthigem Lächeln zu ihnen aufhob, und sie neben sich nieder winkte. Der weite Weg, den der Zug zu machen hatte, da der erste Ruf des Hornes noch vor der Brücke, nach alter Sitte, Einlaß begehrte, füllte eine lange Zeit. Während er den ersten Hof betrat, erschien Jepson am Eingange der äußeren Halle, um der Herzogin Meldung zu machen. Als er die hohen Gitterthüren öffnete und seine erhabene Gebieterin, von ihren Töchtern und Dienerinnen umgeben, auf den Knieen sah, sank auch er stumm zur Erde und blieb so einige Augenblicke voll Andacht, dann erhob er sich, seines Amtes gedenkend, und den Arm mit dem Stabe vor sich herstreckend[39] begann er mit feierlicher Stimme: Es hat dem allmächtigen Gott in seiner Barmherzigkeit gefallen, den Weg zu beschützen, den der erhabene Sohn und Erbe dieses erlauchten Hauses in der Erfüllung seiner großen und schweren kindlichen Pflichten aus weiter Ferne angetreten, um die sterblichen Ueberreste des durchlauchtigen Herzogs, seines erhabenen Vaters, zu den Hallen seiner Väter zurückzuführen. Vor den Thoren dieses Schlosses harrt er und begehrt voll Demuth gegen seine herzogliche Mutter, unsere erhabene Gebieterin, Einlaß!

Von ihren Knieen sich erhebend, von ihren Töchtern unterstützt, antwortete die Herzogin mit tiefer Stimme: Gott segne seinen Eintritt über die Schwelle seiner Väter!

Sogleich öffneten sich auf einen Wink die äußern Thore und ließen einen Blick thun in den weiten Hof, der mit den schwarzen Gestalten des Zuges überdeckt war.

König Jakob hatte, sowohl der Witwe sein Beileid zu bezeigen, wie auch dem Wunsche seines Ministers sich gnädig zu erweisen, den Oheim des verstorbenen Herzogs, Cecil, Graf von Salisbury, nach Godwie-Castle gesendet, und derselbe war mit seinem großen Gefolge und in der Begleitung der nächsten Verwandten, die alle zum Empfang der Leiche versammelt waren, auf die eingetroffene Nachricht, daß sein Neffe die Grenzen des väterlichen Gebiets überschritten, von Godwie-Castle, wo er den Tag zuvor angekommen, ihm entgegen gegangen, und hatte ihn unterstützt in der sorgfältigen und würdigen Anordnung des Zuges, der von da an bis an die Gemächer des Schlosses mit gleicher Ordnung fortgesetzt ward. Der Sarg ward im ersten Hofe von dem Rüstwagen genommen, auf dem er seinen weiten Weg zurückgelegt, und sechs junge Edelleute trugen ihn auf ihren Schultern. Voran schritt Jepson, den Stab, das Zeichen seiner Würde, vor sich hinhaltend, ihm folgten die höhern Beamten des Schlosses und der ausgedehnten herzoglichen Besitzungen,[40] denen sich das Reisegefolge des Herzogs anschloß, zahlreiche und geprüfte Diener, unter ihnen Sir Eduard Ramsey, der als erster Kämmerer seinen Rang vor Allen hatte.

Dann erschienen die zahlreichen Edelleute der Nachbarschaft, an ihrer Spitze Sir William Ollincroft als vornehmster Edelmann der Grafschaft, zu welcher das herzogliche Geschlecht in einer Art von Oberhoheit stand. Zwölf Pagen, mit den Achselbändern in den Farben des herzoglichen Wappens, gingen zur Seite der jungen Edelleute und trugen die Insignien der herzoglichen Würde nebst den Orden und militärischen Auszeichnungen des Verstorbenen. Ihnen folgten unmittelbar hinter dem Sarge die Verwandten, und an ihrer Spitze Robert, Graf von Derbery, der älteste Sohn und Erbe des herzoglichen Ranges, begleitet von Cecil, Grafen von Salisbury, und gefolgt von den bedeutenden Personen der nächsten Verwandtschaft und einem glänzenden Zuge von Fremden, nebst der vornehmeren und geringeren Dienerschaft aller Anwesenden.

Ein kleiner Raum trennte die Herzogin von den traurigen Ueberresten ihres höchsten Glückes und von dem geliebten Sohne, für dessen Leben und Gesundheit ihre Seele so oft gezagt. Das Uebermaaß ihrer Empfindungen siegte über ihre Schwäche, statt dieselbe, wie ihre Getreuen fürchteten, zu mehren. Als der Geistliche mit seinem Gefolge aus der Kapelle an ihr vorüber ging, den Sarg an der Schwelle einzusegnen, hatte sie Kraft, ihm zu folgen. Fest ergriff sie die Hände ihrer Töchter, und emporgerichtet, als verschmähe sie es, den letzten Pfeilen des Schmerzes die blutende Brust zu entziehn, folgte sie den Dienern der Kirche mit sicherm Schritt. Man hatte den Sarg in der Mitte des Gefolges an der Schwelle harren lassen, den Segen der Kirche zu empfangen; die Herzogin blieb in gemessener Entfernung stehn; in einem Kreise um sie her ihr schwarzgekleidetes Gefolge. Als die Geistlichen auseinander traten und sich der[41] Bahre näherten, erblickte die Mutter zuerst den Sohn, dessen jugendliche Schönheit wie erstarrt schien in der rührenden Blässe eines tiefen Schmerzes; aber sein Auge sandte einen Blick zu ihr hinüber, welcher das Herz erreichte und die ganze Fülle des mütterlichen Gefühls erweckte. Der feierliche Augenblick hinderte jede Annäherung, doch mit welcher Inbrunst beugten die tief Erschütterten auf das gegebene Zeichen das Knie zum Gebet! Wer möchte sagen, es hätte der Worte bedurft, dies Gebet des innersten Herzens Gott verständlich zu machen.

Ehe jetzt der Zug sich nach dem Trauersaal begab, lag Robert zu den Füßen seiner Mutter und empfing ihren Segen, und als sie einen Augenblick lang sich umfaßt hielten, fühlten Beide die unnennbare Größe ihres Verlustes und zugleich den Trost, den die Natur ihnen in einander gewährt hatte. Von Lord Salisbury und ihrem Sohne geleitet, nahm die Herzogin Platz im Trauersaale auf einem erhöhten Sitze, dem Katafalk gegenüber, zu ihren Füßen knieten ihre Töchter, am obern Theile des Sarges ihr Sohn, am untern der Graf von Salisbury. Das übrige Gefolge nahm den weiten Raum umher ein, einen erhöhten Lehnstuhl mit der herzoglichen Krone und Decke freilassend, welcher rechts von dem Sitze der Herzogin noch unbesetzt geblieben war, doch nicht lange. Denn aus dem innern Raume der Kapelle schritt eine Dame hervor, auf zwei Frauen gestützt und von mehreren Pagen gefolgt, bei deren Anblick die Herzogin und ihre Töchter sich sogleich erhoben, und ihr mit allen Zeichen der Ehrerbietung entgegen traten. Sie war im höchsten Alter, schneeweißes Haar umzog das feine weiße Antlitz, auf dem der neue Gram nicht mehr den Frieden hatte stören können, der die geläuterte Seele schon zu einer Bürgerin höherer Welten erhob, wenn ihr Herz auch noch mit Engelsmilde die Leiden der irdisch Bewegten theilte. Es war die Schwester des Grafen Salisbury, die Gräfin von Burleigh und Witwe[42] des Herzogs Robert von Nottingham, die ehrwürdige Mutter des eben verstorbenen Herzogs. Schwer empfand sie es, den Sohn vorangehn zu sehen, aber die Hoffnung, bald mit ihm vereint zu sein, nahm dem Schmerze seine trostlose Schwere, und nur an ihre geliebte Schwiegertochter denkend und an ihre theuern Enkel, verließ sie, trotz der hohen Jahre und der damit verbundenen Schwäche, ihren Witwensitz, durch sanften Zuspruch die Leiden ihrer Geliebten zu mildern. Bis jetzt war es ihr wenig gelungen, auf die unglückliche Gemahlin ihres Sohnes zu wirken, ihr, wie Allen, blieb sie unzugänglich; ja, nachdem sie die Pflichten der Ehrfurcht gegen die ehrwürdige Mutter ihres Gemahls erfüllt hatte, so stumm jedoch, mit so traurig zerstörtem Wesen, als ob nur der Körper sich in gewohnter Ordnung bewegte, war sie mit einer Art ängstlicher Scheu aus ihrer Nähe entflohen. Doch vor dem Sarge ihres Lieblings schien die Mutter wieder in ihre alten Rechte einzutreten, und die wenigen Worte, welche sie mit Thränenerstickter Stimme der ehrwürdigen Frau zurief, zeigten auch ihr, daß die Rinde gesprungen sei, die dies beladene Herz zu ersticken drohte. Die zahlreichen Zeugen geboten dem Zartgefühl beider Frauen sich zu fassen, um die letzten Pflichten für den Entschlafenen mit der Würde erfüllen zu können, die den Frauen dieses Hauses bei den Leichenbegängnissen ihrer Gatten die harte Nothwendigkeit ihrer Gegenwart auferlegte.

Als die alte Herzogin ihren Platz eingenommen und die Witwe zu ihrem Sitze zurückgekehrt, begann der Geistliche nach dem Ritus der hohen bischöflichen Kirche die Einsegnung der Leiche, deren Verhüllung nun gehoben ward, um der Versammlung die wirkliche Ueberzeugung von ihrer Identität zu geben. Von dem kräftigen Geschlecht der Vorahnen her war es hier Gebrauch geblieben, daß die Witwe sich zuerst dem Sarge nahte und, nachdem sie die Leiche angeblickt, die Hand zur Beglaubigung,[43] daß sie wirklich gegenwärtig, empor hob; dasselbe thaten dann sofort die nächsten Verwandten, und der versammelte Adel nahm dies als eine ihm gethane Versicherung auf. Als dieser Moment nahte, sprang der junge Graf von seinen Knieen, auf denen er die ganze Zeit über in tiefer Andacht geblieben, auf, und ehe die Herzogin sich dem Sarge nähern konnte, lag er zu ihren Füßen und schien sie mit der größten Heftigkeit um etwas anzuflehn. Die Anwesenden konnten leicht errathen, daß der besorgte Sohn seiner Mutter einen zu schmerzlichen Anblick ersparen wollte, da der vor vier Wochen erfolgte Tod des Herzogs und der weite Weg, den die Leiche gemacht, trotz allen Vorkehrungen jeden wohlthuenden Zug und Eindruck verlöscht haben mußte. Aber die Herzogin schien unerbittlich, ja, zürnend, und wie ihr Sohn, von Salisbury's Worten unterstützt, ihre Kniee umfaßte, als wollte er mit Gewalt sie hindern, befahl sie ihm aufzustehn. Eine leichte Röthe belebte das blasse Angesicht, und mit vernehmlicher Stimme sprach sie wie unwillig: Hältst Du mich für schwächer, als die edlen Frauen, die vor mir diesen Gang gethan? Trostlos erhob sich der junge Mann, und sein Blick richtete sich, wie nach der letzten Hülfe, zu seiner Großmutter empor. Aber diese schien dies Mal nicht sie geben zu wollen, ihr feines weibliches Gefühl sagte ihr, die Herzogin würde hier sich nicht zurück ziehn. Diese Pflicht, wozu das sehnsüchtige Herz sie trieb, diese Pflicht, die sie in der Gegenwart ihrer Verwandten, Befreundeten und Untergebenen erfüllen sollte, konnte sie nicht unterlassen, ohne eine Schwäche zu zeigen, die der Würde und Seelenstärke widersprochen hätte, die ihren Karakter und ihren Ruf in der Welt bezeichnete. In ihren theilnehmenden, aber klaren Blicken lag das Vertrauen zu ihrer Schwiegertochter: auch sie würde das mit Würde vollziehen, was sie selbst und vor ihr so Viele an dieser Stelle vollzogen hatten.[44]

Sie irrte sich auch nicht, und der zärtliche Sohn hatte, ohne es zu ahnen, durch seinen Widerstand eine neue Stütze ihr gewährt; ihr Stolz war erwacht, und ein leichter Unwille über die scheinbare Störung der so wichtig erachteten Trauerceremonien gab ihr die Kraft, ihre Erweichung zu besiegen. Sie winkte ihren Sohn und den Grafen von Salisbury zurück, und näherte sich mit langsamen, würdevollen Schritten dem Hauptende des Sarges. Der Körper, überdeckt mit einem weiten Fürstenmantel, ruhete jetzt vor ihren gespannten, angstvoll geöffneten Augen unverhüllt; das theure Haupt, einst mit allem Zauber männlicher Würde und den weichen Zügen des Gefühls und der Güte geschmückt, war jetzt zu einer unscheinbaren gelben Maske vertrocknet; und der Schauder, einer völlig fremden, kaum Menschen ähnlichen Bildung gegenüber sich zu finden, drohte sinnverwirrend den Geist der starken Frau zu ergreifen. Schon durchzuckte das wildeste Entsetzen ihre Seele, und Alles um sie her verschwand aus ihrer Erinnerung, – noch solch' ein Moment, und sie wäre entflohn und mit ihr vielleicht das Bewußtsein des Geistes, das unterzugehen drohte. Schrecklich war die Angst der sorglich auf sie Blickenden, denn in ihren Zügen und dem starren Blick ihrer Augen malte sich ihr jäher Zustand. Aber Gott hielt seine segnende Hand schützend über dies schuldlose Haupt. Sehr bald minderten sich die scharfgespannten Züge, Friede kehrte zurück, sich steigernd bis zur sanftesten Rührung. Ihr Blick hing mit Zärtlichkeit an diesem grauenhaften Bilde, denn sie hatte ihn wieder erkannt an dem schönen, lockigen Haar, das der Tod nicht zu zerstören vermochte, und das er in seltener Schönheit besessen hatte. Ihre Besinnung kehrte zurück, und lange Gewohnheit einer großen Selbstbeherrschung kam ihr zu Hülfe.

Das Gefühl, ihn erkannt zu haben und jetzt gewiß seine heiligen Ueberreste zu besitzen, hob sie über ihre Natur mit einer[45] Art von Entzücken, das um so mächtiger sie ergriff, als es der plötzliche Uebergang von dem trostlosesten Entsetzen war. Sie richtete sich an seinem Haupte mit einer Art von Begeisterung empor, noch ein Mal blickte sie nieder, und ein Lächeln umzog die bleichen Lippen. Dann schauete sie, ihrer Pflicht gedenkend, mit dem Ausdrucke der glühendsten Ueberzeugung umher, und während ihre Lippen wie zu Worten sich bebend öffneten, hob sie wie eine Seherin die lilienweiße Hand empor und blieb so einen Augenblick stehn, Jeden zum Zeugen ihrer Ueberzeugung aufrufend. Unbeschreiblich war der Eindruck dieser sich folgenden Bewegungen; Bewunderung gesellte sich der tiefsten Rührung zu, und ein unartikulirtes Geräusch von vielen hundert Stimmen durchströmte die weite Halle.

Doch dies war völlig geeignet, die Herzogin aus ihrem überspannten Zustande zu wecken, sie fühlte schnell, daß sie hier der Gegenstand einer Aufmerksamkeit geworden war, die sich nach ihren strengen Begriffen mit ihrer Würde und ihrem weiblichen Gefühl gleich wenig vertrug. Sie ließ sich von ihrem Sohne und ihrem Oheime zurückführen, und ihre stolze Haltung erinnerte nicht mehr an ihre frühere Bewegung. Nachdem der Umgang um den Sarg auch von den Uebrigen vollzogen war, traten die beiden Wappenherolde vor, die zur Seite des Thronhimmels standen, vor dem der Katafalk errichtet war. Der zur linken Seite trug das aufgerollte fürstliche Trauerwappen an einem goldenen Stabe und richtete es zur Linken des Sarges auf. Indem er noch ein Mal den Tod des Herzogs, mit allen seinen Würden und Titeln benannt, verkündigte und alsdann mit lauter Stimme fortfuhr: Und so das erlauchte Haupt dieses Hauses nunmehr in ewigem Frieden hier vor uns ruhet, sehen wir den herzoglichen Stuhl erledigt, und da er leer bleibt vor unsern Augen, nachdem wir den Herrn davon als verstorben erkannt, und als ob Nachkommen und Lehnträger[46] diesem erhabenen Stamme gebrächen, fragen wir die hohen hier anwesenden Verwandten, und den hohen und niedern Adel der Grafschaft Nottingham, ob verblüht und untergegangen sei dies edle Geschlecht, und ob wir sofort, kraft unsers uns verliehenen Amtes, das Wappen zerbrechen müssen und zu ewigem Vergessen mit diesem Sarge versenken sollen? Wir fragen drei Mal: Ist der Stamm erloschen? – da trat der Graf von Salisbury als nächster männlicher Verwandte mit ernster Würde hervor, zog seinen Degen, hob ihn gegen den Herold empor, berührte dann drei Mal mit der Spitze die Brust des Verstorbenen und sprach drei Mal ein lautes Nein! Wo ist der neue Herzog von Nottingham? rief nun derselbe Herold, und in demselben Augenblicke zogen alle Anwesenden mit Blitzesschnelle die Degen aus den Scheiden, daß die hohen Gewölbe wie von einem Schreie widerhallten, und eben so schnell stand der Graf von Derbery von seinem Platze am Sarge auf, und indem er die Hand auf das Haupt des Entseelten legte, rief er drei Mal: Hier! Augenblicklich eilten glänzend geschmückte Pagen herbei und hingen den herzoglichen Mantel um seine Schultern, während der Graf von Salisbury den herzoglichen Reif von dem Kissen nahm, welches ein Page ihm reichte, und seinem Groß-Neffen damit das Haupt schmückte. Er führte ihn sodann unter den Thronhimmel und hieß ihn den leeren Stuhl darunter einnehmen, während der Freudenherold das in allen Farben prangende Wappen der Herzoge entfaltete, und den neuen Herzog laut und feierlich proklamirte. Die Anwesenden begrüßten nun vorübergehend und mit dem Degen den Boden berührend den neuen Herzog, und beurlaubten sich, tiefneigend vor den Herzoginnen, die unbeweglich während dieser langen Ceremonie in ihren Stühlen blieben. Bis die letzten Diener den Saal verlassen, und nur noch von ihren Kindern, der herzoglichen Mutter, dem Grafen Salisbury und ihrem nächsten Kammergefolge[47] umgeben, blieb die starke Herzogin aufrecht, dann sank sie ohne einen Laut, ohne alles Leben von ihrem Sessel. Entsetzt stürzten die trostlosen Kinder über sie, doch Doktor Stanloff, der mit hütendem Auge seiner Gebieterin gefolgt war, erklärte ihren Zustand für eine tiefe Ohnmacht und verlangte nichts als Ruhe, wonach sich wohl Alle sehnten nach diesem angreifenden Tage. Auch war die Nacht längst herangebrochen. Man trug die Herzogin in ihre Zimmer, und Jeder suchte die seinigen zu erreichen. – So befand sich bald um den, der sonst der Mittelpunkt alles Lebens und aller Wonne in diesen Hallen war, nur die durch eintönige Worte sich von Stunde zu Stunde ablösende Trauerwache!


Der unbewußte Zwang, den feststehende, durch lange Gewohnheit geheiligte Formen über die Gemüther der Menschen ausüben, wird oft eine wohlthätige Stütze für das durch Leidenschaften oder erschütternde Ereignisse aus seiner Bahn getriebene Innere. Von dem kleinsten Standpunkte gilt dies, und macht sich auch für den weiteren Gesichtskreis des Lebens geltend. Es belehrt uns über das lange Fortbestehen oft in sich schon bedeutungslos gewordener Formen, welche zu durchbrechen und von dem in der Zeit gereiften Kerne die Schaale abzuwerfen, Wenige nur berufen sind. Diese sind dann der letzte Tropfen in dem zum Ueberfließen gefüllten Becher einer neuen Erkenntniß, wozu in der Stille die Besten vieler Zeiten die einzelnen Tröpfchen beisteuerten. Sie haben keinen Maaßstab, denn sie sind die ersten dieser Art; aber leicht mißdeuten Viele in sich eine leidenschaftliche Aufregung, die ihnen das Recht zu geben scheint, umzustoßen und zu durchbrechen, was, von tugendhaften Vorältern erdacht, oft ganze Geschlechter liebevoll umfaßte und sie schützend an der rohen Willkür vorüberführte.[48]

Es ist so schwer, an die Stelle des lang Bestandenen das Bessere zu stellen, daß die hierüber leicht gewonnene Erfahrung uns versöhnlich macht gegen das Mangelhafte; und so unzureichend und oberflächlich sind die Ergebnisse jener Umwälzungen, daß ein stilles und in sich geschlossenes Gemüth sich leichter da hinneigt, wo tugendhafte Menschen seit lange Bürgschaft gaben für das Bestehende. Auch reift in der Zeit von selbst schon und allmälig eine Reformation, zu deren siegreichen Zwecken Jeder wohlthätig mitwirkt, der in sich selbst die freie Entwickelung seiner Kräfte beschloß. Was auf diese Weise von uns dennoch abfällt und nicht mehr zu uns gehören will, das ist zum Staube reif, nicht der übermüthigen Laune, sondern der Zeit ist es verfallen!

Die stärksten Gemüther erreichen am leichtesten diesen höhern Standpunkt; Ruhe und wahre Milde haben immer ihren Sitz in dem Gefühle der Kraft, und es ist kein Widerspruch, wenn wir den, der allenfalls die Form durchbrechen könnte, sich fügen sehen; es ist blos, daß auf seinem höheren Standpunkte ihn das Kleine nicht mehr stört und das Gefühl, die eigene Bahn sich brechen zu können, ihn zum verträglichen Gefährten macht auf dem schon betretenen Wege.

Wir fühlen uns durch diese freie Ergießung unserer Meinung unwillkürlich auf die Person hingewiesen, welche zunächst unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, den zweiten Sohn der Herzogin von Nottingham, Lord Richmond Derbery, welcher einige Tage nach der still erfolgten Beisetzung des geliebten Vaters mit seinem Oheim, dem uns schon bekannten Grafen Archimbald Glandford, von einer Sendung König Jakobs an seinen unglücklichen Schwiegersohn, den Kurfürsten von der Pfalz, zurückgekehrt war und, von der Trauernachricht auf dem Rückwege getroffen, mit geflügelter Eile Godwie-Castle erreicht hatte. Wir vertiefen uns nicht noch ein Mal in die wehmüthigen und[49] erschütternden Scenen eines solchen Wiedersehens. Ueber Personen, die mit eben so viel Hochachtung, als Liebe, an einander hingen, brachten solche Augenblicke den vollen Werth einer würdigen Selbstbeherrschung, welche auch den heftigen Empfindungen des Herzens eine edle Decenz auferlegt; der tiefe Ernst, der an die Stelle leidender Aufregung getreten, zeigte sie wenig anders, als man sie zu sehen gewohnt war.

Doch hatte die Ankunft beider Männer einen unverkennbaren Einfluß auf die wiederkehrende freiere Haltung des Ganzen. Es lag in ihrer geräuschlosen Gegenwart dennoch etwas so Anziehendes und zugleich Anregendes, daß fast Jeder auf seinem Platze etwas zu leisten strebte, wie wenig auch eine Anforderung darauf hinwies. Wenn die Unbedeutenden sich dadurch angenehm erhöht fühlten und die Besseren in der schönen Freude ehrender Anerkennung lebten, gab es doch auch Andere, welche sich von einer Beherrschung gedrückt fühlten, die, wenn auch achsichtslos entstand und nie gefordert oder begünstigt schien, der stillen Herrschaft zugeschrieben werden mußte, die ausgezeichnete Geister unwillkürlich durch sich selbst herbeiführen. Zu diesen Letzteren, sich gedrückt Fühlenden, müssen wir, obwohl mit einiger Schüchternheit, den größten Staatsmann jener Zeit, den Grafen Salisbury, rechnen. Wir haben erzählt, daß er seinen Neffen, den Grafen Archimbald, bei seiner Rückkehr aus Frankreich zu bilden strebte und, die großen Eigenschaften desselben erkennend, wohl damals den Plan faßte, ihn zu seinem Gehülfen und späterhin vielleicht zu seinem Nachfolger zu erheben. Doch während dieser Entwickelung geschah etwas, das außer dem Plane und der Erwartung des Grafen lag. Er hatte seinen Neffen, den er durch Verwandtschaft und Unterricht fest an sich geknüpft wußte, eine Zeit lang in anscheinend unbedeutenden Aufträgen an die verschiedenen Höfe, an denen sich schon englische Gesandtschaften befanden, gesendet, oft damit Zwecke[50] erreichend, die auf direktem Wege Widerstand gefunden hätten, und die ihm die Fäden in in die Hände spielten, an denen er König Jakob und die übrigen Minister geschickt zu lenken wußte. Graf Archimbald hatte durch diese verschiedenen Stellungen fast den Ueberblick über alle wichtigern Angelegenheiten des damals in religiöser und politischer Beziehung so bewegten Europas gewonnen. Seine ungemein wissenschaftliche Bildung, und vor Allem der natürliche leichte und scharfe Blick seines umfassenden Geistes hatte ihn zu Ansichten geführt, die ihn über das System erheben mußten, nach welchem die kurzsichtige Politik König Jakobs mit weibischer Schwäche sich von all' den hochherzigen Bewegungen ausschloß, die von so viel Seiten her ihn zur Theilnahme aufforderten. Er verwarf sie, um den Frieden zu erhalten, der während seiner ganzen Regierung das durch Elisabeth so hoch gestiegene Ansehen Englands wieder herabsinken ließ. Daß dieser Vorwurf, den bald Europa dem Könige von England machen mußte, auch seine Minister und namentlich den Grafen Salisbury traf, an dessen Namen eine Berühmtheit hing, die er nach dem Tode Elisabeths nicht mehr behaupten zu können schien, fühlte Graf Archimbald mit tiefem Schmerze, und von dem Tadel gegen seinen König, mehr noch gegen seinen Oheim erhitzt, wagte er es, demselben Ansichten vorzulegen, die nur zu deutlich zeigten, daß die Meinungen des Neffen mündig geworden.

Der Graf konnte sich bei diesen gewagten Mittheilungen, trotz seines innern grenzenlosen Unwillens, nicht verläugnen, daß hier in dem Kreise, den er völlig zu übersehen glaubte und mit der schmeichelhaften Hoffnung beherrschte, daß der ganze Continent ihn in dieser vollkommenen Herrschaft anerkenne, sich Ansichten entwickelt hatten, die ihm nicht allein entgangen waren, sondern auf das, was er indessen gethan, ein tadelndes Licht werfen mußten. Je weniger der helle Geist des erfahrnen[51] Staatsmannes sich dies verläugnen konnte, um so unheilbarer war die Wunde, die sein stolzes Herz dadurch empfing, und die Person, die zuerst diesen tödtenden Pfeil nach ihm zu senden wagte, würde stets das Opfer dieser erregten Empfindung geworden sein, wie den Liebling nichts schützen konnte, eine mißtrauische Kälte erregt zu haben. Die Grenze des Vertrauens war von da an gesteckt; die nie geträumte Befürchtung, von seinem Neffen übersehen zu werden, erbaute, obwohl kaum eingestanden, eine ewig trennende Mauer. Mit leicht erregtem Mißbehagen sah er den Beifall, den er selbst früher auf ihn herbeigerufen hatte, und sein ewig gepeinigter Stolz ließ sein Wesen mit allen Autoritäten des Ministers und Oheims gegen ihn sich bekleiden. Schnell hatte Archimbald sein großes Versehen er kannt, und die Dankbarkeit und Hochachtung, die der Beleidigte ihm einflößte, gab ihm all' die rücksichtsvolle Ergebenheit, die überall hätte versöhnend sein müssen, nur nicht gegen ein durch Hochmuth und Schmeichelei erkaltetes Herz, dessen eitles Selbstvertrauen verletzt ward. Auch blieb hierüber bald dem Grafen kein Zweifel übrig, und ihm selbst war ein zu hoher Grad des Stolzes beigemessen, und ein nicht zu unterdrückendes und begründetes Selbstvertrauen, als daß er sich länger um die Wiederherstellung eines Verhältnisses hätte bemühen können, welches oft schon seiner Ueberzeugung Fesseln angelegt hatte, und das ihm jetzt doppelt drückend werden mußte, nachdem er einen so tiefen Blick in das kleinliche Gemüth seines Oheims gethan. Beide jedoch waren zu klug, die Welt zu Zeugen dieser innern Trennung zu machen. Der Graf von Salisbury hatte zu oft Lord Archimbald seinen besten Schüler genannt, um ihn jetzt nicht auf der öffentlichen Höhe zu halten, die ihm unter diesem Prädikat zukam; doch entfernte er ihn bald aus seiner Nähe, obwohl auf einen Platz hin, den er mit einem bedeutenden Kopfe ausfüllen mußte. So begab sich denn der[52] Graf zu Heinrich dem Vierten nach Paris. Es begleitete ihn dahin trotz seiner zarten Jugend sein zärtlich von ihm geliebter Neffe, Richmond von Derbery. Es war für den, der diese beiden Personen beobachten konnte, etwas höchst Anziehen des zu gewahren, wie Graf Archimbald an seinem Neffen mit einer Liebe hing, die er fast gegen alle Andere, besonders seit dem Tode seines Freundes, des Prinzen von Wales, und seines geliebten Vaters, zu verringern schien, und dies, wie es sich oft verrieth, um solcher Eigenschaften willen, worauf einen entschiedenen Werth zu legen, man von dem Grafen am wenigsten erwarten konnte: nämlich wegen einer hervorleuchtenden Fülle des Gemüths und einer Zartheit der Empfindungen, welche die Brust einer Frau in nicht höherem Maaße hätten zieren können. Das ganze Wesen Richmonds war geleitet von einer feinen Schonung gegen Andere. Er errieth mit der schärfsten Empfindung eben so leicht das Wohlthuende, als das Verletzende, und wußte, wo es seine Stellung irgend zuließ, das Eine, wie das Andere sanft zu vermitteln, woraus eine Sicherheit in seiner Nähe entstand, welche das Vorrecht einer schönen und edlen Individualität ist, und selbst über die roheren Seelen eine stille Gewalt übt, von der sie sich oft keine Rechenschaft zu geben wissen, und die sie unbewußt, sich selbst zu mäßigen, zwingt. Man mußte sich gestehen, daß diese Tugenden nicht unter die ausgezeichnetsten seines Oheims gehörten. Dieser verdeckte eine gewisse Schärfe und Kälte des Karakters durch die außerordentliche Selbstbeherrschung und Politur, die das Leben in den verschiedensten Lagen und unter stets großen und repräsentirenden Verhältnissen ihm gegeben hatte, aber sie ließ sich nie so ganz unterdrücken, um nicht da hervorzutreten, wo es an einem Interesse, sie zu verbergen, fehlte. Es gab Personen von feinem Takte, die sich selbst durch die freundlichste Annäherung in Ton, Wort und Miene nicht von einer kleinen Erkältung erholen konnten, die[53] sie verletzte. Indem dies eine Art Schüchternheit erregte, unterstützte es zugleich das Ansehn, das ihm überall zu Theil ward, und welches um den Preis der eigentlichen Herzens-Affectionen gewonnen zu haben, ihn vielleicht nicht sonderlich betrübte. Dessenungeachtet mußten auch ihm die Augenblicke nicht ausgeblieben sein, von denen man sagt, daß sie Jeden erwarten; die Augenblicke, in denen die Leerheit des Innern von den Außendingen nicht zu füllen ist und das ganze Gebäude stolzer Größe nicht gegen die Anforderungen ausreicht, die das Herz mahnend wiederholt, wie wenig es auch scheinbar dazu berechtigt ward. In solchen Augenblicken hatte er den Sohn des Bruders erfaßt, in dessen Eigenthümlichkeit er sich ergänzt fühlte. Er war ihm überall gefolgt und von dem Vater mit Freude, von der Mutter nur mit großer Ueberwindung ihm überlassen worden, denn sie hing mit einer ganz besonderen Innigkeit an diesem Kinde, und wenn sie auch in ihrer äußeren Haltung kaum je den Grad ihrer Empfindungen wahrnehmen ließ, war sie innerlich klar genug, das erhöhte Gefühl zu erkennen, das von früh an ihren Liebling begleitet hatte. Später söhnte sie sich mehr mit dem Gedanken aus, ihn unter fremder Herrschaft erblühen zu sehn, denn sie mußte sich sagen, daß kein Wesen geeigneter war, die geistigen Vorzüge eines Jünglings zu entwickeln, als Graf Archimbald, und daß gerade das Hervorheben dieser geistigen Entwickelung ein wohlthätiges Gleichgewicht hervorgerufen hatte gegen die zärtliche Weichheit seines Herzens. Graf Archimbald versäumte dagegen nie, das Opfer der Mutter wohl erkennend, eine Gelegenheit, den Sohn ihr zuzuführen, und die Herzogin war endlich auch nicht gleichgültig gegen die Aussicht, ihren Sohn in die Rechte des Grafen Archimbald treten zu sehen, da, wenn es auch unentschieden blieb, ob der Oheim aus Liebe zum Neffen der Ehe entsage oder die Entsagung der Ehe ihn zum Neffen geführt, doch die Hauptsache entschieden schien, daß der Graf[54] sich nicht vermählen und Richmond sein Erbe sein werde. Nach mehrjährigem Aufenthalt am Versailler Hofe wünschte der Graf auf einige Zeit in den Kreis seiner Familie zurück zu kehren, da seit dem Tode Heinrichs des Vierten er nur noch schwach sich an den Hof gebunden fühlte, und zugleich seine durch Elisabeth ihm wieder verliehenen Besitzungen zu besuchen wünschte. Die meiste Zeit brachte Richmond indessen bei seinen Eltern zu. Es war eine Zeit stiller Seligkeit für die Herzogin; denn ihr Liebling trat ihr vollständig gereift entgegen, und sie hatte Zeit, in ihm so seltene Eigenschaften vereinigt zu gewahren, daß ihr Mutterherz im fröhlichsten Stolze aufschwoll. Die Brüder waren ungemein verschieden, sowohl an Person, als an Eigenschaften; aber war man nur nicht so ungerecht, den Grafen Robert mit Richmond vergleichen zu wollen, so blieb jener doch eine liebenswürdige Erscheinung, mit seiner schönen Gestalt und dem heitern blonden Angesicht. Richmond dagegen hatte die regelmäßige Schönheit seiner Mutter. Er war so groß, wie sein Bruder, seine Gestalt war vollkommen durch die reinste Uebereinstimmung der Verhältnisse und eine daraus entspringende ungemeine Grazie jeder Bewegung. Sein erster Anblick war ernst, er hatte etwas Festes und Bestimmtes, und man hätte glauben können, dies wären die Vorboten eines stolzen und kalten Karakters, da er sich überdies nur wenig und mit Zurückhaltung äußerte. Aber diese äußeren Zeichen hingen mit den hohen Begriffen von Schicklichkeit und Mäßigung in Worten und Gefühlen zusammen, die er zur Würde des Karakters rechnete, und die allerdings bei ihm die große Herrschaft über sich selbst erkennen ließen, da das reichste und gefühlvollste Herz ihn stets zu verführen strebte. Die Ehrfurcht vor dem Willen der Eltern war um so heiliger in ihm geblieben, da er ihnen nie durch die Details der Erziehung so nahe gerückt war, ihre menschlichen Schwächen kennen zu lernen. Seine Mutter schien[55] ihm unvergleichlich die erste Frau der Welt, und an seinem Vater hing er mit zärtlicher Verehrung. Er hatte in diesem streng häuslichen Kreise eine Liebenswürdigkeit, welche die ganze tiefe Empfindung seines Herzens verrieth, und die Herzogin, die eine leichte Sprödigkeit selten ablegte, ließ sich seine anmuthigen Liebkosungen mit vieler Nachgiebigkeit gefallen, denn sie wußte wohl, wie die im Hintergrunde ruhende Ehrfurcht ihm jedes Ueberschreiten der Grenzen unmöglich machte. Er hatte die hohe Stirn, das braune lockige Haar und die dunkeln Augen der Mutter, aber der Stolz dieser Stirn hörte auf an den Grenzen seiner Augen. Ihr Glanz war von breiten Augenliedern und langen Wimpern von Außen sanft gemildert, und der Stolz, der aus den Augen der Herzogin blickte, ward hier nur durch Erregung hervorgerufen und wechselte nur selten mit dem ruhigen Ernste. Beide Brüder hingen herzlich an einander, aber der ältere erkannte in jedem Augenblick mit Stolz und Freude den jüngeren über sich. Sein fester Wille, der die schwersten Opfer für das erkannte Recht nicht einmal erwähnt wissen wollte, legte der guthmüthigen Nachgiebigkeit des älteren Bruders die Gesetze auf, nach welchen er stets ohne Wanken zu handeln bereit war, und Robert folgte wie ein heiteres Kind, da Richmond das Schwere mit einer Liebe, mit einem Verstehen der damit verbundenen Opfer forderte, daß der Genuß, sich so verstanden zu sehn, fast den Kampf überbot. Zum Grafen Salisbury verhielt sich dieser junge Mann äußerst fremd. Der Graf verstand ihn nicht, er hatte gute Berichte von ihm gelesen, er sah ihn äußerlich zum Hofmann gebildet; er wußte von seinen wissenschaftlichen Erfolgen, und hielt ihn erst, um nur mit ihm fertig zu werden, für einen jungen Hofmann, der seinen Oheim beerben will. All zu lang wollte dies nicht passen, denn er ging seinem Oheim voran nach Deutschland, und Cecil sah, der Neffe habe eigne Meinungen, er scheue sich nicht, sie gegen[56] die des Oheims geltend zu machen, er sei gerade und fest. Doch diese Weichheit wieder, dieser Gehorsam, wo es mit etwas Stolz gelungen war, dem Oheim entgegen zu treten, wozu das? Welche Inkonsequenz? Er ließ ihn fallen und den Grafen gewähren, welcher sich nicht mehr von ihm trennen mochte. Doch gerade darum, weil er ihn nicht verstand und von der heimlichen Furcht in seiner Nähe sich beschlichen fühlte, daß in ihm auch ein Geist versteckt liegen könne, der sich gegen den seinigen dereinst auflehnen werde, fühlte er sich unheimlich mit Beiden und dachte den Tag nach ihrer Ankunft an seine Rückkehr nach London.

Er hatte zu diesem Zweck seiner Nichte einen Besuch gemacht und den Grafen Archimbald nach den Hallen beschieden, in denen er sich auf und nieder bewegte, die Rede überdenkend, welche er gesonnen war dem Grafen zu halten. Der schönste Frühlingstag leuchtete durch die feinen goldenen Gitter der hohen Thüren und erhellte die düstern Hallen, welche ihres traurigen Schmuckes wieder entkleidet waren. In ihrer alten Pracht auf tausend schimmernden Flächen das glänzende Licht empfangend und zurückwerfend, boten sie einen erfreulichen Anblick dar, da nur selten das Licht des Tages bei ihrer weiten Ausdehnung ihren Glanz verrieth.

Wohl schien die ernste und nachdenkliche Gestalt des alten Ministers, mit der tiefen Trauerkleidung und den glänzenden Sternen, zu dieser Umgebung zu passen, aber die Welt, die vor den goldenen Gitterthüren ihr heiteres Leben begann, ging um so gewisser für ihn verloren. Die warme Luft des Frühlings, das reine Licht des Himmels wollte überall das schlummernde Leben zur Thätigkeit erwecken. Es war der Augenblick in der Natur gekommen, der uns von Stunde zu Stunde mit süßeren Freuden zu beschenken scheint und eine unendliche Sehnsucht erregt, unter Blüthen und Blättern mitten inne zu wohnen, oder mit den geschäftigen Würmchen und Käfern der athmenden Erde[57] alle die kleinen Geheimnisse abzulauschen, die vom keimenden Halme bis zu den unschuldigen Versuchen der ersten Blümchen unsern Antheil und unsere Zärtlichkeit erwecken. Der nahe Wald, die zahllosen kleinen Gebüsche auf und an den Terrassen waren ein Tummelplatz singender und bauender Vögel, nicht minder waren die gothischen Verzierungen der Hallen mit Nesterchen bestellt, deren Bewohner, sich an den Gittern hängend und wiegend, ihr fröhliches Lied dem alten Staatsmann entgegen sangen, der in ernster Würde an ihnen daherschritt und auf nichts so wenig hörte, wie auf Vogelgesang! Noch ein Mal hatte er das Ende der mittlern Halle erreicht, und in dem fragenden Blick, den er nach dem Eingange sendete, lag aufsteigender Unwille, hier seit einigen Minuten vergeblich zu warten, als er durch die Gitterthüren, die nach der Vorhalle führten, den Grafen Archimbald eilig daher kommen sah, und um so schneller, da er ihn so eben zu erkennen schien. Lord Salisbury blieb unbeweglich stehn, seinen Neffen den ganzen Raum bis zu ihm durchmessen lassend, und Graf Archimbald, der nur den etwas vorgestreckten Fuß des Lords zu sehen brauchte, um zu wissen, daß er hier länger geharrt, als er mit seiner Würde verträglich fand, fing schon in einiger Entfernung an, sich mit einer Bescheidenheit und Höflichkeit zu entschuldigen, die sehr oft, in einem so hohen Grade ausgesprochen, eine leichte Beimischung von Ironie verräth, von der wir auch jetzt den Grafen loszusprechen uns nicht verpflichtet halten. Graf Salisbury murmelte einige unverständliche Worte und schickte sich an, das zu beginnen, warum er seinen Neffen berufen; als derselbe, mit vieler Gewandtheit diese geringe Pause benutzend, dem Grafen sein Bedauern ausdrückte, indem er, so eben von seiner Schwägerin kommend, erfahren habe, der Graf wolle dies Schloß schon morgen verlassen. Um so näher liege ihm aber auch nun eine Bitte, die er im Namen seines Neffen vorzutragen nicht aufschieben dürfe,[58] nämlich die Bitte um die Erlaubniß, in dem Gefolge des Grafen sich nach London begeben zu dürfen, um gegen den König der ihm obliegenden Verpflichtung des Lehnseides sich zu entledigen. Er würde es für eine Ehre halten, wenn auch er ihn dahin begleiten dürfe, da seine Schwägerin ihn vorläufig aus seiner Nähe entlassen und jedes Geschäft zurück gesetzt habe, bis die erste Verpflichtung ihres Sohnes gegen seinen König erfüllt sei. Der Graf von Salisbury konnte kaum den unangenehmen Eindruck verbergen, den diese schnelle, äußerst schmeichelhafte und unterwürfige Bitte seines Neffen ihm machte; denn gerade diesen selben Gegenstand hatte er eben zum Vortrag bringen wollen, und zwar mit manchen von ihm wohl überlegten Aeußerungen, welche die Bedeutsamkeit seiner Stellung hervor heben und die Nachlässigkeit andeuten sollten, die seiner Meinung nach in der Stille ausgesprochen lag, mit der bis jetzt die wichtige Pflicht des jungen Herzogs übergangen war. Durch diese schnelle ehrerbietige Erklärung des Grafen war er um die ganze Wichtigkeit dieses Augenblicks betrogen, und mußte noch überdies von der feierlichen Höhe der Mißbilligung, zu der er sich empor gehoben hatte, hernieder steigen, und billigend und gewährend das Vertrauen erkennen, welches seinem Großneffen wünschenswerth machte, in seinem Gefolge sich nach London zu begeben. Es blieb aber nur noch übrig, einen andern Anlaß zu erfinden, weshalb er seinen Neffen habe rufen lassen. Wir zweifeln nicht, daß es dem feinen und gewandten Manne gelungen wäre, einen passenden Ausweg zu finden, wäre er nicht aus dieser kleinen Verlegenheit durch ein neues Ereigniß gerissen worden, welches alle seine Gedanken von da an uneingeschränkt in Anspruch nehmen sollte. Gilbert, der erste Sekretair des Grafen von Salisbury, erschien in dem Eingange des Saales und näherte sich auf das gegebene Zeichen des Ministers, um ihm zwei Briefe zu übergeben, welche so eben mit einem Courier von London[59] eingetroffen waren. Graf Archimbald wollte sich ehrerbietig zurückziehn, aber der Graf von Salisbury erkannte, etwas erstaunt, aber doch angenehm überrascht, auf dem einen Briefe das große Privatsiegel des Königs und seine lateinische Ueberschrift, welcher Sprache er sich aus Eitelkeit häufig zu seiner Privat-Correspon denz zu bedienen pflegte. Er bat ihn daher freundlich, zu verweilen, beurlaubte Gilbert, und zu seinem Neffen gewendet eröffnete er den Brief, indem er mit einigen Worten die Gnade des Königs in diesem eigenhändigen Schreiben bemerkte. Doch er konnte nicht über die ersten Zeilen gekommen sein, als sein kräftiges Gesicht erbleichte und die hohe Haltung des alten Mannes bis zur Ohnmacht zu schwinden schien. Sein Auge streifte verschüchtert über das Blatt weg und haftete mit einem solchen Ausdrucke auf seinem Neffen, daß dieser voll Schrecken auf ihn zueilte und mit sorglicher Freundlichkeit seinen Arm ergriff. Archimbald, sagte der Graf mit matter Stimme, was hat man in meiner Abwesenheit durchzusetzen gewagt? Wie unerhört bin ich betrogen, und welch' ein Unglück ist über uns alle gekommen!

Noch ahnte Graf Archimbald die Ursache der heftigen Erschütterung nicht, in der er seinen Oheim sah, aber das unverkennbare Leiden des würdigen Mannes erweckte die volle Theilnahme, die er früher ihm so aufrichtig eingeflößt, und tilgte alle die Kälte und Zurückhaltung, welche später beide von einander entfernt gehalten hatte. Der alte Graf brauchte einen Vertrauten, und er wußte, daß er ihn in seinem Neffen zu finden vermochte. Dies war für den schweren Augenblick ein Trost, den er sich weder versagen wollte, noch konnte. Er nahm den Lehnstuhl an, den sein Neffe herbei zog, und reichte ihm dann den Brief des Königs, unfähig, wie es schien, über die ersten Zeilen hinweg zu kommen. Doch waren diese völlig hinreichend, sowohl die Erschütterung des Ministers, wie das in gleichem[60] Maaße erregte Erstaunen des Grafen zu erklären. Der König schrieb nämlich und, wie es dem völlig haltungslosen Styl anzufühlen war, selber in der trostlosesten Stimmung: »Was werdet Ihr sagen, mein lieber getreuer Cecil, wenn ich Euch schreibe, daß ich trostlos bin und ein armer, verlassener Vater, denn mein lieber Sohn und Buckingham haben sich nicht halten lassen, und sind auf und davon nach Spanien gereist, und Babi will selbst freien um seine Infantin, wie jeder andere Mann, so unschicklich das auch für ihn ist. Ich habe Euch tausend Mal zurück gewünscht, denn Ihr hättet es sicher ihm ausgeredet. Aber wie Ihr fort waret und Buckingham es erst wollte, da war kein Auskommen mehr, und ich bin nun ganz trostlos, denn mehrere Tage sind sie schon fort, aber ob meine Augen je meinen letzten Prinzen wiedersehn, das weiß Gott. Ich wünsche, Ihr wollet jetzt nicht länger mich allein lassen. Euer König Jakob.«

Der zweite Brief war vom Grafen von Herford und bestätigte die Nachrichten des Königs mit mehreren Details, woraus klar hervorging, daß zwischen Carl und Buckingham eine Aussöhnung zu Stande gekommen war, in deren Folge der Herzog den Wunsch des Prinzen, nach Spanien zu gehen, aus allen Kräften befördert und die wirkliche Abreise so unerhört schnell und heimlich in's Werk gesetzt hatte, daß der König nicht über seinen Schritt zur Besinnung kommen konnte, noch weniger einer der Minister und Räthe vermocht hätte, es zu verhindern.

O, warum war ich nicht da! rief Lord Salisbury, indem er mit der alten Kraft von seinem Sessel aufsprang, o die muthlosen entarteten Menschen, die alle an sich mehr dachten, als an das Wohl des Staates und ihres königlichen Hauses! Und hätte ich diesen Buckingham auf die Gefahr meines grauen Hauptes gefangen nehmen sollen, als Hochverräther hätte ich[61] ihn verklagt vor dem Throne meines armen schwachen Königs, und so wahr ein Gott lebt, nur über meine Leiche hätte der theure Prinz, der Stolz unseres Landes, die Grenzen seines treuen Englands überschreiten sollen, um unsern Feinden zum Spott in das fremde papistische Land seinen Fuß zu setzen. – O Archimbald, schütze uns vor Zeugen! Weißt Du uns frei von Beobachtung? Sieh, ich kann mich nicht fassen, es ist ein Schritt, der uns mindestens zum Gespötte des Auslandes macht. Gott verhüte, daß der geheiligten Person unsers theuern Prinzen etwas geschehe, was diese Menschen zu vertreten haben werden; aber selbst der glücklichste Erfolg wird uns um die Erreichung der wohl eingeleiteten Pläne bringen, welche Dir bewußt sind und zum Theil deine Sendung nach Deutschland veranlaßten, unsere Feinde werden das Uebergewicht zu benutzen wissen, was diese wahnsinnige Handlung ihnen giebt, Gott gebe, nicht noch zu schlimmeren Anschlägen. – Archimbald war ein zu eifriger Staatsdiener, um nicht ganz die Empfindungen seines Oheims zu theilen. Er übersah mit schnellem Blicke das Gewagte und Unbesonnene dieses Schrittes, und konnte den Schmerz des alten Mannes darüber nicht allein begreifen, sondern fühlte sich auch dadurch aufs Neue inniger zu ihm hingezogen. Die treue Anhänglichkeit an das königliche Haus, dem er diente, die alle zärtlichen Gefühle seiner Brust, in sofern sie ihm zu Gebote standen, ans Licht rief, gewann seine Hochachtung und Anerkennung. Nur zu wahrscheinlich zerstörte dies übereilte Entgegenkommen des Prinzen das Gleichgewicht, welches im Fordern und Gewähren beider Höfe durch die besonnene Klugheit des Grafen Bristol so meisterhaft bis jetzt erhalten war. Die beiden Männer schritten, in die sorglichsten Mittheilungen vertieft, auf und nieder, und das vertrauliche Du des Grafen und der Gebrauch des Vornamens seines Neffens, wie in der früheren Zeit, zeigten deutlich die tiefe Erregung des ehrwürdigen Lords.[62]

Beide kamen darin überein, ihre Reise unverzüglich anzutreten, da allerdings eine genaue Uebersicht an Ort und Stelle zu erwarten war, und namentlich die Instructionen für den Grafen von Bristol höchst dringend und wichtig wurden. Archimbald beeilte sich demnach, die nöthigen Befehle zur Abreise zu ertheilen, und der Graf von Salisbury begab sich zu seiner Schwester und Nichte, sie mit dem Briefe des Königs und seiner dadurch veranlaßten schnelleren Abreise bekannt zu machen.


Wir sehen demnach am nächsten Morgen das Schloß von dem männlichen Theile seiner vornehmen Bewohner verlassen, und finden Zeit, uns in die innern Gemächer zurück zu ziehen, wo manches der Beobachtung Werthe indessen sich begeben hatte. Wir wenden uns zuerst zu dem Gegenstande, welchen Gastons Bemühungen der Herzogin hatten entdecken lassen. Doktor Stanloff brachte ihr am andern Morgen die Nachricht, daß er annehmen dürfe, das Leben sei noch zurück zu rufen, da, obwohl keine Bewegung wahrzunehmen, doch eine Art von Wärme und Biegsamkeit der Glieder eingetreten sei, und selbst eine schwache Andeutung des Pulses sich mitunter zeige. Die Verletzung am Kopfe sei höchst unbedeutend, unfehlbar nur die Folge des Falles; auch könne der Blutverlust bei solcher Jugend und Gesundheit nicht diesen Scheintod herbeigeführt haben. Die mit Wunden und Geschwulst bedeckten Füße ließen aber eine große ungewohnte Anstrengung voraussetzen, die Zurücklegung eines weiten Weges, wobei die Fußbedeckung verloren gegangen; Alles führte ihn zu einer Vermuthung, welcher er nachzuforschen denke, nämlich der Befürchtung, daß langer Mangel an Nahrung diese äußerste Erschöpfung erzeugt habe. Doktor! rief die Herzogin, fast aufschreiend, welch' eine schreckliche Vorstellung![63] Großer Gott! Könnt Ihr dies mit Wahrheit behaupten! Warum gleich so Empörendes denken, warum mich so unnütz erschrecken. Welche traurige Begebenheiten müßten den Mangel des ersten, des am leichtesten zu stillenden Bedürfnisses herbeigeführt haben.

Stanloff schwieg einen Augenblick, dann sagte er ernst: Wer nie den Mangel der einfachsten und nöthigsten Bedürfnisse kennen lernte, kömmt leicht zu dem Glauben, daß, was die Natur begehrt, auch in dem Kreise der willkürlichen Befriedigung jedes Menschen liege. Es ist leider nicht so, und Tausende ringen mit dem Leben um den einen Preis, auf dessen genußreiche Befriedigung man aufhört Werth zu legen, wenn man nie die Entbehrung desselben kannte. – Es lag etwas so Eindringliches in diesen sanften Worten, daß die Herzogin mit einem tiefen Seufzer ihren Blick zu ihm erhob. Nach einem kurzen Nachdenken indeß zu ihren früheren Gedanken zurückkehrend, fuhr sie fort: Doch in diesem Stande, bei dieser Jugend, die uns noch unter die wohlthätige Vormundschaft Anderer setzt, da bis zum Hungertode elend zu werden, gesteht, es liegt etwas Schreckliches, wenigstens Unbegreifliches darin! – Ihr habt Recht, Mylady, und ich theile Eure Ansicht, daß diesem armen und schönen Wesen viel zu Leide geschehen sein muß, das vielleicht Gott mit Absicht nun in die besten Hände gelegt hat, um es wieder gut zu machen. – Gott wird mir auflegen, was ich ertragen kann, sagte die Herzogin, während ihr ganzes Wesen von dem Wechsel der Gedanken erschüttert schien, welche diese letzten Worte in ihr hervorgebracht hatten. Sie stützte ihr Haupt schwermüthig in ihre Hand, und große Thränen rollten einzeln in ihren Schooß. Ich bin erschüttert, mein guter Stanloff, fuhr sie fort, und schwächer, als sonst meine Art ist, doch wer sollte es nicht sein, wen das erreichte, was mich gebeugt. Laute Klagen sind nicht zu meiner Erleichterung vorhanden, mich[64] ergreift darum nicht minder, was an Freude und Leid diese reiche Welt belebt. Aber wen in der Blüthe des Lebens schon der Schmerz erreichte, wen er zwang, höheren Gesetzen gehorchend, diese Schmerzen zu verschließen: der hat für immer den leichtern Erguß nach Außen hin verlernt, wodurch so Viele die Bürde schon halb abtragen, die ein schweigendes Gemüth mit sich führt, bis sie langsam in sich verzehrt ist. – Geh, guter Stanloff, treuer verschwiegener Diener, Du verstehst leicht und viel mit Deinem edeln Herzen, aber, setzte sie schmerzlich lächelnd hinzu und zog die Hand von den thränenschweren Augen, sie ihm zu reichen, was in diesem Herzen gegen Zeit und Vernunft und jede höhere Mahnung kämpft, erräth Dein heller Blick doch nicht, und wohl mir! Aber wenn Du mich oft findest – wie soll ich sagen – rasch oder heftig, ja, bitter wohl und leicht gereizt, willst Du dann gedenken, was ich Dir heut sagen mußte, weil ich es in meiner Erweichung nicht bergen konnte? – Auch der bewährteste Freund soll Ehrfurcht hegend auf der Stelle des Vertrauens stehen bleiben, die der andere ihn nicht überschreiten läßt, sagte Stanloff und küßte bewegt die Hand der edeln Frau, und kein Wort, und gäbe es die heiligste Liebe, die innigste Theilnahme ein, soll lösend oder bittend eindringen wollen, wo ihm nicht freiwillig aufgeschlossen ward. Ich bin stolz darauf, Euch, edle Frau, sagen zu können, daß ich Euch nie verkannt, öfter wohl erkannt habe, auch wo Ihr Euch selbst mißzuverstehen schien't. – Ich weiß es, ich weiß es, sagte die Herzogin mit stärker rinnenden Thränen, aber geh jetzt, guter Stanloff, ich kann mich selbst vor Dir nicht länger so aus allem Gleise gewichen sehen. Tief sich verneigend verließ Stanloff das Gemach, aber es lebten manche lang entschlummerte Gedanken in ihm auf, und er gedachte der ehrwürdigen Mistreß Morton, welche die junge Gräfin Bristol schon in ihrer Kindheit begleitet, ihre Jugend sanft behütet, am Hofe, bei[65] ihrer Vermählung, überall an ihrer Seite gewesen, und dem zuverlässigen Manne wie unter dem Siegel der Beichte Manches anvertraut hatte, um ihn bei dem geheimen Uebel der Lady, welches in oft sehr heftigen Zufällen bestand, in der Wahl seiner Mittel zu leiten. Diese anscheinend körperlichen Leiden waren nur zu oft blos gesteigerte geistige, die der stolze Karakter der Lady verborgen wissen wollte, und daher den Arzt und seine Bemühungen zu täuschen oder zu entfernen suchte. Er mußte, während er durch die langen Gallerien ging, die zu den Zimmern seiner Kranken führten, des auffallenden Eindrucks gedenken, den die Auffindung derselben bei der Herzogin erregt hatte. Dies Ereigniß war im Stande gewesen, sie aus der tiefsten Betäubung des Schmerzes zu erwecken, und wenn er auch mit Recht in dem stets menschenfreundlichen Sinne der Lady eine richtig motivirte Ursache ihrer Veränderung finden mußte, regte sich doch ganz geheim in ihm die Ahnung, daß hier ein mächtiges, dem erstern entgegen wirkendes Gefühl Raum gewonnen. Er gestand sich leise ein – und sich kaum anders, als mit Vorbehalt – daß der ganze Schmerz der Herzogin dadurch von einer Kälte beschlichen und ihr Herz, offenbar mit getheilten Empfindungen aufgestört, zum Leben zurück gekehrt war.

Er hatte, tief sinnend, nicht das Rauschen des Kleides gehört, und Mistreß Morton stand vor ihm, ehe er ihr Nahen gewahrte. – Kommt Ihr von der Frau Herzogin, Doktor Stanloff? Und muß ich Eure gefaltete Stirn als trübes Zeichen für ihr Befinden deuten? Mit nichten, sagte Stanloff, unsere edle Frau ist auf einem guten Wege. Wem erst die Natur im Schmerze Thränen giebt, den hat sie vor schädlicheren Ausbrüchen schon bewahrt. Und sie weint selten! setzte Morton ernst und seufzend hinzu; so möge ihr Gott lindernde Thränen gewähren! Euch, Doktor Stanloff, habe ich zu sagen, daß unsere Kranke nach dem Gebrauch des stärkenden Bades und dem Einflößen der Tropfen[66] sich merklich verändert hat. Sie erhob den Arm und die Hand, seitdem athmet sie vernehmlich, ihre eingefallenen Augen haben jetzt den Ausdruck des Schlafes angenommen, und ich glaube, sie wird – leben! Leben! rief Stanloff, und meine edle Freundin sagt dies Wort, das unsere Bemühungen krönt, mit einem so freudlosen Tone, als ob ein Menschenleben ihr gering schiene? Mistreß Morton hatte die Augen am Boden und schwieg, langsam ihren Handschuh glatt streichend. Dann sagte sie sanft und mit bewegter Stimme: Deutet mich nicht falsch, geehrter Freund. Gott sieht in mein zagendes Herz; ich weiß, er wird mich besser verstehn, als ich mich in meiner Befangenheit ausdrücke. Auch hätte ich das Leben jedes menschlichen Wesens gerettet, ohne ein anderes Gebot, als das vor Gott geltende, zu bedenken; aber diese ernste Pflicht ist erfüllt, und die Pflicht, die meinem Herzen am nächsten auf dieser Welt steht, nimmt nun ihren Platz wieder unumschränkt hier ein. Ich bin alt, habe viel erlebt, viel gesehen und gehört, daraus kömmt uns dann von selbst ein Verständniß noch unaufgeklärter dunkel daliegender Dinge, die Jugend nennt es Ahnung. Soll ich es Erfahrung nennen? Doktor, sagte sie, wie von banger Unruhe ergriffen, wenn wir die Kohle angeblasen, die dieses Haus in Flammen steckte? Auch dann, sagte Stanloff nach einem Augenblick des Erstaunens, indem er sie ernst anblickte und seine Hand dann fest auf ihren Arm drückte, auch dann sollte kein Zweifel meine Seele berühren über das, was wir gethan. Wer das Rechte thut, soll den Ausgang getrost an Gott verweisen! Amen, sagte Mistreß Morton, Ihr sagtet das Rechte, ich fühle es wie Stärkung in meiner Brust! So geht denn zu dem schlummernden Engelbilde, ich sah nie in meinem Leben etwas Schöneres, nur ein Mal etwas Aehnliches. Sie entfernte sich nach den Zimmern der Herzogin; der Doktor schüttelte leise den Kopf und trat zu seiner Kranken ein.[67]

Den Bitten ihrer Schwiegermutter nachgebend, hatte die alte Herzogin von Nottingham ihren Aufenthalt auf Godwie-Castle zu verlängern versprochen, bis zu der Rückkehr ihrer Enkel von London. Ihre Gegenwart war die Freude des ganzen Schlosses, denn mütterlich weilte ihr freundliches Auge noch auf jedem, den sie in ihren früheren Verhältnissen gekannt. Hülfreich und Jedem zugänglich, war sie eine reiche Quelle von Trost und Rath, und im höchsten Grade von ihren Kindern verehrt, war ihr Versprechen, sich zu verwenden, stets die Gewährung selbst. Aber ihre Güte hatte auch nichts mit der Schwäche gemein, die das Rechte oder Unrechte mit dem blos Mitleidenswerthen verwechselt. Sie erfuhr den Zusammenhang der Dinge leichter, als Andere, weil ihr eine Sanftmuth und Geduld im Zuhören eigen war, vor der die verschüchtertste Seele Muth gewann, ihre dunkelsten Vorstellungen zu entwickeln, und mit dieser sanftesten Art deckte sie oft den Zusammenhang von Dingen vor sich auf, bei denen Andere umsonst geforscht hätten. Sie war sich dessen bewußt; ihre Kinder und Enkel staunten mit zärtlicher Freude diese schöne Gewalt eines liebenswürdigen Gemüthes an, und sie wußte mit heiterm Scherze von dieser Gabe zu sprechen, als sei sie eben nur eines Scherzes werth; aber wenn sie lächelnd umher blickte und die lieben Hände den Enkeln zu tausend Küssen überließ, sagte sie wohl zuweilen: Ihr werdet schon noch an die alte Großmutter denken und sie Euch zurückwünschen! Ach, wer wußte das nicht, und wer hätte es sich nicht gern verläugnet, daß man ihrer je als einer Verstorbenen würde gedenken müssen!

Wir finden sie gegen Abend in den Zimmern des Prinzen von Wales, welche ihr stets zur Verfügung standen. Die purpurnen Tapeten und Vorhänge des schönen großen Gemachs leuchteten in dem feurigen Glanze, den einige lichte von der Abendsonne gefärbte Frühlingswolken durch die weiten offenen[68] Glasthüren warfen. Sie führten auf einen Altan, der gegen Süden hin einen freundlichen Blick auf die schönen Weidetriften und Meiereien zuließ, welche diesen Theil des Thales einnahmen. In einem großen Lehnstuhl, diesen Thüren gegenüber, saß die ehrwürdige Frau in bequemer Ruhe, und ihr klares blaues Auge schien wohlgefällig den Reiz der Gegend zu genießen. Sie war noch allein, aber sie erwartete ihre Schwiegertochter und Enkelinnen, und ähnliche Sessel waren um den ihrigen gestellt, bereit, sie zu empfangen. Wohl hatte der letzte Verlust die feinen Züge noch etwas blässer und durchsichtiger gemacht, aber es war, als empfände sie den Verlust, den ihre Geliebten erlitten, tiefer, als den eigenen. Ihre Züge verriethen noch jetzt im achtzigsten Jahre eine einst hohe und regelmäßige Schönheit, ihr schneeweißes Haar lag in Fülle glänzend und glatt wie Silber um die hohe weiße Stirn. Die einst so schönen dunkeln Augenbrauen zogen jetzt den schmalen Bogen in dem Weiß des Haupthaares, aber die klaren Augen blickten noch in dem reinsten dunkeln Blau, und aller Reiz, der diese schöne Frau einst umstrahlt, und den die Zeit von ihr genommen, schien in diesem Blick voll Huld und Güte sich vereinigt zu haben. Das feine kaum je verschwindende Lächeln, welches um die schmalen Lippen wie das Siegeszeichen eines ganz in Wohlwollen aufgelösten Innern ruhte, gab dieser ehrwürdigen Frau eine Anziehungskraft, daß nur ihr Angesicht zu schauen ein Genuß war, der zum Seufzer um ähnlichen Frieden in der eigenen Brust sich gestaltete. Die Ruhe um sie her und die erhabene Pracht des Zimmers paßte vollkommen zu der ehrwürdigen Erscheinung, und die leisen Bewegungen ihrer Gesellschaftsdame, der Mistreß Cottington, und eines alten Kammerdieners schienen den Wunsch auszudrücken, durch kein Geräusch das genußreiche Nachdenken ihrer verehrten Gebieterin zu stören. Aber auch, um sich einem solchen lange zu überlassen, war sie nicht eigennützig genug. Empfindungen[69] jeder Art hatten das Recht ausschließlichen Besitzes über sie verloren; der Uebergang von einer zur andern war leicht und milde, weil sie in leidenschaftsloser Klarheit jeder ihr Recht zu geben wußte. Sie hörte bald das leise Schaffen der beiden treuen Diener, und indem sie den Kopf um die Lehne ihres hohen Stuhles bog, schaute sie lächelnd der alten Cottington in die sorglichen Augen und sagte, halb scherzend: Und wenn nun etwas bräche oder fiele, dennkst Du mich denn so schwach, daß ich erschrecken möchte? Komm einmal hierher, liebe Cottington, und sieh, wie schön der Blick in die Landschaft ist, recht stärkend für meine alten Augen, überall das schöne Grün, und die laue Luft, so frisch und duftig von all' den jungen Blüthen! – Mistreß Cottington hatte sich freundlich genähert, den Blick verfolgend, den die Herzogin mit kindlichem Vergnügen wieder hinaus richtete. Siehst Du hier wohl das Nest zwischen den feinen Zweigen der Birke, die uns zunächst steht? Ich habe die kleinen Thierchen beobachtet, wie sorgfältig und fröhlich sie bauen; das Häuschen muß noch nicht fertig sein, denn mit großem Jauchzen brachte eben eins ein weißes Fläumchen in dem Schnabel, und hatte dann viel Arbeit, es unterzubringen. – Lovelace, sagte sie zu dem alten Kammerdiener, sei nicht so geizig mit Deinem Backwerk oder Weizenbrote, erübrige mir ein wenig für mein kleines Vogelpaar, die armen Schelme werden da draußen noch nicht viel finden und müssen nach der Arbeit wol hungrig einschlafen. Wenn meine Enkelin Lucie kommt, fuhr sie fort, die ihr dargereichten Krümchen auf dem silbernen Teller zerflückend, dann soll sie dies auf den Rand des Altans streuen, die scharfen Aeuglein da oben werden schon Acht haben und es abholen.

So beschäftigt ward sie von ihrer eintretenden Schwiegertochter und ihren beiden Enkelinnen überrascht, und, ehe sie sich zum Gruße erheben konnte, von allen dreien zärtlich auf[70] ihrem Platze festgehalten. Ihr freundliches Sträuben ging bald in die Liebkosungen über, mit denen sie alle begrüßte, als ob sie seit der Tafel lang getrennt gewesen. O komm, mein gutes Kind, sagte sie zur Herzogin, setz' Dich so, daß Du just den Blick in die Ferne hast, wie ich. Lovelace rücke meinen Stuhl; so, und nun nimm diesen hier ein. Wie geht es Dir denn? sagte sie, halb zu ihr aufblickend, doch die Herzogin hatte, ehe noch ihre Einrichtungen zu Stande kamen, ein Tabouret zu ihren Füßen geschoben und sich schnell so zu ihr gesetzt, daß sie ihren Kopf an die Armlehne des Stuhles lehnen konnte, in dem die liebenswürdige Greisin saß. Sie wollte nun freundlich dankend zu ihr aufschauen, aber ihr Blick tauchte unter in schnell hervorbrechenden Thränen, und sie senkte das Haupt in die zärtlich ihr entgegen gestreckten Hände. Geliebtes Kind, erhebe Dein Herz! sagte die alte, gerührte Mutter; diejenigen glücklich zu wissen, die wir lieben, ist ein reineres Besitzthum, als der Genuß, mit ihnen das zu theilen, was mangelhaft ist, wenigstens durch den irdischen Antheil, den wir ihm beifügen. – Ja wohl, ja wohl! seufzte die Herzogin aus überzeugter Brust, auch weiß ich kaum, ob es Schmerzensthränen sind, die Du siehst, aber Dein liebevoller Empfang, Deine Engelmilde, es löst in meiner Brust die Herbigkeit, die, – Du kennst mich ja, sagte sie, wie zagend zu ihr blickend. Ich weinte eben, ich glaube aus Sehnsucht, Dir ähnlich zu werden! – Nun schwärmst Du gar, mein liebes Herz, erwiederte die alte Lady lächelnd, und willst das sich neigende Haupt der alten Mutter noch ein Mal erheben, und gar mit dem bösesten Feinde der Menschen, mit dem Stolze. Sie strich dabei, als ob sie ein Kind vor sich hätte, mit ihren weichen, duftenden Händen die Stirn und die Wangen ihrer Schwiegertochter, und tupfte mit ihrem Tuche sanft die schönen, thränenfeuchten Augen.

Nie war die Herzogin so ganz ihrer edlern Natur hingegeben als in der Gegenwart der geliebten Mutter ihres Gemahls.[71] Sie hatte so früh die eigene verloren, daß sie das Glück, von einem älteren weiblichen Wesen ihres Standes mütterlich geliebt zu werden, erst nach ihrer Verheirathung kennen lernte. Als die Herzogin mit ihrem Gemahl und dem Grafen Archimbald aus Spanien zurückkehrte, lebten beide Frauen in Godwie-Castle bis zum Tode des Herzogs, wo alsdann die Witwe das freundliche Schloß Burtonhall bezog, welches ihr Gemahl zu ihrem Aufenthalte bestimmt hatte. Das oft Störende in dem Karakter der jüngeren Herzogin war eine ihr leicht mögliche Härte, in Gesinnung, Urtheil und Worten, eine rauhe, tugendhafte Strenge, die sie sich selbst auferlegte, aber auch von Andern mit kalter Uebergehung dessen forderte, was mildernd oder begütigend solchen Anforderungen hätte entgegen treten können. Ihr tief leidenschaftliches Gemüth verbarg sie aus Stolz unter einer kalten Miene und Haltung; aber von Jugend auf durch eine freie, uneingeschränkte Ausübung ihres Willens verzogen, überraschte sie beim leichtesten Widerstande eine Heftigkeit, die zwar nur vorübergehend, doch in ihren Folgen nicht immer gut zu machen war. Dessenungeachtet hatte sie eine schöne und großartige Karakteranlage, ein Herz, das in seinem Stolze auch eine große Reinheit bewahrte, und die Klarheit des Verstandes, die ihr einen hellen Blick auf sich gestattete. Oft ward sie dadurch unzufrieden mit sich, doch durch zu schmeichelnde äußere Verhältnisse immer wieder abgelenkt, ließ sie die Fehler altern, bis sie einen Theil ihres Selbstes ausmachten und nur noch einzelne wehmüthige Stimmungen herbeiführten, die wie Sehnsucht nach einem mildern Zustande sich regten, den sie aber, so lang verwöhnt, nicht mehr erreichen zu können wohl selbst fühlte.

Sie hatte wenig Freunde gewonnen und war meist auf die Bande eingeschränkt, womit die Natur in ihren nächsten Verhältnissen sie umgab; aber daß sie die Herzogin sich gewonnen hatte, daß diese seltne Frau, ein vollkommener Gegensatz ihres[72] eigenen Selbstes, ihr Liebe geschenkt hatte und erhielt, und nie sich durch ihre Fehler verscheuchen ließ, das war der süßeste Trost ihres Herzens, und an diesem Gefühl löste sich auch in ihrer Gegenwart am ersten die starre Haltung, die sie oft so störend gegen Andere behauptete. Nie war es dagegen irgend wem gelungen, die wahre Meinung der ältern Herzogin über ihre Schwiegertochter zu erfahren; sie liebte sie mit mütterlicher Aufmerksamkeit, ihre Fehler schien sie nie zu sehn; doch wenn ste dieselben gut zu machen suchte, so wußte man nie, ob sie dieselben wirklich bemerkt hatte, oder ob es ihr blos selbst eben um das Vergnügen war, etwas Liebes zu thun. Dankbar fühlte die junge Herzogin diese grenzenlose Schonung, die in nichts ihren Stolz reizte oder verwundete, da Alles blos von der zärtlichsten Liebe eingegeben schien.

Indessen wünschte heute die ehrwürdige Mutter nicht, die Weichheit ihrer Schwiegertochter zu vermehren, und leicht kehrte dieselbe zu der durch lange Gewöhnung ihr natürlich gewordenen ruhigen Haltung zurück. Um ihr Zeit zu gönnen, fuhr jene fort, von ihrem Sitze aus, alle zu begrüßen, die sich nach und nach in dem Zimmer versammelten, und nächst den beiden Gouvernanten der jungen Gräfinnen aus Mistreß Morton und dem Caplan des Schlosses, dem Master Copley, bestanden. Sogleich vermißte die Herzogin Stanloff, und Master Copley brachte seine Entschuldigung, daß Geschäfte ihn noch einige Stunden entfernt halten würden. Alles nahm nun Plätze ein, um die alte Lady her; die Herzogin zu ihrer Rechten, Arabella, ihre älteste Tochter, ein schönes Mädchen in der ersten Blüthe, zu ihrer Linken; dann so fort die Damen, die, aus angesehenen Familien und von vorgeschrittener Bildung, ganz dazu berechtigt waren, zu dem Familienkreis gerechnet zu werden.

Lucie, die jüngste Enkelin und ein Liebling der Großmutter, saß schon längst mit der ruhigen Sicherheit, die Kinder[73] so reizend da üben, wo sie sich geliebt wissen, vor der alten Lady auf dem rothen Fußkissen. Sie hatte ihr schönes blondes Lockenköpfchen auf beide dicke Händchen gestützt, und blickte mit großen blauen Augen unverwandt in die von der untergehenden Sonne sich färbende Gegend. Es war ein unaussprechlich reizender Anblick, das schöne blühende Kind in seinem Trauerkleidchen, die üppigen blonden Locken an den Schläfen mit schwarzen Schleifen zusammengehalten, in diesen Ausdruck ernsten Nachdenkens vertieft zu sehn, den Kinder wohl nur in einem holden Schlummer der Seele annehmen, und der uns doch erinnern will an das Verfolgen hochwichtiger Dinge, welches nur spätern Tagen aufgehoben bleibt. Sie zog die Augen Aller auf sich, und man tauschte Blicke, die das Vergnügen über diesen Anblick verriethen. Auch war es nicht die Art der alten Lady, störend auch nur in den Blick eines Auges zu dringen; daher ließ sie das holde Kind gewähren und bewahrte ihr selbst ihre Liebkosungen auf, bis sie von selber erwachen würde. Dagegen mußte Lovelace den schönen silbernen Kessel, welcher über einem zierlichen eisernen Kohlenbecken schwebte, in den Kreis stellen, und daneben den mit silbernen Kannen, Tellern und Büchsen reich besetzten Tisch. Mit der lieblichen Heiterkeit, die Alle sofort in ihrer Nähe belebte, begann die alte Lady, zur Herzogin sich wendend: Du siehst, meine liebe Tochter, meine alte Liebe bleibt mir getreu; Friedrich von Nassau besorgt noch immer meinen Theetisch mit dem feinen Aroma seiner Chinesischen Lieblinge, und ich bin ihm herzlich dankbar dafür, denn wahrlich nichts scheint mir unter den vielen schönen Gaben zur Labung und zur Stärkung unsers Körpers mehr für mich da zu sein, als diese balsamischen Blätter. Höre ich den lieblichen Ton des Theekessels, so setze ich mich erst behaglich zurecht, und mein zärtlicher Freund hätte nichts Besseres erdenken können, um sich der Gesinnung seiner alten Freundin zu versichern. – Schade,[74] liebe Mutter, sagte die Herzogin, in den heitern Ton einzugehen sich bemühend, daß auf unserm Boden nichts gedeihen mag, was dem liebenswürdigen Herzog ein ähnliches Bedürfniß angenehm befriedigen könnte; denn das Neue und Erfreuliche der fremden Welttheile werden die thätigen holländischen Meerbeschiffer uns immer noch zuerst bieten können. Den Geist, den Elisabeth bis in die Segel ihrer Schiffe zu hauchen verstand, und der unter Hug Willoughby's Anführung auch diesen lieblichen Blättchen den leichtern Weg zu erspähn wußte, wo ist er jetzt geblieben? Wer wird nach Walter Raleigh mit neuen Goldminen uns beschenken und so muthig die trügliche Wasserfläche durchziehen, die er leichter befuhr, als andere den grünen Plan der Wiesen!

Wohl wahr, seufzte die alte Lady, und eine leichte Wehmuth glitt über ihren klaren Blick. Es war ein Gruß der Liebe, den sie dem enthaupteten Freunde ihres Gemahls hinüber sandte. Seinem Andenken Frieden! sprach sie weiter; Raleigh verlor das Ziel, welches seiner schönen Jugend vorgeleuchtet, als hätte sein Auge sich getrübt; wie viel hätte er seinem Vaterlande sein können! Doch das Maaß der Schuld, dem sein Haupt verfiel, hat vielleicht dort oben, mit Vielen getheilt, für Alle Versöhnung erlangt. – Die Herzogin fühlte, daß sie hier eine schmerzlich nachklingende Saite bei der alten Lady berührt habe, und suchte durch Fragen ihre Gedanken abzulehnen. War es nicht zur Zeit der Thronbesteigung König Jakobs, daß Du dies Getränk zuerst kennen lerntest? Ich dächte, Du hättest ein Mal dessen erwähnt, frug sie unbefangen weiter. – Es war allerdings damals schon längst in England bekannt, sagte die Lady, doch mehr unter dem reichen Handelsstande, der sich die Produkte fremder Zonen fast leichter zu verschaffen wuste, als die höhern Stände; die Königin Elisabeth liebte es nie, und so blieb es am Hofe unbekannt. Als damals durch die Anwesenheit der Gesandtschaften[75] aller Höfe in Whitehall die glänzendsten Feste mit ernsten und schwierigen Unterhandlungen wechselten, hatte ich auf einem Balle, den der König gab, mich erkältet, denn es war ein kalter, trüber Sommer. Als wir uns den nächsten Tag bei der Königin versammelten, fühlte ich ein schwaches Fieber, und Friedrich von Nassau, mit dem ich mich unterhielt, errieth mein Uebelbefinden und sprach mir zuerst von seinem Lieblingsgetränk, welches er ein herrliches Mittel gegen all die klimatischen Uebel nannte, die der feuchte Holländische Dunstkreis, wie der unsere, so leicht mit sich führt. Mein Gemahl und der Marquis von Rosny traten zu uns, und nachdem Rosny, der stets mit Friedrich von Nassau sich neckte, auch dies Getränk angegriffen, das Friedrich so heilsam fand, schlug mein Gemahl vor, einen gemeinschaftlichen Versuch in unserm Palais zu machen. Da der Hof am andern Tage – wie sie es nannten – ruhte, so versammelten sich die Herren an diesem Abend in meinen Zimmern. Friedrich von Nassau; Johann von Olden-Barnevelt, der edle und tugendhafte Märtyrer seiner hochherzigen Gesinnungen; der Marquis von Rosny, jener nachmals so berühmte Herzog von Sully; Aremberg, der Gesandte Erzherzog Alberts; Taxis, von Spanien gesandt; mein Gemahl, mein Bruder Cecil, meine beiden Söhne und einige andere Herren des Hofes machten einen kleinen, aber seltenen Zirkel aus, und von dem tiefsinnigsten Ernste bis zu dem heitersten, muthwilligsten Scherze waltet der Zauber der höchsten geistigen Bildung und die Anmuth der feinsten Sitte. Barnevelt war nun eigentlich die Seele bei der Theebereitung, um die es sich handelte. Seine dicken holländischen Lakaien trugen eine im Vorsaale mit allen dazu nöthigen Bequemlichkeiten servirte Tafel herein, die aus der Wohnung des Prinzen dazu herüber geschafft war, zum ausgelassensten Jubel Rosny's. Barnevelt und Friedrich besprachen sich mit Ernst über die Quantität der zu nehmenden Blätter, und erregten[76] durch ihre fingirte Gravität unser aller Laune. Die geschlagene Sahne, die Butter ohne Salz, die Weizenbrödchen und Zimmtbrödchen, waren nach Grundsätzen hergestellt und durften zu dem Ganzen nicht fehlen. Das Ende war, daß wir das Getränk herrlich fanden, daß mein rheumatisches Fieber verschwand und Friedrich mir ein wunderlich bemaltes Kästchen von Ebenholz zurückließ, das mit diesen köstlichen Blättchen gefüllt war. Mein Gemahl hatte bald die Güte, mir einen silbernen Theetisch zu schenken, nach Barnevelts Angabe vollständig versehen; außerdem noch ein an Pracht das meinige übertreffendes reich vergoldetes Thee-Service für meinen liebenswürdigen Freund, Friedrich von Nassau, der nun seit so vielen Jahren seine Thee-Galanterie gegen mich fortsetzt. Doch wie Lovelace dies Getränk zu bereiten weiß, scherzte die alte Lady weiter, findet er auch keinen Meister. War es nicht Barnevelt selber, der Dir damals Unterricht gab? – Euer Durchlaucht, der Kammerdiener Seiner Gnaden Barnevelt hat mich darin unterrichtet, antwortete Lovelace, sich ehrfurchtsvoll mit dem freundlichen Lächeln des befriedigten Ehrgeizes verneigend. – Nun, so verstand er es herrlich! Aber Lovelace würde auch Sturm laufen, wenn ich nicht gleich erschiene, so wie im ersten Aufgusse die Blume sich entwickelt hat, wie er es nennt, und ich lasse mich stets bereit finden, diesen Genuß mir zu verschaffen. Doch heute hat unsere gute Cottington, fürchte ich, Deinen Haushofmeister Ottwey erzürnt, denn sie hat sich von ihm die Erlaubniß bei Deinem Küchenmeister verschafft, die Weizenbrödchen und Zuckerröllchen selber zu backen, die sie Dir eben anbieten wird, und wir werden uns ins Mittel legen müssen, damit die guten Leute uns nicht undankbar schelten für die köstlichen Backwerke, womit sie meinen Theetisch überschüttet haben, die sich aber für die alte Frau nicht mehr recht passen wollen. – Doch sieh, mein Liebchen, was spart' ich Dir hier auf, sprach sie, zu Lucie[77] gewendet, und hob das silberne Schälchen mit den Brodkrümchen vom Schooße; denn Lucie hatte ihre sinnende Stellung bei dem lieblichen Geruche der Zimmtröllchen verlassen und speiste schon ruhig darauf los, zur Großmutter umgewendet und ihr die lieblichen Worte aus dem Munde zählend. Sieh meinen Finger entlang dort nach der Birke zu, siehst Du das kleine Nest? – O Großmutter, rief Lucie entzückt, und so eben ein Köpfchen, – jetzt zwei! O, laß es fangen, liebe Großmama; guter Lovelace, fange die Vögelchen! – Nicht doch Lucie, dann müßten sie sterben; aber viel Besseres sollst Du selbst ihnen thun, füttern sollst Du sie, daß sie nicht Hungers sterben. Darum nimm die Brodkrümchen; streust Du sie auf den Rand des Altans, bald kommen sie dann, wenn Du wegtrittst, und holen sich die Nahrung in ihr Nestchen. – Gieb, liebe Großmama! rief Lucie und hüpfte leicht hinaus, nur auf den Zehen nach dem Rande schleichend, hold übergebogen, die Bröckchen zu streuen, wie man Engel auf alten Bildern sieht, die den Eingang zum Himmel mit Blumen bestreuen. Doch von einer neuen Idee erfaßt, wandte sie sich um, und das leere Schälchen nachlässig neben sich sinken lassend, legte sie beide Aermchen in den Schooß der Großmutter und sagte, sie ernst anblickend: Stirbt denn irgend ein Vogel aus Hunger? – Es mag wohl, mein Liebchen. Ob Gott schon freundlich für seine Geschöpfe sorgt und auch die Menschen leitet, daß sie ihren Mitgeschöpfen Nahrung reichen, doch wohl stirbt manch' Vögelchen in solcher Jahreszeit, wo die Natur noch arm ist an Nahrungsmitteln. – Lucie schwieg, dann sagte sie: Aber Hunde sterben nicht aus Hunger? Die Großmutter sah in das wehmüthig werdende Gesicht des Kindes und wollte sie eben davon ablenken, als Lucie heftig ausrief, indem große Thränen über ihre Wangen rollten: Und Gaston wird nie sterben vor Hunger! Nein, sagte die alte Lady, freundlich beschwichtigend, wir wollen ihn immer füttern. Doch[78] Lucie war noch nicht mit ihren Combinationen zu Ende, denn sie sagte bittend, als hinge Alles von den Zusicherungen der Großmutter ab: Aber Menschen, liebe Großmama, die sterben nie aus Hunger? Alle fühlten sich ergriffen von dieser ängstlichen, rührenden Frage des holden Kindes, und erst nach einer Pause sagte die Großmutter, indem sie die Stirn des Lieblings küßte: Ohne Gottes Willen fällt kein Haar von unserm Haupte; er ist nahe Allen, die ihm vertrauen. Sanft wandte sie sich weg, um dem lieben Kinde nicht länger Rede zu stehen, als ihr Blick auf ihrer Schwiegertochter ruhen blieb, die sich mit einer Art Schauder von dem leise eingetretenen Stanloff, der sich eben den Damen nähern wollte, weg wandte, indem sie mit einem Tone, in dem eine angstvolle Befürchtung ausgedrückt lag, ihm zurief: O, was bringt Ihr, Stanloff? Die Gewißheit Ihres Todes! und ist dies arme, hülflose Weib wirklich den Hungertod gestorben? Stanloff wollte eben beruhigend erwiedern, als Lucie mit einem heftigen Ausbruche des Weinens sich in die Arme der Mutter warf, angstvoll dazwischen rufend: O Mutter, Mutter, stirbt doch ein Mensch aus Hunger? Alle waren bewegt. Stanloff wiederholte einige Mal, daß sie lebe, nicht aus Hunger sterben werde, aber Luciens Phantasie war in Schrecken aufgegangen, und die Herzogin fühlte mit gemischten Empfindungen, daß ihre eigene gereizte Stimmung das liebe Wesen so hingerissen habe. Erst dem ehrenwerthen Master Copley gelang es, mit seinen verständigen Worten sich Eingang zu verschaffen. Lucie hob das Köpfchen von dem Busen der Mutter, gab Copley ihr Händchen und schaute gläubig mit den großen, in Thränen schwimmenden Augen zu ihm auf; dann stieg sie von dem Schooße herunter und ging mit ihrem geliebten alten Lehrer auf den Altan, um nachzusehen, ob die Vögelchen schon die Krümchen abgeholt hätten. Auch ließ sie sich willig finden, vom Weinen ermüdet, mit Miß Debington, ihrer[79] Gouvernante, nach ihrem Zimmer zu gehen, und nahm höflich mit kleinen holden Verbeugungen von Allen Abschied. Als sie aber an Lovelace vorüber ging, bettelte sie ihm vertraulich ein Weizenbrödchen ab, um Gaston noch damit zu füttern, bei dem sie selbst nachsehen wollte, ob er satt sei, Nach ihrem Verschwinden kehrte man zu dem Gegenstande zurück, über den man Stanloffs Mittheilungen erwartete. Sie lag seit gestern schon mehr in dem Zustande einer Schlummernden, hob er an; ich versuchte ihr stärkende Brühe und Tropfen einzuflößen, und überzeugte mich, daß sie heute erwachen müßte, da ihr Schlaf immer leichter und das Athmen freier ward. Diesen Moment durfte ich nicht versäumen, er entzog mich der Ehre, hier zu sein, und vor einer Stunde schlug sie die Augen auf. – Ein Ausruf des Antheils unterbrach hier die Erzählung. Stanloff fuhr fort: Ihre Blicke hafteten an ihren Bettbehängen, dann an dem Theile des Zimmers, der zu übersehen war; sie bewegte die Lippen, aber Schwäche schien sie zu hindern. Ich erwartete, daß sie Durst empfinden würde, und hatte zu dem Ende ein angenehm stärkendes Getränk bereitet. Alice trat an die Vorhänge mit dem Becher in der Hand, sie blickte sie lange ohne Ausdruck an. Nachdem Alice nun einige Male gefragt, ob sie zu trinken begehre, und nachdem jene das Gesagte verstanden, erhob sie die Hand nach dem Becher. Leider sah ich an der Heftigkeit, mit der sie trank, eine neue Bestätigung meiner ersten Vermuthung. – Daß sie durch Hunger so weit kam? rief die Herzogin. Ja, sagte Stanloff, ich muß es wiederholen. Als sie getrunken hatte, sagte sie zuerst: Bin ich denn krank? Warum liege ich zu Bette? Und warum nicht in meinem Zimmer? Ich kenne Dich nicht, gute Frau! Wo ist Hanna? – Ihr waret krank; seid nur recht ruhig, sagte Alice, legt Euch nieder. Ich bin sehr müde, erwiederte jene, kaum vernehmbar, und schlief sogleich wieder ein. – Und seid ihr nun beruhigt? fragte die alte[80] Lady, hofft Ihr jetzt ihre Genesung? – Ich hoffe sie jetzt, denn sie ist jung, ihr Zustand hat ihren Körper noch nicht verzehrt; es scheint vielmehr, daß Seelenleiden den Muth des Herzens gebrochen, wie dies bei jungen Personen häufig die physischen Kräfte bis zur Ohnmacht zu unterdrücken vermag.

Man blieb noch eine Zeitlang beisammen und begab sich dann durch die angrenzenden Gemächer nach der Kapelle, in der sich die Dienstleute schon versammelt hatten, um ein höchst erbauliches Abendgebet des Master Copley anzuhören. Die alte Lady zog es vor, von dort aus nach ihren Zimmern sich zu begeben, und die kleine Gesellschaft des Schlosses trennte sich, den Rest des Abends für sich zu verleben.


Wir finden nach einigen Tagen die Damen in den Zimmern der jüngern Herzogin beschäftigt mit der Auswahl von farbiger Seide zu dem noch unvollendeten Teppiche, an dem die Gräfin Arabella mit den andern Damen arbeitete, indessen Lucie die Nadeln für alle fädelte und vorgab, sehr viel zu thun zu haben, Die Herzogin mußte auch gearbeitet haben, doch ruhte das Blumenstück, an dem sie gestickt, wie es schien, vergessen in ihrem Schooße, und ihr Auge blickte in die helle Flamme des Kamins, den man heute aufgesucht, da der Frühling seine alten Neckereien begonnen, und sich in Nebel und kalte Winde gehüllt hatte. – Die Theestunde war vorüber, Lovelace mit seinem wichtigen Geschäft entlassen, und Mistreß Cottington half der alten Lady, welche zunächst dem Kamin saß, bei der beliebten Arbeit des Seidezupfens. Endlich hob die jüngere Herzogin zu Mistreß Morton an: Wie kommt's, daß Du uns heute noch nichts über unsern Gast gesagt hast? Ich hoffe, ihr Befinden schreitet vor, und wir werden bald selbst[81] ihre Bekanntschaft machen können. – Das möchte jetzt noch nicht möglich sein, sagte Mistreß Morton rascher, als ihre Art war, denn die junge Lady steht zwar seit heute aus dem Bette auf, doch der Weg bis hierher würde ihr unmöglich fallen. Nun, nun! sagte die leicht gereizte Herzogin, wir werden uns zu bescheiden wissen, da wir über den ersten Ungestüm der Jugend hinaus sind. Doch sobald die junge Lady, wie Du sie nennst, aus dem Bette uns empfangen kann, werden wir die Gesetze unserer gewohnten Gastfreundschaft auch gegen diesen unfreiwilligen Gast zu üben nicht versäumen, und uns zuerst nach ihren Zimmern begeben. Stanloff hat sich heute bei mir entschuldigen lassen, wir sind also sehr in Ungewißheit über die Angelegenheiten dieser jungen Person. Ich weiß nicht, ob Euer Durchlaucht schon wissen, wandte sie sich zur alten Lady, daß sie jetzt spricht und viel Thränen vergießt. Mistreß Cottington, erwiederte die alte Lady, welche sich mit Mistreß Morton in ihrem Zimmer ablöst, sagte mir davon; wir müssen uns, denke ich, der wiederkehrenden Zeichen von Leben und Gefühl freuen, wenn ihre Thränen auch freilich unsere Vermuthungen bestätigen, daß viele Leiden auf dies junge Leben einstürmten; ich denke dann mit Rührung an Gottes Güte, der sie Dir zugeführt hat. Ein zärtlicher Blick ihrer lieben Augen traf den schnellen Aufblick der jüngern Herzogin und erreichte, wie immer, den schönen Kern dieses festen Herzens. Lucie, die mit unbeschreiblicher Begierde jede Nachricht von der jungen Unbekannten verfolgte, verließ ihre Arbeit, und zur Mutter tretend, sagte sie bittend: Gehst Du zu ihr, liebe Mutter? Nimm mich mit, ich möchte ihr so gern sagen, daß Du mir versprochen hast, daß sie nie wieder vor Hunger sterben soll, gewiß wird sie dann nicht mehr weinen. – Wir wollen ihr diese Gewißheit bald verschaffen, sagte die Herzogin; auch hoffe ich, fürchtet sie dies wohl nicht mehr. Liebe Lucie, Du sollst sie sehen, sobald es ihre Gesundheit[82] erlaubt; sei indeß recht ruhig, denn Morton sorgt ja für sie, und ließ sie Dich wohl je hungern? – Lucie kehrte beruhigt und freundlich zu ihrem Geschäft zurück, und die Herzogin frug, gegen Mistreß Cottington gewendet, weiter: Ihr, liebe Cottington, waret bei der ersten Unterredung mit dem Doktor zugegen, wollt Ihr uns das Bemerkenswerthe mittheilen? Wie scheint Euch überhaupt ihr Karakter, ihre Erziehung? Was glaubt Ihr von dem Range, zu dem sie gehören könnte? Mistreß Morton scheint allerdings damit schon fertig zu sein, doch sagt auch Eure Meinung. – So viel ich beurtheilen kann, muß sie eine vornehme Erziehung erhalten haben, sagte Mistreß Cottington mit Ruhe, doch bleiben ihre Aeußerungen fast noch immer ohne eigentlichen Zusammenhang, wegen des großen Schmerzes, den sie zu empfinden scheint. Ihre ersten wiederkehrenden Gedanken richteten sich voll Erstaunen auf das fremde Zimmer, die Geräthe und Bedienung; sie sagte einmal höchst erstaunt: Warum hat meine liebe Tante mich denn nicht in meinem schönen grünen Zimmer gelassen? Dann bat sie, man möge Hanna rufen. Doch vergaß sie das Eine bald über dem Andern und blieb dazwischen wieder ruhig. Als Stanloff zuerst an ihr Lager trat, sah sie ihn wild an, dann warf sie sich in meine Arme und flehte mit Entsetzen mich an, sie vor diesem fremden Mann zu schützen. Doch der Schreck, den sie gehabt, schien auch ihre Besinnung etwas befestigt zu haben; denn sie hörte meinen Worten aufmerksam zu und sagte, als wollte sie es sich recht klar machen: Ein guter alter Herr und mein Arzt, der mir mein Leben erhielt! Sie wagte es, Stanloff anzusehen, und sein weißes Haar schien sie völlig zu beruhigen. Denn mit einer Bewegung der Hand hieß sie ihn näher treten und sagte dann: Verzeihet meinen Schreck! Ich weiß Vieles nicht zu begreifen, mir ist wohl sehr viel begegnet. Stanloff hielt nun für's Beste, ihr zu Hülfe zu kommen; er sagte ihr, indem er sie aufforderte,[83] sich niederzulegen, er wollte ihr Alles erzählen, was er von ihr wisse, ja, er schien mir die Absicht zu haben, sie zu erschüttern, denn er hob sogleich an: Ihr seid nicht unter Euern Angehörigen, Ihr seid für todt in dem Park der Herzogin von Nottingham gefunden worden, und in einem Zustande von Starrsucht gewesen. Ihr seid von den Frauen der Frau Herzogin bedient worden, und ich bin der Arzt dieses Hauses! – Ich muß gestehen, daß ich den Muth Stanloffs bewunderte, der so kurz und rauh ihr die schreckliche Wahrheit enthüllte, und er muß seine ärztlichen Ursachen dazu gehabt und darum Muth behalten haben, denn nie sah ich in solchem Grade einen so schnell wechselnden und sich von Augenblick zu Augenblick erhöhenden Ausdruck von Erstaunen und höchstem Schmerze.

Sie richtete sich mit Kraft auf, glühender Purpur bedeckte plötzlich das bleiche Gesicht; die Stirn zog sich in drohende Falten, ihre Augen glänzten und waren fest auf Stanloff geheftet. Dann hob sie beide Arme hoch empor und drückte die gefalteten Hände wild vor die Stirn. Ich mußte mich abwenden, meine Kniee bebten, ich zürnte auf Stanloff; ich fürchtete, Geisteszerrüttung würde die schreckliche Folge dieser jähen Aufregung sein. Doch im selben Augenblick und so schnell, daß es fast Stanloffs letztes Wort verschlang, rief sie: Ja, ich weiß jetzt Alles, sie ist todt, Hanna ist verbrannt, Gersem erschlagen – ich – ja ich – ich bin entflohn mit Gersem, bis der schreckliche Mann mich ergriff – dann – (ihre Gedanken schienen immer zu versagen) – bis ich entfloh. Ach, wie weit war der Weg? Ich weiß nicht, wie weit, aber o Gott! meine liebe, liebe Tante! – Von da an flossen ihre Thränen in heißen Strömen, und es ist leicht wahrzunehmen, daß es der Tod dieser Tante ist, der sie so heftig betrübt. Mistreß Morton hat mich alsdann abgelöst, sie wird Euer Durchlaucht weiter berichten können.[84]

Ich fand sie noch weinend in ihrem Bette, hob Mistreß Morton auf ein Zeichen ihrer Gebieterin an, doch sie war sanft und vollkommen bei Sinnen. Ich sprach ihr zu, und sie sagte mit sanfter Stimme: Ich danke Euch für Eure guten Worte, liebe Frau, doch laßt mich nur weinen, wie sollt' ich es auch nicht! Man hat mir bisher keine Zeit gelassen, die zu beweinen, um die ich nie aufhören kann zu trauern; Ihr wißt nicht, wie viel ich in ihr verlor; ich weiß es wohl selbst nicht und denke nur an mein Herz! Liebe Frau, sprach sie dann weiter, als sie mich genau betrachtet, warum trauert Ihr alle? – Auch in unserm Schlosse war Alles in Trauer, aber warum Ihr? Ich sagte es, und dies lenkte sie von ihrem Schmerze ab – sie weinte um Euch, Frau Herzogin. Sie wiederholte oft Euern Namen und frug, ob Ihr gewiß sie schützen würdet, sie könne ihr Schicksal noch nicht fassen. Aber vielleicht kommt Hanna und sucht mich, fuhr sie fort, vielleicht finde ich irgendwo Schutz, dann – sie seufzte schwer, sie schien so überrascht von ihrer Hülflosigkeit und sagte oft: Ach, Elisabeth, sähest Du Deine arme Marie so! – Elisabeth! rief die Herzogin und zuckte, als ob ein giftiger Pfeil sie berührt hätte. Dies, glaube ich, war der Name ihrer Tante, den sie nannte, doch kann ich mich irren, erwiederte Morton, und Verlegenheit und Unruhe drückte sich in ihren Zügen aus. Ich wüßte nicht, warum Du Dich irren solltest, sagte die Herzogin streng und gefaßt, klingt dieser Name nicht vom Throne bis zum Volke nieder, als bekannt, oft gehört und nicht zu verwechseln? Die peinliche Wendung, welche die Sonderbarkeit der Herzogin diesem Moment gab, ward wohlthätig unterbrochen durch Ottwey, der die Thüren nach einem kleinen Saale öffnete, wo bei unfreundlichem Wetter die Familie zu Nacht zu speisen pflegte. Sir Richard Ramsey erschien in derselben und zeigte, indem er, als Seneschall des Schlosses, ein silbernes Becken mit einer gleichen Kanne trug, den Herrschaften[85] an, daß die Tafel servirt sei. Die Damen legten ihre Arbeit bei Seite, und die Herzogin näherte sich ihrer Schwiegermutter und führte sie gegen den Saal. Hier nahmen sie die Ehrenbezeigungen des Sir Ramsey an, indem sie die Finger in das Wasser tauchten, welches er aus der Kanne in das Becken goß. Ottwey nahm Beides sodann schnell in Empfang, Sir Ramsey zog die Stühle für die beiden Damen und begab sich dann auf seinen Platz am Ende der Tafel, die Speisen zu zerlegen und vorzukosten. Doch blieb die Gesellschaft still und einförmig. Die Herzogin saß zwar in ruhiger Haltung, aber ohne Versuch, das Gespräch zu beleben. Die Damen wagten nicht, einer so düstern Stimmung eine andere Färbung zu geben. Arabella gehörte zu den Seelen, die leicht erdrückt werden von der Ueberlegenheit Anderer, und sie fühlte sich stets so ihrer Mutter gegenüber. Nur die Großmutter und Lucie brachten etwas Bewegung hinein. Lucie war in stets lebendigem Verkehr mit Allem, was sie umgab. Sie redete Alle an, sie scherzte, sie neckte, und blieben die Antworten aus, hatte sie mit der Dienerschaft ihren Verkehr, und weil sie der Liebling des ganzen Hauses war, und ein Engel an Güte und steter Heiterkeit, ruhten die Blicke Aller auf ihr, und ihre leichteste Frage blieb hier nicht unbeachtet. Heute schien ihre Laune doppelt heiter, da die allgemeine Stille ihr Raum gab. Sie neckte sich unaufhörlich mit Ramsey, und der kecke Jüngling, der ihr nichts schuldig blieb, unterhielt das Feuer ihres kindlichen Witzes, bis er endlich, sie zu necken, von ihrem Lieblinge Gaston anfing, wie er von Morgen an in der Hundehütte bei Wasser und Brod Arrest bekommen würde, weil er etwas im Dienste versehen habe. Gaston! rief Lucie und wurde glühend roth, Gaston in die Hundehütte! Wage es! rief sie und hob die kleine Hand zürnend gegen ihn auf. Aber das sage ich Dir, allein soll er da nicht liegen, Du oder ich, eins von uns beiden geht mit hinein.[86] Bei den letzten Worten kam das holde Lächeln schon wieder um den reizenden Mund, und sie frug weiter: Darf man den gestrengen Herrn fragen, was Gaston, der ihn gar nichts angeht, verbrochen hat? – Daß er seinen Posten verlassen und oben in den fremden Zimmern sich herum treibt, welches ihm stets mit der Peitsche verboten ward, da sein Platz in der Vorhalle ist. – Und wohin ich ihn sonst mit mir nehmen will, rief Lucie, und wo Deine Wichtigkeit nichts zu befehlen hat. Gaston soll, anstatt in der Hundehütte, heute Nacht in meinem Bettchen schlafen, und ich will davor auf der Decke liegen. Allen anwesenden Dienern entfuhr ein kurzes, schnell unterdrücktes Lachen. Mistreß Dedington rief schaudernd: Lucie, Lucie! mein Engel, Sie sind zu lebhaft! Aber der kleine Schalk blickte seitwärts nach dem Antlitze der Großmutter, und da dies noch in seiner ungetrübten Klarheit leuchtete, wurde sie dreister und sagte schalkhaft, das reizende Köpfchen gegen ihre Mutter beugend: Erlaubst Du, liebe Mutter, daß Gaston diese Nacht in meinem Bettchen schlafen darf, und ich davor auf der Decke? Die Herzogin zog hier ihren Blick von einem alten Wappenschilde ab, das ihr gegenüber an der Wand ihre Aufmerksamkeit gefesselt zu haben schien; er fiel, wie erquickt, auf Luciens heiteres Gesicht, und sie ließ das liebe Kind seine Worte wiederholen. Doch schnell zu ihrer alten Strenge zurückkehrend, sprach sie ernst: Wie unschicklich und kindisch ist Dein Begehren, Lucie, ich hätte nicht gefürchtet, etwas der Art von Dir zu hören! Ihr Blick streifte von dem beschämten Kinde die Tafel entlang und entzündete sich an Ramsey's lächelndem Gesicht. Ich fürchte, daß Ihr, Ramsey, mit Euren oft sehr weit gehenden Scherzen dies Kind zu dieser unziemenden Bitte gereizt habt. Ramsey wollte antworten, denn er verschwieg nie gern, was er zu sagen wußte, als Lucie mit Heftigkeit rief: Nein, liebe Mutter, schelte ihn nicht, Ramsey hat mich nicht darum gebeten, er ist ganz unschuldig, ich[87] wollte es selbst, weil Gaston sonst in die Hundehütte gesperrt wird. Bei diesen Worten drangen Thränen in die schönen Augen des glühenden Kindes, und Ramsey hätte gern zu ihren Füßen dem Engel seine Neckereien abgebeten. Die Herzogin schien nicht ganz gegen den versöhnenden Anblick unempfindlich, denn sie sagte merklich milder: Laß uns hören, Ramsey, was Gaston verbrach, vielleicht können wir die Sache vermitteln. Euer Durchlaucht muß ich unterthänig um Vergebung bitten, sagte nun Ramsey, der von dem Edelmuthe Luciens sich zu gleichen Empfindungen erhoben fühlte, ich habe es allerdings gewagt, Fräulein Lucie mit der Nachricht über Gastons Uebelverhalten zu necken; er hat nichts verbrochen, als daß er mir seit langer Zeit aus dem Gesichte gekommen ist. O du böser Ramsey, rief Lucie, hell auflachend vor Vergnügen und des Kummers nicht mehr gedenkend, daß Zeuge doch eben aus dem lachenden Auge in einer hellen Thräne über die glühenden Wangen rollte, das liebe Thier zu verläumden, ich werde es Dir gedenken! Die Herzogin fühlte sich nicht geneigt, die Sache böslich zu verfolgen, aber sie fragte, wo Gaston geblieben sei. In den Zimmern der fremden Lady, antwortete Ramsey. Sogleich änderte sich das Gesicht der Herzogin, und sich gegen Mistreß Morton wendend, welche auf ihren Teller blickte, rief sie: Wie kömmt das, wem hängt er an in diesen Zimmern, ich hörte bis jetzt nichts davon? Euer Durchlaucht halten zu Gnaden, sagte Mistreß Morton, indem ihr feines Gesicht von einer leichten Röthe bedeckt ward und sie den Blick nicht erhob, ich habe diesen Umstand nicht der Erwähnung werth geachtet. Der Herzogin Blick lag während dieser Worte unverwandt auf Mistreß Morton, sie schien sich mit Mühe Schweigen aufzuerlegen und benutzte das Ende der Tafel, um die alte Lady unter den gewohnten Formen nach den Zimmern zu führen, wo man sich nach der Abendtafel zu trennen pflegte.
[88]

Stanloff ließ sich am andern Morgen bei seiner Gebieterin melden. Er fand sie mit niedergeschlagenen abgespannten Zügen in ihrem Armstuhle ruhend; sie schien geschrieben zu haben. Stanloffs schnell überschauendem Blicke entging es nicht, daß mehrere beschriebene Blätter auf dem Schreibtische lagen, welcher in einer Fensternische im Rücken der Gräfin stand. Sie schien sich am Kamin in dieser ruhenden Stellung erholen zu wollen; Stanloff sah aber mit Bekümmerniß den Ausdruck von Leiden in ihrem Gesichte, das müde Auge, das sich nicht bei seinem Nähertreten erhob. Doch wies sie seine besorgten Fragen nach ihrer Gesundheit bestimmt zurück und hieß ihn zum Feuer sich setzen. Stanloff entschuldigte sein gestriges Ausbleiben mit Geschäften in einem fernen Theile der Besitzungen, welches mit einem freundlichen Neigen des Kopfes angehört wurde. Ohne weiteren Uebergang sagte Stanloff nun: Mein Bericht über die Kranke ist heute sehr erfreulich. Er wollte fortfahren, als das Wort, das er zuletzt ausgesprochen, dumpf aus dem Munde der Herzogin wiedertönte und sie mit einem tiefen Seufzer die Augen aufschlug. Stanloff schwieg, denn er sah, sie wollte reden. Sie richtete sich auf, und sogleich trat Haltung an die Stelle der Abspannung ihres Körpers, indem sie mit einem Tone, der zwischen Schmerz und Unwillen schwankte, langsam zu Stanloff sprach: Mein guter Doktor, diese Fremde nimmt uns allen viel Zeit und Gedanken. Es ist wahrlich dahin gekommen, daß das Gefühl, das Alle in diesem Schlosse am nächsten erfüllen sollte, das Gefühl der tiefsten Trauer um ihren verehrungswürdigen Herrn, meinen theuern Gemahl, zurücktritt gegen die allgemeine Zerstreuung, die dieser Gegenstand unter uns verbreitet. Ich fühle die Pflichten, die mir hiermit auferlegt sind, etwas drückend und würde mich freuen, sie auf eine Art erfüllen zu können, die sie bald zu ihren Angehörigen zurückführte. – Sie schwieg, und ein Blick auf Stanloff sagte[89] ihr, daß sie sein edles Gefühl gekränkt habe. Doch ich habe Euch mit meinen trüben Worten unterbrochen, setzte sie hinzu; es ist eine Thorheit, zu erwarten, sich verstanden zu sehen, wenn Gefühle nach dem Maaßstabe des Glückes, das sie uns allein im höchsten Maaße gewährten, auch einen Scherz erzeugen müssen, den kein Anderer theilen und begreifen kann! Diese Worte verfehlten jedoch dies Mal den Zweck, den muthigen Mann zu versöhnen. Ihr habt Recht, Mylady, sagte er fest, wenn Ihr Gefühle nicht getheilt glaubt, die zu Euch selbst nicht gehören; Eure schöne Seele müßte sonst erkennen, daß nichts mehr das Andenken dessen ehren kann, an den mein Herz mit Liebe gedenken wird, bis es bricht, als eine freudige und aufrichtige Erfüllung der Pflichten, in denen er uns allen ein leuchtendes Vorbild war. Wenn Ihr den Antheil, den das Unglück erregt, hier in Euern Umgebungen vorherrschend findet, so denkt, daß das Verdienst seiner erhabenen Tugenden hier noch fortwirkt – denkt noch mehr, denkt, daß es Euer eigenes Beispiel ist, was die Härte Eurer ebengesagten Worte widerlegt. – Er stand auf und wollte sich fortbegeben, als die Herzogin bitter ausrief: So, Stanloff, mißbraucht Ihr mein grenzenloses Vertrauen, um mich zu kränken? Wie wenig steht es Euch an, mir Vorwürfe zu machen, da ich Euch tiefer in mein Herz sehen ließ, als Andere. Darum just, und im tiefsten Gefühle Eures Werthes, wage ich Worten zu zürnen, die Euern Gesinnungen fremd sind, rief Stanloff mit edler Wärme. Wer kann Euch mehr verehren, als ich? Wer hat es Euch öfter und ehrfurchtsvoller gezeigt? Ich vertheidige das erhabene Bild Eurer Tugenden, das ich in Wahrheit erkenne, indem ich Aeußerungen zürne, die dort nicht ihren Ursprung haben! Doch ich hatte auch Unrecht, denn mußte ich nicht wissen, daß Worte der Art nie bei Euch zu Thaten werden? – Genug, Stanloff, sagte die Herzogin in milderem Tone, und vielleicht schon mehr, als ich[90] verdiene; ich will jetzt Eurem Berichte geduldig zuhören. Stanloff nahm schweigend seinen Sitz bei dem Kamine wieder ein und fuhr fort: Mistreß Morton sagte mir, daß Euer Durchlaucht von meiner ersten Unterredung unterrichtet sind. Ich hielt diese Erschütterung für nöthig, den Zustand von Lethargie aufzuheben, der über sie verbreitet war, und ich habe mich nicht geirrt. Der Geist muß oft eben so den Mechanismus des Körpers wieder herstellen, als Hülfe noch öfter umgekehrt geleistet wird. Sie ist sich seitdem ihres Unglücks, aber auch all' ihrer Sinnes- und Geisteskräfte bewußt, und ich glaube, es tritt aus der Verwirrung, die sie umspann, ein starker, wohlgeordneter Verstand hervor; ihre körperliche Schwäche und der Gram, den sie um den Tod einer geliebten Tante empfindet, halten ihn noch in einer Art Befangenheit. Aber schon nimmt man eine feine Unterscheidungsgabe wahr, für das, was recht und schicklich ist, und ihre Haltung, ihre Worte zeugen von der Gewohnheit, einen hohen Rang einzunehmen. Sie hat uns allen auf eine höchst gefühlvolle und genügende Art für unsere Pflege gedankt. Aber so sehr sie gegen Mistreß Morton und Cottington freundlich und bescheiden ist, scheint sie doch keinen Augenblick im Irrthume über die Verschiedenheit ihrer Verhältnisse. Sie hält uns von sich entfernt, ohne allen Stolz, ja, ohne Worte, ich möchte sagen, durch den Ausdruck, den sie unabsichtlich hat, und der, wenn ich mich nicht sehr irre, ebenso ihrem Geiste, als ihrem Aeußeren anzugehören scheint. Ich wagte es, sie um Aufschluß über ihr Schicksal zu bitten. Sie bedachte sich einen Augenblick und sagte dann freundlich: Verzeiht, daß ich diese Forderung Euch nicht glaube zuerst gewähren zu dürfen, Ihr macht mir Hoffnung, daß ich meine erhabene Erretterin bald werde sehen dürfen. Ihr, glaube ich, gehören diese Mittheilungen, ihr, die über meine nächste Zukunft entscheiden muß; ihr muß ich auch das Vertrauen aufsparen, mit meinen Entdeckungen nach[91] Willkür zu verfahren. Ich habe überdem nicht viel zu sagen, ich könnte Euch und Allen bald mein kurzes Unglück erzählen, und ich bitte Euch nur um die Wohlthat, mir bald den Anblick der erhabenen Frau zu verschaffen, zu deren Füßen ich meinen Dank auszudrücken mich sehne. – Stanloff hielt inne, der Blick der Herzogin ruhte auf dem Teppiche zu ihren Füßen. Da sie nicht antwortete, fuhr er fort: Ich habe ihrer nach Euch durstenden Seele versprochen, Euch heute darum zu bitten. Die Herzogin schwieg noch immer, und Stanloff fuhr fort: Euer Durchlaucht muß ich noch eine auffallende Erscheinung berichten, sie betrifft Gaston. – Merklich fuhr hier die Herzogin zusammen. – Gaston begleitete den Zug aus dem Parke nach den bestimmten Zimmern und drängte sich überall durch, um in der Nähe der Bahre und ihrer Person zu bleiben. Als die Frauen nach meiner Vorschrift die Lebensversuche machten, war er nur mit Mühe aus dem Zimmer zu entfernen, aber er wich nur bis zur äußern Schwelle. Jeden, der heraus trat, blickte er mit einem kurzen ängstlichen Geheul traurig an, lief ihm einige Schritte nach und kehrte dann zu seinem Platze zurück. Als sie im Bette lag, blieb die Thür einen Augenblick offen. Er hatte sich schnell hinein geschlichen, und als wir aus dem Rebenzimmer traten, sahen wir ihn am Bette aufgerichtet abwechselnd eifrig ihre Hände lecken und seinen Kopf hineindrängen, als wollte er von ihnen geliebkost sein. Ich gestehe, daß mich der Anblick rührte, ich konnte ihn nicht gleich verjagen und hörte, daß er tief seufzte, wie Menschen im Schmerze. So blieb er Tag und Nacht vor der Schwelle bis sie zuerst aus dem Bette war und er sie sprechen hörte. Da stürzte er die hinaus tretende Alice beinahe zu Boden und flog mit solcher Gewalt auf die Kranke zu, daß sie, zum Tode erschreckt, sogleich ohnmächtig ward. Gaston ward mit Gewalt entfernt, und seitdem hält er sich auch ruhiger und in seinem gewöhnlichen Bereich. – Und[92] wozu diese Erzählung? fragte die Herzogin rasch, von ihrem Stuhle aufstehend und einen Blick stolzer Erwartung auf Stanloff werfend. Vielleicht, erwiederte der ruhige Diener, sich gleichfalls erhebend, daß zwischen der Lady und Gaston ein Zusammenhang statt findet, den das kluge Thier schnell erkannt hat, und der uns zu Entdeckungen führen könnte. Die Herzogin wandte ihm unwillig den Rücken, und nach dem Schreibtisch hin gehend sagte sie kalt: Ich bin nicht gelehrt, Master Stanloff, und muß Verzicht darauf leisten, Dinge zu begreifen die über die gewöhnlichen Grenzen der gesunden Vernunft zu gehen scheinen, die Gott mir allein verliehen. Ich will Euch in so wichtigen Betrachtungen mit meiner Einfalt nicht störend sein, doch muß ich bemerken, daß ich nicht wünschen kann, daß solche Dinge sich im Schlosse unter den verschiedenen ungebildeten Dienstleuten verbreiten, als von mir oder meinen nächsten Umgebungen ausgehend. Nichts ist ansteckender, als geheimnißvolle Träumereien, und nichts gefährlicher für das Glück unverdorbener Leute niedern Standes. – Ihr habt zu befehlen, was meinen Mund anbetrifft, sagte Stanloff. Die Thatsache der Aufmerksamkeit zu entziehen, lag jedoch weder in meiner Macht, noch in meinem Beruf. Die Herzogin stand bleich und bebend an ihrem Schreibtisch, und Stanloffs Herz schmolz in Wehmuth bei ihrem Anblick, obwohl er heute so oft unter ihren scharfen Worten hatte leiden müssen. Die Juwelen, welche sie trug, und das kleine Taschenbuch, habt Ihr's von Mistreß Morton erhalten? hob er an, mit dem gutmüthigen Wunsche, sie aus ihrem Zustande zu reißen, dessen Ursache er vergeblich suchte und in Gastons unschuldigem Thun nicht finden konnte. Mit beklommener Stimme sagte die Herzogin: Ja wohl, Juwelen, Stanloff, nicht unwerth, in dem Diadem einer Königin zu glänzen, ein Armband und ein Kreuz. Das Buch, sagte sie kaum vernehmlich, aber sehr hastig, war mit[93] einer Perle von großem Werthe verschlossen; es lag ein Wechsel von einigen tausend Pfund darin und noch ein Paar Zeilen. Großer Gott, was ist Euch! rief Stanloff, denn die Herzogin endete die letzten Worte in einer Art von Gestöhn und taumelte gegen die Pfeiler des Fensterbogens. Nichts! Nichts, Stanloff! rief sie wie trostlos, aber ruft Morton, und bei Eurer Pflicht, bei Eurer tugendhaften Seele, ja, so lieb Euch der Friede der Meinigen ist, wendet Alles an, dies Mädchen zu erhalten, sie herzustellen. Ich will sie sehen, heute noch sehen. Stumm verneigte sich Stanloff, Mistreß Morton zu rufen, aber sie trat ihm in dem Vorsaal schon entgegen. Sie bedarf Eurer, sagte Stanloff tief bewegt. Die beiden treuen Diener blickten sich einen Augenblick stumm und traurig an. Stanloff fuhr mit dem Tuch über die Augen, und Mistreß Morton sah, der alte Herr war um seine Fassung. Sie reichte ihm die Hand und sagte sanft: Das Rechte thun und Gott vertraun! Er nickte mit dem Kopfe und eilte aus dem Saale. Mistreß Morton fand ihre Gebieterin zwar blaß und ermüdet, doch mit wieder erlangter Fassung. Sie war seit einiger Zeit an diese plötzlich wechselnden Zustände gewöhnt und zog es vor, sie völlig unbeachtet zu lassen, überzeugt, dadurch die stolze Frau am schnellsten auf sich zurück zu führen. Auch lag in dem Sinn der alten Dienerin ein gewisser Stolz auf die Kraft und würdige Haltung ihrer Gebieterin, womit sie manche ihrer Fehler in ihren Augen versöhnte, und sie war fast empfindlich, die Lady seit einiger Zeit so oft mit Weichheit und heftigem und sichtbarem Schmerze wechseln zu sehen, welches der Würde Abbruch that, in der sie dieselbe erhalten wissen wollte, selbst um den Preis, dadurch als Dienerin in schärfere Grenzen der Zurückhaltung gewiesen zu sein. Die alte kluge Dame hatte sicher für diesen Karakter das Passendste erdacht, denn die Lady fühlte sich sehr wohl mit Mistreß Morton und schien stets zu einer ruhigeren Betrachtung[94] der Dinge in ihrer Gegenwart überzugehen. Auch heute ließ sie sich ihre stummen und angenehmen kleinen Dienste gefallen; sie nahm ohne Widerstand einige Tropfen, die ihr wie absichtslos gereicht wurden, als ahne man kaum den Zweck. Der Sessel war bequem gegen die sanfte Glut des Kamins geschoben, die Füße ruhten gemächlich auf einem Polster, und leise legte Mistreß Morton einige Bücher, Arbeiten und kleine gebrauchte Geräthschaften bei Seite, wohl wissend, daß das Auge der Herzogin ihren Bewegungen unwillkürlich folgte, aufmerkend, ob jedes seinen Platz gewönne, wodurch sie sich endlich abziehen ließ und zu einer Art von Ruhe gelangte, fast zugleich mit der wiederkehrenden Ordnung ihres Zimmers. Mistreß Morton wollte nun eben ihren Platz einnehmen und eine Arbeit ergreifen, als die Herzogin mit freundlichem, sanftem Ton sich zu ihr bog: Du scheinst fertig zu sein mit Deiner geschickten Ordnungsgabe, und ich will Dich bitten, mir Deine Gegenwart bei meinen beabsichtigten Besuchen zu schenken. Ich freue mich, daß Euer Durchlaucht so angenehm über mich befehlen, sagte nun gleichfalls Mistreß Morton heiterer, sich dem Armstuhle nahend, in dem die Herzogin noch immer mit allen Zeichen der Ermüdung ruhte. Sie hob jetzt den Kopf und fuhr freundlich fort: Es wird wohl nöthig sein, daß Du Deine Hand an meinen Kopfputz legst, denn ich muß, wie ich vermuthe, nicht sehr bedacht gewesen sein, ihn zu schonen, und da wir so eben gehen, in der Fremden eine neue Bekanntschaft zu machen, wollen wir uns nicht als eine Verwirrte ihr zeigen. Doch halt, laß sehen, liebe Morton, ob ich stehen kann? – Es geht, fuhr sie fort, indem sie mit ihrer ganzen schönen Haltung einige Schritte vorwärts that, und das Lächeln, welches auf den bleichen Lippen, während sie sprach, mit den vorherrschenden Schmerzenszügen gekämpft hatte, brach auf einen Augenblick durch, und sie versuchte zu scherzen, indem sie fortfuhr: Ich werde so schnell, wie Pons,[95] die Treppe hinab und hinauf eilen. Rufe den Knaben, er soll zu meinen Töchtern und dann zur Fremden mir vorangehen.

Als sie jedoch die Handschuhe, die ihr Morton darreichte, ergriff, sanken plötzlich ihre Arme an ihr nieder. Sie faßte die Lehne des Stuhls, und hob Kopf und Blick mit unaussprechlichem Ausdruck gegen die Decke. Da zog Pons den Vorhang, der die angrenzenden Zimmer trennte, und zeigte sein heiteres jugendliches Gesicht, das er mit Mühe in die Ehrfurcht ausdrückenden Falten zu ziehen suchte, indem er sich und seine kleine mit Federn geschmückte Mütze zur Erde neigte. Schnell war die Herzogin wieder gefaßt. Nun, Pons, sagte sie freundlich, bist Du munter, oder nach Pagenart schläfrig und unlustig, selbst den Fächer oder Schleier Deiner Dame zu tragen? Pons ließ statt aller Antwort sein Auge zu ihr aufgehen, und dies widerlegte mächtig den geäußerten Verdacht, denn was je an Schalkheit und Munterkeit in dem Hirn eines Pagen reifte, blitzte aus diesem kohlschwarzen Augenpaar. So, so, sagte die Lady lächelnd, Deine tiefe Verbeugung sollte mir blos den Schalk verbergen, der mich jetzt anblickt. Der aber nie schläfrig und unlustig ist, wenn seine erhabene Gebieterin ihn mit ihren Befehlen beehrt, flüsterte Pons. Kind, rief die Herzogin, Mortons Arm im Hinausgehen nehmend, Du sprichst, als hättest Du John Spencers Pagen-Lexikon gelesen, ein berühmtes Buch, unter Heinrich des Achten wohl dressirter Pagenzunft. Pons flog wie ein bunt gefiedertes Vögelchen in seinem zierlichen Kostüm von den Farben des Hauses durch die hohen Zimmer und Gallerien, das Nahen seiner Herrin an die in den Vorzimmern der jungen Gräfinnen harrenden Diener zu melden, und die Herzogin ward mit lauter Freude von Arabella und Lucie empfangen. Beide waren mit ihren Damen in der Gesellschaft des Master Copley, der jeden Tag einige Morgenstunden dazu benutzte, den wissenschaftlichen Theil der Erziehung der[96] jungen Gräfinnen zu leiten. Es war ein unbeschreiblich heiterer und höchst ehrwürdiger alter Mann, als Geistlicher von den gemäßigtesten Gesinnungen, von einer gründlichen wissenschaftlichen Bildung, unverheirathet und mit ganzem Herzen an der herzoglichen Familie hängend, der er seit dem Vater des letzt verstorbenen Herzogs als Schloßkaplan diente. Die Herzogin hatte heute eine anmuthige weiche Hingebung gegen Alle, sie wußte Jedem ein gütiges Wort zu sagen oder einen freundlichen Blick zu geben. Mistreß Morton war ganz glücklich, denn so war die Herzogin in ihrer besten Stimmung, milde und doch mit der Würde, die ihr hoher Rang und ihr ernster Karakter mit sich brachte. Sie wußte dann Alles um sich her in eine angenehme Stimmung zu versetzen und heilte die kleinen Wunden, die sie oft schlug, so daß selbst neue weniger schmerzten. Doch fühlte Mistreß Morton wohl, daß gegen das Ende ihres Besuches ein kleiner Kampf in ihr entstand; sie war zerstreut und blickte zuweilen ernst um sich her. Endlich erhob sie sich; doch noch zaudernd trat sie an eins der hohen Bogenfenster, das nach dem Park hinaus ging. Sie schien den Sonnenblick zu verfolgen, der die trüb' aufgehäuften Wolken eben durchbrach und langsam an den grünenden Partieen des Parkes dahin strich. Mistreß Morton sah über die Schulter Copley's, mit dem sie eifrig sprach, wie der Ausdruck in den Zügen der Lady schnell, und nichts Gutes verkündigend, wechselte, aber es ging vorüber. Muthig richtete sie sich von dem Fenstergesims empor; sie ging auf ihre Töchter liebreich zu, schloß sie in ihre Arme und blickte ihnen lange zärtlich in die Augen, küßte sie dann beide und sagte sanft: Meine geliebten Kinder, wir wollen nie Euern theuern Vater vergessen, stets seiner Tugenden gedenken und ihnen nachleben, dann werden wir alle ertragen können, was Gott verhängt. Sie entließ die tief gerührten Kinder aus ihren Armen, grüßte mit einer anmuthigen Bewegung die Uebrigen[97] und schritt mit fester Haltung, ohne Mortons Arm, aus den Zimmern, die Gallerie entlang, welche sich in einem Saale endigte, der in zwei Eingängen zu den Gemächern des Prinzen von Wales führte, deren eine Reihe die prachtvollen Zimmer enthielt, welche die alte Herzogin für jetzt bewohnte; in den andern dagegen befanden sich die sogenannten Vorzimmer, nach dem Schloßplatze hinaus gehend und jetzt von der Fremden bewohnt, welche die Herzogin im Begriff stand aufzusuchen. Pons flog schon, von seiner Meldung zurückkehrend, der Herzogin in dem Saale entgegen, aber sie schien ihn nicht zu sehen, sondern schritt an ihm vorüber in die geöffnete Zimmerreihe. Kaum hatte sie das erste Zimmer betreten, als an der Schwelle des dritten eine weibliche Gestalt erschien, die, so wie sie die Herzogin erblickte, rasch voreilte, so daß die Herzogin mit ihr in dem dazwischen liegenden Zimmer zusammen traf. Einen Augenblick ruhten Beider Blicke auf einander, dann lag die Fremde mit gebeugtem Haupte zu den Füßen der Herzogin, die in demselben Augenblicke leise wie sterbend die herzueilende Morton rief, deren Arm krampfhaft ergriff und, starr ihre Blicke auf die Knieende heftend, unfähig eines Wortes, einer Bewegung blieb. O, meine Beschützerin! rief jetzt die Knieende, und diese Worte waren von einer so melodischen Fülle des Tones begleitet, daß sie süß jedes Ohr erreichen mußten, aber die Herzogin zuckte zusammen, als ob diese Töne sie zerrissen. Doch es war das letzte Zeichen ihrer Erschütterung, ihre Besinnung kehrte wieder, und sie fühlte mit Scham und Verlegenheit, wie die Arme noch zu ihren Füßen lag. Um Gott, Mylady, was thut Ihr! rief sie lebhaft; steht auf! Knieen wollen wir, aber gemeinschaftlich vor dem liebevollen Beschützer dort oben, der Euch hierher führte, wo wir uns bemühen wollen, die Euch widerfahrene Unbill gut zu machen. Da hob die Fremde zuerst ihren Kopf von der Brust zu der Herzogin empor und zeigte ein Antlitz,[98] überströmt von Thränen, aber mit dem sanften Anhauche eines dankbaren Lächelns, das dies Gesicht, trotz seiner Lilienblässe mit dem rührenden Zauber weiblicher Schönheit belebte. Sie richtete sich vom Boden mit Hülfe der Herzogin auf und stand nun vor ihr, in einer völlig ungezwungenen und natürlichen Haltung. Aber als sie, von der Herzogin geführt, mit ihr nach einem Sessel ging, wollte es selbst Morton, der eifersüchtigen Dienerin, scheinen, als ob die Herzogin in schöner Haltung nachstehe und diese junge Gestalt allein Alles vereinige, was man darunter zu verstehen pflegt. Stanloff hat uns heute endlich die Erlaubniß gegeben, Euch sehen zu dürfen, sagte die Herzogin, indem sie Platz nahm, und ich bin hier, Euch willkommen zu heißen und Euch zu fragen, ob Ihr keine Klagen zu führen habt über irgend eine gegen Euch versäumte Pflicht, oder ob ich in irgend etwas persönlich im Stande bin, Euch zu dienen? O, Mylady! rief hier die Fremde und drückte die schönen Hände an ihre Brust, fragt nicht, ob es mir gut erging. Ich war, seit ich in diesem Schlosse bin, in den Händen der edelsten Menschen. Ihr Auge richtete sich bei diesen Worten mit einem Glanze auf Mistreß Morton, der aus der warmen Dankbarkeit eines schönen Herzens zu steigen schien und so ausdrucksvoll war, daß die ehrwürdige Dame, ganz bewegt, tiefer sich vor ihr neigte, als sie es nachher in ihrem Zimmer begreifen konnte, und die Herzogin von dieser alten und stolzen Frau nie anders, als vor sich selber, es erlebt hatte. Und Ihr, Mylady, fuhr sie fort, kommt nun zu mir armen verwaisten Kinde. Ihr wollet den großmüthigen Schutz bestätigen, den ich bis jetzt genoß. Ach, ich danke Euch für die Wohlthat Eures Anblickes; Ihr werdet mir erlauben, Euch mein Herz zu öffnen, und von Euch werde ich dann besser, als von mir selbst erfahren, wie mein Schicksal anzusehen ist. – Laßt das für jetzt, liebes Kind, sagte die Herzogin und legte sanft die Hand auf ihre Schultern,[99] nicht um Euch an Euer Unglück zu erinnern, kam ich hierher; ich darf, ohne Stanloffs Vorwürfe zu verdienen, nicht zu geben, daß Ihr Euch erschüttert. Es bedarf nicht solcher Mittheilungen, fuhr sie immer wärmer fort; schweigt über Eure Verhältnisse, Euern Namen, so lange es Euch gefällt, Ihr seid meines Schutzes gewiß, und ich bedarf, nun ich Euch gesehen, vorläufig keines Bürgen; auf dieser Stirn stehen die Vorrechte der Geburt und der Unschuld! – Der gespannten Aufmerksamkeit der Mistreß Morton war es nicht entgangen, daß die Herzogin hier in wenig Minuten das Schicksal derer theilte, die sich bisher dieser jungen Person genähert und aus ihrer Persönlichkeit denselben Glauben geschöpft hatten. Die Herzogin schien selbst zu fühlen, daß sie diesen eben bezeichneten Eindruck etwas schnell gewonnen habe; sie liebte nicht, wenn ihr Gefühl ihrem Verstande voraus eilte, vielleicht, weil sie sich des ersteren nicht als ganz zuverlässig bewußt war, und sie sah ein aufsteigendes Mißbehagen über ihre schnelle Hingebung in sich voraus, als dieser augenblickliche Ideenflug unterbrochen ward durch die Worte: Geburt und Unschuld, welche die junge Lady mit einem unverkennbaren Ausdruck von Erstaunen wiederholte. Sie schien hier vor einer neuen Idee zu stehen, die sie nicht zu verfolgen vermochte, und es lagerte sich ein zarter Anflug von Nachdenken um ihr ernster werdendes Antlitz. Doch die stets verwöhnte Herzogin, nie sehr geneigt, die feinern Empfindungen Anderer zu bemerken oder errathen zu wollen, da sie gern ihre eigenen ihren Umgebungen als Ziel zu stecken pflegte, schien auch diese unverkennbare Wirkung ihrer Worte in der jungen Lady übersehen zu wollen, setzte aber mit einem sehr wohlwollenden Tone hinzu, indem sie sich erhob: Ich darf nun, hoffe ich, ohne Euch zu sehr anzugreifen, für Eure Unterhaltung sorgen. Meine Töchter, ihre beiden Damen sollen Eure Einsamkeit Euch erleichtern helfen, bis Ihr so weit hergestellt seid,[100] in unserm Familienkreis erscheinen zu können. Lebt wohl Lady und richtet Euern Geist auf, damit Eure Gesundheit erstarken könne! – O, geht noch nicht! rief die Unbekannte, wie erwachend, und stellte sich schnell von ihrem Platze vor die Herzogin, sagt mir, edle Frau, Ihr wollt mich ferner schützen? Kein Mensch kann hier feindlich eindringen? Diese Zimmer sind ganz sicher? – Ach verzeiht mir, liebe Mistreß Morton, oft habt Ihr gütig diese Fragen mir beantwortet, ich glaubte Euern tröstlichen Worten, und doch sehnte ich mich nach der Bestätigung aus diesem Munde. O, zürnt mir nicht, Mylady, man nannte mich furchtlos sonst. Ach, man hat sich schwer getäuscht, meinem glücklichen Leben fehlte blos das Furchtbare, mit ihm lernte ich auch die Furcht kennen. – Seid unbesorgt, erwiederte die Herzogin, dies störe nimmer Eure Ruhe. Für Eure Sicherheit verbürg' ich mich; im Schooß der Euern waret Ihr nicht sicherer. – Gott lohne Euch so große Güte! rief nun das holde Wesen, und es wiederstrahlte ihr Gesicht von Dank und inniger Verehrung. Sie hatte lieblich sich gebeugt und ihre Hände kindlich auf die Brust gekreuzt. Die reichen braunen Locken umschatteten in glänzender Fülle die hohe Stirn, das liebliche Oval. Sie hob die Augen langsam zur Herzogin empor, und wer diesen Blick erkannt hatte, der mußte für immer sich ihr weihn. Auch schien die Herzogin davon aufs Neue erschüttert; noch ruhete ihr Auge darauf, als könnte sie es nicht losreißen, aber ihre Füße, ihre Arme hoben sich außer aller Haltung wie zur Flucht. Die Farbe wechselte auf ihren Wangen, und kaum vernehmlich stammelte sie ein wenig motivirtes schnelles Abschiedswort. Rasch eilte sie durch die Zimmer und blieb dann unbeweglich vor Pons stehen, der im Vorsaal harrend in seiner tief gebeugten Stellung um ihre Befehle fragte. Sie sah ihn nicht, seine Worte erreichten nicht ihr Ohr. Ihre Augen blickten trübe in die Ferne des Saales, als gewahre[101] sie dort einen Gegenstand. Pons hob bei ihrem fortgesetzten Schweigen den Kopf empor, vielleicht in guter Hoffnung einer Fortsetzung des früheren Scherzes.

Aber so auffallend war der Ausdruck in den Zügen seiner Herrin, daß er zurück sprang und die Augen scheu nach dem Raume warf, in den die Herzogin hineinstarrte. – Zur selben Zeit trat Mistreß Morton vor, und ihre Stimme erreichte ihr Ohr. Was willst Du, Morton, was habe ich gethan, wie sagst Du? rief die Herzogin jetzt schnell auf einander. Pons erwartet die Befehle Euer Durchlaucht, sagte Morton in fast strengem Ton. Die Herzogin strich mit der Hand über die gespannte Stirn und deutete dann nach den Thüren, welche zu den Zimmern der alten Herzogin führten. Pons verschwand wie der Blitz, aber die Herzogin behielt keine Zeit sich zu sammeln, denn die alte Lady, von ihrer Nähe unterrichtet, hatte schon Lovelance an die Thür geschickt, den möglichen Besuch der Schwiegertochter zu empfangen. Sie kam ihr in ihrem Wohnzimmer entgegen, aber die freundlichen Mienen und Worte, mit denen sie daher kam, erstarben, als sie die Herzogin näher anblickte. Todtenbleich mit gebrochenen Augen zuckten ihre Lippen nach Worten, aber nur ihre Hand konnte ein schwaches Zeichen gegen die Thür machen. Diese verschloß sich dem Winke, und sie ergriff mit letzter Kraft einen Lehnstuhl, darauf bewußtlos niedersinkend. Ruft Niemanden zu Hülfe, Milady, rief die besonnene Morton, und erschreckt nicht, es wird bald vorüber gehen. Ich führe Alles bei mir, was der Frau Herzogin nöthig ist. Während dem löste sie geschickt den Gürtel und die Banden an dem Kopfzeuge, und rieb Stirn und Schläfe und die zuckenden Pulse mit flüchtigen Tropfen, indeß die alte Lady, so ruhig und gefaßt, wie die alte Dienerin, mit mütterlicher Innigkeit zwischen ihren warmen Händen die erstarrten der Herzogin zu beleben suchte.[102]

Sah meine Tochter die Fremde? – Sie sah sie so eben. – Dies waren die einzigen leise gewechselten Worte der beiden Frauen. Ihren stillen Bemühungen entsprach bald der Erfolg. Die Herzogin schlug die Augen auf, und sich zusammenraffend blickte sie umher. Als ihr klar ward, was geschehen war, suchte sie sich zu erheben. Sie wollte sprechen, doch die alte Lady ließ sie nicht zu Worte kommen, sondern sagte, indem sie sanft sie zu einem Stuhl am Kamin führte und in ungestörter Ruhe, wie es schien, sich an ihrer Seite niederließ:

Muß ich nicht wieder schelten? Wie Du Deine Gesundheit wagst! Ohne Mantel bist Du über die kalten Gallerien und Säle gegangen, und die Luft ist so voll Nebel heute, daß kein Fenster dicht genug ist, ihn abzuhalten. Vergißt Du ganz, wie Deine Gesundheit jetzt zarter behandelt sein will, als sonst? Wollten wir Dich strafen, plauderten wir aus, wie leidend Du Dich machst, aber wenn Du Deinem alten Mütterchen nur künftig folgen willst, wollen wir Dich nicht verrathen, denn Deine Kinder hätten freilich groß Recht, mit Dir zu schelten.

Die Herzogin senkte den Blick, den sie, während die edle Lady sprach, fest auf sie gewendet hielt, als wollte sie die unbefangenen Worte prüfen. Doch wenn auch zweifelhaft blieb, ob sie diese jähe Ohnmacht wirklich dem Nebel in den Gallerien zuschrieb, Wohlwollen, ungekünstelt und rein, wie es in diesem Herzen vorwaltete, war der unverkennbare Ausdruck in ihren weichen Zügen, ihrem Blick, im Ton der Stimme. Der starre Ernst auf dem bleichen Angesicht der Herzogin löste sich, wie öfters an der Seite dieses warmen, hingebenden Gemüths, in eine Art von Ergebung auf. Sanft zog sie die liebende Hand an ihre Lippen und sagte mild:

Du hast mich also noch nicht aufgegeben, meine wahre, liebe Mutter? Man schilt nur da, wo man noch auf Besserung hofft. Ich will Dir so gerne folgen, hätte ich Dir immer folgen[103] können, wäre ich Dir vielleicht ähnlicher. Ach, ich bin schwach, wie ich und Andere mich wohl noch nie gesehen. Ich bin mir fremd und kann mich in mir selbst nicht finden. Welch' ein gebrechlich Ding ist, was wir oft in uns als Kraft bezeichnen möchten, weil wir ertragen konnten, was Andere um uns her erweichte; und jener eitle Wahn eines steten Muthes, weil uns lang verschonte, was uns zu beugen aufbehalten war, wenn er verfliegt, welch' einen Blick läßt er in unser Inneres thun, von dem wir ohne Vorwurf kaum uns wenden können! Es will uns mahnen, als hätten wir Vieles wohl in uns versäumt zur Hülfe aufzuziehen, da wir irrthümlich so stolz des Einen uns gesichert glaubten, was wir Kraft nannten!

Wo ist die Brust, die menschlich fühlt, geliebte Tochter, erwiederte ernst die alte Lady, und dennoch ohne Wanken in immer gleicher Fassung sich rühmen kann, dem Leben zu begegnen. Wir hören darum nicht auf, kräftigen Gemüths zu sein, wenn uns erschüttert, was Gott zur Prüfung dieser Kraft beschließt, sie wird oft erst recht wahrhaft uns zu Theil, wenn wir durchdrungen wurden von ihrer irdischen Gebrechlichkeit. Es hat mir oft scheinen wollen, als deuteten gar Viele den Begriff von Kraft wohl anders, als es vielleicht von Gott bezeichnet ward, und Du, geliebtes Kind, scheinst mir mit Deinen Klagen zuerst Dir selbst zu nahe zu treten. Kraft ist etwas Anderes, als Härte des Gefühls. Du bist nicht schwach, wenn Du tief leidend fühlst, was Gottes Hand Dir auferlegte. In Deinem Schmerze auch liegt Kraft, die Du zerstoben wähnst, weil sie Dich nicht mehr rüstet gegen ihn. Nicht das ist mir als Kraft erschienen, was uns ablöst von dem Allgefühl von Schmerz und Freude, kräftig just scheint mir der Mensch gestaltet, der Raum und Anklang für den Vollbegriff des Daseins hat; Freud' und Schmerz muß Recht behalten über ihn, und Streit und Widersprüche dürfen ihn bewegen. Immer wird er[104] noch zum Bund der Starken sich zählen dürfen, denn wenn Du reich begabt in's Leben trittst, ergreift es Dich auch reich, Du trachtest es zu heherrschen, es reizt Dich, daß Du von ihm beherrscht Dich fühlst. Dies Ringen um den Preis der Freiheit ist das Ziel, das jeder starken Seele vorschwebt, und jeder Siegende muß Kämpfer gewesen sein. Was Dich alsdann erquickt, nenn' es Frieden, nenn' es Geduld, es ist so schwer, es zu erringen, daß auch der Starke es spät erst in seiner vollen Bedeutung sein eigen nennt. –

Geduld, geliebte Mutter, nennst Du dies Lammgefühl, was die Natur, ohne alle Zugabe und Verdienst, oft in die Brust des schlaffsten Wesens bei der Geburt schon legte? Nennst Du es synonym mit Kraft, während mir beide als Pole in der menschlichen Natur erscheinen? Ist denn Geduld nicht just der Mangel aller Kraft? Wird der, der Muth in sich fühlt, dem Leben die Gestaltung abzuringen, die er in sich beschlossen, als die rechte, wird er, anstatt zu thun, wozu die Kräfte ihn beriefen, als thatenloser Zeuge stehn und bloß empfangen, gut oder schlecht, was Andere statt seiner beschlossen? –

Wer hat gelebt und nicht erfahren, liebe Tochter, daß jenen muthigen Beschlüssen im Gelingen die Grenze gesteckt ist. Wir schauen das Leben an, ein lieblich Räthsel in der Jugend, von dem wir nur glückliche Auflösung hoffen. Es widerstrebt dann später, und wir entzücken uns im Widerstande, der unsere Kräfte weckt, im heißen, aber genügenden Gefühl so viel zu geben, als wir nehmen. Wer kräftig erschaffen ward, der träumt, das Leben sei in seiner kühnen Hand; nach Außen hin sieht er Hoffnungen erweckt und suchet große Dinge; doch ist kaum der Gipfel erreicht, wo er beginnen wollte, und es bricht zusammen, was in dem Bereiche dieser Trümmer lag, was er just schaffen und erreichen wollte. Gar leicht erscheint da dem Besten auch der Augenblick, wo er sich frägt, ob er die Welt,[105] ob die Welt ihn betrogen habe. Der Kräftige überlebt diesen Augenblick, und was dann in ihm ersteht, beglaubigt erst, was früher er verheißen. Zwischen Wollen und Gelingen ist die geheimnißvolle Tiefe ihm aufgedeckt. Die Grenze, die dem raschen Schritte von Außen ward gesteckt, er steckt sie selbst sich in die feste Brust. In sich zurückgewiesen, sammelt er die Schätze, die so reizend aus sich selber ihn herausgelockt; und was aus diesem züchtig eingehegten Schatze nach Außen dann wieder dringet, es will nicht sich, es will dem Guten helfend sich erweisen. Auf diesem Wege kömmt im Starken, und just allein in ihm, das große Wort zu Ehren, was ich Dir nannte: Nenne es Frieden, nenn' es Geduld! –

O Mutter, wie Wenige verdienen dann Dein heilig Wort! Wie schnöde hab' ich selber auf dies Gefühl geblickt, was aus Deinen Worten zum Heil'genschein mir wird, um eines Märtyrers vernarbte Stirn! –

Und wer auch, meine Tochter, ruft die Deutung dieses Wortes uns himmlischer zurück, als diese Muster höchster Kraft und Tugend? Lohnte ihnen denn auf ihrem Wege der irdische Erfolg? Glichen sie nicht alle, von dem Höchsten an, dem Säemann, der lang vor der Ernte dem Felde entrückt ward, das er in dürrer Zeit, den jungen Keim zu nähren, mit seinem eignen Blute sanft beträufte? War die Geduld, mit der sie schieden, nicht dieser höhere Aufschwung ihrer Seelen, war sie nicht Kraft? –

Sie war es, theure Mutter! Nie habe ich dies verkannt, und doch ist mir die Anwendung für unser kleines Leben, ich gestehe es Dir, nie ganz so klar geworden. Es ist mir, als müßte ich die Bedeutung, die heute mich davon durchdrungen, in alle Welt verkündigen, daß Keiner länger wähne, er sei in Kraft, wenn er dem Leben grolle, das von seinem eitlen Streben ihn verwiesen und eine Bahn ihn führt, die minder den stolzen Träumen genügt, die er sich selbst erschuf. –[106]

Der ist der Schwache, liebes Kind, der unablässig dem Phantome seiner Eitelkeit nachschleicht, der daran selbst sich zehrt, in ewig unbefriedigter Empfindung, und dem Individuum hassend aufzubürden strebt, was seine eigne Schwäche ihm geboren. Doch laß mich ein Ziel finden, habe ich nicht zu lange in diesem unbequemen Lehnstuhl Dich gefesselt bei Deinen Leiden. –

Glaube das nicht, geliebte Mutter! Ein Engel führte meine wankenden Schritte zu Dir, immer ist Deine liebe Nähe der Balsam für mein Herz, doch heute haben Deine Worte mich erhoben, Du weißt nicht wie, und wie just zur rechten Zeit! –

Gelobt sei Gott! sagte die alte Lady und küßte der scheidenden Herzogin die Stirn, wir müssen stets mit Rührung und mit Dankbarkeit es hören, wenn Gott sich unserer bedient, denen wohlzuthun, die er liebt.


Als die Damen sich bei der Mittagstafel wieder fanden, zeigte die Herzogin ihrer Schwiegermutter an, daß sie Briefe aus London von Lord Archimbald und ihren Söhnen habe, und daß sie in einigen Tagen schon ihren Schwager und den jungen Herzog zurück erwarten dürfe. Ihre Töchter und Mistreß Dedington und Carby forderte sie dagegen auf, den Nachmittag der fremden Lady einen Besuch zu machen. Lucie schlug entzückt in die Hände, und es war seit lange wieder das erste heitere Mittagsmahl; denn auch die nahe Ankunft des Oheims und Bruders schien auf die verschiedenen Hausgenossen nach Maaßgabe ihrer Verhältnisse belebend zu wirken. Doch Luciens Vergnügen kannte keine Grenzen. Die fremde Lady, der Bruder, der Oheim, Alles reizte ihre natürliche gute Laune, und Ramsey und Pons und Ottwey und Jepson und andere ihrer Lieblinge[107] mußten durch tausend kleine unschuldige Neckereien der Ableiter werden, bis sie die Füßchen zu ihren Sprüngen gebrauchen durfte. Mit einem Mal rief sie:

Liebe Mama, Du hast uns noch nicht gesagt, wie die fremde Lady heißt; wie sollen wir sie nennen? –

Darnach fragte ich nicht, mein Kind, denn es geziemt sich nicht, den, der unsern Schutz genießt, mit Fragen der Art zu belästigen. –

Aber warum sagte sie ihren Namen Dir nicht? fragte Lucie weiter. –

Ich wünschte nicht, daß sie Dinge spräche, die sie angriffen, da Doktor Stanloff sie geschont wissen wollte. – Lucie wollte eben weiter fragen, warum die Nennung ihres Namens angreifend sei, als die Herzogin nach einigen leisen Worten gegen ihre Schwiegermutter zugleich mit derselben sich erhob, mit dem Bemerken, sie wünsche, daß man sich beim Desert nicht stören lasse, welches ein Zeichen war, daß die beiden Damen allein sein wollten. Als die Herzogin ihre Schwiegermutter zum Kamin geführt hatte, nahm sie die empfangenen Briefe, und mit der ehrfurchtsvollen Aufmerksamkeit gegen ein Familienhaupt, als welches die alte Herzogin, trotz ihrer bescheidenen Zurückhaltung, immer in der Familie angesehen ward, zeigte sie ihr an, daß Lord Archimbald ihr einige Nachrichten gegeben habe, über die schon vor dem Tode ihres Gemahl mit dem Grafen von Dorset angeknüpften Heirathsangelegenheiten zwischen ihrem Sohne Robert und der ältesten Tochter des Grafen, der Lady Anna Dorset. Beide hatten sich, auf der Reise des Herzogs nach Spanien, bereits in London kennen gelernt und, wie es schien, sich gefallen. Die Väter waren sehr erfreut, ihre Wünsche so in Erfüllung gehen zu sehen, und der Oberhofmeister Graf Dorset hatte den nunmehrigen jungen Herzog mit Auszeichnung empfangen, und den Grafen Archimbald und Salisbury[108] alle dem verstorbenen Herzog geleisteten Versprechungen in Betreff der Vermählung wiederholt.

Mein Sohn jedoch, fuhr die Herzogin fort, hat es im gegenwärtigen Augenblicke unpassend gefunden, mit seinen Bewerbungen vorzutreten, und obwohl er in dem Familienkreise des Grafen Dorset erschienen ist und mit hoher Bewunderung von der jungen Lady spricht, ist doch seine Absicht darauf gerichtet gewesen, sich seiner Pflichten bei Hofe zu entledigen, um zu uns zurückzukehren. Graf Archimbald wird ihn begleiten, um ihn hier in den auf ihn harrenden Pflichten zu unterstützen; er hat aber dagegen einwilligen müssen, meinen Sohn Richmond für einige Wochen beim Grafen von Salisbury zurückzulassen, weil derselbe leidend, die Unterstützung einer zuverlässigen und ihm ergebenen Person wünschte. Hier ist Richmonds liebenswürdiger Brief, und hier die Einlage vom Grafen Archimbald.

Ich kann Dir nur Glück wünschen, erwiederte die alte Herzogin, zu der Aussicht einer Vermählung, die ich nach meiner Bekanntschaft mit der Familie Dorset heilbringend hoffen darf. Der Graf hat noch eine jüngere Tochter, welche Olony heißt, und Beide, denke ich, konnten unter der Leitung einer solchen Mutter nur gut sich entwickeln. Es müssen übrigens die reichsten Erbinnen in London sein, Olony jedoch bedeutend jünger, als Anna.

Lies selbst, liebe Mutter, sagte die Herzogin lächelnd und reichte ihr Graf Archimbalds Brief, was mein Schwager mir über Olony sagt; denn für Dich wird wohl das strenge Geheimniß nicht obwalten, das er mir anempfiehlt. Du wirst daraus selbst sehen, daß er dies junge Fräulein, das ihn ganz bezaubert hat, nicht umsonst, nächst Anna, für die glänzendste Partie anerkennt, und daß sie ihm für Richmond wie geschaffen scheint. Doch als das Nöthigste erkennt er die größte Geheimhaltung dieses Wunsches, da Richmond sich stets mit einer Art[109] von Geringschätzung über gestiftete Heirathen ausgelassen hat, und dies der erste Grund sein würde, ihn zu entfernen.

Ich war nicht ohne Gedanken darüber, sagte die alte Herzogin, es kömmt vielleicht so, ohne unser absichtliches Dazuthun, was allerdings vorzuziehn ist. Es freut mich, daß Katharine von Dorset, die Mutter dieser lieben Mädchen, welche mir kindlich ergeben ist, mir früher, als die Trauer-Nachricht zu uns kam, versprach, ihre Töchter mir zuzuführen. Ich thue daher nichts Absichtliches, wenn ich bei dem nahenden Sommer und meiner Rückkehr nach Burtonhall sie an ihr Versprechen erinnere. –

Als man sich an dem Abend desselben Tages getrennt und die Herzogin die übrigen Frauen ihrer Bedienung entlassen hatte, wendete sie sich zu Mistreß Morton, die stets bis zu dem Augenblick bei ihrer Gebieterin blieb, wo diese ihr Lager bestieg, und sagte, die Hand auf ihre Lippen legend, mit leiser Stimme:

Gehe, Morton, sieh, ob Alles in Ruh um uns ist, ob der Weg – sie stockte und legte schnell die Hand unter ihre linke Brust, als ob sie einen Schmerz fühle – ob der Weg, fuhr sie mit bebender Stimme fort, leer ist und ungestört über diese Zimmer bis zum italienischen Flügel. Ja, Morton, Du hörtest recht, erschrick nicht, es ist unwiderruflich beschlossen, setzte sie hinzu, da Mistreß Morton zurück wich und ihr Erstaunen fast wie ein kleiner Ungehorsam aussah. Schweig, ich bitte Dich! Ich möchte in diesem Augenblick nicht gern streng sein, am wenigsten zu Dir, meine treue Freundin, und doch, ich würde den Dienst, den Du mir heute noch leisten wirst, selbst mit Härte von Dir erpressen. – Mistreß Morton kannte ihre Gebieterin zu wohl, um nicht an die Wahrheit dieser Worte zu glauben, aber dies Vorhaben widerstrebte zu sehr ihrem treuen und vernünftigen Sinn, um sich ihm bereitwillig zu fügen.

Es steht in Euer Durchlaucht Gewalt, meinen Gehorsam zu erzwingen, sagte die ehrwürdige Frau und senkte bekümmert[110] die Augen zur Erde; ich fühle dies in diesem Augenblicke seit den langen Jahren, die ich Euch diene, zum Ersten Mal mit Schmerz, denn ich fürchte, Ihr fordert meinen Gehorsam gegen Euer Wohl! –

Genug, genug! Mache es mir nicht schwer, das ohnehin so Schwere! rief die Herzogin ohne Unwillen, aber mit tiefem Schmerz; sei gut, rege nicht mein Herz auch noch durch die Furcht, Dir wehe zu thun, auf. Geh, geh! Thue, was ich Dich bat, es muß geschehen! Es wird mir gut thun, laß mich nicht weiter sprechen, und geh jetzt!

Mistreß Morton fühlte, wie umsonst ihr Widerstand sein würde, aber ihr Gesicht war von den Gefühlen ihrer Brust mit dem Ausdruck tiefen Schmerzes umzogen, und die Herzogin wendete sich mit einem Seufzer weg, als die alte Dame stumm eine der Kerzen ergriff und sich aus dem Zimmer begab. Sie untersuchte mit trüber Ahnung die Ruhe des Schlosses und kehrte, nachdem sie überall Alles still und ruhig gefunden, mit schwerem Herzen nach dem Schlafgemach zurück. Sie fand dies leer; aber die Thüre, die nach dem Chorstuhl in der Kapelle geöffnet war, deutete an, wohin die Herzogin mit ihrem beladenen Herzen sich geflüchtet. Voll Ehrfurcht, und erhoben von der Erinnerung an diesen höchsten Trost, faltete Mistreß Morton ihre zitternden Hände, und das kurze, aber innige Gebet ihres treuen Herzens war so uneigennützigen Inhalts, wie wohl selten zu dem Throne Gottes dringen mag. Ihre Gedanken wurden jedoch jetzt abgezogen durch die Worte, welche aus der Kapelle zu ihr drangen und der Schluß eines Gebetes zu sein schienen, das mit starker flehender Stimme gesprochen wurde:

Herr, segne den schwachen Willen meines Herzens, laß mich Milde üben und belebe mit dem Geiste Deiner unerschöpflichen Güte diese erkaltete Brust. Du siehst in die Tiefen der Seele, Du kennst die Gedanken, ehe sie entstehen! Vor Dir[111] sinkt das Gerüst des Stolzes und der Eitelkeit, wohinter wir unser Gewissen zu bergen suchen. So erwecke mich denn und rüste mich aus, Deinen Willen zu erfüllen. Nicht das geschehe, was ich in meiner irdischen Schwäche begehre, sondern das, was Du willst, das lehre mich thun, und Dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn! – Es ward still, und bald erschien die Herzogin an dem Eingang der Thür, und als ihr Blick auf Mistreß Morton fiel, die mit gefalteten Händen, den Kopf in Andacht auf die Brust gesenkt, ihr gegenüber stand, schritt sie ihr entgegen und sagte mit gehobener Stimme: Amen! – Amen! erwiederte Mistreß Morton leise. Beide Blicke trafen sich, und die Scheidewand zwischen Herrin und Dienerin sank nieder in dem frommen Gefühle, womit Beide erfüllt waren. Die Herrin ruhte einen Augenblick an dem mütterlichen Busen der edlen Frau, die in der Liebe zu ihrer Gebieterin die eignen Wünsche längst verlernt hatte. Willig ließ sie sich dann gefallen, was die alte Freundin zu ihrer Verhüllung herbei schaffte, und unterdrückte das hindernde Wort, als die Sorgliche mit geheimnißvoller Hast nach dem Fläschchen griff, dessen Inhalt der Herzogin oft zu Hülfe kommen mußte. Sie nahm sodann den Armleuchter und schritt der Herzogin voraus. Der Mond leuchtete vor ihnen her durch die hohen Bogenfenster, das Licht der schwankenden Kerzen vermochte die weiten Räume nicht zu durchdringen, aber die seit Jahren so oft durchstreiften Gemächer boten kein Hinderniß dar, und man gelangte nach dem nördlichen Thurmzimmer und stand jetzt vor der Thür, die nach dem italienischen Flügel führte. Die Herzogin reichte mit gesenktem Blick an Mistreß Morton den Schlüssel, den sie unter ihrem Mantel trug, und Morton öffnete die Thüre, welche sogleich die weiten Säle überschauen ließ, die, in ihrer innern Einrichtung so abweichend von den eben durchwanderten Zimmern, die Kunstwerke aufbewahrten, welche diesem[112] Flügel seinen Namen gaben. Seit der Abreise des letzt verstorbenen Herzogs nach Spanien waren diese Zimmer nicht eröffnet. Die Herzogin bewahrte den Schlüssel dazu und hatte bis jetzt jeden Gebrauch desselben verweigert. Wer hätte denken mögen, daß sie selbst diese Stelle zuerst und zu einer Stunde betreten würde, die den Geist empfänglicher macht für die Schauer so schmerzlicher Erinnerungen. Auch schien die Lady von dem ganzen Gewichte dieses Augenblicks ergriffen und blieb wie überwältigt an der Schwelle stehn, während ihr im qualvollsten Schmerze glänzendes Auge die Räume durchflog, die, durch den Schein des Mondes, der hier durch farblose breite Fenster drang, ganz ungemein erhellt, gegen die düstern eben durchstreiften Gemächer einen so auffallenden Kontrast bildeten, daß es scheinen konnte, als liege hier die Wohnung eines verklärten Geistes, von überirdischem Lichte erhellt, vor Augen. Der Zauber des Schönen benahm so dem Düstern jegliches Grauenhafte, der Geist hob sich unter dem Einfluß dieser Magie, und die Herzogin überschritt die Schwelle, während ihre Seele auf einen Augenblick abgezogen war von dem Schmerze ihrer Brust. Leise den Kopf schüttelnd folgte ihr Mistreß Morton. Das Vorhaben ihrer Gebieterin, zu dieser Stunde die Wohnung des geliebten Gemahls wieder sehen zu wollen, schien ihr so weit die Grenzen von Vernunft und Mäßigung zu überschreiten, die sie sonst bei ihrer Gebieterin wahr zu nehmen gewohnt war, daß sie sich gestehen mußte, sie könne ihr nicht mit ihren Gedanken folgen. Es schien eine Art von Ueberspannung, eine Schwärmerei in ihrem Beginnen zu liegen, wofür die alte Dame weder in sich, noch in den bisherigen Handlungen der Herzogin einen Maaßstab fand, und sie mußte hier entweder dem Tadel Raum geben oder einer aufkeimenden Ahnung, daß noch ein anderes geheimes Motiv bei der Herzogin zu Grunde liegen könne. Sie behielt wenig Zeit zu solchen Betrachtungen, indem sie dicht hinter[113] ihrer Gebieterin in das Zimmer des Herzogs trat. Die unglückliche Gattin, plötzlich von all den theuern Gegenständen umgeben, die in ungestörter Ordnung noch seiner Ankunft zu harren schienen und die treuen Zeugen seines schönen Lebens waren, sank mit einem Strom von Thränen an dem Armstuhl nieder, in dem er so oft vor dem mit Büchern und Karten bedeckten Schreibtisch saß, Jedem, der in die gegenüberliegende Thür trat, das helle Auge zuwendend.

Welch' eine Reihe von Gedanken ergriff hier mächtig ihr gebeugtes Herz in diesem ihr fast heilig scheinenden Gemach, von seinem Fuß zuletzt betreten, von seinem Odem noch erfüllt. Die ewige schreckliche Trennung, die sie mit allen Qualen durchgefühlt, hier schien sie ihr zur Lüge zu werden. Sie hob den Kopf, sie schaute umher, die Täuschung schien von diesen theuern Umgebungen ihr Gewand zu borgen, er mußte kommen, hier konnte er nicht fehlen.

Komm! rief sie dumpf, verlaß mich nicht! Komm! O laß mich nicht allein! Sie lag noch auf ihren Knien, aber aufgerichtet mit dem Haupte, das sie über ihre Schulter nach der Seite zu gewendet hatte, wo ein dichter Vorhang den Eingang zum Schlafgemache verbarg. Es war unaussprechlich schauerlich, wie sie die Hand ausstreckte, als wolle sie die seinige ergreifen. Mistreß Morton bebten die Knie, und es rieselte kalt über ihre Gebeine. Sie war frei von den Schwächen, die der damaligen Zeit noch nicht fremd waren, an Zauber und Erscheinungen zu glauben, aber sie hatte den edlen Herzog geliebt, und die Erinnerungen, die dies Zimmer in sich schloß, hatten ihr treues Herz auf's Neue in Trauer versenkt. Sie begriff die Leiden ihrer unglücklichen Gebieterin zu wohl und hegte zu viel Ehrfurcht für dieselbe, um störend mit ihrem geringen Troste dazwischen treten zu mögen.

Aber sie schauderte, und ihr sorglicher Blick richtete sich auf das Ende so tiefer und zerstörender Leiden. Der Ausdruck[114] in den Zügen der Herzogin war milde geworden, und ihr Auge, in trübem Glanze schwimmend, von einer unaussprechlichen Tiefe des Schmerzes und der Zärtlichkeit belebt. Aber ihr langes stummes Harren blieb umsonst, der Vorhang bewegte sich nicht, nur ein tiefer Seufzer traf ihr Ohr und riß sie vom Boden empor. Sie stürzte einige Schritte vorwärts und stand vor der bebenden Morton, die sie völlig vergessen hatte, und aus deren treuem Busen der Seufzer gedrungen war, der selbst diese starke Frau bis an die Grenzen des Geisterreichs geführt hatte.

Doch der kurze Wahn, von dem sie hier umsponnen ward, war alsobald zerrissen, und die Wirklichkeit trat schmerzenbringender, als je, ihr nahe; denn die Sehnsucht war in ihrer ganzen Stärke wiederum erwacht, und die unwiderrufliche Nothwendigkeit, dies öde Dasein ohne ihn zu tragen, ergriff dies ungezähmte leidenschaftliche Gemüth in ihrer ganzen Stärke. In bittern Thränen aufgelöst, sank sie in einen Stuhl nieder, und vergeblich rang dies Herz nach Ergebung und Geduld. Der Augenblick war ganz verschieden von jenem früheren, der sie voll Andacht der Kapelle zugeführt, und was jetzt zu Gott gelangte aus der gereizten Brust, wir wollen hoffen, es fand Gnade vor dem väterlichen Richter, der mild den Schmerz der irdisch Fühlenden betrachtet.

Auch dieser Wendung ihres Kummers sah Morton lange schweigend zu, doch von den Thürmen tönte dumpf der letzte Ruf der Wächter, verkündigend, daß Mitternacht vorüber sei, und ihr Muth ward durch die pflichtgetreue Sorge um diese schrecklich nächtliche Wanderung und deren Folgen für die schwankende Gesundheit der Unglücklichen nun wiederum belebt. Sie näherte sich und wagte mit sanften Worten die Bitte, zurück zu kehren, nicht länger so zerstörend auf ihre Gesundheit einzustürmen. Die Herzogin zog die kalten Hände von dem[115] verweinten Gesicht bei dieser unwillkommenen Mahnung, und zürnend faltete sie die hohe Stirn.

Ich gebe Dir die Freiheit, zurück zu kehren, da dieser heilige Raum mit drohenden Gefahren Dir erfüllt zu sein scheint. Auch ohne Dich erreiche ich hier mein Ziel, und besser ohne hartherzige Störung der heiligsten Empfindung! Verlaß mich, ich will sorgen für Dich, wie Du für mich, so deute ich Deine Worte wohl ihrem Sinne nach. –

O wie beklage ich Euch, da Ihr so unglücklich seid, mich selbst so grausam zu verkennen, rief Mistreß Morton hier mit einem solchen Ausdruck von Schmerz, so ohne allen Unwillen, indem heiße Thränen auf die kalten Hände der Herzogin flossen, daß dieses starre Herz, was nur allzu oft erst im Bereuen sich erweichte, davon ergriffen ward. Hierdurch aus ihrem maaßlosen Gram erweckt, trat auch der Zweck ihres Hierseins aufs Neue vor ihren Geist, und mit ihm das wirksamste Mittel gegen diesen Schmerz. Langsam erhob sie sich, ihre Thränen hörten auf zu fließen.

Der Zweck, wozu ich hierher kam, liegt außer dem Bereich Deiner Beurtheilung, hob sie ernst und tonlos an; darum ermüdet mich Dein Einreden mehr, als es Deine stets gute Absicht wohl verdient. Ergieb Dich in meinen Willen, Du kömmst mir so am besten zu Hülfe. Zünde diese Kerzen an, verlaß dieses Zimmer und harre dann meiner im Vorsaal, fuhr sie zögernd und mit gepreßtem Odem fort, ich hoffe, ich werde bald Dir dahin folgen. Sollte ich jedoch in einer halben Stunde nicht kommen, so kehre Du hierher zurück, ich bedarf dann vielleicht Deiner Hülfe. – Mistreß Morton zündete, während die Herzogin in ihren Mantel gehüllt, wie völlig ruhig, in der Mitte des Zimmers stand, die Kerzen an, die in frühern bessern Tagen nur halb verzehrt dies wohnliche Gemach erleuchtet, und verließ es dann mit stummer Sorge. Jetzt war der entscheidende[116] Moment unabweisbar herangenaht. Ich bin abgefunden mit mir selbst, ich bin fest – dies lag in ihrem Sinne, es lag in ihrem Schritt, womit sie ohne Verzug den Kerzen sich nun näherte, sie ergriff und den Vorhang aufhob, der sie in das kleine Schlafgemach versetzte, das mit dem feinsten Schmucke der in Holz geschnittenen Wände eine schön gezogene Rotunde bildete. Es war auf den Zierrath dieses schönen Schmuckes eingeschränkt. Alles zur Ausstattung eines Schlafgemachs Gehörige war in den Nischen angebracht, welche die Holzwände bildeten, die getrennt von den Mauerwänden standen und durch fein gefugte Thüren, die dem Druck der Feder folgten, in sich verschwindend, zugänglich wurden. Die Herzogin berührte eine dieser Federn in dem Schnitzwerke, und sogleich theilten sich von selbst die Wände und die dunkel seidenen Vorhänge, die das Bett des Herzogs umzogen, bewegten sich, in dem feinen Zuge wallend, ihr entgegen. Sie preßte die Hand an ihr pochendes Herz und schaute fest dahin, bis der leise Hauch vertheilt war und die Vorhänge ihr schwaches Leben wieder aufgegeben hatten. Sie sah es, sie war allein, die Vorhänge hoben sich nicht von geliebter Hand, und dennoch weilte ihr Blick, ihre ganze Gestalt wie bezaubert auf jener Gegend. Sie zuckte, als wollte sie sich wenden, und doch, sie vermochte es nicht. Sie schritt endlich vor, den Armleuchter in ihrer Hand; sie setzte ihn am Bette auf einen Tisch nieder, schlug die Hände in einander und rief mit fester Stimme: Noch ein Mal wiederhole ich es Dir, o mein Gemahl, ich bin gekommen, Dir zu vergeben, Deine Ehre wird mir heilig sein! Und Alles, was Dir gehört, es sei von mir erkannt, als hätte Deine Bitte darum mein Ohr erreicht. Höre mich, kein Eid ist unverletzlicher, als der Entschluß, den meine Liebe meinem Stolze abgerungen, ich vergebe Dir! Dies wird zu Dir dringen, und wenn Dein Herz, mit dieser Schuld belastet, ungesöhnt vor Deinen Richter trat, so sei die Vergebung Deines[117] Weibes die Fürbitte an Gottes Throne, und Friede sei Deinem Geiste! – Sie war wieder sie selbst geworden unter diesen Worten. Ihr guter Engel neigte der Siegerin sich zu, der Friede senkte heilend sich in ihre Brust, sie hätte sterben können, das Irdische lag bekämpft zu ihren Füßen. So sei es, sprach sie nach einer Pause. Sie wandte sich und schritt der gegenüber liegenden Wand entgegen. Eine Blumenschnur in Holz geschnitten hing darüber hin; in dem Kelche einer Rose blitzte ein kleiner goldner Punkt, er gab dem Drucke nach, und die sanft verschwindenden Wände zeigten ein lebensgroßes Bild in reichem goldnen Rahmen. Es war eine junge Dame von engelgleicher Schönheit, die aus diesem Bilde mit einer Wahrheit blickte, daß das zauberische Lächeln um ihren Mund sich jeden Augenblick in holde Worte beleben zu wollen schien. Ein Laubdach blühender Myrten und Orangen zog wie eine Halle sich um sie her und ließ nur über ihrem Haupte einen reinen blauen Himmel durchdringen, dessen Licht die Rosenkrone zu verklären schien, die sie in den dunkeln Locken trug, welche glänzend auf ihre schönen Schultern niederwallten. Ihr Kleid war weiß, ein Purpurmantel, durch Juwelen auf ihren Achseln festgehalten, wallte bis zu den Füßen nieder; in ihren schönen Händen trug sie einen phantastisch geformten Stab, halb Dolch, halb Zepter oder Kreuz, mit Lilien und Epheuranken fest umwunden, vielleicht zum Strauße blos erdacht. Es war ein Meisterwerk der Kunst, und doch vergaß man das Verdienst des Künstlers, so hoch hatte er sein Werk gestellt. Ihm gegenüber dachte der unbefangene Beschauer nur, wie die Natur in einem Wesen so alle ihre schönsten Gaben ausgegeben habe, eine würdige Hülle, wie es schien, für eine Seele zu erschaffen, die wie ein Engelsgruß aus ihren Augen blickte.

Schon war dies zauberische Bild einen Augenblick enthüllt, und der Blick der Herzogin ruhte noch am Boden, als wären[118] ihre Augenlieder schwer belastet. Doch jetzt erhob sie dieselben, mit Hoheit sich emporrichtend, und fuhr dennoch in sich zusammen. Aber nicht mehr zu wenden war dies zagende Auge von nun an, obwohl es immer länger, immer heißere Schmerzen sog. So hast Du mich also getäuscht! rief sie endlich; ja, es ist kein Zweifel, zum zweiten Male schuf die Natur Dich nur, durch Dich! So sei mir Gott gnädig! Doch ich vergebe Dir, ich vergebe Dir, höre mich, Gott, und vergieb Du ihm auch! – Noch ein Mal blickte sie fest auf dies liebliche Gesicht, das vergeblich auf ihr ernstes Antlitz nieder lächelte; besonnen verschloß sie es dann, und die Kerzen ergreifend verließ sie das Gemach und eilte ohne Rückblick durch das angrenzende, als fürchte sie in ihrer Kraft zu wanken. Stark drückte sie die Thür, die nach dem Vorsaal führte, auf und ging ohne Aufenthalt an Mistreß Morton vorüber, welche zitternd ihr entgegen trat.

Du frierst, sprach sie fest, laß uns eilen, meine Liebe, es wird kalt, der Morgen naht, wir haben lang genug der kalten Nachtluft uns ausgesetzt. So schritt sie weiter, bemüht, ruhig zu erscheinen, nicht ahnend, wie in ihrer Hand der fremd geformte Leuchter aus dem eben verlassenen Gemache unbeachtet schwankend hing, Zeugniß ablegend gegen ihre angenommene Ruhe. Doch dem sorglichen Blicke Mortons war dies nicht entgangen. Der Leuchter mußte zurück bleiben, wenn er nicht in seiner abweichenden Form zum Verräther werden sollte. Doch zögerte das warnende Wort auf ihren Lippen. Sie fühlte, wie sich die Stimmung der Leidenden verrieth, die so stolz sich ihr zu entziehen strebte. Bald indeß vermißte die Herzogin den folgenden Schritt der Dienerin, als diese zögernd weilte; sie wandte sich, und nun streckte Mistreß Morton ihren Armleuchter ihr stumm entgegen. Schaudernd gewahrte die Herzogin ihr Versehen; sie löste die erstarrte Hand von seiner Säule. Mistreß Morton eilte damit zurück, und weniger fest ging dann die[119] Herzogin weiter, den langen düstern Weg, den kein Mondlicht mehr erhellte, dessen Stille kein Wort mehr unterbrach; nur das Geräusch der sich öffnenden und schließenden Thüren, und das Rauschen der langen Gewänder über den getäfelten Boden, der seufzend ihre Schritte wieder zu empfinden schien, unterbrach diesen geisterähnlichen Zug.


Die Fremde kannte indessen keinen sehnlicheren Wunsch, als der Herzogin über ihre Lage die nöthige Auskunft zu geben. Das Zusammensein mit dieser ausgezeichneten Frau hatte ihr die Aussicht auf ein unbedingtes Vertrauen eröffnet, nach dem sie sich lebhaft sehnte, und ihre eigne hochgestellte Individualität hatte sie vor dem Eindrucke der Befangenheit bewahrt, den die Herzogin leicht machte, und der dem Erkennen ihrer übrigen Vorzüge so hinderlich ward. Sie fühlte sich durch die Gesellschaft der jungen Damen des Hauses von allen Schrecknissen ihrer Phantasie befreit und dem harmlosen Vergnügen hingegeben, das junge Mädchen in dem Umgange mit einander finden. Ihr Verstand war jedoch zu geordnet, um die Verwirrung nicht lösen zu wollen, die in ihr Leben getreten war; sie hoffte mit Recht, sich klarer zu werden, indem sie versuchte, sich Andern so darzustellen. Die Aeußerungen der Herzogin über ihre Geburt, ihre Unschuld, hatten die Bewußtlosigkeit der Jugend über diese Punkte in ihr zerstört und sie gelehrt, auf sich selbst anzuwenden, was sie als ferne gesicherte Zuschauerin wohl von Andern hatte bezeichnen hören, und was allerdings genügend war, diese beiden großen Güter des Lebens ihr außer Zweifel zu stellen. Sie hatte dies nicht sobald erkannt, als ihr Geist daran arbeitete, die Bilder ihres Lebens zu ordnen. Ein leichtes Geschäft, wie es schien, wo in so zarter Jugend die hervorragendste[120] Begebenheit beginnt und schließt, und alles Fernere sich auf den liebevollen Umgang mit Verwandten und Erziehern begrenzt. Auch war es das erste Mal, daß sie ihr junges Leben überdachte und ihre Vorstellungen darüber auffrischte, und je länger sie dachte, je seltsamer ward ihr dabei. Widersprüche, Dunkelheiten drängten sich ihr auf, welchen zu begegnen sie sich schämte. Das höchste Vertrauen zu ihren Umgebungen hatte sie bisher von allen diesen Reflexionen abgelöst, und sie fühlte sich sehr unvorbereitet zu einer Art von Rechenschaft aufgefordert und durch ihr eigenes Ehrgefühl dazu getrieben. Daß sie aber nicht leicht sein würde, daß Räthsel vorhanden seien, darüber ließ ihr folgerechter und gebildeter Geist keine Täuschung mehr zu. Wenn indeß bei anderer Sinnesart diese Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer Erklärung gegen die Herzogin ihr hätte Befürchtungen erregen können, erhöhte sich in ihrer Seele nur das Verlangen darnach; denn von der erfahrnen Frau glaubte sie vielleicht gelöst zu hören, was nur Mangel an Erfahrung, wie sie hoffte, ihr so dunkel erscheinen ließ. Und so erbat sie am andern Tage durch Stanloff eine Unterredung mit der Herzogin, welche diese auch sogleich gewährte.

Sie bestimmte dazu die mittlere Schloßhalle, welche von der Sonne des Frühlings anmuthig erhellt war. Auf Mistreß Morton gestützt, trat die liebenswürdige Gestalt ein und begegnete dem strengen hohen Blicke der Herzogin, der sich forschend noch ein Mal auf sie richtete, mit einem so klaren, ruhigen und furchtlosen Aufblick ihrer Augen, daß die Herzogin von einer kleinen Beschämung sich ergriffen fühlte. Ihr oft erprobtes Mittel, durch diese Haltung Andere in schüchterner Ferne zu halten, ging an der wunderbaren, fast kindlichen Hoheit dieses frei entwickelten Wesens ohne alle Wirkung verloren. Das augenblicklich darüber in ihr entstehende Nachdenken ließ diesem jungen zarten Mädchen Zeit, die Herzogin anzureden, und mit der[121] Ueberlegenheit der innern Wahrheit ihr so liebevolle und ehrerbietige Dinge zu sagen, daß ihr Verhältniß zu dieser stets sich überhebenden Frau in vollkommene Gleichheit und Natürlichkeit gestellt war, ehe die Herzogin aus ihrem kurzen Nachdenken zurückkehren konnte. Der Uebergang, den sie zu finden hatte, war ihr jedoch neu und nicht ganz klar, und sie begleitete einige frostige Worte mit einem bittern Lächeln und führte die junge Dame zu einem der Lehnstühle, welche man in die Bogen der Thüren geschoben hatte, um die liebliche Aussicht der Terrassen zu genießen. Es entstand eine kleine Pause, indem Mistreß Morton sich auf einen Wink entfernte, und die Herzogin, welche sich erwartungsvoll zu ihrer Gefährtin wendete, sah jetzt auf ihrem Gesichte den rührendsten Ausdruck einer lebhaften Empfindung. Sogleich fühlte sie sich in ihre bessere Stimmung versetzt, und mit dem gewinnenden Tone, der seine Modulation in einem gütig gestimmten Herzen findet, sagte sie:

Wir haben nun Zeit und Ruhe, uns ganz nach Willkür unsere Mittheilungen zu machen; doch eilt damit nicht, Lady. Lassen wir die schöne Natur nicht unbeachtet, die sich dort vor uns ausbreitet. Ich irre mich wohl nicht, wenn ich in den gefühlvollen Zügen die Liebe an solchen Gegenständen lese, auch ist kein Balsam süßer für ein leidendes Herz, als der Anblick von Gottes herrlichen Werken, wie auch kein Freund das glückliche Herz besser zu verstehen scheint und dessen Empfindung würdiger erhöht, als eben die Natur. Seht, Lady, wie schön die Sonne die fernsten Gegenstände erhellt! Seht Ihr den glänzenden Streifen, der zunächst den Horizont wie ein breiter silberner Gürtel zu umschließen scheint? Es ist der Trent, der seine schönen schiffbaren Wasser an den Grenzen dieser Grafschaft vorüber führt, und in ihm viele Vortheile, mir aber einen oft wiederholten Genuß in seinem reizenden Anblicke, da ich vor Allem die Nähe des Wassers liebe. Ich bewohne daher auch gern Burtonhall,[122] welches meiner Schwiegermutter gehört, und am Ausflusse des Trent in den Humber gelegen ist und allen Zauber eines Wasserschlosses um sich verbreitet hat.

Auch ich fühle lebhaft diese Neigung, hob hier die junge Fremde an, denn ich bin in einem Schlosse geboren und größtentheils erzogen, das meine Eltern an der Grenze von England an den schönen Ufern des Solvay-Firth in der Grafschaft Cumberland bewohnten.

Wie, Lady? rief die Herzogin, wie sagt Ihr? In Cumberland? Bei Euern Eltern? Sie hielt inne, denn deutlich leuchtete aus den erstaunten Blicken der so heftig Angeredeten das Auffallende ihres Betragens ihr warnend entgegen. Doch sich schnell fassend und einen Uebergang suchend, fuhr sie gemäßigter fort: Verzeiht, Lady! Lebhaft beschäftigt mich Euer Schicksal, wie gern möchte ich Euch dies Vertrauen, das Ihr mir schenken wollt, erleichtern, und doch, es wird Euch schwer, ich fühle es.

Ihr irrt, Mylady, wenn Ihr es in Bezug zu Euch versteht, erwiederte mit Sanftmuth und Ruhe die Fremde; aber Ihr habt Recht in Bezug auf das, was ich Euch zu sagen habe. Denn dies Euch mitzutheilen, empfinde ich eben so viel Scheu, als Sehnsucht. Mein Trost ist, daß Ihr es wissen werdet, und meine Furcht, ob ich im Stande sein werde, Euch ein klares Bild von meinem jungen Leben machen zu können. Schenket mir Nachsicht, wie Ihr mir Mitleid schenket. Ach, Mylady, ich weiß, Ihr werdet mir Beides nicht versagen. Doch laßt mich Euch darum bitten; es thut meinem Herzen wohl, zu Euch mit kindlichem Vertrauen empor zu blicken.

Ehe die Herzogin es verhindern konnte, senkte sie sich zu ihren Füßen, drückte die Hand derselben an ihre Lippen und mit beiden Händen dann innig an ihre Brust, während ein Himmel von Liebe und Vertrauen aus den thränenschweren Augen zu ihr[123] aufblickte. Das Herz der Herzogin war in Gefühlen erschüttert, die sie zwar einst mit der Zeit zu hegen gewünscht hatte, die sie aber jetzt fast gegen ihren Willen empfand, und nicht durch die Herrschaft über sich, wie sie gewähnt hatte, sondern durch die zauberische Herrschaft einer sich ihr mächtig entgegenstellenden Individualität, von der sie sich bezwungen sah. Von diesem Augenblicke an liebte sie ihre Schutzbefohlene, und welche Schattirungen auch diese Liebe späterhin gewann, dieser Moment war doch entscheidend für Beide.

Faßt Euch, liebes Kind, sagte sie weich; mein Herz ist bereit, mit Euch zu fühlen; seid offen und wahr, wie vor Euch selbst, und denket dann nicht weiter daran, wie Alles klingen mag. Alter und Erfahrung kommen verständigend Euch wohl bei mir zu Hülfe.

Und wahr will ich sein, wie vor Gott, der gegen wärtig ist und meine Gedanken leiten wird, rief die junge Lady, stand bei diesen Worten auf und setzte sich dann langsam und ruhig in ihren Sessel nieder, und das Auge in die Ferne richtend, hob sie ernst und gefaßt ihre Erzählung an:

In Cumberland, Mylady, wie ich Euch beschrieb, an dem schönen Wasserspiegel des Solvay-Firth, von weiten Gärten umgeben, dort in dem Schlosse meiner Eltern in Nordwighall ward ich geboren. Mein Vater war der Graf von Melville, der Nachkomme Robert Melville's, des Freundes der schottischen Königin. Meine Mutter war eine Gräfin von Marr, und sie hatten Schottland beide verlassen nach dem Tode meines Großvaters, seinen Willen damit erfüllend, über dessen Ursache ich nie etwas hörte, vielleicht weil Nordwighall so wunderschön gelegen, so prachtvoll erbaut war und ein Geschenk der Königin Elisabeth an meinen Großvater. Von der Zeit an, daß ich mir dies glückliche Leben zurückrufen kann, blieben mir außer meinen Eltern und den gefälligen Gästen noch einige Personen[124] zur Seite, die theils meine Erziehung oder Pflege leiteten, theils mein Glück durch ihre Liebe und ihren Umgang erhöheten. Doch vor Allen nenne ich Euch die Mutter und Schwester meiner Mutter; zwar lebten sie nicht mit uns, aber sie machten uns häufige Besuche, und oft begleitete ich sie nach ihrem Schlosse, das tiefer im Innern des Landes lag. Außer ihnen lebte mein theurer Erzieher, der Caplan meiner Eltern, um mich, und zu meiner Aufsicht war mir eine liebe Frau gegeben, die früher bei meiner Tante gelebt hatte und so unendlich gut zu mir war, daß sie stets mit Mühe und Sorgfalt jeden Dienst für mich übernahm und meine Person nie aus ihren fürsorglichen Händen ließ. Meine Zeit war, als ich aus den ersten Jahren der Kindheit trat, mit Sorgfalt eingetheilt. Meine Eltern besaßen große Kenntnisse, sie wünschten sie auf mich zu übertragen, und Master Brixton, mein gütiger Lehrer, zu Oxford gebildet und hoch angesehen, unternahm es, als Freund meines Vaters, mich in den alten Sprachen und den höhern Wissenschaften zu unterrichten. Welch' ein glückliches Leben schufen mir diese abwechselnden reizvollen Beschäftigungen. Die schönen Morgenstunden, wo ich in Brixtons kleinem Studirzimmer seinen liebevollen Unterricht genoß, und aus seinem weisen Munde das Gute und Schöne vernahm, und es, von ihm oft wiederholt, endlich auch behalten lernte. Und dann, wenn die spätern Stunden herankamen und ich schon von ferne den Schritt des Vaters erkannte, der nun kam, mich hinaus in's Freie zu führen. Die muthigen Pferde stampften den Boden und trugen uns pfeilschnell durch die schöne Gegend. Ich schoß den Vogel in der Luft, und der schwarze Punkt in der Scheibe trug manchen Bolzen von mir; ich lief mit den Kindern des Schlosses um den Preis; ich sprang von dem Rande der Terrassen und Wälle immer höher und höher, wie mein Vater es selbst leitete. O, wie gern that ich das Alles, wie fühlte ich so recht mein glückliches Herz! – Die[125] Nachbarschaft von Schottland, der nahe Hafen von ††† brachte dann oft Fremde. Nicht immer durfte ich erscheinen, denn es hätte meine Zeit verdorben, die so schön durch Brixtons immer bereite Güte ausgefüllt war; aber es waren oft Feste, wo die Jugend der Gegend sich in Tanz und Spiel auf dem Schlosse erfreute. Doch höher, als alle diese Freuden, galt mir die Gegenwart meiner Tante. O, Mylady, welch' eine Frau war dies! Bedenke ich, wie ich fühlte, so muß ich sagen, daß ich nur für den Augenblick lebte, wo ich sie wiedersehen sollte. An sie dachte ich, wenn ich in Arbeiten ermüden wollte; ihr Andenken war meine höchste Strafe, wenn ich gefehlt hatte; ihr heiliger Ernst umschwebte und mäßigte die trunkene Freudigkeit meines Herzens. Und war sie nun endlich da, die heiß Ersehnte, deren Bild mich wie mein Schutzgeist umgab, dann fand ich keine Ruhe, ehe ich nicht zu ihren Füßen meine ganze Seele befreit hatte von jeder kleinen Schuld und Uebertretung. Jahrelang behielt ich ihre Antworten. Ach, so sprach kein Mensch außer ihr, es war nie zu vergessen; es waren immer nur wenige Worte, oft ein Blick, eine leise Bewegung des Hauptes oder ein Lächeln, worin Lohn und Strafe lag, wie sie Keiner ertheilte. Ach verzeiht! rief die junge Erzählerin hier, und heiße Thränen stürzten aus ihren Augen, glaubt mir, Mylady, ich weiß nicht, wie ich leben kann, da dieses Ziel meines Daseins, dieser Zweck meines Strebens, meiner Wünsche und Hoffnungen, mir geraubt ist. Sie verhüllte ihr Gesicht, und die Herzogin ehrte den heißen Schmerz dieses feurigen Gemüthes durch mildes Schweigen. Und doch, Mylady, sie ist es allein wieder, warum ich leben kann, warum ich leben will, und Alles ertragen und handeln, als ob ihr heiliger Blick mich noch richten könnte, wie sonst. Sie würde mir zürnen, wenn ich von Gottes Erde mich weg wünschte, weil Unglück mich traf; sie hätte umsonst für mich gelebt, wenn ich dem ersten Kampfe erläge,[126] und nicht im Schmerze freudig bliebe und geduldig vor Gott. Nein, nein, ich will freudig sein, ich will – aber unendliche Thränen machten diese Angelobung der Freudigkeit unaussprechlich rührend. Bemüht, sie abzuziehen, hob die Herzogin an:

Wie, Lady, wie verhielt sich Eure Mutter zu diesem Verhältnisse? Sagt selbst, trat die Tante nicht der Liebe fast zu nahe, die Eurer Mutter, däucht mir, mehr gebührte, wie glich sich dies in Euerm Herzen aus?

Sicher so milde, als alles Uebrige unter diesen Schwestern, erwiederte unbefangen die Erzählerin, ich habe nie daran gedacht, ob ich darin fehlte, ich bin gewiß, man hätte es mir gesagt, wenn ich Unrecht damit that. Ich genoß nicht immer den Umgang meiner Mutter. Sie war kränklich und hielt mich von sich stets in einiger Entfernung; nur Musik machte ich mit ihr in ihren Zimmern, sobald sie nicht ganz danieder lag, jeden Abend, und aus der Ferne fühlte ich mich stets durch die liebevollsten Anordnungen, die von ihr ausgingen, an sie erinnert. Nein, Mylady, sicher, ich kränkte meine theure Mutter nicht durch meine Liebe zu dieser Tante. Es wird mir recht klar darüber, nun ich daran denke. Diese theure Tante war so verehrt von aller Welt, daß dies selbst auf ihre nächsten Verwandten überging. Meine Mutter behandelte sie stets mit einer Liebe, die an Ehrerbietung grenzte. Mein Vater gab ihr den Vorrang im Hause, ja, selbst meine Großmutter, welche vor mehreren Jahren starb, schien mit Stolz in ihrer Tochter ein Wesen höherer Art zu erkennen. So fand Jeder meine Liebe natürlich, und nie war die arme, leidende Mutter mir darum weniger hold. Ich habe Euch nun noch zwei theure Personen zu nennen, welche ich immer bei den lieben Besuchen fand, die ich meiner Tante abstattete. Es war der Bruder meiner Tante, mein theurer Oheim, und sein Freund, und sie sind, theure Lady, die Einzigen, die mir das Schicksal übrig ließ. Sie hoffe ich wieder zu finden, denn sie leben in[127] London an dem Hofe des Königs. Die wenigen Wochen, die wir dann mit einander lebten, sind die genußreichsten meiner Erinnerung. Wir blieben in der tiefsten Einsamkeit. Niemand, als die alten Diener des Schlosses, war um uns her, aber die Tage vergingen wie Stunden, ach, und ich zu glückliches Kind war der Mittelpunkt aller Liebe, aller Belehrung. Die Erzählungen dieser Männer belebten die einsamen Gemächer um mich her, an den Hintergrund der alten Geschichte meines Landes und Europa's reihten sie die Begebenheiten der Zeit. Ich lernte das Böse kennen, denn sie wollten mich davor behüten. Sie wußten lebendig mir alle die Wunder des Lebens zu schildern; sie prüften mich dann, daß ich in ihren Erzählungen selbst das Rechte wählen und erkennen lernte. Sie erdachten tausend Proben für mein Gefühl, für meinen Verstand, für meine Kenntnisse, und oft sagte mir mein Oheim, ich sei vielleicht bestimmt, aus dieser tiefen Stille plötzlich in das Leben am Hofe und in große Verhältnisse zu treten. Doch stets müsse ich dort so still und gefaßt bleiben, wie hier, und die Würde des Karakters und der Handlungen über jede äußere Würde stellen. Diese Andeutungen konnte meine theure Tante nie ohne Thränen hören, wie ich überhaupt bei reiferen Jahren wohl einsah, daß dieser Engel unter großen Leiden gebeugt sei. Sie war so fromm, daß sie nie klagte, sondern stets gegen Gott voll Dank und Ergebung blieb, und indem sie mir großen Gram eingestand, mich doch immer aufforderte, nie zu murren, nie das Glück als nöthig zu betrachten, da das Unglück oft eher unser Herz veredle und diese Veredlung doch allein der Zweck unsers Lebens sei. Höchst schmerzlich war jedes Mal unsere Trennung, oft blieb ich länger, als mein Oheim, oft reiste ich früher zurück. Ein Jahr ist es jetzt, daß ich glückselig unter ihnen war, als die Nachricht von dem plötzlichen Tode meines Vaters uns erreichte. Er starb in Edinburg, wohin meine Mutter sich sogleich begab, die mich[128] indessen bei der Tante zu lassen wünschte. Wir waren alle innig betrübt, und meine Thränen flossen ungestört seinem theuern Andenken. Auch blieb ich mehr unter Hanna's Aufsicht, da meine Verwandten wegen des plötzlichen Todes meines Vaters viel zu überlegen und zu schreiben hatten. Endlich kamen Nachrichten von meiner Mutter. Sie war zurückgekehrt nach Nordwighall. Die Besitzungen meines Vaters in Schottland waren entfernten Verwandten zugefallen. Dies Schloß in England mit seinen schönen Ländereien war als Geschenk der Königin Elisabeth unabhängig davon, und das Besitzthum der Witwe. Meine Tante führte mich zurück, und da die Gesundheit meiner Mutter sehr gelitten hatte, schien sie sich nicht von ihr trennen zu können, wobei meine Lage sie ebenfalls zu beunruhigen schien, indem ich durch die Entfernung des Doktor Brixton, welcher eine einträgliche Caplanstelle in Edinburg angenommen, fast einzig auf den Umgang von Hanna beschränkt war. Warum sie sich dennoch von uns trennen mußte, weiß ich nicht, da es ihr und uns allen so vielen Kummer machte. Von da an bezog ich Zimmer, welche an die meiner Mutter grenzten, und nur selten verließ sie seitdem das Bett oder diese Zimmer. Doch auch jetzt noch hielt sie mich bei aller Liebe, die sie mir schenkte, und so viel meine Bitten es ihr nur möglich ließen, von sich entfernt. Ich mußte, so oft es bei diesem Alleinstehen sich thun ließ, meinen Beschäftigungen und Vergnügungen nachhängen, doch reiten durfte ich nur in dem weitläuftigen Park, schießen nur in dem beschränkten Schloßhof, zum Tanzen gab es keine Veranlassung, und ich hatte keine Gespielin mehr. Dagegen trieb ich fleißig meine mit Brixton begonnenen Studien, besonders die alten Sprachen, die ich so gerne mag. Da brach, durch den traurigen, feuchten Winter ohne Kälte veranlaßt, bei dem ersten Hauch des Frühjahrs ein schreckliches epidemisches Fieber um uns her aus und raffte Hunderte in unserer Nähe dahin. Ach dies war[129] damals mein größter Kummer, und vermehrt durch das strenge Gebot, nicht über die Grenzen der Terrassen mich zu begeben, wo man die Luft noch am gesundesten hielt. Wie bald ward nun mein Elend von einem Punkt zum andern vermehrt!

Unglaublich war mein Entzücken, als plötzlich meine Tante eintraf. Ihr Entschluß war, bei der Nachricht von der Epidemie, die um uns her wüthete, uns entweder, wenn es die Kräfte meiner Mutter erlaubten, von Nottinghall zu entfernen oder die Schreckenszeit mit uns zu theilen. Meine Mutter wünschte sehnlich uns zu entfernen, aber mit Entsetzen erfüllte mich der Gedanke, die einsam Leidende zu verlassen. Man drang nach den ersten Versuchen nicht weiter in mich; aber die starke und zärtliche Mutter bot nun ihre letzten Kräfte auf, um abzureisen. Ach, dies große Opfer ihrer Liebe raubte sie uns auf immer. Sie ließ sich auf die Terrasse führen, die lang entwöhnte Luft zu athmen, ach, sie sog den Tod ein, der in dieser Luft seinen Hauch aussandte. Noch in derselben Nacht zeigte sich das schreckliche Fieber, welchem dieser entkräftete Körper keinen Widerstand zu leisten vermochte. Am dritten Tage war sie dahin. Ach, ich habe sie nicht gepflegt, nicht ihren letzten Seufzer gehört. Meine Tante, welche ihr Lager verließ, sagte mir, mein Anblick und die Furcht einer Ansteckung würde sie tödten; sie brachte mir ihren Segen und ihren letzten Befehl, sogleich abzureisen. Ich war in einer willenlosen Betäubung.

Wir reisten den zweiten Tag ab, denn die Folgen dieses Fiebers waren so schrecklich, daß meine Mutter schon den andern Abend nach ihrem Tode beigesetzt werden mußte. Doch so tief ich auch in Schmerz versenkt war, nur zu bald gewahrte ich an meiner theuern Tante, welch' neues Leiden über uns einbrach! Sie hatte an dem Bette ihrer Schwester die schreckliche Ansteckung eingeathmet, und das Fieber brach am zweiten Reisetage aus. Wir erreichten das Schloß, aber – laßt mich meine Gefühle[130] übergehen, denkt sie Euch. Ich sah Alles, was mir theuer war, dem Tode verfallen; der Tod bereitete sich auch in ihren Adern vor. Sie sagte mir, es sei nöthig gewesen, einem jüngern Bruder ihrer Schwester von dem Tode derselben Anzeige zu machen, er werde vielleicht erscheinen, aber sie verlange, daß ich in der Zeit mein Zimmer nicht verließe; ich würde unter dem Schutze meines ältesten Oheims stehen, von dem sie nur Nachricht erwarte, um mich alsdann in Sicherheit zu wissen. Außerdem sollte ich Hanna und Gersem, ihrem Kammerdiener, folgen, sie hätten in allen Fällen ihre Befehle für meine Sicherheit. Sie blieb noch lange bei mir und war bemüht, meinen grenzenlosen Schmerz zu mäßigen, obwohl sie selbst oft ihre Thränen strömen ließ. Gegen das Ende unserer Unterredung ward sie ohnmächtig. Man trug sie auf ihr Bett; sie verließ es nicht wieder.

Ach, was von da an mit mir geschah, so lang ich im Schlosse war, weiß ich kaum. Ich lag in dem Vorzimmer, das zu meiner Tante führte, auf den Knieen, bis sie mir ihren Tod nicht mehr verheimlichen konnten. Mich verließ die Besinnung. Als ich erwachte, saß Hanna an meinem Bette, ich durfte nicht weinen, todtenstille im verhängten Zimmer mußte ich bleiben, der gefürchtete jüngere Oheim war angekommen, Alles bebte vor ihm, man zitterte, ihm meine Gegenwart zu verbergen, man fürchtete noch mehr, sie zu verrathen. Ein mir völlig fremdes Gefühl, das der Furcht vor einem Menschen, so unbekannt, so grauenhaft, weil ich nicht errathen konnte, was ich zu fürchten hatte, ergriff mit dem Schmerze zugleich meine Seele. Noch war keine Nachricht von meinem älteren Oheim, meinem Beschützer, eingegangen, und ohne diesen durften wir das Schloß nicht verlassen. Gersem war in die Nähe des gefürchteten neuen Herrn gebannt, der indeß von Allem Besitz nahm, und dem diese Zimmer nur entgingen, weil sie ein Anbau in[131] einem kleinen Seitentheil des ganz alten Schlosses waren. Die Leiche meiner Tante war auf seinen Befehl ausgestellt, und Hanna sagte mir, sie sei schön und unverstellt, wie lebend, denn das Fieber schien, wenn auch noch tödtlich, doch seinen zerstörenden Karakter an dieser schönen Leiche verloren zu haben. Ach, diese Worte vollendeten mein Unglück. Von da an ließ meine heißeste Sehnsucht, sie noch einmal zu sehen, mir keine Ruhe mehr. Hanna blieb unerbittlich und schob endlich Alles auf Gersem, der am Abend, wenn er sich von seinem Herrn entfernen dürfte, zu uns kommen wollte. Er kam und blieb lange fest, denn der Saal, in dem sie stand, war nur durch eine Gallerie zu erreichen, an der die Zimmer lagen, die der Oheim bewohnte; aber ich trieb mit meinem Ungestüm mein hartes Geschick herbei. Zu seinen Füßen strömten meine Thränen, meine Worte. Er willigte ein. In meinen Trauerschleier gehüllt, folgte ich ihm um Mitternacht mit zitterndem Schritt. Hanna verschloß hinter uns sich in die Zimmer, die wir verließen. Glücklich erreichten wir den Saal, zu dem Gersem den Schlüssel führte. Ich sah die Züge, die mein Leben beglückt hatten, zu denen einer Heiligen verklärt. Lange betete ich an ihrem Sarge, gelobte ihr Alles, was sie lebend von mir begehrt; ihr Anblick hatte mich über den Schmerz erhoben, ich fühlte mich völlig besonnen, als ich Gersem aufschreien hörte und eine gellende Stimme an mein Ohr traf. Ich sprang auf, um zu entfliehen, aber ich fühlte mich gehalten, und ein Blick auf den, der mich ergriff, sagte mir, ich sei in der Gewalt des gefürchteten Oheims. Ach, was er sagte, kann ich nicht wiederholen, es waren wüthende Schmähungen, Spott, Gelächter an dem Sarge seiner Schwester! Verzweiflung ergriff mich, ich rang mit ihm, er behielt meinen Trauermantel, und als mein erbleichtes Angesicht vor ihm enthüllt war, glaubte seine feige Seele einen Geist zu schauen. Er schrie wild auf, verhüllte[132] sein Gesicht, und er war es nun, der fliehen wollte. Zugleich fühlte ich mich von Gersem weggezogen. Doch wir hatten noch nicht die Thüre erreicht, da hatte der Elende sich gefaßt. Du bist also kein Geist, schrie er lachend, nun so sei mir willkommen! Er entriß mich Gersem, ich schien verloren, meine Sinne schwankten, meine Kräfte brachen. Da stürzten die Diener plötzlich herein, und der Ruf von Feuer drang uns entgegen. Er ließ mich nun los und eilte nach der Gallerie, wir ihm nach, zu entfliehen. Das Feuer stürzte uns prasselnd aus der Gegend, wo wir Hanna verlassen, entgegen. Ich wollte mich hinein stürzen, Hanna zu retten; aber Gersem warf meinen wieder aufgehobenen Mantel über mich, rief Hanna's Gefahr einem Andern zu und schleppte mich mit überlegener Kraft durch die Gänge nach dem Garten. Hier gab er mir Luft, aber nöthigte mich, eilig weiter zu fliehen, bis wir, aus dem Park entkommen, einen Meierhof erreichten. Hier verhüllte er mich wieder und verbarg mich in einer hohen Hecke. Er forderte zwei Pferde, die man ihm, als angesehenen Schloßbedienten, nicht versagte. Eine Strecke vom Hause bestiegen wir sie und jagten fort. Gersem sagte mir, er wisse kaum wohin, doch nach London müsse ich. Er gab mir ein kleines schwarzes Buch; ich kannte es wohl, es gehörte meiner Tante; ich solle es auf meiner Brust verbergen, er habe es seit ihrem Tode immer bei sich getragen. Die Angst vor der wilden Nähe jenes Mannes verschlang bei mir jedes andere Gefühl, ich fürchtete nichts, als ihn. Nach London wollte auch ich, dort lebten meine Beschützer, das wußte ich. Doch es war anders bestimmt. Unsere Pferde trugen uns noch den andern Tag, doch dann nicht länger. In einer kleinen Herberge in einem Walde kehrten wir ein. Ein altes gutes Weib suchte mich zu erquicken, obwohl sie wenig besaß und ich unfähig war, Nahrung zu nehmen. Gersem pflegte unsere erschöpften Pferde. Wir mußten die Nacht rasten, obwohl kein[133] Schlaf uns erquickte, denn mein Herz war erfüllt von Schmerz, und die schreckliche Ungewißheit von Hanna's Schicksal fügte noch neue Leiden hinzu. Mit dem ersten Morgenstrahl brachen wir auf, doch unsere Eile war umsonst. Um Mittag hörten wir den Hufschlag von Pferden hinter uns. Gersem hatte keinen Zweifel, daß es unsere Verfolger seien. Da ergriff ihn blinde Wuth und Verzweiflung. Er trieb mein erschöpftes Pferd an, und die immer näher kommenden jagenden Pferde frischten auch in den unsern den natürlichen Instinkt an, jene nicht vorkommen zu lassen. Doch dieser Wettlauf blieb in einer offenen öden Gegend dennoch ohne Erfolg. Verwünschungen trafen unser Ohr, Staub hüllte uns ein, im Nu waren wir umringt. Der fürchterliche Mann ergriff meine Zügel, er wollte mich selbst ergreifen, aber mein Abscheu benahm mir jede Furcht. Ich befahl ihm, mich nicht anzurühren, und er gehorchte mir; aber er nannte Gersem Entführer, Verräther. Ach, noch mehr böse Worte folgten, und er wollte wissen, wer ich sei. – Wer sie ist, gehört nicht vor Euch und geziemt mir nicht, Euch zu sagen; aber hütet Euch, sie zu kränken, fürchterlich wird die Rechenschaft sein, die Ihr zu geben habt, fürchterlich die Strafe, die Euch erreichen wird. – Doch diese muthigen Worte, die meinen Verfolger erschrecken sollten, erhitzten ihn nur mehr. Ich mußte sehen, wie dies ehrwürdige Gesicht von einem Schlage seiner wilden Hand verletzt ward, während er mich sogleich anrief, ihm zu folgen. Doch mich in die rohe Gewalt dieses Mannes zu begeben, schien mir härter, als der Tod. Ich will nicht mit Euch, ich will nach London, dort finde ich Schutz; laßt mich weiter reisen! rief ich außer mir. Er stieß hier ein so wildes Gelächter aus, daß ich schaudernd mich wegwandte. Doch in dem Augenblick fühlte ich seinem Arm um mich. Ach, mein Angstgeschrei riß Gersem wild wie einen Löwen herbei. Er hatte den schrecklichen Mann, der mich hielt, schon ergriffen, als[134] dieser wüthend seinen Degen zog. Ich sah nur noch, daß er blitzend über Gersems Haupt flog, und die tiefe breite Wunde in seinem Schädel, mit der er niederstürzte. Als meine Besinnung wiederkehrte, hörte ich ein geistliches Lied mit leiser Stimme neben mir singen, und der feine Geruch von dem ersten Grün des Kalmus und der Weide war um mich verbreitet. Ich versuchte die Augen zu öffnen, aber ich fühlte mich so erschöpft, daß ich es erst vermochte, nachdem die wiederkehrende Besinnung mir all' die erlebten Schrecken zurück rief. Ich sah mich in einem düstern niedrigen Zimmer, spärlich von einer Lampe, mehr durch das Licht des Mondes, der in seiner Fülle durch ein offenes Fenster drang, erhellt und auf einem Lager ausgestreckt, wie man es für Sterbende von Stroh, mit weißen Tüchern bedeckt, zu bereiten pflegt. An meiner Seite saß ein Weib in armseliger Bauertracht, sie sang das Lied, welches mich zuerst erweckt, und dessen rührende Worte mir jetzt verständlich wurden. Dazwischen drang aus einem andern Theile des Hauses heftiges Gespräch und Gelächter. Ich wollte mich eben mit aller Kraft erheben, obwohl meine Glieder mir steif und todtenkalt erschienen, als das fromme Lied meiner Gefährtin durch Männerschritte unterbrochen, die Thür aufgestoßen ward, und ein Mann eintrat, dessen erstes Wort mich meinen Verfolger erkennen ließ. Kaum unterdrückte ich den Schrei des Entsetzens, doch meine Erstarrung half mir; ich schloß sogar meine Augen. Er fragte das Weib, ob ich noch kein Lebenszeichen gegeben. Sie ist todt, Sir, sagte die Alte, in der ich nun diejenige erkannte, die mich am Tage zuvor gepflegt hatte; glaubt mir, das junge Leben ist dahin. Schweig'! rief er wild, todt oder lebend, sie muß mit fort; so wie der Morgen kömmt, breche ich auf, und Ihr geht und sorgt für meine Leute! Er näherte sich meinem Lager und bog sich über mich. Welch' ein Augenblick! Ich preßte den Athem zurück, unbestimmt noch fühlte ich, dies müßte meine[135] Rettung werden. Und was ist das? rief er wild, indem er, wie es schien, einen Zweig aus meiner Hand riß, was sollen diese Todtenkräuter? Ich bestreute ihre Leiche mit dem ersten Grün, sprach das gute Weib; soll ihr junger Leib da liegen, ohne den Schmuck der Jugend? Ich glaube, ihm graute, denn er verließ schnell das Zimmer. Ich hielt den Athem an, bis seine Schritte in dem Geräusche der untern Stube verhallten, dann nahm ich alle meine Kräfte zusammen, um zu sprechen. Doch meine ersten Worte ergriffen die gute Frau, die sich in den Gedanken an meinen Tod vertieft hatte, so heftig, daß sie mich hätte verrathen können. Sie sagte mir auf meine Frage, die Leiche meines Begleiters sei am Tage vorher schon weiter gebracht, mir aber habe der Herr da unten etwas Ruhe lassen wollen, da er mich nicht für todt gehalten hätte. Doch gab sie endlich meinen Bitten nach, mich zu befreien. Ich knüpfte ein Seil, welches sie herbeischaffte, an den Fensterrahmen, um meines Entkommens Verantwortlichkeit der guten Alten abzunehmen. Dann eilte ich, ach kaum fähig zu gehen und doch von Angst getrieben, an der fürchterlichen Thür vorüber aus der Hütte. Im Walde fand ich einen Knaben, den sie mir mitgab, mich auf die Heerstraße nach London zu führen; weiter reichten meine Gedanken für's Erste nicht. Noch ehe der Mond unterging, waren wir hindurch, denn ich fühlte meine Kräfte auf's Neue erhöht. Als wir nach dem Verschwinden des Mondes bei nun eingebrochener Dunkelheit die Heerstraße erreicht hatten, verließ mich mein letzter Trost, der gute Knabe, den ich nicht aufhalten durfte, um nicht seine Mutter und mich zu verrathen. Ich war nun allein, und unter welchen Umständen? Aber Gott hielt mein Herz, er rief meine Gedanken zu sich, ich konnte zu ihm beten, und die Schrecken meiner Lage fielen ab von mir; als ob um mich her sichtbare Engel gingen, so muthig, so in der Gegenwart Gottes fühlte ich mich. Als der Morgen[136] anbrach, war ich weit vorgedrungen. In der Nacht mußte ich an der Stelle vorüber gegangen sein, wo der Mord an Gersem verübt war. Ich befand mich schon auf Punkten, die ich Tages vorher nicht gesehen, und die Straße war noch gebahnt; doch das Tageslicht erfüllte mich mit neuem Grauen. Ich bemühte mich, meine Kleider unscheinbar zu ordnen; aber endlich kamen Menschen daher, und ich erregte doch so viel Erstaunen, daß ich mich jeden Augenblick neuen Gewaltthätigkeiten ausgesetzt glaubte. Auch stellte sich bei zunehmender Müdigkeit ein unabweisbares Bedürfniß nach Nahrung ein; aber der Muth fehlte mir, bei gänzlichem Mangel an Gelde, in den Dörfern oder Hütten darum zu bitten. Ich hoffte durch Schlaf mich zu stärken und suchte in einem Gehölze hinter einer hohen Hecke einen Ruhepunkt. Aber der Schlaf mag nicht erscheinen, wo Durst und Hunger quälen; er nahte mir nicht, und mit Entsetzen fühlte ich so meine Kräfte immer mehr schwinden. Ich scheute den Tod nicht, obwohl Gott es weiß, daß ich ihm gehorsam blieb und ihn nicht rief; aber meine Gedanken stumpften sich immer mehr ab, so daß ich endlich, ganz gleichgültig gegen Alles, mich wieder weiter schleppte. Meine klarste Vorstellung ist, daß ich von der Kälte des Morgens am Rande eines Waldes erweckt ward. Meine Kleider waren naß vom Thau, ich fühlte Frost; der Wald schien mir wärmer; darauf waren meine Betrachtungen beschränkt. Ich ging weiter, denn daß ich fort mußte, lag dunkel in mir, doch wie weit noch, ehe ich diese rettende Zuflucht erreichte, das weiß ich nicht, und selbst daß ich die Treppe zur Terrasse erreicht, wie man mir sagt, wo ich gefunden ward, ist mir völlig entschwunden und muß in der Betäubung geschehen sein, die mich zuletzt meines Kummers und aller meiner Leiden überhob. Jetzt, Mylady, wißt Ihr Alles, was ich selbst in mir hervorzurufen vermochte, und ich athme leichter, nun Ihr es wißt; denn ich werde nun Eures Rathes[137] genießen, und mein Name und meine Ehre werden außer Zweifel vor Euch sein. –

Ob dem wirklich so war, wenigstens in Betreff des Namens, hätten vielleicht Alle bezweifelt, die den abgeleiteten Blick gewahrt hätten, den die Herzogin bei diesen letzten Worten über ihren Schützling warf. Er ging indeß an dieser Seele unbemerkt vorüber, und die Herzogin war zu tief von dem eben Gehörten erschüttert, um nicht sanftern Gefühlen Raum zu gönnen. Liebreich zog sie die von der Erzählung tief Bewegte an ihre Brust und führte sie gegen das warme Licht der Sonne, und das kindliche Wesen nahm so ruhig an dem Busen der Herzogin Platz, als könne diesem Haupte kein sicherer und wohlthuenderer Ruhepunkt geboten werden. Sanft verhieß ihr die Herzogin noch ein Mal Schutz, und die Lady küßte stumm und innig ihre Hände. Und nun, Mylady, flehte sie sanft, gebt mir bald Mittel, meinen Oheim von meinem Schicksale zu unterrichten.

Die Herzogin schwieg einen Augenblick, dann sagte sie: Ich fühle mich allein nicht stark genug, Euch den besten Rath zu geben, doch morgen erwarte ich meinen Schwager und meinen Sohn von London zurück. Wenn Ihr mir erlaubt, so theile ich dem Ersteren Eure Erzählung in den Hauptsachen mit; er kennt alle Umgebungen des Hofes, alle Große des Landes, er wird Euch am Ersten sagen, wo ihr Euern Oheim, den Grafen von Marr, auffindet. Ich hoffe jedoch, Ihr werdet hier unter weiblichem Schutze lieber weilen, bis Euer Oheim für Euch eine ähnliche Stellung ersehen, als ihn aufsuchen, und so biete ich Euch noch ein Mal meinen Schutz auf jegliche Dauer an.

Nachdem die junge Gräfin Melville auch für die neue Gunst innig gedankt hatte, schien sie merklich ruhiger; nicht so die Herzogin. Für diese unglückliche Frau begann erst jetzt der schwerste Kampf. Mit schwankender Stimme hob sie an: Ich[138] habe Euch bis heute Euer Eigenthum aufgehoben und lege es jetzt in Eure Hände. Mit diesen Worten nahm sie ein Kästchen, welches die Juwelen der Gräfin enthielt, und fuhr dann fort: Wollt Ihr mir wohl die Bedeutung dieser schönen kunstvollen Gaben nennen? Sicher theure Andenken von eben so theuern Personen.

Ihr seid unwohl, Frau Herzogin, sprach die Gräfin, ihr in das Gesicht blickend, setzt Euch nieder; ich habe Euch ermüdet! Laßt mich Euch führen; ich setze mich zu Euch und erzähle Euch von diesen Gaben; das wird Euch erheitern, denn es sind nur schöne Rückerinnerungen. Daß Ihr sie gefunden und mir aufbewahrt habt, sagte mir Mistreß Morton; denn mit meiner Besinnung trat auch mein Schmerz über den Verlust dieser theuern Güter ein, die ich gelobt hatte nie abzulegen. Dies Buch, sprach sie weiter und hob das mit der Perle verschlossene Portefeuille heraus, gehört mir nicht; nur in den Händen meiner Tante sah ich es. Habt Ihr den Inhalt untersucht? fragte sie, und ihre Finger schienen zagend auf dem Schlosse zu ruhen; sollte es wirklich für mich bestimmt gewesen sein? Hat sich Gersem nicht getäuscht? Was glaubt Ihr? darf ich es öffnen? –

Es ist nicht leer und der Inhalt wohl sicher für Euch bestimmt, sagte die Herzogin. Ich muß Eure Verzeihung erbitten, daß ich die Bedenklichkeiten, die Euch jetzt bewegen, weniger obwalten ließ. Als man es mir mit den Juwelen, die Ihr trugt, übergab, öffnete ich es, in der Hoffnung, vielleicht dadurch mit Euerm Namen oder Euern Angehörigen bekannt zu werden, und den um Euch Bekümmerten Nachricht von Euch geben zu können. Doch ich fand, sonderbar genug, nur zwei Wechsel von tausend Pfund, ausgestellt auf das Handlungshaus Perrisson, und denkt Euch selbst, wie ich erstaunen mußte, die Adresse von unserm Schlosse in London und den Namen meines Gemahls![139]

Wie? rief hier die junge Gräfin, und die helle Röthe der Freude verschönte ihr liebliches Gesicht. So wäre ich zu Euch hingewiesen von meiner theuern Tante, an Euch, und Ihr wäret vielleicht bekannt mit ihr oder Euer Gemahl?

Ich kannte nie eine Gräfin von Marr, erwiederte die Herzogin, und auch von meinem Gemahl hörte ich sie nie erwähnen. Doch scheint mir selbst hier ein Zusammenhang zu walten, der mir wenigstens, bis wir ihm durch Nachforschungen näher treten, das unbestreitbare Recht geben dürfte, Euch als an mich gesandt anzusehen, da der nicht mehr unter den Lebenden weilt, dem zunächst die Pflicht gegönnt war.

O welch' eine glückliche Wendung nimmt jetzt mein trostloses Schicksal! rief die Gräfin, und der in der Jugend so leicht gefundene Uebergang vom Schmerze zur freudigen Hoffnung schien auch sie belebend zu ergreifen. An Euch ward ich gesandt, und Euch mußte ich finden, ohne die Absicht, Euch zu erreichen. Durch Noth und Tod lenkte Gott die willenlosen Schritte bis zu Euch. Sagt selbst, ist das nicht recht deutlich seine ewig waltende Vaterhand? Ja, hier bin ich am rechten Platze, Gott hat es selbst vollführt, was Menschen liebend für mich erdachten, und er wird es auch ferner nun führen, wie es das Beste ist für uns Alle.

So wollen wir hoffen, sagte die Herzogin, sich unwillkürlich von den begeisterten Zügen der jungen Gräfin angezogen fühlend und die Zärtlichkeit still gestattend, mit der sie ihre Hände geküßt fühlte; und ist mein Schwager nur erst hier, dann leiten wir Eure Angelegenheiten durch ihn am zweckmäßigsten ein.

Jeder Augenblick in Eurer Nähe, versetzte die Gräfin, bringt mehr Frieden und Hoffnung in meine Brust; mir ist, als hätte ich nichts zu fürchten, wenn Ihr mir nur hold bleibt und meine Handlungen leiten wollt.[140]

Die Herzogin war nicht unempfindlich für diese Sprache der Liebe, die so vertrauend und zärtlich selten zu ihr drang, doch ihr Interesse war innerlich zu lebhaft auf ihre beabsichtigten Nachforschungen gerichtet, um diesen Gefühlen länger Raum zu gewähren, sie hob selbst die Verhüllung, welche sie um die prachtvollen Inwelen gelegt hatte, hinweg, und ein Blick auf das obenliegende Kreuz gab auch der Besitzerin andere Gedanken und Gefühle. Sie hob es an der Perlenschnur empor, drückte es an ihre Lippen und sagte:

Ich erhielt es von meinen theuern Eltern. Schmückt mich damit, fuhr sie lächelnd fort, daß es dadurch auf's Neue gesegnet zu mir gehören möge.

Die Herzogin, ihr gegenüber, schien willenlos zu werden, denn sie schlang die prachtvolle Perlenschnur um den schlanken Hals und senkte das Kreuz, das aus zwölf großen Smaragden, in Brillanten gefaßt, bestand, auf die Brust. Dann nahm die Gräfin die Armbänder und sagte, lächelnd den Blick darauf geheftet:

Der es mir gab, ihn liebte ich, wie meinen Vater. Er war der Freund meines Oheims und sein steter Begleiter. Ich sagte Euch davon, und es gehört zu den Dingen, die mir höchst auffallend sind, daß mir entweder sein Name entfallen ist, oder ich ihn nie gehört habe. –

Wie, Mylady, Ihr wißt den Namen dessen nicht, den Ihr als einen Vater liebtet, mit dem Ihr so oft beisammen waret, der Euch ein so reiches Andenken geben durfte? Ihr wollt mir sagen, daß Ihr seinen Namen nicht wißt? –

Ich wollte ja nie mehr oder anders zu Euch sagen, als ich selbst wußte, erwiederte die junge Gräfin, zwar mit ruhigem Tone, aber in ihrem Auge, das sie fest auf die Herzogin wandte, lag ein vorübergehendes Leuchten ihres verletzten Gefühles und der Verräther eines stolzen Herzens. Wenn ich nun, fuhr sie[141] fort, auch hinzufüge, daß ich nicht weiß, wie das Schloß heißt, wo meine Tante lebte, und von wo ich entflohen bin, und in welcher Gegend von England es liegt, so wird sich sicher Euer Erstaunen noch vermehren. Aber Ihr würdet Euch auch vielleicht mein eigenes denken können, als ich in Gedanken mir mein Leben zurückrief, um es Euch mitzutheilen, und ich zuerst auf diese dunkeln, mir unerklärlichen Punkte stieß. Doch gerade dies vermehrte mein Verlangen, Euch Alles zu vertrauen. Denn Ihr, in der Welt lebend und voll Erfahrung, begreift vielleicht eher hier einen Zusammenhang, als ich, die ich über manche Punkte weder Zeit fand zu fragen, noch nachzudenken, über andere aber völlig ohne Auskunft bleiben mußte. Auch begreife ich es wohl, wie die Namen mir so gleich waren; ich hörte ihn stets theurer Freund oder Graf Robert nennen. Mein Aufenthalt auf dem Schlosse aber war selten über vier Wochen ausgedehnt. Stets fanden wir bei unserer Ankunft meinen Oheim und seinen Freund, und dieses Wiedersehen war so beglückend für uns alle, daß für mich wenigstens die ganze äußere Welt versank und wir außer den Stunden des Schlafes uns fast nicht trennten. Wie man mich beschäftigte, habe ich Euch erzählt, dabei lebten wir in einer großen Zimmerreihe, mit offenen Terrassen nach dem Walde, bei stets geöffneten Thüren. Wir genossen die Milde der Luft, aber oft hörte ich sie sagen, daß sie keine Spaziergänge machen wollten, um keinen Augenblick unbenutzt zu lassen für ihre reichen und lebendigen Unterhandlungen, deren Mittelpunkt ich war, und zwar oft davon so berauscht, daß ich zu den Füßen der Tante einschlief und von Hanna wie ein Kind zu Bett geführt ward, was wieder zu den Füßen des Lagers meiner Tante stand. Sprachen wir aber zu Nordwighall von dem Schlosse, hieß es das Schloß der Tante, zuweilen mit dem Zusatze: im Innern von England, und das Nennen dieses geliebten Aufenthaltes weckte gleich eine Reihe so wonnevoller Gedanken[142] in mir, und ich war mit dieser Benennung von Kindheit an so befreundet, daß ich den Mangel daran erst entdeckte, als ich das Bedürfniß fühlte, Euch darüber Rechenschaft zu geben. Das Recht des Grafen Robert endlich, mir dies theure Geschenk zu geben, gehört für mich zu den sehr leicht erklärlichen Dingen. Denn nicht ich gab ihm jenes Recht, sondern meine Eltern, als sie ihn zu meinem Pathen ernannten. Diese Brillanten bilden einen Namenszug, den er mir später erklären wollte. Er hatte es auf mein Taufkissen gelegt, und als mein Arm hineinpaßte, legte er's mir selbst um, und ich gelobte ihm, es nie abzulegen. – Sie schlug bei diesen Worten den langen Aermel ihres Trauerkleides zurück; auf ihrem Antlitze war die sanfte Milde wiedergekehrt, die vorherrschend diese Züge zu beleben schien. Sie blickte bittend die Herzogin an, welche, ihre Stirn in die Hand gestützt, ohne Bewegung zusammen gesunken, in dem Sessel saß und diesen Blick nicht sah. Als nun die Gräfin sich beugte, um ihr Auge aufzusuchen, begegnete sie dem trostlosen, in Thränen schwimmenden Auge der Herzogin, und fürchtend für sie, obwohl ungewiß, warum, kniete sie vor ihr nieder, und sagte leise und zärtlich: Ihr leidet, seid Ihr krank, oder zürnet Ihr mir? Nein, ich zürne Euch nicht, sagte die Herzogin und blickte tief in das Gesicht der Knieenden; aber ich bin leidend. Doch vergebt, sagte sie gefaßt, ich vollende Euern Schmuck. Sie ergriff hierbei schnell das Armband und sagte feierlich: Eine theure, theure Hand legte dies Band zuerst Euch an, ich thue es zunächst und gelobe Euch, für Euch zu sorgen, wie der es thun würde, der es Euch gab, wenn es Gottes Wille so gefügt hätte. Während dieser Worte befestigte sie die Armbänder um die schönen Arme und erhob sich sogleich. Der Augenblick der Trennung schien gekommen, die Gräfin Melville erwartete das verabschiedende Wort mit ruhigem Anstande, und die Herzogin, die es verzögerte und mit sich uneins war über die Einleitung[143] des ihr zunächst Liegenden, sah unruhig vor sich nieder, und das Schweigen, welches die Bescheidenheit ihrer jungen Gefährtin nicht zu unterbrechen wagte, lastete mit drückender Schwere auf ihr. Da kamen dumpfe Töne von dem Eingange her, welche sich schon oft und wohlbekannt hatten vernehmen lassen, ihrer Unentschlossenheit zu Hülfe. Sie folgte ihrem vorausgesandten Blicke und überschritt den Saal, die Thüre öffnend, an der nun bei den näher kommenden Schritten sich ein freudiges Gebell und unruhiges Kratzen vernehmen ließ, und durch den kleinen Spalt der sich öffnenden Thür drängte sich Gaston mit solcher Gewalt hinein, daß an den Rändern der Thür Haare von ihm haften blieben. Er wollte seine ungestüme Freude an der Herzogin auslassen, die jedoch wenig gestimmt schien, sie zu begünstigen, und sie durch ein paar streng ausgesprochene Worte mäßigte, während sie sich von ihm wandte, um zurück zu kehren. Jetzt gewahrte Gaston, der sich so zurückgewiesen sah, die Gräfin Melville, welche, nach den Terrassen gewandt, in ruhigem Nachdenken der Herzogin harrte. Er hob den Kopf und Schweif hoch empor, blickte schnell vorlaufend mit seinen klugen Augen zur Gräfin hin und war mit zwei Sprüngen nicht allein an ihrer Seite, sondern mit seinen Pfoten so hoch, daß sie sich augenblicklich von ihnen umarmt sah, und dies mit einem solchen Freudengeheul, daß dieser jähe Ueberfall des großen Thieres ihr einen lauten Schrei des Entsetzens entriß. Aber diese Folge der ersten Ueberraschung ging nun sogleich in die zärtlichsten Liebkosungen über. Gaston, o mein lieber Gaston! rief sie und drückte das schwarze Gesicht an ihre Brust, und küßte seine Stirn, während Gaston ganz außer sich vor Freuden schien, wieder von ihr abließ, sie umkreisete, um immer wieder zu ihr hinan zu springen, und immer wieder ihre offenen Arme fand, und eine solche Theilnahme an seiner Freude, daß Alles, was sie beide umgab, dieser Empfindung weichen zu müssen schien.[144] Sie gewahrte nicht, daß die Herzogin krampfhaft einen Pfeilertisch, dieser Scene gegenüber, ergriffen hielt, und mit bleichen, zuckenden Zügen und starren Augen hinein sah. O Mylady, rief jetzt die Gräfin, über Gaston wegschauend, glühend und fast athemlos, o sagt mir jetzt, wo ist er? Gaston war nicht ohne ihn; Ihr verbergt ihn, Ihr habt mich vorbereiten wollen durch Gaston auf seinen geliebten Herrn! Doch ich bin jetzt gefaßt, rief sie voreilend, o laßt mich ihn sehen, fürchtet keine allzu heftige Erschütterung mehr! – Gaston unterbrach diese Worte noch immer durch seine heftigen Liebkosungen, und dies entzog ihren stets dadurch abgelenkten Blicken die Veränderung der Herzogin und verschaffte dieser zugleich Zeit, die Fassung zu erlangen, die ihr jetzt doppelt nöthig schien. Nein, Mylady, es steht nicht in meiner Macht, Euern Wunsch zu erfüllen, ich kann Euch den Besitzer dieses Hundes nicht zeigen, ja, ich muß glauben, Ihr irret, wenn Ihr dies Thier schon früher zu kennen glaubtet. – Ich mich in Gaston irren? In meinem lieben Gaston, rief die Gräfin, den ich selbst pflegte, als sein Fuß bei einem Sprunge von der Terrasse in dem Schloß meiner Tante blutete und verletzt war? Heißt er denn nicht Gaston? Und seht hier noch die Stelle, wo die Wunde war und kein Haar sich wieder darüber zog. Habt Ihr nicht gesehen, daß er mich erkannte? – Und wahrlich, Gaston schien mit allen Tönen und Bewegungen, welche diesen edeln Kreaturen verliehen sind, ihr oft so starkes und feines Gefühl auszudrücken, diesen Worten Nachdruck geben zu wollen, und die Herzogin fühlte sich selbst davon so überzeugt, daß ihr für Heuchelei nicht geschaffenes Gemüth sich von dem Vorhaben abwendete, diese Bekanntschaft, an die sie leider nur zu fest glaubte, als eine Verwechselung in Abrede stellen zu wollen. Sie gebot Gaston Ruhe, welches sie mit Mühe erlangte. Dann ergriff sie die Hand der Gräfin und führte sie seitwärts vor. Sagt mir, sprach sie[145] feierlich, wem glaubt Ihr, daß dieser Hund gehört? – Dem Freunde meines Oheims, theure Lady. Er begleitete ihn stets, ich kenne ihn, glaubt mir. – Ich zweifle selbst nicht mehr daran, erwiederte die Herzogin, doch ich stehe jetzt wie eine Bittende vor Euch. Ich fordere von Euch eine Gewährleistung, an der mir sehr viel liegt, die für's Erste nöthig ist, die ich vielleicht später wieder aufhebe, vielleicht auch nicht. Wollt ihr mir geloben, meine Bitte zu erfüllen, meine dringende Bitte? – Zweifelt Ihr, Frau Herzogin, an meiner Bereitwilligkeit? Wollt Ihr mir nicht sagen, was Ihr befehlt? Wollt Ihr nicht überzeugt sein, daß dies Herz froh sein wird, Euch zu gehorchen? Was Ihr von mir fordert, es kann nur recht sein, und ich kann sagen, ich werde Euch nicht gehorchen, um der großen Verpflichtungen willen, die ich gegen Euch habe, ich werde gehorchen aus Liebe. – Da ergriff die Herzogin hastig die Hände der Gräfin, drückte sie fest zwischen die ihrigen und sagte schnell: Nie, nie, gegen kein menschliches Wesen, nicht durch Blick oder Wort, nie, nie verrathet Eure frühere Bekanntschaft mit Gaston. Mit Gaston? stammelte, überwältigt von Erstaunen, die Gräfin. Sie hatte sich, nach dem lebhaften und feierlichen Benehmen der Herzogin, auf die Anhörung irgend einer wichtigen Mittheilung gefaßt gemacht, und jetzt sollte sie nichts als die harmlose Bekanntschaft eines Hundes verläugnen.

Doch sie besaß zu viel Gefühl für Schicklichkeit, um, der Herzogin gegenüber, nicht ein Erstaunen zu mäßigen, welches dem Betragen derselben fast zum Tadel werden mußte. Ihre wiederkehrende Besonnenheit aber ward bis zum ernsten Nachdenken erhöht, als ihrem folgerechten Verstande zunächst klar ward, daß dieser an sich unbedeutenden Bitte doch ein Umstand anhing, der sie zu keiner unwichtigen machte, nämlich das Verläugnen der Wahrheit, wenn der Zufall eine Erklärung darüber für sie herbeiführen möchte. Sie fühlte hier zuerst im Leben,[146] daß man keines Menschen so sicher sein darf, ihm ohne Vorbehalt irgend eine heilige Angelobung zu thun, noch vor der Kenntniß des Begehrten. Der Streit in ihrem Innern darüber legte ihren Lippen noch immer ein Schweigen auf, das durch ein etwas unbehagliches Gefühl gegen die Herzogin vermehrt ward, welche ihr räthselhaft und nicht so rein mehr erschien, als einige Augenblicke früher. Aber die Herzogin hatte gebeten, und diese ihr seltene Stellung ließ sie dies Schweigen beleidigend empfinden. Augenblicklich daher auf ihre frühere Hoheit zurücktretend, richtete sie sich empor, und ihr Blick heftete sich nicht bittend, sondern zürnend auf die Gräfin. Ich bat Euch, Mylady, sagte sie kalt; habt Ihr mich gehört? Ich that meine erste Bitte an Euch! Vielleicht wagte ich zu viel, Euch um die Erleichterung einer Sorge zu bitten, wobei ich Euer Wohl mit bedachte. – Sie wollte sich wenden, um den Saal zu verlassen, denn ihr einmal aufgeregter Stolz mußte seine Befriedigung haben, und jede andere Sorge stand stets dieser Anforderung nach. Da fühlte sie sich gehalten, und eine Bittende erwartend und getheilt in ihren Empfindungen, welche ihr die Angelobung ihrer Forderungen wünschen ließen, wandte sie sich. Aber sie fand ein ruhiges, nachdenkendes Gesicht, ohne Sorge, wie es schien, über ihren heftig geäußerten Unmuth. Ich bin, wie Ihr seht, in Unruhe und Zweifel, und Ihr müßt mich jetzt nicht verlassen, sagte die Gräfin ruhig und ernst; ich gestehe Euch, daß mich Eure Aufforderung in diese Stimmung versetzt hat. Ich gab Euch früher mein Wort, zu willfahren, noch ehe ich den Inhalt dieses Begehrens kannte, und wenn meine Ehrfurcht vor Euch mich es auch verbergen läßt, wie unbegreiflich mir Euer Gebot ist, und wenn ich Euch auch gern ohne Gründe vertrauen möchte, muß ich doch glauben, Ihr bedachtet selbst nicht Alles genau. Denn sagt mir, wer rettet mich vor der Gefahr einer Lüge, der ich fast unerläßlich ausgesetzt bin, wenn[147] ich Euch unbedingt gehorche? – Ihr seid sehr überlegt, Lady, in so jungen Jahren, sagte die Herzogin, noch immer streng, doch zu einer innern Anerkennung dieser reinen Ansicht fast gegen ihren Willen gezwungen. Indeß darf ich Euch wohl am wenigsten deshalb tadeln, da auch ich eine Feindin der Lüge mich nennen darf; und ich muß es beklagen, Euch nun nicht länger verhehlen zu dürfen, daß Ihr selbst es seid, die mich zuerst vielleicht im Leben zu einer mir sonst fremden Heimlichkeit und Verhehlung zwingt. Aber das ist der Fluch des Bösen, setzte sie, wie zu sich selbst redend, hinzu, und es bleibt nichts in seiner Nähe unbefleckt davon. Ich überlasse Euch, fuhr sie lauter fort, was meine Bitte betrifft, Euerm Gewissen! Das Wort, das Ihr gabt, soll nur Kraft haben bis zu dieser Grenze; doch werde ich bemüht sein, Euch die Versuchungen aus dem Wege zu räumen. Thut Ihr ein Gleiches und denkt, daß Ihr mir damit den geringsten Dienst leistet, denen aber, die Ihr die Eurigen nennt, vielleicht den größten. – Ich danke Euch, sagte die Gräfin mit ihrem wiederkehrenden klaren Blick und dem vollen Ton ihrer melodischen Stimme, Ihr habt mich wieder frei gemacht, es scheint mir nicht schwer, das zu vermeiden, was Ihr befehlt, und ich wünschte, Ihr hättet allein dabei Interesse, ich würde gern um Euretwillen recht vorsichtig und besonnen handeln. Ich sehe wohl, setzte sie sanft hinzu, Euer erfahrner Blick hat schon tiefer in mein Leben geschaut, ich bin dessen froh und will durch keine kindische Neugierde Euch lästig fallen über das, was Ihr mir noch verbergen zu müssen glaubt. – Schreitet in dieser Hoffnung nicht zu schnell vor, Lady, entgegnete die Herzogin. Ihr legt mir zu viel Scharfsinn bei. Mein Leben war sehr frei von Verwickelungen, ich verstehe mich daher wenig darauf; um so mehr habe ich aber stets bei meinen Forderungen das Vertrauen erregt, daß man sich ihnen ohne Vorbehalt überlassen könne. Gehen wir jetzt, Lady,[148] nach unsern Zimmern; etwas Ruhe wird uns nöthig sein. Ich werde Euch vor dem Abendgebet in der Kapelle in meinen Zimmern der Herzogin von Nottingham, meiner Schwiegermutter, vorstellen, und dispensire Euch lieber von der Tafel, da Ihr bis dahin Ruhe bedürfen werdet. – Die Gräfin neigte sich ehrerbietig vor der im Abgehn grüßenden Herzogin und stieg dann an Mistreß Mortons Arm, die sich sogleich zu ihr fand, die Treppen zu ihren Zimmern hinauf.


Die endlich sich gleichbleibende Schönheit des Wetters hatte am nächsten Tage die Damen zu einem Spaziergange in den weitläuftigen Anlagen des Parkes veranlaßt. Die Herzogin führte ihre Schwiegermutter die Terrassen hinauf, und man beschloß, daselbst zu verweilen und auszuruhen, während Lucie, an dem Arm der Gräfin Melville hängend, mit der sanften Arabella zugleich sich bemühte, ihr von den Merkwürdigkeiten von Godwie-Castle zu erzählen, und in der bereitwilligen Aufmerksamkeit ihrer Gefährtin eine immer steigende Aufmunterung für ihre Beredsamkeit fand. Da verkündete der wohlbekannte Ruf der Hörner von den Thürmen des Kastells die Ankunft des neuen Herzogs. Luciens Freudengeschrei beantwortete diese lang ersehnte Verkündigung, und hüpfend und tanzend nannte sie laut die Namen der Nahenden im kindlichen Gesange. Hierdurch und durch die meldenden Diener ward die Gräfin Melville von der Ankunft dieser nahen Verwandten des Hauses unterrichtet, und sie fühlte zu zart, um sich nicht in einem solchen Augenblick lieber zurück zu ziehen, da sie, den Erwarteten völlig fremd, sich in diesem Augenblick in dem engen Kreise der Familie als störend betrachten mußte. Sie beurlaubte sich daher für diesen Tag bei den beiden Herzoginnen mit einigen anspruchlosen[149] Worten, die aber doch hinreichend das feine Gefühl errathen ließen, von dem sie geleitet ward. Sie erreichte auch den Eingang der Gallerie, welche nach dem südlichen Flügel führte, ehe die Herren die Vorhalle betreten konnten, doch sah sie durch die hohen Bogenfenster, wie der Hof von empfangenden und ankommenden Dienern belebt war, in deren Mitte sich neben einem ältlichen Herrn die hohe und schlanke Gestalt eines jüngern bewegte, der mit großer Freundlichkeit die ehrerbietigen und freudigen Glückwünsche der grauen und achtbaren Diener zu beantworten sich bemühte, und so eben Sir Ramsey, der seine Hand küssen wollte, mit liebenswürdiger Zuvorkommenheit die Stirn küßte. Die Gräfin blieb unwillkürlich stehen und sah dieser Scene mit einem Antheil zu, der nothwendig ein gefühlvolles Herz bewegen mußte; so aufrichtig war der Ausdruck dieser Empfindungen treuer Anhänglichkeit und lohnender Anerkennung derselben. Der alte Herr richtete nun mit Eile die Aufmerksamkeit des jüngern auf den Eingang des Schlosses, und die Gräfin enteilte in ihre Zimmer. Die Herzogin, begleitet von ihrer Schwiegermutter, ihren Töchtern und ihren Damen, erschien in den geöffneten Pforten des Schlosses, um den Sohn an der Schwelle seiner Väter, die er nun als rechtmäßiger Herr betrat, zu segnen und willkommen zu heißen. Solche Augenblicke hervorzuheben und feierlich zu machen, war ihre ganze Persönlichkeit geschaffen. Es fehlte ihrem Herzen nicht an Empfindung, und die oft so schnell darüber hingleitenden Schatten gaben ihr in den Augen der Meisten nur das Ansehen einer vornehmen Mäßigung, einer edeln Selbstbeherrschung, welche sie durch ihre ganze äußere Erscheinung wohl zu erhalten wußte. Als sie auf der Schwelle so edel und ruhig erschien, und doch mit schwimmendem Auge und vollstem Ausdruck mütterlicher Zärtlichkeit dem heranstürmenden Sohne entgegen lächelte, da hätten wohl Alle mit dem gerührten Jüngling vor ihr das Knie[150] beugen mögen, und in der lautlosen Stille, wie sie Ehrfurcht von selber gebot, drangen ihre Worte bis in die Herzen der Fernsten: So segne Dich Gott, mein Sohn, in dem Hause Deiner Väter, dem Du Herr sein sollst, wie sie es waren! Er segne Dich mit ihren Tugenden, die sie zu Beschützern ihrer Unterthanen, zum Glücke ihrer Familie, zum Stolze ihres Vaterlandes, zu Freunden ihrer Könige erhoben! Stehe auf, Herzog von Nottingham, und betritt Dein Eigenthum mit einem Gott geweihten Herzen! – Der junge Herzog sprang auf, aber um sogleich vor seiner Großmutter, auch um ihren Segen flehend, nieder zu knien, und betrat dann zwischen Beiden die großen Hallen, die in ihrer ehrwürdigen Pracht gerüstet schienen, noch einige Jahrhunderte die Geschlechter kommen und verschwinden zu sehen, deren schon so viele daran vorübergegangen waren.

Graf Archimbald konnte eben kein Freund von solchen feierlichen, die Empfindung hervorhebenden Scenen genannt werden, und er gönnte seiner Schwägerin nie lange die stolze Höhe, auf die sie sich nicht ungern erhoben sah, und wo sie von den an Geist und Rang ihr meist untergeordneten Umgebungen gewöhnlich so lange gelassen ward, wie es ihr selbst beliebte. Er schritt daher mit sehr heiterem Wesen, seine Nichten mit sich führend, hinterher und begrüßte, als der mittlere Saal sie alle aufgenommen und die Herzogin sich mit den hochgespannten Zügen, welche ihre Würde verkündigten, zu ihm wendete, dieselbe mit einer so heiteren und unbefangenen Freundlichkeit, als wäre er von einem kleinen Morgenritte so eben zurückgekehrt, und als wäre zu einer tiefen Erregung und einer Andeutung derselben in Worten, überall keine Veranlassung. Er wußte wohl, daß er sie damit ein wenig verletzte, aber sie ward ihm dadurch viel bequemer, und allen Umgebungen wurde zugleich die Fessel abgestreift, die sie ohnedies, wie oft, so auch dies Mal, länger getragen hätten. Es fehlte der Herzogin, selbst[151] bei besserem Willen, Freiheit und Heiterkeit um sich herzustellen, doch sehr oft an Geschick dazu, und ein dunkles Gefühl hiervon verwandelte nicht selten ihre steife Haltung in üble Laune, die sie dann, den Tadel gern von sich entfernend, noch immer für ihr zukommende Würde hielt, und damit ziemlich lästig werden konnte. Ganz anders verhielt er sich zu seiner Mutter. Dieser reine Karakter wollte und konnte nichts mehr scheinen und zeigen, als sich selbst; und die höchste Wahrheit und Natürlichkeit verrieth nur um so sicherer die harmonische Schönheit ihres geläuterten Innern. Dadurch ward ihre Nähe Jedem zur Wohlthat, und wenn sie mit der Freude, sie zu lieben, die Herzen beglückte, erfüllte sie Alle zugleich mit wahrer Ehrfurcht vor einer so hohen Entwickelung des menschlichen Geistes, Graf Archimbald kannte Menschen und Verhältnisse in den mannigfachsten Schattirungen. Er war sparsam mit seiner Anerkennung und über die meisten Täuschungen hinaus, aber wer um seine seltener ausgesprochenen Gefühle wußte, dem war nicht verborgen, daß er seine Mutter über die meisten Menschen stellte. Sie rief alle weicheren Gefühle und eine zarte, achtende Unterordnung, die ihm sonst selten einkam, in ihm hervor. So begrüßte er sie auch jetzt, und seine Schwägerin fühlte diesen Unterschied wohl, und es mußte gerade diese von ihr selbst so hoch gestellte mütterliche Freundin sein, um ihr die kleine Demüthigung zu verzeihen, welche die Frauen, im Falle sie selbige vom anderen Geschlechte empfangen, so gern am eigenen zu rächen suchen. Doch war der Graf entweder zu gutmüthig oder zu gewandt, um seine Schwägerin nicht, so bald es sich thun ließ, in eine angenehme Stimmung zu versetzen. Er achtete ihren Karakter mit allen seinen von ihm leicht begriffenen Fehlern, und noch mehr ihren Verstand, auf den er einen hohen Werth legte; vielleicht eine Folge seiner eigenen vorherrschenden Richtung, die ihn in dieser Fähigkeit eine größere Sicherheit[152] dem Leben gegenüber annehmen ließ, als sich wohl immer bestätigen mag. Er motivirte daher seine hereinbrechende Freundlichkeit durch die Mittheilung, daß er so glücklich sei, seiner Schwägerin die neuesten Nachrichten von ihrem Vater, dem Grafen von Bristol, zu bringen, indem bei seiner Abreise von London so eben ein Courier aus Madrid eingetroffen sei, der auch Briefe für die Herzogin gebracht habe, welche er ihr zu überreichen, sogleich die Ehre haben werde. Die Herzogin hatte aus langer Erfahrung gelernt, daß sie am besten ihre Haltung gegen ihn behauptete, wenn sie anscheinend die Richtung, die er derselben zu geben wußte, nicht zu bemerken schien und sich ihr mit einer Miene überließ, als sei es ihre eigene Wahl. Beiden war so geholfen, und dieser kleine Krieg, in dem sie sich vollständig erkannten, ward ohne eine weitere Erklärung und unbeschadet ihres übrigen Wohlverhaltens, stets ohne Folgen beigelegt. Auch jetzt empfing sie seine Nachrichten mit der Heiterkeit, die sie ihrer Natur nach verdienten, und man kam bald dadurch auf die öffentlichen Angelegenheiten, die allerdings ganz England in eine nicht geringe Spannung versetzten.

Gewiß, sagte der Graf, als man sich niedergelassen hatte, war man gegen die Unterhandlungen, die der König zur Vermählung seines Thronfolgers mit einem katholischen Hause anknüpfte, nicht gleichgültig, ja, wohl eher tadelnd gesonnen. Doch war eben so allgemein die Ansicht verbreitet, der Prinz von Wales empfände eine eben so große Abneigung dagegen, wie sein Volk, und füge sich nur aus kindlichem Gehorsam in den Willen des alten Königs, dem allerdings bei der vorgefaßten Meinung, daß jede Verbindung mit einer Prinzessin unter königlichem Range unebenbürtig sei, keine große Auswahl blieb, da nur Frankreich und Spanien in diesem Augenblicke Prätendentinnen der Art bereit hatten.[153]

Und glaubst Du wirklich, mein Sohn, sagte die alte Herzogin, daß der Grund der Weigerung des Prinzen von Wales, sich zu vermählen, allein seiner Abneigung gegen die fremde, seinem Volke verhaßte Kirche zuzurechnen sei? Ich erinnere mich, von dieser Abneigung Manches schon gehört zu haben, ehe noch von einer Unterhandlung mit Spanien über diesen Punkt die Rede war.

Allerdings, sagte der Graf; doch scheint sein rasches nunmehriges Eingreifen in diese Unterhandlungen jene frühere Ansicht zu widerlegen, und es ist nicht einer der unwichtigsten Nachtheile dieser Reise, daß das Volk nunmehr den Vorwurf einer Hinneigung zum Katholischen von dem alten Könige, an welchem man dieselbe ziemlich erfolglos betrachtete, auf den künftigen Herrscher scheint übertragen zu müssen; was wenigstens unbezweifelt der Infantin, sollte sie unsere Königin werden, keine freundliche Stimmung im Volke bereiten wird. Die Abneigung des Prinzen aber, sich zu vermählen, stammt aus einer früheren Zeit. Meine Verhältnisse haben mir nicht erlaubt, darin klarer zu sehen, als die allgemeine Stimme verkündigte, der Prinz habe in früheren Jahren eine heftige und unglückliche Leidenschaft für ein Fräulein von Rang gehegt, die ihn späterhin dem ganzen Geschlechte entfremdet. Wie viel daran war, möchte ich selbst bei der Wahrscheinlichkeit des Gerüchtes nicht entscheiden, obwohl die Thatsache außer Zweifel ist, daß der Prinz außer der allgemeinen ritterlichen Galanterie, die seine liebenswürdige Natur bezeichnet, nie einer Einzelnen den kleinsten Vorzug einzuräumen schien.

O, rief der junge Herzog, wie unendlich viel liebenswürdiger erscheint mir nun noch der Prinz; wenn ich mir diesen Kern des Herzens, diese treue und feste Liebe in ihm denke, die ihn gegen die Verirrungen der Jugend schützte, und ihn so mild und ritterlich zugleich darstellt. Immer war es mir, als ob in[154] seinen Augen so etwas unaussprechlich Anziehendes läge, eine Mischung von Geist und Schwermuth, geschaffen, die Gemüther in der grenzenlosesten Hingebung zu fesseln.

Er hat die Augen der Stuarts, sagte die jüngere Herzogin mit hervorgehobener Kälte; man hat stets viel und in vielen Verhältnissen und an den verschiedensten Individuen von ihrer Zauberkraft gefabelt, und obwohl sie mir diesen Eindruck nie machten, sehe ich doch, die Wirkung blieb für meinen Sohn aufgehoben. Denn wahrlich, fuhr sie fort und streckte die Hand, sich erheiternd, nach ihm hin, Du glühst in der Erinnerung dieser Augen, und Dein künftiger König mag mit Empfindungen zufrieden sein, die Dich, wie es scheint, in grenzenloser Ergebenheit an ihn fesseln werden.

Ja, theure Mutter! Ich würde für den Prinzen, den ich von Kindheit an liebte und durch des Vaters Erzählungen fort lieben lernte, mit Entzücken mein Leben geben, und er wird in mir einen Unterthanen finden, wie er ihn hoffentlich nie bedürfen wird, der seine Rechte mit Gut und Blut zu vertheidigen bereit wäre. – Er wußte nicht, wie er in diesen Worten sowohl sein, als des Prinzen späteres Schicksal bezeichnete. So wird in unserer Empfindung oft Jahre lang vorher die Fähigkeit vorbereitet, die das Leben späterhin in das Dasein ruft, und wir nehmen oft den Platz wirklich ein, den wir in der Jugend mit unsern Träumen und Wünschen umschlichen, ohne seine Erreichung für möglich zu halten. Wer möchte die Grenzen bestimmen, die unser inneres Streben, das uns oft selbst nicht deutlich wird, hier in einem höhern Willen findet; wer kann sagen, ob wir das Schicksal heranzogen durch die Richtung, die wir uns gaben; oder ob es das Schicksal war, welches uns gerade diese Richtung der Ansichten und Empfindungen aufnöthigte, deren wir oft nicht eher uns bewußt werden, als eben in dem Augenblicke, der sie zugleich in Thaten hervortreten läßt. – Die[155] begeisterten Worte des Jünglings hatten eine augenblickliche Stille des Nachdenkens veranlaßt, und vielleicht mochten in den älteren Personen sich ähnliche Gedanken regen; doch die Herzogin liebte nicht, in fremde Empfindungen einzugehen, und hielt gern sich und Andere in den ihr bereits bequem gewordenen Grenzen.

Der Prinz war der Freund meines Gemahls, hob sie an, als ob sie dadurch Alles ausdrücken wolle, was er in ihrem Antheile besitzen könnte, aber ich gestehe, daß ich mich nie bis zu einer Bewunderung dessen habe erheben können, was in meinen Augen selbst in dem Falle, der ihn in den Deinigen, mein Sohn, so zu erheben scheint, nur eine unmännliche Schwäche war. Was ist mehr Gottes unmittelbarer Wille, als der Standpunkt, auf dem wir uns durch unsere Geburt befinden? Mögen Andere mindern Ranges darüber noch in Zweifel sein, der Prinz, der künftige König, muß es wissen, daß er nicht seinen Privat-Empfindungen angehört, und der hohe Beruf, der ihm geworden, dächte ich, müßte das Herz zu größeren Empfindungen entflammen und ihm wohl einen starken Ersatz für jene kleinen Tändeleien des Herzens gewähren, fühlt er sich anders wahrhaft fähig, der großen Anforderung seiner Geburt zu genügen. Könige haben andere Gründe, sich zu vermählen, sie müssen diese Pflicht gegen ihr Volk erfüllen, und müssen, auch ohne ihr Herz, eine solche Ehe würdig zu gestalten wissen. Man sollte überhaupt auch in andern Ständen, etwa als Oberhaupt einer bedeutenden Familie, sich frei zu erhalten suchen von einer Leidenschaftlichkeit der Empfindungen, die uns nur zu leicht aus dem Gleichgewicht zieht, mit dem wir allein im Stande sein werden, ausgedehnte Pflichten zum Nutzen und Beispiele der uns Anvertrauten zu erfüllen. Ich möchte jungen Leuten, die eine Laufbahn beginnen, immer zurufen, erst den Standpunkt zu prüfen, auf den sie durch ihre Geburt gestellt wurden. Was[156] ihnen dann zulässig wäre, würden sie leichter und geschickter wählen, als wenn sie sich regellos entwickeln und ihren Verhältnissen aufnöthigen, was ihre Leidenschaften ihnen nicht zu unterdrücken gestatten. Welche unselige Verwirrungen hat dies in die ehrwürdigsten Familien geführt!

Glaubet nicht, theure Mutter, erwiederte der Herzog, daß ich solcher Verwirrung das Wort redete, aber ein Herz, welches einer tiefen und starken Empfindung in der Liebe fähig ist, müßte, dachte ich, auch den warmen Impuls der Tugend und Pflichttreue dadurch in sich verstärkt fühlen.

Ich wollte nicht tadeln, was Du sagtest, entgegnete die Herzogin; hätte es mir Unrecht geschienen, würde ich Dich ohne Einkleidung meiner Meinung gewarnt haben. Ich ehre vollkommen eine aufrichtige Liebe zu unserm Lehnsherrn, wie ich sie in Deinen Aeußerungen erkannt habe; ich würde meinen Sohn verkennen, wäre es anders. Doch laß uns auf etwas kommen, was mich zu hören verlangt; Du bist mir noch Deine Aufnahme bei'm Könige schuldig. Willst Du der Großmutter und mir Einiges darüber mittheilen?

Der König war sehr gütig, und seine Gesinnungen für unsere ganze Familie sind höchst ehrenvoll; aber die eigentliche Ceremonie ward seiner Gesundheit halber sehr abgekürzt. Auch fand ich ihn so verändert, daß ich ihn wohl unter andern Verhältnissen, die ihn weniger kenntlich gemacht hätten, kaum wieder erkannt haben würde. –

Wie? sagte die alte Herzogin, ist er leidend, oder ist schon wirklich Gefahr für unsern guten Herrn?

Dies möchte ich nicht gerade behaupten, nahm Graf Archimbald das Wort, doch hat er eben ein böses Fieber überstanden, und in seinen Jahren bleibt allerdings eine gänzliche Herstellung zweifelhaft, oder doch nur langsam zu erwarten. Ich habe die Veränderungen seiner Gesundheit auch bemerklich gefunden.[157]

Auch scheint ihn Gram und Sorge über die Reise seines Sohnes sehr erschüttert zu haben, setzte der junge Herzog hinzu; denn er redet Jeden an, um ihm darüber seinen Schmerz und seine Besorgniß auszudrücken.

Diese große Reizbarkeit läßt auf eine allgemeine Schwäche schließen, fuhr Graf Archimbald fort, denn wenigstens bis jeßt sind die Nachrichten aus Spanien so glänzend, daß es scheinen will, das Glück wolle es übernehmen, die kleine Uebereilung unsers theuern Prinzen wieder gut zu machen. Wir haben dies alle dem unvergleichlichen Benehmen des Grafen Bristol zu verdanken, der dem Prinzen eigentlich den Boden bereitete, auf welchem er siegend einher zu gehen scheint, und der auch bei der überraschenden Ankunft des Prinzen mit der größten Geistesgegenwart seine Maaßregeln besser nahm, als unsere nachkommenden Depeschen sie ihm angeben konnten.

Und so wäre diese Sache also wirklich durch den raschen Entschluß des Prinzen befördert? fragte die alte Herzogin.

Dies zu bestimmen, möchte ich vor der Rückkehr des Prinzen nicht übernehmen, sagte lächelnd Graf Archimbald, denn der Herzog von Buckingham begleitet ihn, und wer weiß, ob der Graf von Bristol seine Angelegenheiten nicht zu ruhmvoll betreibt.

Wie verstehst Du das? fragte, unschuldig ihn anblickend, die alte Herzogin.

Wozu, theure Mutter, sagte der Graf, fast zärtlich ihre Hand nehmend, wozu willst Du mit Deinem reinen Geiste Dich zu den Schlangenwegen der Politik, des Neides und Stolzes herablassen? In Deiner Nähe vergesse ich am liebsten den wunderlichen Verkehr der Außenwelt, wenn ich ihr nachher auch wieder angehöre, durch Erziehung und einmal übernommene Stellung. Meldet man uns ja doch in diesem Augenblicke aus Madrid noch die glänzendsten Dinge. Dem Prinzen ist königlicher[158] Rang eingeräumt, die Infantin hat den Titel einer Prinzessin von Wales angenommen, und der König, sein Hof und das ganze hochherzige und ritterliche Volk überhäufen ihn mit enthusiastischer Liebe, da sie allerdings diese Handlung, sie in ihrer ganzen Originalität auffassend, als den höchsten Beweis des Zutrauens zu ihrem National-Karakter ansehen.

Wenn ich Hofdame wäre oder noch am Hofe lebte, versetzte die alte Herzogin lächelnd, so würde ich mir die Stoffe zu meinen Roben aussuchen, in denen ich den Vermählungs-Feierlichkeiten beiwohnen wollte; so sicher erscheint mir die erlauchte Infantin unsere Prinzessin von Wales zu werden, und ich sehe wohl, daß ich trotz meines politischen Gemahls, Sohnes und Bruders wenig Kenntnisse gesammelt habe, da mir hier von keiner Seite mehr ein Hinderniß einleuchten will. – Sie erhob sich freundlich von ihrem Sessel, denn die Mittagszeit war nahe, und man hatte über der Freude des Wiedersehens nicht daran gedacht, sich umzukleiden. Jeder begab sich in seine Zimmer. Der Herzog weigerte sich, die im italienischen Flügel anzunehmen; wodurch er seiner Mutter eine größere Wohlthat erzeigte, als sie eingestand.


Die Gesellschaft des Schlosses hatte, obwohl nun ein längerer Zeitraum zwischen dem Tode des Herzogs verflossen war, doch ein so gedrücktes, schwermüthiges Leben fortgeführt, daß ein Bedürfniß freieren Aufathmens, lebhafteren Treibens bei den Meisten sich dringend einstellte. Auch trat die Zeit als mildernde Vermittlerin selbst für diejenigen ein, die am nächsten dabei gelitten, und machte sie wenigstens geneigt, dem wiederkehrenden Leben stille Zuschauer abzugeben. Das ewige Ergänzungs-System[159] in der Natur läßt auch eine so endlos scheinende Lücke, als der Gram über den Verlust eines geliebten Gegenstandes uns scheinbar öffnet, nicht ohne diesen wohlthätigen Einfluß. Müssen wir auch oft einen bis dahin uns theuer oder doch bequem gewordenen Kreis abschließen, ohne daß wir Grund oder Boden für einen neuen sehen – die kleine, rettende Insel steigt doch endlich aus dem leeren, wüsten Raum empor, auf der wir einen neuen Kreis ziehen, wenn auch endlich immer kleiner, wenn auch unsichtbarer, stiller und einsamer. Das große Geschäft, zu leben, löset uns vor unserm letzten Athemzuge niemals ab; und wer aus freier Kraft die Wünsche ablöst, die dem schönen, ruhigen Lauf des Daseins mit Verwirrung drohen, der fühlt endlich, daß über ihm der Kreis sich vergrößert, der da unten in der Welt sich verengt; und hat er mit diesem endlich abgeschlossen, so gähnt ihm keine bodenlose Tiefe entgegen, sondern ein heller, lichter Strahlenkreis, worin er wieder finden wird, was er verdient.

So ward die Wiederkehr des nunmehrigen Herzogs und des Grafen Archimbald den zaghaften Gewissen zur Entschuldigung der Freude, die nun bald wieder in den schicklichen Grenzen sich zeigte, welche hier mehr, als sonst, beobachtet wurden. Die anspruchlose Natürlichkeit des jungen Herzogs trug hierzu wohl sehr viel bei; er kannte es nicht, sich ein Gefühl aufzubürden, was er nicht hatte. Seinen Vater je zu vergessen, gleichgültig gegen seinen Verlust zu werden, schien ihm so außer dem Bereich der Möglichkeit zu liegen, daß er nicht fürchtete, damit beargwöhnt zu werden. Daher athmete seine Brust in neuer jugendlicher Lust empor, er freuete sich dessen, und es schien ihm dies recht natürlich, da er ja noch viel zu thun hatte, um seines Vaters willen, wozu ihm ein gesundes Herz vor Allem nöthig schien. Darum sah man ihn auch auf das Anmuthigste mit Arabella und Lucie scherzen, und Alles um sich her durch[160] die klare, heitere Miene beleben, die nicht der Ausdruck des Leichtsinns ist, sondern eines sichern natürlichen Gefühls, das Alles eingesteht, weil es nichts zu verbergen hat.

Man hätte denken können, die alte Herzogin habe diese wohlthätige Diversion vorausgesehen oder herbei gewünscht; denn offenbar unterstützte sie mit ihrer liebenswürdigen Laune das Betragen ihres Enkels, und schien sich des Erfolges zu freuen, der selbst über ihre Schwiegertochter sich langsam verbreitete, welche zu mütterlich fühlte, um sich nicht endlich dem Einfluß zu überlassen, den ihr Sohn zu verbreiten wußte, nachdem sie den unangenehmen Eindruck überwunden hatte, diesen Sohn den höchsten Rang behaupten zu sehen, der ihr selbst an der Seite ihres Gemahls, in seiner milden, gegen äußere Vorzüge gleichgültigen Stimmung, so unbestritten gewesen war. Der junge Herzog nahm überall willig das Recht in Empfang, was mit seiner Würde ihm verbunden schien. Wie deshalb aber seine Mutter einen niedern Rang, als früher, einnehmen könne, vermochte er nicht einzusehen; und eben dies, daß der Herzog dies fühlte, versöhnte sie mit den unvermeidlichen Einschränkungen ihres Einflusses und ihrer Macht. – Als man sich zur Tafel begeben hatte und Lucie noch immer ihren Liebling vermißte, brach sie sich mit ihrem klaren Stimmchen Bahn, und sich zu ihrer Mutter wendend, rief sie:

O, liebe Mama, wo ist aber unsere Lady, warum kommt sie nicht zu uns, ist sie wieder krank?

Nein, Lucie, sagte die Herzogin, und die Erinnerung an dieses geheimnißvolle Wesen weckte die stillen Qualen ihrer Brust und veränderte schnell die Farbe ihrer Wangen; fürchte nichts, sie ist wohl auf, aber zu bescheiden, ohne Vorbereitung vor diesen Herren zu erscheinen.

Meinem guten Bruder Robert, meinem lieben Oheim? rief Lucie, vor denen hätte sie immer erscheinen können, die hätten[161] ihr sicher nichts übel genommen, wenn sie auch fremd ist, wie Du sagst. Nicht wahr, Oheim? Nicht wahr, Robert?

Was meinst Du, Lucie? Wen hast Du, dem Du Protection gewährst? fragte Graf Archimbald, während Roberts Blicke sich fragend zu seiner Mutter wendeten.

Wir haben einen Gast, mein Sohn, hob die Herzogin gezwungen an, über den ich noch nicht den passenden Augenblick finden konnte, Dir meine Mittheilungen zu machen. Ich habe während Deiner Abwesenheit ihr den Schutz dieses Hauses gelobt, den sie, unglücklich und verlassen, für den Augenblick zu bedürfen scheint. Du wirst mich sehr verbinden, wenn Du meine Worte bestätigen willst.

Meine theure Mutter, rief der Herzog, und über sein jugendliches Antlitz flog die Röthe der Ueberraschung und der Beschämung, Euer Durchlaucht sind hoffentlich vollkommen überzeugt, daß es hier keine Autorität giebt, Ihre Anordnungen und Befehle zu bestätigen. – Es war vielleicht das erste Mal, daß ihn der Gedanke flüchtig berührte, wohin der stolze Sinn seiner Mutter sich verirrte, den er aber mit Erschrecken aufzunehmen schien.

Die Herzogin war mit dieser Huldigung zufrieden, und ohne sie weiter zu beantworten, fuhr sie sichtlich freier, gegen die Hauptperson sich wendend, fort: Ich habe gestern ihre rührende Geschichte gehört, sie ist von vornehmer Geburt, eine Gräfin von Melville, eine Enkelin des Sir Robert Melville, und obwohl ihre Eltern gestorben sind, lebt ihr doch noch ein Oheim, für dessen Auffindung wir Eure Güte, Graf Archimbald, in Anspruch zu nehmen denken.

Graf Archimbald verbeugte sich und wiederholte blos den Namen Melville, als säh' er in Gedanken in der großen Namenliste seines Gedächtnisses nach diesem sich um. Die Herzogin erzählte alsdann kurz und mit vieler Geschicklichkeit die Geschichte[162] der Auffindung und der Krankheit der jungen Dame, und schloß mit einem fast unwillkürlichen Lobe ihrer Schönheit und feinen Erziehung. Die Wirkung dieser Erzählung auf beide Männer war auffallend, wenigstens für die Uebrigen, an diese seltsame Erscheinung bereits Gewöhnten. Man sah hier recht, wie das Geheimnißvolle über alle Menschen eine Gewalt übt, welche zu läugnen, eben so vergeblich wäre, als ihr gänzlich entgehen zu wollen.

Da die Sache jetzt einmal in Anregung gekommen war, wünschte die Herzogin nunmehr auch die persönliche Bekanntschaft mit ihrem Schützlinge einzuleiten, und gab zu dem Ende ihren Töchtern den Auftrag, die Lady am Nachmittage zu besuchen und sie, wenn es ihre Gesundheit erlaube, um die Theestunde nach ihren Zimmern mit herüber zu führen. Dieser Auftrag ward mit Freude von den Töchtern empfangen und verwies die aufgeregte Neugierde der Herren an ein leicht zu erreichendes Ziel; während es die Herzogin selbst beruhigte, weil sie mit ihren eigenen Gedanken über die Gräfin außer Zweifel kommen wollte. Ihre Schwiegermutter hatte, trotz ihrer argwöhnischen Aufmerksamkeit bei der Vorstellung der jungen Dame, ihr durchaus keine Aufschlüsse gewährt, indem sie jene nur mit dem freundlichen Antheil empfangen hatte, der sowohl ihrer Lage, als ihrer liebenswürdigen Persönlichkeit billig zuzukommen schien.

Als daher die Theestunde herangerückt war, die um der alten Herzogin willen mit großer Aufmerksamkeit gehalten wurde, obwohl dies keineswegs damals schon zu den Sitten Englands gehörte, und sie sich, von ihrem Sohne geführt, bei ihrer Schwiegertochter eingefunden hatte, konnte diese die Ankunft des Herzogs in steigender Ungeduld nicht erwarten, und Pons flog auf den ihm wohlbekannten Wink dahin, die jungen Damen abzuholen. Die Herzogin hatte in der Nähe eines der hohen Bogenfenster, welches, geöffnet, einen heitern Blick auf die[163] Gebüsche der Terrassen und die dahinter ausgebreitete Landschaft gewährte, die Sessel stellen lassen, welche die Familie aufnehmen sollten. Man saß so dem mit schönen Gemälden und kostbaren Geräthen geschmückten Saal gegenüber, der mit diesem Zimmer durch einen hohen und breiten gothischen Spitzbogen verbunden war; diesen hatte man, seines kunstreichen Schnitzwerkes und seiner prachtvollen Vergoldungen wegen, ohne Thüren gelassen, und nur durch einen reichen seidenen Vorhang die Zimmer nach dem Bedürfniß der Bewohner getrennt. Jetzt war derselbe von einander gerollt und gewährte eine schöne Aussicht in den eben erwähnten Saal, an dessen Ende sich, dem Bogen gegenüber, die breiten vergoldeten Eingangsthüren befanden. Die Herzogin hatte, ihre Schwiegermutter an ihrer Seite, ihren Teppich vorgenommen und arbeitete, wie es schien, mit der vollkommensten Ruhe an der Bildung einer künstlich verschlungenen Blume, während Graf Archimbald, vor ihr stehend, mit großer Beredsamkeit ihr die verschiedensten Mittheilungen machte über Freunde und Verwandte in London. Die Herzogin hatte ihm einige Mal schon den Sessel angeboten, der ihm die Richtung gegen den Saal zu gegeben und ihn für ihre Beobachtung bequemer gestellt haben würde, aber außer einer stummen Verbeugung hatte er sich nicht unterbrechen lassen, da er, wie es schien, zu stehen vorzog.

Jetzt öffneten sich die Thüren. Die Erwarteten zogen in bunter Ordnung durch den Saal, und Graf Archimbald sprach noch immer, mit dem Rücken dahin gewandt, lebhaft und zu laut, um das Geräusch der Nahenden zu hören, als die Herzogin in voller Ungeduld zu dem letzten Mittel griff, und mit Hand und Augen und freundlichen Mienen um ihren Schwager herum in den Saal hinein grüßte, für den Augenblick unbekümmert über die sonderbare Huld, und einzig bestrebt, ihren hartnäckigen Schwager zu wenden. Dies gelang, er trat zurück[164] und folgte der Richtung mit den Augen, welche seine Schwägerin so lebhaft anzugeben bemüht war, und der Blick, den der Graf jetzt prüfend und immer prüfender dahin sandte, und die auf seinem Gesichte unverkennbare Spur innerlicher Ueberraschung befriedigte die Herzogin zu ihrem eigenen Nachtheil vollkommen über die List, die sie sich erlaubt hatte, und über das davon erwartete Resultat.

Die jungen Damen, von ihren Gouvernanten und Master Copley begleitet, näherten sich nur langsam, sprechend und mit Lucie tändelnd, welche die Zipfel des langen durchsichtigen Schleiers ergriffen hatte, den die Gräfin Melville trug, und den sie durchaus als ihr Page dienend ihr nachtragen wollte. Dadurch aber drängte sie dieselbe vor, und es schien wirklich, als ob die sie Begleitenden ihr Gefolge ausmachten. Die Gräfin trug noch immer Trauerkleidung, welche von schwarzem seidenen Stoff auf ihren Wunsch erneut war, und nach der damaligen Mode in einem Mieder bestand, welches die Schönheit der Taille sehr vortheilhaft bezeichnete, und Schultern und Nacken enthüllte, während der Rock in feinen Falten sich bis zu den Füßen senkte. Dazu gehörten noch die weiten lang niederhängenden Oberärmel, welche, aufgeschnitten, den zierlichen Unterärmel zeigten, der eng anliegend, die Form des Armes umschloß.

Der einzige Schmuck dieser einfachen Kleidung bestand in dem uns bekannten Kreuze, welches an der Perlenschnur von ihrem Halse hinab bis auf die Spitze des Mieders hing, und dessen Werth die Besitzerin wenig kannte, obwohl vielleicht kaum ein ähnliches Geschmeide sich in dem Besitz der reichen Edelfrauen des Landes befinden mochte. Das Haar trug sie nach französischer Sitte über die Stirn gescheitelt und von den Schläfen an in vollen Locken bis zu den Schultern hinabwallend. Das dunkle und glänzende Braun dieses Haares hob die Lilienweiße ihrer Haut, welche nur einen leichten Anhauch[165] von Röthe auf den lieblich geformten Wangen zuließ und dem Lichte auf diesem Antlitze fast etwas Strahlendes gab. Es lag außerdem in jeder Bewegung und in ihrer ganzen hohen und feinen Gestalt etwas Ungewöhnliches, so daß sie die Aufmerksamkeit fesseln mußte. Sie schien jetzt ganz mit Lucie beschäftigt, und in ihren Scherz eingehend, hatte sie den schönen Kopf halb zurückgebogen, um mit ihrem kleinen lieblichen Pagen zu kosen. Auf dem dunkeln Grunde des Schleiers ruhte die feine Linie von Stirn und Nase, und zeigte das gesenkte Auge mit seinen langen schwarzen Wimpern nur in der hohen und schönen Wölbung, zu einer Vollendung der Form erhoben, welche auch ohne die Entschleierung des vollen Blickes eine Verheißung unendlichen Liebreizes war. So hatten sie sich dem Eingange spielend genaht, da erwachte Graf Archimbald aus seinem Anschaun.

Wer ist das? rief er lebhaft, unfähig, sein Auge von dem Eingange zu wenden. Meint Ihr die Gräfin Melville? sagte die Herzogin mit einer solchen Kälte und Gleichgültigkeit, daß der Graf wegen des Kontrastes mit ihrer eben geäußerten Theilnahme ganz erstaunt zu ihr sah, – und die beiden sich so wohl Kennenden bedurften hier nur eines flüchtigen Blickes, um sich gegen einander verrathen zu sehen.

Aber es war nicht Zeit zu näheren Erörterungen, denn so eben trat die Gräfin unter den Bogen des Eingangs. Sie wendete ihr Gesicht zu den Anwesenden und suchte mit ausgebreiteten Armen den Schleier aus Luciens Händen zu ziehen. Dadurch wölbte sich der schwarze Flor zu einer Nische um sie her, und als sie langsam und mit steigender Röthe die großen dunkeln Augen aufschlug und einen Augenblick stillstehend ihre nächsten Schritte zu bedenken schien, glich sie eher den idealischen Träumen eines Raphael, als einem menschlichen lebenden Wesen. Die Herzogin hörte hinter ihrem Stuhle von ihrem Sohne, der leise hereingetreten war, einen Ausruf der Bewunderung, ohne[166] dadurch überrascht zu sein; ward doch auch sie von dem Wesen beherrscht, welches dazu bestimmt schien, durch dieselben Reize, durch die sie die trübsten Gedanken der Herzogin erweckte, sie auch zu bewältigen und zu versöhnen.

Die Sprache der Bewunderung oder des Beifalls, den wir einflößen, ist, wenn auch nur in Blick und Mienen ausgedrückt, eine so leicht sich mittheilende Sprache, daß sie sich auch denen verständlich macht, die mit der ersten jugendlichen und so glücklichen Unbefangenheit sie nicht durch ihre Vorzüge herbeigeführt wähnen, aber dennoch von dem Wohlwollen sich gehoben und erfreut fühlen, das ihnen entgegentritt. Es ist dies einer der schönen Genüsse jenes Alters, wo wir weder Auszeichnung erwarten, noch verlangen, und was uns davon gewährt wird, mit großmüthigem Enthusiasmus dem Ideale zurechnen, welches wir uns von den brüderlichen Liebesbanden der menschlichen Gesellschaft entwarfen, – glückliche Träume! welche uns noch frei und lebendig in unserer eigenen Gestalt mit fröhlichem Vertrauen hervortreten lassen, während wir später oft nur den Wunsch behalten, durch gänzliche Unbemerktheit so wohl dem Lobe, als der Verfolgung zu entgehen.

Die Gräfin Melville fühlte in dem Kreise, in den sie trat, und aus den auf sie gerichteten Augen etwas ihr entgegen dringen, das ihre Seele mit Vertrauen und der unschuldigen Heiterkeit erfüllte, deren Ursache wir eben erwähnten. Er belebte ihre Züge und zog den feinen Anfang eines süßen Lächelns um ihren Mund, während sie leicht vorglitt und die kindliche Bewegung machte, der jüngern Herzogin die vorgestreckte Hand zu küssen, welches diese jedoch lebhaft verweigerte. Haben wir Euch wieder? sagte sie dabei sehr freundlich, ich sehe, Lucie hat das Sicherste erwählt, sie hielt Euch fest und that Pagendienste, daß Ihr uns nicht wieder entfliehen konntet.[167]

Weigerte sie sich denn, zu uns zurück zu kehren? sagte die alte Herzogin und küßte das liebliche Mädchen auf die Stirn, während sie einen Augenblick vor ihr auf den Fußschemel sich neigte; dann soll sie zur Strafe neben uns sitzen und mir Seide zupfen helfen.

Ich möchte gefehlt haben, um dieser Strafe nicht zu entgehen, sagte heiter und mit holdem Lächeln die Gräfin, machte mich der Fehler nicht der lieben Strafe unwerth. Doch lieber sag' ich, daß Arabella und Lucie meiner Sehnsucht zu Hülfe kamen; es war mir so bang und traurig dort oben allein, und mich verlangte die Freude zu sehen, die ich hier nun verbreitet wußte. – Hier streifte ihr helles Auge den jungen Herzog, der immer noch unbeweglich hinter seiner Mutter stand und den Blick vergeblich von einem Gegenstande zu wenden suchte, der seine jugendliche Phantasie mit allen ihren Träumen überflügelte. Von dem Ausdrucke betroffen, womit der Herzog sie anblickte, wandte sie ihre Augen schnell, um sie einen Augenblick auf dem Grafen Archimbald ruhen zu lassen.

Erlaubt, Lady Melville, daß ich Euch meinen Sohn, den Herzog von Nottingham, vorstelle, sagte jetzt die jüngere Herzogin, er freut sich, den Schutz zu bestätigen, den ich so glücklich war Euch zu gewähren. Mylord, sagte die Gräfin, als der Herzog zu antworten zögerte, und neigte sanft ihr schönes Haupt, ich bitte Gott, daß er Euch segnen wolle in diesem ehrwürdigen Hause, und danke Euch, daß Ihr mir den Schutz nicht entziehen möget, den Eure erhabene Mutter mir so großmüthig gewährte.

Die Gräfin Melville, hob jetzt der junge Herzog mit einer von Gefühl überfüllten Stimme an, ist nicht in dem Falle, um Schutz bitten zu müssen; wo sie sich zeigt, wird sie über das zu gebieten haben, was Jeder zu leisten vermag. Ihre Gegenwart ist eine Gunst des Schicksals, die zu verlängern der einzige[168] Wunsch bleiben möchte. – Er hatte sich ihr bei diesen Worten mit einer Ehrerbietung genähert, die auf seinem glühenden Gesicht einen Ausdruck hervorrief, der seine Worte noch verbindlicher machte. Seine Mutter fühlte sich unwillkürlich geneigt, ihn zu unterbrechen, und eilte, ihr den Grafen von Glanford, ihren Schwager vorzustellen. Beide Herren schienen, obwohl in sehr verschiedenem Verhältniß, doch jeder in seiner Art, der Schönheit ihren Tribut zahlen zu müssen. Graf Archimbald wußte nämlich für den ersten Augenblick sich nicht mit seiner gewöhnlichen Politur in einigen Worten auszudrücken, sondern schien, zerstreut und abgezogen, und doch ganz mit der Gräfin beschäftigt, kaum einige Ausdrücke der Höflichkeit finden zu können. Nicht so die Gräfin, welche von einem angenehmen Erstaunen ergriffen, sogleich ausrief:

Graf Archimbald Glanford, Ihr seid der berühmte Graf Glanford, der Freund des Prinzen Heinrich von Wales! Wie glücklich macht es mich, Euch kennen zu lernen! O Mylord, wie oft hörte ich von Euch erzählen, wie wurdet Ihr geliebt von meinem Oheim, meiner theuern Tante! Wie lange verehrte ich Euch schon vor diesem Augenblicke! – Sie hatte mit einer Lebhaftigkeit gesprochen, von welcher sie jetzt selbst überrascht schien, und die Furcht, zu dreist hervorgetreten zu sein, übergoß ihr Gesicht mit Purpur und senkte ihr Auge mit wachsender Verlegenheit zur Erde. Doch der Graf war durch diese verständlichen Zeichen und die schmeichelhafte Beziehung, die darin für ihn lag, angenehm zu sich selber gekommen und eilte mit seiner ganzen Gewandtheit, ihr zu Hülfe zu kommen.

Er führte sie, höchst verbindliche Dinge sprechend, zu ihrem Sessel, und die Art von Vergnügen, welches er über ihre Mittheilung auszudrücken versuchte, beruhigte leicht das erschrockene Fräulein, welche nun die Augen mit Vertrauen und mit der holden Klugheit einer jugendlichen Beobachtung auf sein unschönes[169] Antlitz wandte, und vielleicht nicht ganz ohne Erstaunen die sehr gewöhnliche Bildung des berühmten Mannes erkannte. Doch war, was wir mit dem Worte gute Erziehung bezeichnen, bei ihr Bildung des Herzens und des Verstandes geworden. Sie unterdrückte daher nicht allein das wenig befriedigende Resultat ihrer Beobachtung, sondern ihr edles Gefühl milderte selbst gleich im Entstehen eine Regung der Art, weil sie die unsichtbare Schönheit der Seele verehren und die zufällige Hülle vergessen gelernt hatte. Auch bestürmten zugleich ihre Brust die vereinten Gefühle, welche ihr der Anblick eines von den Ihrigen gekannten und geachteten Mannes erregte, und die trostlose Trennung von all diesen Lieben, und das Gefühl der Güte, des Schutzes, des Werthes ihrer neuen Umgebungen, machte sie vielleicht nur desto weicher.

Es giebt ein unendliches Weh des Herzens, das sich von einem großen und bestimmten Kummer dadurch unterscheidet, daß es zusammengesetzt ist aus einer Mischung von Leid und Freude, die das klagende Wort vergeblich auszudrücken strebt, deren Süßigkeit wir mit dem Thau unserer Thränen netzen, die Gott uns eben für dieses halbverstandene Gefühl des Herzens verliehen zu haben scheint.

So fühlte sich die junge Gräfin, aus so großem Elend errettet, unter die edelsten Menschen versetzt, ihres Wohlwollens gewiß. Welch ein Glück! Welch' eine dankbare Verpflichtung gegen Gottes Güte! Und doch getrennt von Allem, was ihr Herz bis jetzt Glück genannt hatte, von einer Unsicherheit, einer Einsamkeit ihrer Lage überfallen, von der die Ahnung früher sie nicht hatte berühren können – welch' eine Fülle von Schmerz zugleich!

Unser Geist besitzt oft eine wunderbare Schnelligkeit, uns Alles im selbigen Momente vorzuführen, was unser Leben ferner oder näher bewegte. Ueber die Saiten in unserer Brust streift[170] die Gedankenflut daher, sie alle berührend, des erregten Chaos spottend, welches dann in ihrer Tiefe aufgährt. Wie von körperlichem Schmerze, so dehnte sich das junge Herz in dieser bangen Qual, als der Graf von Glanford, nach den Thrigen liebreich forschend, sie um die Namen seiner unbekannten Freunde fragte. Sie hob das Auge, welches redender, als ihr im Schmerz geschlossener Mund, zu ihm sich wandte, doch bald in große Tropfen sich verhüllte, die bebend auf ihre heiße Wange sich entluden und stets von Neuem aus der Fülle des gepreßten Herzens sich ersetzten. Es war etwas Unaussprechliches in der Theilnahme, womit man dies bezaubernde Antlitz bis zum Schmerze getrübt sah, um so mehr, da man es einen Augenblick früher in seiner ursprünglichen freien Schönheit und Klarheit geschaut hatte. Graf Glanford war dazu bestimmt, zum zweiten Male verlegen zu werden; denn er sah sich als die unschuldige Ursache ihrer aufgeregten Wehmuth an, und war doch wenig darauf eingerichtet, in diesen zarten Keimen des Gefühls sich zurecht zu finden, und doch zugleich wie dazu aufgefordert, sich hier vermittelnd zu erweisen.

Gewiß wären ihm die Damen, die ihre Theilnahme nicht länger zurück halten wollten, zu Hülfe gekommen, hätte nicht der klare und starke Verstand des liebenswürdigen Mädchens sich selbst die Hülfe verschafft, die ihrem überwallenden Gefühle das Maaß zu geben geneigt war.

Zürnet mir nicht, Mylord, sagte sie und brach mit Gewalt die schönen Lippen zum bittenden Lächeln, während sie die heißen Tropfen in ihren Augen erdrückte, ich bin fremd und neu in der Fülle der Traurigkeit, in die mich Gottes Wille geführt hat; aber meine theuern Erzieher sollen nicht vergeblich in Sorge und Liebe sich um mich bemüht haben, ich will stark werden auch im Unglück. Vergebt mir, ich ward jetzt überwältigt, weil meine Gedanken an Allen hinglitten, die ich geliebt und verloren habe.[171] Aber, fuhr sie völlig gesammelt und mit einem rührenden Eifer fort, ich war undankbar, so viel Schmerz zu empfinden, wo ich auf's Neue nur Ursache zu danken hatte, da ich in Euch, Mylord, eine hochverehrte und von den Meinigen gekannte Person fand. Ihr werdet den Grafen von Marr, meinen theuern Oheim, kennen, Ihr werdet ihn zu mir führen; Ihr sahet ihn vielleicht jetzt, denn Ihr kommt ja aus London, Ihr mußtet ihn sehen, denn er lebt im Gefolge des Königs.

Sie hatte diese Worte mit Hast gesprochen, während ihre Augen immer mehr vom Glanze der steigenden Hoffnung sich belebten, und jetzt zur Gewißheit einer schnellen Nachricht von dem theuern Oheime gelangt, hing ihr Blick mit freudiger Erwartung am Munde des Grafen. Aber es stand nicht in seiner Macht, diese ersehnte Auskunft zu geben, ja, er verbarg nur mit Mühe sein Erstaunen über einen Namen, den er allerdings unter dem schottischen Adel als angesehen kannte, den er aber am Hofe des Königs nie unter denen hatte nennen hören, die ihn dort umgaben; viel weniger noch war eine solche Person ihm selbst bekannt.

Mein Aufenthalt in London, Mylady, sagte der Graf mit aller Schonung, welche das ungeduldige Verlangen der Fragenden ihm auferlegte, war in dieser Zeit nur kurz und wenig um die Person unsers gnädigen Königs. Seine Gesundheit beschränkte ihn auf das fast nur augenblickliche Erscheinen bei höchst nöthigen Feierlichkeiten; er blieb sonst auf seine innern Gemächer und seine gewohntesten Umgebungen beschränkt, und da ich – wie meine Schwägerin vielleicht schon die Güte hatte Euch zu erwähnen – früher meinen Aufenthalt in Deutschland nahm, so konnte leicht mir unbekannt bleiben, daß der Graf von Marr sich am Hofe befindet. Ich kann Euch also leider für diesen Augenblick keine erwünschte Auskunft geben.

Aber, fiel hier der junge Herzog mit Ungeduld und dem Verlangen, zu dienen, ein, Euer Wunsch soll auf das Schnellste[172] in Erfüllung gehen. Ich eile meinem Bruder Richmond Eure Befehle zu übergeben, er lebt durch meinen Großoheim in unmittelbarer Berührung mit der Person des Königs, er wird so glücklich sein, Euern Oheim aufzusuchen, und ihn von dem Aufenthalt benachrichtigen, den Ihr hier anzunehmen uns würdigt. Habt die Gnade, unterrichtet mich, ob Ihr noch weitere Mittheilungen zu machen habt, bestimmt, wann ich den Boten absenden soll.

Sehr verschieden war der Eindruck, den diese ganze Scene bis auf die letzten Worte des Herzogs, auf die Anwesenden hervorbrachte.

Die junge Gräfin wandte sich von der untergehenden Hoffnung in dem Grafen, der neu erweckten in des Herzogs thätigen Verheißungen zu, und wer hätte auch nicht aus dem aufrichtigen, zuverlässigen Ausdruck dieses Gesichts Hoffnung schöpfen wollen! Die Gräfin selbst, so hingebend und empfänglich gebildet, fühlte sogleich ein fröhliches Vertrauen zu ihm aufleben, und ihr schönes Auge dankte ihm, noch ehe die holden Lippen es vermochten:

Ihr seid so großmüthig, so mitleidig mit meiner kindischen Unschuld! Er wird ja ebenso, wie ich, sich bestreben, mich zu suchen. Ich könnte es erwarten, aber viel freudiger wird mir doch sein, wollt Ihr gütig thun, wie Ihr so eben sagtet; dann wird sich leichter und schneller dies ersehnte Wiederfinden treffen, und ich werde Euch viel danken, ach, unendlich viel, setzte sie innig hinzu, unendlich viel, wie diesem ganzen Hause! –

Dessenohngeachtet, sagte die jüngere Herzogin, möchte ich bitten, die Sendung, die Du zu machen denkst, noch so lange aufzuhalten, bis daß ich die mir mitgetheilte höchst anziehende Geschichte unserer jungen Freundin dem Grafen Archimbald, ihrer Erlaubniß gemäß, mitgetheilt haben werde; denn es wird dann, denke ich, die Art, wie die Nachfragen nach[173] den Verwandten der Gräfin einzuleiten sind, besser sich bestimmen lassen.

Mit diesem Ausspruch schien Niemand zufriedener, als Graf Archimbald, welcher lebhaft darein einstimmte. Unverkennbar war dagegen ein leichter Anflug von Erstaunen in den Zügen der jungen Gräfin, welches zu sagen schien, was es noch einer besondern Art der Nachfrage bedürfe, wo der Weg so einfach vor Augen liege; und der junge Herzog, dem dies in der gespannten Aufmerksamkeit, mit der er sie betrachtete, nicht entging, fühlte sich eben nicht dadurch zu einer unbedingten Beistimmung veranlaßt.

Wenn die Gräfin Melville gern und ohne Zwang in diese Zögerung willigt, sagte er ernst, aber ehrerbietig gegen die Herzogin geneigt, wird Euer Wille, wie immer, mir Befehl sein; doch bitte ich Euch, thut Euerm Herzen nicht Zwang an, sagt ein Wort, und ich eile in dieser Stunde noch, Boten nach London abzusenden.

Nein, Nein! Mylord, seid nicht so rasch, rief hier die Gräfin, denn ihr kluges Auge hatte schnell den stolzen Blick der Herzogin aufgefaßt, der der kleinste Widerstand zur Kränkung ward. Nie möchte ich gegen den Willen Eurer verehrten Mutter handeln wollen. Wie kann ich übersehn, was sie in ihrer weisen Güte als Recht erkennt? Nein, Mylady, bestimmt es selbst, wann dieser Schritt geschehen soll, ich will nicht mit kindischer Ungeduld Euch lästig werden, und Euch vertrauen, lieber und ruhiger, als mir selbst.

Diese Worte, so wahr und rein aus dem Innern kommend, gingen wie ein Engelgruß von Herz zu Herzen. Der ernste Anflug, den die Erwähnung so wichtiger Umstände hervorgerufen, schien von ihr, die ihn veranlaßt hatte, ebenso wieder gebannt zu werden. Die alte Herzogin half stets eine freie und ruhige Stimmung begünstigen, die jüngere Herzogin war versöhnt und[174] suchte ihre innere Unruhe zu bekämpfen. Graf Archimbald mischte sich um so schneller in das Spiel leichter Worte und Scherze, als er alle Gefühlsscenen gern vermied, und die bescheiden zurückgezogenen Töchter und Damen des Hauses fühlten sich zur willkommenen Theilnahme angeregt; nur der junge Herzog war verändert, und seine ganze Fähigkeit schien in ein tiefes Anschauen der Gräfin Melville aufgelöst. Aber auch er widerstand dem Zauber nicht, den sie über Alle übte. Sein Interesse weiblich zart errathend, sah sie darin nur eine willkommene Veranlassung, gütig den zu behandeln, der sich ihr theilnehmend gezeigt. Unschuldig begegnete sie seinem Blicke, fragte das Wort so oft ihm ab, daß er, selbst endlich redend, heiter zum seligsten Gefühle seines erhöhten Selbstes kam, und nun in einer Belebung der Gedanken und Gefühle dahin wogte, daß er wieder Allen, die ihn kannten, verändert erschien, nur der jungen Gräfin nicht, die ihn recht lieb haben mußte und sich recht froh gestand, wie gut doch Alle waren, die dies Haus umschloß.


Die Gesellschaft nahm am andern Morgen in der schönen mittleren Halle, von der Lieblichkeit des Tages angelächelt, das Frühstück ein, das in ungezwungeneren Formen, als die Mittagstafel, den Damen kleine Geschäfte, den Herren Gelegenheit zu tausend höflichen Dienstleistungen verschaffte, die nicht durch Vorschneider und Mundschenk besorgt werden durften, wie es die Etikette der Tafel verlangte. Man saß, weil man wollte, man schlüpfte von einem zum Andern, es war erlaubt, und die ungezwungene Laune waltete mit der leichtern Form lieblich über Allen.

Die in der Haus-Livree, nicht in Gala, die erst zu Mittag eintritt, versammelten Diener sind um diese Zeit, von den[175] Stühlen entfernt, zu der Bedienung des Schenktisches versammelt, oder paradiren in stummer Aufmerksamkeit, bis ein Pfeifchen, ein Wink, ein Ruf von der Tafel herschallt, der ihre Hülfe begehrt. Jeder kennt den ihm eigen zugehörigen Dienst, und kein unruhiges Sausen der sich überrennenden Diener stört die freie Bewegung der Herrschaften und ihre heiter waltende Laune. Die Dienste, welche diese sich leisten und dadurch in das Amt der Diener eingreifen, werden auch für diese Klasse der Anwesenden eine unendliche Quelle scherzhafter und launiger Bemerkungen und Beobachtungen. Was beim Frühstück geschah, wird für sie oft die Veranlassung fröhlicher Gespräche für den übrigen Theil des Tages, wo die Schloßbedienten endlich am Kaminfeuer mit der geringeren Dienerschaft im Kleinen die vornehmen Manieren und herablassenden Scherze nachahmen, die sie am Morgen ausspenden sahen.

Seit lange schien kein Tag fröhlicher zu beginnen, als dieser. Die jungen Damen fühlten ihre Laune belebt durch die gewandte Heiterkeit des jungen Herzogs. Graf Archimbald verstärkte durch einzelne eingestreute Worte die harmlosen Witzfunken der jungen Leute. Die alte Herzogin saß mit ihrem feinen Angesichte, wie die Quelle unschuldiger Heiterkeit, oben an. Sie erzählte kleine Züge von alten, längst vergessenen Sitten, ja, sie sang sogar mit einem feinen Silberhauche der Stimme den Vers einer Ballade, den sie oft ihrer Mutter, der Gräfin Burleigh, von der armen Spinnerin Josseline singen mußte, welche für ihren Fleiß dadurch belohnt ward, daß ihre eignen schönen blonden Locken sich in Goldfäden verwandelten, die sie täglich unverringert spinnen durfte und so die Gemahlin eines Fürsten ward. Nicht ohne Wahrscheinlichkeit, sagte sie lachend, daß sie nicht gar unsere Stamm-Mutter ist; denn mütterlicherseits war es ein angesehenes altes Geschlecht, dem mein Vater seine Tugenden zugesellte. Wer hätte bei dieser Erzählung[176] nicht unwillkürlich auf Lucie geblickt, deren goldlockiges Köpfchen aus dem Arme der Großmutter über die Tafel sah und an die Ahnfrau denken ließ, die so liebliches Lockengespinnst auf diesen reizenden Nachkömmling verpflanzt zu haben schien. Doch Luciens Seele hing mit Begierde an der Erzählung von Josseline. Sie wußte nicht, daß sie blonde Locken habe, und kannte das Dasein derselben nur aus den Bemühungen der Miß Dedington, wenn diese sie glänzend zu kämmen und mit Schleifen zu durchschlingen pflegte, auf Unkosten der ganzen Geduld der dadurch sehr sich gequält fühlenden Kleinen. Du siehst, Lucie, sagte ihre Mutter, zu ihr hinüber lächelnd, wie Fleiß und Tugend immer belohnt werden, Du sollst mir künftig den Vers von Josseline singen, wenn Miß Dedington Dir ein gutes Zeugniß giebt, und kann ich Deine Locken auch nicht in Gold verwandeln, zum Lohne finde ich doch wohl Manches, was statt des kostbaren Gespinnstes Dir Freude macht. Das entzückte Lächeln Luciens verschwand, als sie die von geheimer Schuld gelenkten Blicke auf Miß Dedington wandte, welche, zwar nicht ungütig, aber doch Lucien bemerklich, schnell mit dem Finger drohte und dann fortfuhr, ihr Frühstück zu halten.

Ein breiter kindischer Seufzer machte sich aus Luciens kleinem Herzen Luft, und sie sagte ganz ernst und nachdenklich:

Das ist Alles lang her; müssen wir denn immer immerfort fleißig sein, ist denn nicht Einer, der doch den lieben Gott lieb haben kann und nicht immer zu arbeiten braucht? – Graf Archimbald hatte schon einige ketzerische Worte in Bereitschaft, unendlich ergötzt durch die unbewußte Ironie, womit Lucie sich gegen den harten Preis ihrer Gottesliebe auflehnte, aber der lächelnde Mund wendete sich ab, als die alte Herzogin mit liebender Hast ihr sanftes Nein sprach und einige Worte hinzufügte, die das holde Kind wieder aufblicken ließen. Besonders half dazu das Versprechen, ihr die Ballade von Josseline zu lehren,[177] damit sie im zu hoffenden Falle doch die Mutter an ihr Versprechen erinnern könne. Und dann, rief Lucie, wenn ich zuerst Josseline singe, was schenkst Du mir dann? Nun? sagte die Mutter wieder fragend, was möchte wohl Luciens Herz erfreuen? Lucie hielt die kleinen Hände jauchzend vor den Mund und blickte schelmisch zu ihrer Mutter herüber, dann rief sie überlaut, die Händchen hoch ausstreckend: Ein Pferd, Mama! ein schönes kleines Pferd! Ein Pferd? rief es von allen Seiten, und lautes Lachen tönte den Worten nach, und Lucie flog im frohen Jubel um die Tafel, ihren Wunsch unablässig wiederholend, den sie von Allen mit Scherz und Lachen aufgenommen sah. Hat man je gesehen, daß ein solches Kind ein Pferd besteigt, rief der junge Herzog und fing Lucie in seine Arme auf, mit zärtlicher Liebe sie an sein Herz drückend. Du wildes Kind, so erwarb Josseline ihre goldenen Locken nicht.

O scheltet sie nicht, Mylord, sagte Lady Melville und zog Lucie, strahlend von eigener jugendlicher Heiterkeit, zu sich heran; ich, Lucie, bin ganz Deiner Meinung. Nichts Schöneres giebt es, als ein muthiges, leichtes Pferd, welches uns mit seinem raschen Fluge dahin trägt, als ob Schwingen uns entführten, dessen klugem Blicke wir vertrauen können, das unsere Liebe versteht, und den feurigen Willen mit Treue und Güte dem leichten Zucken unsers Fingers fügt; ein schönes, herrliches Geschöpf Gottes!

Zu Pferde! Zu Pferde! rief der junge Herzog und sprang mit lauter Freude von seinem Sessel, entzückt von der Lobrede, welche von so schönem Munde seinem Lieblingsvergnügen gehalten ward. Alles erhob sich. Die schöne reine Morgenluft, der sonnige Himmel, die grünende Erde im zartesten Schmucke des Frühlings, Alles schien die Stunde zu einem fröhlichen Ritt zu begünstigen. Die ältern Damen gewährten freundlich den jüngern dies Vergnügen, an dem sie nicht mehr Theil nahmen;[178] ein Wort der Herzogin hielt Graf Archimbald gleichfalls zurück, und so wurde dem jungen Herzoge die Anordnung übergeben, welcher sogleich mit Ramsey fortstürmte, selbst die Befehle dem Stallmeister zu ertheilen und das schönste Pferd für die zu wählen, die so feurig seine Tugenden zu erkennen wußte.

Die jungen Damen entfernten sich mit Mistreß Corby, um sich zu diesem Vergnügen zu rüsten. Lucie bekam von Miß Dedington das Versprechen, die Damen von dem Altan der Großmutter in das Thal reiten zu sehen. Dahin begaben sich auch die drei älteren Personen, da die jüngere Herzogin um Erlaubniß gebeten hatte, ihrer Schwiegermutter und ihrem Schwager die Geschichte der Gräfin Melville mittheilen zu dürfen.

Kaum hatte man den Altan erreicht, als die fröhliche Cavalcade um die Wälle des Kastells herum kam und sich in der freiesten Bewegung in dem lieblichen Thale ausbreitete, welches mit seinem grünen Wiesengrunde den leichten Hufschlag der Pferde elastisch wieder zu geben schien.

Arabella war eine geschickte Reiterin, sie saß mit Ruhe und Festigkeit im Sattel, und wußte ihr schönes, frommes Pferd mit leichter Hand in jede ihr gefällige Richtung zu lenken. Sie sah schön aus, wenn ihr blühendes Antlitz unter den dunkeln Locken vorblickte und die jugendliche Gestalt sich leicht im Sattel trug. Auch liebte sie voraus zu reiten, und ihr Stallmeister, der, stolz auf seine Schülerin, ihr gern zur Seite blieb, durfte ihr Künste vormachen, die sie geschickt nachzumachen wußte. Man gewahrte sie auch jetzt beide zuerst um den Vorsprung der Mauer biegen; sie machte mit ihrem Pferde die Ehrenbezeugungen nach dem Altan hinauf und flog dann wie ein abgeschossener Pfeil in den Thalgrund.

Der Herzog hatte der Gräfin Melville die Wahl gelassen zwischen drei gleich schönen Pferden. Aber wie hätte sie, die Kennerin, unter ihnen das weißgeborne zarte Rößlein mit dem[179] hohen schlanken Halse und den feinen Beinchen sehen können, und nicht mit Entzücken seinen Zügel ergreifen sollen. Es schnaubte sie an und warf den Hals königlich zurück, und die rosenrothen Nüstern und das volle, schäumende Gebiß, die zuckenden röthlichen Oehrchen und die hellen braunen Augen, womit es klug und treu die Gräfin anblickte, waren für die Bewunderin dieser herrlichen Thiere eben so viele Reize, an denen sie sich erfreute. Als die eben so gerötheten Hufe wie auf glühendem Boden sich spielend ablösten, nirgends mehr Ruhe habend, strich sie mit den zarten Händen die feinen, aus den Flechten gekämmten Mähnen zurück, und ehe der Herzog hinzueilen konnte, den Steigbügel zu halten, flog sie leicht, ohne Sprung oder heftige Bewegung, als ob eine Feder den Boden unter ihrem Fuße leicht gehoben, in den Sattel, hatte eben so den Zügel besonnen gefaßt und belohnte mit einem Ausruf der Freude den Bogensprung des lebhaften Thieres.

Die sind einander werth, sagte der alte Stallmeister des Herzogs, ihr wohlgefällig nachsehend, indem er ihm sein Lieblingspferd zuführte, jedes in seiner Art ein Meisterstück! Meinst Du? lächelte entzückt der junge Herzog, und schon flog er dem leichtfüßigen Schimmel nach, welcher, der geschickten Hand sich bewußt, ein Muster war an Muth und leichter Bewegung, an Gehorsam und Beobachtung des leisesten Winkes. Als sie nun beide schnell hinter einander um den Vorsprung bogen, empfing sie Luciens Freudengeschrei, die an ihrer geliebten Lady Maria mit ganzer Seele hing. Die Gräfin hielt sogleich den stürmenden Galopp ihres Pferdes an und ließ es zierlichen Schrittes unter dem Altan dahin tanzen, indeß sie das schöne Antlitz, von unschuldiger Freude belebt, empor hob und ihnen ihre Grüße zurief.

Dann eilten sie fröhlich, Arabella einzuholen, die ihnen jedoch umkehrend entgegen flog, und so bildete sich der kleine[180] Zug, an den sich Master Corby, Stanloff, der Stallmeister des Herzogs und einige Diener anschlossen. Die Zurückgebliebenen konnten sich von dem reizenden Anblick nicht trennen. Der Morgenwind hob die wallenden Federn auf den Barets, in der reinen Luft zeigten sich die Umrisse der feinen Gestalten; Anmuth und Heiterkeit schien über Alle verbreitet, und der etwas schwere Nachtrab verdarb diesen Eindruck nicht, den die drei Voreilenden erregten.

Man schien ohne Verabredung auf dem Altan bleiben zu wollen, bis die Hügelreihe von Cheffield die Reitenden dem Nachblicke entziehen würde, als die Herzogin einen kurzen Schrei ausstieß, unwillkürlich eine heftige Bewegung gegen die Brüstung des Altans machte und dann schnell versuchte, Gaston zurück zu rufen, der die ferne Stallhütte bei dem Geräusch der Abreitenden gesprengt hatte und jetzt zum Nachsetzen mit wilder Hast sich auslegte, fast mit seinem Leibe den Boden berührend. Der Ruf der Herzogin ging zwar nicht ganz verloren, und Luciens kleine Stimme unterstützte ihn mächtig, doch Gaston stutzte wohl einen Augenblick, sah nach dem Altan hinauf und äußerte seine Freude durch einige ungeschickte Sprünge; als er aber einsah, er solle bleiben, stieß er eine Art Jammergeschrei aus, blickte hinauf, als bäte er um Gnade, und stürzte im selben Augenblick mit verdoppelter Schnelligkeit den Reitenden nach. Die Herzogin hielt den Athem an und die Augen auf die Scene vor ihr gewendet, denn nur zu bald hatte er den Hintertrab durchbrochen, und im selben Augenblick sprang er an dem Pferde der Gräfin Melville hoch in die Höhe, sie selbst, wie es schien, umarmen wollend. Doch das Pferd der Gräfin, nicht wenig erschreckt, machte einen Satz vorwärts in die Luft, so daß es der ganzen Geistesgegenwart der Gräfin bedurfte, um nicht aus dem Sattel zu fliegen. Der zweite Schrei, den hier die Herzogin vernehmen ließ, motivirte schnell den ersten. Das wilde Thier! rief sie,[181] ich fürchtete gleich Unglück von seinem Ungestüm. Gaston fuhr indessen, nachdem er seinen Herrn und Arabella gleichfalls begrüßt hatte, immer fort, der Gräfin alle möglichen Liebkosungen zu machen, und Graf Archimbald bemerkte in einigen Worten gegen seine Schwägerin diese auffallende Freude an einer Fremden. Die Herzogin mußte nun antworten, und vielleicht fühlte sie, daß die ängstlichen Zweifel der Gräfin über diesen Gegenstand nicht ohne Grund waren; denn sie selbst konnte nur mit der höchsten Ueberwindung und abgewendetem Gesicht sich zum Antworten entschließen.

Gaston, Mylord, sagte sie gedrängt, war es, der die Gräfin auf der Terrasse entdeckte, und seitdem durch sein mitleidiges Herz und die dankbaren Liebkosungen der Gräfin sich außerordentlich an sie attachirt hat. – Ja, Oheim! rief Lucie, davon will ich Dir erzählen, wie Gaston, mein lieber, guter Gaston, nicht von ihr ging, bis sie erwachte, und dann. – Laß das jetzt, Lucie, sagte die Herzogin freundlich, aber unabweisbar, nicht umsonst sind die Brodkrümchen wohl in Dein Schürzchen gepflückt; füttere jetzt Deine kleinen Schützlinge, sie harren schon dort und haben mit ihren klugen Aeuglein längst gesehen, daß ihre kleine Lucie ihnen wieder Futter bringt. Lucie ging sogleich in diese erfreuliche Gedankenreihe ein, jauchzend hüpfte sie an den Rand, wo die nun schon belaubtere Birke das liebe Nestchen beschützte, streute ihr Bröckchen und ging dann, von Miß Dedington sanft erinnert, wie ein sehr artiges Kind, unter höflichen Grüßen von dannen. Man nahm an den geöffneten Thüren Platz, und die Herzogin erzählte nunmehr ihrer Schwiegermutter und ihrem Schwager die Geschichte der Gräfin Melville, wie sie uns bereits bekannt ist.

Die Pause, die nach Beendigung derselben eintrat, und worin der Graf eine Bemerkung seiner Mutter zu erwarten schien, ward endlich von ihm selbst unterbrochen. Es schien ihm nicht[182] ganz leicht, das rechte Wort zu finden, denn auf den eingefallenen Wangen und erschöpften Zügen seiner Schwägerin, welche sich auffallend schnell während ihrer Erzählung gebildet hatten, lag für den feinen Beobachter ein Commentar zu der Mittheilung, die sie mit der strengsten Wahrheit wieder zu geben bemüht gewesen war, den er aber noch nicht zu enträthseln vermochte. Man spricht indeß häufig am ehesten das aus, was sich eben unsern Gedanken mittheilt, wenn es uns zweifelhaft bleibt, wodurch wir die Anwesenden schonen oder beschwichtigen können, und es scheint, der Graf befand sich in demselben Falle.

Ich glaube, sagte er mit der höflichen Miene, wo durch er stets seine Anreden eröffnete, uns allen kann es nicht entgehen, daß die junge Dame über ihre wahre Lage entweder selbst getäuscht worden ist oder, was ich ungern hinzufüge, uns zu täuschen versucht hat. Was sie von Namen und Ort mitgetheilt hat, fürchte ich, wird sich eben so wenig bestätigen, als ihre Unbekanntschaft mit denen, die sie nicht zu nennen weiß, sich einigermaßen wahrscheinlich zeigt. Ich glaube, daß es dem Scharfblick der Damen nicht entgangen ist, daß ich mit einer Antwort über den Grafen von Marr nur Zeit gewinnen wollte, denn allerdings hätte ich ihr sogleich bestimmt sagen können, daß Keiner dieses Namens am Hofe und in der Nähe des Königs lebt. Die Familie wird Ihnen, wie mir selbst, sehr wohl bekannt sein; sie spielte keine unbedeutende, wenn auch eine etwas zweideutige Rolle in den Unruhen Schottlands unter der Regierung ihrer unglücklichen Königin Maria. Ich habe einen Grafen von Marr gekannt, aber er war ein Greis, als ich in der ersten Jugend mit meinem Vater, auf Befehl der Königin, nach Schottland ging, wo er an Jakobs Hofe, gebeugt und kaum noch lebend, sich zuweilen zeigte. Doch nachdem die traurige Botschaft des Todes der Königin Maria, welche mein verehrter Vater so ungern überbrachte, von ihm gehört ward, zog er sich[183] auf sein Stammschloß nahe bei Edinburg zurück, und man sah seinem Tode alsbald gewiß entgegen. Dieser Graf hatte aber nur zwei Töchter aus zwei verschiedenen Ehen. Seine erste Gemahlin war eine französische Dame, welche mit Marie von Guise, der Gemahlin Jakob des Fünften, nach Schottland gekommen und eine ziemlich nahe Anverwandtin der Königin war. Die älteste Tochter aus dieser Ehe kennen wir. Sie heirathete den Ritter Villers, wie ich glaube, gegen den Willen ihres Vaters, und lebte in tiefer Abgeschiedenheit, man sagt sogar in Armuth, bis nach dem Tode ihres Gemahls ihr Sohn an unserem Hofe eine Stellung einnahm, die auch seine Verwandte erheben mußte, und wir haben diese Dame als Gräfin von Buckingham damals gesehen. Die zweite Gemahlin war eine Engländerin, fuhr er rasch fort, aber ich bin unsicher über ihren Namen. Auch diese gab ihm eine Tochter; die Mutter starb jedoch bei der Geburt derselben, so daß der Graf ohne weitere Erbin blieb, sich aber, glaube ich, später in soweit mit seiner ältesten Tochter aussöhnte, daß er ihr die viel jüngere Stiefschwester zur Erziehung übergab. Dies ist Alles, was ich seit gestern mit meinem Nachdenken über diese Familie habe herausbringen können, und es scheint wenig zu der Erzählung der jungen Dame zu passen. Denn selbst angenommen, die jüngste Tochter des Grafen Marr habe den Grafen Melville geheirathet, und sie sei die Tochter aus dieser Ehe, welches leicht zu erfahren sein wird, wo bekam die Gräfin Melville eine jüngere Schwester und zwei Brüder her, da sie nur eine ältere Stiefschwester hatte? Und doch, fuhr der Graf fort, immer lebhafter in die Auseinandersetzung dieser Geschichte sich vertiefend, doch ist dieser unwahrscheinliche Theil ihres Geständnisses noch der bei weitem klarste desselben; denn allerdings hat sie großes Recht, selbst über ihre Unwissenheit hinsichtlich des zweiten Theils zu erstaunen. Sie kennt den Namen eines Ortes nicht, welcher[184] das Ziel ihrer Wünsche, ihres Strebens war, den sie jährlich ein Mal, vielleicht öfter besuchte; sie hörte nie den Namen des besten Freundes, ihres Verwandten, sie begnügt sich damit, ihn Graf Robert zu nennen. Eine wahrlich sehr naive, vertrauensvolle Hingebung, die aber, däucht mir, nicht verletzt worden wäre durch die natürliche und einfache Bitte um die Namen so geliebter Gegenstände, als hier beide, Ort und Person, ihr waren. Die unnatürliche Verfolgung des einen Oheims, während der andere so liebevoll erscheint, ist auch schwer in Uebereinstimmung zu bringen und scheint auf eine merkwürdige Unkenntniß des Individuums sich zu gründen, die durch den alten Kammerdiener so leicht gehoben werden konnte, wenn man auch annehmen will, daß das Fräulein selbst durch Schreck und Furcht abgehalten ward, sich als die Nichte dieses erzürnten Mannes anzugeben. Ist sie wirklich eine Gräfin Melville, mußte ihr dies doch wohl einiges Recht auf Schutz geben, und dies konnte auch ihrem Diener bei der größten Einfachheit nicht entgehen. – Nimmt man nun leicht wahr, daß diese letzten Umstände, wie der Tod des Kammerdieners, völlig dazu geeignet sind, über ihre Ankunft hier ein räthselhaftes Dunkel zu verbreiten und jede unserer Nachforschungen unsicher zu machen, da alle Bestätigung des Einen oder Andern nur in der jungen Lady uns aufbehalten ward, so finden wir uns dadurch unläugbar ganz in ihrer Hand, und wenn ich damit auch keineswegs gegen ein so liebenswürdiges und junges Wesen Verdacht erregen möchte, scheinen doch so viele Widersprüche eine sehr sorgsame Nachforschung zu verlangen.

Er wandte sich gegen das Ende seiner Worte ausschließlich gegen seine Schwägerin, wie es schien, sie zur Theilnahme aufzufordern, aber die Herzogin blieb unbeweglich, die Augen auf die Erde geheftet, mit völlig entfärbten Wangen, die Spitzen der Finger an ihr Kinn gelegt, es gleichsam stützend. Doch[185] schien die alte Herzogin bemüht, die Aufmerksamkeit ihres Sohnes von der geliebten Schwiegertochter abzulenken. Sie richtete sich in ihrem Stuhl empor. Gewiß, mein Sohn, sprach sie, giebt's hier ein Dunkel, welches, zum Nachtheil für dies liebenswürdige Mädchen, über ihre Angelegenheiten verbreitet ist. Aber gegen den Verdacht einer absichtlichen Täuschung ihrerseits schützt sie, däucht mich, ihre eigene Aufzählung dieser Widersprüche, ihre so natürliche Betrübniß darüber, ihr kindlicher Wunsch, von uns über alles das, was sie beunruhigt, Aufschluß zu erlangen. Sollte man wohl annehmen können, selbst wenn wir das beredte Zeugniß ihres unschuldigen Antlitzes und ganzen Betragens verwürfen, sie habe einen Plan gemacht, unser Interesse zu erwecken, da derselbe uns doch nicht zu übersehende Data angiebt, der Wahrheit nachzukommen, die selbst durch den plötzlichen Tod der nächsten Verwandten doch nicht an Wichtigkeit verlieren, ja, wie mir scheint, uns eine Wahrheit mehr an die Hand geben; denn wir hörten ja von dem traurigen epidemischen Fieber, welches in Folge der bedeutenden Ueberschwemmungen ausgebrochen war.

Wohl, sagte Graf Archimbald lebhaft, fast alle Küstenländer sind davon heimgesucht gewesen, und namentlich in Cumberland sind oft ganze Familien ausgestorben; aber allerdings liegt in der allgemein verbreiteten Kenntniß dieser traurigen Umstände auch eine große Leichtigkeit, sie für die eigenen Begebenheiten anzuführen. – Laß mich Dir weiter bekennen, fuhr die alte Lady fort, daß die vorerwähnten Unwahrscheinlichkeiten für mich eigentlich nicht da sind. Wohl ist es lange her, daß ich jung war; dennoch kann ich mir sehr gut ein junges, feuriges Wesen denken, die über der Liebe zu den Personen, die ihre Aufmerksamkeit, wie mir scheint, absichtlich so ausschließlich in Anspruch nahmen, Ort und Namen und auch wohl noch mehr vergessen könnte.[186]

Du lächelst, Archimbald, setzte sie selbst lächelnd hinzu, aber wer über siebzig Jahr hinausreicht, dem dämmert wieder die Jugend auf. Mir ist, als könnte ich heute noch durch den Werth von Personen, zu denen ich käme, so entzückt werden, daß ich Ort und Namen zu erfragen vergäße. Dies ist ja ein Hauptvorzug der Jugend und gerade diesem liebreizenden Wesen, in welchem sich sogleich beim ersten Anblick ein innig hingebendes und, tiefes Gefühl ausspricht, am leichtesten zuzutrauen. Dies gab sie wohl ohne Vorbehalt den Anregungen hin, die sich ihr darboten; ihr vor Allen traue ich diese kindliche Hingebung ganz zu, die man auch unfehlbar benutzt hat, sie, ohne gerade Lügen zu erdichten, an der Wahrheit vorüber zu führen.

Möchte doch der Himmel Jedem, den er lieb hat, einen Vertheidiger zuführen, wie Dich, sagte Graf Archimbald, zärtlich seiner Mutter in die klaren Sterne ihrer sanften Augen blickend. Ich bin zu Allem erbötig, bereit, mich in Alles zu fügen, was die Damen in der Art bestimmen wollen, wie sie mich zu gebrauchen denken, und wie ich ihnen den Umständen nach etwa nützlich werden kann. Ich glaube allerdings, daß unser Schützling mehr das Opfer von Planen geworden ist, die entweder schlecht berechnet waren oder durch unvorhergesehene Fälle eine jähe Wendung nahmen. Denn, wie ich höre und zum Theil auch sah, ist sie im Besitz von Kostbarkeiten, welche auf eine reiche Ausstattung und höhern Stand ihrer bisherigen Beschützer schließen lassen, und es ist zu erwarten, daß wir bei der zärtlichen ihr erwiesenen Liebe, obgleich dieselbe nur noch in der Person des einen Oheims existirt, doch uns entgegen kommende Nachforschungen hoffen dürfen! Nur am wenigsten möchte ich sie für eine Gräfin Melville halten.

Nicht so rasch, Mylord! rief hier die Herzogin stark und rauh, und riß sich mit Gewalt in ihrem Stuhl empor, während in ihrem bisher so todten Auge ein Strahl der verschiedensten[187] Empfindungen sich Bahn brach. Welche Consequenz kann uns zwingen, an ihr den härtesten Raub zu begehen, ihr sogar das Vorrecht eines Namens zu nehmen? Damit müssen wir nicht anfangen, ihrem Schicksale zu Hülfe zu kommen; das hieße im Voraus Alles werthlos machen, was wir ihr Liebes thun möchten im Uebrigen! Und nicht edel ist es von Euch, auf diese Weise Eure Hülfe anzubieten. – Sie versank nach diesen Worten wieder in sich, unbekümmert, wie es schien, über den Eindruck, den ihre Heftigkeit erregen mußte.

Auch war diese Wirkung sehr verschieden bei den beiden noch anwesenden Personen. Während nämlich die alte Herzogin mit dem höchsten Ausdruck von Liebe und Besorgniß auf sie blickte, lagerte sich die eisigste Kälte auf die Gesichtszüge des Grafen Archimbald, und seine breiten, unschönen Lippen verfeinerten sich und zogen sich unter einem Lächeln zusammen, das nur noch verwunden konnte.

Und will Euer Durchlaucht mich belehren, hob er mit frostiger Höflichkeit an, über die Consequenz, von der diese so eben gehörte Ansicht ausgeht? Es ist allerdings höchst wichtig, so sie zu erweisen, daß sie für Alle, die meine geehrte Schwägerin sich zur Hülfe ersehen, erwiesen dastehe, und wir sind über die größte Schwierigkeit hinweg, wenn ich meine Nachforschungen mit der Gewißheit anfangen kann, daß sie die Gräfin Melville ist. Indeß, setzte er mit einer Art Verneigung hinzu, darf ich nicht verhehlen, daß Euer Durchlaucht sich zu einigen Gründen werden herablassen müssen, da ich nicht Scharfsinn genug besitze, diesen Punkt weniger schwankend, als die übrigen zu finden.

Graf Archimhald besaß die furchtbare Waffe der Höflichkeit, womit man tiefer reizt und beleidigt, als mit dem offenen Worte des Zorns. Sie ist die schillernde Hülle ganz entgegengesetzter Gefühle, in der feigen Atmosphäre der Höfe anerzogen und durch[188] die Bedingung der äußern Sitte herbeigeführt, die nur zu oft in keinem sittlichen Innern wurzelt. Die Herzogin schauderte, von Jemand sich in so kalter Weise übertroffen zu sehen; aber es mußte so rücksichtslos züchtigend kommen, wie der Graf, und er allein, es ihr zuweilen bot, um sie nachgiebig zu machen.

Zerstreut blickte sie auf, aber ihre Heftigkeit, ihr Trotz war gebrochen, es war, als ob über ihre feste Stimme ein leiser Anhauch von Furcht schlich, und als ob jetzt erst die Anspannung nachließ, womit sie mächtig erregte Empfindungen niedergekämpft hätte.

Ich hoffte dennoch, Ihr würdet einen Grafen Marr kennen, welcher der Oheim dieser Unglücklichen sein könnte, hob sie an, sich mit einem tiefen Seufzer und trostlosen Ausdruck zu dem Grafen wendend, und, wie es schien, ganz übersehend, wie außer Zusammenhang mit dem Vorangegangenen diese Worte waren. Ich habe mich zu sehr darauf verlassen, ich weiß nichts weiter. Erschöpft sank ihr Kopf auf die bebende Brust, und Graf Archimbald war entwaffnet; denn Personen, die selten vom Gefühle sich überwältigt zeigen, wie dies bei der Herzogin der Fall war, behaupten alsdann durch ihr Erliegen einen desto sicherern Einfluß auf ihre Umgebungen. Der natürliche Ausdruck seines Gesichts, dem es nicht an einem gütigen Zuge fehlte, kehrte wieder, und es war, als ob nun Alle erst zu einem Zweck wirkend sich zusammen fänden, als ob aus dem bisher geführten Wortgefecht sich jetzt erst die wahre Meinung Aller entwickelte. Aber trotz des wiedergekehrten bessern Willens der beiden Hauptberathenden, war es dennoch keine freie Mittheilung, welche mit einem aufrichtigen Tausch der Gedanken über die zweckmäßigsten Mittel, das Bessere zu erreichen sucht. Die Herzogin befand sich in einem Falle, wo man nur zu leicht sich und Andere mit Tadelsucht und lästigen Schwierigkeiten quält, sie wußte sich selbst nicht zu rathen.[189]

Sie verwarf daher oft mit rücksichtslosem Tadel, was Graf Archimbald oder ihre Schwiegermutter ihr vorschlugen, und Beide bestanden sicher keine kleine Probe ihrer Geduld, wenn die zweckmäßigsten Mittel, welche unläugbar zum Ziele führen mußten, von ihr mit Ungeduld verworfen wurden. Hatte Graf Archimbald aber einmal für irgend eine Sache seine Stellung genommen, so besaß er die zäheste Geduld; man hätte sie für das etwas schadenfrohe Bewußtsein einer Ueberlegenheit nehmen können, die ihm um so eher ward, je mehr Heftigkeit er zu bekämpfen vorfand. Er sah sehr wohl, seine Schwägerin lag im Versteck; er ging daher mit dem größten Scharfsinn alle irgend zu ergreifende Mittel durch, um sie durch die Art, wie sie darauf einging oder sie zurückwies, herauszulocken. Doch fand er eine gefaßte Gegnerin, die ihn genug kannte und sich hier lieber zum Nachtheil ihres Karakters einige Launen mehr aufbürden ließ, als daß sie ihn hätte allzu tief blicken lassen.

Die alte Lady war zwischen Beiden wie das gute Princip; sie hätte das kaum Geduld genannt, was sie aus Liebe und Sorge ihrer Schwiegertochter entgegenstellte, da ihr die heftige Aufregung derselben nicht entging. Es war ihr allerdings auffallend, ihre Vorschläge verwerfen zu hören, die mit der Vernunft im Bunde schienen; aber warum sollte man nicht verschiedener Meinung sein? Vielleicht konnte in dieser Stimmung jener Manches anders erscheinen, als ihr oder dem Grafen; so hatte ihr mildes Herz tausend Entschuldigungen für die geliebte Schwiegertochter. Nun, Mylady? fragte der Graf endlich und zog seinen Stuhl, nachdem man eine Stunde lebhaft und vergeblich conferirt hatte, was befehlen Euer Durchlaucht zunächst?

Ich dächte doch, mein liebe Tochter, hob hier die alte Lady sanft vermittelnd an, Ihr erlaubtet, daß mein Sohn an Master Brixton nach Edinburg schreiben, und ihn um die näheren Lebensumstände der Familie Marr und Melville befragen dürfe.[190] Es scheint damit doch ein Anfang und ein richtiger gemacht, da es immer das Wesentlichste bleibt, ob sie das ist, wofür sie sich hält und sich uns angegeben hat. – Dies wird leicht geschehen können, wenn Euer Durchlaucht darein willigen, wiederholte Graf Archimbald mit der größten Geduld das oft Gesagte, denn da Master Brixton eine Caplanei in Edinburg übernommen, wie das Fräulein angiebt, wird durch den Bischof von Lincoln, der mir befreundet, mein Brief leicht in seine Hände kommen, und ohne ferneres Aufsehen die Antwort zu uns zurückkehren. –

So sei es denn, sagte die Herzogin gedehnt und mit vieler Ueberwindung, doch wünsche ich, daß Ihr es so geräuschlos, wie möglich, einrichten wollt. Es scheint mir, als könnten die Anfragen vorzüglich so gestellt werden, daß der Aufenthalt derjenigen, die sie betreffen, nicht genannt, und hauptsächlich, daß jede Art von gerichtlicher Einmischung vermieden würde. –

Ich will nicht weiter widersprechen, sagte Graf Archimbald, doch wäre dies vielleicht der sicherste Weg, sich schnellen Aufschluß zu verschaffen.

Aber, sprach die Herzogin, es würde gerade das herbeiführen, was ich aus vielen Gründen vermieden wünsche. Es scheint mir auch, als läge es ziemlich außer unserer Machtvollkommenheit. Die Fügung des Himmels hat sie einstweilen unter unsern Schutz gestellt, wir haben unsere Pflicht und unser Recht erfüllt, wenn wir die Verwandten ihr auszuforschen suchen, die sie zu haben vorgiebt. An diesen wird es dann sein, ihre übrigen Rechte wahrzunehmen; die unsern erstrecken sich erst dann so weit, wenn sie unserer Hülfe überlassen bleiben sollte.

Die alte Herzogin lächelte diesen Worten, welche bei weitem das Folgerechteste ihrer Aeußerungen dieses Morgens waren, ihren Beifall zu, und es schien, als habe die Herzogin sich mit denselben aus ihrer Unentschlossenheit herausgesprochen.[191]

Graf Archimbald hatte noch immer das Lächeln um den Mund, welches andeutete, er habe noch etwas im Rückhalt. Er fügte auch bald hinzu, daß es doch nicht unwichtig sei, wenn man einmal den in der Erzählung angeführten Thatsachen folgen wolle, über den letzten Aufenthalt des Fräuleins Erkundigungen einzuziehen, auch könne dies eigentlich nicht schwer sein. Durch die Angabe der Zeit, die das Fräulein auf dem Wege zugebracht, lasse sich einigermaßen die Entfernung bestimmen. Fehle auch die Richtung, so sei doch abzunehmen, daß er von der Küste entfernt, ohngefähr drei Tagereisen von Cumberland, etwas weiter als eine Tagereise von der Heerstraße nach London liegen müsse. Bis zum Waldhäuschen habe das Fräulein, zu Pferde und nach Mitternacht das Schloß verlassend, diesen Rest der Nacht und den folgenden Tag im strengsten Ritte gebraucht. Dahin zurückgeführt, habe sie, wie aus dem nur unvollständigen Bericht sich annehmen lasse, zwei Nächte und zwei Tage zugebracht, und zwar zu Fuß und äußerst erschöpft. Am dritten Tage aber sei sie, wie es scheine, schon Morgens am Forste des hiesigen Parkes erwacht, da es nicht wahrscheinlich sei, daß sie in dem Zustande von Bewußtlosigkeit, den sie geschildert, noch einen weiteren Weg habe machen können, als etwa durch diesen zunächst liegenden Wald bis zur Terrasse, welches auch eher denkbar sei, da leicht zu erkennende breite Wege bis dahin durch ihn hinführten.

Fangen wir nicht zu viel auf einmal an, unterbrach ihn die Herzogin mit sichtlicher Unruhe. Ich habe ihr namentlich versprochen, sie zu schützen gegen ihren wüthenden Oheim, wer weiß nun, wen wir bei diesen Entdeckungen mit aufscheuchten, und ehe wir den Beschützer entdeckt, auf den sie hofft, hätten wir dann nicht einmal das Recht, sie dem Manne zu verweigern, der so wild in ihr Leben griff, und bei dessen Andenken sie das höchste Entsetzen befällt.[192]

Wir wollen nicht untersuchen, wie lange Graf Archimbald das Beschneiden und Zurückweisen aller seiner Aeußerungen von einer Frau ertragen hätte, mit der er gern zu gleichen Waffen kämpfte, hätte nicht die alte Lady sanft das Wort genommen, bemüht, die nächsten nöthigen Schritte, unter dem Wust von Für und Wider, Verwerfen und Annehmen, hervorzuziehen und zur allgemeinen Klarheit zu bringen. Uebrigens ward eingesehen, daß man das Fräulein davon unterrichten müsse, es lebe kein Graf von Marr am Hofe, zweitens wollte man es ihr freistellen, einen Einschlußbrief an Master Brixton zu schreiben, und ihr diesen beabsichtigten Entschluß als den zunächst nöthigen darzustellen suchen.

Die alte Lady erbat es sich, am andern Tage ihr diese Mittheilungen machen zu dürfen. Denn, setzte sie liebreich hinzu, meine liebe Tochter hat schon zu viel allein in dieser Sache übernehmen müssen, und wohl mag sie der alten Mutter auch ein kleines Verdienst dabei gönnen. Ich werde meine Sachen schon ordentlich machen, fuhr sie lächelnd fort, bemüht, der allzu ernst gewordenen Unterredung ein milderes Ende zu geben.

Die Herzogin schien sehr willig, ja erleichtert bei diesem Vorschlag, und Graf Archimbald übernahm es; dem jungen Herzog das Wichtigste mitzutheilen, um seinem Eifer Grenzen zu setzen und ihn zu bewegen, das fernere Verfahren dem Grafen und den beiden Damen zu überlassen.

Man trennte sich in leidlicher Stimmung, und Graf Archimbald führte die Herzogin nach ihren Zimmern, in denen sie eingeschlossen bis zur Tafel blieb, blos von Mistreß Morton umgeben, deren leises wohlthätiges Walten uns bekannt ist.
[193]

Wer sich damit begnügte, die Personen zu zählen, die Stunden des Beisammenseins oder der Geschäfte zu beobachten, mußte behaupten, es sei nach einigen Wochen auf Godwie-Castle noch Alles in eben dem gleichmäßigen Gange, wie wir es an jenem Morgen unserer letzten Mittheilung verließen. Die schickliche Form, in welcher sich seit langer Zeit zu bewegen, eine Familie gewöhnt ist, ist ein wohlthätiger Damm gegen die dahinter eingefangenen Wogen der Leidenschaft. Wenn auch jene Macht nur bis zu gewissen Grenzen reicht, schützt sie doch gegen die gänzliche traurige Auflösung des Individuums, welches sich immer dadurch gehalten fühlt, daß Andere ruhig das Langgewöhnte thun und an ihn selbst diese stille Forderung täglich sich erneut. Gewiß waren in diesem Falle minder oder mehr einige der bedeutendsten Mitglieder des Familienkreises in Godwie-Castle.

Verändert in ihrem Innern, verändert in ihren Beziehungen zu einander, verändert endlich in ihren Plänen und Hoffnungen für die Zukunft, finden wir die Familie nichts desto weniger um das Frühstück in der Halle ohne Ausnahme versammelt, und die wenigen Unbefangneren mußten den Uebrigen zu Hülfe kommen, um sich leidlich zu zeigen und den Anschein des Frohsinns zu erhalten, der sonst hier so natürlich waltete. Wer hat nicht Aehnliches erlebt, wer kennt nicht die ernsten zerstreuten Züge der mühsam Gehaltenen, über die das Lächeln, welches sie sich abringen, wie ein Schmerz hinzieht, den Blick, der eben auf nichts mit Nachdenken geheftet ist, die zerstreuten Antworten und selbst die unheimliche Lustigkeit, welche die Wunden innerlich größer reißt und doch keine Hülle wird für den leidenschaftlich bewegten Kern des Herzens.

Die alte Lady hatte ihre Aufgabe so schön gelöst, als zu erwarten stand. Die Gräfin Melville war nun unterrichtet, daß ihr kein Oheim am Hofe lebte, den sie zu nennen wußte.[194] Obwol man ihr es schonend vorenthalten hatte, sie mit dem Zweifel an dem Dasein der Grafen von Marr überhaupt bekannt zu machen, da man die Antwort Master Brixtons abwarten zu müssen glaubte, so fühlte sie doch mit dem tiefsten Schmerze diese fehlgeschlagene Hoffnung, und mit einer Art von Schauder das Verlassene ihrer Lage. Doch wußte sie auch hier, nach einem warmen und gerechten Ergusse ihres Gefühls gegen die alte Lady, in dem Danke Grenzen zu finden, welchen sie für den Schutz empfand, den Gott ihr in ihren neuen Wohlthätern angewiesen; und die alte Herzogin konnte nicht ohne Thränen den rührenden Brief lesen, den die Gräfin demnächst ihrem Lehrer Brixton schrieb und mit kindlichem Vertrauen in ihre Hände legte.

Er trug den Stempel tiefen und zarten Gefühls. Dies mußte um so werthvoller erscheinen, da ihr Verstand eine Schärfe und Consequenz zeigte, die ihrer Jugend nach unbegreiflich war. Doch erinnerte es von selber an die Erziehung, welche ausgezeichnete Personen ihr zu geben vereint bemüht gewesen waren, mit besonderer Rücksicht auf Bildung ihres Scharfblicks und ihres Urtheils, wie wir das schon aus den eigenen Mittheilungen der jungen Gräfin wissen. Sie war vollkommen einverstanden mit dem Willen ihrer Beschützer, Master Brixton's Rath zu vernehmen, und hätte sie mit Graf Archimbald unterhandelt, würde sie auch um jeden Preis das Schloß aufgesucht haben, aus dem sie entflohen war. Sie wagte darum sogar eine schüchterne Bitte, welche die alte Lady aber, und vielleicht auf Kosten ihrer Ueberzeugung, mit der Befürchtung zurückwies, daß sie dadurch dem Manne verrathen werden könne, der sie so gemißhandelt habe. Die kleinste Erwähnung dieser Person, die sie so sehr erschreckt und empört hatte, war hinreichend, die Phantasie des armen Kindes mit tausend neuen Schrecken zu erfüllen und sie von jenem Wunsche abzuziehen.[195]

Graf Archimbald faßte, nach der Mittheilung, die seine ehrwürdige Mutter über das Geschehene ihren beiden Anverwandten machte, eine sehr vortheilhafte Meinung von dem Verstande der jungen Dame, da die alte Lady es ihr schuldig zu sein glaubte, ihre geäußerten Bemerkungen gleichfalls wieder zu geben, obwol sie damit den streitigen Punkt zwischen der Schwiegertochter und dem Sohne ungern berührte.

Doch war Graf Archimbald zu großmüthig, um sich eines erlangten Triumphes zu überheben. Er schien im Gegentheile kaum darauf zu merken, berichtigte aber innerlich von diesem Augenblicke an seine Meinung über die junge Lady, wie wir erwähnt haben. Auch konnte die alte gute Herzogin ihre Erzählung nicht schließen, ohne daran zu erinnern, daß nun wohl keine Ursache mehr zu einem persönlichen Verdachte gegen die Lady vorhanden sei.

Nicht so leicht war der junge Herzog mit dem zu beschwichtigen, was sein Oheim über die Gräfin ihm anvertraute. War es das Gefühl einer neu erlangten Macht, die er zu prüfen wünschte, war es jugendlicher Ungestüm, war es überhaupt sein gutes edles Herz oder ein anderes geheimes Gefühl, das ihm die Sorge und Thätigkeit für sie zum Genusse umschuf, genug, es schien ihm Alles viel zu langsam, viel zu theilnahmlos, was seine Verwandten beschlossen hatten. Wir wollen nicht untersuchen, welches Motiv den Grafen leitete, als er endlich, da, wie es schien, durch nichts mit seinem Neffen zu Ende zu kommen war, ihm Vorsicht anempfahl; indem sie ja kein Recht besäßen, das Fräulein zurückzuhalten, wenn der fernste Angehörige sich zu ihr meldete, und sie dadurch nicht allein von einem Orte entfernt würde, wo sie Schutz und Trost fände, sondern auch in Hände kommen könne, in denen sie unglücklicher würde, als man es bis jetzt anzunehmen hätte.[196]

Dies wirkte. Graf Archimbald gönnte ihm überdies noch den Trost, die Briefe an den Bischof von Lincoln nach Edinburg selbst abzusenden, und dazu den treuesten Diener und das rascheste Pferd zu wählen.

Was uns indessen nicht länger zu verbergen gestattet ist, sprach sich allen Andern schon längst als Ueberzeugung aus, die von Stunde zu Stunde sich steigernde Liebe des jungen Herzogs zur Lady Melville. Er gab sich dieser Empfindung mit einer Naivität hin, daß man fast glauben mußte, er sei sich selbst derselben nicht bewußt. Aber wer je in eigener Brust einen Anklang dieser schmerzlichen Seligkeit gefühlt, mußte wohl sagen, die Stunde des jungen Mannes habe geschlagen. Mit der tiefsten Erschütterung mußte seine Mutter endlich sich das Geständniß hierüber machen. Sie sah sich hier in ein Labyrinth verstrickt und so unerwartet, daß ihr Geist den Sorgen zu unterliegen begann, die sich um sie her thürmten, und die sie allein tragen mußte; denn jeden Tag erschwerte sie sich ihre Bürde durch das innere Gelübde, in keinem Falle durch Kundgebung der Wahrheit eine Entscheidung zuzulassen.

Ob Graf Archimbald, der wenigstens aus Beobachtung das Gefühl der Liebe kennen mußte, es bei seinem Neffen errieth; ob sein Schweigen die Klugheit war, mit der man den taumelnden Nachtwandler nicht anruft, hoffend, er finde ohne diese erschreckende Hülfe wol besser den Rückweg; ob es überall Gleichgültigkeit gegen Herzens-Affectionen war, – wer konnte das bestimmen! Er bekam reichlich Briefe von Richmond, schrieb viel und eifrig diesem zurück, und seine allgemach aufsteigende Verstimmung konnte leicht politischer Natur sein, da man sehr wohl wußte, dies sei doch eigentlich der Kern seines Lebens.

Nur die alte Herzogin und der Gegenstand, der alle diese Sorgen veranlaßte, die junge Gräfin Melville selbst, schienen an alles das nicht zu glauben. Die Herzogin hatte die Idee[197] aufgefaßt, ihr Enkel liebe Anna Dorset. Wie dabei noch von einem zweiten, gar stärkeren Gefühle die Rede sein könne, begriff ihr reines Engelherz nicht, und was sie sah, glaubte sie auf Rechnung der ausgezeichneten Persönlichkeit eines Mädchens setzen zu müssen, der sie sich selbst ganz ergeben fühlte, und welcher der Herzog als Herr des Hauses allerdings Beweise der höchsten Achtung schuldig schien.

Doch entging ihr die überhandnehmende Mißstimmung ihrer Schwiegertochter nicht, und es trübte ihre sonstige Heiterkeit, sie von Sorgen bewegt zu sehen, die sie mit Niemand theilen zu wollen schien. Die Gräfin Melville dagegen war das vollkommenste Bild eines jungen unschuldigen Mädchens und eines ganz freien Herzens; sie sah sich überall von der zärtlichen Aufmerksamkeit des Herzogs umgeben und erstaunte oft selbst, wenn er ihre Wünsche, ihre Gedanken errieth. Sie kannte diese Empfindungen nur aus den sehr discreten Mittheilungen ihrer Anverwandten und aus ihrer eigenen gewählten Lectüre, woraus wir doch selten dies Gefühl wieder erkennen lernen, ehe aus unserm eignen Herzen die gleichen Anklänge sich den verwandten Gefühlen, gleichsam suchend, entgegendrängen.

Die Beobachtungen, welche die jüngere Herzogin unablässig anstellte, und welche ihr immer die vollkommene Ueberzeugung von der Herzensruhe der Lady Maria gaben, trösteten sie zwar etwas, aber sie hätte gewünscht, es wäre die Kenntniß seiner Neigung damit verbunden gewesen, denn sie wußte, daß dies sich immer gleich edel und liebenswerth zeigende Wesen alsdann in ihrem Betragen gegen den Herzog Manches geändert haben würde.

So aber legte sie ihm die Dankbarkeit, die er ihr einflößte, mit einem so unschuldigen freundlichen, oft innigen Betragen an den Tag, daß der junge Herzog dadurch nur höher erregt ward und, von den süßesten Hoffnungen belebt, seinen Empfindungen[198] bald keinen Zwang mehr auferlegte. Dazu kam, daß die Gräfin, seit der letzten Unterredung mit der alten Lady, sich einer wehmüthig ernsten Stimmung nicht mehr erwehren konnte, und die holden Zeichen früheren jugendlichen Frohsinns immer seltener ein Uebergewicht über die milde, aber tiefe Wehmuth ihres Herzens geltend zu machen vermochten.

Welch' eine reiche Gelegenheit für ihren jungen zärtlichen Verehrer, Alles anzuwenden, die Stimmung zu verscheuchen, die den zarten Rosen ihrer Wangen das Leben zu kosten schien. Es gelang ihm oft, dies unbefangene, lebhaft und tief fühlende Wesen, welches ihren Kummer nicht mit kränklichem Eigensinne festzuhalten strebte, zuweilen zum jugendlichen Frohsinn zu erwecken; deshalb war sein Bemühen darum auch unablässig.

An jenem Morgen hatten die beiden Herzoginnen und Graf Archimbald so eben Briefe empfangen, und waren beschäftigt, sich mit dem Inhalt bekannt zu machen. So störte nichts das Gespräch, welches der junge Herzog mit Lady Maria angeknüpft hatte, und worin er mit einem übervollen Herzen die tiefe, sehnsüchtige Zärtlichkeit desselben für sie auszudrücken strebte. Er sagte ihr, daß er Pläne für den Park gefunden habe, zu Erweiterungen und neuen Anlagen um den See her, die sein Vater für die Arbeit dieses Sommers bestimmt gehabt; daß er die Arbeiter dorthin bestellt, und sie bitte, an Ort und Stelle diese Pläne zu besichtigen, da er sie ganz nach ihrem Geschmacke einrichten möchte und sie vielleicht Einiges zu ändern wünsche. Lady Maria willigte zwar ein, mit Arabella und Lucie dahin zu gehen, aber sie sagte ihm unbefangen, daß, ihr Urtheil darüber gelten zu lassen, wol in keiner Art ihr wünschenswerth sein könne, da der Plan seines Vaters ihm sicher heilig sein müsse und ihr Geschmack in dieser Rücksicht ganz ungeprüft sei. Ach, Mylord! setzte sie schwermüthig hinzu, wie habt Ihr mir mit Euern freundlichen Worten doch nur zu sehr[199] verrathen, wie Ihr meine Lage anseht! Deuten diese Pläne, in die Ihr mich zu verflechten sucht, nicht darauf hin, wie unbestimmt Ihr meine Zukunft seht, wie wenig Ihr glaubt, ich fände noch eine andere Heimath, als diese, die ich helfen soll auszuschmücken?

Nicht ganz lag dies in meinem Sinne, sagte der Herzog, und das Herz schlug ungestüm den entscheidenden Worten entgegen, die jetzt Raum gewonnen zu haben schienen; ich sehe der Aufklärung Eurer Verhältnisse mit der ruhigen Ueberzeugung entgegen, daß sie nicht ausbleiben kann. Aber sollte ich darum nicht doch hoffen und heiß wünschen dürfen, Ihr suchtet nie eine andere Heimath, als diese, die Ihr dadurch zum Paradiese schmücken würdet, und wo Euch die treuesten Herzen in der zärtlichsten Liebe schlagen?

Der junge Herzog glaubte sich deutlich genug ausgesprochen zu haben, er hoffte, sie wisse jetzt, daß er sie liebe und sie zur Beherrscherin seines Lebens begehre. Aber er irrte. Ein junges weibliches Herz, das noch nicht beschlichen ist von dem Wunsche, solche Empfindungen zu erregen, kann die deutlichsten Liebeserklärungen anhören, ohne sie zu verstehen, wenn ihr eigenes Herz nicht in verwandten Anklängen dem Worte entgegenschlägt. Es giebt bis dahin eine un endlich frostigjungfräuliche Fähigkeit, alle solche Worte in die Weite und Ferne und aus der intimen Beziehung zu sich selbst hinweg zu deuten. So sah Maria in den Worten des Herzogs nichts als seine holde gastfreundliche Güte und die Bestätigung, daß sie von allen den Theuern seiner Familie und so auch von ihm selbst geliebt sei, und sie wollte eben in diesem Sinne ihm antworten, als die alte Herzogin die Stimme erhob und ihrem Enkel zurief: Hierher, mein lieber Freund! Ich habe Dir willkommene Nachrichten zu geben. Die Gräfin von Dorset wird mich mit ihrer ganzen Familie in Burtonhall besuchen, und wie zu hoffen steht, setzte sie lächelnd[200] hinzu, wird sie nicht gerade Anna Dorset davon ausschließen, und so darf ich wol auf Deine Gegenwart unter all den lieben hiesigen Gästen am ersten rechnen, und verdiene mir hoffentlich mit dieser Nachricht ein sehr freundliches Gesicht von meinem lieben Enkel. – Der junge Herzog fühlte sich wie durch tausend Schmerzen aus dem süßesten Traume seines Lebens zu einem Dasein erweckt, das ihn mit Erstaunen und Verwirrung zu Verhältnissen zurückführte, welche ihm gänzlich aus den Gedanken verschwunden zu sein schienen.

Wir wollen nicht untersuchen, wodurch er in der letzten Zeit zu der Ueberzeugung gelangt war, Anna Dorset sei ihm so fremd, wie jede andere Dame des Königreichs. Zwar war er von den Unterhandlungen beider Familien unterrichtet, hatte sich auch nie mit einem Worte dagegen erklärt, ja, er schien sie bestätigt zu haben, durch den Beifall, den er der Lady Anna ertheilte, und der ihm vielleicht früher ganz hinreichend erschienen war, um sie seine Braut zu nennen. Jetzt aber war dies Verhältniß weit zurückgetreten, und die Kenntniß des wahren Gefühls der Liebe, das ihm Worte eingab, die Anna Dorset nie von ihm gehört hatte, überredete ihn, so oft er gemahnt ward, dessen zu gedenken, daß er nie Hoffnungen erregt habe, die er als rechtlicher Mann genöthigt sei zu erfüllen, und die Sehnsucht, sich den zärtlichen Empfindungen seiner Brust gegenüber frei zu sehen, überredete ihn, es zu sein. Was hätte die eigenthümliche Logik der Liebe, die den Anfang ihrer Folgerungen immer in dem Gefühle selbst findet, nicht fertig gebracht, selbst in noch verwickelteren Fällen, als der vorliegende! Auch war er nach einem Augenblicke völlig gerüstet und entschlossen, und es ist nicht unwahrscheinlich, anzunehmen, gerade das harte Nebeneinanderstellen der erwähnten Momente habe von seinem Entschlusse die letzte Unsicherheit abgestreift.[201]

Meine theure Großmutter, sprach er mit ernster Festigkeit, ist sicher immer überzeugt, die freundlichsten Empfindungen in ihrem Enkel zu erregen, und es bedarf dazu nie eines Nebenumstandes, wozu überdies die Gräfin Anna Dorset mir am wenigsten geeignet scheinen würde, da ich nicht wüßte, wie sie die Liebe theilen oder erhöhen könnte, die mich für Euch erfüllt.

Gewiß, lachte sorglos die alte Herzogin, verlangt sie selbst auch nicht darnach, eben die Gefühle, wie Du für die alte Großmutter bewahrst, zu theilen; doch wirst Du ihr vielleicht ein anderes Plätzchen in Deinem Herzen einräumen können, mit dem sie besser zufrieden sein wird.

Ihr irret, theure Lady, erwiederte schnell der Herzog. Anna Dorset ist ein edles, achtungswerthes Mädchen, doch in meinem Herzen kann und wird sie nur den Platz einer ehrenden Anerkennung einnehmen; ich kenne kein Verhältniß, was mich anders oder näher zu ihr stellte.

Verzeih'! sagte die alte Lady, jetzt ernster werdend, daß ich mich habe von meiner guten Laune hinreißen lassen, Dich mit Verhältnissen zu necken, bei deren Behandlung Du mich mit Deinem Zartgefühl weit übertriffst; Du mußt der alten Großmutter schon etwas zu gut halten, und bist doch wol ein gutes Kind und besuchst mich in Burtonhall, wo ich mich dann besser betragen will.

Der Herzog sprang auf, die gütige Hand zu küssen, die sie ihm mit einem Engelslächeln darbot, und gern hätte er jetzt gleich vor ihr das Knie gebeugt und sein Herz erleichtert durch das feurige Bekenntniß seiner Liebe; aber er hatte noch kein Recht dazu, denn das ersehnte Wort war von den Lippen der Geliebten noch nicht gedrungen. Er wendete daher seine Blicke mit dem ganzen Verlangen einer endlichen Entscheidung auf die junge Gräfin, die mit so unschuldig klaren, fast kindlich neugierigen Augen in diese Scene schaute, daß wol für den unbefangenen[202] Beobachter kein Zweifel blieb, wie wenig sie sich in dieselbe verflochten wähnte, und wie sie das ruhig kühle Herz noch unentzündet in sich trug. Er nahm seinen Platz neben ihr ein. Doch Graf Archimbald sagte, sichtlich erheitert, indem er seine Briefe zusammen legte: Wir dürfen Richmond erwarten; gleich nach der Rückkehr des Prinzen aus Spanien wird er zu uns eilen, und jene erwartete man bei Abgang dieses Briefes schon binnen zwei Tagen. Gott Lob, sprach die Herzogin aus tiefer Brust und von der Erstarrung sich erholend, worein die vorangegangenen Vorfälle sie versetzt hatten; so wird mir Trost und Freude kommen.

So auffallend diese Worte sein mußten, so wenig wurden sie beachtet, da die meisten Anwesenden von eigenen Gefühlen und Gedanken in Beschlag genommen waren.

Die jungen Leute erhoben sich, um nach dem See sich zu begeben; die alte Lady und Lord Archimbald wollten ihre Briefe beantworten, und die Herzogin begab sich mit Stanloff, welcher einige Tage abwesend gewesen war, nach ihren Zimmern.

Was bringst Du uns für Nachrichten, Stanloff, sprach die Herzogin und setzte sich abgewendet von ihm in einen Sessel; warst Du glücklich in Deinen Nachforschungen?

Euer Durchlaucht zu Befehl, erwiederte Stanloff, alle Nachforschungen, die ich anstellte, treffen mit den Einzelheiten in der Geschichte der jungen Dame überein; es muß das Schloß der Gräfin von Buckingham sein, aus dem sie entflohen.

Gründe, Gründe! rief die Herzogin, Gründe will ich wissen. –

Sie sind in meiner Erzählung. Ich begab mich zu Pferde dahin und erreichte den großen parkartigen Wald, in dessen Mitte das Schloß liegt, am Mittage des dritten Tages. Den Park umgiebt, nach der Landstraße zu, eine Meierei. In dieser sprach ich ein und fand dort eine zahlreiche Familie, die verheiratheten[203] Kinder der noch lebenden Eltern, die sich in die Herrschaft des Hauses und in die Geschäfte getheilt hatten. Man hatte sich bei meiner Ankunft um eine große Tafel gelagert, um zu Mittag zu essen, und mir ward ohne weitere Bemerkungen an derselben ein Platz angewiesen, der mir Muße gab, eine Unterredung über die Bewohner des Schlosses anzuknüpfen. Doch war dies nicht leicht; meine Frage, ob die Herrschaft gegenwärtig, beantwortete man mit Nein und fuhr sogleich fort, unter sich über eigene Angelegenheiten zu sprechen. Schnell war die Mahlzeit von den jüngeren Leuten geendet; sie standen auf, um sich an die verschiedenen Stellen zu vertheilen, die ihrer Sorgfalt übergeben waren, und die Eltern blieben allein zurück.

Ich fragte aufs Neue, ob das Fieber diese Gegend auch verheert habe, und die alte Frau nannte nun sogleich als das einzige dieser Krankheit gefallene Opfer die Gräfin von Buckingham. Weniger glückte es mir, über andere Dinge Auskunft zu erhalten, und noch bleibt es mir ungewiß, ob Unkunde oder andere Gründe dies so erschwerten. Den jetzigen Besitzer des Schlosses kannten sie nicht; sie gaben zu, daß es der Bruder sein könne; dagegen bestätigten sie, Gersem zu kennen; ob er aber lebe oder todt sei, wußten sie nicht. Von dem Feuer jedoch sprachen sie, daß es den alten Theil des Schlosses verheert habe; daß Jemand zu Schaden gekommen sei, verneinten sie. Meine Fragen nach der frühern Lebensweise der Gräfin, die ich in der Hoffnung einleitete, dann zu den Gästen des Schlosses übergehn zu können, beantworteten sie blos mit dem großen Lobe ihrer Wohlthätigkeit und Güte; doch Gäste, behaupteten Beide, seien nie auf dem Schlosse gewesen, die Herrschaft habe jedoch öfter Reisen gemacht. Ich suchte nun von ihnen los und in den Park zu kommen, und erreichte so das Schloß selbst, wovon nur ein kleiner Theil, der in einem ganz versteckten Hofraume lag, vom[204] Feuer gelitten hatte, dessen Spuren überall deutlich zu sehen waren, ohne daß, wie es mir schien, man irgend Sorge getragen hatte, sie zu beseitigen. Ich näherte mich dem Eingange des völlig einsamen Schlosses, aber meine Bemühungen, hinein zu dringen, waren umsonst. Ich wollte eben zurückkehren, als eine kleine Thür unter einer Treppe aufschlug und ein junges Mädchen in ländlicher Tracht herausflog, in der Richtung über den Hof laufend, in der ich mich befand. Sie stand vor mir, ehe sie mich sah, schrie jetzt laut auf und wollte entfliehn, ich hielt sie aber mit sicherer Hand fest und bat sie, mir Einlaß in das Schloß zu verschaffen. Um Gott, Herr! was denkt Ihr? Es darf Niemand hinein, Alles ist verschlossen, und der Herr Aufseher verreiset. – Ist das Gersem? fragte ich schnell. Gersem? wiederholte das Mädchen, sichtlich erschreckend; nein, Herr, sprecht nicht so, laßt mich los, ich darf Euch nichts von Gersem sagen, kein Mensch darf von ihm sprechen! – Gut, ich will Dich nicht quälen; aber das darfst Du mir doch sagen, ob er im Schlosse ist? – Gersem? O Herr, laßt mich, ich bin des Todes, wenn Ihr mich nicht los laßt! – Nun, sagte ich, ich will Dich gleich los lassen, so wie Du mir sagst, ob ich nicht die Frau Hanna sprechen kann? – Mistreß Hanna? Großer Gott, sie will täglich sterben. Kein Mensch darf zu ihr, und sie erkennt Niemand; nein, Herr, das geht um die Welt nicht. – Ich ließ sie jetzt und habe mich vorläufig damit begnügt, Euch diese Nachrichten zurück zu bringen, da mir Euer Durchlaucht Befehle nicht weiter zu gehen schienen. – Ich weiß genug! sagte die Herzogin, winkte ihm, sich zu entfernen, und blieb in ihrem Stuhle sitzen, daß, wer sie einige Zeit lang beobachtete, in ihr kein lebendes Wesen zu sehen gewähnt hätte.

Doch ward sie bald genöthigt, sich an dem Leben langsam wieder aufzurichten. Pons flog herein, den Grafen Archimbald[205] zu melden, der so unmittelbar hinter ihm eintrat, und mit so sichtlichen Zeichen von Gemüthsbewegung, daß die Herzogin nur eines mühsam auf ihn gelenkten Blickes bedurfte, um von der Ahnung neuer Leiden ergriffen zu sein. Ihr erster Gedanke wendete sich auf Richmond, diesen letzten Hafen, in dem sie Ruhe und Schutz hoffte, diesen Balsam auf die brennenden Wunden ihres Herzens. Es schien ihr gewiß, ihm mußte etwas begegnet, auch in ihm sie noch verwundet worden sein, und sie blickte in die gänzliche Trostlosigkeit dieses abgeblätterten Daseins fast mit Genuß; mit dem Genuß, den dann die Gewißheit des Untergehens noch im Stande ist zu gewähren. Graf Archimbald hinderte sie aufzustehen, er schob ein Tabouret an ihre Seite; er sah ihr verändertes Gesicht, er fühlte, daß sie litt, und er konnte nicht annehmen, daß das, was er kam ihr zu sagen, sie ruhiger stimmen werde; aber diese Wahrnehmungen gaben ihm die Güte und Wärme des Gefühls, die ihn seine Worte bedenken ließ.

Sagt es schnell, Mylord, ich bin auf Alles gefaßt, sagte sie tonlos und kalt, und vernehme lieber das Unvermeidliche ohne alle Einkleidungen.

Ich kann allerdings annehmen, daß Ihr schon längst eine Ahnung von dem habt, was ich gesandt werde Euch mitzutheilen, erwiederte der Lord, doch bitte ich Euch dringend, Euch nicht so davon zu erschüttern, vielmehr den Antheil vorwalten zu lassen, den Euch die Wünsche Eures Sohnes, die an sich nichs Unwürdiges und Euch Kränkendes enthalten, einflößen dürfen. Ich muß allerdings mich als überrascht bekennen; denn ich kann nicht leugnen, daß ich die Verbindung zwischen Robert und der Lady Anna Dorset für entschieden hielt.

Und was, Mylord, rief die Herzogin und richtete sich heftig empor, was hat diese Ueberzeugung, die ich mit Euch theilte, was hat sie in Euch geändert?[206]

So sehe ich also, sagte Graf Archimbald, daß ich mich irrte, indem ich Euch auf die Wünsche vorbereitet wähnte, die allein jetzt noch Euern Sohn erfüllen, und welche die Gräfin Melville zur ausschließlichen Besitzerin seines Herzens erhoben. Ein dumpfer Schrei der Herzogin war ihre Antwort, sie sank sogleich leblos zusammen, und wahrlich unter wenig glücklichen Umständen. Denn der Graf fühlte sich höchst verlegen. Die Sorge abgerechnet, welche ihm die heftigen Gemüthsleiden seiner edeln Schwägerin gaben, wußte er sich wenig bei solchen Zufällen zu helfen und betrachtete daher die Ohnmächtige einige Augenblicke in der Hoffnung, sie werde sich erholen. Als er sich hierin aber getäuscht und nun zur Thätigkeit aufgefordert sah, öffnete er die hohen Fensterflügel und überließ dem Strom der Luft das Wiederbelebungsgeschäft, da er einmal entschlossen war, diesen Zustand nicht zur Kenntniß eines Andern außer ihm selbst kommen zu lassen.

Er hatte sich auch nicht getäuscht. Die Herzogin fuhr zuckend aus ihrer Ohnmacht empor; ihr Auge streifte wild umher und blieb an Graf Archimbald haften, indem hiermit alle die traurigen, abgerissenen Gedanken zurückkehrten, womit sie sich gezwungen sah ihren Geist zu beschäftigen, so sehr sie sich dagegen sträubte. Sie winkte, die Fenster zu schließen, und, wohl ahnend, was geschehen, dankte sie in der Stille dem Grafen für seine kühle Beharrlichkeit bei ihrem Zustand, wodurch dieselbe einer größeren Aufmerksamkeit entzogen geblieben war.

Sagt mir jetzt, hob sie leise an, was ist geschehen? Was seid Ihr gekommen mir zu sagen? Ich bin gefaßt, auch das Härteste zu vernehmen.

Ich kenne Eure Ansichten nicht genug, verehrte Schwägerin, um zu wissen, in wiefern Euch meine Mittheilungen beunruhigen mögen; daher muß ich mich auf den Bericht der Thatsachen beschränken und nur wünschen, daß es Euch bald[207] gelingen möge, die bessere Seite daran hervor zu heben. Robert ließ mich um eine Unterredung bitten und erklärte mir, daß er entschlössen sei, der Gräfin Melville seine Hand anzubieten, da sie seine ganze Zuneigung besitzt, und er sei in der Absicht zu mir gekommen, für die nun folgenden Schritte Rath und Beistand von mir zu erbitten, da ihm allerdings nicht entgehe, wie die Angelegenheit mit der Familie Dorset von einigen Schwierigkeiten begleitet sein möchte.

Ich gestehe, Mylord, hob nun die Herzogin an, daß der Grad von Erstaunen, den mir Eure Erzählung erregt, fast dem Unwillen gleich kömmt, womit sie mich erfüllt. Doch wird dies Alles übertroffen von dem gekränkten mütterlichen Gefühl, Euch, Mylord, an der Stelle zu sehen, die einzig nur mein Sohn einnehmen durfte, hätte diese unselige Leidenschaft nicht, wie es scheint, jedes bessere Gefühl in ihm ersterben lassen. Wo und wie ich anfangen soll, meinen Tadel über das Vergangene auszudrücken, bin ich verlegen. Mein Sohn hat Euch zur Mittelsperson zwischen seiner Mutter und sich gewählt. So geht denn und sagt ihm, nie wird ihm meine Einwilligung zu dieser empörenden Verbindung zu Theil werden. Ich werde sie zu hindern suchen mit aller Macht und allen Kräften, die Gott und Menschen in meine Hände gelegt haben, um Schande und Verderben von einem Hause abzuwenden, dessen Ehre ich berufen scheine noch länger aufrecht zu erhalten, da die, denen sie zunächst anvertraut ward, wenig mit ihren hohen Anforderungen bekannt scheinen.

Graf Archimbald eilte nicht, sie zu unterbrechen. Einige etwas zu stark aufgetragene Aeußerungen abgerechnet, fühlte er ihren Unwillen natürlich und wohlbegründet; er konnte sogar nicht läugnen, daß sie schneller auf den wahren Standpunkt gelangt sei, als er, da er, mit ganz anderen und öffentlichen Dingen beschäftigt, in großer Zerstreuung seinem Neffen zugehört[208] und, von dessen jugendlichem Ungestüm überjagt, keinesweges die Umstände so scharf erfaßt hatte, um darin etwas Ehrenrühriges für das hohe Haus oder Beleidigendes für das Herz der Mutter zu entdecken. Nichtsdestoweniger hielt er es für unzweckmäßig, daß die Herzogin ihrem Sohne so stolz und bestimmt widersprechend entgegen trete, da sanfte Gemüther, wenn sie einmal Muth gefaßt, einen bestimmten Willen zu haben, selten durch stolze Härte, welche ihnen nichts gestatten will, davon abgebracht werden, vielmehr um so hartnäckiger im Widerspruch sich zeigen, als diese Stimmung fast den ganzen Karakter aus seiner Bahn treibt. So ungern er sich auch zum Lenker dieser heftigen Frau aufwarf, so glaubte er doch dies nicht unterlassen zu dürfen, um eine wirklich befriedigende Ausgleichung herbei zu führen. Er sammelte sich daher und rückte der Erzürnten näher, um sie mit der ganzen ihm eigenen Feinheit darauf aufmerksam zu machen, wie nöthig es sei, dem jungen Herzoge milder entgegen zu treten. Man könne ihm doch unmöglich und namentlich in seiner jetzigen Stellung das Recht bestreiten, die wichtigste Wahl des Lebens nach eigener Ueberzeugung zu treffen. Hierbei unterstütze ihn sogar das Testament seines Vaters, welches ausdrücklich verfüge, daß alle seine Kinder ihrer eigenen freien Neigung bei ihren Verheirathungen überlassen bleiben sollten. Die Unterhandlungen mit der Gräfin von Dorset betrachtete er nur dann als seinem Wunsche gemäß, wenn die Neigungen beider jungen Leute ebenfalls hierin überein kämen. Er verkenne übrigens nicht die Schwierigkeiten einer Erfüllung des eben geäußerten Wunsches des jungen Herzogs, und er glaube gewiß, daß die liebevolle Stimme der Mutter sein Herz erreichen und seinen Willen beugen werde.

Ja, Mylord, erwiederte die Herzogin mit mehr Ruhe, deren Nothwendigkeit ihr selbst aus den klugen Worten ihres Schwagers klar geworden war, ich will meine Stimme flehend[209] an sein Herz dringen lassen, ja, der Sohn soll seine Mutter als Bittende vor sich sehen; denn niemals, niemals darf sie ihm gewähren! Doch sagt mir, fuhr sie fort, erzählte er Euch von der Gräfin? War sie von seinen Absichten unterrichtet und theilte sie seine unseligen Wünsche?

Er hatte sich noch nicht erklärt, und ich erinnere mich, ihn aufgefordert zu haben, es bis dahin aufzuschieben, wo ich Gelegenheit fände, Euch seine Wünsche mitzutheilen. –

So gebe Gott, daß er dieser Forderung willfahre, denn je wenigere um seine Verirrung wissen, desto leichter wird sie auszulöschen sein! –

Es entstand eine augenblickliche Pause, in der die Herzogin nicht undeutlich wahrnahm, wie Graf Archimbald von irgend einer Idee beschäftigt, keine Anstalten machte, sie zu verlassen. Sie glaubte bei einigem Nachdenken die Ursache darin zu finden, daß es ihr noch oblag, ihren lebhaft ausgesprochenen Widerwillen näher zu bezeichnen und dessen Gründe scharf genug hervorzuheben, um jeder weiteren Erwägung ihrer Wichtigkeit vorzubeugen.

Wir sind gewiß alle einig, Mylord, hob sie an, ihn scharf beobachtend, daß die Natur kaum je ein weibliches Wesen reicher ausstattete, als eben diese Fremde, die der Wille des Himmels an unsern Schutz verwies; aber wie unser Eifer und unsre Menschlichkeit sich auch abmühe, ihr einen bürgerlichen Standpunkt einzuräumen, Ihr könnt gewiß nur mit mir die Befürchtung theilen, dies werde nie so vollständig gelingen, um jeden Schatten von ihrem Namen, wenn sie auf irgend einen Anspruch hat, zu verscheuchen, und brauche ich Euch an den, seit Jahrhunderten fleckenlosen Glanz dieses Hauses zu erinnern, um Euch meine Abneigung gegen eine solche romaneske Verirrung des nunmehrigen ersten Trägers dieses erlauchten Namens anschaulich zu machen? Dies wäre allein hinreichend, fuhr sie[210] stolzer fort, als Graf Archimbald noch immer abgezogen, wie es ihr schien, sich blos stumm gegen diese hochbegeisterten Ansichten verneigte, aber mein Sohn ist durch sein Erscheinen im Hause Dorset, nachdem er zur herzoglichen Würde und Selbstständigkeit erhoben war, und durch den öffentlichen Beifall, den er der Gräfin Anna gezollt, stillschweigend in die Wünsche der Familien eingegangen, und Herzoge von Nottingham feilschen nicht, wie ehrlose Spekulanten, um die Deutung eines Wortes; die Gesinnung, die sie in einer ehrenvollen Sache andeuten, bindet sie so stark, wie das Wort der rohen Menge. So muß ich denn meinen Sohn als den Verlobten der Gräfin Dorset betrachten, so lange sie nicht zurücktritt, und der Bruder meines Gemahls wird meine schwachen Kräfte unterstützen wollen, diese innere Ehre unseres Hauses zu erhalten.

Gewiß, Mylady, sagte der Graf etwas ungeduldig, war ich nie im Zweifel, was ich dem Namen, dem ich angehöre, schuldig bin, und es giebt allerdings in dem Leben eines Mannes, der mit seiner Thätigkeit der Oeffentlichkeit verfallen ist, oft Gelegenheit, die Stärke solcher Anforderungen kennen und in ihrer Wahrheit würdigen zu lernen. Sollte die Gräfin namenlos oder eines befleckten Namens sein, würden die Familiengesetze dieses Hauses sie schon hindern, zu uns zu gehören; doch sah ich diese Befürchtung noch nicht bestätigt, und Ihr selbst hattet mich ja gewarnt, hierin zu schnell zu sein. Doch, denke ich, ist vorläufig diese Ungewißheit Grund genug, meinen Neffen aufzuhalten, und eine so kluge und gütige Mutter wird indessen Mittel finden, ihre Wünsche und Ansichten dem Sohne geltend zu machen. Auch dürfen wir Richmonds Beistand entgegen sehn, der stets besser, als ich, sich verstand, auf Herzen einzuwirken, und obwol ein Jahr jünger, als Robert, stets den Einfluß eines Aelteren über ihn behauptete. – Der Graf sah nach diesen Worten, die Richmond berührten, wie sie diesem[211] Troste horchte und ihn wirklich ergriff. Er schob nun vertraulich seinen Stuhl näher, indem er fortfuhr: Graf Burleigh hat mir Briefe des Grafen Bristol gesendet, die auch Euch angehen, und die väterliche Autorität, die ich mit mir führe, mag mich entschuldigen, wenn ich Euch mit einigen Fragen lästig werde.

Ihr seid meiner Aufmerksamkeit stets gewiß, und mein Vater hat über mich zu befehlen, erwiederte die Herzogin in wieder gewonnener Fassung.

Nun, sagte Graf Archimbald lächelnd, so muß ich Euch zuerst in ein Staatsgeheimniß einweihen, welches, wie ich fürchte, nur zu bald eine nicht mehr zu verbergende Oeffentlichkeit erhalten wird. Unsere Angelegenheiten in Spanien haben eine sehr ungünstige Wendung genommen, und die jahrelangen, weisen, nicht genug zu rühmenden Unterhandlungen unseres größten Geschäftsmannes, des Grafen Bristol, scheinen ganz gegen ihr Verdienst erfolglos zu werden! – Aber um Gott, Mylord, rief hier die Herzogin erschrocken, was sagtet Ihr und alle übrigen offiziellen Nachrichten uns denn bisher so verschwenderisch vom Gegentheil? Welche chimärische Träume waren dies, wer hat denn hier betrogen sein wollen, daß man so geschäftig war, es zu thun?

Weder das Eine, noch das Andere, antwortete der Graf; Alles ging von Seiten des Prinzen und des Hofes in Wahrheit so vor sich, wie es uns gemeldet ward. Aber Ihr werdet Euch wohl erinnern, wie die Begleitung des Herzogs von Buckingham mich sogleich über die ganze Angelegenheit in Zweifel setzte, da es wohl unmöglich war, einen ungeschicktern und übelwollendern Begleiter für den Prinzen aufzufinden. Der Erfolg hat nun alle dadurch auch beim Grafen Bristol erregten Besorgnisse bestätigt, und schon nach den ersten Tagen war der Herr Graf, der Buckingham beobachten ließ, überzeugt, daß es der bestimmte Wille des Herzogs war, durch die zügelloseste Aufführung und[212] die absichtlichste Beleidigung aller höheren dabei interessirten Personen, den Prinzen trotz seines eigenen makellosen Betragens in Mißkredit zu bringen. So bewundernswürdig klug Graf Bristol alle diese Dinge für den Prinzen unschädlich zu machen suchte, so wenig vermochte er doch die gerechten Befürchtungen der königlichen Familie zu unterdrücken, daß der unläugbare Einfluß dieses Mannes auf den Prinzen die Lage der Infantin höchst bedenklich machen müsse. – Woher aber dieser Einfluß so plötzlich? unterbrach ihn hier die Herzogin; weiß ich doch, daß der Prinz früher eine in der That nur allzu furchtbare Beleidigung ihm nie vergeben zu können glaubte, und später nur aus kindlicher Rücksicht für seinen Vater ihn ertrug, ohne doch seine Verachtung gegen ihn unterdrücken zu können.

Graf Archimbald wußte entweder hierüber selbst noch nichts, oder zog vor, diese Aufklärungen nicht zu geben; genug, er begnügte sich, seine Absicht weiter verfolgend, ruhig fortzufahren. Dessenungeachtet ist die Thatsache nicht zu läugnen, Buckingham ist im Vertrauen des Prinzen, und so doppelt mit Ansehen ausgerüstet, überschreitet seine Unverschämtheit alle Grenzen. Er hat sich dem vortrefflichen Herzoge von Olivarez, der bisher unser eifriger Freund und der Beschützer dieser Bewerbung war, öffentlich als Feind erklärt und ihn dabei so beleidigend behandelt, daß der Herzog, da man Buckingham vor der Abreise des Prinzen nicht vom Hofe entfernen darf, diesen bis dahin vermeidet. Des Grafen Bristol Einmischung hat die Sache nur verschlimmert, obwol sie mit seiner gewohnten Umsicht geschah. Denn Buckingham hat sich die abscheulichsten Ausbrüche gegen die Gesandschaft des Grafen erlaubt, und der Graf zog sehr richtig, fürchte ich, daraus den Schluß, daß des Herzogs Neid im bösesten Grade erregt sei, in Bezug auf das durch den Grafen so glücklich eingeleitete gute Vernehmen beider Höfe, und daß er dieses Verdienst nicht durch eine Vermählung noch erhöht[213] sehen wollte. Wie dem auch sei, der Hof hat sogleich nach Abreise des Prinzen die Unterhandlungen, um höchst unbedeutender Ursachen willen, fürs Erste bei Seite gelegt, wenn man sie nicht schon jetzt richtiger abgebrochen nennen soll. Graf Bristol fühlt sich dadurch äußerst gekränkt und wünscht, wie natürlich, irgend einen neuen Anknüpfungspunkt aufzufinden. Hierzu möchte er durch Euch einige Nachrichten erhalten, die ihm jetzt wichtig werden könnten.

Durch mich? fragte die Herzogin fast spottend. Wie kann ich meinem theuern Vater, entfernt vom Hofe, gehüllt in Trauer, über diese Angelegenheiten, die auch den dort Lebenden nicht immer klar sein mögen, den geringsten Aufschluß geben? Nein wahrlich, ich kann nur als Tochter und Engländerin seinen Unwillen theilen, aber ihm Licht über das Dunkle dieser Sache zu geben, ist außer meinem Bereich. –

Es beziehen sich die Nachrichten, die der Graf wünscht, auf die Reise meines theuren Bruders, Euers Gemahls. Der Graf, dem über die eigentliche Ursache Zweifel entstanden, glaubt bei dem ausgezeichnet vertrauten Verhältniß zu Euerm Gemahl von Euch Näheres erfahren zu können. –

Schwermüthig sank der Kopf der Herzogin nieder, und mit einem Seufzer hob sie an: Mylord, Ihr berührt hier eine schmerzliche Erinnerung! Mein Gemahl durfte von mir einer Treue gewiß sein, die seine Geheimnisse, so er mich würdigen wollte, sie zu theilen, zu einem Heiligthume gemacht haben würden, an dem selbst der mächtige und stets ehrwürdige Wille meines Vaters hätte scheitern müssen. Aber ich habe bei seiner unglücklich übereilten und durch nichts gerechtfertigten Reise diesen Vorzug nicht genossen, und ich darf daher nach dem Willen meines Vaters handeln, dessen Scharfblick sich nicht trog, denn auch mir ward es eine unleugbare Gewißheit, daß ihn ein anderes Motiv, als das der Sehnsucht, meinem Vater seinen[214] Sohn vorzustellen, trieb. Er fühlte auch selbst zu wohl, wie wenig mir dieser Grund zur Befriedigung dienen konnte, und er achtete mich und sich zu sehr, um ihn vor meinen Ohren zur Wahrscheinlichkeit aufschmücken zu wollen, wohl wissend, daß mir die Ehrfurcht vor seinem stets reinen Willen nicht erlauben würde, ein Vertrauen erzwingen zu wollen, welches seiner treusten Freundin vorzuenthalten, er wichtige Gründe haben mußte.

Und, rief Graf Archimbald, aufs Höchste gespannt, hatte er kurz zuvor eine seiner gewöhnlichen Zusammenkünfte mit dem Prinzen? Verhehlt mir nichts! Euer Scharfsinn hat Euch können errathen lassen, ob der Prinz vielleicht Einfluß auf seinen Entschluß hatte. Dies grade ist es, was Euern Vater beschäftigt, worüber er von Euch Auskunft hofft. –

Da ich einmal angefangen habe zu sprechen, in der Hoffnung, meinen Gemahl dadurch nicht zu beleidigen, und in der Gewißheit, daß mein Vater stets die Gefühle der Gattin in mir schonen wird, so will ich jetzt, wofern sich auch meinen Worten irgend etwas gegen die Absicht meines Gemahls enthüllen lassen sollte, Euch Alles sagen, was mir selbst davon bekannt werden konnte, ohne die Grenzen überschreiten zu dürfen, die mir wohlanständig waren. Der Herzog empfing in meiner Gegenwart einen Courier vom Prinzen und reiste schon am Abende ab, indem er mir sagte, daß der Prinz ihm Dinge von Wichtigkeit mitzutheilen habe. Es hat in Bezug auf den Prinzen immer unter uns diejenige Zurückhaltung in unsern Mittheilungen geherrscht, die man sich auch in den nächsten Verhältnissen schuldig ist, wenn das Interesse Anderer dabei betheiligt ist, oder eine uns bekannte und nicht auszugleichende Verschiedenheit der Meinungen obwaltet. Ich suchte nie meinen Gemahl von diesen Zusammenkünften abzuhalten, die ihn mir oft und auf lange raubten. Ich fragte nie nach der Zeit seiner Rückkehr, wenn er nicht die Güte hatte sie mir selbst anzuzeigen; aber eine[215] lange Erfahrung ließ mich stets eine Trennung von mehreren Wochen fürchten. Ich ward daher sehr überrascht, als ich ihn den nächsten Tag zurückkehren sah, und der unwillkürliche Schrecken, der mich ahnend zurückbeben ließ, fand sich nur zu sehr gerechtfertigt durch das veränderte Ansehen meines Gemahls. Seine edeln, offenen Züge waren der Verstellung unfähig, und ich sah in ihnen einen sanften Schmerz, einen Ausdruck von Unruhe und eine besorgte Zärtlichkeit um mich, die mir das Herz um so mehr belastet, da ich vergeblich einer Aufklärung entgegen sah. Erst nachdem er sich und mich bis zum andern Tage mit seinem Schweigen beunruhigt hatte, erhielt ich durch die Anzeige seiner Reise nach Spanien eine theilweis traurige Auflösung. Er sagte mir nämlich, er wolle den lang genährten Wunsch meines Vaters erfüllen und ihm Robert vorstellen. Nach diesen Worten schwieg er, und ich mit ihm, denn von dem Augenblicke an ergriff mich der namenlos bittere Schmerz seines Verlustes, und die Qual des Geheimnisses, das über diesem Ereignisse ruhte, zerschnitt mir das Herz. Ich wagte ihn an die Jahreszeit, an die Abwesenheit Richmonds zu erinnern, wodurch der Wunsch meines Vaters nur halb erreicht werden könnte. Er schwieg, nahm liebevoll meine Hand und sagte mit einem Tone der Weichheit, der nie aus meinem Gedächtniß kommen wird: Ich muß dennoch reisen! Ich nahm nun all meinen Muth zusammen und erwiederte ihm: So sei Gott mit Euch, ich werde aller Welt sagen, daß Ihr unsern Sohn meinem Vater vorstellen müßt. Nach dieser Ergebung in seinen Willen sagte er mir tausend Worte der Liebe, die mir seine Dankbarkeit verriethen, daß ich ihn schonen wollte. Aber ich täuschte mich so wenig, als er selbst. Wir wußten bei unserer Trennung, daß wir uns nicht wiedersehen würden; unser Schmerz konnte durch nichts als durch diese Ahnung gerechtfertigt werden. Ihr wißt jetzt Alles. Es blieb mir nie ein Zweifel,[216] daß der Prinz ihn zu dieser Reise bestimmt, zu welchen Zwecken jedoch, ist mir, wie Ihr seht, unbekannt und muß auch meinem Vater unbekannt geblieben sein, denn er kam ja nur zu ihm, um sein Sterbelager zu besteigen.

Graf Archimbald fühlte sich nach der Beendigung dieser Erzählung von Theilnahme und Achtung für seine edle Schwägerin erfüllt; dies verlieh ihm jene Wärme und Güte des Ausdrucks, der, leicht verständlich, dem Herzen so wohlthuend, besonders wenn er von Personen kommt, zu deren Gefühl man sonst schwer Zugang gewinnt. Er hat bei dem wahren und tiefen Ausdruck von Schmerz und Edelsinn, womit die Herzogin gesprochen, fast ganz den politischen Zweck der Sache vergessen, und die gefühlvollen Worte, womit er die Leidende zu ehren wußte, führten diese beiden einander so würdigen Personen für einige Zeit ohne das gewöhnliche Rüstzeug ihres Verstandes zu einander.

Die Herzogin erinnerte ihn selbst an seinen Zweck, indem sie ihn bat, ihr zu sagen, ob ihr Vater aus den letzten klaren Tagen des Herzogs vor der Zunahme seiner Krankheit, die so bald seinen schönen Geist verdunkelte, über seine eigentlichen Absichten habe Schlüsse machen können, und Graf Archimbald theilte ihr nun, theils erzählend, theils lesend, Stellen aus den Briefen des Grafen mit. Der Herzog war erkrankend angekommen, dennoch nach einer kurzen Zwischenzeit, die er dem Erguß der verwandtschaftlichen Gefühle gegönnt, hatte er nach allen, auf die im Werke stehende Vermählung des Prinzen und der Infantin bezughabenden Umständen gefragt. Als aber der Graf seinerseits von ihm, als dem genauesten Freunde des Prinzen, über dessen Stimmung habe Auskunft haben wollen, sei er von ihm auf spätere Mittheilungen verwiesen worden, die nachher nicht mehr erfolgen konnten. Während seiner Phantasien war er stets mit seiner Vorstellung bei Hofe und einer Privat-Audienz bei der Infantin beschäftigt. Zuletzt rief er[217] noch mit qualvoller Angst den Prinzen, bis Alles ohne Deutlichkeit in der Nacht seines zerstörten Geistes untertauchte.

So fürchte ich, hob die Herzogin nach einer Pause an, wird mein Vater seinem eigenen Scharfsinn überlassen bleiben. Aber sagt mir Mylord, so ihr es dürft, ist über die Wünsche des Prinzen, die er, wenn ich offen mich erklären darf, so abenteuerlich durch seine Reise nach Spanien an den Tag gelegt, ein Zweifel? und worüber? und wohin gewendet?

Wie sonderbar und widersprechend es auch erscheinen möge, erwiederte Graf Archimbald, so glaubt dennoch Graf Bristol, daß grade der Prinz in seinem Innern am entschiedensten gegen diese Verbindung ist, daß seine Reise sowol, wie seine Versöhnung mit Buckingham das letzte Mittel war, um eine Störung in diese Angelegenheit zu bringen, ohne durch eine offene Weigerung den König, seinen Vater, zu beleidigen. Der Graf konnte während der ganzen Zeit seiner Anwesenheit den Prinzen zu keiner offenen Erklärung über eine Sache bringen, die ihn doch allein dorthin geführt zu haben schien. Er er zählte dem Grafen unaufhörlich, wie es ihn überrascht habe, in Spanien, das jüngst noch gegen England entbrannt war, bei seiner plötzlichen Ankunft, auf die das Land von Hofe aus unmöglich vorbereitet sein konnte, auf kein Hinderniß oder irgend eine Beleidigung gestoßen zu sein. Es glich dies Erstaunen fast einer getäuschten Erwartung. Ebenso war, bei der übrigen Kälte des Prinzen, sein Verlangen, um jeden Preis die Infantin allein zu sprechen, so dringend, von Buckingham so unschicklich heftig unterstützt, daß man eine geheime, damit verknüpfte Absicht dahinter hätte ahnen mögen; und Graf Bristol wußte es der unüberwindlichen Etikette Dank, daß sie die Sache unmöglich machte. Eben so wenig suchte der Prinz den Zügellosigkeiten Buckinghams entgegen zu treten. Er theilte sie zwar nicht, aber es fiel ihm doch unläugbar zur Last, daß die nächste Person[218] seines Gefolges, und die einzige von Range überhaupt, unter seinen Augen dergleichen wagen durfte. Vergeblich aber war des Grafen Bitte, wenigstens den Herzog von Olivarez zu versöhnen, gegen den der Prinz ein höchst unzeitig beleidigtes Wesen annahm, und diesen stolzen Mann, den des Grafen Bristol unendliche Klugheit uns eben erst gewonnen, zum unversöhnlichsten Feinde umschuf. Der Courier, den der Graf mir mit diesen Andeutungen gesendet, übereilt den Prinzen um einige Tage, da der despotische Wille Buckinghams den Prinzen durch Frankreich wieder zurückführt, als ob er die Höfe Europa's, denen es am vortheilhaftesten scheinen könnte, eine so wichtige Person, als den Thronerben von England, bei sich fest zu halten, diese Probe ihrer völkerrechtlichen Tugend zu seiner eigenen Belustigung bestehen lassen wolle. Jedenfalls bewahren wir der Nachwelt eine seltene Probe unserer Klugheit auf, und einer Lächerlichkeit des Betragens, die uns um ein Jahrhundert vor Elisabeth zurückversetzt, deren Nachfolger zu sein, wir uns doch rühmen wollen.

Der Graf hielt hier inne, er besaß nicht die Pedanterie politischer Geheimnißkrämerei, und am wenigsten vor einer Frau, die ihm eben Proben ihrer Selbstbeherrschung gegeben. Aber er fühlte selbst ein gewisses Unbehagen, die Handlungen ins Licht treten zu lassen, die seinem Altenglischen Herzen so kränkend waren. Er mußte indeß der sehr dadurch beschäftigten Herzogin noch Rede stehen, die nun zu wissen wünschte, ob man ihrem Gemahl dieselbe Ansicht mit Buckingham und dem Prinzen beimessen könne.

Wir können nur Thatsachen an einander stellen, erwiederte Graf Archimbald. So viel dürfte für uns Gewißheit sein, daß der Prinz die Veranlassung zur Reise meines Bruders ward, welches eine ähnliche Absicht anzudeuten scheint, wie der Prinz später so dringend verfolgte. Ebenso scheint die letzte Zeit, wo[219] er sich noch äußern konnte, eine Beziehung zu den Angelegenheiten des Prinzen hinlänglich zu verrathen, wozu ich rechne, daß er sich gegen Graf Bristol über den Prinzen ausweichend äußerte, und daß sein Bestreben gleichfalls darauf ausging, die Infantin allein zu sprechen.

Unmittelbar nach der Nachricht von dem Tode des Herzogs trat dann die Versöhnung mit Buckingham und die Reise des Prinzen ein. So scheint es, daß der Prinz, als der Herzog nicht vollziehen konnte, was er von ihm gehofft, eines andern Vertrauen bedurfte, der ihn dann zur eignen Ausführung antrieb. Doch werdet Ihr selbst einsehen, daß wir hier nur unbestimmte Muthmaßungen haben, eine aus der andern geleitet, aber sämmtlich des Hauptanhalts entbehrend, der Kunde vom unbegreiflichen Zweck aller dieser Anstrengungen! –

O Gott! seufzte hier die Herzogin schmerzlich auf, so wäre also das Glück meines Lebens dennoch an dem Willen des Prinzen zertrümmert, der stets als ein finsterer Geist neben dem Lichtbilde meines Gemahls stand, und mit dem ich das Recht des Besitzes zu theilen stets gewärtig sein mußte. Wir wollen denken, Graf Archimbald, fuhr sie fort, indem sie sich fast geisterhaft bleich von ihrem Sessel erhob, daß in Gottes Hand der letzte Augenblick des Menschen ruht, und ich sage mir, daß dies geliebte Wesen reif war, hin über zu gehen, und hier im Schooße der Seinigen so sicher ereilt worden wäre, wie unter den Beschwerden und Sorgen dieser Reise. Dennoch mag vielleicht stolzes Ueberbieten geistiger und physischer Kräfte schneller den Augenblick herbei führen können, den Gott ohne solche menschliche Verschuldung noch entfernter gestellt haben würde, und vielleicht war das der Fall auch hier. Mylord, o begreift es, wie schwer bei diesen Gedanken mir die Ergebung wird, wie der Gram die schreckliche Zugabe des Vorwurfs gegen die Verschulder desselben erhält![220]

Geht hierin nicht zu weit, Mylady, sagte der Graf Archimbald milde, laßt den Gedanken vorwalten, daß Gottes Hand hier lenkte und bestimmte, und machet den Dienst der Freundschaft, der wol ohne Vorahnung dieser Folgen gefordert und gewährt werden konnte, den Beiden nicht zum Vorwurf, die stets ein wahrhaft schönes Bild dieser reinen Empfindung darstellten.

Es sei so, sagte die Herzogin sich empor ringend, und es mag Zeit sein, den Gedanken ihr Ziel zu setzen, die mich ergreifen wollen über den geheimnißvollen Einfluß, den dieser Freund meines Gemahls auf ihn ausübte. Denn ich darf ja jetzt am wenigsten vergessen, daß die Stelle leer ist, die er zum Schutz und zur Leitung seiner Familie so würdig einnahm, und, setzte sie leiser hinzu, vielleicht sollte ich schon jetzt die Güte Gottes erkennen, die wenigstens sein Herz vor dem Schmerz bewahrte, der mir in der Verirrung meines Sohnes droht, – ach! welch' ein Schmerz wäre das für ihn geworden!

Ihr Blick voll düsterer Melancholie traf hier Graf Archimbald, der trotz aller zarten Theilnahme, die ihm bis dahin gegen die edle Leidende so natürlich gewesen war, dennoch den Schmerz seiner Schwägerin über die Ansichten ihres Sohnes etwas übertrieben finden mußte. Sie gewahrte augenblicklich diese Gedanken, wenn auch fast unmerklich in seinen Zügen ausgedrückt, und wider ihren Willen rief sie wie überwältigt aus: Ich gelte Euch so eben als eine Thörin, die, den Anforderungen ihres Schicksals nicht gewachsen, sie phantastisch vergrößert, ihr Unvermögen damit zu verhüllen; aber könntet Ihr die Größe dieses Schmerzes so durchschauen, wie es mir aufbehalten war, Ihr hieltet mich nicht für ein allzuschwaches Weib.

Und dessen seid in jedem Fall gesichert! Ihr habt mir eben durch Eure verehrungswürdigen Mittheilungen eine Lehre der Mäßigung in Bezug auf die Geheimnisse Anderer gegeben, die[221] Euch zu hoch in meinen Augen stellt, als daß Ihr sie nicht gegen Euch zuerst befolgen möchtet. Aber vergeßt nicht, daß es der Bruder Eures Gemahls ist, der stets mit allen seinen Kräften Euch zur Seite bleibt, und dem Ihr vertrauen dürft, wie der es that, den ich mit Euch so schmerzlich vermisse. –

Der starke Mann zollte hier einen Augenblick dem tief verschlossenen Gefühl seiner Brust einen ehrenvollen Tribut, aber er kürzte gern solche, ihn stets überraschende Momente ab, und Beide trennten sich stumm grüßend, mit dem Gefühl einer erhöhten Achtung und Freundschaft.

Weniger genügend für beide Theile fiel eine Unterredung der Herzogin mit ihrem Sohne aus. Sie hatte nur zu viel Veranlassung, der Menschen-Kenntniß des Grafen Archimbald Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und seine Befürchtung wegen der hartnäckigen Entschlossenheit sanfter Gemüther, die durch Leidenschaften in ihren Empfindungen erhöht sind, zu theilen. Es ward ihr manche, bis dahin noch vorenthaltene Kenntniß der Grenzen älterlicher Macht über die Gewalt individueller Empfindungen, der Ohnmacht des Willens und der Bitte bei anders Fühlenden. Ihre Lage war um so drückender, da ihr nicht vergönnt war, mit der vollen Kraft der Wahrheit zu ihm zu reden. Denn wiewol glühend überzeugt von der Unmöglichkeit der Sache, mußte sie es sich doch versagen, ihren Sohn durch dieselben Gründe zu überzeugen, welche in ihr dies Resultat hervorgebracht. So blieb ihre Lage ihm gegenüber von der Halbheit beschlichen, die kräftige Gemüther um so tiefer verletzt, je nöthiger ihnen stets in Rede, wie in That jene rechtfertigende Consequenz ist, wovon sie sich des oft geprüften Erfolges gesichert wissen. Sie sah ihren Sohn dadurch, daß er seine volle Seele in Wahrheit und ohne allen Rückhalt vor ihr entlud, in einem ihr nachtheiligen Vortheil über sich, und mußte auch das sonstige Uebergewicht ihres Verstandes vor ihm einbüßen, da[222] sein ganzes Wesen, in Liebe erhöht, seinem Geiste eine Glut und Kraft der Combinationen verliehen hatte, die dem kindlich schlummernden früheren Zustande nicht mehr gleich kam.

Ein für die Herzogin namenlos schmerzliches Gespräch mehrerer Stunden hatte sie um nichts ihren Wünschen näher gebracht. Es war noch immer der liebevolle, ehrende Sohn, der treffliche Mensch, aber zugleich ein zum ersten Mal im Leben Wollender, unterstützt in diesem Willen von der ganzen Ueberredungsgabe eines zuerst liebenden Herzens. Dagegen schien die Herzogin wenig Anderes als Vorurtheile und Stolz in die Waagschale legen zu können, und gegen das Ende dieser qualvollen Unterredung mußte sie entmuthigt sich das ihr so neue Geständniß machen, sie sei sich selbst hier nicht genug und ihr Einfluß auf ihn nur noch bedingt.

Sie hatte nur die Versicherung von ihm erlangt, daß er sein Gefühl der Gräfin verschweigen werde, bis die Familie Dorset mit schonender Achtung entfernt sein werde, und bei dieser Bitte fand sie den Sohn so nachgiebig, so durchdrungen von den Anforderungen der Ehre und Wohlanständigkeit, daß sie ihm nicht einmal zürnen konnte, sondern ihn seiner edeln Erziehung vollkommen entsprechend finden mußte. Der Herzog verließ endlich seine Mutter mit weit mehr Hoffnung, als er nähren durfte. Denn er hielt ihren fast erschöpften Zustand für Nachgiebigkeit in seine Wünsche, und für ihn lagen alle Schwierigkeiten allein in der möglichen Beleidigung der Familie Dorset.

Zu einer milden Ausgleichung dieses Punktes hoffte er seine geliebte Großmutter zu bestimmen und vertraute diese Absicht auch der Herzogin, von der er so kindlich liebevoll schied, daß die Thränen der zärtlichen Mutterliebe über das schöne Gesicht des knieenden Jünglings flossen. Aber kaum war er ihren Blicken entschwunden, so rang sich die Klarheit ihres Geistes[223] aus der weichen Betäubung empor, worein ihr Herz sie verstrickt hatte, und der jähe Schmerz, den ihr der Ueberblick der wirklichen Lage der Sache gab, erschien ihr jetzt um so schrecklicher, da die Unterredung, von der sie so viel gehofft, vorüber war und sie sich sagen mußte, sie sei dadurch eher zurück, als dem Ziele näher geschritten. Sie machte sich in ihrer Heftigkeit selbst die bittersten Vorwürfe, ihrem Sohn auch nur einen Schatten von Hoffnung für diese Verbindung gelassen zu haben; sie glaubte sich dem Elende einer Entdeckung ihres Geheimnisses nahe gebracht, und rief in fieberhafter Angst Gott auf ihren Knieen um Beistand an und um Herbeiführung eines Ausweges. Thränen sandte ihr vorerst Gott, und als diese ihr banges Herz erleichtert, stand auch der rettende Engel, den Gott gesandt, ihr zur Seite. Sie hob den Kopf empor, sich von ihren Knieen zu erheben, und stand vor ihrer ehrwürdigen Schwiegermutter, die, von ihr ungehört, das Zimmer während ihres heftigen Weinens betreten und, über den Zustand, worin sie die Herzogin sah, erschrocken, so eben sich ihr genähert hatte.

Die Herzogin fuhr zusammen, und dann mit einem so überspannten Ausdruck zurück, daß ihre starren Augen zu fragen schienen: Bist du ein Mensch? Ach, bist du der Ausweg, um den ich Gott anrief? seufte ihr Herz, und sogleich wiederholten es auch ihre Lippen, und vor der alten Herzogin aufs Neue niedersinkend, rief sie wie begeistert: Du bist es, ja, Du bist es! Dich sendet mir Gott, vor Dir soll ich mein Herz von seiner erdrückenden Bürde befreien, Du bist der Ausweg, den er mir sandte; in Deiner reinen Seele wird sich das Rechte vom Unrechten scheiden, und was sein muß, wird meine rathlose Seele von Dir erfahren. – Sie sprang zugleich mit einer Heftigkeit auf, welche dem krankhaften Zustande zu widersprechen schien, in dem sie sich befand, und war bemüht, ihre erstaunte und bekümmerte Schwiegermutter zu einem Ruhebette zu ziehen,[224] auf dem sie sich sogleich mit einer Hast dicht neben ihr niederließ, welche von der regellosen Aufregung ihres Innern zeugte.

Die alte Herzogin war ihr willig in all' ihren stummen Anordnungen gefolgt, aber die Besorgnisse, die dies seltsame Verfahren ihr gab, raubten ihrem stets gegenwärtigen Geiste dies Mal die Leichtigkeit, sich in lindernden Worten auszudrücken. Sie fühlte sich unfähig, einen Eingang zu dem Vertrauen zu finden, das die geliebte Leidende mit einer räthselhaften Angst und Uebereilung ihr zu schenken bereit schien, und sie blickte blos, in unendliche Liebe und das tiefste Mitgefühl aufgelöst, in die zerstörten Züge der Herzogin. Diese schwieg ebenfalls noch; dicht neben der mütterlichen Freundin sitzend, ihre Hände zwischen den ihrigen drückend, die von Thränen geschwollenen Augen an den Boden geheftet, schien sie von eigenen Gedanken noch zu überfüllt, um reden zu können; sie schien in sich vor allen Dingen die Ordnung herstellen zu wollen, die ihr nöthig war.

Sie hob endlich die Augen zu ihrer Schwiegermutter auf, und ward durch einen Blick in dies liebevoll besorgte Antlitz wie von jeder Qual befreit und in die Arme gezogen, die sich ihr so mütterlich öffneten. Höre mich erst, seufzte sie dann, ehe Du mich thöricht schiltst; aber höre mich! Länger kann ich die Qual dieses Geheimnisses allein nicht tragen, ich bedarf auch Deines Beistandes, und Du hast ja fast dasselbe heilige Interesse, wie ich selbst, geheim zu halten, was ich Dir sagen muß. Aber dennoch, setzte sie bang und flehend hinzu, dennoch kann ich nicht eher das mir gethane Gelöbniß ewiger Verschwiegenheit brechen, ehe Du nicht großmüthig Dich meiner Angst erbarmst und mir heilig gelobst, das, was ich Dir sagen muß, als unverbrüchliches Geheimniß in Dir zu bewahren, so, als hätte Dich nie eine Ahnung davon erreicht.

Alles gelobe ich, was Dich, mein armes Kind, beruhigen kann, sagte schnell die bekümmerte alte Dame, und bin gewiß,[225] Du wirst mir nun ohne Sorge vertrauen und mich die Bürde mit Dir tragen lassen, die Dich so grausam zerstört. O eile, geliebtes Kind, Dein Herz zu erleichtern, und Gott wird mir Kraft verleihen, Dir eine wahrhafte Stütze zu sein.

Ach, seufzte die Herzogin, wie weit in die Vergangenheit muß ich zurückgehen, denn wie sehr ist das, was ich Dir sagen will, in das Gewebe meines ganzen Lebens mit einem unabgerissenen, mir allein stets sichtbaren Faden verflochten. Wie hat es mit seinem stillen und doch unläugbaren Dasein mir den Muth zur Klage, wie zum völlig reinen Genusse des Lebens geraubt! O, wie tief fühle ich seinen Einfluß auf mein ganzes Wesen, wie ließ es in mir die Fehler ergrauen, von deren Dasein ich zu meiner Qual mir stets bewußt blieb, während ich ihnen doch die Herrschaft wieder gönnte, die mich zu verhärten schien gegen die geheimen Schmerzen dieser Brust. Mutter, wenn es ein Frevel werden kann, ein menschliches Wesen zu sehr zu lieben, so hab' ich ihn vielleicht begangen; aber, den ich so über alle Grenzen hinaus liebte, – es war Dein Sohn, und an Deinem Herzen rufe ich um Nachsicht.

Du weißt, daß mein verehrungswürdiger Vater nach dem Tode meiner Mutter das zehnjährige Mädchen ganz in seine Obhut nahm, nur Mistreß Morton blieb mir als weiblicher Schutz zur Seite, und sie war, obgleich noch jung und schön, doch nur in der Liebe zu mir lebend, allen den Pflichten vollkommen gewachsen, die mein Vater ihr mit vollständigem Vertrauen übertrug. Wir theilten jede Stunde, die ich entfernt von meinem Vater lebte, aber dem früh vereinsamten Manne war es süßer Trost, das einzige Andenken seiner Liebe um sich zu haben, und meine Tage schwanden in dem Studirzimmer des Vaters hin in wortkarger Einförmigkeit. Der Ernst dieses Lebens widerstrebte jedoch meiner Sinnesart nicht; ich fügte mich nicht allein, sondern ich ahmte bald in Wort und Zeichen[226] einen Ernst und eine Würde nach, die mein Vater in seiner reichen Natur mit einer heitern Lebendigkeit des Geistes und einer zärtlichen Empfänglichkeit des Herzens verband. Von dieser war mir nur wenig verliehen, und sie wurde daher unter seinen Eigenschaften leichter von mir übersehen, als sein Ernst und sein Stolz, der in meinem Gemüthe reichern Anklang fand. Alle meine Umgebungen huldigten bald den Anforderungen dieses jugendlichen Dünkels, der mich bei der Strenge meines Karakters nie zu Bedrückungen verleitete, die im Stande gewesen wären, meinen Vater aus dem zärtlichen Liebestraum über die Vorzüge seines Kindes zu wecken. Meine theure Morton war das lindernde Prinzip. Sie liebte ich, und an ihrer zärtlichen Brust verschwand der Ernst, den ich überall fest hielt; ich ward jung in ihrer wohlthätigen Nähe und lernte weiblich fühlen. Vielleicht schon damals stimmte der bloße Name des Mannes, den ich später so grenzenlos lieben sollte, mein Herz so empfänglich für Mortons weiblich heitere Gespräche, denn sie, von den Plänen zu dieser Vermählung unterrichtet, bereitete in sorgloser Geschwätzigkeit mein Herz zu diesem Glücke vor. Mein Vater, der seit dem Tode meiner Mutter dem öffentlichen Leben standhaft entsagt hatte, bis zu meiner Vermählung, glaubte endlich mit Deinem Gemahle, der Augenblick hierzu sei gekommen. Morton sagte mir, daß beide Familien ihre Kinder bei Hofe vorstellen wollten und ich den sehen würde, der in mir seine Braut zu finden hoffte. Aehnliches, obwol ferner angedeutet, sagte mir mein Vater, und ich zürnte jedes Mal dem ungestümen Schlage meines Herzens, als der stolzen Würde widersprechend, die überall zu behaupten ich mir auferlegt. Ach, nur zu bald und immer mehr ward dieser angenommene Grundsatz in mir erprobt. Wir sahen uns, nachdem ich zuerst Deinen Segen, als von der Freundin meiner Mutter, in Deinem Hause empfangen, zuerst am Hofe. Obwol der Augenblick, wo ich[227] zuerst ihn sah, mir deutlich ist, als wär's der gegenwärtige, könnte ich Dir doch die stürmische Gewalt nicht schildern, womit auf ewig sich dies heißgeliebte Bild in meine Seele senkte. Was ich gehofft, geträumt, geahnet, lag wie ein Schattenbild, verschmolzen mit dem ganzen Zeitraum der Jugend, den ich durchlaufen, wie leblos hinter mir. Er nahte mir, sein hold leuchtendes Auge erreichte wie ein unendlicher Wohllaut mich, wir redeten, und tausend Mal gab ich an diesem Abend ihm die Seele hin. Als bei der Rückkehr mich der Vater mit einem Segenskusse lächelnd von sich ließ und Morton mir am Eingange meiner Zimmer bewegt entgegeneilte, trat sie erstaunt zurück, die Arme, die ich ihr entgegenstreckte, erreichten sie nicht, denn sie schien ungewiß, ob ich es sei, und trat nun, mich zu sehen, vor meiner Umarmung zurück; aber ich suchte das liebevollste Herz, und mit einer an Triumph grenzenden Freude rief ich ihr zu: Ich habe ihn gesehen! – Welche Tage begannen nun! Ach, es waren nur wenige, aber selige Tage. – Auch Ihr theiltet wol in älterlicher Zärtlichkeit die Bestätigung Eurer Hoffnungen. Denn nahte Robert mir auch nicht in Liebe, war ich doch die Liebste in dem weiten Kreise des Hofes ihm, und ich, so sicher ihn als mein betrachtend, ersetzte mit dem Reichthum meiner Empfindung die Lücken, die damals sich schon hätten finden lassen. Da rief der König die Familie seines übermüthigen Lieblings an den Hof, und Ihr wißt, was da geschah. Aber die Qualen meines Innern blieben Euch und aller Welt Geheimniß. An jenem Abend, wo die schöne Schwester des Herzogs von Buckingham am Hofe erschien, geschah in meinem Innern eine gewaltsame und fürchterliche Umänderung. Ich kann sagen, daß meine Entwickelung, gehemmt und für immer aus dem schönen Reiche sanfter, leidenschaftsloser Weiblichkeit verdrängt, den kalten Mächten wieder anheim fiel, denen die Liebe mich entzogen, vielleicht für immer entzogen hätte,[228] wäre es mir beschieden gewesen, sie zu der ungetrübten, tugendhaften Höhe führen zu können, deren sie werth und fähig war. Aber gestört, so grausam gestört, bei so grenzenloser Hingebung, war mein Karakter nicht geschaffen, in Milde diesen heißen Schmerz zu wandeln, und ich bin es mir bewußt, daß ein ganzes folgendes Leben, reich an süßem Glücke und jeglicher Befriedigung, den jähen Umsturz meiner damals keimenden besseren Natur nicht wieder ins Gleiche bringen konnte.

O Mutter, wende Dich nicht von mir, rief die Herzogin hier in Thränen der sichtlich erbebenden mütterlichen Freundin zu, und zürne nicht, daß ich Dich zum Beichtiger meines ganzen Lebens mache. Das Andenken dieser Tage, ja, das nie vordem Geschehene, daß meine Lippen zur Enthüllung ihrer Leiden sich öffnen, reißt mich mit sich fort, daß ich, so innig Dir vertrauend, so nie von Dir zurückgeschreckt, nicht mehr verhindern kann, zu sagen, was mir in trauriger Erkenntniß meiner selbst nur zu oft zur schmerzlichen Gewißheit wurde.

Kaum hatte diese Schönheit sich gezeigt, so sah an meiner Seite ich an Robert die Wirkung, die bald Allen kein Geheimniß blieb. Ach, der mich durch sich gelehrt, was Liebe sei, ließ jetzt an sich dasselbe mich erkennen, von einer Andern eingeflößt, was ich in jeder Beziehung allein von ihm zu fordern berechtigt schien! Ich kam nach einem kurzen Wehe namloser Schmerzen schnell zur Ueberzeugung, daß ich verloren sei, daß der, den ich noch wenig Stunden früher mit jubelndem Entzücken mein Eigenthum genannt, von mir gewendet war, mich völlig zu sehen aufgehört. Sorglos, wie ein Kind den Schmetterling erjagt, und vor und neben sich nichts mehr gewahrt, den Blick allein gefesselt an das Ziel, so folgte er den Schritten dieser Gräfin Buckingham, als wäre dies das einzige ihm aufgegebene. Geschäft des Lebens. Denkt Euch, daß hier zuerst jene wilde, dämonische Feindin unserer Ruhe, die Eifersucht, in mir aufstand; daß mir ein unaussprechliches Gefühl von[229] Kälte gegen der Gräfin leuchtendes Verdienst, ein bitteres, stolzes dünkelvolles Etwas die Seele völlig trübte; denkt Euch, daß ich vergeblich Roberts Wiederkehr harrte, daß ich den wilden Buckingham, unfähig in meiner schmerzlichen Auflösung, die frühere stolze Kraft ihm entgegen zu stellen, durch mein sterbendes Stammeln zu einem kühnern Betragen berechtigte, und malt Euch dann den Zustand, worin ich bei der Rückkehr leblos meiner edlen Morton in die Arme sank. Ich brachte die Nacht am Rande des Wahnsinns zu. Morton erfuhr nur langsam, unter Convulsionen, die seitdem mir blieben, das eben Erlebte, und nur der Hoffnung, die sie mehr liebevoll, als klug in mir wieder zu beleben wußte, verdankte ich die Wiederkehr meines Verstandes und den Entschluß, ferner am Hofe zu erscheinen, ganz entgegen meiner ersten heftigen Entschließung. Ach, ich kehrte wieder, um mit jedem Male gewisser von meinem Unglück mich zu überzeugen. Ich erhielt von diesem Augenblick nicht einen seiner holden Blicke mehr. Er ehrte mich nur mit brüderlichem Wohlwollen, während ich die glühend heiße Liebe, deren er fähig war, an ihr erkennen mußte. Sie, die unter den sie umrauschenden Huldigungen kaum einen Blick, ein Lächeln für den übrig fand, der, diese seltene Gunst nicht zu entbehren, doch an den Saum ihres Kleides gefesselt, verloren für die ganze übrige Welt, sich kaum der Existenz bewußt war! Meine Nächte brachte ich in Thränen in Mortons Schooße hin, aber wenn der Tag und die Stunde erschien, wo der Hof sich versammelte, dann rief ich allen Geschmack der Mode herbei, meine nach und nach verfallende Gestalt, meine bleicher werdenden Wangen gegen den Verdacht eines Grams zu schützen. Denn gewaltig war mein Stolz erwacht. Verschmäht zu sein im Angesicht des ganzen Hofes, als verschmäht bezeichnet durch die kühnen Schritte Buckinghams, ach, selbst von Deiner zarteren Liebe und den schwermüthigen Blicken meines Vaters als so bezeichnet, war es die Aufgabe, die ich mir stellte, wenigstens[230] über meine geringe Theilnahme an dieser Kränkung keinen Zweifel übrig zu lassen. Die Ueberreizung, in die ich so nothwendig kommen mußte, gab mir, wenn der oft fürchterliche Schritt aus meinen Gemächern gethan war, eine größere Leichtigkeit und mehr Leben und anscheinende Heiterkeit, als wol früher, wo ich natürlich sein durfte.

So trat die Trauerzeit ein, die auf den Tod des Prinzen Heinrich folgte. Der Hof hatte aufgehört, in Festen sich zu vereinigen, die Trauer hob jede Verbindung auf. Nur die befreundeten Familien sahen sich ohne Geräusch, und ich sah Dich in Deinem Hause, aber nie mehr dort Deinen Sohn, der den Prinzen nicht mehr verließ. Doch diese Zeit gänzlicher Trennung belehrte mich erst vollständig über die Stärke meines Gefühls für ihn; denn ihn nicht zu sehen, erschöpfte all' meinen Muth. Es gab Augenblicke, wo ich mir denken konnte, daß ich das Leben eher ertragen würde, wenn ich ihn selbst als Gemahl dieser Buckingham nur sprechen könnte.

Die Trennung raubte mir all' die Energie, mit der ich mein Leiden beherrscht hatte. Es kam eine bittere, tödtende Verzweiflung über mich; in London blieb ich nur, weil dieselbe Stadt auch ihn noch umfing. So, theure Mutter, fühlte ich mich, als mir Morton den Grafen von Derbery anmeldete, der mich um eine geheime Unterredung bitten ließ. Ich war so überwältigt von der Aussicht, ihn zu sehen, daß ich fast an das Auffallende dieser Bitte nicht dachte. Morton entfernte sich. Ich hörte ihn eintreten, ich blickte nach ihm hin und sank mit einem Schrei in meinen Stuhl zurück; denn aus dem blühenden, hochgefärbten Jünglinge mit dem jugendlich lachenden Antlitz war ein bleicher, ernster Mann geworden, in dessen frischen Zügen der Schmerz seine ersten Furchen gezogen hatte. Er sah mein Erschrecken, aber er ließ sich auf keine Deutung ein, sondern lag im selben Augenblick zu meinen Füßen und flehte mich an, die Wünsche unserer Familie zu erfüllen und ihm meine Hand zu reichen.[231]

Ich war sprachlos vor Erstaunen, und Liebe und Stolz kämpften hart in mir, aber nur zu wohl fühlte ich, daß Liebe ihn nicht zu mir geleitet, und ich raffte all meinen Muth zusammen, ihn von mir zu weisen. Nach diesen ersten Worten gewann ich das volle Uebergewicht meines beleidigten Stolzes, ich hielt ihm in kalten Worten seine völlige Entfremdung von mir vor, ich erinnerte ihn endlich, gesteigert in Schmerz und Zorn, an seine Liebe zur Buckingham, die der ganze Hof mit mir gesehen. O Mutter! ich glaubte, ich hätte ihn mit diesen Worten getödtet; sein Kopf sank in seine Hand, seine Figur brach zusammen, und ein krampfhafter Laut entglitt seinen todtenbleichen Lippen. Dieser Anblick entriß mich all meinen stolzen Vorsätzen; ich eilte auf ihn zu, ich zwang ihn, sich nieder zu setzen. Ich hätte jetzt zu seinen Füßen sinken mögen, und was der nächste Augenblick mich hätte thun lassen, mag ich nicht bedenken. Aber er erholte sich und zeigte sich nun in der ganzen Glorie seiner edeln wahrhaften Natur! Er selbst gestand mir jetzt seine Liebe zur Gräfin Buckingham, und daß sie in ihm noch jetzt lebe, wo er mich um meine Hand bitte: aber unüberwindliche Hindernisse, die er mir jedoch nie nennen dürfe, trennten ihn von der Gräfin. Nie könne sie seine Gemahlin werden, und diese Ueberzeugung hätte ihn von all seinen Wünschen geheilt und zu der heiligen Pflicht zurückgeführt, welche verehrte Verwandte so großmüthig und beglückend für ihn ersonnen. Er fragte mich, ob ich es wagen wolle, ihm zu vertrauen; er sagte mir, daß er mich höher achte und verehre, als alle andern Frauen der Erde; daß nur dies Gefühl ihm Muth gegeben zu dem außerordentlichen Schritte, den er gewagt zu thun; daß er nur an meiner Seite, nur in Erfüllung dieser Pflicht, nur indem er sich bestrebe, Alles zu vergüten, was er verschuldet, Ruhe finden könne, nur Glück hoffen dürfe, wenn ich ihn aufnähme, und mit schwesterlicher Liebe sein Herz dulden und heilen wolle. Er erinnerte mich an die Wünsche unserer[232] Eltern, die wir dadurch zu beglücken vermochten, und ich – liebte! Was er mir bot, sicherte mir fürs Leben seine theure Nähe! Was er mir entdeckt, erhöhte nur meine Achtung für ihn, und gab meiner Seele das süßeste Vertrauen zu den Versicherungen hochachtender Freundschaft, die nach der trostlosen Verarmung, in der ich mich gefühlt, so unendlich viel mir schien. Mein Stolz war für den Augenblick verschwunden, er empfing mein Jawort, und Du weißt es, daß der König, von beiden Vätern angesprochen, noch denselben Tag seine Einwilligung gab; doch was Du vielleicht nicht so bestimmt weißt, erfahre es jetzt: Buckingham erschien eine Stunde später bei mir, bot mir mit der vollen Sicherheit eines verzogenen und eiteln Mannes seine Hand. Mit welchem innern Triumph durfte die Braut des Grafen von Derbery ihn jetzt zurückweisen! Wie genoß ich das Erstaunen, womit er aus meinem Munde den Grund seiner Zurückweisung erfuhr!

Es war ein kurzer, sehr unweiser Triumph, der die schrecklichsten Folgen hatte, indem er diesen verzogenen Mann zum Wütherich machte. Er hielt seine Schwester für entehrt, weil die Welt sie mit Robert verlobt dachte, welchen er nun überdies für die Ursache seiner eben erlebten Zurückweisung ansah. Erst mißhandelte er die unglückliche Schwester; dann suchte er in Wuth den Grafen auf, und Du weißt, daß sein damaliges Verfahren ihm eine kurze Verweisung und ein Duell mit meinem Verlobtenzuzog.

Wir wurden vermählt. Du und Dein Gemahl gingen nach Spanien, wir nach Godwie-Castle. Dein Sohn war ein Engel. Ach, nicht ohne Vorwurf kann ich dagegen an mein Betragen denken. Ich besaß ihn jetzt, und dieses heiße Verlangen meines Herzens war erfüllt; aber es lebte in mir fort, daß er aus Liebe sich mir nicht vermählt, und daß ich allzu rücksichtslos mein glühend Herz ihm hingegeben. Mein Stolz erwachte, ein nie zu tödtender Verdacht lebte in mir auf, und Geringes war genug, mich ungerecht gegen ihn zu machen oder[233] mich im Geheim den heftigsten Zuständen der Eifersucht zu überliefern. Jetzt werde ich Dir sagen müssen, theure Mutter, was zur Nahrung dieser unglücklichen Empfindung diente, damit nicht allzu hart meiner eigenen Thorheit die Leiden anheim fallen, die heimlich an mir nagten.

Gewiß weißt Du, daß des Prinzen auffallendes Betragen bei unserer Vermählung zu tausend thörichten Vermuthungen Anlaß gab, gewiß bleibt es, daß der Prinz bis zur Wuth gerieth, bei der ihm von Robert selbst gebrachten Nachricht seiner Wahl: aber der Grund blieb mir so fremd, wie jedem Andern. Da verrieth ein Zufall mir, daß vor unserer Vermählung der Graf mit dem Prinzen die Gräfin von Buckingham, die ich auf ihren Gütern glaubte, in der Nähe von London, in einem dem Prinzen gehörigen Schlosse, gesehen hatte, und daß sich dann Alle nach verschiedenen Seiten hin mit großem Schmerz getrennt. Es war an meinem Hochzeitstage, als eine meiner Frauen beim Ankleiden mir, unbefangen schwatzend, dies erzählte, was die Kastelanin jenes Schlosses, ihre Tante, ohne Arg ihr mitgetheilt. Mein Herz erstarrte und umzog sich mit einer Rinde; ach, wie viel verschuldete dieser Augenblick.

Vergeblich hoffte ich hierüber eine Erklärung von meinem Gemahl; er schwieg, ja, er wich der Gelegenheit, die ich ihm gab, sich zu erklären, mit Aengstlichkeit aus. Einige Jahre gingen darüber hin, in denen sich mein Glück immer mehr zu befestigen schien; aber wie innig ergeben mir auch mein Gemahl war, ich ward nie ganz frei von den Unruhen des Verdachts. Reisen von einigen Tagen, deren Ursache er verschwieg, Briefe, die ein Bote brachte, der in den Zimmern meines Gemahls blieb, bis dieser ihn selbst mit Briefen zurücksendete, ließen mir stets die Ueberzeugung eines geheimen Verhältnisses, das er meinen Blicken entzogen wünschte, und welches für mich nur die eine unglückliche Deutung zuließ, die meine eifersüchtigen Qualen vermehrte. Vergeblich zogen Liebe und Achtung für[234] den stets mir verehrungswürdiger erscheinenden Gemahl mich von diesem beleidigenden Verdachte ab; mein Herz krankte an ihm fort. Wir waren auf Euern Wunsch nach London gegangen und brachten schon Richmond, unsern zweiten Sohn, mit uns, während ich noch eine neue Hoffnung nährte. Mein Gemahl zeigte hier eine gesteigerte Unruhe, die an Bekümmerniß grenzte, und die durch nichts aus unserm Verhältnisse zu erklären war. Es herrschte nicht die unbefangene Offenheit unter uns, die eine Bitte oder Frage unter solchen Umständen wagt, denn jedes Unverständliche beantwortete mein unglücklicher Verdacht stets so genügend, daß ich mir großmüthig erschien, an ihn keine Frage zu thun. So hörte ich es auch mit bitterem, aber ihm völlig verborgenen Schmerze, als er mir abermals eine kleine Reise ankündigte, deren Dauer er nicht bestimmen könne. Nach einigen Wochen empfing ich von ihm einen zärtlich innigen Brief, worin er mir acht Tage später seine Rückkehr ankündigte. Denselben Tag ließ sich der Juwelier meines Gemahls bei mir melden, und da ich ihn nicht annehmen wollte, brachte mir Morton die von meinem Gemahl bestellten Armbänder. Es waren zwei Brillant-Armbänder, deren ausgezeichnete Schönheit und ganz wunderbare Arbeit mir so auffallend war, daß ich sie lange Zeit mit der Hoffnung betrachtete, es sei eine mir von meinem Gemahle zugedachte Ueberraschung. Aber nicht lange überließ ich mich dieser ruhig beglückenden Vorstellung. Wohin sich meine Gedanken aufs Neue verirrten, könnt Ihr denken. Morton mußte die Armbänder zurücktragen; dem Juwelier, welcher betheuerte, der Herr Graf habe sie selber so ausgesucht und die Zeichnung verändert, um einige kostbare Juwelen noch hinzuzufügen, wurde das strengste Verbot auferlegt, nicht die Uebersendung an mich zu entdecken, da mein Gemahl mich damit zu überraschen dächte; und der Juwelier, der selbst eigenmächtig gehandelt hatte, indem ihm von einer Ablieferung nichts geboten war, hielt um so sicherer Wort.[235]

Er kam zurück mit der alten Liebe, strahlend von Güte und Zärtlichkeit, sorgsam und edel für mich und Alle, die ihm anvertraut, – aber ich empfing die Armbänder nicht. Morton gab mir die traurige Gewißheit, daß sie wieder in die Hände meines Gemahls gekommen waren, der Juwelier hatte es ihr voll Freude erzählt, und Morton, die sie nun am selben Tage in meinen Händen glaubte oder die Freude mir doch nahe wähnte, sagte mir, daß mein Gemahl sie selbst abgeholt habe.

Wir kehrten nach Godwie-Castle zurück. Doch mein Gemahl, welcher Pferde in London gekauft und sie mit sich führen ließ, hatte mit einem derselben kurz vor Godwie-Castle einen Unfall, der ihn heftig am Kopfe beschädigte. Er ward nach seinen Zimmern gebracht; da Stanloff aber in dem Schlafzimmer bei nahendem Abende das Licht fehlte, die Wunde zu untersuchen, ward mein Gemahl in dem angrenzenden Saale verbunden. Ich entfernte mich während dessen auf die dringende Forderung Stanloff's wegen meines Zustandes, aber nur bis zu seinem Schlafgemache, wo ich ihn erwarten wollte, und zwar ließ mich Schmerz und Sorge, die ich empfand, Niemanden mir zur Seite dulden. Ich war allein und lehnte dem Bette gegenüber an eine mit Schnitzwerk bekleidete Wand, und unruhig in meinen Bewegungen, matt und abgespannt von Sorge, ergriff ich eine vorspringende Blume in den Verzierungen, um mich daran zu halten. Aber wie groß war mein Schrecken, als sie nachgab, das Getäfel hinter mir sich in die Wände schob und mich, die Schwankende, fast zur Erde geworfen hätte. Ich eilte den Lehnstuhl an dem Bette meines Gemahls zu erreichen und sank so ermattet hinein, daß ich meine Augen schloß. Aber die Furcht, ihn, wenn er mich so fände, zu erschrecken, raffte mich auf, ich richtete mich empor, ich schlug die Augen auf. O Gott, was erblickten sie! Eine weiße hohe Gestalt, mit Blumen geschmückt, in dem Glanze einer mir nur zu wohl bekannten Schönheit, schien aus dem aufgedeckten Raume der Wand zu[236] mir hernieder zu schweben; ja, Mutter, es war das völlig gleiche Bildniß der Gräfin von Buckingham, welches dem Bette meines Gemahls gegenüber mich anlächelte, und welches Du heute noch auf derselben Stelle finden kannst. Ich weiß nicht, wie es kömmt, daß oft der größte Schmerz, der unser Leben zu zerstören droht, uns eine Wiederbelebung geben kann, die uns, im Falle der Nothwendigkeit zu handeln, physische und geistige Kraft dazu verleiht. Es ging ein kurzes Gelächter, das mich vor mir selber schaudern ließ, aus meinem Munde; dann fiel mir ein, das Bild wieder zu verhüllen. Ich stürzte auf die Wände zu und erkannte die Blume, welche mich die Entdeckung machen ließ. Es gelang; die Wände fügten sich so leise und fest in einander, daß nichts verrathen ward, und ich stand vor der Wand, die dies Geheimniß barg, als hätte ich geträumt. Als man meinen Gemahl in sein Bette führen wollte, lag ich auf dem Boden ohne alles Leben. In der Nacht gebar ich Arabella; ein hitziges Fieber schloß sich daran und brachte mich an den Rand des Grabes. Als mein Bewußtsein wiederkehrte, erkannte ich meinen Gemahl und Morton. Er hatte seine Wunde nicht in seinem Bette, sondern an dem meinigen geheilt, wo er Tag und Nacht mit Morton mir zur Pflege gewesen. Ach, meine Phantasien mußten ihm oft meine geheimen Qualen verrathen haben! Wir erklärten uns dennoch nicht, und Mortons Lippen waren versiegelt. Aber nie hat ein menschliches Wesen ohne Worte beredter zum Herzen gesprochen, als mein Gemahl; sein ganzes Wesen flehte Verzeihung, sein ganzes Thun bezeugte Liebe und Treue. Ja, ich hätte von da an mich glücklich nennen können, hätte der Prinz, der uns nun besuchte, nicht mir als ewig störender böser Geist dagestanden, da er nicht abließ, meinen Gemahl zu Reisen zu verführen, die mich nie ohne schmerzlichen Verdacht ließen. Ich wußte nämlich, die Gräfin von Buckingham war unvermählt geblieben und hatte das Schloß bezogen, das dem unsrigen zunächst gelegen ist.[237] Muß ich mich nun auch überzeugt halten, daß der Prinz die Veranlassung zu jener geheimnißvollen Reise nach Spanien ward, die uns auf immer trennte, und bedenke ich, daß meines theuern Gemahles ganzes übriges Leben keinen Schatten des Vorwurfes zuließ, war er auch in dem einen, mir Kummer und Verdacht erregenden Punkte zu fehlen im Stande gewesen – so sagt mir eine innere Stimme, dem Hasse verwandt, dieser Prinz leitete und beförderte das einzige, was ihm zum Vorwurfe gereichen kann. –

Theures Kind! unterbrach hier die alte Herzogin ihre Schwiegertochter, welche diese lange und angreifende Erzählung mit einem Eifer und einer Glut der Gefühle bis hierher geführt hatte, die kein Wort dazwischen einzuschalten zuließ, theures Kind, wie tief erschüttern mich Deine Mittheilungen! Wie schmerzlich und als ein Versäumtes will mir die Vergangenheit erscheinen! So habe ich mich in der Hoffnung Euers ungetrübten Glückes gewiegt, indeß Dein edles Herz so manchen geheimen Schmerz erlitt um meinen Sohn, der mir jetzt mit dem besten Theile seines Daseins in ein unheimliches Dunkel gehüllt erscheint! Großmüthiges edles Wesen, das lieber den Schmerz in sich durch Verschließen verdoppelte, als den dennoch geliebten Gemahl in den Augen Anderer herabgesetzt sehen wollte! Auch als Mutter fühle ich mich Dir so innig verpflichtet; Du hast in Wahrheit meinen geliebten Sohn beschützt. –

Und habe ich das, gleichviel ob in Wahrheit oder nur in Euerm liebevollen Glauben? rief hier lebhaft die Herzogin, habe ich das bisher allein und in eigener Kraft? O, so kommt mir nun zu Hülfe, da mein Werk noch nicht vollendet, da, nachdem sein geliebtes Leben an meiner Seite mich nicht mehr stärken und jedes stille Opfer versüßen kann, mir doch noch das größere und schwerere auferlegt ist. Mutter! sagte sie leiser mit strömenden Augen und glühenden Wangen, die unstäten Blicke umhergleiten lassend, Mutter! das Mädchen, das der Wille des Himmels mich retten ließ, das ich todt zu meinen Füßen fand, sie, die[238] wir Gräfin Melville nennen, ist – wenn Gott nicht ein Wunder schickt, einen Lichtstrahl, um die dunkeln mir jetzt nicht erkennbaren Wege zu erhellen, ist seine und der Gräfin Buckingham Tochter!

Ein Schrei entfuhr den Lippen der alten zitternden Mutter, und die Herzogin drückte ihr erhitztes Haupt in den Schooß der unglücklichen Greisin; aber sogleich fuhr sie wieder empor. Zu heftig war sie erregt, sie konnte noch keinen Ruhepunkt finden, und wenig den heftigen Eindruck berücksichtigend, den sie bei ihrer Zuhörerin hervorgerufen, fuhr sie immer schneller fort: Ein Blick auf diese Züge, obwol noch von Ohnmacht entstellt, zeigte mir eine so völlige Gleichheit mit denen jener schönen Gräfin, daß ich wähnte, sie selbst zu sehen; aber kurzes Nachdenken ließ mich erkennen, daß die Zeit ihr nicht still gestanden haben könne, und daß dies schöne Wesen vor meinen Augen noch in der zartesten Jugend sei. Da ergriff mich ein unaussprechliches Gefühl. Wenn sie es nicht selbst ist, so kann es nur ihre Tochter sein, so riefen alle Stimmen meiner Brust. Aber mehr noch, als dies, nenne es Ahnung, nenne es den nie bekämpften Argwohn dieses Herzens, daß sie auch seine Tochter sei, das tönte zugleich ohne Aufhören in mir, und dies Gefühl leitete all' meine Schritte. Ach, ich hatte ein ahnendes Herz! Als man sie entkleidet, brachte mir Morton mit allen Zeichen schwer bekämpfter Unruhe die Juwelen, die man an ihr gefunden. Da sahen meine Augen die Armbänder wieder, die mein Gemahl so kunstreich bestellt hatte, die mir vom Juwelier überbracht waren, und die man nicht verwechseln kann, wenn man sie je gesehen. Auch Morton hatte sie erkannt; aber die edle bescheidene Freundin ehrte meine stummen Gefühle. Als ich sie entlassen, öffnete ich ein Portefeuille, was dazu gehörte. Ich fand einen unvollendeten Brief mit der Adresse an meinen Gemahl; er enthielt nur diese Worte: Der Tod ereilt mich, eile und rette unser Kind, ehe es in die Hände meiner Brüder fällt! O, warum wird mir nicht der Trost, in[239] Deinen Armen zu sterben, und warum suchen Dich meine Gedanken überall vergeblich, so lange ohne Nachricht. – Hier hörten diese Zeilen auf, die in der höchsten Erschöpfung geschrieben schienen. Dabei lagen zwei Wechsel, jeder von tausend Pfund, auf den Banquier meines Gemahls. Ich habe den Brief herausgenommen. Zu diesem Dokument seiner Verirrung durfte ich mich als Erbin erklären. Doch wären mir noch Zweifel geblieben, was wohl unmöglich ist, so hat Gaston übernommen, mich völlig zu enttäuschen. Er entdeckte und erkannte sie, und war dann nicht mehr von ihr zu trennen. Aber vor meinen Augen wiederholte sich die Erkennungsscene, und sie selbst nannte, ihn mir als den steten Begleiter der beiden einzigen Männer, die je ihre Tante besuchten. Außerdem sendete ich Stanloff, auf dessen schweigsame Treue ich bauen kann, nach dem Schlosse der Gräfin von Buckingham, und alle Anzeichen treffen hier vollständig mit der Erzählung des unglücklichen Mädchens überein; aus diesem Schlosse ist sie entflohen! Ach, und trotz alle dem, wirst Du es glauben, trotz dieser Zeichen, deren eins schon mich überzeugen mußte, dennoch hoffte ich auf Rettung von dieser Ueberzeugung! Daher meine Hoffnung, Archimbald solle ihren Oheim kennen; darum die Pläne, in die ich einging, Näheres von ihrer Geburt zu erfahren, und dann wieder die qualvollste Angst, diese Nachforschungen würden die von mir so gefürchtete Wahrheit ans Licht führen. Graf Archimbald erkannte sie überdem schon als das Ebenbild der Gräfin Buckingham; dies sah ich seinem Erstaunen an. Er fühlte auch, daß ich ihm nicht offen bin. Aber was ist dies alles gegen die Verzweiflung, die mir die Nachricht giebt, daß Robert, vermöge einer scheußlichen Verirrung der Natur, seine Schwester liebt und sie von mir zum Weibe begehrt, Dich zur Lösung seiner frühern Verpflichtung gegen Anna Dorset zu gewinnen hofft. –

Großer Gott! was sprichst Du aus, Tochter! Kind, halt ein! Mein alter Kopf erfaßt es nicht, und mein Herz droht zu[240] brechen, rief hier erblassend die alte Herzogin und sank in die Kissen zurück.

Fasse Dich, theure Mutter, entgegnete die Herzogin mit der Hast und Ungeduld, welche, eine Folge ihrer Ueberreizung, sie verhinderte, die Leiden zu erkennen, die sie ihrer Schwiegermutter erregt hatte; fasse Dich, wir müssen uns nicht trennen, ohne zu beschließen. Ich bedarf Deines Muthes, Deiner Kraft, Deiner Besonnenheit. Es ist so, wie ich Dir sagte, Robert verließ mich so eben, voll dieser Vorsätze. Ein zwei Stunden langer Kampf, in dem er mir überlegen war, da ich ihm die entsetzliche Ursache meiner Weigerung nicht entdecken durfte, hat uns um nichts weiter gebracht, und ich muß das Empörendste, was die Natur in sich schließt, vor meinen Augen sehen, ohne ihm wirksam Einhalt thun zu können.

Die alte Herzogin bemühte sich mit großer Anstrengung, ihre Fassung wieder zu gewinnen, aber dies war nicht so leicht. Denn nächst der dringenden Lage des Augenblicks war ihr ein tiefer Schmerz dadurch geworden, daß das Andenken des geliebten, so hoch gestellten Sohnes durch einen Verdacht getrübt ward, dessen Gewicht sie sich nicht läugnen konnte, den sie vielmehr, gleich ihrer unglücklichen Schwiegertochter, nur zu begründet finden mußte. Aber ihr frommes und starkes Gemüth fand doch bald einen Ausweg; mit einem tief gefühlten Schmerze nahm sie von dem ungetrübten Bilde ihrer Vergangenheit Abschied. War an dieser nichts mehr zu retten, waren doch vielleicht die Folgen von dem, was ihr daraus so eben entgegen getreten, noch für die Zukunft zu mildern, indem neues Unheil verhütet ward, eine Schuld vielleicht verringert, die ihr mütterliches Herz so nahe anging.

Sie reichte tief bewegt ihre kalte Hand der glühenden Herzogin und sagte mit dem ernsten Tone der Ergebung: Nimm zuerst die Versicherung erhöhter Liebe und Hochachtung, meine[241] edle Tochter! Gott hat Dir ein großes und tiefes Leid gegeben, mitten in einem reichen Leben voll vielseitiger Befriedigung. Vielleicht ist es eine unerkannte Wohlthat mehr, wenn wir Gelegenheit fanden, Geduld und Großmuth zu üben, und wir wollen hoffen, daß Gott der Seele dessen gnädig ist, der so sich vor ihm verschuldete – um des unläugbar Guten und Edeln willen, das ja Dich schon verzeihlich gegen ihn stimmte, wie viel mehr den Vater aller Liebe und Erbarmung. Aber da uns Gott sichtlich auffordert, das Verschuldete in seinen verderblichen Folgen aufzuhalten, so hast Du Recht, mich aufzurufen. Es ist nicht die Zeit, den Gefühlen Raum zu gestatten, wir müssen klar in die Gegenwart schauen, um das, was uns Gott als Recht wird anerkennen lassen, mit festem Muthe zu vollführen.

So höre denn, was ich gefühlt und früher schon mir angelobt, sprach die jüngere Herzogin mit schon festerem Tone. Das Kind, das ich als das seinige mir denken muß – und ist auch seine Mutter jene Buckingham, die mir den ersten Kampf des Bösen in dies Herz geschickt, ich kann es nimmer lassen! Heilig ist mir, was von ihm stammt, theuer selbst, wie seltsam auch mit Grauen fast gepaart. Es ist mir oft, als ob im Traume, ja, wachend selbst, sein freundliches Auge flehend mir begegne; ich weiß, er bittet um meinen Schutz für seine Waise. Ich weiß, er baut im Himmel selbst auf die Liebe dieser treuen Brust, in der er sich nie trog, und ich könnte keinen Frieden finden, wenn ich dies mir fast theure Wesen, das ich ja jetzt an meine Großmuth einzig noch verwiesen weiß, während sie in unschuldiger Hoffnung noch von Andern Schutz träumt, ihrem unverschuldet harten Schicksale überließe. Ich will daher ihr mütterlich gesinnt verbleiben, aber das Geheimniß ihrer unglücklichen Geburt, das darf sie nie und Keiner, wer es sei, erfahren. Es scheint, wir werden keine Antwort von Master Brixton erhalten; schon zu lange blieb sie aus, um noch erwartet[242] werden zu können, und weiter dürfen unsere Forschungen nicht gehen. Zu uns im stillen Kreise der Familie dachte ich sie zu zählen, geschwisterlich geliebt von meinen Kindern, ich wollte die Zukunft ihr zu sichern suchen durch eine nur allzu gerechte Abgabe unsers irdischen Besitzes, und so des Weiteren harren, hoffend, daß Gott an meiner Statt ihren seltenen Reizen und ihrem Seelenwerth einen dauernden Beschützer zu finden wissen werde. O, wie bald ward dieser friedliche Plan zerstört, der an uns allen und Dir zugleich, die ich so gern mit diesem Leid verschont hätte, dies drohende Unglück sanft vorüber zu führen bestimmt war. Was thun wir jetzt, um Robert zu entfernen, ohne unser Geheimniß zu verrathen? Denn er ist hier allein zu beachten. Die Gräfin, an Gedanken und Gefühlen unschuldig wie ein Kind, theilt auch nicht die Ahnung des Verlangens, das Robert ihr in jedem Worte, in jedem Blicke gesteht.

So laß uns denn, erwiederte die alte Herzogin, den Augenblick erwarten, wo Robert mir sein beabsichtigtes Vertrauen schenkt, ich will alsdann mit all dem Ernste, der hier nur zu sehr gerechtfertigt ist, meine Meinung über seine Verpflichtungen gegen die Gräfin Anna ihm vorhalten. Ich würde so in Wahrheit handeln müssen, wenn ich auch nicht Theilnehmerin Deines traurigen Geheimnisses geworden wäre; denn ich kann Robert den Brief der Gräfin Dorset zeigen, worin sie von diesem verwandtschaftlichen Verhältnisse, das uns näher noch zu vereinen bestimmt sei, als von einer ausgemachten Sache spricht. Beweis genug, wie sie durch das Benehmen Roberts über jeden Zweifel sich erhoben wähnt. Auch dürfen wir, wo dies nicht ausreichen sollte, auf Richmond hoffen, der stets so viel Gewalt über seinen Bruder hatte, und dessen zartes Ehrgefühl und richtiger Verstand uns seine Mitwirkung verbürgt. Doch scheint mir vor Allem eine Trennung nöthig. Hier bei einander, verführt durch jeden Augenblick, gelingt Robert der Sieg über[243] sein Herz so leicht wohl nicht, besonders da die Gräfin unschuldig freundlich, unbewußt ihm stets neue Nahrung giebt, und sie aus ihrer Sicherheit zu wecken, möchte zweifelhaft für uns alle sein. Ich habe wohl gehört, daß keine größere Gefahr dem edeln weiblichen Herzen droht, als die Liebe zu erkennen, die sie in einem edeln Manne unbewußt erregte! die süße lockende Gewalt, die dadurch in ihre Macht gegeben wird, ihn zu beglücken, verführt zur Theilnahme. Daher glaube ich, daß meine nahe Abreise eine leichtere Gelegenheit bietet, sie zu entfernen, ohne ihre Lage dabei zu gefährden. Du vertraust mir wohl Deinen unglücklichen Schützling an. Sie, die mir so freundlich ergeben scheint, folgt meinen Bitten wohl, mich zu begleiten; Robert und Ihr alle gewinnt indessen Zeit, Euch in das Unabänderliche zu schicken, und nach Maaßgabe seiner Fassung begleitet er Euch dann zu mir, wo er die schöne Anna zum Ersatze findet; oder Ihr denkt, ist seiner Heilung noch nicht zu trauen, einen andern Weg aus, ihn länger noch von ihr zu trennen.

So sei es! rief die Herzogin und athmete tief, als habe eine schwere Bürde sich von ihr gehoben, so bleibe ich ihr gerecht und schütze den Namen des theuern Freundes vor den Zweifeln seiner Kinder! Jedoch wenn auch die nächste Zeit damit gerettet scheint, das müssen wir uns immer sagen! es wird der letzte Kampf nicht sein, den wir in dieser trüben, dunkeln Sache zu bestehen haben. Zunächst wird uns jetzt der Vorwurf treffen, daß wir dem Schicksale unsers Schützlings den für seine Lösung nöthigen Eifer entziehen. Dies wird nicht ohne große Schwierigkeiten zu vermeiden sein, und wir werden gar leicht mit ihr selbst dafür zu sorgen haben, außerdem aber mit Archimbald und Robert; und hier will meine Seele sich empören gegen die mir so fremden und meinem Karakter so wenig passenden Ausflüchte, deren ich dann nicht entbehren kann, um die Wahrheit dem Auge zu entziehen. O Mutter, kann es eine heilige, dringende Anforderung[244] der Tugend werden, von der Wahrheit uns zu trennen! Trügt diese Stimme nicht, die mir gebietet, um diesen großen Preis den Gatten in seinem größten wichtigsten Besitzthume, in seiner Ehre, die nach seinem Tode noch bedroht wird, zu beschützen?

Mutter! wenn ich mich dennoch täuschte, wenn die Motive, die mich leiten, nicht alle rein, wenn der Stolz in dieser Brust, der nur zu viel Gewalt darin geübt, wenn er mich triebe, gleich stark vielleicht, die Verirrung des Geliebten zu verhehlen, um selbst nicht offenkundig als Verschmähte, Vergessene zu erscheinen, die mit langer, nur zu wohl bekannter Liebe, mit ihrem ganzen Werthe, den Mann ihrer Liebe dennoch nicht zu fesseln vermochte? –

Es ist wohl schwerer, als wir wähnen, erwiederte die alte Herzogin, die Motive unserer Handlungen ganz zu beherrschen und sie frei zu erhalten von selbstischem Einfluß! Der schönste Zustand, der das Rechte sowol in Handlungen, als Gedanken vereint, scheint vollkommen hier nicht errungen werden zu können, und unserer Seele scheint die Fähigkeit, ihn uns zu denken und herbei zu sehnen, nur verliehen, um auf dem Wege dahin nicht allzufern hinter ihm zurück zu bleiben. So möchte ich, Dir Dein Gefühl, wie menschlich und weiblich gerecht es auch sei, auslegend, Dich gegen jeden nachtheiligen Einfluß gesichert halten. Der Fall, der uns so ungewöhnlich in Anspruch nimmt, kann uns gar leichte Befürchtungen für unsere eigene reine Selbstbehauptung eingeben, ja, vielleicht erregt Gottes Güte absichtlich solch' Bedenken in uns, um von verderblicher Sicherheit uns abzuhalten, denn allerdings bleiben bei unserer fast zweifellos guten Absicht die Schritte, die wir vielleicht genöthigt sind zur Täuschung Anderer zu thun, ein schwer zu lösendes Problem! Doch laß uns jetzt enden. Nur zu sehr, will es mich bedünken, bedarfst Du der Ruhe.

Beide Frauen wollten sich jetzt erheben, aber nur der alten Lady gelang es. Denn die Anspannung, welche die Herzogin bisher aufrecht erhalten hatte, war in dem Maaße verringert[245] worden, als sie ihre Sorge von der würdigsten Seite her getheilt sah. Daher trat ihre bisher und seit lange vorbereitete physische Erschöpfung eben in dem Augenblick ihrer geistigen Erleichterung unabweisbar hervor; ohne einen Laut sank sie zurück.

Die alte Herzogin hatte Gelegenheit genug, hier ihre Besonnenheit zu zeigen. Die eigene Erschütterung überwindend, eilte sie, Mistreß Morton herbeizurufen. Es zeigte sich aber bald, daß diese Hülfe nicht ausreichend war, und daß an die Hülfe Stanloffs gedacht werden mußte. Seine Beobachtungen sagten ihm auch bald, daß dies ein Zufall sei, der die höchste Schonung und stärkere Mittel nöthig machte. Vor allen Dingen verordnete er daher augenblickliche Ruhe der Herzogin im Bette.

Erst hier und nach mehreren Stunden, unter immer steigendem Gebrauch der stärksten Mittel und nach Oeffnung einer Ader, erwachte die Herzogin aus ihrer Starrsucht, die jedoch eine fast ebenso gefährliche Erschöpfung und Reizbarkeit des ganzen Körpers zurück ließ.

Es war bei der Hülfe, die man in Anspruch nehmen mußte, unmöglich gewesen, den Zustand der Herzogin den übrigen Bewohnern des Schlosses zu verbergen, und so fanden sich bald ihre Kinder, so wie Graf Archimbald, der nie eine angemessene Theilnahme verabsäumte, im vordern Raum des Schlafzimmers ein, mit besorgtem Herzen dem Ausspruch Stanloffs horchend, der noch immer in schweigender Thätigkeit mit den Kammerfrauen um die Kranke beschäftigt blieb. Der junge Herzog stand bleich mit unterschlagenen Armen und krampfhaft geschlossenen Lippen dieser bangen Scene zunächst, und die Qual seines Herzens zeigte sich in jedem Zuge, wie er auch männlich ringen mochte, sie zu bekämpfen. Er schien für Alles um sich her verloren und weggewendet von der rührenden Gruppe seiner Schwestern, die in den Armen der weinenden Gräfin Melville ihren Schmerz ergossen, für diese keinen Blick zu haben. Graf Archimbald saß neben seiner erschütterten Mutter, liebevoll eine[246] ihrer kalten Hände in den seinigen haltend, und halb gerührt und halb verlegen über eine Lage, in der er sich so wenig Geschick zutraute, schaute er zuweilen nach dem ernsten, gesenkten Auge der alten Lady empor, die, in trüben Gedanken verloren, mit Ergebung, aber tiefem Kummer der Entscheidung harrte. Der Abend war indeß herabgesunken, nur undeutlich hoben sich noch die einzelnen Figuren aus dem dunkeln Raume, und vermehrte das Bange und Beklommene des Augenblicks. Eben hatte Gräfin Melville ihre jungen Freundinnen, auf Stanloffs Bitte, aus dem Zimmer geleitet, da schoben sich behutsam die Vorhänge von dem Eingange zurück. Eine männliche Gestalt trat hastig hindurch, und, ohne von den Anwesenden abgehalten oder nur bemerkt zu werden, hatte der Eintretende in leichten, raschen Schritten das Bett der Herzogin erreicht. Man sah ihn Stanloffs Arm ergreifen, man ahnte den Inhalt der Zeichen, in denen Antwort und Frage sich begegneten, und sah im nächsten Augenblick den jungen Herzog an seine Brust sich stürzen.

Richmond ist angekommen, sagte in diesem Augenblick Graf Archimbald mit einer plötzlich von Freude bewegten Stimme zu seiner Mutter, die nun zur Bewegung wiederkehrend die Augen erhob, um beide Brüder in einer Umarmung zu sehen, die der Schmerz um die geliebte Mutter fast unauflöslich zu machen schien. Ich habe sie getödtet, Richmond, seufzte der Herzog, ich habe über dies noch so tief bekümmerte Herz neue Leiden gebracht, von mir werdet Ihr die Mutter fordern!

Unverständlich, wie diese Worte für Richmond sein mußten, sah er in ihnen blos die Exaltation des Schreckens und der Besorgniß, und erwiederte schnell und leise: Fasse Dich, Robert; Stanloff verbürgt ihr Leben, ja, ihr Zustand scheint ihm kaum gefährlich. Doch laß uns eilen, die hier Versammelten zu entfernen, Stanloff verlangt bei ihrem nahen Erwachen die höchste Ruhe, und keiner der Anwesenden würde in der Stimmung sein, sie ihr zu gewähren. – Doch auch die Worte[247] wurden sogleich unterbrochen, denn von dem Bette her drangen plötzlich die weichsten Töne der Liebe herüber, welche den Namen Richmond zwar leise, aber deutlich aussprachen. Fast im selben Moment kniete der so rührend Gerufene an dem Bette der mit diesem Namen aus ihrem Todesschlaf erwachten Herzogin, und das von Erschöpfung fast blinde Auge suchte den Liebling und fühlte von seinen Küssen ihre Hände belebt, von seinen zärtlich kindlichen Worten das kranke Herz erquickt, und der feine Zug eines Lächelns, womit sie ihm lohnen wollte, bannte wenigstens die starren Züge des Krampfes von ihrem Gesicht, wenn auch der Versuch, zu sprechen, sich aufs Neue nur auf seinen geliebten Namen beschränkte. Stanloff, der die Ergießung des Gefühls nicht ungern sah, drang doch jetzt darauf, sie abzukürzen. Die Herzogin ließ sich dies auch sogleich gefallen, und Richmond, zu tief erschüttert, um sich jetzt seiner Familie mitzutheilen, enteilte durch eine ihm wohlbekannte Thür in die Zimmer der Mistreß Morton.

Graf Archimbald und Stanloff hatten indeß genug zu thun, um den jungen Herzog zu entfernen, der, von unbestimmter Angst getrieben, an ihrem Bette bleiben, und jede Pflege mit Stanloff und den Frauen theilen wollte. Er gab endlich nach, von den ersten Worten seiner Großmutter ergriffen, die, zu einer ihr sonst fremden Strenge sich erhebend, ihn fragte, ob es noch Liebe sei, wenn man durch hartnäckige Behauptung seines Willens Gefahr laufe, mehr zu schaden, als zu helfen? Aber als die Familie sich nun in den untern Sälen beisammen fand, fühlte Jeder die traurige Stimmung des Andern zu sehr, als daß eine leidliche Haltung hätte eintreten können, und man sah sehnsüchtig der Rückkehr Richmonds entgegen, dem alle Herzen entgegen schlugen; durch sein Ausbleiben ward namentlich die Ungeduld der Schwestern, die sich auch von dem Troste der Lady Maria verlassen sahen, aufs Höchste gesteigert. Doch war eine ungestörte Ergießung ihrer Liebe ihnen heute nicht vergönnt,[248] denn Ottwey erschien mit seinem ceremoniösen Wesen, der alten Herzogin, in Abwesenheit seiner Herrin, die Meldung eines Reisezuges zu machen, der zwei Pagen zur Ankündigung seiner unverzüglichen Ankunft vorangesendet habe. Die alte Herzogin erlaubte, mit Zuziehung des Herzogs, die Einführung der Pagen, Graf Archimbald schlich sich leise davon, in der Hoffnung, auf Richmond zu stoßen, nach dem er fast ein ungeduldiges Verlangen trug. Er sehnte sich überdies mächtig aus dieser schwülen Luft, in der er nur auf leidenschaftliche Gefühlsaufregungen stieß, zurück in die kühle Atmosphäre des Verstandes, die ihm den Gebrauch seiner wahren Natur verstattete. Aber sie verfehlten sich, denn Richmonds Herz trieb ihn schnell von jener ersten Erweichung zu den Pflichten gegen seine übrige Familie zurück, um so mehr, da er ebenfalls ihnen über die nahenden Reisenden, denen er nur vorangeeilt war, seine Mittheilungen zu machen hatte. Mit den Pagen zugleich von verschiedener Seite eintretend, faßte er sich kurz im herzlichsten Empfang der Seinigen und eilte dann, die beiden jungen Edelleute seiner Großmutter und dem Herzoge, seinem Bruder vorzustellen.

Sofort trat einer der jungen Pagen hervor und redete die Lady an: Mein Gebieter, Seine Herrlichkeit, der Graf Ormond, und sein verehrlicher Begleiter, der Lord Membrocke, haben die Ehre genossen, von Seiner Königlichen Hoheit, unserm erlauchtesten Prinzen von Wales, zu dem ehrenvollen Auftrag erwählt zu sein, der Durchlauchtigsten Familie seines von ihm tief betrauerten Freundes, des verstorbenen Herzogs von Nottingham, sein tiefstes Beileid zu bezeigen, und in dieser hohen Eigenschaft wagen die Grafen, unsere Gebieter, sich diesem Schlosse zu nähern, und bitten durch uns, ihre Ehren-Pagen, um eine gnädige Aufnahme.

Bezeige Du, mein Sohn, in Abwesenheit Deiner Mutter, diesen Herren unsere Gesinnungen in meinem und Deiner Mutter Namen, sprach die alte Herzogin sich erhebend. Indem ich[249] zugleich den Herren mein Vergnügen über ihre Ankunft ausdrücke, muß ich mir für heute die Ehre versagen, die Bekanntschaft der Herren Abgesandten zu machen, da meine Gesundheit mir Ruhe gebietet. – Holdselig Alle begrüßend, und von ihren Enkelinnen und den Damen gefolgt, ward sie mit der höchsten Ehrfurcht vom Herzoge und von Graf Richmond bis an den Ausgang geführt, wo sie Beide zurücksendete, um ihre Pflichten gegen die Fremden zu erfüllen.

Der junge Herzog eilte nunmehr, die beiden jungen Edelleute mit den schmeichelhaftesten Worten zu entlassen, und Sir Richard Ramsey ward sogleich mit einem zahlreichen Gefolge den Ankommenden entgegen geschickt, indessen Ottwey mit einer ganzen Armee ihm untergebener Diener sich zur Einrichtung der Zimmer anschickte, die für die ausgezeichneten Gäste bestimmt wurden.

Der junge Herzog fühlte sich jedoch wenig in der Stimmung, die gastliche Freundlichkeit mit der sorglosen Heiterkeit auszuüben, die allein den Gästen die Ueberzeugung des Willkommenseins verleiht, welche durch keine äußere Beobachtung der schicklichen Formen ersetzt wird, wenn sie ihrer Bestätigung in den Augen des Wirthes ermangelt. Richmond, von der besonders bewegten Stimmung seines Bruders, die ihm nun, da er mit ihm allein geblieben, zum zweiten Male auffiel, überzeugt, bat ihn mit liebevollem Ernste, über Leben und Gesundheit ihrer Mutter nicht länger besorgt zu sein, da Stanloff, dem er auf dem Wege zu diesem Saal begegnet, ihn noch ein Mal versichert, daß der ruhige und süße Schlaf, in den sie jetzt verfallen, ihre völlige Genesung vielleicht schon auf Morgen erwarten lasse, da ihr ganzer Zufall mehr erschreckend, als gefährlich gewesen.

Und dennoch, Richmond! rief der junge Herzog, dennoch zerreißt dieser unglückselige Vorfall mit tausend Schmerzen mein Herz, und wirft mich in ein Chaos widerstrebender Empfindungen! Ich muß fürchten, daß Wünsche, die ich ihr einige Stunden früher mittheilte und trotz ihres Widerstandes vor ihr[250] behauptete, sie, die noch erschöpft von Gram und Kummer über unsern theuern Vater ist, in diesen Zustand versetzt haben.

Wie kann das sein? rief Richmond lebhaft, ich verstehe Dich nicht in dieser ausschweifenden Erweichung. Was kann sie, die stets liebevolle Mutter, in einem Begehren, das schwerlich unmöglich oder gar kränkend sein konnte, finden, was sie zu dieser Aufregung hätte führen können, die, nur zu wahrscheinlich aus früheren geistigen Leiden hervorgegangen, jetzt rein physisch zu nennen ist.

Nein, nein! sagte der Herzog mit dem trostlosesten Ausdruck; sie nimmt das heißeste Begehren meines Herzens fast mit Abscheu auf und macht mich dadurch zum unglücklichsten Manne der Erde!

Ich verstehe Dich nicht, mein theurer Bruder, sprach Richmond, aus seiner sorglosen Ruhe erwachend und wohl begreifend, daß hier mehr zum Grunde liegen müsse, als ihm bis jetzt bekannt. Er hielt fragend inne, des Vertrauens gewiß, das ihm noch nie von diesem geliebten Bruder versagt worden. Aber es schien diesmal nicht so leicht, wie bei ihren früheren kleinen Geheimnissen. Der Herzog verfiel in ein Schweigen, welches nicht undeutlich eine Verlegenheit durchblicken ließ, die, zwischen ihm und Richmond sonst so ungewohnt, diesen nur noch aufmerksamer machte. Schon dachte er ihm durch eine Bitte um Vertrauen die Mittheilung zu erleichtern, als der Herzog mit einem unaussprechlichen Gefühl von Rührung seine Hände ergriff, sie zwischen die seinigen drückte und mit unsicherer Stimme rief: Sei mein Schutz, sei Vermittler zwischen diesem Herzen und der Welt, die dessen Gefühle anfeindet! Richmond, ich liebe! Zum ersten Male ergreift dies wunderbar mächtige Gefühl meine Brust, und schon treffe ich auf Widerspruch und Verfolgung, obwol ich die Welt mit ihren Schätzen heraus fordere, mir einen Gegenstand zu zeigen, der würdiger wäre, jedes Gefühl des Herzens in Anspruch zu nehmen![251]

Robert, sagte Richmond schnell, was kann geschehen sein? Eile, mir mitzutheilen, was hier die Gesinnungen gegen eine Wahl erregt hat, in der Du ja früher, ehe Dein Herz sie heiligte, die Wünsche Deiner Familie erfülltest, und die durch Deine letzten Auszeichnungen für jene Familie zu einer Gewißheit erhoben sind, daß man mich schon als nächsten Verwandten ansah und dem gemäß behandelte.

Großer Gott! rief der Herzog hier, indem er mit Heftigkeit beide Hände vor seine Augen drückte und dann mit steigendem Eifer fortfuhr, was sprichst Du aus, auf wen beziehst Du mein Gefühl, was für Verpflichtungen machst Du geltend, mich auch um den Trost Deiner Theilnahme zu betrügen? Richmond! nicht diese Gräfin Dorset, die Du unbezweifelt meinst, die ich nie geliebt, der ich keine Hoffnungen erregt, die mir gänzlich fremd ist, nicht die meine ich. Den Engel, den ich anbete, umschließt dies Schloß; es ist die Gräfin Melville, deren wunderbare Auffindung auf den Terrassen dieses Gartens meiner Mutter aufgehoben war. Ach, und gerade diese wendet nun von ihr, die fast durch ein Wunder uns gesendet, die geschaffen ward, das Herz ihres Sohnes mit allen Seligkeiten zu beglücken, ihr Herz weit ab, als könnte sie den ehrwürdigen Platz entehren, den ich ihr anbieten will!

Du, Robert? rief Richmond, und Ueberraschung und Erstaunen malten sich gleich stark in seinen Zügen, Du wolltest dies unglückliche Mädchen zu Deiner Gemahlin erheben? Ist es möglich, mein theuerster Bruder! Wie viel hat ein unbewachtes Gefühl Dich übersehen lassen, daß Dir ein solcher Schritt möglich und wünschenswerth erscheinen konnte. Vergieb, setzte er ernst hinzu, dem Herzog nachgehend, der halb zürnend, halb schmerzlich sich von ihm gewendet hatte, wenn ich Dich kränken muß; aber was wären wir beide, und wo fände ich mich wieder, wenn die Stimme der Wahrheit unter uns nicht mehr gälte? Laß es nie zu! rief er mit warmer Liebe,[252] daß uns eine entgegengesetzte Meinung zum Schweigen brächte; Robert, wende Dich zu mir, mache es Deinem treusten Freunde nicht so schwer, Dir nützlich zu sein!

Robert widerstand nicht länger; er wandte sich, ergriffen von dem tiefen melodischen Ton dieser schönen und ihm so theuern Stimme, und schaute mit seinem glühenden Angesicht und dem von Schmerz getrübten Blicke in so lichte, offene Augen, in so edle, ernste und doch mitleidige Züge, daß er, davon erschüttert, jenen schnell umschloß und mit dem vollen Ueberströmen eines zärtlichen Bruderherzens seinen Namen unter tausend liebevollen Zunamen ausrief. Ja, Richmond, seufzte er dann, ich bin außer mir, ich fühle es; ich kannte vor wenigen Wochen diesen Zustand nicht; ja, ich hätte ihn für mich unmöglich gehalten. Aber sieh' sie nur erst, dann wirst Du mich begreifen und sie des Platzes werth halten, den ich ihr bieten will. Es war, als ob Richmond zurückschauderte; der Gedanke, eine namenlose Fremde, wie er die Gräfin aus den Briefen seines Oheims hatte ansehen lernen, auf dem Platze zu sehen, den seit Jahrhunderten die edelsten Frauen aus den vornehmsten Geschlechtern des Landes eingenommen, erschreckte sein stolzes Herz. Dem Haupte des erlauchten Stammes schien in seinen Augen eine Verpflichtung auferlegt, die ihm gegen jede Affection des Herzens, die dieser Würde zu nahe träte, eine Art von Schutzwehr geben müsse. Es kam ihm zugleich unmännlich vor, so in die Gefühle für ein Weib sich zu verlieren. Denn ungeachtet einer hohen Verehrung für dies Geschlecht, liebte er es doch bis jetzt fast noch ausschließlich in seiner Mutter und Großmutter, und nur die Reife, die er in Beiden antraf, schien ihm befriedigend; ein jüngeres Wesen dagegen, wie er die zahllosen Schönheiten der Mädchen im In- und Auslande beobachtet, schien ihm ganz außer Stande, eine so unmännlich erscheinende Hingebung zu rechtfertigen.

Er hatte sehr häufig im Ernste geäußert, was man ihm als Scherz ausgelegt, daß er viel lieber seine Großmutter[253] heirathen würde, als die reizendste Schönheit unter zwanzig Jahren. Ihm schien eine Verbindung in den festen Grenzen vollkommener Hochachtung vollständig genügend, da er stets überzeugt war, mit den zärtlichsten Gefühlen seines Herzens bis zu dem späteren und reiferen Alter seiner einstigen Gemahlin verwiesen zu sein. Es war ihm daher ein zürnender Schmerz gegen seinen Bruder um so weniger zu verargen, als Robert, zu eigener Feststellung seiner Meinung nicht so geneigt, mit der sorglosen Laune eines, der da denkt, es habe damit wenig auf sich, bisher den Ansichten seines Bruders sich angeschlossen und dadurch in Richmond die Hoffnung geweckt hatte, daß jede Gefahr dieser Art für ihn aufgehört habe. Die zärtliche Liebe jedoch, die Richmond für ihn trug, und die wohl etwas den Karakter eines Beschützers hatte, veranlaßte dies sonst so edle und gerechte Gemüth wohl zu dem Versuch in dieser Angelegenheit, den größeren Theil des Vorwurfs von seinem Bruder ab und auf jenes fremde Mädchen hinüber zu leiten. Ihre ganze Lage erschien ihm so zweifelhaft, daß es ihm beinahe unmöglich ward, sie anders, als in einem zweideutigen Lichte zu sehn; ja, es schien ihm, in dieser Empfindung weiter gehend, beinahe gefährlich und unbesonnen, daß dies unbekannte Wesen zur Gesellschaft des Schlosses und namentlich zum Umgange seiner Schwestern gezählt ward. Diese Gedankenfolge bildete sich freilich schneller in ihm, als wir Zeit gebrauchten, sie hier nieder zu schreiben, und sie bestimmte die Antwort, die er, erhoben durch die Wichtigkeit dieser unglücklichen Verirrung, mit Schonung und Festigkeit aussprach.

Laß mich hoffen, mein theurer Robert, daß, wie ausgezeichnet auch an Naturgaben diese fremde Dame sein möge, ihr Anblick doch in mir nicht die Grundsätze erschüttern wird, die wir beide zu gleichen Theilen von unsern verehrten Aeltern zuerst, und in einer ferneren, nicht minder dringenden Mahnung von den unbefleckten Tugenden unserer makellosen Vorfahren[254] empfingen. Robert, sagte er freundlicher, seinen Arm ergreifend, was nützt das Geheimniß eines Stammes, dessen hohes Alter bis in die graueste Vorzeit reicht, wenn es nicht das Andenken ihres wohlverdienten Ruhmes wäre, das sich noch den spätesten Enkeln warnend vor jede Handlung stellt, die da Gefahr brächte, ihren Namen nicht in voller Reinheit weiter zu vererben. Du, setzte er, immer heiterer werdend, hinzu, Du mit Deinen blonden Locken und Deinen blauen Augen, ein geborner Nottingham, in dessen jugendlichem Angesicht die Züge des ersten Ahnherrn liegen, als Gewähr für seine auf Dich verpflanzten Tugenden, Du solltest der Erste werden, der dem eben so glorreichen Geschlechte unserer Ahnmütter ein, wenn auch noch so schönes, doch ein namenloses, ein zweifelhaftes Mitglied zugesellte? Sag, was Du willst, ich glaube diesen Worten nicht, ich glaube Deinem bessern Selbst und Deiner männlich festen Seele. Du wirst siegen; denn es mag sein, daß die Gefühle des Herzens eine seltsame Tyrannei über uns ausüben, aber wo wäre die männliche Brust, die sich nicht gegen jede Gewalt aufgelehnt fühlte, die uns zu beherrschen droht? Laß uns mit einander Alles wohl bedenken, entziehe Dich mir nicht.

Richmond, erwiederte der Herzog, es ist dies das Einzige, was ich Dir versprechen kann, aber ich hege eben so fest die Hoffnung, Dich zu meiner Meinung überzuführen, wie Du jetzt von mir dasselbe hoffest; ich sage Dir noch ein Mal, sieh sie nur erst! –

In ihrer Liebenswürdigkeit werde ich gewiß die Rechtfertigung Deines Gefühls finden, denn das Unedle und Gemeine konnte Dich nie verführen. Doch nie werde ich in ihr die Rechtfertigung eines Wunsches finden, der die Grenzen anerkennender Gerechtigkeit gegen sie überschreitet und Dich gegen Verpflichtungen blind macht, die Du in Wahrheit gegen die Familie Dorset eingegangen bist, und an deren Erfüllung Niemand mehr zweifelt. Du selbst, mein theurer Freund, hättest[255] nicht zugegeben, daran zu zweifeln, bevor dies unglückliche junge Mädchen Dein natürliches Rechtsgefühl umwandelte. –

Der Herzog schwieg und wendete sich in einem unbeschreiblichen Zustande von seinem Bruder. Es giebt vielleicht kein Gefühl der menschlichen Brust, welches so grausame Widersprüche zu erregen vermöchte, als dies eine der Liebe. Es theilt gleichsam unser Wesen in zwei streitende Personen, und während uns die Liebe mit ihren gesteigerten Anforderungen ein heiliges unbestreitbares Recht zu besitzen scheint, Alles umzustürzen, was ihr störend entgegen tritt: bleibt uns oft zu unserer größten Qual ein richtiges Wahrnehmungsvermögen für die Wichtigkeit solcher Schwierigkeiten.

Der junge Herzog fühlte sich in dieser Lage. Er mußte sich gestehn, daß sein Bruder ihm nur in Erinnerung brachte, was er selbst einst mit Ueberzeugung anerkannt hatte; aber das Verlangen seines Herzens, dem er sich so unbesonnen hingegeben, übte eine Gewalt über ihn, die er nicht anders als überwältigend nennen konnte.

Richmond merkte den unstäten Bewegungen und Blicken des Herzogs diesen Zustand des unbehaglichsten Schwankens nur zu sehr an. Es war eben sowol Klugheit, als jenes liebevolle Vertrauen, welches edeln Menschen anräth, die Vollendung des Angeregten in der eigenen Entwickelung des Anderen zu erwarten, was Richmond abbrechen ließ. Beide Brüder gaben sich alsdann den äußeren Pflichten hin, welche die Ankunft der Gäste ihnen auferlegte.

Quelle:
Henriette von Paalzow: Der Verfasserin von Godwie-Castle sämmtliche Romane. Band 1–6, Band 2, Breslau 1855, S. 1.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Godwie-Castle
Godwie-Castle

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon