Zweiter Theil

[1] Wir sind geneigt, den Leser aus dem Familienkreise, in dem er sich bereits bekannt fühlen mag, auf einige Zeit zu entführen, um ihn an einem andern Orte für die Ereignisse vorzubereiten, von denen wir die Familie Nottingham später erreicht sehn werden, zugleich aber über das bereits von ihr Erlebte einen Aufschluß zu ertheilen, der ihr selbst erst am Ende der uns vorliegenden Zeit gegeben war. Da wir nicht beabsichtigen, die uns mitgetheilten Papiere und ihren einfachen Inhalt mit schlagenden romanhaften Hauptentwickelungsmomenten zu verzieren, so hoffen wir den Leser dadurch, daß wir ihm die Fäden in die Hände geben, die er später zu bedrohlichen Verwickelungen sich verwirren sieht, in die Stimmung eines besorgten Freundes zu versetzen, der die Gefahren kennt, wie sie zu vermeiden wären, weiß und doch außer Stand gesetzt ist, schützend oder warnend einzuschreiten.

Diese Absicht auszuführen, müssen wir einige Zeit zurückgehn, und treffen mehrere Tage nach der Ankunft des Prinzen von Wales aus Spanien in dem alten Stadttheil von Westmünster, dem glänzendsten und prachtvollsten Theile Londons, ein. Es ward damals, wie jetzt, dieser dem alten Whitehall, der Wohnung des Königs, zunächst gelegene Stadttheil als ein privilegirter Wohnsitz des höhern Adels angesehen, der sich noch als ausschließlich geschaffen betrachtete, sowol die Person des Königs zu umgeben, als auch eine Vormauer zu bilden gegen das Volk. Wie wenig auch von der eigentlichen Veranlassung,[1] die dieser Vorstellung in frühester Zeit einigen Rechtsgrund verliehen haben mochte, durch die Entwickelung, die sich über alle Stände nachgrade zu verbreiten begann, übrig geblieben war: die damit verknüpften Vorrechte und Auszeichnungen blieben ein ängstlich vom Adel bewachtes Gut, in dem Maaße vielleicht ängstlicher bewacht, als eine unlustige Wahrnehmung sich hin und wieder aufdringen mochte, wie das Volk zu einem festeren Verbande mit seinem Fürsten herangereift war. Der Adel war damals jeder Zügellosigkeit hingegeben, in seiner moralischen Kraft herabgekommen, untereinander entzweit und sich verfolgend bis an die Stufen des Thrones, und nur das alte Herkommen sicherte ihm noch seine Bevorrechtung. Auch fand diese noch wenig Widerstand in der allgemeinen Stimmung des Volkes, welches mit größerer Langmuth, als seiner Einsicht entsprechend schien, sich gegen diese Vorrechte bezeigte, denn es liegt in dem Geiste eines Volkes, das sich seiner Geschichte bewußt wird, eine rührende und unauslöschliche Dankbarkeit gegen Namen, an die sich vaterländische Erinnerungen und Triumphe knüpfen. Es erklärt sich am besten, wie ein zum Volksbesitze erhobener Name noch lange ein schützendes Panier bleibt für die Entartung des Nachkömmlings, unter welchem er die ererbten Vorzüge zu genießen wagen kann, die er selbst zu erwerben nimmer vermocht hätte. Elisabeth, die klügste und eifersüchtigste Selbstherrscherin, hatte die Umgrenzung, womit ihr stolzer Adel ihren Thron zu umgeben sich für angewiesen hielt, schon dadurch zu durchbrechen gesucht, daß sie den Bürgerstand in seinen Rechten zu heben suchte, Talente in ihm für möglich hielt, sie folglich auch antraf, und zu sich erhob. Die Stütze, die sie auf diese Weise sich in den mittlern Klassen ihres Volkes bereitete, das hierdurch mit schon entwickelten Kräften Ziel und Richtung seines Strebens fand, gab ihr, ehe der Adel in seiner eingebildeten höheren Natur sich dieser ihm entgegenstrebenden[2] Kraft bewußt ward, eine von ihm unabhängigere Stellung, die ihn, als er sie erkannte, einsehen lehrte, daß er seine Vorrechte an dem Throne durch etwas Anderes vertheidigen müsse, als durch die Länge des Besitzes.

Aber gegen das Ende der Regierung König Jakobs war es kaum möglich, eine der unsterblichen Einrichtungen jener königlichen Frau in der Gestalt wieder zu finden, wie sie von ihr diesem Nachfolger überliefert waren. Der wohleingerichtete Mechanismus eines Staates läuft indessen, dem Anschein nach, eine Zeit lang noch ungestört in seinen Gleisen fort, wenn schon die leitende Hand fehlt, die ihm seine ursprüngliche Thätigkeit gab. Es ist dies oft wahrzunehmende scheinbare Fortbestehn unter der Bürgschaft einer gewesenen Größe nur allzu geeignet, diejenigen in selbstgenügendes Vertrauen einzuwiegen, die von Segnungen sich noch erreicht fühlen, welche sie schon längst aufgehört haben auch ihren Nachkommen weiter vorzubereiten.

König Jakob besaß eine Menge ausgezeichneter Kenntnisse, die aber in ihm zu keinem Resultat von Bildung gediehen waren und ihn bloß mit der lächerlichsten Eitelkeit erfüllten, wozu schwache Geister sich stets durch die Anstrengungen berechtigt halten, die ihnen das Erlernen verursachte, und wodurch sie sich geneigt fühlen, ihnen einen überschätzten Werth beizulegen, wie dürftig sie auch dem leicht sich befruchtenden Genie zur Seite stehn. Seine schwache, durch Erziehung und langjährig beugende Verhältnisse völlig erdrückte Natur hatte keine Kraft, sich durch die hohe Stellung zu elektrisiren, zu welcher der Tod Elisabeths ihn rief. Ohne wahre Kraft war er eben so wenig fähig, ein Tyrann, als ein Wohlthäter seines Volks zu sein, und stets der Spielball Anderer, behielt er sich so wenig eigne Ideen vor, daß diese ihm unbestritten verblieben, da sie nur dienten, ihn über seine gänzliche Willenlosigkeit desto leichter zu täuschen.[3]

So nahm denn auch bald der Zustand bürgerlicher und geselliger Ordnung die hieraus nothwendig sich ergebende Umgestaltung an.

Der Adel verbaute gar bald aufs Neue den Zugang, den Elisabeth sich zu jeglichem Verdienst zu eröffnen gewußt, und ohne Rivalität mit diesen Emporkömmlingen, ohne Aufmunterung von Oben zu einer höhern Entwickelung, abgeschnitten durch Jakobs weibisches Friedenssystem von jeder Kraftübung nach Außen, sank er nur zu bald in die rohe Ausgelassenheit zurück, aus der er kaum sich zu erheben angefangen.

Alte Namen, Reichthum, äußere Schönheit ersetzten die Eigenschaften, die Elisabeth nöthig gemacht hatte. Die Folge hiervon waren Günstlinge, die sich jeden Uebermuth, jede Zügellosigkeit gegen das Volk, ja selbst gegen ihres Gleichen, und bis vor das Angesicht des Königs ungestraft erlauben durften. Der mittlere Bürgerstand, in seine frühere Beschränkung zurückgedrängt, gab entweder seine freiere Entwickelung auf, oder widmete sich ihr doch nur ohne eine belebende Beziehung zu höherer Anerkennung, und der einzige Stand, welcher Vortheil dabei zu ernten schien, war der Handwerksstand, der, aufgemuntert von den ausgedehnteren Luxusbedürfnissen der Großen, Vortheil davon zog und in seinem äußern Aufwand bei weitem den unterdrückten Mittelstand überbot.

So war denn allmälig die feine, bescheidene und ernste Haltung verschwunden, welche zur Zeit der königlichen Herrscherin selbst über die Feste und Gelage des Adels verbreitet sein mußte, sollten sie ihrem scharfen Tadel entgehen. Oft war eine ganze Straße, selbst ein Viertheil der Stadt, worin ein Großer ein Fest anstellte, in Unruhe und Aufruhr gebracht, und man sah zur Zeit, wo die Züge der Gäste mit ihren zahllosen Gefolgen von Dienern, Pagen und Anhängern sich zum Vereinigungspunkt begaben, die Läden geschlossen, die züchtige Jugend der[4] Weiber und Mädchen versteckt, und die Hauptthüren selbst, die solche verführerische Besitzthümer beschützten, von Außen noch besetzt mit den wehrhaftesten Männern des Hauses. Diese geräuschvollen Zusammenkünfte, mit ihrer über ganze Gemeinden verbreiteten Unordnung, begünstigten nur zu oft die geheimen verbrecherischen Nebenabsichten, die, mit schamloser Gewalt unternommen, nur der Gewalt wichen und, ungestraft von Oben, zu kleinen Kriegen Anlaß gaben, die leider nur zu oft zum Nachtheil der Geringeren ausfielen. Das niedere Volk spielte dabei am häufigsten die Rolle der nur sinnlichen Eindrücken hingegebenen Kinder. Der Edelmann, der die schönste Gestalt, die schönsten Kleider, die zahlreichsten und kostbarsten Diener und die vornehmsten Anhänger besaß, war sicher, von seinem Beifallsgeschrei jeden Fußbreit Weges begleitet zu werden. Man hätte diese vornehmen Herren fast bemüht nennen mögen, dies noch zu vermehren, denn sie übten in geckenhafter Ausgelassenheit auf ihrem Wege tausend Dinge, welche die gute Laune des Volkes vermehren mußten, welches entzückt war, diese ihrem Standpunkte so weit entrückten Personen Handlungen begehn zu sehen, die sie ihnen näher stellten, wenn auch der redliche und gebildete Bürger sich mit Scham und Unwillen davon wegwandte.

An dem Tage, wo wir unsere Leser in London einführen, umleuchtete den Vorplatz eines glänzenden Palastes ein Feuermeer von Pechfackeln und brennenden Holzstößen, deren Glanz die angrenzenden Straßen und den Himmel mit seinem düstern Nebelschleier erreichte. Man hätte wähnen können, dem Brande einer Stadt sich zu nähern, wenn man von ferne das tobende Geschrei der Menge vernahm, die sich diesem Schauspiele entgegen drängte, theils als Zuschauer, theils als Theilnehmer. Aber es war nur eins der früher erwähnten Feste.

Der Herzog von Buckingham versammelte zuerst nach seiner Rückkehr aus Spanien die Großen des Landes, und seiner[5] Einladung war man mit größerem Eifer entgegen gekommen, da allerdings die Macht und Gewalt des gefürchteten Mannes verdoppelt schien durch die ausgesprochene Freundschaft des Prinzen, die ihm seine unselige Herrschaft auch nach dem Tode des jetzigen Königs zu sichern schien. Seine zahllosen Feinde, unter die sich mit Recht die Besten der Nation zählten, gaben die Hoffnung auf, in der Zukunft das Ziel seines verderblichen Einflusses zu sehn, und Karl der Erste konnte später seine Thronbesteigung unter kein unglückseligeres Zeichen setzen, als das seiner Freundschaft für einen Mann, der in den Augen des ganzen Landes als Ursache aller dasselbe heimsuchenden Uebel galt.

Dessen ungeachtet war zur Zeit, die wir erwähnen, sein Einfluß unantastbar, und für irgend einen Widerstand nicht der Augenblick da. Das sagten sich die Besten mit den Schlechten zugleich, und man sah sie dieselben gefügigen Schritte thun, bloß darin unterschieden, daß es dem Einen ein patriotisches Opfer dünkte, während der Andere sich und seinen Vortheil damit zu fördern oder zu schützen suchte. Buckingham kannte alle seine Feinde. Zahllose Spione durchkreuzten für ihn jeden ihm wichtig scheinenden Punkt; jeder schändliche Dienst der Art ward mit einem Aufwande belohnt, der die Erfüllung der nächsten Anforderung schon im Voraus sicherte. Jeder war um so pünktlicher in seinem Dienste, als über den Beauftragten ein zweiter ihm unbekannter Wache hielt, und wie Buckingham Verrath zu bestrafen wußte, darüber raunten sich selbst die Mitglieder dieser Bande nur mit Grauen ihre Erfahrungen zu.

So erreichte oft den edel Zürnenden in der Zurückgezogenheit, die er dem fahlen Glanze des Hofes vorzog, die Strafe für ein gerechtes Wort, welches die Noth und Verwirrung des Landes ihm abgepreßt: und das Mißtrauen, das sich so in die innigsten Verhältnisse drängte, und keine Einigkeit der[6] Meinungen und Ansichten sich herstellen ließ, war eine der teuflischen Absichten Buckinghams, die er leicht erreichte.

Zu seinen kleinen Belustigungen gehörte es, bei seinen Festen oft alle die zu bitten, die ihm als einander bitter grollend bezeichnet waren. Er wußte, daß sie lieber einen Feldzug unternommen hätten, als den kurzen Weg zu seinem Palaste, und er schwelgte in der Freude, sie nun doch dem Zwange sich beugen und vor ihm erscheinen zu sehen.

Sie hatten an einem solchen Tage oft alle Schattirungen des Uebermuths zu ertragen, und waren bald der Gegenstand seiner kindischen Neckereien, bald seiner gröbsten Vernachlässigung. Man wußte oft, daß Frauen, zweideutig in Ruf und Sitte, Königinnen des Festes, die edelsten und vornehmsten Damen ihnen nachstehen, und ihren Launen und Wünschen unterworfen sein würden. Dennoch wagten diese hier weniger wegzubleiben, als aus den Gemächern der Königin; denn welche hätte nicht einen Gatten, Sohn, Vater oder Bruder zu schützen gehabt, und wer konnte nachweisen, daß Buckingham eine Vernachlässigung verziehen oder übersehen hätte!

Schon hatten sich am erwähnten Abend die glänzenden Räume in allen Richtungen mit den ausgezeichnetsten Personen des In- und Auslandes gefüllt. Die schönsten Frauen in dem kostbarsten Putze, die Männer mit Allem, was ihnen Auszeichnung verleihen konnte, und einem zahlreichen Gefolge von Pagen und Dienern, welche die Vorhallen einnahmen, Alles drängte sich durch und in einander, und suchte mit Höflichkeit oder mit Gewalt den Vortheil eines Platzes zu erringen, der dem Range oder Interesse des Geladenen entsprechend schien. Aber obgleich die Mehrzahl sich schon beisammen fand und die Zeit bedeutend vorgerückt war, fehlte doch dem Ganzen sichtlich der Mittelpunkt, der Wirth selbst, der allein so viele sich widerstrebende Elemente, wie diese Säle umschlossen, zu verbinden[7] unternehmen konnte. Es war deutlich zu sehen, wie beim langen Harren, das den Gästen auferlegt war, und das sie als eine neue Anmaßung und Kränkung des übermüthigen Mannes anzusehen hatten, die scheinbare Heiterkeit oder Ruhe und Würde, womit der denkende Theil der Gesellschaft beim Erscheinen sich ausgerüstet hatte, dem Gefühl des Ueberdrusses und des unwilligen Erstaunens wich.

Nur die völlig gedankenlose Jugend schwärmte in gewohnter Weise lärmend und neckend umher, und brachte Bewegung um die in festen Gruppen sich zusammenziehenden Gleichgesinnten. Vergeblich bemühten sich die zahllosen Anhänger und bevollmächtigten Gesellschafts-Kavaliere mit dem glänzenden Troß vornehmer Hausdiener des Herzogs, Leben in dies sterbende Fest zu bringen. Der Herzog selbst nur konnte die Last heben, die sich, je länger, je mehr auf Alle niedersenkte. Selbst die Marquise von St. Pol, die, im vollen Besitze seiner Gunst, sich als die Königin des Festes ansehen durfte, und zu deren Füßen Buckingham die Anordnung dazu, von ihr bestimmt oder genehmigt, verfügt hatte, unterlag allmählig der übeln Laune, die diese Vernachlässigung ihr gab, und ließ sie die Bemühungen aufgeben, womit sie bisher ihre und des Herzogs Anhänger unterstützt hatte.

Die Gesellschaft, eines allgemeinen Interesses beraubt, gerieth daher auf die Verfolgung ihres eigenen und besondern, was vielleicht noch anziehender und beglückender für die Mehrzahl war; doch waren genug unter den Anwesenden, die mit argwöhnischem Hasse aus dieser neuen Beleidigung des gesammten höchsten Adels, mit Einschluß der Minister und nächsten Umgebungen des Königs, das über jede Rücksicht hinaus gestiegene Ansehn des gefährlichen Günstlings sich prophezeiten; Andere wieder, die sich in banger Furcht ihr Sündenregister überhörten und sich schaudernd fragten, welche Rolle sie in dieser[8] allgemeinen Verdammniß übernehmen würden, während die Edelsten und Besten mit Scham und Unwillen sich an einem Platze sahen, der sie zu einer solchen Kränkung verdammte, und den zu verlassen, sie jeden Augenblick von ihrem bessern Gefühl sich aufgefordert fühlten, wäre nicht Gefahr vorhanden gewesen, dadurch eine Verfolgung über sich und die Ihrigen herbei zu rufen, welche abzuwenden, außer aller menschlichen Macht lag. So entstand ein fast allgemeines, aus den verschiedensten Interessen hervorgehendes Verlangen, den Herzog zu erblicken, woran sich die Jugend mit der Hoffnung auf die endliche Eröffnung des Tanzes und die Hungrigen mit der Sehnsucht nach den Freuden der Tafel anschlossen. Doch dies Verlangen ward immer aufs Neue getäuscht, und das drückende Gefühl der stolzen englischen Barone steigerte sich noch durch das Hinzukommen der fremden Herren, welche Spanien und Frankreich mit großem Aufwande und in bedeutender Anzahl an dem Hofe des Königs unterhielt, welche Buckingham herbeigerufen, sein Fest zu verherrlichen, und welche nun die ersten Personen des Königreichs unter der unartigen Nachlässigkeit eines Mannes sich scheinbar beugen sahen, dessen unbeschränktes Ansehen sie dadurch anzuerkennen schienen.

Man sah die spanischen Herren, an deren Spitze sich der junge und schöne Herzog von Samalca befand, nach einer sehr ernsten Erwägung der vorwaltenden Umstände sich in die kalte und steife Haltung begeben, die den Urheber der Beleidigung zu erwarten schien, und der junge Herzog, der sonst gegen die blonden Schönheiten Englands nicht unempfindlich war, wollte, seiner Haltung nach, nur der Gesandte Spaniens sein. Ganz verschieden war dagegen das Benehmen der französischen Herren. Diese schienen sich ganz ihrer heitern unbefangenen Natur hinzugeben, und die Unbill, die ihnen nebst der ganzen versammelten Gesellschaft widerfuhr, entweder noch gar nicht zu[9] bemerken, oder sie als einen neuen muthwilligen Scherz des liebenswürdigen Herzogs ansehn zu wollen.

In ihrer Mitte befand sich ein Mann, dessen Kleidung den Geistlichen verrieth, und dessen unscheinbare Bildung, so wie sein zurückhaltendes Betragen, ihn leicht hätte übersehen lassen können, wäre er nicht der Gegenstand großer Aufmerksamkeit seiner Gefährten gewesen, die nicht aufhören konnten, ihn mit Fragen, Anreden und Mittheilungen, wie es schien, eher zu belästigen, als zu erfreuen. Sein braunes, breites Gesicht, in allen Verhältnissen verzeichnet, bewegte sich beim Sprechen fast gar nicht, seine tiefliegenden Augen waren außer ihrer Kleinheit noch halb geschlossen, also fast nicht gegenwärtig, und nur ein breiter Mund entwickelte bei einem schnell vorübergehenden Lachen, beinah erschreckend zwei Reihen glänzend weißer Zähne, die während des Sprechens sich niemals zeigten.

Man sah den Grafen von Salisbury sehr bald den Weg zu ihm finden und ihn mit einer Auszeichnung begrüßen, die er sonst nur in politischer Beziehung anzudeuten pflegte, und die augenblicklich die Stellung dieses unscheinbaren Mannes für die Anwesenden bestimmte. Er mußte dem Grafen folgen, um einigen andern Personen vorgestellt zu werden, und es ließ sich bald erkennen, daß seine Herüberkunft aus Frankreich erst kürzlich erfolgt sei.

Selbst Lord Membrocke, der Gefährte Buckinghams und mindestens so übermüthig, wie sein Beschützer, eilte ihm eine Ergebenheit zu bezeigen, die ihm selten eigen war; und daß die kleinen Augen des Fremden Ausdruck gewinnen konnten, zeigte der wunderlich schnelle und stechende Blick, womit er den Kavalier überlief, und die feine Weise, womit er den Lord zwar als Bekannten, doch mit einer kühlen Zurückhaltung empfing, die zum ersten Mal einen Stolz durchblicken ließ, den seine frühere Haltung kaum hatte ahnen lassen.[10]

Lord Membrocke schien jedoch hierauf wenig zu geben und im Gegentheil entschlossen, sich ausschließlich seiner Person zu bemächtigen, als Lord Saville ihm etwas zuflüsterte, was die Farbe Membrocke's änderte und ihn bald den Augen der Menge entschwinden ließ. Ein unbeschreiblich verächtliches Lächeln glitt über das starre Gesicht des Fremden. Sein Auge verfolgte einen Augenblick die Richtung, in welcher der Lord davon eilte, während ein Unbekannter an ihn selbst ein Wort zu richten schien, dessen Empfang er mit einem leichten Neigen des Kopfes andeutete.

Doch wenn auch, wenigstens für einen Theil der Gesellschaft, die Ankunft der Fremden eine Art von Zerstreuung gewährt hatte, so kehrten doch bald Alle zu dem lastenden Gefühl der Beleidigung zurück, die mit jeder ablaufenden Stunde drückender und nicht mehr durch die Versicherung gemildert ward, daß der Herzog noch bei Hofe sei; indem Jeder wußte, daß der Hof wohl von Buckingham, aber Buckingham nicht vom Hofe abhänge. Unruhe und Verdrießlichkeit erreichte schon die Dienerschaft an den Portalen des Schlosses, als plötzlich die dienstthuenden Vorreiter des Herzogs in den Hof sprengten, die Wachen ins Gewehr traten und alsbald die Karosse des Herzogs mit dem lang ersehnten Gebieter daher flog. Seine erste Bewegung war, dem Thürsteher, der so eben seine Ankunft donnernd verkündigen wollte, Schweigen zuzuwinken, und, anstatt die Treppen nach den Gesellschaftssälen hinauf zu steigen, bezeichnete er dem voraneilenden Diener den Weg über eine Seitentreppe nach seinen Gemächern. Erschrocken fast blickte Maxwell, der erstere Kämmerer des Herzogs, seinen Herrn an, als er ihn in ungeordneter Kleidung und mit nachdenkenden Mienen, ohne einen der ihn sogleich umgebenden Diener zu sehen, durch die halb erleuchteten Gemächer nach seinem Schlafzimmer eilen sah, als habe er von der Richtung seiner Schritte kaum Kenntniß.[11] Maxwell, sogleich ein besonderes Ereigniß ahnend und eben so entschlossen, sich allein in dessen Kenntniß zu setzen, entfernte aus eigener Machtvollkommenheit die sich ihm nachdrängenden Dienstbeflissenen.

Er fand bei seinem Eintritt in das Schlafzimmer des Herzogs denselben bereits aller der Kleidungsstücke entledigt, welche die Bequemlichkeit hinderten, und beschäftigt, einen großen seidenen Mantel um sich zu ziehen, worin er sich, von Maxwell unterstützt, sogleich zur behaglichen Ruhe in die Kissen seines Ruhebettes warf.

Maxwell, der dies für die Vorbereitung einer frischen Toilette hielt, beeilte sich, vor den Augen des Herzogs einige neue sehr kostbare Anzüge auszubreiten, in steigender Ungeduld das erste Wort des launenhaften Mannes erwartend, der indessen mit halb geschlossenen Augen und fast träumend die Gegenwart seines Dieners nicht zu bemerken schien. Doch eben so schnell aus einem Zustand in den andern übergehend, flog er nach einigen Augenblicken wie ein Blitz empor und forderte mit einer bis zum Zorn gesteigerten Ungeduld ein Kästchen, was Lord Saville abgegeben haben müsse.

Es stand vor seinen Augen, und seine unscheinbare Hülle rechtfertigte sehr wenig das grenzenlose Entzücken, womit der Herzog es jetzt an Brust und Lippen drückte, und nun mit den Händen und Maxwells Hülfe und allen zur Hand sich findenden scharfen Werkzeugen eine Hülle nach der andern löste, bis endlich ein seidenes Tuch von Purpurfarbe, mit goldenen Lilien besäet, dem Herzog in die Augen fiel. Er stieß nun die Hände Maxwells zurück, um es mit den zärtlichsten Liebkosungen zu bedecken, die er nur unterbrach, um ein in Gold und purpurrothen Sammet gefaßtes Kästchen hervorzuziehen, welches beim schnellen Oeffnen das Bild einer schönen Dame im glänzendsten Schmucke gewahren ließ.[12]

Wir enthalten uns, die Ausbrüche einer leidenschaftlichen Liebe, wie sie der Herzog von Buckingham zu empfinden vermochte, hier aufzuzeichnen. Maxwell, an solche Scenen gewöhnt, dachte mit einem höhnischen Lächeln der Marquise von St. Pol, die noch gestern in Person der Gegenstand von Aeußerungen war, die jetzt einem todten Bilde und einem seidenen Tuche verschwendet wurden. Zu genau diese Zustände kennend, um den Herzog früher davon abziehen zu wollen, als diese Emfindungen in ihm von selbst sich erschöpften, und hinreichend belehrt, daß dies seine Geduld nicht über Gebühr in Anspruch nahm, zog er sich hinter die Barriere der aufgerichteten Prachtkleider zurück, jeden Ausruf des Herzogs mit einem Lächeln des Spottes und der Verachtung begleitend. Aber der Herzog schien dies Mal die vorwaltende Liebesangelegenheit mit Gedanken ernsterer Natur vereinigen zu müssen; es schien in ihm ein Streit zu walten, der nur dann einzutreten pflegte, wenn ihm Zweifel kamen, welches ihm das Vortheilhafteste, Bequemste oder Belustigendste sein möchte.

Offenbar neigte sich aber dem abwesenden Gegenstande, der sich ihm in dem reizenden Bilde personifizirte, sehr bald die Wage, und er brach in einige gottlose Eidschwüre aus, ihrem Besitze jedes andere Interesse der Erde zu unterwerfen. Welche lächerliche Träume einer empfindsamen Knabenwelt, setzte er lachend hinzu, sind überdies diese sogenannten Bande der Natur, und existiren sie hier noch? Einem unbekannten Wesen, dessen Dasein man mir zu verhehlen wagte, als es mir noch von Werth sein konnte, sollte ich jetzt vielleicht dieses Wiedersehen opfern? Dieser Knabe Karl, der die blödsinnige Vorstellung hegte, mir ein albernes Geheimniß zu entziehen, und die strafenswerthe Kühnheit, es wirklich auszuführen! Ihren Plänen, nachdem sie ergraut und in sich selber zusammengefallen, sollte ich die Hand bieten, da sie sich selbst dem Grabe verdammt haben,[13] und damit zugleich dem süßesten Glücke, welches mir in Dir, Du himmlisches Bild, lächelt, selbstmörderisch entgegentreten? Die Entscheidung ist nicht schwer, und sie ist geschehen, rief er mit einer gellenden Stimme, die das ganze Grauenhafte eines überschrienen Gewissens in ihrem Laute trug. Zurück sank er in seine Polster, und indem er das Kästchen mit dem Gemälde nach allen Richtungen drehte und schob, sprang plötzlich der Deckel von einander, und ein fein geschriebenes Blatt, eng mit farbiger Seide umstrickt, fiel dem Herzoge entgegen. Doch das Glück, sich in den Besitz des Inhalts zu setzen, sollte ihm verzögert werden, denn nach einem kurzen tobenden Gepolter im Vorzimmer und dem Gezänk abwehrender Diener ward die Thür des Kabinets rasch geöffnet, und Sir John Saville stürzte, bis an die Schwelle von den Dienern verfolgt, in dasselbe herein. Maxwell, froh über eine Dazwischenkunft, die den langweilig werdenden Zustand des Herzogs hoffentlich unterbrechen mußte, verschloß schnell hinter dem Eingedrungenen die Thür, neugierig der Bewegung Beider lauschend. Doch keineswegs schien der Herzog gesonnen, das dreiste Verfahren seines Quasi-Freundes gütig aufnehmen zu wollen.

Und darf man fragen, sprach er, sich in den Kissen aufrichtend und zornig blickend, was Lord Saville mit der angenehmen Vertraulichkeit, die er sich eben herauszunehmen beliebt, andeuten will? Haben meine Diener das Versehen gemacht, Euer Gnaden herbei zu rufen, so bitte ich mir den Schurken zu bezeichnen, der mich veranlaßt, Euch selbst jetzt ankündigen zu müssen, daß ich allein sein will. Ja, wollen Euer Gnaden sich verantworten oder sich lieber entfernen?

Ich habe das Erstere nicht nöthig, brauste Saville mit roher Stimme auf, und erkläre, das Letztere nur in Eurer Gesellschaft zu thun. Es überschreitet fast das Maaß der Möglichkeit, den von Beleidigungen sprechen zu hören, der in demselben[14] Augenblicke nicht allein mich, sondern alle Herzöge, Grafen und Barone, inklusive der sämmtlichen Großwürdenträger der Kirche der drei vereinigten Königreiche mit Schmach und Beleidigungen überschüttet und seine besten Freunde unter der Marter nutzloser und verachteter Höflichkeitsspenden zur Verzweiflung bringt.

Euer Liebden, unterbrach ihn Buckingham, ohne allen Zorn sich behaglich dehnend und an den Seidenfäden des entdeckten Briefchens zupfend, Euer Liebden scheinen sich übel zu befinden. Man spricht in London von böslichen Fieberanfällen, die eine schnelle Zerstörung des Gehirns bewirken. Oder habt ihr an einem Schenktische repräsentirt? Oder haben die nächtlichen Gelage einer Woche Euch zu einem Tags-Träumer gemacht? Ich nehme vielen Antheil an Eurem bedenklichen Zustande. Maxwell, wo stehst Du, unthätiger Schuft, während mein bester Freund in so betrübter Lage sich befindet. Einen Lehnstuhl! eile! eile! öffne sein Wamms; wo sind die heilsamen Tropfen der Mutter Kleratri, welche selbst gegen den Tod an den luftigen Balkonen der zeitlichen Gerechtigkeit sich unfehlbar zeigen! Oder seid ihr nüchtern, Mylord, und durch eifrige Studien über die Tischzeit getäuscht? wie Gelehrte denn pflegen, aus Hunger geistreich und belehrend zu werden; ich bitte Euch, befehlt! – Maxwell, Couverts! Laßt auftragen, wenn in diesem elenden Junggesellen-Hotel heute schon Feuer auf dem Heerde brannte.

Spart Cure jämmerlichen Späße, Mylord, rief immer erhitzter Saville, und glaubt nicht, mich damit zu täuschen. Ihr wißt sehr wohl, daß ihr eure Diener mit Einladungen durch London gejagt, um heute einen Hof in Eurem Hause zu halten, bei dem Euch die vornehmsten und wichtigsten Personen des Landes den Tribut ihrer abgezwungenen Unterwerfung darbringen sollen. Ihr wißt sehr wohl, daß Ihr die empörende Unverschämtheit habt, dies Fest seit vier Stunden ohne den Wirth[15] bestehen zu lassen; Ihr wißt, daß Ihr Euch damit so viele Feinde macht, als dies Haus Häupter zählt, während Ihr wie ein Kind in Euern seidnen Windeln liegt und Seide zupft. Doch Alles wird sein Maaß finden, und Ihr werdet dieses Fest mit Verfolgungen bezahlen müssen, die zahlloser sein werden, als die Haare Eures Hauptes. An ihrer Spitze steht mit drohenden Blicken schon jetzt die entthronte Königin des Tages, die Marquise St. Pol. Dies Fest, das Ihr durch alle Künste der Ueberredung ihr als ein Geschenk zur Annahme aufdrangt, sie sieht es jetzt als eine öffentliche boshafte Beschimpfung von Euch an. Der Kreis der zurückweichenden Damen, der sie zu Anfang wie ihr Gefolge umgab, wird immer weiter, und immer kälter wenden sich die Blicke von ihr; denn man wagt eben so wenig die zu verachten, die Buckingham ehren will, als man sie zu beschützen denkt, wenn er sie aufgiebt. Doch alle tragen eine und dieselbe Last der Beleidigung, Alles trägt mit der Marquise denselben heißen Wunsch, sich zu rächen und zu entfernen. Die Gesellschaft ist in Parteien getheilt, die Minister des Königs, Salisbury an ihrer Spitze, die Grafen von Cumberland, Sussex, Clifford, Sommerset, Clarendon stehen als Oberhäupter und beherrschen mit ihren zornigen Blicken ihre um sie versammelten Anhänger. Die schottischen Barone, die irischen Pairs blicken erstaunt auf dies Schauspiel einer vor ihren Augen geschehenen Demüthigung ihrer stolzen englischen Nachbarn und nehmen dann, so viel ihr mattes Ehrgefühl es zuläßt, ihr Theil für sich davon, während die Bischöfe, Dechanten und Kapläne mit Nasen, an deren zorniger Gluth Ihr Eure Kapaunen rösten könntet, umhergehen, und vergeblich den besänftigenden Geruch Eurer Tafel erwarten. Auf, thörichter Mann, fuhr Saville fort, in seinen früheren Unwillen verfallend, aus dem er sich selbst fast herausgeschwatzt hatte, auf, beeilet Euch, wieder gut zu machen, was noch möglich ist![16]

Aber ihm schallte statt der Antwort ein so übermäßiges Gelächter des Herzogs entgegen, so heftig, so anhaltend und ausgelassen, daß Saville, dessen völlig gehaltloser Karakter unfähig war, eine Meinung irgend einer Art gegen den prachtvollen übermüthigen Buckingham festzuhalten, zuletzt mit fortgerissen, ihm gegenüber in einen Sessel sank und, in dies Gelächter des Herzogs einstimmend, kaum einzuhalten im Stande war, als Buckingham schon die thränenden Augen sich zu trocknen begann.

Saville, Krone aller lustigen Spaßmacher meines frivolen Hofstaats, kein Königreich nehme ich für den unsäglichen Spaß, den Du vor mir vorüber führst! Welch ein Fest konnte die erschöpfte Kasse Deines herzoglichen Freundes schaffen, welches nur den hundertsten Theil des Vergnügens abwarf, das diese Deine unvergleichliche Beschreibung über meinen Geist verbreitet. Wahrlich, ich bin erquickt, als hätte ich in Aether gebadet, meine Nerven haben Elastizität gewonnen, und es scheint mir werth, diesem abgenutzten Leben noch einen Gedanken zu widmen.

O des bezaubernden Anblicks, diese stolzen Gesellen wie die Schulknaben im Sonntagsputz gedemüthigt zu haben; sie sich selbst züchtigen zu sehen, Einer in der eingebildeten Größe des Andern; ihre ohnmächtigen Rachegedanken zu errathen, die Keiner länger Muth hat zu verfolgen, als so lange ich fern bin; diese hochmüthigen Ladys, die vergeblich ihre Tugendlarven abzogen, meiner kleinen Favorite zu huldigen, und die nun in der Enttäuschung sich selbst herabgesetzt sehen! Höre auf zu lachen, armseliger ausgebrannter Kopf, und sage mir, wenn es Dir möglich ist, ob Du oder ich oder irgend ein Mensch der Erde sich ein so reizendes Vergnügen ausdenken konnte, wie hier sich im Reiche des Zufalls gestaltete.

O Du unvergleichlich liebenswürdiger Bösewicht, lallte hier Saville, aus seinem Lachen sich heraus kämpfend, wie war es möglich, dieser tragischen Begebenheit die allerlächerlichste[17] Seite abzugewinnen und mein vom Zorn exaltirtes Blut so abzukühlen? Ja, es ist wahr, Buckingham, sie gehen mit tollen Gesichtern umher, und wir, Membrocke, Cork und Norris, haben uns oft die Handschuhe in die Zähne gestopft, um nicht über ihre jämmerlichen Fratzen laut aufzulachen; aber dessenohngeachtet sage ich Dir, es war ein lästiger Spaß für uns, Deine Marschälle des Bankets! Ich dachte, sie würden uns an die Gurgel fassen für jede Artigkeit, die wir hervorbrachten. Besonders seit die spanische Grandezza aufgezogen ist und sich gleichfalls, mit ihrem Knaben von Herzog an der Spitze, beleidigt stellt, wollen die Andern vor Bosheit vergehen; sie denken, ihre Schmach kömmt nun ins Ausland. Nur die französischen Herren sind liebenswürdig geblieben.

Was sprichst Du, unterbrach ihn hier Buckingham, mit beiden Beinen zugleich vom Lager aufspringend, die französischen Herren? Sie sind anwesend, erschienen? Wie konnte ich das vergessen! – Kleider! Kleider, Maxwell, Kleider! Wo bist Du? Geschwind! – Fort, Saville, in die Säle zurück, ich bin so eben angekommen, ändere nur die Kleider, war am Bette des Prinzen von Wales, der, bis jetzt bedeutend krank, meiner Pflege bedurfte. Fort! fort! Verbreite an jeder Ecke des Saales diese Nachrichten und schicke mir sogleich Membrocke; einige Andere sollen im Vorzimmer warten.

Membrocke! Membrocke! weißt Du, was Du sprichst? sagte in dumpfer Verwunderung Saville; kannst Du die Krankheit des Prinzen beweisen? Willst Du eine Thorheit durch eine andere, die Dir wichtiger werden könnte, gut machen?

Jämmerlicher Schwätzer, schweig und wage es nicht, mit Deinem stupiden Geiste dem meinigen die Richtung geben zu wollen! schrie Buckingham, außer sich vor Ungeduld, während er die Kleider fast zerriß, die Maxwell, an diesen Ungestüm gewöhnt, ihm mit der größten Schnelligkeit anzulegen suchte.[18] Eile und vollziehe meine Befehle, daß nicht meine eigne Hand Dich aus diesen Zimmern werfe; augenblicklich soll Membrocke hier sein! Fort mit Dir, oder ich erdrücke Dich!

Ich gehe, sagte Saville mürrisch und ohne sich zu beeilen, ob aber Membrocke kömmt, magst Du erwarten, denn bis jetzt macht er den frère servant bei einem breitschultrigen französischen Kaplan, der, heute erst angekommen, auch unter Deinen französischen Herren sich befindet.

Buckingham blieb stehen, wie vom Blitz getroffen; die Augen traten ihm stier aus dem Kopfe, und eine jähe Glut überschlug sein schlaffes Gesicht. Wer ist es? Wie nennt er sich, den Du so bezeichnest? brach er hervor, indem er Saville an beiden Schultern ergriff. Bei allen Teufeln sprich, wie heißt der, den Du Kaplan nennst?

Laßt mich, sagte Saville, sich den Herzog derb abschüttelnd, Ihr habt mich heute genug gequält, ich habe es satt; seht ihn Euch selbst an, oder fragt Membrocke, mit dem er bekannt ist, es ist ein Monsignore und sein Name Mar – Mas –

Mazarin? schrie Buckingham, außer sich. Kann sein, sagte Saville, schon halb im Vorzimmer, und die Thür fiel klirrend zwischen Beiden zu. Aber Mazarin? dieser Name klang noch so oft aus dem Munde des so plötzlich veränderten Herzogs, als müßte er sich durch den Klang von seinem wirklichen Dasein überzeugen. In einen Sessel geworfen, schien er Alles außer diesem Laut vergessen zu haben, und Maxwell wagte nicht, die halbvollendete Toilette zu beendigen.

Doch währte dieser äußere Stillstand nicht lange, die geöffnete Thür zeigte den schönen eleganten Grafen von Membrocke, den ausschweifendsten und sittenlosesten Gefährten und Vertrauten Buckinghams. Sein beschränktes Vermögen und sein grenzenloser Aufwand hatten ihn, trotz seines Hochmuths und bei dem Glanze eines hundert Mal ältern und vornehmeren Namens,[19] doch zu einer Art von vornehmen Miethling des Herzogs gemacht, und nur die Schönheit und Anmuth seiner Person hatte ihm ein Ansehn erhalten, welches er zu sichern suchte, indem er das Entehrende seiner Verhältnisse zu Buckingham in die Reihe der spaßhaften Verlegenheiten eines Mannes von Welt verwies.

Mazarin? rief Buckingham, so wie er ihn sah, aus seinem Nachdenken auffahrend und fragend auf Membrocke zueilend.

So ist es, erwiederte der Graf, mit einem schnellen Blick das Ruhebett überlaufend, auf dem noch der In halt des empfangenen Päckchens lag, und wie ich sehe, der Bote süßer Gaben! In Wahrheit, ich möchte wetten, er ahnt nicht, daß er Euch als Handlanger diente, und ich muß die Feinheit eines liebenden weiblichen Herzens bewundern, die den Gegenstand Eurer Eifersucht wegschickt, um Euch Alles zu senden, was Euch in der Ferne beglücken kann. Mensch, was gab Euch diese Gewalt über die stolzeste der Frauen! Schickt mich nach Deutschland, Mylord, vielleicht schließt dies Land noch ähnlichen Zauber in sich. Ich kenne sie sonst alle und kenne die Scenen, die man mit ihnen durchzuspielen hat, so auswendig, daß ich vor Langerweile dabei vergehe.

Aus Buckinghams Zügen verlor sich die Starrheit in dem Maaße, als er den Worten Membrocke's lauschte. Du hast durch Deine Worte die aufsteigenden Dämonen dieser Brust beschworen, und mich von der Wuth und Verzweiflung der Eifersucht erlöst, rief er endlich. Ha, diese abscheuliche Mißgeburt, die Beleidigung der menschlichen Gestalt, und dieses Meisterwerk der Schöpfung, dies Weib, von jeder Schönheit, jedem Zauber umgeben, den der herrlichste Geist in dem schönsten Körper zu schaffen vermochte! Wer hat es ausgedacht, Beide im Zusammenhang zu glauben, ohne zugleich der ganzen Ordnung der Dinge Hohn zu sprechen? Und doch! Und doch, Membrocke, doch ist der Zweifel da, dennoch, dennoch[20] zittre ich, in dieser Mißgeburt meinen Nebenbuhler zu sehn! –

Weil Du es vorziehst zu zittern, weil Dir der Sieg fast zu bequem ohne Schwierigkeiten erscheint, und der schöne glänzende und stets siegende Buckingham lieber einen Pavian, als gar keinen Nebenbuhler, haben möchte. Halt ein jedoch und laß die Grillen fahren, die in Wahrheit weder Grund haben, noch Dir und dem Andenken Deiner Göttin ziemen. Jage nicht im blinden Eifer dieser einen Phantasie nach und laufe an dem Ziele vorüber, das indessen der, der Dich wild gemacht, vielleicht ohne Hinderniß erreicht!

Zu toll ist es von Dir, den weggesandten Nebenbuhler noch zu fürchten; ergründe lieber, was dieser feine schleichende Prälat in England zu verrichten hat, – wahrscheinlich mehr, als Dir dies Bild, dies Tuch, dies übersponnene Brieflein auszuliefern. –

Ha, Membrocke, Du hast Recht! Schon wieder holt Dein ewig gegenwärtiger Verstand den meinen ein. Ich bin ein thöricht unbesonnener Knabe. Wie kann ich träumen, der Freund, der Vertraute dieses Teufels Richelieu betrete diesen Boden, ohne die Fußangel vor mir auszubreiten, in der ich mich gefangen geben soll. Höll' und Teufel! Wen ließ ich zurück, mir Bericht zu senden über jener Machinisten reges Spiel? Wer blieb zurück? Hilf mir, wer hat gewagt, so schlecht mich zu bedienen, daß dieser Dämon die Stiegen dieses Palastes betrat, ehe ich die Ahnung seiner Ankunft erhielt! Hier unter meinem Dache, Membrocke, ehe ich es ahnte! Begreifst Du es? Ich, Buckingham, betrogen, überlistet! Wer hat dies Bubenstück erdacht? Wer hat gewagt, mir diesen Streich zu spielen? So wahr ich lebe und den Namen trage, vor dem die Mitwelt zittert, es soll sein letzter sein![21]

Schreckbar von Wuth entstellt, die zitternde Hand am Gefäße seines Degens, den er den Händen Maxwells entrissen, schien sein Auge lechzend den Gegenstand seiner Wuth zu suchen und fiel auf die schöne glänzende Gestalt des Grafen, der mit der feinen Kälte der Ueberlegenheit am Kamin lehnte und mit gleichgültiger Miene für sich zu denken schien. Ohne den Herzog anzublicken oder den Ton zu heben, verwies er ihn zur Ruh. Ihr werdet begreifen, fuhr er fort, daß kein Athemzug dem Kardinal Eure Ueberraschung verrathen darf. Eilt schnell, Euch als Protektor ihm aufzuwerfen, ehe wer Anders Euch zuvorkommt. Schon beugte vor dem Freunde des mächtigen französischen Ministers Salisbury den starren Rücken, und Clarendon und Sussex lauschten seinen Worten. Ihr müßt es ihnen zuvorthun, so eifrig ihn bewachen, daß er zum freien Athmen keinen Raum behält; um so sicherer könnt Ihr ihn beobachten. Doch laßt uns zur Gesellschaft eilen. Maxwell, thut Eure Schuldigkeit! Ich sehe hier an diesem Meisterstück von Wamms und Mantel ein schlecht gewähltes Gürtelband. Wozu dies matt gehaltene Geschmeide von Türkissen zu diesem pfirsichfarbnen Sammet? Warum nicht jene Smaragden in Juwelen? Sie sind bei weitem passender. Das Neueste ist, man trägt die Quaste auf der Schulter unter der Agraffe des Mantels; seht, so wie diese hier. Buckingham, Du Ideal der Mode, Du Angelpunkt aller Augen, die sich mit Eleganz und Feinheit bereichern wollen, muß ich Dich belehren? Setze Maxwell auf Pension, ins Spital mit ihm, sein Sinn wird stumpf! Doch sag', hat Saville meine Nerven umsonst erschüttert mit der Nachricht, den Prinzen habe der Schlag gerührt? –

Ich hoffe, er hat diese Thorheit Dir nur allein ins Ohr geraunt, Dich aus dem Saal zu locken; er sollte es sonst büßen. Doch nur zu gewiß ist, daß ich dies Mal unfreiwillig mein Gastmahl ohne Wirth gelassen; der Prinz erkrankte plötzlich und[22] liegt danieder. Der König heult an seinem Bette, und es war schwer zu entkommen; auch kam ich nur, um dies Gewühl von Gästen aufzulösen und dann zu ihm zurück zu kehren. Doch es entfiel mir Vieles über dem Vielen, was ich heute gehört, und endlich Alles über diesem inhaltreichen Kästchen, ha! Und endlich auch dieses über dem Ueberbringer! Sag', ist Ormond anwesend! –

Er spielt die Rolle Josephs auch heute meisterhaft! Und darum just, rief lachend Buckingham, hab' ich ihn Dir zum Gefährten erwählt. Erstaune nicht; Du folgst mir nach Whitehall und bleibst die Nacht, ich habe Dir viel zu sagen. Jetzt laß uns gehn, ich bin so kalt jetzt, so ruhig und besonnen, wie nach zwölf Stunden Schlaf. Diese stolzen Herren werden an fünf Stunden Aerger, hoff' ich, jetzt schon zu viel haben, um durch meine, leider nur zu gut begründete Entschuldigung sich beruhigen zu lassen; und das ist mein Trost. Nur ungern wollte ich den süßen Spaß entbehren, sie so toll gemacht zu haben; und müßte ich diesen Mazarin nicht heute noch umstricken, ich hätte ihnen die volle Ladung nach Hause mitgegeben und lieber Verse an den Mond gemacht, als daß ich unter ihnen noch erschienen wäre!


In einem kleinen Thurmzimmer des französischen Gesandtschaftshauses finden wir einige Stunden später den bedeutenden Mann wieder, der durch seinen bloßen Namen Buckinghams Leichtsinn erschütterte. Seine Erscheinung, als Freund des mächtigen Richelieu, sicherte ihm schon damals die Huldigungen aller derjenigen, die irgend die Wichtigkeit des eben auf seiner höchsten Höhe stehenden französischen Ministers zu beurtheilen verstanden. Wenig schien Mazarin durch die Art, wie er[23] überall auftrat, diese Auszeichnungen zu unterstützen und noch weniger zu verrathen, wie er einst wirklicher, als irgend ein gekröntes Haupt Europa's, die Herrschaft führen und alles seinen Plänen unterthan machen werde. In seiner unscheinbaren, mehr geistlichen als weltlichen Kleidung gelang es ihm vornehmlich, sein Aeußeres fast unbedeutend erscheinen zu lassen, da die Natur ihn wenig mit körperlicher Schönheit begabt hatte. Seine athletische Gestalt und seinen späterhin berühmt gewordenen Anstand, der durch frühere militärische Dienste entwickelt war, hielt er bis jetzt noch rathsamer, vor den Augen der Welt in die sanften gebeugten Manieren eines guten bescheidenen Mannes einzuhüllen.

Dessen ungeachtet hatte Buckingham Gelegenheit genug gehabt, seinen weitreichenden und großen Einfluß kennen zu lernen. Sie waren sich bei des Ersteren Anwesenheit in Frankreich auf einem Felde begegnet, wo der schlaue Julio Mazarini sich um jeden Preis zu behaupten entschlossen war, so wie Buckingham seinerseits in dieser Beziehung weder einen Gegner in dieser Gestalt gefürchtet hatte, noch ihm zu weichen dachte. Wenn jedoch diese Macht, die Mazarin für sich in der Stille warb, der Welt und namentlich dem Auslande vorerst noch ein Geheimniß bleiben mußte, so war in der Art, wie Richelieu wohl Mazarin als den einzigen ihm gleichkommenden Kopf zu bezeichnen pflegte, diesem ein Ansehn zugegeben, welches ihm, auf welchem Platz Europa's er auch erscheinen mochte, eine weit über seine äußere Stellung reichende Auszeichnung sicherte. Doch war mit seiner Erscheinung auch stets ein gewisses Aufmerken, vielleicht nicht ganz ohne einen Zusatz heimlicher Befürchtung, verbunden. Richelieu gebrauchte ihn stets zur Ausführung von Plänen, die nur ein Ohr zur Mittheilung fanden, eben das seinige, und die kleinen schmeichelhaften Sendungen, die Richelieu in seinem oder seines Königs Namen durch Mazarin[24] an die verschiedenen befreundeten Höfe ergehen ließ, hatten oft für Richelieu eine so überraschende Kenntniß der wichtigsten Geheimnisse eines solchen beschickten Hofes zur Folge gehabt, daß man langsam anfing, die starke Beobachtungsgabe dieses Boten einzusehn und ihn wenigstens in der möglichst besten Laune zu erhalten wünschte, da man in der Regel zu ungeschickt war, ihn unschädlich zu machen.

Richelieu war dies Mal über die Nückreise des Prinzen von Wales in so zärtlicher Besorgniß gewesen und so entzückt über dessen glückliche Ankunft, daß Mazarin von ihm gesendet ward, seine und des Königs Freude dem Prinzen auszudrücken. Alle, denen dies mitgetheilt ward, schienen über so viel Antheil und Freundschaft entzückt, während Alle mit angehaltenem Athem einander fragten, was er wohl noch vorhaben möchte. Mazarin war über den ersten Eindruck, den er bei seinen jedesmaligen Sendungen hervorrief, keinen Augenblick ungewiß; aber er besaß neben seiner schnellen und untrüglichen Menschenkenntniß eine so ausdauernde unbesiegbare Ruhe, Sanftmuth und Geduld, daß die Befürchtungen sich wie von selbst an ihm entkräfteten, und er fing erst dann seine Pläne zu verfolgen an, wenn er alle ihm in den Weg gelegten und alle im Voraus ihm bekannten Proben als ein guter harmloser Mann bestanden hatte. Richelieu's große, erhabene Natur war einer solchen, seinem ganzen Naturell widerstrebenden Operation unfähig, aber er benutzte an seinem Gefährten diese Fähigkeit und wußte sie als eine unschätzbare Gabe zu achten, wenn auch ohne sie ihm zu beneiden.

Mazarin hatte sich dem Zwange der Geselligkeit entzogen, und es war leicht wahrzunehmen, daß ihm dies zu einer größeren Entwickelung seiner eigensten Natur geholfen. Das lange geistliche Kleid war über einen Sessel geworfen, und die kräftige hohe Brust und die breiten Schultern wurden vortheilhaft von[25] einem Wammse von violetter Seide mit feiner Goldstickerei gehoben. Im Geschmack der Zeit, mit sorgfältiger Vermeidung jeder geckenhaften Uebertreibung, war auch seine übrige Person in dieselben Farben gekleidet, und eine feine goldne Kette um seinen Hals war mit den Enden in das Wamms geknöpft. Der Knopf indeß, der dies zusammenhielt, hätte fast den besondern Werth dessen, was er verschloß, errathen lassen; denn es war ein ungewöhnlich schöner und großer Diamant.

Im Hintergrunde des Gemachs waren zwei Pagen damit beschäftigt, die goldnen und silbernen Geräthschaften, welche sich in einem Reisefutteral befanden, auszupacken, und ihre sorgfältige Vermeidung jedes Geräusches schien sich auf den Eifer zu beziehen, womit Mazarin an einem Tische, zwischen zwei Kerzen, mit der Abfassung eines Briefes beschäftigt war. Doch konnte der Gegenstand des Briefes unmöglich ein ernster sein. Die Heiterkeit, die bis zu einem breiten Zug von Lächeln um seinen Mund gestiegen war, und anderseits die Zerstreuung, in der er, oft aufblickend, die Augen nach einer kleinen gothischen Thür, ihm gegenüber, richtete, zeigten hinreichend, der Inhalt sei bequem und leicht so nebenher abzufassen.

Ein kaum merkliches Geräusch ließ sich jetzt vernehmen. Mazarin erhob sich und ging auf die Pagen zu, die, mit ihrem Geschäft zu Ende gekommen, schweigend seiner Befehle harrten. Ich danke Euch für heute meine Lieben, sprach er sanft und freundlich; ich werde nur noch Benville bedürfen, der im Vorzimmer warten mag, bis ich ihn rufe. Bei Euch wird der Schlaf nach dem anstrengenden Reisetage wohl nicht auf sich warten lassen. Gute Nacht, gute Nacht! Der Herr segne Euch, setzte er hinzu, als die Knaben niederknieten, um seine Hände zu küssen, die er alsdann segnend auf ihr weiches Lockenhaupt legte. Er blickte ihnen nach bis die Thüre des Vorzimmers sich geschlossen, und vielleicht war das Gefühl, womit er die süßen,[26] schlaftrunkenen Kinder ihrer sichern Ruhe übergab, und welches unverkennbar seine Züge auf einen Augenblick einnahm, sogar der Wehmuth verwandt. Doch die Welt der Gefühle war bei ihm in den Hintergrund gedrängt; er wollte sie nur kennen, in so fern sie ihm als Menschenkenner zu seinen Schlüssen und Urtheilen nöthig waren; sich selbst gebot er als erste Lebensregel, über allen ihren Anforderungen bloß als Beschauer dazustehn. Unläugbar hatte er von diesem kühlen Standpunkte aus sich einen sehr gesicherten Einfluß über Andere erworben. Ob es indessen möglich sei, sich selbst ganz dieser großen Beherrscherin der Menschheit zu entziehn; ob man nicht in der Beobachtung und Erkennung der Gefühle Anderer die eigenen immer wieder mit auferziehe; ob jene göttliche Liebe, die unsere Entwickelung nie aus den Augen verliert, eine ihrer schönsten Gaben ganz unterdrücken lassen möchte, wer wollte es fürchten, und nicht lieber glauben, uns sei bloß gestattet, die Außenseite von ihren Erscheinungen frei zu erhalten, innerlich bleibe der kleine Heerd, um den, selbst gegen unsern Willen, sie, unverletzlichen Hausgöttern gleich, ihre Plätze behaupten, wenn auch bei dem Einem zur lieblich sich mittheilenden Geselligkeit erhoben, bei dem Andern zum ernsten Schweigen verdammt, immer doch ihres unzerstörbaren Daseins Zeugniß ablegend.

Gern nehmen wir den vorliegenden Moment als eine Bestätigung dieser Ansicht, da es überdies leicht die einzige sein könnte, die dieser merkwürdige Mann uns mitzutheilen veranlaßt. Denn schon sehen wir ihn, weggewendet und der alten Heimath seiner Gedanken zurückgegeben, jene mienenlose Ruhe gewinnen, die seine Feinde und Beobachter zur Verzweiflung brachte. Er berührte nur zu einem Klange die Glocke auf seinem Tische, und langsam öffnete sich die kleine von ihm beobachtete Thür, und in einen weiten Mantel gehüllt, trat ein ältlicher Mann ein, der sofort, Mazarin erblickend, den Mantel zur Erde[27] warf und, auf ihn zueilend, ganz überwältigt, wie es schien, zu seinen Füßen niedersank.

Benedicas! rief er mit leiser, bebender Stimme.

In majorem Dei gloriam! antwortete Mazarin mit feierlichem Ton und segnete das tiefgesenkte Haupt des alten Mannes.

Steh auf, Porter, setzte er sanft, aber ernst hinzu, wir dürfen uns nicht erweichen; es ist lange her, daß wir uns zuletzt sahen, aber so dies leibliche Auge Dich nicht erreichen konnte, traf mein geistiges doch stets auf einen getreuen und eifrigen Diener im Namen des Herrn und unserer heiligen Sache!

Porter, der von uns bereits erwähnte Kammerdiener des Prinzen von Wales, erhob sich jetzt von seinen Knien, und zeigte eine kleine, magere und gebeugte Gestalt in einer grauen Kleidung ohne alle Abzeichen. Sein längliches, blasses Gesicht war von einem trüben Ernste gefurcht, und ein sparsames weißes Haar lag dünn um die schmale Stirn. Seine matten blauen Augen, die den rührenden Ausdruck des Kummers aussprachen, hatten sich noch nicht zu seinem, in der Vergleichung mächtiger noch erscheinenden Gefährten erhoben, sondern ruhten schwermüthig am Boden. Mazarin durchschaute vielleicht nur zu schnell aus ihm bekannten Gründen den Gemüthszustand des alten Mannes, und suchte durch die freundlichste Herablassung sein Herz zu ermuthigen.

Doch was seh' ich, alter Freund, wie bist Du Deinen Jahren vorangeeilt. Weißes Haar und dieser gebeugte Rücken? –

Porter schlug jetzt mit einem tiefen Seufzer die Augen auf, und sie blieben auf Mazarins kräftiger Gestalt einen Augenblick ruhen, indem er mit dem Ausdruck des Schmerzes hinzufügte: Nicht an Allen geht die Zeit spurlos vorüber!

Sage vielmehr, an Keinem, antwortete Mazarin, diese Worte wie einen Vorwurf empfindend; wenn auch der Himmel[28] oft die wunderbar zu kräftigen weiß, die in ihrem schweren Berufe vor ihm getreu und gehorsam und der besondern Kraft benöthigt sind!

Ja wohl, sprach Porter, der Herr mißt Jedem sein Maaß, und ich murre nicht, daß er das meine nur gering bestimmt zu haben scheint: denn mein Leben war ein nutzloser und trüber Kampf zwischen zwei geheilgten Pflichten, welche zu vereinigen mir nie gelang, und denen ich dadurch vielleicht gleich unnütz ward.

Selbstgerechtigkeit sich in irgend einer Angelegenheit anmaßen zu wollen, sprach Mazarin streng, gehört zu dem Ungehorsam, welchen Deine Vorgesetzten Dir in ihrer heil'gen Machtvollkommenheit als die gefährlichste Klippe unserer geistlichen Tugenden untersagt haben. Welcher Hochmuth heißt Dich Dein Leben nutzlos nennen, so Dir noch vergönnt ist, an der kleinen Stufenleiter unserer Befehle, Deinen Fähigkeiten gemäß, hinanzuklimmen? Du bist von der Regel abgewichen, und ich könnte Dich strafen, wenn nicht Milde und Geduld mit den Gebrechen der Menschheit unser erstes Gesetz wäre, und wenn Du nicht die Strafe Deiner Vergehungen schon in jenem muthlosen Trübsinn trügest, womit der Beschützer unserer heiligen Vereinigung alle die heimsucht, die sich zu eigner Beschauung verführen lassen! –

Ach, hochwürdiger Herr, leget nicht die Bürde Eures Zorns auf mein schwaches und gedrücktes Herz! Gott, dessen Augen die Herzen prüfet, er weiß allein, wie ich um Kraft und Muth gefleht zur Vollführung des Willens meiner erhabenen Obern. Er weiß, wie ich nicht denken wollte, da es mich nur zu oft auf Abwege führte. Aber der Versucher ist mir in jeder Gestalt erschienen; in der Gestalt eines erhabenen Herrn zuerst, den ich gegen meinen Willen lieben mußte, ach, selbst in der Gestalt meiner geheiligten Religion, die ich verläugnen und entbehren mußte, und die mich zu fragen schien, ob ich das[29] Rechte um solchen Preis zu thun vermöge. Ach Herr, Herr! ich bin ein Sünder und dem Zorn der heiligen Gesellschaft verfallen. Ich fühle es, und nur Ihr könnt mich retten, wie Ihr es oft thatet, indem Ihr meinen wankenden Glauben stützt. –

Ja wohl, sprach Mazarin mit dem Tone des Vorwurfs, der doch schon eine allgemach zu hoffende Verzeihung ankündigt, wohl hast Du mir es schon oft zur traurigen Aufgabe gemacht, Dich mit Dir und Deinen Pflichten auseinander zu setzen, und Dein gebleichtes Haar und Deine gefurchten Wangen scheinen mich noch nicht dieser Sorge ablösen zu wollen.

Hochwürdiger Herr, sprach der Alte, fast ihn unterbrechend, während eine leichte Röthe um das blasse Gesicht zog und es erhellte, wie der Abglanz eines fernen, längst abgetödteten Ehrgefühls, wollet wenigstens bedenken, daß diese Wangen, daß dies spärliche Haar Gestalt und Farbe im Dienste des geheiligten Ordens Jesu erhielten.

Ich kam her, dessen zu gedenken, erwiederte Mazarin sanft, und wenn kein Winkel der Erde den Pflichtvergessenen vor unserer gerechten Strafe zu sichern vermöchte, so erreicht unser Lohn auch den treuen und gehorsamen Diener unter allen Verhältnissen des Lebens, und die Höchsten des Ordens steigen zu ihm nieder als Freunde und Brüder, und er steht den Mächtigen der Erde gleich in dem Heiligthum ihrer geheimen Welt; Ich komme und bringe Dir den Segen des göttlich erleuchteten Claudius Aquavia; er giebt Dir seinen erhabenen Beifall und erlaubt Dir durch meinen Mund im Namen dessen, an den wir alle glauben, fortzufahren in dem Dienste, dem er Dich bis jetzt gewidmet. Er erlaubt Dir, um der wichtigen und Gott gefälligen Zwecke willen, die sein erhabener Wille, uns unbewußt, zu erreichen gedenkt, ferner die heilige Kirche zu verläugnen und vor den Augen der kurzsichtigen Menge Dich jenen Verirrten anzureihn, die Gott in ihrem sündigen Verstande anbeten. Er[30] sendet Dir in dieser goldnen Kapsel, fuhr er fort, indem er aus seinem Busen ein kleines wohl verwahrtes Kästchen zog, eine von Urban selbst geweihte Hostie, die ich kraft seines Willens Dir zu Deiner geistigen Erquickung nach den Regeln unserer heiligen Kirche zu reichen befugt bin.

Der Eindruck dieser Rede und der darauf folgenden Gabe auf den alten unglücklichen, seiner Pflicht erliegenden Mann war unbeschreiblich; wahrhaft schrecklich für den, der nicht wie Mazarin damit sein Ziel erreicht sah, sondern blos die fürchterliche Macht dieses halb despotischen, halb schmeichelnden Ordens darin erkennen mußte. Die von Gewissenszweifeln eingesunkenen und zernagten Züge schienen sich zu glätten, die gebeugte Gestalt hob sich, den starren, trüben Augen entsprühte ein fanatisches Feuer, welches seinen zitternden Körper in Bewegung setzte. Sich anbetungsvoll niederwerfend, streckte er die Hände nach dem Heiligthum aus, das er so lange entbehrt, wonach er sich so inbrünstig gesehnt, und das nun in höchst möglichster Würde und Kraft ihm zu Theil werden sollte. Er war mit allen seinen Zweifeln und Sorgen am Ende, und in diesem Augenblicke nichts weiter, als der eifrige und unterworfene Diener der Väter des Kollegiums zu Clermont. Mazarin hatte diesen leichten Sieg zu oft und mit denselben Mitteln erreicht, um etwas Weiteres, als die Beendigung eines gewöhnlichen Geschäfts, darin zu sehen. Nach einigen leichten Vorkehrungen schickte er sich an, die Berichte Porters zu hören, die kaum in etwas Anderem bestanden, als in den eben vernommenen Regungen seines Gewissens, welche er, nun ausschließlich dem Interesse der Gesellschaft Jesu wieder zugewendet und ihre Gewalt als eine göttliche verehrend, als Versuchung des bösen Feindes ansah, und welcher Qual Beschwörung er von dem Genusse der geweihten Hostie mit Zuversicht erwartete. Mit welchen Gründen Mazarin diese Hoffnungen zu unterstützen suchte, lassen wir unberührt. Das[31] Resultat genügt uns, daß Porter, indem er fortfuhr, die kleinsten von ihm ausgespähten Handlungen seines unglücklichen Prinzen rücksichtslos zu verrathen, nur die höchste Verpflichtung der Erde zu erfüllen, und der Tugend und dem Prinzen selbst in getreuster Liebe zu dienen wähnte.

Den Tod der Gräfin Buckingham erfuhr ich erst bei meiner Landung, führte Mazarin ein angefangenes Gespräch weiter, Lazarino hatte sich zu den Ruderern gesellt, die mein Boot herüber brachten. Vielleicht machte diese Nachricht meine Herüberkunft weniger nöthig, und nur Deine Abwesenheit entschuldigt diese späte Mittheilung. –

Hochwürdiger Herr, mein Amt ist schwieriger, seit der Herr Herzog die Person des Prinzen unablässig umgiebt; dessen ungeachtet hatte nach Euerm Befehle ich alle Mittel benutzt, Euch so schnell, wie möglich, zu dienen, während ich aber Pater Lorenzo bei Euch glaubte, erfuhr ich seinen Hingang! Die Verzweiflung des gnädigsten Prinzen bei der Nachricht des Todes der hohen Dame war grenzenlos und ich fürchte, der Anfang einer großen Krankheit. Der Herr Herzog haben sich gänzlich seiner bemächtigt, haben mich zu Bett geschickt, den Leibarzt ins Vorzimmer. Seine Majestät den König selbst haben Sie wie ein Kind, gleich welchem der alte Herr sich auch laut weinend geberdete, durch die Gemächer nach seinen Zimmern geschleppt und ihn hier, wie man einen Buben bedroht, zur Ruhe verwiesen. Sie versehen jeden Dienst selbst, und Lord Membrocke bedient wieder den Herzog. Ich sah dem Wesen lange zu von einem sichern Plätzchen aus, fügte er lächelnd hinzu, bis die Stunde schlug, die mich zu Euch rief. –

Erzähle mir jetzt genau, von welcher Zeit Du die Vertraulichkeit des Prinzen und des Herzogs rechnest, und ob Du glaubst, daß Buckingham von Allem unterrichtet ist, was des Prinzen geheime Verbindung betrifft. –[32]

Ehe wir nach Spanien gingen, wußte er sicher hiervon nichts. Beide hatten ein verschiedenes, gegenseitig geheim gehaltenes Interesse, die Bemühungen des Grafen Bristol zu verwünschen. Der Herzog von Buckingham war beleidigt, überall mit Bewunderung und Verehrung den Namen des Gesandten zu hören; der alte Haß, den die Tochter Bristols, die Frau Herzogin von Nottingham, durch ihre Vermählung gegen alle Mitglieder dieser Familie in ihm angezündet, ward aufs Neue genährt durch so viel scheinbares Glück und Verdienst, und alle nur erdenklichen bösen und gottlosen Reden über diese papistische Betschwester, wie er die allergnädigste Infantin zu nennen pflegte, gingen so rücksichtslos über seine Lippen, daß sie nur zu oft das Ohr meines Prinzen erreichten, aber anstatt den Prinzen zu kränken, was sonst der Herr Herzog auch eben nicht ungern veranlaßte, fand er den Prinzen auf seine Ansicht fast eingehend. Ihr könnt Euch denken, wie dem armen Herrn das Herz schwellen mochte, wenn er eine Schwierigkeit nach der andern sinken sah und, vom alten Könige bedrängt, jede neue Ausflucht mit dem Zorne des Vaters erkaufen mußte. Seine letzte Hülfe war der Herzog von Nottingham. Sie sahen sich, und er, der am besten die verzweiflungsvolle Lage des Prinzen kannte, willigte ein, nach Madrid zu gehen. Als Schwiegersohn des Grafen Bristol konnte seine Reise nicht auffallen, und er war vom Prinzen zu jedem Mittel autorisirt, das diese gefürchtete Verbindung trennen konnte; ja, im letzten Falle sollte er der Großmuth der Infantin, von welcher der Prinz eine sehr gute Meinung hatte, sein ganzes Verhältniß vertrauen, doch vorher bei dem Herrn Grafen von Bristol Alles erschöpfen, ihn davon abzuschrecken. Diese unglücklichen Ketzer besprachen sich in meiner Gegenwart über das beste Mittel, dem Herrn Gesandten die Vermählung mit einer Katholikin als verderblich fürs Land darzustellen! Ihr wißt, Hochwürdiger Herr, wie[33] der arme Herzog Madrid nur erreichte, um an einem auf der Reise ausgebrochenen Fieber, worin er aus Eifer für seinen gnädigsten Prinzen sich nicht geschont, zu verscheiden. Als die entsetzliche Nachricht hier eintraf, die der erleuchtete Provinzial Manzori um zwölf Stunden früher an mich gelangen ließ, ohne daß es in meiner Macht stand, den Prinzen vorzubereiten, – denn dies hätte den geheimen Weg verrathen können, auf welchem ich davon in Kenntniß gesetzt worden, befanden sich eben der Herr Herzog von Buckingham bei Seiner Königlichen Hoheit. Den gnädigsten Herrn überwältigte der Schmerz auf das Heftigste, und ich sah ihn in die Arme des Mannes stürzen, den er so lange Jahre vermieden hatte. Ach, Herr, die Hand stützte ihn, die sich einst freventlich gegen ihn erhoben! Aber der arme erschütterte Herr verrieth in seinem Schmerze, warum der Herr Herzog nach Spanien gereist; denn in der Verblendung dieses Schmerzes nannte er sich den Mörder seines Freundes. Von diesem Augenblicke an vertrat Buckingham die Stelle des Vertrauten. Er erfuhr aber dennoch nicht den versteckten Anlaß zu dem Widerwillen des Prinzen und ahnte ihn auch nicht. Denn der Herr Herzog sind wohl böswillig und äußerst listig, aber auch oft von großem Leichtsinne besessen, und übersehen leicht die Ursachen, die Andere leiten, wenn Sie selbst nicht in Absichten gehindert sind, deren Erfolg Sie eben mit Eifer betreiben. Genug, er war es, der den Entschluß des Prinzen, nun selbst nach Spanien zu gehen, zuerst aussprach und den gnädigen Herrn dergestalt zu reizen wußte, daß er sich fast mit Gewalt von dem Könige die Erlaubniß nahm. Er versprach dem Prinzen, daß er diese Verbindung stören wolle, indem er unverholen seinen Haß gegen den Grafen von Bristol und dessen Ruhm und Ansehn aussprach; ferner, wenn sie nach Spanien kämen, solle der Prinz dabei die Freiheit haben, sich als der liebenswürdigste Herr zu betragen, wobei er tausend Mal Ehre[34] und Leben verpfändete, den Prinzen unangefochten durchzubringen. Und Ihr wißt, wie er vollständig sein Wort gelöst hat. –

Ja, unterbrach ihn Mazarin, von unwillkürlichem Verdruß ergriffen, weil die Väter Jesu ihn nicht hindern wollten, und den eiteln Thoren unbewußt nach ihrer Genehmigung und ihrem Willen handeln ließen. Sie waren es, die seine Reise beschützten, und die zahllosen Gefahren von seinem und des Prinzen Haupte abwendeten. Doch weiter, weiter, setzte er hinzu, von seinem Unmuthe, wie es schien, selbst überrascht.

Die Gräfin, fuhr Porter fort, sollte über die Reise Seiner Königlichen Hoheit getäuscht werden, wie man sie schon früher über die Reise des Herrn Herzogs von Nottingham getäuscht, was aber damals leichter möglich gewesen war, da sie eben auf einer Reise nach Schottland sich befand, um ihre Tochter abzuholen. Denn stets war diese edle Dame bereit, dem Prinzen die Freiheit wieder zu geben, und nie würde sie seine Schritte gegen den Willen des Königs genehmigt haben. Seine Königliche Hoheit sandten daher, da ihre baldige Rückkehr erwartet werden durfte, ihr die Bitte entgegen, seine längere Abwesenheit wegen Krankheit des Königs zu entschuldigen und nicht eher Briefe zu senden, als er sie abfordern werde. So war der Gefahr vorgebeugt, daß diese wichtigen Mittheilungen in fremde Hände kämen, zugleich aber auch der armen Dame bei herannahendem Ende jedes Mittel geraubt, ihre Lage kund zu geben und ihre Tochter in Sicherheit zu bringen. Der einzige Schritt, den sie that und thun konnte, den Herzog von Nottingham, unter dessen Namen alle ihre Briefe an den Prinzen gingen, zu unterrichten, brachte ihr die Nachricht seines Todes zurück. So kam es denn, daß die Nachricht von ihrem Ende durch die Beamten ihrer Güter dem allein anwesenden Grafen von Buckingham mitgetheilt ward, welcher sich sogleich beeilte, einen wohl bedeutenden Nachlaß der Schwester in Beschlag zu nehmen.[35]

Bei unserer Rückkehr erfuhr ich sofort, was ich Euch über den Tod der Frau Gräfin und die Flucht und das Verschwinden der jungen Lady mitgetheilt habe; denn der Herr Herzog hatten Ihren alten Kammerdiener zurückgelassen, und Davenack wußte nichts, was ich nicht auch erfuhr. Da der Prinz selbst nicht an die Reise zu der Frau Gräfin denken konnte, indem ihn theils Seine Majestät der König, theils der Herr Herzog nicht aus den Augen verloren, war er im Begriffe mich abzusenden, um die, die er noch am Leben und sich, vermöge seiner Kämpfe um sie, näher gestellt wähnte, zu begrüßen. Denn die arme Dame war so von der Welt vergessen, daß ihr Tod für den Hof nur eine Fortsetzung ihres Lebens war und Niemand davon wissen konnte, da Niemand mit ihr in Verbindung stand. Da kam der Graf von Buckingham, der indessen, wie gewöhnlich, von einem Orte zum andern geschwelgt hatte, zurück und verkündete zuerst dem Herrn Herzoge den Tod der Schwester. Da der Herr Herzog sie seit ihrer Entfernung von London nicht wieder gesehen hatte, war ihm ihr Tod nun auch höchst gleichgültig, und so war es mehr der Zufall, als eine zu lösende Verpflichtung, daß der Herzog Seiner Majestät es anzeigte und nun des Anstandes halber dem Prinzen eine gleiche Meldung machte. Da ich jeden Augenblick etwas der Art erwartete, blieb ich stets in der Nähe Seiner Königlichen Hoheit, und so war ich Zeuge dieser traurigen Scene. Der Prinz blieb starr und bleich wie Marmor vor ihm stehen, dann fuhr er mit der Hand nach dem Herzen und stürzte ohnmächtig zu Boden. Ich verschloß sogleich die Thüren, und wir brachten ihn beide nach langen vergeblichen Bemühungen in's Leben zurück; aber der Wahnsinn, in den der gnädige Herr gerieth, entdeckte Buckingham das ihm lang entzogene Geheimniß. Als der arme Herr anfing sich zu erholen, suchte sein gutes Herz Trost an dem Herzen des Bruders und fiel in die ausschweifendsten Pläne, jetzt noch der Verstorbenen jede Ehre zu[36] erweisen, die er ihrem Leben nicht mehr hatte gewähren können; namentlich aber wollte er die junge Lady für seine Tochter erklärt haben und dem Könige darüber sogleich seine Bitte vortragen. Der Herr Herzog widersprachen ihm nicht, denn Sie waren doch anscheinend sehr überrascht und wohl ganz ungewiß über die von der Sache zu fassende Ansicht. Doch beruhigten Sie Seine Königliche Hoheit durch die Zusicherung jeder Mitwirkung, die in ihren Kräften stände; auch unterstützte ein zweiter Anfall, den der Prinz bekam, und dem eine gänzliche Abspannung folgte, das Bemühen des Herzogs, vor allen Dingen Zeit zu gewinnen. Die Aerzte wurden nun gerufen, der König benachrichtigt, und obgleich der Herzog Alles that, um müßige Personen zu entfernen, erscholl doch bald das ganze alte Schloß von der traurigen Nachricht dieses gefährlichen Erkrankens. –

Und was, fragte Mazarin weiter, was hörtest Du von der jungen Lady, die so schnell verschwunden, und deren Sicherheit durch den Grafen Buckingham so arg bedroht schien. –

Davenack, sprach Porter, hat mir darüber, was er von dem Kammerdiener des Grafen herausholen konnte, erzählt.

Nachdem nämlich der Herr Graf die Anzeige von dem Tode seiner Schwester erhalten hatte, glaubte er in Abwesenheit des Herrn Herzogs, der am selben Tage London mit Seiner Königlichen Hoheit verlassen hatte, dahin abgehn zu müssen, nicht undeutlich die Hoffnung verrathend, irgend einen Nachlaß zu finden, der ihn für diese langweilige Reise entschädigen könne. Er hatte dieselbe auch so lange verzögert, daß er die Schwester im Sarge fand. Eines Abends, als er im Buckingham – Park noch bis zur Nacht schwelgend an der Tafel saß, meldete ihm sein Kammerdiener, es hätten sich vermummte Gestalten nach dem Paradezimmer, worin die Leiche der Frau Gräfin stand, geschlichen. Immer schien er die Ahnung irgend eines Geheimnisses zu haben. Daher gebietet er sogleich mehreren Dienern,[37] ihm zu folgen, und findet die junge Lady an dem Sarge ihrer Mutter; er entreißt ihr den Schleier, der sie umhüllt, und die Aehnlichkeit mit seiner Schwester, die sich nun ihm zeigt, verwirrt ihn so, daß er einen Geist zu sehen glaubt. Feuergeschrei giebt ihr Gelegenheit, mit Gersem zu entfliehn. Das Feuer leitete den Grafen nach einem vorher übersehenen Theile des Hauses; er fand eine halb verbrannte Frau; Mistreß Hanna war es. In den Flammen, welche die von ihr im Schlaf umgestoßene Kerze entzündet hatte, erwacht und von Außen eingeschlossen, hatte sie ein Fenster aufgerissen, wodurch das Feuer nur mehr um sich griff, bis die Thür verbrannt einstürzte und Hülfe von Außen kam. Kaum war die Gefahr vorüber, so vermißte der Graf die Flüchtlinge. Schloß, Garten und endlich die angrenzenden Gehöfte wurden durchsucht; ein Hirtenknabe verrieth die Fliehenden, die, um schneller zu entkommen, Pferde in einer Meierei genommen hatten.

Die Schönheit des Fräuleins, das Geheimnißvolle ihrer Auffindung und Flucht, Alles bringt den Herrn Grafen in Wuth, er selbst setzt sich mit mehreren Dienern zu Pferde und bald hat er sie erreicht. Gersem setzt sich zur Wehre; ein Hieb über den Kopf streckt ihn nieder und giebt das sterbende Fräulein in die Gewalt des Grafen. Da ihr Leben entflohn zu sein scheint, kehrt er zur Nacht in eine Hütte ein, um Wiederbelebungsversuche zu machen, während der schwer verwundete Gersem nach dem Schlosse voran gesendet wird. Aus jener Hütte nun ist das Fräulein aufs Neue durch ein Fenster entflohn, und ob nun der Herr Graf durch das bereits Geschehene etwas die Lust verloren hatte oder die Unglückliche wirklich bald in Sicherheit kam, genug der Herr Graf kehrte nach mehreren Versuchen, sie aufzufinden, unverrichteter Sache zum Schlosse zurück. Er fand hier viel zu thun, das Feuer brannte noch; Gersem und Mistreß Hanna waren sterbend. Er schickte nach einem Arzt,[38] dem er empfahl, das Schloß nur nach der Genesung Beider zu verlassen; allen Hausgenossen aber ward über das Geschehene, bei Verlust des Dienstes, das strengste Geheimniß anbefohlen. Sodann reisete er ab, ich denke, ein wenig verlegen, wie der Herr Herzog die Sache beurtheilen werden, da dieselben oft in Bezug auf die Handlungen Anderer kritischer sind, als nach ihren eignen zu erwarten stände.

Der Herr Graf hatte übrigens gewünscht, dem Herrn Herzog Nachricht über die junge Lady zu geben, über deren Zusammenhang mit der verstorbenen Dame er nicht ohne Verdacht geblieben war. Bei Gersems angehender Besserung versuchte ein Abgesandter des Herrn Grafen ihn auszuforschen; aber Gersem war ganz unerbittlich. Auf die Frage, wer sie sei, hat Gersem geantwortet, daß er es nicht wisse; auf die Frage, wo sie sei, hat der Schmerz, den er geäußert, nur zu sehr bestätigt, daß er sie selbst verloren habe, und das Einzige, was er nicht verborgen, war sein früherer Entschluß, die Lady nach London zu bringen.

Dessen ungeachtet ist es gelungen, den Aufenthaltsort der jungen Dame auszuforschen, denn der Herr Graf wünschten sie wieder in Verwahr zu nehmen, und ließen daher von Alois und seinen Leuten die Gegend ausspähen, da zu erwarten stand, daß diese junge und zarte Dame nicht sehr weit vorgedrungen sein könne, ohne Schutz und Hülfe in der Nachbarschaft zu finden, was ihre Entdeckung erleichtern mußte.

Dies bestätigte sich auch bald. In der Gegend von Cheffield stieß nämlich Alois in Bettlertracht auf eine glänzende Cavalcade von Herren und Damen, in deren Mitte die junge Lady Maria, die Alois sogleich wieder erkannte. Es waren Damen und Herren aus Godwie-Castle, und der junge Herzog von Nottingham an der Spitze des Zuges. Eingang in das Schloß zu gewinnen, war zwar leicht, da jedem Bedürftigen[39] Nahrung gereicht wird, aber die junge Dame von dort zu entführen, schien unmöglich, da sie im Schooß der Familie von allem, was die Etikette und die Sicherheit erfordert, umgeben lebt, und der Graf haben nunmehr das Weitere bis zur Ankunft des Herrn Herzogs aufgeschoben. –

Mazarin hatte mehrere Male, während der Alte, ohne einzuhalten, seine Berichte mit der aufs Neue bestätigten Devotion gegen die Befehle des Ordens ihm vortrug, auf einer kleinen Tafel neben sich einige Worte notirt, während sein scharfes Auge, dann wieder halb gesenkt, keinen Zug, keine Bewegung des verführten Greises verabsäumte. Auch gehörte die Mimik des Alten sehr wesentlich zu seinen Worten. Obwol zu dem blassen, dürftigen Ausdruck, der in seinen Zügen herrschend war, zurückgekehrt, und ohne den Blick beim Sprechen aufzuschlagen, hatte er eine Art, mit der seitwärts am Leibe niederhängenden Hand hinterwärts ganz wenig und blitzschnell in die Luft zu haschen; und diese Bewegung war, von einem Lächeln um den Mund begleitet, so bitter und verächtlich, daß es die innere Verdammung der Sache andeutete, wenn auch die Worte seines Mundes nie über die devote Sprache des demüthigen Dieners sich erhoben.

Mazarin sah so vor seinen Augen die Personen bezeichnen, gegen die der Privathaß des Alten den Eifer unterstützte, zu dem er im Bunde des Ordens verpflichtet war. Wenn er auch im Ganzen einen solchen Verrath innerer Meinungen tadeln mußte, als eine mangelhafte Ausbildung an einem Schüler der heiligen und strengen Väter, deren erste Regel die vollkommene Beherrschung des Aeußern war, so glaubte er sie doch weniger in diesem Falle rügen zu dürfen. Die Zeit hatte hier längst jeden Verdacht entkräftet, da der Greis mit dem vollständigsten Verrathe seines Prinzen zugleich eine Sorgfalt und aufopfernde Liebe für denselben verband, von der er zu viele Beweise gegeben,[40] um nicht von ihm als ein völlig geprüfter und bewährter Diener zum Theilnehmer an den wichtigsten Beziehungen seines Lebens gemacht zu wer den.

Auch hüteten sich die klugen Väter sehr wohl, den Alten auf Proben des Gehorsams zu setzen, die gegen die scheinbare Treue, welche sich Porter in der persönlichen Behütung des Prinzen vorbehalten hatte, stritten, fürchtend, der Gehorsam desselben könne sich dort zu ihrem Nachtheil zeigen, da seine oft erregten Gewissensskrupel schon jetzt der Gesellschaft des Prinzen zuzurechnen waren, dessen reiner, gerechter und tugendhafter Sinn auf die sophistischen Lehren und Grundsätze, welche Porter erzogen hatten, bedenklich einwirkte. Im Gegentheil wußte man ihm sein schweres Amt stets aus dem Gesichtspunkt einer aufopfernden Liebe für den Prinzen darzustellen; derselbe solle geschützt werden gegen Feinde des Thrones, er solle dadurch dem Einfluß der heiligen Väter erhalten werden, die bei ihrer großen Liebe zu dem hoffnungsvollen Prinzen ihn aus der schrecklichen Gefangenschaft der Ketzerei dereinst zu erlösen hofften.

Weiter reichten die wohl erwogenen Fähigkeiten Porters nicht; hierzu hatte er aber die den geringeren Ständen oft in hohem Grade eigene Beobachtungsgabe, und seine Meldungen haben bewiesen, daß er weder etwas Wesentliches übersah, noch über die Mittel, sich in Kenntniß zu setzen, verlegen war. Er war so im Mittelpunkt des Hofes eine unschätzbare Person geworden, die man dabei mit nichts weiter zu nähren hatte, als mit den fanatischen Mitteln der heiligen Kirche und der gleich großen Furcht, welche die vornehmen und mächtigen Ordensbrüder ihm einzuflößen wußten. Sein natürlicher Hang zur Intrigue, der, von Jugend auf in ihm entwickelt, jetzt der einzige Reiz seines öden, von allen wärmeren Beziehungen des Lebens völlig entblößten Daseins ausmachte, unterhielt diese Absichten.[41]

Vorerst, sprach Mazarin mit der Kälte des Obern, welcher den befohlenen Bericht angehört, wirst Du mir jetzt zu hinterbringen wissen, was Buckingham über das heut Erfahrene beschließt, ob er den Aufenthalt der Lady kennt, und was er ihr zugedacht? Zweitens, setzte er hinzu, indem ein etwas rötherer Glanz um seine Züge spielte und einer jener stechenden Blicke hervor brach, wodurch er zuweilen sein Herz erleichterte, zweitens will ich jeden Boten, jeden Brief, den Buckingham oder Membrocke in dieser Zeit absendet, vorher gesehn haben. Devenant wird dies als eine kleine vorläufige Begrüßung ansehn, setzte er hinzu, einen schweren grünseidnen Beutel Porter darreichend. Solltest Du, mein ehrlicher Freund, für den solche Dinge keinen Werth haben, solltest Du nicht Auslagen gemacht haben? Der Orden würde es verweigern, Deine Rechnungen zu sehen, da Du aber an der Kasse heiliger Zwecke Deinen Antheil hast, so nimm dies vorläufig; Du darfst solche elende Mittel nicht schonen. – Porter nahm mit völlig gleichgültiger Miene eine ähnliche Summe, indem er mit Stolz hinzusetzte: Bemerkt wohl, nicht in meinem Interesse empfange ich dieses elende Mittel, wie Ihr mit Recht sagt.

Ohne zu antworten, wandte ihm Mazarin den Rücken. Er hatte Erfahrungen genug gemacht über die Wirksamkeit dieser Mittel, und hatte nie ermangelt, die Empfänglichkeit dafür in seinen Werkzeugen zu unterhalten, wenn es auch bei Porter nur zu den Nebenwirkungen diente, die nicht ausbleiben durften. Dieser hatte die Befehle für seine nächsten Dienste mit aller Unterwürfigkeit empfangen und sich dann auf demselben geheimen Wege entfernt, der ihn sicher hierher geführt, während Mazarin sich den Händen Benvilles übergab, um nach einem höchst bewegten Tage sein Lager und den Schlaf zu suchen, wenn er dem willig erscheinen möchte, vor dessen Seele das Leben gerade nur so viel Werth und Bedeutung hat, als er durch eignen[42] Willen hinein legt. Diese Ansicht macht allerdings die Sorge für den kommenden Tag zu einer Aufgabe unserer Willkür, jenen Frieden, jene Ruhe fern haltend, welche willig nur den erreichen, dem die Ueberzeugung von der eignen Kraftbegrenzung zum freudigen Vertrauen wird auf eine höhere, überall ausreichende Kraft.


Es würde schwer sein, in das Chaos der Gedanken, welche in Buckingham wogten, einzudringen; er fühlte jedoch die Nothwendigkeit eines zu fassenden Entschlusses, weil das wiederkehrende Bewußtsein des Prinzen sogleich entscheidende Anforderungen hervorrufen konnte, denen irgend eine Richtung zu geben, er alsdann gerüstet sein mußte.

Die Ueberzeugung erbitterte ihn, daß ihm ein so wichtiges Geheimniß entzogen ward, daß seine heimlichen Spione eine so große Begebenheit in seinem nächsten Interesse übersehen konnten, daß der Prinz, den er so lange als einen unmündigen Knaben aus Gnade geduldet und geschont hatte, ebenso seine Schwester, die als unbrauchbar von ihm verachtet und vergessen war, daß Beide ihn so zu täuschen vermocht, ihm das entzogen hatten, was seinem Ehrgeiz aufs Höchste geschmeichelt und ihn zum Meister alles Glanzes erhoben haben würde. Dies Mittel, Bristol mitten in seinen Operationen tödtlich zu treffen und die Familie dessen auf die höchste Stufe zu heben, welchen dieser unerschütterliche Mann stets mit der verdienten Nichtachtung behandelt hatte; dies Ereigniß endlich, welches er selbst herbeizurufen bemüht gewesen war, ehe die Erhebung des Prinzen zum Thronerben ihn an der Möglichkeit hatte verzweifeln lassen, welches nun ohne seinen Willen, seinen Schutz dennoch geschehen; dies alles und die hieraus hervorgehende beschämende Ueberzeugung,[43] daß seine Macht nicht überall ausreiche, brachte in ihm einen Groll, eine Wuth hervor, die jeder andern Rücksicht vorherrschen wollte. Daß dies Gefühl gemäßigter in ihm geworden wäre, hätte seine Schwester noch gelebt, und wäre das noch zu erringen gewesen, was ihm so große Befriedigung verhieß, scheint uns allerdings wahrscheinlich. Ihr Tod aber machte den Prinzen wieder zu einem freien Eigenthum des Staates, und er sah voraus, daß diese versäumten Vortheile, wenn sie bekannt würden, ihn in den Augen seiner Feinde mehr lächerlich, als beneidenswerth machen würden. Er mußte sich mit Zähneknirschen gestehen, daß er dem Prinzen bei der Reise nach Spanien als Werkzeug von Plänen gedient, die ihm so nahe lagen, und worüber ihm dennoch das Vertrauen entzogen ward, während er wähnte, den Prinzen zu dieser Reise in dem Interesse seiner Pläne gegen Bristol benutzt zu haben. Für so viele Demüthigungen und so vielen möglich gewesenen Vortheil schien ihm eine königliche Nichte ein trauriger Ersatz. Sie war ihm in seinen bis jetzt verfolgten Plänen sogar lästig und hinderlich, und alle Kränkungen, welche sein stolzes Herz durch die Urheber ihres Daseins empfangen zu haben glaubte, vereinigten sich in Widerwillen gegen dies unschuldige Wesen, das zu opfern, ihm nur eine sehr geringe Befriedigung der Rache für so viele ihm zugefügte Unbilden schien.

Zwar mußte er sich sagen, daß die Erklärung ihres rechtmäßigen Daseins vor der Welt, in Spanien nur vollenden mußte, was er begonnen, aber diese Sache war für ihn abgemacht; denn Spanien hatte bereits Noten überreicht, die nicht nur jede Täuschung über etwaige freundschaftliche Verbindungen oder nähere Verhältnisse aufhoben, sondern sogar auf offene Feindschaft deuteten; ja, er wollte diesen Bruch, den er, über Bristol triumphirend, sich allein zuzuschreiben trachtete, nicht scheinbar der Bekanntwerdung einer allerdings unter allen[44] Umständen beleidigenden und trennenden Veranlassung beigemessen wissen.

Man sollte sagen: Buckingham habe diese Verbindung nicht gewollt, also hat er sie getrennt. Ebenso wenig paßte die Lautwerdung dieser geheimen Verbindung zu den neueren Absichten Buckinghams, die er angeknüpft, um das große Werk einer Vermählung des Prinzen nicht allein dem Grafen Bristol zu entreißen, sondern sich selbst anzueignen.

Er hatte die unbesonnene Reise des Prinzen nach Spanien durch Frankreich geleitet, und indem er den Hof Ludwigs des Dreizehnten durch die natürlichen Vorzüge des Prinzen gewinnen ließ, und der Prinz die aufblühende Schönheit der Prinzessin Henriette, der reizenden Tochter Heinrichs des Vierten, kennenlernte, wußte er Richelieu für eine Verbindung Beider zu stimmen, ihm den Prinzen schon jetzt liebend zu schildern und, was seinen Besuch in Spanien betraf, der wahren Absicht die Lüge unterzuschieben, daß es dabei auf Henriettens Besitz abgesehen gewesen sei.

Richelieu hatte für den Augenblick kein Bedenken, zu thun, als ob er Buckingham Alles glaube. Diese Verbindung war ihm gelegen. Was ihr entgegen stand, kannte Richelieu besser, als Buckingham. Er war jedoch weit entfernt, diese Schwierigkeit hervor zu heben, die er im Gegentheil sehr bemüht gewesen war Buckingham verbergen zu helfen, zumal da deren Kenntniß damals, wo die Schwester des Herzogs noch am Leben war, nur zu gewiß in den Plänen desselben eine Diversion gemacht hätte. Richelieu war daher entschlossen, erst dann den Herzog die Entdeckung machen zu lassen, wenn er weit genug die Sache betrieben haben würde, um dann aus Stolz sie fortsetzen und nothgedrungen selbst die Hindernisse entfernen zu müssen. Wenn jedoch der Herzog von Buckingham seinen Stolz darein setzte, als eine mächtige diplomatische Person dazustehn, war[45] sein Karakter doch zu sehr die Beute aller Leidenschaften, um eine solche Stellung mit Consequenz und Ueberlegenheit durchführen zu können, und der Leichtsinn und der Uebermuth seines ganzen Wesens verstrickte ihn oft zur selben Zeit, wo er das ernsteste Ziel verfolgen wollte, in tausend Nebendinge, die es dem Zufall anheim gaben, was aus der Hauptsache werden sollte.

Daß dessen ungeachtet ihm so viel gelungen, stand er nicht an, seinen Talenten beizumessen, wie sehr es auch nur seinen geschickteren Emissären oder der Furcht vor seiner zügellosen Rachsucht zuzuschreiben war.

Auf gleiche Weise wußte er dieser mit Frankreich angeknüpften Verbindung auch dies Mal eine Beimischung einer Thorheit zu geben, die allein hinreichend war, über seine Person die tödtlichsten Gefahren zu bringen, und ihn völlig untauglich machen mußte, die Rolle des Unterhändlers, wonach sein ganzer Ehrgeiz trachtete, weiter durchzuführen.

Anna von Oesterreich, die Gemahlin Ludwig des Dreizehnten, lebte an dem Hofe ihres Gemahls wie eine Verstoßene. Dreizehn Jahre lang war eine der schönsten und geistvollsten Frauen, die jemals einen Thron geziert, der Gegenstand eines unüberwindlichen Widerwillens ihres Gemahls gewesen. Jung und von stolzer Gemüthsart, ertrug sie ihr hartes Loos nur mit tiefstem Verdruß, und wußte ihren Wandel nicht vor dem Vorwurf zu bewahren, daß sie ihr Loos verdient habe. Wie konnte Buckingham einer Frau, deren sonderbare Verhältnisse kein Geheimniß waren, und deren bezaubernde Schönheit ihn augenblicklich zum Thoren machte, gegenüber stehen, ohne sich jeden Versuch zu erlauben, den die freche Zügellosigkeit eines verwöhnten Wüstlings ersinnen mag, das Herz und Gewissen eines leidenschaftlichen Weibes zu bethören.

Daß Richelieu auch dies kannte, war gewiß, da er jede Verbindung der unglücklichen Königin wußte, ja, leitete; aber[46] er hatte, durch die Launen des Herzogs begünstigt, hier einen Wächter gefunden, wie ihn Buckingham sich nicht träumen ließ, und der ihn deßhalb um so sicherer durchschaute und umstrickte.

Mazarin, dessen unschönes Aeußere jeden Verdacht der Art von ihm zu entfernen schien, hatte durch den langsamen Zauber der Gewöhnung, durch einen vielseitig gebildeten Geist, durch ein sanftes, von kleinen Launen und Eigenheiten pikant gemachtes Wesen, und vor Allem durch den dargelegten Ausdruck einer anbetenden unglücklichen Leidenschaft für die Königin, endlich das eitle und stolze Herz dieser leidenschaftlichen Frau erweicht. So stark gefesselt, und stets noch mehr sie unterjochend durch seine scharfen und launenhaften Sonderbarkeiten, die zu ertragen er sie gewöhnte, blieb er, wenn auch in Wahrheit mit italienischer Wärme sich hingezogen fühlend, doch stets Beherrscher dieser Empfindung, um sie den Umständen und äußern Verhältnissen unterzuordnen. So war ihm der mächtige Einfluß gesichert, der ihm aus dieser Empfindung für die Zukunft erwuchs. Aber er besaß, bei aller Ruhe, womit er unter den Augen und mit der Beistimmung Richelieus diese Verbindung zu seinen Absichten zu lenken wußte, doch einen Grad von Eitelkeit, der sich bei unschönen Männern um so heftiger zeigt, als sie gezwungen sind, dieselbe eben um der ihnen verweigerten äußern Vorzüge willen zu verbergen. Er fühlte sich innerlich unsäglich geschmeichelt, dieser schönen geistreichen und hochfahrenden Königin eine Leidenschaft eingeflößt zu haben, durch die ihr ganzer Karakter aus den Fugen trat und zum willenlosen Spiel seines Willens ward. Die Gefahr eines Verlustes der so errungenen Gewalt für unmöglich zu halten, war vielleicht die größte Täuschung dieses klaren Geistes, und es konnte nur der feinen Phantasmagorie seiner erwähnten Eitelkeit gelingen, ihn darüber sicher zu stellen.[47]

Wie mußte er daher Buckingham ansehen, der, ohne in ihm seinen Gegner zu ahnen, ihn fast überrennend, mit der rücksichtslosesten Zuversichtlichkeit und dem ganzen Ungestüm des schönen Mannes dem Ziele zustürmte, welches er für einen Andern fast nicht erreichbar wähnte. Noch war Buckinghams Besuch zu kurz gewesen, noch trieb die zärtliche Frau, Mazarins Eifersucht in ihrer tödtlichen Stärke ahnend, nur Spott mit seiner tollen Leidenschaft; aber schon gefiel sich ihre Eitelkeit in der Bewunderung des wegen seiner Schönheit und Galanterie berühmten Mannes. Mazarin sah sie mit ihm die kleinen Künste treiben, die ihn freilich nur verführen sollten, um ihn zu verspotten, aber geweckt aus seiner wohlgefälligen Sicherheit, ließ er sich nicht mehr täuschen, und fand sich zum ersten Male durch das mächtigste Gefühl in seinen politischen Ansichten und Beschlüssen gestört. Richelieu durchschaute ihn sogleich und ertheilte ihm in der Stille nur noch eine bedingte Wirksamkeit in den Angelegenheiten, welche die Höfe von Frankreich und England nach Buckinghams Absichten näher verbinden sollten.

Doch war es Buckingham bei seiner Rückkehr vorbehalten, den Gegner zu erkennen und zugleich die ans Fabelhafte grenzende Leidenschaft der Königin für diesen fast häßlichen, ernsten und abgemessenen Sonderling. Seine Wuth darüber kam nur dem Verlangen gleich, diesen ihm so unwürdig scheinenden Günstling zu stürzen, und die Eitelkeit der Königin unterstützte nur zu sehr die Unternehmungen des wilden Mannes.

Der Herzog verließ Frankreich mit dem Versprechen, als öffentlicher Gesandter und Bewerber um die königliche Prinzessin wieder zu kehren, und ein Verhältniß alsdann fortzuführen, welches der Leichtsinn der Königin schon jetzt begünstigte. So übermüthig er aber seine Absichten betrieb, fühlte er dennoch, daß seine Lage nicht ohne Schwierigkeiten sein würde. Richelieu war stets sein heimlicher Feind gewesen, stellte sich ihm jetzt[48] aber als von gleichem Interesse und den schmeichelhaftesten Gesinnungen belebt gegenüber. Wie wenig er indeß demselben trauen durfte, zeigten die von der Königin empfangenen Warnungen, die ihn zwangen, vorerst schneller abzureisen, um unter einem offiziellen und seine Sicherheit sanctionirenden Karakter wiederzukehren. Auch war dieser ganze Vermählungsplan vorerst Eigenthum seines Kopfes, womit er jedoch leicht fertig zu werden meinte, da er damit am sichersten König Jakobs Schmerz über die Zerstörung seiner Pläne in Spanien zu beruhigen dachte. Auch durfte er bei der Schönheit der Prinzessin Henriette die Einwilligung des Prinzen um so eher zu erhalten hoffen, als dieser von der freisinnigen Bildung dieser Fürstin keinen nachtheiligen Einfluß derselben als Katholikin zu fürchten hatte.

Schon hatte Jakob, unfähig, dem halb zürnenden, halb schmeichelnden Buckingham zu widerstehen, zu Allem seine Einwilligung gegeben, während die Bewunderung des Prinzen für die bezaubernde Henriette von Frankreich ihm zur Zeit die seinige gleichfalls zu sichern schien; genug, der ersehnte Augenblick war nah, der ihn in dem vollen Glanze eines Bewerbers für seinen Prinzen an den Hof zurückrief, wo er hoffen durfte, unter dieser äußern Bestimmung die geheimen Wünsche und Absichten seines sittenlosen Herzens zu verfolgen. Wie mußte er daher die Hindernisse aufnehmen, die sich ihm durch die Mittheilungen des Prinzen einzuleiten schienen, und wie die Ankunft des verhaßten Mazarin, der sich nie ohne wichtige Absichten einzuführen pflegte und den er in so vielen Beziehungen zu fürchten hatte. Aber Hindernisse sind für intriguante Menschen nur ein erhöhtes Lebensprinzip, durch sie wird dem Verlangen, ihre Absichten zu erreichen, noch die besondere Freude, ihre Gegner zu demüthigen, beigesellt.[49]

Wir verlassen einstweilen diesen Schauplatz der Leidenschaften, uns mit den Andeutungen begnügend, deren weitere Entwickelung dem Verfolg unserer Mittheilungen vorbehalten bleibt.


In Burton-Hall hatte sich außer dem Familienkreise des Grafen von Dorset eine zahlreiche Gesellschaft von jüngern und ältern Personen aus der Nachbarschaft gesammelt, welche das gastfreie Schloß der allgemein verehrten alten Herzogin in seiner weiten Ausdehnung anfüllte, und das heitere Leben eines fortlaufenden Festes darin verbreitete.

Die schönen Tage des Herbstes und die großen wildreichen Forsten, die Burton-Hall umzogen, waren eine reiche Quelle von Vergnügungen für die Herren der Gesellschaft, und selbst die Damen verschmähten in der damaligen Zeit keinesweges, diesen Freuden mit einiger Begrenzung ihrer persönlichen Thätigkeit beizuwohnen. Ein Jagdzug gewann allerdings dadurch an mannigfachem Interesse, da in Gegenwart schöner Augen es oft noch ein lockenderes Ziel galt, als mit dem ersten sichern Schusse den zierlich dahin fliegenden Hirsch oder den wüthend hervorbrechenden Keiler zu erlegen, und wenn auch dies Gelingen nicht fehlen durfte, suchte man doch mit gehöriger Kraft und Anmuth Pferd und Waffe dabei zu regieren, ein andres Ziel noch außer diesem im Sinne tragend. Denn wo die Schönheit der Frauen in der Brust des Mannes ein erhöhtes Leben verbreitet, da freut er sich, ein stolzes, wildes Pferd zu besteigen, das von seiner Kraft und seinem Muthe sich bändigen lassen muß, und sein Herz jauchzt der kleinen Gefahr, wenn er im schlauen Aufblick das holde Antlitz der ängstlich Lauschenden sich entfärben sieht, oder den zarten Lippen der Laut des Schreckens entschwebt.[50]

Doch war so leichter Ruhm in jener Zeit, in welcher wir mit unserer Gesellschaft uns befinden, nicht wohl zu gewinnen, denn muthig, gewandt und mit mancher Gefahr des fröhlichen Waidwerks vertraut, waren auch die englischen Damen damals gewohnt, zu Rosse sich lustig zu tummeln, und es galt die volle Anstrengung der zärtlichen Kavaliere, durch ihre Thaten Beifall oder Antheil zu erregen.

Diese Freuden, welche Burton-Hall so schön begünstigte, wurden durch den reich begabten See, der gegen Süden, zunächst dem kleinen Flecken Burton, den Park begrenzte, anmuthig vervielfacht, und nach dem Umherschwärmen im Freien luden die Hallen und Gemächer des Fürstlichen Hauses zu anmuthigen Spielen und Tänzen für die Jugend, während die älteren Männer und Frauen in den angrenzenden Gemächern um die alte Herzogin in traulich ernstem Gespräch versammelt blieben.

Noch immer beobachtete die jüngere Herzogin von Nottingham in diesem Kreise die ernste, verschlossene Haltung der trauernden Witwe. Sie suchte zwar vermöge der feinen Weise ihrer Erziehung die Heiterkeit um sie her nicht zu stören, und wußte stets mit vollkommener Hochachtung gegen den Willen der heiteren, verklärten Aeltermutter ihr eigenes Gefühl einer anständigen Willfährigkeit unterzuordnen. Aber sie konnte nicht wohl irgendwo erscheinen, ohne den Einfluß ihres Karakters selbst gegen ihren Willen um sich zu verbreiten, und Jeder glaubte eine Anforderung zur Beherrschung seiner eigentlichen Stimmung in ihren kalten, strengen Augen zu lesen.

Wenn die Jugend sich hiervon ausgenommen zeigte, so war es die Unbefangenheit und die geringere Wahrnehmung fremder Individualitäten, die diesem glücklichen Alter noch eigen ist, auch wol die natürliche Entfernung, in der Alter und Rang die Herzogin hielt, und welche zu verringern, sie weder die[51] Neigung, noch das Geschick ihrer liebenswürdigen Schwiegermutter besaß. Zwar vermißte sie die Abwesenheit ihrer beiden Söhne in diesem Zirkel, der sonst alle die einander befreundeten jungen Leute umschloß, mit mehr Schmerz, als sie sich eingestehen wollte. Die Erweichung indeß, welche der große Gram um den Tod ihres Gemahls, und die folgenden uns bereits bekannten Umstände in ihr hervorzurufen vermochten, war diesem Gemüthe ein zu fremder Zustand, als daß mit der anscheinenden Entfernung dieser letzten, ihr bereits so nah gerückten Sorgen nicht die stolze Sicherheit wiedergekehrt wäre. In der langen Verwöhnung des Glücks war sie ihr zu sehr eigen geworden, ja, es mochte Augenblicke geben, in denen sie das rücksichtslose Vertrauen gegen ihre Schwiegermutter bereute und voll Erstaunen des Zustandes gedachte, der sie an ihrer eigenen Kraft hatte verzagen lassen. Sie suchte sich mit ihrem Stolze, mit dem unläugbar untergrabenen Zustand ihrer Gesundheit zu entschuldigen, und in einem völlig entschlossenen und kühlen Benehmen sich selbst der ferneren Theilnahme ihrer Schwiegermutter zu entziehn. Wie schonend und wahrhaft gütig diese edle Frau auch dies Vertrauen aufgenommen hatte, so nahm doch keine Gewalt der Herzogin das verletzende Gefühl, vor ihr als eine ungeliebt gewesene Gattin dazustehn, die nur den zweiten Platz in dem Herzen des langbesessenen Gatten zu erringen gewußt. Auch lastete die Gegenwart des Wesens, dem sie eine so wichtige Beziehung geben zu müssen glaubte, auf ihr, und hinderte nicht allein für den Augenblick das Vergessen dieser schmerzlichen Stunden, sondern hielt stets eine nagende Furcht vor der Zukunft in ihrem Busen fest.

Gewiß war die strenge Rechtlichkeit, welche diesen Karakter auszeichnete, nöthig, das bittere Gefühl, welches sich gegen die junge Lady in ihr regte, so weit zu beherrschen, daß sie das hülflose Wesen nicht zu entfernen suchte und ihr eine[52] Existenz geben ließ, den Ansprüchen gemäßer, die alle äußern Umstände ihr anzuweisen schienen.

Der Bischof von Edinburg hatte schon längst die Abwesenheit des Master Brixton angezeigt, welcher sich mit besonderen Aufträgen der schottischen Kirche seit längerer Zeit in London befand, dieser Antwort jedoch die bestimmte Erklärung hinzugefügt, daß der Graf und die Gräfin von Melville kinderlos verstorben, und ihre weitläuftigen Besitzungen in Schottland an eine entfernte Linie gefallen seien, die Verfügung über ihre kleinere Besitzung an der Grenze von Schottland befinde sich indeß zu einer noch unbekannten Bestimmung unter Administration des Staates; welches alles, nächst den veranlaßten kirchlichen Nachweisungen, überall das Dasein eines natürlichen Erben zu verneinen schien. So waren Maria's Ansprüche, diesen Erklärungen zufolge, vorläufig in ein trostloses Nichts zerfallen, und der Herzogin ein vollständiges Recht gegeben, eine junge Person, über deren ganzer Existenz so viel Dunkel ruhte, mindestens aus dem Kreise ihrer Familie zu entfernen. Das Gegentheil mußte als eine fast zu weit getriebene Großmuth erscheinen; auch fürchtete die Herzogin, diese Handlungsweise möchte sich tadeln lassen und der streng behaupteten aristokratischen Würde ihres Hauses nicht angemessen erscheinen. Aber wenn sie auch, so von äußeren Umständen unterstützt, unter dem Gedanken aufathmete, sie könne wohl diese so schmerzlich störende Person in eine anständige Zurückgezogenheit von sich und ihrer Familie verbannen, dann traten wieder die geheimen, aber von ihr selbst zugestandenen Rechte dieser Unglücklichen vor ihre Seele, und das Bild dessen, dem sie im Leben aus unbegrenzter Liebe so viel vergeben, schwebte ihrem Geiste vor und unterstützte den rechtlichen Muth, der in ihr so oft die Regungen der Leidenschaft besiegte.

Nach solchen Siegen konnte sie sogar ihren Anblick ohne Bitterkeit und mit jenen ernsten Regungen von Gefühl ertragen,[53] die jene ihr abzugewinnen gewußt hatte; ja, es lag, ihr vielleicht unbewußt, in dieser milderen Fassung noch jetzt ein mit dem Todten fortgesetzter Kampf um das Verdienst seiner alleinigen Liebe. Sie hatte vorläufig ihrem Schützlinge ohne weitere Beschränkung den Platz gelassen, auf den ein von der Natur verliehenes Recht sie anzuweisen schien; und wie auch die stärksten Geister in ihrer eigenmächtigen Schicksalsführung an Grenzen gerathen, die sie eine außer sich wirkende Macht anerkennen lassen, so fühlte die Herzogin auch hier sich an einer Grenze, jenseits welcher ihr Geist keine Haltungskraft mehr fand. Sich so häufig von diesem Gegenstande ermüdet fühlend, kam sie endlich zu der bis dahin ziemlich fremden Hoffnung, dem Zufall seinen Antheil an dieser Begebenheit zu gönnen, während sie sonst stets sich geschickt geglaubt hatte, seine Darbietungen zu leiten und zu benutzen.

Es war ihrem geliebten Richmond gelungen, den jungen Herzog von der Unzulässigkeit seiner Verbindung mit dem unbekannten Wesen zu überzeugen, welche wohl seine menschliche Güte in Anspruch nehmen, ihn aber nie von einer so weit gediehenen und mit seiner Ehre verflochtenen Verbindlichkeit abziehen dürfte, wie seine bereits anerkannte Verbindung mit Anna Dorset war. Glücklich hatte auch die wohl überlegte, schnelle und heimliche Abreise der alten Lady mitgewirkt, welche den Gegenstand dieser unglücklichen Leidenschaft mit sich führte, ohne daß dem Herzoge Zeit zum Abschiede geblieben wäre; denn Richmond selbst hatte, ihren Anblick vermeidend, sich zum beständigen Begleiter seines trostlosen Bruders gemacht und ihn so am besten von jeder neuen Erschütterung abzuhalten gewußt.

Was auch der Himmel an mannigfachen Leiden in den Tagen der Jugend an unserem Leben versuchen mag, die eigentliche Weihe zum Schmerz empfängt das arme Herz erst in dem Kummer hoffnungsloser Liebe! Der bunte Teppich des Lebens[54] entfärbt sich, die Schwermuth ruht wie ein großer, mächtiger Vogel mit ausgebreiteten Flügeln auf unserer Stirn. Unter seinem Drucke scheint unser Geist zu schwinden, und die Klarheit des Himmels verhüllt sich in seinem weichen Flügelschlag. Je wunderbarer die Erhöhung des ganzen Daseins durch eine wahrhafte Liebe wird, und die Kraft und den Muth der Jugend zu den idealsten Bestrebungen reift, desto tiefer greift alsdann das Absterben dieses Antriebes in das innerste Leben ein. Wir begreifen nicht, wie wir weiter leben können, und was überhaupt noch in der Welt für uns zu thun sein könnte, und es ist ein dürrer, öder Pfad, der von da an uns zu wandeln angewiesen wird, und der nur langsam endlich in die breiten, heiteren Wege des Lebens wieder einlenkt.

In dieser Stimmung folgte der junge Herzog seinem Bruder und dem Grafen Archimbald nach London, wohin diese sich eilig zu begeben hatten, da die Lage des Grafen von Bristol in Spanien die Thätigkeit seiner Verwandten in England allerdings nöthig zu machen schien.

Es war kein Geheimniß mehr, daß Buckinghams Wille die wohl eingeleitete Verbindung des Prinzen von Wales mit der Infantin getrennt hatte. Keinen Zweifel hatten die Freunde des Grafen Bristol, daß dies hauptsächlich zu seiner Kränkung geschah, und eben so wenig zweifelten sie an den weiteren Schritten des durch Bristols Tugenden beleidigten Buckingham.

Noch war Spanien nicht gesonnen, um der Privat-Sache dieser englischen Lords willen die Beleidigung weniger zu empfinden, die, nach dem auffallenden Schritt des Prinzen von Wales, eine allzu große Kränkung für die Infantin war, um nicht eine ernste und drohende Stellung dort zu rechtfertigen. Schon waren gegenseitige Demonstrationen erfolgt, die Bristols Weisheit nicht mehr hoffen durfte gegen den persönlich beleidigten Herzog von Olivarez zu friedlicher Ausgleichung zu bringen.[55] Doch mit Schmerz mußte er gewahren, daß ihm dies unverschuldete Unvermögen durch Buckinghams Einfluß zum Verbrechen gemacht wurde, und er den Ausbruch eines Krieges, dessen Wahrscheinlichkeit vor Augen lag, mit seiner Zurückberufung und Anklage würde bezahlen müssen, von deren Ausgang er unter den obwaltenden Umständen wenig zu hoffen hatte.

Die bedrohte Lage des hochverehrten Vaters blieb der Herzogin von Nottingham bis dahin noch ein Geheimniß, und die politischen Beziehungen, die durch die Auflösung der Verbindung beider Höfe ganz England beschäftigten, motivirten auch die Gegenwart ihrer Verwandten in London hinreichend, und waren ihr in einem Augenblick willkommen, wo es ihr um die Entfernung und Zerstreuung des jungen Herzogs zu thun war, die nicht füglicher, als im Interesse für den geliebten Prinzen von Wales, zu erreichen standen. Sie war daher überrascht, in einem spätern Briefe die baldige Ankunft Richmonds angezeigt zu finden, da sie ihn fast lieber in der Nähe seines Bruders gewußt hätte, obwol ihr der Gemüthszustand des letzten als gemäßigt und ergeben geschildert ward.

Der Schlag war indessen geschehen. Bristol war zurück gerufen, und Richmond war nur von seinen Anverwandten bestimmt, im Fall die Nachricht sich verbreitete, die unglückliche Tochter auf das vorzubereiten, was alsdann nicht ganz mehr zu verhehlen war.


Es war um eine spätere Stunde des Nachmittags, als Lord Richmond mit seinem Gefolge sich dem Schlosse der geliebten Großmutter nahte.

Das blühende Küstenland, das er den letzten Tag durchzogen, die Schönheit der Gegend, in der er sich eben befand,[56] und woran sich so theure Erinnerungen seiner Jugend knüpften, endlich der Anblick des Schlosses selbst, das von den höchsten Zinnen seines altväterlichen Baues bis in die kleinsten Winkel seiner innern Räume die heiteren Bilder einer glücklichen Kindheit ihm darbot, Alles wirkte vereint, sein Herz zu erheitern und es mit der ungeduldigen Sehnsucht zu erfüllen, womit wir einem gewissen Glück entgegen eilen. In fröhlicher Hast versuchte er die Schnelligkeit seines Rosses, welches, gleich seinem Herrn die behagliche Stelle ahnend, ihn im flüchtigen Lauf vor die Thore des Schlosses trug.

Ein eisgrauer Pförtner ruhte an dem geöffneten Eingange und ließ sich von den röthlichen Strahlen der herbstlichen Sonne bescheinen. Ein Bild des tiefen Friedens, der hier zu walten schien, statt der Thore und Fallgatter und geschickten Bogenschützen, die früher in dem Haushalte eines mächtigen Herrn nicht fehlen durften, um den Eingang zu behüten. Doch alsbald weckte den friedlich Träumenden der Hufschlag der Rosse, und lustig schwenkte er sein Mützchen, als er in dem Nahenden den Enkel seiner geliebten Herrin erkannte, der stets jedem Diener ein willkommener Gast war, von welchem jeder seinen Antheil freundlicher Worte und Blicke gewiß hatte. Geschäftig eilte er alsdann ihm in den innern Hof voran, seine Ankunft laut verkündend.

Hier war das bunte, heitere Leben der Geselligkeit auch unter den Dienern der Gäste, welche das Schloß erfüllten, verbreitet, und die noch theilweis gedeckten Tische, die vollen Kannen und Becher und die heitere Stimmung Aller bekundete hinreichend die freigebige Haushaltung der alten Dame. Die neuen Gäste erhöhten nur die allgemeine Freude, und Richmond drängte sich, langsam und freundlich die herzlichen Begrüßungen erwiedernd, bis zu der großen Halle hin, in der er voll Ehrfurcht von dem ehrenwerthen Master Lovelace bewillkommt[57] ward, der, in das Innere des Schlosses ihn führend, für die Meldung seiner Ankunft sich kurzen Verzug erbat, weil die beiden Herzoginnen sich für einige Stunden zurückgezogen hatten, einer kleinen Ermüdung nachgebend.

Richmond ließ sich von dem verlegenen Diener, der fast in Versuchung gerathen wäre, das Gebot bei einer solchen Veranlassung zu umgehen, seine Zimmer anweisen, und ermahnte ihn, die bestimmte Zeit der Ruhe für beide Damen nicht zu unterbrechen.

Bald hatte er dann seine Reisekleider abgeworfen, und eilte nun, mit steigendem Vergnügen, in einem Gange durch die wohlbekannten Räume des alten Wohnsitzes, ganz in der Stille das Fest der Erinnerung zu feiern. Die Stunde des Tages war ihm günstig, die Gesellschaft zu Pferde und Wagen hinausgeeilt, um das schöne Wetter zu genießen, und Lord Richmond konnte sicher sein, den Theil des Schlosses, wohin sein Herz mit kindlicher Lust sich sehnte, zu erreichen, ohne vor dem Besuch bei den Herzoginnen mit den andern Bewohnern zusammen zu treffen.

Die Zimmer, die er zu besuchen wünschte, stießen zunächst an die Wohnung der alten Herzogin, und man gelangte zu ihnen durch eine Gallerie, die eine zahllose Reihe alter Ahnenbilder aus dem Hause Nottingham und den nach und nach damit verbundenen Häusern, welche die Frauen zu diesem berühmten Geschlecht geliefert hatten, enthielt. In dem Alter ihres Daseins stellten sie außer dem Stammbaum ihres stolzen Hauses auch noch die stufenweise Entwickelung der Kunst dar, wo hier von den naivesten Versuchen einer dürren Angabe von Kopf und Händen bis zu den entzückenden Schöpfungen eines Holbein und van Dyk die Uebergänge zu finden waren. Zu diesen Studien hatte Richmond offenbar keine Andacht mitgebracht, denn er schlich eilig an ihnen hin, als fürchte er ihre Ansprüche[58] an seine Theilnahme, und schnell sehen wir ihn in einer Hauptthür verschwinden, die nach der Frontseite des Schlosses führte.

Er stand jetzt einsam und seinen Gefühlen überlassen in dem großen Gemach mit purpurrothen Sammettapeten, das in seiner stillen Pracht und hergebrachten Ordnung sich behauptete, trotz der Jahre, die über ihm hingegangen. Die Fenster waren große Thüren, durch deren helle Scheiben ein klares Licht ein fiel, und die zugleich einen Ausblick gewährten auf einen breiten, an mehreren Zimmern hinlaufenden Altan. Ein steinernes Geländer umzog diesen luftigen Raum und zeigte in regelmäßiger Entfernung schlanke Strebepfeiler, welche einen leichten Ueberbau, mit reicher Stuckatur versehen, trugen, der den Altan deckte, und ihn zu einem offenen und doch gegen die Unbilden des Klimas in etwas gesicherten Saal machte, dessen angenehm geschützte Lage ihn zum Lieblingsaufenthalte für die Morgen- und Abendstunden der alten Herzogin bestimmt hatte.

Die tiefe Stille, die hier herrschte und nur durch den Gesang der Vögel unterbrochen ward, welche in den dichten Laubgebüschen unter dem Altan nisteten, machte ihn zu einem Asyl der Heimlichkeit und Ruhe. Doch beherrschte der Blick, weit über diese Waldeinsamkeit hinaus, das Land in großartigen Massen, mit dem glänzenden Bande des breiten Stromes und den schönen Berglinien des ferneren Hochlandes, ein weites und geräuschvolles Bild des Lebens entfaltend, dessen Einwirkung an der grünen Oase dieses friedlichen Ruhepunktes zu enden schien.

Hierhin sehnte sich Richmond, hier wollte er wieder der süßen Zwiesprache lauschen, die er als Knabe mit seiner Sehnsucht und seinen Träumen gehalten. Diese Räume schienen für ihn geweiht durch das Andenken an entscheidende innere Entwickelungsmomente. Hier hatte er Stundenlang in ungestörter Einsamkeit geweilt, um unermüdet in die Ferne zu blicken und ihrem unb estimmten Nebelgrunde die warmen, farbenreichen[59] Bilder seiner Phantasie einzuprägen. Hier war der Augenblick ihm eingetreten, der uns zum Selbstbewußtsein weckt und uns dem Leben als abgesondert gegenüber stellt. Wer kennt die Stelle, wo dies Wunder ihm offenbart ward, und betrachtet sie nicht als Heiligthum, geweiht für alle Zeiten?

Zum Manne gereift, durch früh erlangte innere Mündigkeit den Jahren weit vorangeeilt, sah er sich nach langer Trennung auf der heiligen Stelle, als ob seit diesen Jahren kaum eine Nacht verflossen; so hatte hier die Zeit am wohlgegründeten Besitz ihr Recht verloren. Vor allem aber blickte er fast zärtlich auf den hohen, breiten Lehnstuhl der theuern Großmutter, der mit seiner hohen Lehne weit über den Sitzenden ragte und ihn vor jedem Luftzug schützte.

Auf dem Boden und auf dem Rande des steinernen Geländers lag zerstreutes Vogelfutter, die kleinen Gäste aus dem Park zu locken, die, ihre Wohlthäterin schon kennend, in ganzen Schaaren zu ihren Füßen den Bedarf sich sammelten. Daneben stand das kleine alterthümliche Tischchen mit dem Ebenholzkästchen, worein sie Seide zupfte. Alles deutete auf kürzlichen Gebrauch, und daß dies Plätzchen noch immer in seinem vollen Rechte bei der Besitzerin stand.

Eine bunte Gedankenreihe war es, die auf dieser Stelle an dem jungen Manne in sehr abwechselnden Erscheinungen vorüber zog. Der weiche Ausdruck kindlicher Hingebung in seinem schönen Antlitz ging langsam in jene feste, ernste Miene über, womit wir im glücklichsten Falle dem Leben die Kenntniß seiner Ergebnisse bezahlen, und als er den langen Blick aus der Ferne zurückzog, brachen sich die festen Lippen in einem Hauche, einem Seufzer ähnlich, und sein Auge blickte feucht.

Von Stimmen aufgeschreckt, die aus dem eben verlassenen Zimmer zu ihm drangen, eilte er schnell in das daneben liegende Kabinet, das nächste Ziel seiner Wanderung. Hier hingen[60] Bildnisse, welche die alte Lady zu ihren kostbarsten Besitzthümern zählte. Sie waren theils Geschenke, die ihr Gemahl der hohen Gunst seiner Souveraine verdankte, theils von ihm selbst um hohe Preise von den ersten Künstlern erworben, und Abbildungen der bedeutendsten Personen aus der königlichen Familie von England.

Diese schönen Bilder hatten auf den jungen Richmond stets einen Zauber ausgeübt, der zusammentraf mit seinem lebhaften Interesse für die Geschichte seines Vaterlandes, und am liebsten vor ihren ausdrucksvollen Zügen rief er sich zurück, was von ihrem Leben schon abgeschlossen in dem Spiegel der Geschichte aufgefaßt erschien.

Das ganze Zimmer war von feiner, sorgfältiger Einrichtung, daß es mit seinen hell polirten Wänden und Fußboden und den reichvergoldeten Stuckaturen einem Schmuckkästchen glich, wozu noch der feine Duft des reichlich darin verwandten Cedernholzes kam, und einige bequeme Sessel von purpurfarbnem Sammet, die in stets unverrückter Ordnung seit einem halben Säkulum voll Ehrfurcht die gewählten Gäste zu erwarten schienen, die sich einer so hohen Versammlung zu nähern wagen würden. Auch war Richmond fast der einzige unter seinen Geschwistern, dem als Kind erlaubt gewesen war, allein hier einzutreten, und er fühlte sich selbst heute noch mit scheuer Freude erfüllt, als er die schön gefugte Thür aufdrückte, durch deren große Scheiben das Licht in vollem Glanze diese Bilder zeigte.

Er lauschte dem eigenthümlichen Laute, womit die glatten Angeln der Thür sich stets zu drehen pflegten, und der ihn auch jetzt sogleich begrüßte, ihn einzutreten einlud und wie durch einen Zauber ihn in die Gemeinschaft mit den lebensvollen Gestalten des vergangenen Jahrhunderts einführte.

Er blieb am Eingange stehen, den Raum gleichsam befragend, ob er derselbe sei, und mußte bald sich eingestehen,[61] verändert sei nur er, um ihn dagegen sei Alles in unerschütterlicher Ordnung geblieben. Er sah sie noch alle vor sich, die großen Gefährten seiner damaligen Einsamkeit; sie blickten aus ihren breiten goldenen Rahmen noch mit denselben Blicken nieder und schienen noch jetzt zufrieden, in so vollkommener Abbildung der Nachwelt überliefert zu sein. Doch anders war der Antheil gestellt, womit der Mann die Ansprüche, die ihnen in Wahrheit zustanden, abwog, zuerkannte oder verweigerte; und wenn er von manchen ihrer Sünden sich mit Verachtung wegwandte, hatte er dagegen nicht minder für ihre Herrschertugenden und das durch sie bewirkte Gute ein vaterländisch anerkennend Herz.

Er wandte sich, wie absichtlich, von dem ihm zunächst befindlichen Bilde und eilte dem entgegen, das, als die Krone aller, der Thür gegenüber die Hauptwand einnahm.

Es war das Bild der Königin Elisabeth, ihr Pathengeschenk bei der Geburt des letztverstorbenen Herzogs, von einer unbekannten Meisterhand im vollsten Zauber von Farbe und Licht dargestellt.

Die stolze Frau liebte auf ihrer unbestrittenen Höhe, zur frühern Ungunst des Geschickes sich zurück versetzt zu sehen, und Woodstock, wo sie in philosophischer Zurückgezogenheit und Verbannung den Wissenschaften lebte, blieb wohl zu allen ihren Bildern der selbstgewählte Hintergrund. Auch hier gewahrte man das kleine feste Schloß, von dessen Terrassen sich ein breiter Weg bis zu dem schönen Eichbaume hinzog, unter dessen Schatten sie einst die Gesandten Englands empfing, die sie auf den Thron ihrer Väter riefen.

Sie selbst saß auf diesem Bilde vor einem violetten Vorhange, der an der rechten Seite aufgezogen, die erwähnte Gegend zeigte. Ihre Physiognomie trug den lebhaften und geistreichen Ausdruck, der ihren großen und männlichen Gesichtsformen[62] ein wahrhaft königliches Ansehen gab, und, in Betracht ihrer hohen Bestimmung, jeden Anspruch auf weibliche Schönheit leicht aufgeben ließ.

Ihr reiches Kleid von Silberstoff war mit einem Latz von Perlen und Juwelen um ihren vollen Körper in der freien Mode damaliger Zeit so geordnet, daß ihre schönen Schultern unverhüllt und von dem hohen Spitzkragen zart umsäumt erschienen.

Sie hatte den Kopf hoch gehoben und etwas zur rechten Seite gewendet; ihr glänzendes röthliches Haar war frei empor gekämmt und zeigte die große, runde Stirn mit den hochgewölbten Augenbrauen. Auf der Mitte des Kopfes nach hinten über saß eine brillantene Krone, und die Fülle von Locken, die ihr reiches Haar zuließ, fiel von da, wie es scheinen sollte, in leichter Nachlässigkeit von beiden Seiten nieder. Die Lippen waren wie zu einer rednerischen Bewegung geöffnet, und die rechte Hand, von großer Schönheit, hielt in ihrem Schooße die Oden des Horaz. Etwas zur Linken zeigte sich auf einer Terme die Büste des Plato und darunter, aus dem Bilde schon herausgehend, so daß man nur einen Theil eines Tabourets gewahrte, sah man den königlichen Hermelin, auf den Elisabeth so eben, wie der Horaz in ihrer Hand andeutete, den Musen huldigend, mit ihrer linken Hand den Zepter niederlegte.

Wie reich und bedeutungsvoll dies Bild auch in seinen Beiwerken sein mochte, es war dem Künstler doch vollkommen gelungen, sie sämmtlich der mächtigen Persönlichkeit der königlichen Frau unterzuordnen.

Dieser kühne, überzeugte Blick, diese stolz gehobenen Lippen kündigten vollkommen sie als diejenige an, die Sixtus der Fünfte nächst sich selbst und Heinrich dem Vierten zu den drei einzigen Selbstherrschern rechnete, und gewiß mußte vor ihrem Bilde ein Jeder in seinen Ausruf einstimmen: Un grand cervello di principessa![63]

Links ihr zur Seite hing das Bild ihres Vaters, Heinrich des Achten, von seinem Liebling Holbein mit aller Kunst und Sorgfalt dieses großen Meisters ausgeführt. Er war zur Zeit der Vermählung seiner Schwester mit Ludwig dem Zwölften bei dem Hoflager zu Calais gemalt, zur schönsten Zeit seines männlichen Alters und in dem vollen Glanze des damals unermeßlichen Kleideraufwandes.

Er saß zurückgekehrt in einem thronartigen Sessel, einen kleinen mit Juwelen besetzten und mit einer Feder aufgeklappten Hut halb zurückgeschoben auf dem hohen Kopfe; die eine Hand über die auf einem Tische seitwärts stehende Krone gelegt, hielt er in der andern seine eigne Uebersetzung des Neuen Testaments.

Sein Gesicht schaute halb lächelnd grade aus. Es lag mehr Hohn und Triumph, als Freude oder Heiterkeit darin, und dem Beobachter mußte leicht der Uebergang zu finden sein von diesen noch jugendlich überwölbten Zügen zu dem wilden Gepräge des später so blutdürstigen Tyrannen.

Ihm gegenüber hingen die Bilder seiner beiden Kinder, Eduard des Sechsten und dessen grausamer Schwester, der nachherigen Königin Maria.

König Eduard war als Knabe abgebildet, er hatte seinen Lieblingshund, ein großes weißes Windspiel, mit dem rechten Arme umfaßt und schien die zarte, schwankende Gestalt an ihm zu stützen. Seine dichten braunen Locken hingen schlicht um das bleiche, kranke Antlitz, und die großen dunkeln Augen blickten aus dem wasserblauen Grunde mit einer Wehmuth, als wollten sie im Voraus das trübe Loos des künftigen schwachen Königs beklagen.

Weit hinter ihm in der gothischen Halle, die den Raum des Bildes füllte, lagen auf einem kleinen Polster die Insignien der ihn einst so drückenden königlichen Würde.[64]

Schmerzliches Loos! rief Richmond, wenn die Natur im Widerspruche mit dem Berufe, den uns der Himmel durch die Geburt zu überweisen scheint, die Mittel uns versagt, ihn zu erfüllen; und besser doch Dein trübes, schwaches Walten in Kraftermangelung, als jener Mißbrauch empfangener Gewalt, um die Höllengeister Deines Innern ins Leben zu rufen. Wer würde Dein Loos nicht preisen vor dem Bilde Deiner Schwester!

Sie war in ihrem acht und dreißigsten Jahre nach ihrer Verlobung mit Philipp dem Zweiten von Spanien gemalt. Der Hintergrund des Bildes, vielleicht durch Zufall von einem schlicht niederfallenden blutrothen Vorhange bedeckt, erhöhte wunderbar den grauenhaften Eindruck, den das Ganze machte. Denn wer konnte das Bild dieser blutdürstigen Frau erblicken, ohne zu denken, sie tauche aus den Bächen von Blut auf, welche sie mit Freuden um des Glaubens willen strömen ließ. Sie saß auf einem Stuhle, auf dessen hoher Lehne links das Wappen Spaniens, rechts das von England thronte. Nach der bigotten Weise ihres Lebens war sie in das schwarze Gewand einer Karmeliterin gekleidet, doch über der verhüllten Stirn war die kleine brillantene Königskrone befestigt, über der wieder ein feiner schwarzer Flor bis auf den Boden niederfiel. Zur linken Seite stand ihr ein rother behangener Tisch, auf dem ein Andachtsbuch, ein Kruzifix, und zu dessen Füßen das Zepter, doch, über Alles dies hinweg, eine scharf gezeichnete Geißel lag.

Ihr Arm ruhte auf diesem Tische, und die Enden der Geißel waren durch die Finger gezogen, während ihre rechte Hand das Bild des damals sechs und zwanzig jährigen Philipps von Spanien hielt, für den sie eine allzu heftige Neigung nährte.

Ihr bleiches, schlaffes Antlitz, von jedem Reize der Jugend oder Schönheit weit entfernt, trat in erschreckender Wahrheit aus den dunkeln Hüllen hervor, und zeigte den vereinten Austritt stumpfen Geistes und fanatischer Bosheit.[65]

Richmond hatte ihr fürchterliches Unrecht und das Elend, das sie in fünfjähriger Regierung über sein Vaterland gebracht, mehr noch, als früher, empfinden lernen, und wenn er als Knabe sich zwang, vor diesem Bilde, das er haßte, so lange festzustehen, bis es ihm schien, als erhöbe sie drohend sich und wolle ihn ergreifen, so wandte voll Verachtung sich der Mann von diesen Zügen, die der Nachwelt, könnte der Name auch verloren gehen, noch sagen werden, was sie war.

Und auch wie damals, wenn der Knabe für das Schrecken, das er sich herauf beschworen, Beschwichtigung suchte, wandte er sich. Denn hier hing neben Heinrich dem Achten, ihrem Großohm, das Bild der siebenzehnjährigen Königin von neun Tagen, das erste blut'ge Opfer der schrecklichen Maria, die schöne tugendhafte Johanna Grei.

Wie ein Engel, als Bote eines bessern Lebens der Welt auf kurze Zeit gesandt, so blickte aus diesen tiefen blauen Augen der Himmel in der eignen Brust. Fünfzehnjährig schon Gemahlin des ihrer so würdigen Guilford, war sie als Braut dargestellt. Im Weggehn aufgehalten, wie es schien, stand sie mit leichter Grazie aufgerichtet vor einem Sessel und blickte mit dem vollen Antlitze aus dem Bilde. Die feine jugendliche Gestalt, die kaum die Grenzen der Kindheit überschritten, war in die Farben des väterlichen Hauses Suffolk, in weißen Silberstoff mit himmelblauer Robe gekleidet. Ihr wunderschönes blondes Haar floß wie gesponnenes Gold in zarten Wellen ohne Zwang den halb gewendeten Rücken entlang, und reichte über die Hälfte der kindlichen Gestalt; an den Schläfen von der weißen Stirn gescheitelt, war es mit blauen Schleifen zierlich aufgebunden, und auf dem Hintertheile des Kopfes ruhte die herzogliche Krone. Eine Säulenhalle zog bis in die weite Ferne sich als Hintergrund, und am Ende derselben sah man perspektivisch verkleinert Lord Guilford daher eilen.[66]

Ach, rief Richmond, von so viel Unglück und so viel Tugend tief bewegt, hätte nie Dein kindlich Haupt ein schwereres Diadem belastet, als diese leichte Herzogskrone, das unbestrittene Erbtheil Deiner Väter!

Noch blieb er sinnend stehen, dem spiegelhellen Boden zugewendet. Es blieb ein Bild noch zu betrachten übrig, er wußte es wohl. Doch zögernd verschob er seinen Anblick, als müßte er erst das eigne Herz betrachten und seinen schnelleren Schlägen lauschen. Sollt' er als Mann erfahren, was ihn als Knabe schon bewegt? Mußt' er es eingestehn, daß das wunderbare Loos ihm gefallen sei, an ein Bild die süßesten Regungen des Gefühls verschenkt zu haben? Nein, rief er, dem Knaben gehört diese Schwärmerei! Er wandte sich muthig, er stand davor, und wie am Strahl der Sonne der leichte Nachtfrost einer Mainacht zu einem Thautropfen sich verwandelt, so verschwamm in seinem ersten Blick Wille, Absicht, jeder Widerstand der Ueberlegung, und Herz und Seele sogen sich fest an ihren alten Wahn.

Dicht an der hellen Eingangsthür, und wie in einem Schreine, da die Holzwand herausgehoben war, es einzulassen, hing ein Brustbild, dessen Rahmen in einem runden Medaillon das lebenvolle Antlitz der schönen unglücklichen Königin von Schottland umfaßte. Der Rahmen trug in Gold und Farben und reichen Edelsteinen die drei Wappen, welche die unglückliche Frau mit Eigenthumsrecht behauptete. Die Wappen Schottlands und Frankreichs waren an dem obern Rande, unter der dreidoppelten Krone im Mittelpunkte des Rahmens, das Wappen Englands, das zu behaupten, ihr so großen, nur mit Blut gesöhnten Haß der eifersüchtigen Elisabeth zuzog, unter den beiden ersteren. Reich mit Laubwerk und Emaillen war das Kunstwerk dieses Rahmens ausgeführt, und enthielt in Arabesken-Form noch viele Anspielungen auf den hohen Geist der königlichen Frau.[67] Das Ganze war umschlungen von einem emaillirten Bande, auf dem in goldner Schrift die Namen Plato, Aristoteles, Horaz, Pindar, Homer, Dante und Ariost, als der Gefährten ihrer Einsamkeit, zu lesen waren, und wie vorzüglich auch das Bild zu nennen war, der Rahmen an sich blieb ein schätzbares Kunstwerk.

Aus einem tiefen, saftigen Hintergrunde, einer Tapete von grünem Damast ähnlich, trat der in wunderbarer Wahrheit aufgefaßte Kopf der Königin hervor. Das hellbraune Haar war frei weggehoben und zeigte die ganze Schönheit der königlichen Stirn. Die lichtvollste Freiheit der Gedanken schien diese schöne Wölbung selbst gebildet zu haben, und das glänzende Licht, das von Innen aus diese reine Form zu durchdringen schien, hätte auch ohne den Ausspruch dreier Kronen sie zur geistigen Beherrscherin ihrer Zeit erhoben. Von den feinen leicht eingedrückten Schläfen bildete sich der Kontur des zarten Kopfes im reinsten Oval, bis zu dem vollen jugendlichen Kinn, über dem mit allen Grazien der schön gewölbte Mund die holde Mähr von ihren Scherzen, ihrem feinen Witze zu erzählen schien.

In den vollen, leicht gefärbten Wangen ruhte der feine Anfang eines zarten Grübchens, geschaffen, um ihres Lebens Liebesglück und Schmerzen zu verrathen.

Ihr waren zuerst die Augen verliehen, die, seitdem ein Erbtheil ihres unglücklichen Stammes, mit einem Zauber jeden zu fesseln wußten, auf wen sie einmal in Liebe sich geheftet.

Unter einer kaum merklichen Wölbung der feinen Augenbrauen ruhten weit und schön geschnitten die großen braunen Augen, die klar und tief den hohen Geist, der ihnen inne wohnte, von Lieb' und Sehnsucht halb bezwungen zeigten. Sie schienen wider Willen der hohen Abkunft von Mißgeschick zu reden, und die langen schwarzen Wimpern hingen auch beim vollsten Aufblick wie ein leichter Trauerschleier um den vollen Glanz.[68]

Dazwischen hob sich an der Stirn breit und voll die feine griechische Nase, und verstärkte mit ihrer edeln, festen Form den hohen geistigen Ausdruck ihrer Züge. Ihr wunderschönes braunes Haar war ohne Schmuck der Königin, sich selbst in seiner seltenen Fülle die Krone flechtend, doch zeigte es unverdeckt in einem hohen Spitzkragen die runde, schlanke Säule des Halses, auf welcher der Kopf so leicht und zierlich ruhte, daß beide je zu trennen, nur ein Barbar zu denken wagen konnte. Hier hörte das Bildniß auf; leicht in den Schulterlinien war ein schwarzes Sammetkleid angegeben, das unter dem Kragen mit einem in Brillanten eingelegten rothen Stein befestigt war.

Ungezählt entflohn die Augenblicke vor diesem Bilde, und das innere geheimste Leben Richmonds trat hervor und ließ sich nicht mehr zur Rechenschaft ziehen vor dem Geiste der Ueberlegung, der fragend, ja, mißbilligend es anschaute. Es war da! und hatte sich zum sichersten Bewußtsein in diesen Augenblicken aufgeschwungen; es lebte! und sein Leben ward eingestandene Wonne. Still und mit Rührung gelobte sich Richmond, der Welt, dem rohen Vertrauen der Menschen ewig verhüllt, wollte er selbst nimmer mehr mit diesem Gefühle hadern, sondern hoch es halten. Eine kleine glückselige Insel sollte es in ihm fortan bilden, worauf er landen wollte, aus der Wirklichkeit verschlagen.

So sich jugendlich überspannend, störte es ihn nicht, Gesang und Harfenton vom Altan her zu hören. Die schönen vollen Frauentöne, das kunstreich ausdrucksvolle Spiel der Harfe, es schlich sich ein in seine Träume, verwebte sich darein, als ihnen angehörend. Mit steigendem Entzücken hörte er die Worte des göttlichen Shakespeare, dieselben, welche die Frauen der Königin in Heinrich dem Achten der unglücklichen Katharina am Vorabend des Gerichts singen.

Orpheus sang:


1.

[69] Der Bäume Wipfel

Und der Berge starre Gipfel

Beugte seiner Laute Macht.


2.

Pflanz' und Blum' entsproß voll Wonne,

Als hätt' Regenguß und Sonne

Ew'gen Lenz hervorgebracht.


3.

Jedes Wesen ward Gehör,

Selbst die wilde Well' im Meer

Hing das Haupt und legte sich.


4.

Tonkunst, deine Zauberein

Hört der Gram und schlummert ein,

Hört dich fort und stirbt durch dich.


Mit feierlichen Akkorden schlossen diese rührenden Worte und weckten den glücklichen Träumer. Nein, sie war es nicht selbst, die unglückliche Königin Maria, die dies Lied gesungen! Er war nicht zu Stirling, zu Holyrood-House; er war in Burtonhall, in der Nähe seiner Familie, und nur ein paar Schritte vielleicht führten ihn in ihre Mitte.

Bewegt von der Wirklichkeit und von seinen Träumen, öffnete er die Thür und stand am Ende des Altans seinen Lieben gegenüber.

Die jungen Damen des Schlosses hatten sich hier zu einiger Muße aus dem größeren Kreise der Gesellschaft zurückgezogen, und alle sich mit dem Wunsche um Lady Melville versammelt, sie zur Harfe singen zu hören. Dies war auf die erwähnte Weise geschehen. Sie saß jetzt ausruhend in ihrer schwarzen Kleidung auf dem Lehnstuhl der alten Herzogin. Die Harfe ruhte seitwärts geschoben noch in ihrem Arme; auf dem purpurrothen Sammet des hoch über ihr emporragenden Stuhles hob sich der schöne Kopf in seiner ganzen regelmäßigen Zierlichkeit,[70] und belebt vom Gesange und dem lobspendenden Zuspruch der lieblichen Gefährtinnen, leuchtete von ihm der volle Zauber ihres lebhaften Geistes. Sie hatte sich zu der ihr rechts stehenden Gruppe gewandt, welche Arabella und Anna Dorset sich im Arm haltend zeigte; zu ihren Füßen, und den Kopf in zärtlichem Schmachten zu der Sängerin aufgehoben, saß Ollonie Dorset, wärend Lucie von Hinten den Stuhl erklommen hatte und eben mit Jubelgeschrei ihren blonden Lockenkopf herüberzog, um ihren Liebling von da aus zu umfassen. Schnell und leicht sprang Lady Maria jetzt auf, zog den kleinen Engel zu sich herüber, und nun sogleich von Allen umfaßt, stand sie wie die Göttin der Liebe und Freude da.

Die reichen braunen Locken zurückschüttelnd, richtete sie das Haupt empor, da erblickte ihr Auge den Lord am Ende des Altans ihnen gegenüber in stiller Anschauung vertieft, und nachdem sie ihn einen Augenblick betrachtet, streckte sie die schöne Hand nach ihm deutend aus und rief: Sieh da, Lord Richmond!

Augenblicklich wandten sich alle Köpfe, und im selben Augenblick flogen die Schwestern und Cousinen auf ihn zu, und unter den freudigsten Begrüßungen der Uebrigen hing sich Lucie an seinen Hals und versuchte durch den lautesten Ungestüm sich in sei nen Besitz zu setzen.

Unter den liebenswürdigsten Scherzen erwiederte er die zärtlichen Begrüßungen seiner Verwandten und eilte dann in ihrer Mitte der Gräfin Melville entgegen. In der anmuthigsten Ruhe lehnte sie an der Brüstung des Altans, während ihr Antlitz von der unschuldigen Freude leuchtete, womit die Scene vor ihr sie theilnehmend erfüllte. Hold lächelnd richtete sie sich jetzt dem Nahenden entgegen, Richmond aber eilte den Uebrigen voran. Hier, rief Lucie hervorspringend, hier, Richmond, hast Du meinen Engel Marie![71]

Und welchem glücklichen Zufall habe ich es zu danken, der Lady Melville bekannt zu sein? sprach Richmond.

Bekannt? erwiederte sie. In Wahrheit, Mylord, ich sah Euch nie vor diesem Augenblick. Aber, setzte sie mit dem ruhigen Ausdruck natürlicher Unschuld hinzu, als ich Euch gewahrte, wußte ich gleich, daß Ihr es sein müßtet.

Richmond hatte unwillkürlich seine bewegten Augen, während sie sprach, zur Erde gesenkt, er genoß den Ton dieser klangvollen Stimme, und schon schwieg sie, aber der gewandte junge Mann schien um die Antwort verlegen. Er hob die Augen zu ihr auf, sein Blick traf den ihrigen, und zwei schöne Seelen hatten sich erkannt.

Möchte Lady Melville das Wohlwollen, welches sie meiner Familie schenkt, auch auf den übertragen, der sich erst so spät darum zu bewerben vermag, sprach er endlich mit furchtsamer Stimme. –

Es würde mir schwer werden, Euch, Mylord, als einen Fremden anzusehen; die Liebe, die Ihr in Eurer Familie genießt, erhält Euch auch während Eurer Abwesenheit darin gegenwärtig. Ich könnte Euch von Euch erzählen, wäret Ihr etwa Euch fremd geworden, setzte sie lächelnd hinzu.

O! rief Richmond lebhaft und heiter, Ihr dürft nicht zweifeln! Wer bliebe nicht der Wahrheit am getreuesten, wenn er eingestände, von sich am wenigsten zu wissen; werdet Ihr aber wirklich den sich selbst Entfremdeten belehren wollen, wenn ich einmal um diese Belehrung in Wahrheit bitten will?

Lord Richmond, erwiederte das schöne Mädchen, ich habe viel von der großen Kunst gehört, die Wahrheit verschweigen zu können, aber bis jetzt selbst noch so wenig Fortschritte darin gemacht, daß Ihr viel Hoffnung habt, sie zur Zeit von mir zu hören. –[72]

Und möchte dieser schöne Mund nie durch so falsche Kunst entweiht werden, sprach eine männliche Stimme, ehe Richmond antworten konnte, hinter seinem Rücken.

Amen! sagte lächelnd Lady Marie, hell aufblickend, und im selben Augenblick lag Richmond in den Armen des liebenswürdigen Grafen von Ormond, welcher, ohne von der lebhaft beschäftigten Gruppe bemerkt zu werden, sich herbei geschlichen hatte.

Bald füllte sich nun der Altan mit mehreren Gästen, durch die Nachricht von Richmonds Ankunft herbei gezogen, und eben erschien Lovelace mit der Bitte der beiden Herzoginnen, nach dem Ballsaale sich zu verfügen, welcher willkommenen Einladung man auf das Heiterste sogleich folgte.

Der Ballsaal war eine offene weite Halle, welche mit dem Parke gleich lag und zu den verschiedenen Spielen der Jugend diente, besonders aber zum geschickten Werfen des Balles nach dem Ziele benutzt ward und davon ihren Namen hatte.

Der davorliegende weite Rasenplatz verstattete eine Ausdehnung der Spiele, und ein kleines Schießhäuschen mit allen Arten von Gewehren bis zur Armbrust hin, reizte sehr oft die Geschicklichkeit der jungen Leute beiderlei Geschlechts.

Auch heute ging man bei der Schönheit des Wetters sogleich zu den Spielen auf dem Rasenplatze vor dem Hause über, und Alles schien von einer besonders heitern Stimmung belebt. Man stellte Wetten an, wer das Ziel in der Scheibe treffen würde, wobei die Damen theilnehmend mitwirkten, und als Richmond von den Herzoginnen, die mit der älteren Gesellschaft die Halle vorzogen, beurlaubt ward, schloß er sich mit seiner anerkannten Geschicklichkeit dem fröhlichen Schwarme an. Gräfin Melville, von Jugend auf in allen möglichen Leibesübungen erfahren, trug nicht allein über die Damen stets den Sieg davon, sondern über die meisten der anwesenden Kavaliere.[73] Dies sollte sich jedoch bei Richmonds Ankunft ändern, denn bei dem ersten Schuß war der Mittelpunkt der Scheibe durchbohrt, und gleich nach ihm sendete er den kleinen Pfeil von der Armbrust, daß seine Spitze unversehrt durch das von dem Schusse gebohrte Loch drang. Lauter Beifall folgte dem trefflichen Gelingen und brachte neuen Eifer in die Bemühungen der Uebrigen. Lady Melville traf zwar mit ihrem Pistol die Federn des Pfeiles im Ziel, doch mußte Richmond für den Sieger anerkannt werden.

Lord Richmond schien sich zwar äußerlich der allgemeinen Geselligkeit hinzugeben und an allen Anwesenden gleichen Antheil zu nehmen, er konnte sich aber nicht enthalten, fortwährend Lady Melville zu beobachten, deren dunkles und sonderbares Schicksal, eben wie ihr Einfluß auf das Herz seines Bruders, ihn zu einem Interesse für sie bewog, welches durch ihren Anblick nicht verringert werden konnte.

Er hatte sich trotz dem, was ihm über ihren Werth reichlich von allen Seiten mitgetheilt ward, nicht zu ihrem Vortheil einnehmen lassen; denn die Angaben, welche sie über ihre Geburt und ihr Leben gemacht, waren von keiner Seite bestätigt und mußten gar leicht dem Argwohn gegen die Glaubwürdigkeit ihrer Person Raum geben. Dabei fühlten sich sein Herz und seine strengen Grundsätze von Ehre und Pflicht unbeschreiblich verletzt durch den Zustand, worin er seinen zärtlich geliebten Bruder fand. Die Leidenschaftlichkeit, worin dies schöne, geregelte Gemüth aufgelöst schien, und die Entschlüsse, die daraus entstanden, und die zum Nachtheil aller seiner bisher beobachteten Grundsätze einzig über dies fremde, namenlose Wesen Glück verbreiten sollten, steigerten sein Mißtrauen, und ließen ihn an ihrer Unwissenheit und Absichtslosigkeit einigen Zweifel hegen, welches ihm um so leichter ward, da hiermit die schmerzlich von ihm empfundene Schuld des Bruders sich[74] merklich verringerte und ihn mehr als einen Verführten erscheinen ließ.

Das Einzige, woran er unbezweifelt glaubte, war ihre Schönheit, aber auch diese nahm ihn gegen sie ein, denn nur mittelst dieser konnte sie seinen Bruder verführt haben. Nichts aber haßte er mehr, als wo diese göttliche Gabe des Himmels von Frauen benutzt ward, das Herz der Männer zu bestricken, und obwol seine Gerechtigkeit ihn hinderte, diesen Fall hier bestimmt anzunehmen, war er doch entschlossen, ihn für möglich zu halten und sie einer scharfen Beobachtung zu unterwerfen.

Er fand sich nun von ihrem Anblick selbst überrascht und hatte in wenigen Stunden viel von dem, was er früher über sie gedacht, innerlich widerrufen. Ihre Schönheit war auffallend und mußte die Bewunderung eines Jeden erregen; aber ihr Auge hatte nichts von der eitlen Verschämtheit, womit die ihrer Schönheit sich Bewußten den Blicken der Männer begegnen. Ruhig, klar und offen ertrug sie jedes Auge, und schaute wie ein Kind fest zu Jedem auf. Sie hatte keinen Begriff von der angelernten Sitte der Frauen, gegen Männer sich anders zu betragen, als gegen Frauen; ihre Freundlichkeit trat ohne die traurige Verkrüppelung der Gefühle hervor, die mit der unbestimmten Furcht vor einem ungekannten Uebel die Unschuld des Herzens bedroht, ehe noch die Schuld selbst es zu berühren vermochte. Die unschuldige Neugier, womit sie Richmond fast aufsuchte, um mit ihm zu sprechen, hatte zwar etwas Abweichendes von dem Bilde, welches er sich von der zarten Zurückhaltung einer Jungfrau geschaffen, aber es ward ihm bei ihr nicht zur Störung, ja, es setzte ihn in Nachdenken, ob er nicht sein Ideal nach dieser einfachen Natur korrigiren müsse.

Dessen unerachtet erfüllte ihn das Fräulein mit Erstaunen, welches noch denselben Abend sich steigern sollte, als die Gesellschaft nach dem schnellen Ausbruch eines Gewitters in die[75] erwähnten Prachtzimmer des Schlosses sich zurückgezogen hatte. Die jungen Leute nahmen plaudernd von dem Gemälde-Kabinet Besitz, und Lady Melville lehnte sich an die Glasthür, dem Bilde der Königin von Schottland gegenüber. Lord Richmond konnte sich hier eines vergleichenden Blickes nicht enthalten, und zu Lord Ormond gewendet, sprach er sein Erstaunen über die unbezweifelt große Aehnlichkeit dieses Bildes mit der Lady aus.

Es ist uns allen aufgefallen, erwiederte der Lord, sich zum Bilde der Königin wendend, und wenn Ihr es bestätigt, der Ihr dies Bild so lange studirtet, dann dürfen wir unserm Urtheil wohl vertrauen.

Marie ward dadurch aufmerksam.

Erlaubt, sprach Richmond, Euch meine Ueberraschung über die genaue Aehnlichkeit dieses schönen Bildes mit Euch selbst, auszudrücken.

Es ist mir nicht neu zu hören, ich weiß es, entgegnete sie ruhig und blickte dabei mit einem wehmüthigen ernsten Ausdruck zu dem Bilde hin, welches die höchste Schönheit repräsentirte, und wobei die Anerkennung der eignen Aehnlichkeit damit ein ziemliches Bewußtsein ihrer Schönheit auszudrücken schien.

Dies fühlte Richmond mit der gehässigen Laune der Männer, die zwar nie unterlassen mögen, dies Bewußtsein mit verführerischen Worten zu wecken, doch die daran verloren gehende Unbefangenheit der Frauen bitter tadelnd dann vermissen.

Es schien ihm so schwer, diesem Bilde zu ähneln. Er hatte es vor wenigen Stunden noch für unmöglich gehalten. Zwar hatte er es nun selbst ausgesprochen; aber es verletzte ihn dennoch, es als etwas Gewisses und lang Bekanntes angenommen zu sehn. Er hätte es in diesem Augenblick gern sich und dem Gegenstande verläugnet, und die Kälte, die seine Züge sogleich ausdrückten, wäre nicht schwer zu erkennen gewesen; aber die Lady merkte nicht darauf, ihre Gedanken hatten eine[76] weit andere Wendung genommen. Sie verließ ihren Platz und setzte sich auf ein Tabouret seitwärts dem Bilde nieder.

Diese Bewegung war offenbar der Aehnlichkeit noch vortheilhafter; aber Richmond, unangenehm aufgeregt, hielt dies für beabsichtigt und war im Begriff sich wegzuwenden, als die Gräfin, ganz in das Anschaun des Bildes versunken, mit einem wehmüthigen Ausdruck der Stimme fortfuhr: Wie oft hat der glückliche Zufall dieser Aehnlichkeit meine theuern Verwandten beschäftigt und erfreut. Man schmückte mein Haar, wie es die Königin zu tragen pflegte, mit der kleinen Spitzenhaube, man kleidete mich nach der Sitte jener Zeit, und ließ mich gehen und stehen und niedersetzen, wie von ihr gesehen zu haben die Freunde und Anhänger sich noch genau erinnerten, obwol unter meinen Verwandten nur mein Vater, der Graf Melville, sie gekannt hatte. Er wußte Stundenlang von ihr zu sprechen, denn er war Edelknabe bei ihr zu der Zeit, da diese drei unglückseligen Kronen noch mit vollem Rechte ihr unschuldiges Haupt schmückten.

Gewiß, sprach Lord Ormond dazwischen, ist und bleibt diese unglückliche Frau eine höchst ausgezeichnete und anziehende Erscheinung, und die schwärmerische Anhänglichkeit, welche sie ihren Freunden und Anhängern einzuflößen wußte, vermehrt die Zweifel, ob ihr grauenvolles Schicksal ein verdientes war.

Wie tief hat mich stets ihr Schicksal ergriffen, fuhr sie fort und hob die schwermüthig gesenkten Augen empor, wie habe ich meine kindischen Gedanken zerquält mit Plänen, wie sie hätte gerettet werden können, wie hab' ich sie geliebt und alles Gute, was ich zu fassen vermochte, ihr beigelegt. Als nun endlich das geheim gehaltene Glück der Aehnlichkeit mir anvertraut ward, wie tief erschüttert war ich da! Warum lebte ich nicht, als sie zu Tewksbury in ihrem Kerker schmachtete? Ich wäre zu ihr eingeschlichen, in meinen Kleidern wäre sie entflohen, ich,[77] ihr so ähnlich, wäre an ihrer Statt auf jenem Blutgerüst gefallen.

In Wahrheit, Lady Melville, rief hier die junge verwittwete Marquise Danville, Euer großmüthiger Enthusiasmus ist ein um mehr als dreißig Jahr verspäteter, ziemlich bequemer Tribut der Dankbarkeit für das Glück, der schönsten Frau zu ähneln, die gleich der griechischen Helena die Welt in Brand und Unheil stürzte.

Ihr habt Recht, Mylady, sprach die Gräfin, durch den grellen Ton der Mißgunst unsanft aus ihren Kinderträumen geweckt, wohl ist dies ein nutzloser oder, wie Ihr sagt, ein bequemer Enthusiasmus. Vergeblich selbst hätte ich zu jener Zeit gelebt. Wie würde, was den Edelsten meines Landes nicht gelang, dem schwachen Mädchen durch den zufälligen Schein der Aehnlichkeit gelungen sein? Doch ich liebte sie früher, als ich von meinen Zügen wußte; inniger aber mußte ich seitdem mich zu ihr hingezogen fühlen. Ich bin mir des ersten Einflusses wohl bewußt, der mich aus meinen eignen Zügen mahnend anzureden schien. Fast beschämt fühlte ich mich von dem Glücke, ihr zu gleichen; ich fürchtete, zu strengerer Rechenschaft bestimmt zu sein, und, fuhr sie sich selbst belächelnd fort, ich wünsche den köstlichen Gefäßen gleich zu sein, deren Form zerspringt, sobald ein Tropfen Gift hinein geschüttet wird. –

Es entstand eine Pause, in der Alle, die sie allmälig umgeben hatten, mit den verschiedensten Empfindungen, doch voll Antheil auf sie blickten. Lord Ormond drückte Richmonds Arm, und die Glut der tiefsten Empfindungen ruhte auf seinem edlen Angesicht, während Ollonie Dorset mit erblaßten Wangen bald ihre feuchten Augen auf die Lady, bald auf Lord Ormond und Richmond wandte, welcher letztere nicht mehr den Ausdruck unbilliger Kälte trug. Doch wenn diese Männer, sichtlich ergriffen,[78] ihr eben nichts zu sagen wußten und hiermit sie ehrten, kam derlei zartere Bedenklichkeit nicht in die Seele Lord Membrockes, der sich ihr sogleich näherte, um mit dem flachen Wortschwall des eiteln Weltmannes sie zu versichern, Maria Stuart sei zur rechten Zeit geboren und gestorben, denn die Schönheit habe sie mit siegreicheren Kronen geschmückt, als die dreifach gekrönte Königin.

Sogleich erhob sich die Lady, und als sie so emporgerichtet stand, und ihr plötzlich so stolzer Blick über den schönen, sieggewohnten Lord hinstreifte, schien sie Allen noch viel mehr der königlichen Maria zu gleichen, deren hoher Sinn durch keine Gewaltthat des Schicksals zu beugen war.

Sie zog leicht die schönen Augenbrauen, und Anna Dorsets Arm ergreifend, wehrte sie ihn mit der Hand: Laßt das, Mylord, Ihr habt nicht Einsehen, wie ich's meine, und ich muß Euch darum verzeihn, wenn Ihr mir weh thut, denn wir sind uns fremd.

Lord Membrocke suchte seinen gekränkten Stolz hinter ein lautes Applaudiren dieser kühnen Rede zu verbergen und ihren Witz zu rühmen, während ihm das stolze Mädchen schon längst den Rücken gewandt hatte und in den Nebensaal entschwunden war.

Als sich die Gesellschaft getrennt, erwartete Lord Ormond, in einem Saale des Erdgeschosses lustwandelnd, seinen geliebten Richmond zu einem traulichen Zwiegespräche, nach dem sich Beide sehnten.

Lord Ormond war der Bruder der Lady Dorset, und, wenn auch bedeutend jünger, als seine Schwester, doch in der Mitte der dreißig und mit vollem Rechte in dem Besitze der allgemeinsten Anerkennung. Als Kämmerer des Königs machte diese Stellung, die ihm als Irischen Pair zur Auszeichnung gereichte, ihn zum fast beständigen Bewohner Londons, und den einzigen[79] Ersatz für diesen Zwang gewährte ihm das Haus seiner Schwester, der die Würde ihres Gemahls dieselbe Lebensweise aufnöthigte.

Lord Ormond war der Liebling seiner Schwester, er theilte jede Freude, jeden Schmerz dieser schüchternen Frau, die, von dem erhabenen Ernst ihres Gemahls erdrückt, nur an dem sanften und liebevollen Herzen des Bruders ihre unbestimmte Gefühlswelt erschließen konnte. Sein Rath, den er stets in ihrem wahren Interesse ertheilte, machte ihn zum wohlthätigen Dolmetscher zwischen den beiden sich so ungleichen Ehegatten. Der Graf Dorset, der, in die Interessen seiner hohen Hofstelle vertieft, sich gar nicht in die schüchternen Anforderungen seiner Gattin finden konnte, da sie ihm mehrentheils unverständlich blieben, fühlte sich durch seinen Schwager, dessen ausreichendem Schicklichkeitsgefühle er vertrauen durfte, der Sorge enthoben, seine Gewahlin verstehen zu müssen. Was sie wünschte, erfuhr er meist durch ihn, denn aus ihrem eigenen Munde ging eine solche Mittheilung stets so von Nebengedanken und Gefühlen verwirrt hervor, daß der gute Lord, trotz einer höflichen Anerkennung ihrer Rechte, doch selten im Stande war, in seinen Antworten ihr Genüge zu thun, wodurch ihr wieder auf lange die Lippen versiegelt wurden und der Gemahl sich leicht für beunruhigt in seiner Pflichterfüllung ansehen konnte.

Die Erziehung seiner beiden Töchter hätte offenbar seinen Blick häufiger auf seine Häuslichkeit richten müssen, wären ihm nicht dieselben, da ihre Geburt ihn zwei Mal in der Hoffnung eines Erben getäuscht hatte, herzlich gleichgültig gewesen.

Seine Gemahlin schien ihm, außer dem Fehler, keinen Sohn geboren zu haben, die leidlichste Gefährtin, die ein vornehmer Mann sich nur zur Gattin wünschen könnte. Er folgerte, unter ihrer Leitung müßten die beiden Töchter sich ihr ähnlich bilden, und so war er fertig und außerdem überzeugt,[80] daß Lord Ormond für einen etwa abweichenden Fall schon Alles berichtigen würde.

Er war dessen ungeachtet nicht blöde, es ganz seinem Verdienste um die Erziehung seiner Töchter zuzurechnen, als der Herzog von Nottingham seinen ältesten Sohn für Lady Anna vorschlug. Den Zusatz, im Falle die jungen Leute Neigung zu einander gewönnen, acceptirte er mit dem mitleidigen Lächeln des überlegenen Mannes, denn er schien ihm nur auf das richtige Schicklichkeitsgefühl Beider zu deuten. Es freute ihn, Beide gleich gut auf diese Weise versorgt zu wissen, ohne übrigens in Bezug auf seine Tochter über die blinde Voraussetzung hinaus zu gehen, daß sie eine eben so stille Kreatur, als ihre Mutter sei. Von ihrem künftigen Gemahl Genaueres zu wissen, als seine dereinstigen Titel und Einkünfte oder seine jetzige vortheilhafte Aufnahme bei Hofe, würde ihm sogar unschicklich erschienen sein.

Lord Ormond fand um so nöthiger, die lückenhafte Stellung seines Schwagers in dessen Familie zu ergänzen, da es ihm in der Kinderstube seiner Nichten schon klar ward, daß sie Beide nicht umsonst die Töchter dieses stolzen und heftigen Mannes waren, und seine sanfte Schwester eine eben so schwache Beurtheilung der Karaktere ihrer Kinder besaß, als ihr Gemahl.

Lord Ormond war durch eine bittere Täuschung in der Liebe von dieser zerstreuenden und abziehenden Thätigkeit der Seele früher, als seine Jahre es natürlich machten, auf das ernstere Leben innerlicher Reflexionen verwiesen worden. Er erschien dadurch älter, ja, er war es; denn die Leidenschaft hatte anscheinend ihr Recht zu einer Zeit über ihn verloren, wo gewöhnlich dieser Streit noch längst nicht abgethan zu nennen ist.

Er hatte sich bemüht, aus der trostlosen Verödung des Schmerzes sich durch eine muthige und vollständige Resignation[81] empor zu heben. Er hatte dem Leben erklärt, daß es ihm für sich nichts mehr zu gewähren vermöchte; er hoffte so ein Bollwerk aufgeführt zu haben zwischen sich und einer möglichen Wiederholung so leidenschaftlicher Zustände, an die er nach Jahren nur mit Schaudern denken konnte, in dem Bewußtsein, unter ihrem Einflusse, dem Himmel, sich selbst und dem Leben auf das Trostloseste entfremdet gewesen zu sein.

Seine schöne, vom Himmel so reich begabte Natur folgte willig der Anweisung, sich einem allgemeinen Interesse wohlwollend hinzugeben, und er erkannte die Welt als vollständiger und reichhaltiger in dieser uneigennützigen, bezuglosen Ansicht.

Wer aufgehört hat, sich selbst in den Beziehungen des Lebens zu suchen, der gewinnt bald einen feinen und scharfen Blick für das Bedürfniß Anderer, und die kleinsten Anforderungen üben über ihn dasselbe Recht der Theilnahme, als die breit in das Leben einschreitenden Begebenheiten, die Jeder erkennt.

Die Kinder seiner Schwester erfüllten ihn mit einer Zärtlichkeit, die durch das Gefühl, ihnen nützlich sein zu können, erhöht ward. Als er seine Nichten zuerst wiedersah, war Anna vierzehn und Ollonie zehn Jahr.

Er mußte sich bald überzeugen, daß, wenn auch Anna ihm eben so innig anhing, als Ollonie, doch sein Einfluß auf sie ein bedingter sein würde, da sie, so alt geworden, ohne von irgend wem in der Bildung ihres Karakters geleitet zu sein, jetzt ihn schwerlich noch in die Grenzen zurückzuführen vermochte, die doch, ihrer gefährlichen Anlage nach, nöthig schienen. Ihr Herz gehörte zu den stillen Organen ihres Wesens, denen man zwar das Leben nicht absprechen kann, die aber nicht stark genug wirken, um der übermüthigen Verstandesthätigkeit das Gleichgewicht zu halten. Die Folge davon war ein jäh aufwachsender Egoismus, ein stets vorherrschender Stolz und ein zu allen Leidenschaften vorbereitetes Wesen, das nur der Gelegenheit[82] bedurfte, um in ungezügelter Lebendigkeit ins Leben zu treten.

Ihr Oheim, gerührt durch den gefahrvollen Zustand des schönen Wesens, wollte ihre Fehler unter einander sich bekämpfen lassen, und nachdem er bald durch Theilnahme ihre Liebe erworben, behandelte er sie mit einer schonenden Achtung, die stets das Gute, das er ihr wünschte, als schon vorhanden annahm und die Erreichung des Besten als in ihrer Natur liegend voraussetzte.

Ihr Stolz hatte ihre Wahrhaftigkeit behütet, und ihr Verstand war ein unbestechlicher und scharfer Beobachter. Sie unterlag der nicht zu läugnenden Betrachtung, daß sie das nicht war, was dieser geliebte Oheim ihr zugestand, aber indem sie ihn selbst höher achten mußte, als alles bisher Bekannte, rief ihr Stolz den Entschluß ins Leben, sein ehrendes Urtheil wirklich zu verdienen.

Das hatte der Menschenfreundliche gewollt. Jetzt sah er bald, daß sie zur Selbstbeobachtung geführt war und zur Wahrnehmung ihrer Fehler gelangte, womit er Alles eingeleitet zu haben glaubte, wodurch diesem lang verwöhnten Gemüth aufzuhelfen war. Auch hatte er später die Freude, bei dem Entstehen ihrer Liebe zum jungen Herzog von Nottingham die ungemein wohlthätige Hülfe zu sehen, die dies wärmere und lebhaftere Dasein ihres Herzens ihrer ganzen Natur verlieh. Ihre Fehler waren zusammengesunken, der Athem des Wohlwollens hob die Brust, und die Sicherheit ihres Blicks tauchte unter in dem scheuen Glanz einer sehnsüchtigen Hoffnung. Also, seufzte ihr Oheim, die Liebe, die so Vielen zum Verderben wird und die Leidenschaften aus ihrem Bande reißt, legt diesem ungezähmten Kinde wohlthätige Fesseln an. Sie war wohl noch dieselbe, aber gewiß blieb, daß sie eines starken Gefühles fähig war, und somit für diesmal gerettet.[83]

Ganz anders war sein Gefühl und sein Verhältniß zu Ollonie. Dies holde Kind hing sich bald mit der ganzen Fülle ihres zärtlichen Herzens an den geliebten Oheim, und Ormond schaute mit Entzücken und auch mit heimlicher Sorge in dies feurig gefühlvolle Herz. Es schien ihm den Stempel des Leidens von der Natur empfangen zu haben, er wußte am besten, welchen Gefahren sie unschuldsvoll dies zarte, empfängliche Innere entgegen trug, und seine Zärtlichkeit, seine Sorgfalt für sie, trug den Karakter der Hingebung, womit wir den lieben, den wir von einem harten Schicksal bedroht wissen. Ganz im Gegentheil von ihrer Schwester war der Lord hier einzig bemüht, die vorlaute Gewalt ihres Herzens zu mäßigen und ihren Verstand vor einer Unterdrückung zu behüten, zu der die Gelegenheit sich stets geschäftig zeigte. Er betrieb selbst ihren Unterricht; nur aus seinen Händen empfing sie ihre Lektüre, ihre Noten, ihre Vorbilder zum Zeichnen.

Ihre Zeiteintheilung, Arbeit und Belustigung, Alles war von ihm angeordnet, und er liebte dies endlich in ihm nur lebende Wesen mit einer Innigkeit, von welcher der eigene Vater keine Ahnung in sich fühlte.

Jetzt war Ollonie fünfzehn Jahr, in großer Schönheit erblüht, und wenn auch stets noch phantastisch und überwallend, und einer gleichmäßigern Entwickelung ihrer Natur nach vielleicht nicht fähig, doch gerade um so interessanter in dieser bewegten, geistvollen Abschweifung von dem Gewöhnlichen.

Ormond behielt den holden Zögling stets im Auge, ihre Zukunft erfüllte ihn noch immer mit Sorge, und er kannte nur einen Mann, dem er sie gönnte, nur einen, welchem er den so von ihm gehegten Schatz übergeben mochte, und dies war, sein Liebling eben so sehr als Mann, wie Ollonie als Weib, kein anderer, als Lord Richmond.

Graf Archimbald hatte ebenfalls für seinen Neffen und dereinstigen Erben diese Wahl getroffen, und es hatte Ormond[84] seinen ganzen Einfluß gekostet, der beabsichtigten Abschließung dieser Angelegenheit die nähere Bekanntschaft der jungen Leute vorausgehen zu lassen.

Die Anwesenheit Aller in Burtonhall, wohin auch er mit Erlaubniß des Königs, der ihn gern zu jener Sendung an die Familie Nottingham beurlaubt hatte, sich begeben durfte, sicherte ihm die Hoffnung, selbst die Herzen seiner jungen Freunde beobachten zu können, da Graf Archimbald sich sehr bereit zeigte, seinen Neffen im Auftrage dahin zu senden, und Ormond zweifelte nicht an dem Gelingen dieser so wünschenswerthen Angelegenheit.

In diese Gedanken vertieft, sehen wir ihn seinen jungen Freund erwartend umher wandeln, als plötzlich die Thüren sich öffneten und die junge schöne Marquise Danville eintrat, die, begleitet von einem Pagen, der ihr vorleuchtete, durch diesen zur Verbindung mehrerer Gemächer dienenden Saal eilte, um sich nach ihren Zimmern zu begeben. Sie gab ein mächtiges Erschrecken vor, hier dem einsam wandelnden Lord zu begegnen, aber die Bewegungen des Erstaunens kleideten sie so ungemein gut, daß sie dieselben über Gebühr verlängerte, und es sei uns der Zweifel an ihrer Wahrhaftigkeit um so eher vergeben, da Lord Ormond vornehm, reich und mit allen persönlichen Vorzügen geschmückt war, die von dieser geschickten Frau nicht übersehen werden konnten.

Auch hatte das Schicksal die Lady bisher schlecht bedacht. Im vierzehnten Jahre war sie bereits dem alten Marquis Danville vermählt, und obgleich jetzt Witwe und Besitzerin eines bedeutenden Vermögens, wünschte die junge Leidtragende doch in aller Billigkeit die Vernachlässigung, die ihre Jugend erfahren, durch den Besitz eines Mannes nach ihrem Sinne auszugleichen. Wenn nun auch Lord Membrocke sich fast bereit zeigte, durch Darreichung seiner Hand sich in Besitz ihrer Reichthümer[85] zu setzen, und wenn sie es auch nicht aufgeben mochte, ihn als ihren Bewunderer gelten zu lassen, hatte sie doch Verstand genug, Lord Ormond für eine bessere Partie anzusehn. Sie war daher während ihres Beisammenseins mit ihm schon alle mögliche Versuche, ihn zu fesseln, durchgegangen, ohne ihrem Ziele näher gerückt zu sein.

Ha, rief sie, Lord Ormond, Ihr seid böse, mich arme, erschütterte Frau so zu erschrecken, wie konnte ich Euch hier ahnen!

Ich bin bekümmert, Mylady, rief der Lord, ihr höflich entgegen tretend, und gebe zu, daß meine Gegenwart unerwartet ist; aber erlaubt mir nun, Euch meinen Arm zu geben, um Euch nach Euern Gemächern zu geleiten.

Der Lady war dies zwar ganz recht, daß der Lord sie aber nun wirklich ohne Weiteres mit aller Höflichkeit und unaufhaltsamen Schrittes durch den Saal zu führen begann, zertrümmerte alle ihre Hoffnungen, die auf ein so interessantes Zusammentreffen gestützt waren, welches bisher gefehlt hatte und jetzt unbenutzt vorübergehen sollte.

Die kühlen, höflichen Worte Ormonds ließen nämlich nicht die kleinste Scene einleiten, und so hatten die in so getheiltem Interesse Wandelnden die Gallerie erreicht, woran die Zimmer der Dame stießen, als Beider Gedanken abgelenkt wurden, durch eine vor ihren Augen sich begebende Scene.

Sie sahen nämlich deutlich eine Dame die Gallerie hinabeilen, an ihrer Seite im lebhaften Gespräch einen Mann, den sie Beide augenblicklich für Lord Membrocke erkannten. Jetzt blieb die Dame stehen, sie wendete sich und schien ihren Begleiter entfernen zu wollen; Lord Membrocke kniete nieder und schien flehend ihre Theilnahme zu fordern.

Die Dame beugte sich, ob zum Abwehren oder Erhören seiner Bitten, blieb unentschieden, da Beide jetzt erschreckt auffuhren, indem Lord Richmond, der sich zu Lord Ormond begeben[86] wollte, sie fast erreicht hatte und durch seine absichtlich lauten Schritte sich jetzt kund gab. Die Dame verschwand rasch in einer Thür, und Membrocke eilte grüßend an Richmond vorüber.

Die Heuchlerin! rief die Marquise, dieser Hochmuth vor den Augen der Welt, und doch eine Intrigue mit diesem sittenlosen Lord!

Wen meint Ihr, rief Ormond heftig bewegt; wie könnt Ihr entscheiden, wer diese Dame war, da das Mondlicht allein die Gallerie erleuchtet und wir uns irren können, sicher irren.

Irren? rief die Lady stolz und kalt, indem sie ihren Arm aus dem seinigen zog, irren? Wo wäre denn zum zweiten Mal diese neu erstandene Maria Stuart, die Ihr selbst wohl hinreichend kennen müßt, da Eure Augen sie stets begleiten und jetzt Eure Furcht vor ihrer Beschimpfung Euch hinreichend verräth. Ja, glaubt nur, Mylord, diese Erbin von Maria's Reizen ist auch die Erbin ihres bösen Blutes, ich durchschaute sie schon längst. –

Um Gotteswillen, Lady, mäßigt Euch und seid nicht so grausam voreilig, es kann nicht sein, sicher Ihr irrt, es war nicht Lady Melville. –

Mit Hohn blickte die erzürnte Dame in das Gesicht des Grafen, dann rief sie bitter lächelnd: Unser Streit wird bald zu schlichten sein. Dort kömmt Lord Richmond; er war ihnen ganz nah, er wird entscheiden können, wer diese zweideutige Dame war. Hierher, Lord Richmond! Meine Schritte sind gehemmt durch Erstaunen und Unwillen. Wie ist es möglich, daß Lady Melville sich zu diesem Liebhaber verstehen konnte? Erzählt uns, habt Ihr gehört, was sie sprachen? Wollte er sie umarmen, erhörte sie sein Flehen? – Unter diesen stürmischen Fragen der Lady war Richmond näher gekommen. Aber auch die listige Stellung ihrer Fragen sollte ihr zu keiner Bestätigung helfen; denn Richmonds zartes Gefühl erkannte mit Widerwillen die[87] heftige Schadenfreude, womit sie das Böse zu vernehmen trachtete, und war sogleich entschlossen, ihr diese nicht zu gewähren. Lord Membrocke habe ich erkannt, erwiederte er ihr daher in gemessenem Tone, über die Dame aber, in deren Nähe er sich befand, kann ich nicht urtheilen, da das Licht in der Gallerie zu unbestimmt ist, wie Euer Gnaden selbst bemerken werden.

Ein kurzes, bitteres Gelächter brach hier aus dem Munde der höchlichst getäuschten Lady. Nun, Mylords, rief sie heftig, wenn Ihr Beide Eure Augen nur habt, wenn es gilt, diese Abenteuerin zu bewundern, so seid sicher, mein Auge war scharf genug, diese angebliche Lady Melville zu erkennen, und ich weiß jetzt genug von ihr. Ich wünsche Euch angenehme Träume, fügte sie spöttisch hinzu und verschwand in der Thüre, die zu ihrem Zimmer führte.

Die beiden Freunde kehrten schweigend nach dem Saale zurück, wohin sie zu kommen sich verabredet hatten, aber ohne der ersehnten traulichen Mittheilung zu gedenken, wandelten sie neben einander mehrere Mal auf und ab, bis endlich Lord Ormond Richmonds Arm ergriff und mit einer tief bewegten Stimme ihn anredete: Sprich, Richmond, giebt es keinen Zweifel, bist Du gewiß, daß sie es war?

Sie war es! erwiederte er ernst, denn sie ist nicht zu verkennen.

Großer Gott! rief Ormond heftig, welch' ein Zusammenhang knüpft dies Wesen an den nichtswürdigen Buben? Ich kann nicht glauben, was diese Danville auszusprechen wagt; ein anderer trauriger Zwang muß sie beherrschen. Sie steht verlassen ohne natürlichen Beistand da, jung und unerfahren; welch' ein Höllengedanke, daß es dem gelenken Bösewicht gelingen könnte, diesen Engel zu verlocken!

Und, sagte Richmond, bist Du wirklich sicher, daß sie dieses gute Vorurtheil verdient? Hast Du seither im täglichen[88] Verkehr sie so genau geprüft? Ich kann mich zum Vertrauen noch nicht stimmen lassen, obwol ich es theilnehmend anerkenne, daß es ein hartes Loos ist, so da zu stehn, wie sie. Der kleinste Zweifel an der Reinheit einer Frau hängt sich verunstaltend um sie, wie ein böses Schlinggewächs um der Säule ebenmäßigen Bau; und Zweifel mindestens hat sie erregt. Kannst Du die Räthsel lösen, die ihr Leben, ihr Erscheinen unter uns begleiten? Kannst Du des Argwohns Dich überheben, wenn Du sie kennst?

Ich kenne diese geheimnißvollen Umstände, ergriff nun ruhiger Ormond das Wort, und weiß sie nicht zu lösen, doch fern bleibt von mir jeder Argwohn. Kenne sie nur erst und laß sie selbst Dir Zeugniß ablegen von der unverfälschten Reinheit ihrer Seele! Sie fühlt den Schmerz, der ihrer Lage zugetheilt ist, nur als das trostlos plötzliche Vereinsamen eines in Liebesfülle aufgeblühten Kindes; doch fern liegt ihr die Ahnung einer ihr dadurch aufgedrückten Zweideutigkeit. Sie hat den festbegründeten Stolz der Unschuld und jenes rührende Vertrauen in die Wahrheit noch, durch deren offne Enthüllung sie sich selbst und uns allen glaubt Genüge gethan zu haben. Sie lebt so ohne Furcht vor uns in diesem Kreise, daß sie sich um nähere Enthüllung ihres geheimnißvollen Lebens nur deshalb sorgend müht, weil sie der Unruhe ihrer Freunde über ihr Verschwinden denkt und es sich selig träumt, diejenigen der Ihrigen, die sie noch am Leben hofft, uns zuzuführen. Daß uns das Erscheinen dieser Freunde zum Zeugniß über sie auch nöthig scheinen könnte, ahnt ihre Seele nicht. Und wer muß ihren unbekannten Freunden nicht Zeugniß hoher Einsicht ablegen, wenn er die Erziehung dieses Mädchens kennt? Die Natur hat an dieser schönen Hülle sich nicht erschöpft; frei, großartig und edel ist jeder Trieb in dieser Brust, doch wie hat auch die Erziehung mit höchster Weisheit, mit Ehrfurcht fast vor dieser natürlichen Gestaltung, gegen[89] alle Verkrüppelung sie bewahrt! Ich kenne die Pläne, die Berechnungen ihrer Erzieher nicht, darum kann ich nur sagen, es scheint, sie ist zu einer großen Bestimmung auferzogen, und ihrer Natur eine völlig freie und eigenthümliche Entwickelung gegönnt. Sie hat die Formen, die wir an Frauen lieben, die von der feinsten Sitte der vornehmen Welt erzogen wurden, und dennoch ist es, als ob sie nichts von allem diesen wüßte, als ob ihr hohes weibliches Gefühl sie jedes Mal die Formen erfinden ließe, die dann dem strengsten Richter genügen müssen. Sie geht ruhig, arglos wie ein Kind, unter all diesen verschiedenen Gestalten hier umher und weiß sich überall zu finden; aber ein unedles Wort reizt schnell dies sorglose Kind, sie hat ein kräftiges Herz, des edeln Zornes fähig, und wunderbar tritt dann ein ächter Stolz aus ihr hervor. Dann fühlt man erst, wie völlig wahr und natürlich sie gebildet ist, und denkt mit Freuden der schönen Natur, die sie so mäßig, klar und ruhig in allen Verhältnissen bleiben läßt. Nein, ich kann den Glauben an ihre reine Abkunft nicht aufgeben; es wird noch Licht über sie kommen; diese Ungerechtigkeit, sie der Mißdeutung preis zu geben, begeht der Himmel nicht an seinem Liebling!

Richmond drückte, bewegt von dem warmen Eifer des edeln Freundes, seine Hand, er hatte das schöne Bild, welches aus seinen beredten Worten vor ihm aufgestiegen, mit einem unaussprechlichen Gefühl als ein bekanntes, zum Leben auferstandenes in seinem tiefsten Gemüthe aufgefaßt und fühlte sich davon zu sehr gerührt, um ruhig plaudernd, wie es die Absicht dieses Beisammenseins verlangte, auszuharren.

Auch schien Lord Ormond davon wie von etwas Ausgesprochenem überzeugt. Freundlich, innig preßten sie sich, Abschied nehmend, an einander und Jeder eilte, reich mit eigenen Gedanken ausgestattet, zur willkommenen Einsamkeit.[90]

Erst als Ormonds Blicke hier in seinem Zimmer auf eine kleine Zeichnung von Ollonie's Hand fielen, gedachte er, wie so ganz er bei jenem Zusammensein mit Richmond seine Absicht außer Acht gelassen, ihn aufmerksam auf Ollonie zu machen. Er blieb betroffen stehn, dann schien ihn plötzlich Schreck und Schmerz zu überwältigen, er hob die Hände gepreßt gegen die Stirn, und wir verlassen ihn, um Richmond zu belauschen, der, sein Zimmer durchmessend, seufzend mehr als ein Mal zu sich sprach: Du armer Bruder!


Längst war das Ereigniß, das ihrer Feindin und ihren Freunden so auffallend ward, aus den Gedanken Maria's entschwunden; wir finden sie in ihrem Zimmer, halb entkleidet, auf einem Tabouret, vor dem mit ihrem Schmuck belegten Nachttisch sitzen, und die alte, ihr zugetheilte und sie zärtlich liebende Kammerfrau beschäftigt, das schöne braune Haar, das wie ein seidner Mantel um ihre Schultern hing, zur Nacht zu kämmen und in Flechten aufzubinden. Doch immer zog sie kopfschüttelnd den Kamm zurück; denn immer berührte er fünf weiße, schlanke Finger, die trotz der wiederholten Verletzung stets bemüht waren, das zarte Haupt zu stützen, das, schwer von Gedanken, einem unergründlichen Geheimniß nachzusinnen schien.

Vergeblich hatte die gute alte Errol gehustet, bei Berührung des Kammes um Verzeihung gebeten, ihre sonst stets heitere, auf die alte Pflegerin aufmerksame Gebieterin blieb heute den kleinen, sonst so leicht verstandenen Bemühungen, eine Unterredung anzuknüpfen, unzugänglich.

Ihr seid müde, theure Lady, hob sie nun endlich lauter an, und wenn Ihr Eure liebe Hand zurückziehn wollt, will ich Euch bald zur Ruhe helfen, aber ich muß doch Eure Haare aufbinden.[91] Ein holdes, aber stummes Lächeln war die ganze Antwort, aber die schöne Hand ruhte nun friedlich neben der andern im Schooß und die alte Errol eilte ungestört ihr Werk zu vollenden.

Kein Wunder, fuhr sie fort, noch immer bemüht, ihr Rede abzugewinnen, daß Ihr so müde seid; habt Ihr doch heute Nachmittag gar viel Bewegung Euch gemacht. Wahrlich, Euch kann Niemand übertreffen. Die jungen Damen, so zierlich sie sind, keine weiß bei allen Spielen das zu leisten, was Ihr vermögt, und wäre Lord Richmond nicht gekommen, auch die Kavaliere hättet Ihr besiegt, aber der, das liebe Kind, von Jugend auf war er der Klügste, Beste und Geschickteste!

Lord Richmond, so tönte es jetzt über die Lippen der schweigsamen Lady, Lord Richmond, ja wohl, Du mußt ihn kennen, Du warst ja von Jugend auf in Godwie-Castle. –

Ja, Mylady, zu Befehl; und Anne, meine liebe jüngste Schwester, die an den Master Jepson verheirathet ist, die war seine Amme. Es war von Geburt an ein schönes begabtes Kind, und heute, wie er mit Euch um die Wette durch das seidne Tau lief, da war es mir, als sähe ich ihn wieder als Knaben vor mir. –

Aber wo warst Du, Errol, ich sah Dich nicht, als wir heute spielten? –

Euer Gnaden, der Master Lovelace hatte uns erlaubt, die obere Gallerie, die an den Speisesaal stößt und gerade auf den Platz sieht, zu besuchen, denn Alle wollten gern den jungen Herrn sehen. –

Während dem war die alte Errol mit ihrer Arbeit zu Ende gekommen. Sie küßte jetzt die schönen Hände, da die junge Dame stets ohne Hülfe ihr Bett bestieg, und entfernte sich, froh, daß sie ganz so freundlich, wie gewöhnlich, von ihrer jungen Herrschaft entlassen worden war.[92]

Maria fand sich nun allein. Sie dachte, daß der Augenblick zu beten gekommen sei, und hoffte dann durch den Schlaf ihrer sonderbaren Stimmung enthoben zu werden. Sie kniete in hoffnungsvoller Erwartung des Gebets vor ihrem kleinen Pulte nieder; aber es blieb Alles stumm in ihr, ihr ganzes Innere schien still zu stehen, und sie selbst stand, wie vor etwas Fremdem, in erstaunensvolle Selbstbeschauung aufgelöst. Wie die Hallen an einem Feierabend vor dem Feste, so war ihr Herz mit dem vollsten Schmucke angethan, aber die lautlose Stille darin zeigte an, daß der Morgen noch nicht angebrochen war, der dieser stillen Vorfeier Namen und Bedeutung verleihen sollte.

Kindlich geängstigt von dem Gedanken, nicht beten zu können, hob sie flehend ihre Hand zum Himmel. Herr, mein Gott und Vater! rief sie aus tiefer Brust, sieh mich an und sei mir gnädig!

Dann senkte sie ihr schönes Haupt lange auf das Pult, küßte endlich inbrünstig ihr kleines griechisches Evangelium, das ihr zur Erbauung diente, und legte sich beklommen und sich selbst entfremdet auf ihr Lager. Da flossen endlich die Thränen, die sie bisher aus Scham bekämpft, und sie wehrte ihnen nicht länger, obwol sie es tadelte, so ohne Ursach zu weinen; und wie ein unschuldiges Kind weinte sie sich in die Arme des Schlafes hinüber.

Die Sonne Englands leuchtet nur selten am frühen Morgen mit dem hellen, farblosen Lichte anderer Länder. In Nebel und feuchte Dünste gehüllt, verbreitet sie ein weniger helles und wärmendes, aber alsdann von der zartesten Rosenfarbe magisch verklärtes Licht. In langen schmalen Streifen sendete sie am andern Morgen ihren zauberischen Glanz durch die bunten gothischen Fenster in das Schlafgemach der hold noch Träumenden. Auf dem glänzenden Tafelwerk an Wänden und Fußboden schienen die farbigen Scheiben ihr Licht als zerstreute Blumen[93] zu malen, gleichsam neckend, um die Schläferin zu wecken. So ruhte das schöne Kind, ganz übergossen von den bunten Lichtern, auf ihrem Lager, dessen Vorhänge, weit zurückgezogen, ihnen vollen Einzug gönnten. Doch schon zuckten zuweilen die zarten Augenlieder, und eben wollten die feinen Hände die blendenden Lichter aus den Augen streichen, da vollendeten diese selbst das angefangene Werk, und zwei klare Augen öffneten sich dem heitern Morgen.

Mit einer unbeschreiblich süßen Empfindung ward sie sich ihrer selbst bewußt. Wie ein Kind, das liebes Spielzeug wieder erkennt, schaute sie, lächelnd aufgerichtet, umher in das lieblich gefärbte Gemach, den Gegenständen ihre anmuthigen, wohlbekannten Erscheinungen aufs Neue ablauschend. Als sie auch ihr weißes Gewand und sich selbst mit bunten Lichtern übergossen sah, entschlüpfte sie leichten Fußes dem so lustig bestreuten Lager, und hinaus in die Frische des herrlichen Morgens sehnte sich die heiße Brust. Jugendlich erquickt und erfreut durch den gesunden Schlaf, gedachte sie nicht ihrer Empfindungen am Abend, oder glaubte sie doch, nach flüchtiger Erwägung, glücklich beseitigt. Ein doppelt und dreifaches Leben an seliger Heiterkeit füllte ja heute die gestern so beklommene Brust; sie mußte ja niederknien, und dies Mal fehlte das Gebet ihr nicht; ja, ein Hymnus von Dank und Liebe gegen Gott strömte aus dem seligen Herzen, und als sie, von Freude und Andacht leuchtend, aufstand, da schien sie die andächtig harrende Errol zu fragen: Ist es nicht eine Seligkeit zu leben?

Mit dem heitersten Lächeln strich sie über das alte liebe Gesicht, und ein Kind kann nicht theilnehmender nach der Nachtruh der Mutter forschen, als jetzt das schöne Fräulein die alte Dienerin befrug.

Dazwischen lauschte sie stets nach den Fenstern hin, und das erwachende Leben in der Natur entging ihren aufmerkenden[94] Sinnen nicht. Zwar war die Zeit des Sommers schon dahin, aber der Herbst hatte noch sein eigenthümliches Leben nicht verloren, und sie hörte von fern den Reiher über dem Moore sich mit vereinzeltem Geschrei erheben, der Drossel nahen sanften Ton und der Seemöwe weitgetragenen, gellenden Ruf. Hell lachte sie den Schwalben nach, die, aus dem Mauergesimse emporschwirrend, sich erst an den glänzenden Scheiben mit dem Kopf stoßen mußten, ehe sie den rechten Weg in das Weite fanden. Hinter ihnen her strebte ihre Seele mit Ungeduld und schnell half sie selbst sich in die zierliche Morgenkleidung hüllen. Dem Klima und der Sitte gemäß, bestand diese weder in Mousselin, noch seidenem Stoffe, sondern sie wählte einen dunkeln Sammet, dessen Ränder mit feiner Goldstickerei zu dem goldnen Netze paßten, das die glänzenden Zöpfe umschloß und von einem kleinen Federhute überbaut wurde, der so leicht wie ein Heiligenschein um den Kopf saß, weder der Sonne, noch dem Sturme zu wehren vermögend. Während dies in eigentlicher Schnelligkeit bald beendigt ward, hatte sich zu wiederholten Malen ein Geräusch an der Thüre hören lassen, das zwar einen ungestüm Harrenden andeutete, aber zugleich von einem Willkommenen herrühren mußte, denn jedes Mal blickte Lady Maria mit dem schalkhaften Lächeln zur alten Errol auf, die dann jedes Mal lachend nach der Thür hinnickte.

Jetzt war das schöne Wesen von Kopf bis zu Fuße geschmückt, und trotz des dabei waltenden Eifers doch von keinem andern Gefühle bewegt, als dem der gehörigen Abfertigung eines nöthigen Geschäfts. Rasch und von eigener freudiger Ungeduld übereilt, flog sie gegen die Thür, und sogleich stürzte sich Gaston ihr mit dem ausgelassensten Jubel entgegen, und nachdem sie seine Liebkosungen empfangen, jagte er, die kühnsten Sprünge wagend, und in langen Bogen sie umkreisend und wieder erreichend, um sie her, während sie selbst, wie ein flüchtiges[95] Reh, über die Stiegen und Gallerien mit ihm hinab eilte in den herrlich ihr entgegen leuchtenden Park.

Aber welch' ein Morgen schien ihr der heutige. Welch' ein Licht, welch' ein Farbenglanz und welch' eine leichte balsamische Luft, von der sie sich wie getragen fühlte! Welch' ein Gefühl von Glück und Muth und Hoffnung schien ihr von ihm auszugehen. Ihre Seele war befreit von dem Kummer, der seine schwere Hand nach ihr in der Einsamkeit auszustrecken pflegte, die Bilder der verlorenen Lieben ihr vorführend und ihr eigenes vereinsamtes Loos.

Ach! wohl gedachte sie ihrer Lieben; aber heute mehrten sie nur die unschuldige Seligkeit des Herzens, und statt ihrer sonst in Thränen gehüllten Bilder verklärten sie sich jetzt in heiter blickende Engel, die aus dem glühenden Morgenhimmel sich schützend und segnend über sie herab neigten.

Ja, ich muß glücklich sein! rief sie sich zu, denn dies wollten sie ja von mir; und zum ersten Male fiel es ihr ein, wie sie ihr das Glück, das aus einer wahrhaft harmonischen Entwickelung des Menschen hervorgehen müsse, und das sie jetzt empfand, als die Aufgabe des ganzen Lebens gestellt hatten.

Sie fühlte, daß sie an diese Aufgabe zu wenig gedacht, aber heute wollte sie dieselbe zugleich lösen. Sie hielt den Schmerz für besiegt in sich oder doch für aufgelöst in kindlicher Ergebung, und dankte im ausgesprochenen Gebete Gott für das Glück, zu leben. Zu leben! setzten ihre Gedanken das Gespräch des kindlichen Herzens fort, und zu leben unter den edelsten und besten Menschen.

Sie sandte ihnen allen tausend zärtliche Grüße zu, als sie so eben, eine Höhe ersteigend, das in der Ferne über den Bäumen des Parkes sich erhebende Schloß gewahrte. Ach, mit jenen vereint den Tag zu verleben, schien ihr ein nun erst von ihr verstandenes, geschätztes, unnennbares Glück zu sein.[96]

An dem Fuße einer großen Eiche, die noch vollbelaubt mit ihren weit ausgebreiteten Zweigen die Anhöhe beschattete, befand sich ein kleiner Sitz, den Lady Maria am liebsten bei ihren frühen Spaziergängen einnahm. Von hier aus hatte sie einen weiten Blick in die reizende Gegend, die für sie einen besonderen Zauber trug, denn hier konnte sie mit ihren scharfen Augen die fernen Gebirgslinien des Cheriot und die Grenzen Schottlands erspähen. Der Solway, an dessen Ufern sie als Kind gespielt, war zwar verdeckt von dem Gebirge des Peek; aber diese fernen malerischen Linien, diese ersten Grenzwarten des schönen Landes, das sie als ihr Vaterland ansehen mußte, gaben ihrer Phantasie stets die Bilder der Heimat, und es war ihr eine Pflicht geworden, täglich hinüber zu schauen, und sie wie liebe Verwandte zu begrüßen.

Sie mußte sich heute, wie manchen Morgen damit trösten, die Himmelsgegend aufzusuchen; denn so fern hin ruhten noch dichte Nebelschleier um den Horizont. Aber auch dies gab ihrem lebhaften Sinne Genuß, denn gleich einem ungeheuern Oceane breitete sich der Nebel-Hintergrund aus, während der Punkt, wo sie stand, in seiner saftigen Frische wie eine Oase daraus hervor leuchtete.

Voll athmete sie dem schönen Naturbilde entgegen, und Alles ward ihr heut zum Troste oder zur Freude, und jeder Schatten versank, denn ihr Busen war aus gefüllt von einem einzigen, unendlichen Wohllaut!

Gaston, an das Ziel der Wanderung seit lange gewöhnt, hatte voranstürmend sie hier erwartet, und saß nun aufgerichtet gleich einer Schildwache zu ihren Füßen und schaute mit seinen klugen Augen, wie verständig, in die Gegend hinein.

Doch jetzt zog er die Ohren horchend an, wandte unruhig und knurrend den Kopf, und ohne sich von der schmeichelnden Hand seines Schützlings beruhigen zu lassen, schlug er plötzlich[97] hell an und fuhr, seinen großen Körper rasch erhebend, pfeilschnell nach dem Waldwege hin, der von dort aus gleichfalls zu der Höhe führte.

Lady Marie folgte seinem Laufe mit den Augen und sah, wie Gaston sich in seiner ganzen Länge aufgerichtet gegen einen Mann gedrängt hatte, dem er auf diese Weise verwehrte weiter zu schreiten, da sein wildes Gesicht, gegen das seinige gehalten, ihm jede Bewegung mit einem drohenden Knurren erwiederte.

Gaston, Gaston! rief Lady Marie, furchtlos für sich und erschreckend über des Thieres Wildheit, komm zurück, komm zu mir!

Gaston wandte den Kopf nach ihr zurück, und schnell dem Rufe der lieben Stimme gehorchend, stieß er den Mann, ihn eben so heftig loslassend, fast rücklings über und war im selben Augenblicke liebkosend zu ihren Füßen. Noch mit ihm beschäftigt, blickte Lady Marie erst auf, als ste den Schatten des nahenden Mannes vor sich am Boden sah, und jetzt erkannte sie zu ihrem lebhaften Mißvergnügen Lord Membrocke.

Wer die schnelle Verwandlung ihrer Züge und ihrer ganzen Gestalt jetzt betrachtete, mußte der Worte des Lord Ormond gedenken, denn mit geröthetem Antlitze hob sie sich so stolz empor, daß ihr leuchtender Blick den Mann vor ihr zu bedrohen schien.

Je mehr sie in einer traumähnlichen Bewußtlosigkeit sich den süßesten Gefühlen hingegeben und die Wirklichkeit nur in dem schmückenden Gewande dieser Stimmung erblickt hatte, desto ferner war ihr das Andenken an einen Mann getreten, der ihr so viel Veranlassung zum Zürnen gegeben hatte, und ihren Argwohn und ihre Ungeduld unablässig erregte.

Doch der Lord schien nicht geneigt, den Zorn des schönen Fräuleins bemerken zu wollen, sondern näherte sich ihr mit der schlauen Ehrfurcht und Unterwürfigkeit, die ihm allein übrig[98] blieb, um sich in der Nähe dieses stolzen und klugen Kindes erhalten zu können.

Mylady, sprach er, sie ehrfurchtsvoll grüßend, ich muß Euch sehr für Eure Befreiung von meinem Feinde danken, da ich, allerdings überrascht, auf einem friedlichen Spaziergange so fest an der Gurgel gepackt zu werden, mir wenig zu helfen wußte. –

Ich erkannte Euch nicht, Lord Membrocke, als ich Gaston zurück rief, unterbrach ihn Lady Melville, kalt sich von ihm wendend und in die Gegend blickend; es war eine ganz gewöhnliche Handlung des Antheils und vielleicht überflüssig, da Gaston Niemand verletzt und mir nur diesen Platz gern einsam zu erhalten trachtet. –

Ich könnte gehen, wollt Ihr sagen, um Gastons handfeste Bemühungen nicht vergeblich zu machen, setzte er spöttisch hinzu; ich bin also offenbar hier zuviel, und hättet Ihr gewußt, daß Lord Membrockes Gurgel unter seinen Krallen zusammen geschnürt war, so hättet Ihr vielleicht es nicht der Mühe werth erachtet, ihn abzurufen. Mylady, erlaubt mir Euch zu sagen, Euer Stolz thut hier Euerm schönen Herzen mehr Schaden, als er verantworten kann. Ihr haßt Niemand so heftig, selbst den armen Membrocke nicht, um ihn gleichgültig irgend einer Gefahr ausgesetzt zu sehen, wenn Ihr sie mit einem Laute Eurer holden Stimme abwenden könntet.

Es lag zu viel Wahres in diesem Vorwurfe, als daß er nicht das offene und bescheidene Gemüth Maria's hätte treffen sollen. Sie glaubte ohne Grund eine unweibliche Härte begangen zu haben, und die früheren Veranlassungen ihrer nöthigen Zurückhaltung über diesen Vorwurf vergessend, wandte sie sich mit milderem Wesen zu ihm.

Mylord, sprach sie, in den ruhigen Ton der Höflichkeit übergehend, Ihr vertraut meinem Herzen nicht zu viel; ich[99] hoffe, daß es sich nie vom allgemein menschlichen Wohlwollen zu gehässiger Ausschließung verirren wird. Sollten meine Worte in der ersten Ueberraschung gegen Euch das Gegentheil ausgedrückt haben, so mögt Ihr mir verzeihen.

Lord Membrocke jauchzte innerlich, dies stolze Wesen gegen sich in Nachtheil gebracht zu haben, und hätte Lady Maria das boshafte Lächeln gesehen, womit er hinter ihr stehend sie betrachtete, sie hätte vielleicht bereut, auf seine Worte gehört zu haben.

Was könntet Ihr noch sagen, Mylady, erwiederte er sanft zurückhaltend, was härter wäre, als das grenzenlose Mißtrauen, womit Ihr mich behandelt, seitdem Euer bezaubernder Liebreiz aus dem geheimen Abgesandten Eurer Freunde Euren zärtlichsten und unglücklichsten Anbeter machte.

Ihr habt mir befohlen darüber zu schweigen, fuhr er fort, als die Lady sich augenblicklich anschickte, die Höhe hinabzusteigen, indem er ihr ehrerbietig, aber nahe genug folgte, um ihr Ohr noch zu erreichen, – und ich werde Euern Befehl befolgen, so lange meine schwache Kraft es vermag; aber ich beschwöre Euch noch ein Mal, wendet um dieser unschuldigen, unfreiwilligen Vergehung meines Herzens nicht Euer Vertrauen ganz von mir. Denkt, ich wiederhole es Euch, daß ich der Einzige bin, dem sich Euer unglücklicher Oheim vertrauen durfte, um Euch, dem letzten ihm gebliebenen Troste, von ihm Kunde zu geben. Er ist umstellt, verfolgt und jeden Augenblick der Gefahr ausgesetzt, seine Sicherheit durch Flucht bewirken zu müssen. Bedenkt, was Ihr thut, indem Ihr mir versagt, Euch zu ihm zu führen, und so die Zeit vergehen laßt, die ich viel nützlicher an seiner Seite zubringen könnte.

Mylord, sprach hier Lady Melville, ohne still zu stehen, Ihr behandelt mich auf eine unverzeihliche Weise. Eure unschicklichen Verfolgungen lassen mich nichts für wichtiger halten,[100] als wie ich mich denselben entziehen soll, und das wenigstens darf ich nicht bezweifeln, daß mein Oheim Euch nie zu seinem Vermittler gewählt haben würde, hätte er ahnen können, mich dadurch in die beleidigende Vertraulichkeit mit einem Manne zu bringen, der damit anfing, mich zum Gegenstande einer unehrerbietigen Neigung zu machen. Aber davon abgesehen, daß das Vertrauen eines der edelsten Menschen Euch hätte bewegen müssen, mich mit Achtung zu behandeln, muß ich jedenfalls einen Mann gering achten, der eine Lage, wie die meinige, zu benutzen sucht, um, während ich meines natürlichen Schutzes beraubt bin, mir Vorschläge zu thun, an die ich nicht denken darf, ohne Eure Nähe gleich der einer giftigen Schlange zu fliehen. Seitdem Ihr meinen Zorn empfunden habt, erst seitdem tretet Ihr als Gesandter auf, und unter der Autorität der Namen, die mir heilig sind, sucht Ihr mein verscheuchtes Vertrauen wieder zurück zu bringen. Vielleicht hatte ich Unrecht, Euch noch ein einziges Mal Gehör zu geben, aber ich bin noch zu jung, zu wenig gewohnt mich selbst zu leiten, und war zu überwältigt von dem Gedanken an die Möglichkeit dieses letzten, einzigen Schutzes, der mir geblieben, um dem nöthigen und allzusehr gerechtfertigten Mißtrauen sogleich Gehör geben zu können. Ihr habt, auf diese theure Namen hin, mich mit ungekannten Schrecknissen bedrohend, eine Verschwiegenheit von mir erpreßt, die mich unaufhörlich beleidigt, die mich wie eine Schuld gegen die edle Familie belastet, der ich das unbedingteste Vertrauen schuldig zu sein glaube, und welche Ihr mir ohne alle Gründe als Gefahr bringend schildern wollt. Aber seid sicher, mein Herz verwirft diese falsche Stellung jeden Tag lebhafter, und eben heute fühle ich es unerläßlich, mich wieder rein zu stellen; heute noch soll die Herzogin von Nottingham erfahren, was Ihr von mir verlangt, in wessen geheimer Vollmacht Ihr hier zu sein vorgebt, und hat sie für mich geprüft,[101] dann mögt Ihr immerhin unter dem Gefolge Euch befinden, das sie mir ersehen wird, um mich an den Ort meiner Bestimmung zu führen.

Nun, rief hier Membrocke mit einem Zorn, den er längst einmal gegen das muthige Mädchen zu versuchen entschlossen war, und wozu er sich ziemlich durch ihre wegwerfende Antwort geneigt fühlte; nun so folgt denn Euerm übermüthigen Sinn und seid es dann selbst, welche die letzte Hand an das Schicksal Euers Oheims legt. Wisset, daß das erste Wort, was mich als den geheimen Freund Eures Verwandten vor dieser Frau bezeichnet, mich zwingen wird, ihn ihr zu nennen und seinen Aufenthalt zu entdecken, und wisset, daß es derselbe ist, der, in die Angelegenheiten des Grafen von Bristol verwickelt, von diesem durch ein einziges Wort zum Schaffot geführt werden kann.

Lady Melville bebte hier unwillkürlich zusammen, und als sie ihr schönes Antlitz zu ihm wandte, war es erblaßt, und ihr großes Auge schaute voll Entsetzen zu ihm auf.

Ja, vollendete Membrocke, die ihn erfreuende Wirkung beobachtend, ja, Ihr wollt nicht geschont sein, und sollt es denn endlich wissen, wie schrecklich die Lage Euers Oheims ist, wie sehr sie geschont sein will. Gewiß habt Ihr den Namen Buckingham nennen hören, und müßt ahnen, daß Eure Verwandten nur zu nah mit diesem erlauchten Geschlechte verbunden sind. Eben jetzt ist Graf Bristol zurückgekehrt; wegen der spanischen Zwistigkeiten sucht er sich zu rechtfertigen, indem er den Herzog von Buckingham anklagt. Nur zu leicht würde ihm das gelingen, könnte Graf Bristol den Aufenthalt Euers Oheims entdecken und ihn vor Gericht laden. Genug Zeugnisse werden gegen ihn reden, denn sein edles vertrauungsvolles Gemüth hatte ihn an Schritten theilnehmen lassen, deren Aufdeckung, nach der gänzlich verfehlten, sicher guten Absicht, jedem Theilnehmer[102] den Tod bringen muß, da es die Auflösung der spanischen Vermählung und den daraus sich jetzt entwickelnden Krieg betrifft. Das Parlament ist versammelt. Graf Bristol muß seine Anklagen beweisen, wenn er nicht das gezückte Schwert über sein eigenes Haupt rufen will. Es blieb Euerem Verwandten nichts übrig, als Flucht. In tiefster Verborgenheit an der Grenze des Königreichs harrt er, ob die Nachforschungen Bristols ihm nahen werden, um dann sogleich allein, trostlos und verlassen von aller Liebe, in ein fremdes Land zu fliehen. Die ganze Familie Nottingham unterstützt diese Nachforschungen; denn sie verhehlen sich nicht, daß ohne diese Beweise die Lage des Grafen sehr bedenklich wird. – Geht jetzt hin und entdeckt selbst der Tochter des Grafen Bristol, wohin sich der geflüchtet, den sie um den Preis ihres halben Lebens suchen würde, und wenn dann das Henkerbeil ihn erreicht, so laßt mir wenigstens die Gerechtigkeit widerfahren, daß ich Euch warnte.

Lord Membrocke hatte mit der vollen Sicherheit gesprochen, die er in der Ueberzeugung gewann, sie erschüttert zu haben; aber seine Berechnungen sollten immer an einem solchen weiblichen Karakter scheitern, von dem er überhaupt keine Vorstellung hatte. Die heftige Erschütterung des ersten Augenblicks bemeisternd, suchte ihr an klares Nachdenken gewöhnter Geist diese überraschenden Thatsachen zu prüfen, und, unterstützt von ihrem Widerwillen und ihrem Mißtrauen gegen den Erzähler, weigerte sich bald ihr ganzes Innere, ihm Glauben beizumessen.

Ich kann nicht denken, daß die Lage meines theuern Oheims so ist, wie Ihr sie darstellen wollt, und niemals kann ich annehmen, daß dieser stolze und reine Karakter in irgend eine Handlung verwickelt sein sollte, die ihn zu einer so schimpflichen Verborgenheit zwingen könnte. Hätte dieser Engel von Milde und Güte sich aber zu einem Schritte weiter verleiten lassen, den er bereuen müßte, nimmer würde er geduldet haben,[103] daß ein anderer dadurch in Gefahr geriethe; er wäre der Erste gewesen, der dem Parlament als sein eigner Ankläger sich gegenüber gestellt hätte. Graf Bristol hätte in ihm selbst seinen Vertheidiger gefunden, ob auch das Henkerbeil, wie Ihr sagt, dann über seinem Haupte zuckte. Ha! rief sie, begeistert von dem Tugendzeugniß, das sie diesem geliebten Andenken abgelegt, gesteht es nur, Ihr habt eine schlechte Mähr ersonnen, mich von denen zu entfernen, bei denen ich nur allein Schutz und Hülfe finden konnte gegen Euern bösen Willen, und Gott mag Euch vergeben, daß Ihr dazu mir so heilige Namen mißbrauchtet.

Wieder eilte sie heftig erzürnt den Weg vor ihm her, welcher nun in einen breiten Laubgang einlenkte, der aus den Frühstückssaal zuführte, in dem bereits alle Mitglieder des Hauses und der Gesellschaft versammelt waren. Nun so rette Euch Gott, halsstarriges Mädchen, rief Membrocke, und Du, theurer unglücklicher Freund, magst mir vergeben, daß ich Dein mir so heiliges Vertauen an ein so trotziges, wildes Wesen verrieth, auf dessen Liebe Du zu viel bautest.

Lady Melville blieb stehen. Trotz der Gewalt, die sie ihrem Herzen anthat, ihre Besonnenheit zu erhalten, ward doch durch die früheren Worte Membrocke's in ihr eine Angst erregt, die sie nicht mehr zu beschwören vermochte. Tief aber traf sie der letzte Vorwurf selbst aus diesem Munde.

Gott, Du bist mein Zeuge, rief sie, indem ihre Stimme bebte, daß, könnte ich Euch glauben, ich zu Fuß als Bettlerin, ja, selbst mit Euch, bis an den fernsten Punkt der Erde wandeln würde, ihn aufzusuchen und ihm mit meiner Liebe innig zu dienen, aber – Sie schwieg, und Schmerz und Unruhe lagen so unschuldig rührend in diesen holden Zügen ausgedrückt, daß Membrocke, selbst einen Augenblick davon ergriffen, beschloß, sie zu seiner wirklichen Gemahlin zu erheben, und nach dieser[104] tugendhaften Entschließung um so dreister seine bösen Geister aufrief, sie durch alle erdenklichen Täuschungen in seine Gewalt zu bringen.

Wie kann ich nun wieder diesen Betheuerungen glauben, sprach er mit unverstellter Anmaßung, da überhaupt Eure ganze Theilnahme für Eure natürlichen Freunde in derjenigen untergegangen zu sein scheint, womit Euch hier diese fremde Familie fesselt?

Einen Tag früher hätte Maria diesen Vorwurf mit Unwillen zurückgewiesen; heute bebte sie innerlich davor, aus einem ihr selbst noch nicht bekannten Grunde, wie vor einer Wahrheit zurück.

Ich weiß, fuhr Membrocke fort, durch den Mund Eures Oheims, daß Ihr noch nicht den Namen desselben kennt, Ihr irrt, wenn Ihr ihn für einen Grafen von Marr haltet, Ihr beginnet selbst dies zu ahnen und wißt, daß Eure Beschützer ebenso daran zweifeln. Warum war aber Euer Antheil so lau, daß Ihr nicht von mir eine so wichtige Nachricht vernehmen wolltet, die doch wohl unzweifelhaft mir bekannt sein muß?

Marie erglühte bei dem Gedanken an diese Art von Rechenschaft, die der fremde verhaßte Mann von ihr zu fordern schien.

Erinnert Euch, Mylord, rief sie stolz, daß aus mei nem Munde an Euch nie ein anderes Wort ergangen ist, als was ich, von Eurer Zudringlichkeit gezwungen, aussprechen mußte; daß ich mich nie zu einer Frage herabließ, die den verhaßten Zwang Eurer Nähe mir hätte verlängern können, daß ich vor Allem nie anerkannt habe, Ihr könntet irgend etwas von denen wissen, die ich zu hoch verehre, um Euch als ihren Abgesandten ansehen zu mögen. Ein Name, wie wichtig mir auch der rechte sein möchte, würde, aus Euerm Munde gehört, für mich keinen höhern Werth haben, als jener, den ich jetzt schon als[105] einen von mir irrig angenommenen ansehen muß. Laßt die Vertraulichkeit, womit Ihr mir Rechenschaft abzufordern geneigt seid, Ihr seid und bleibt mir völlig fremd.

Sie eilte vorwärts, bis zur Hälfte schon die Allee zurücklegend, und Membrocke fühlte nun mit Unwillen, wie schwer ihm hier jeder Schritt gemacht würde, wie er auch jetzt wieder einlenken müßte. Er suchte sie daher zu erreichen, und trotz dem, daß Gaston sich zwischen ihn und seine Gebieterin gedrängt hatte, versuchte er doch so nah und vertraulich, wie möglich, neben ihr zu schlendern, da er im Angesicht des angefüllten Saales hoffen durfte, bemerkt zu werden. Dies unterstützte seine Absicht, den Schein eines Einverständnisses mit ihr zu erwecken und die in Bezug auf sie gefaßte gute Meinung zu erschüttern, welches ihn hoffen ließ, eine Spaltung hervorzubringen, die sie hilfloser und isolirter machen mußte.

Euer Zorn, hob er aufs Neue an, obwol ich immer dessen Ziel sein muß, legt gegen Euern Willen Zeugniß von Euerm treuen kindlichen Herzen ab, das ich nöthig hatte, um Euch nun bald Beweise geben und anvertrauen zu können, um deren Wirkung ich sicher bin. Bald erwarte ich meinen Pagen von da zurück, wo er lebt, der mich bei Euch beglaubigen muß. Bis dahin hört auf meine letzte flehende Bitte, und um des Andenkens willen, das Ihr so hoch haltet, schweigt gegen Jeden, der Euch auch noch so würdig des Vertrauens scheint. Hört Ihr, mein Page sei zurück, und ich weiß Euch nichts Genügendes zu sagen oder zu geben, dann sollt Ihr selbst den Tag meiner Abreise bestimmen, ich kann Euch nur dem Schutze des Himmels empfehlen.

Lady Melville würdigte ihn keiner Antwort, sondern suchte ihm voran zu eilen, und während sie jetzt sich dem Saale näherte, gewahrte sie die ganze Gesellschaft um den fröhlichen Genuß des Frühstücks versammelt.[106]

Wie, rief die Marquise Danville, sehe ich recht? Eilt dort nicht unser kleines Geheimniß, Lady Melville, daher, wenn ich nicht irre, am Morgen in derselben Gesellschaft, von der ich sie am Abend begleitet fand? Doch man hat mir gestern Abend bewiesen, daß ich zu schwach sehe, um mich auf meine Augen länger verlassen zu können. Lord Ormond, wollt Ihr mir wohl sagen, da jetzt anstatt des Mondes die Sonne am Himmel steht, wer die beiden vertrauten Personen sind, die dort die Allee entlang zu uns eilen? Oder Ihr, Lord Richmond? fuhr sie in bitterem Spotte fort; denn seht, unserm lieben Lord Ormond erstirbt die Antwort auf den Lippen.

Ohne Zweifel, ergriff Lord Ormond fest und kalt das Wort, ist dies Lady Mellville und Lord Membrocke. Lady Melville liebt früh in dem Genusse der schönen Natur ihr Gemüth zu erheitern und ihre Nerven in der Morgenluft zu stählen, welches ihr die bezaubernde Gesundheit des Körpers und des Geistes erhält, der wir uns alle freuen.

Während dem war Richmond fast ungestüm von seinem Sitze geeilt, der nun eintretenden Lady Melville die Thür zu öffnen, und Ormonds Aufmerksamkeit zog sich einen Augenblick auf Ollonie, die mit einer seltsamen Ueberspannung in Maria's Arme stürzte, sie heftig küßte und dann an ihr vorüber aus der Thür verschwand.

Als Maria am Eingange des Saales einen Augenblick hold grüßend stehen blieb, und ihre alsbald wieder klar werdenden Augen freundlich über Alle hinglitten, da war es ihr, als ob ein böser Dämon ihr gefolgt, der erst hier in der Nähe dieser edlen Menschen seine Macht über sie verliere. Ihre Brust entlud sich der herauf beschwornen Noth, und Friede und süße Hoffnung auf Schutz und Glück unter ihnen, zog wie der Gruß eines Engels in ihr Herz.[107]

Mit einem unbeschreiblichen Gefühle kindlicher Ehrfurcht und Liebe näherte sie sich den beiden Herzoginnen, die am Ende des Saales in der Nähe des Kamins mit dem älteren Theile der Gesellschaft sich niedergelassen hatten, und innig ihre Hände küssend, ward sie von Beiden nach einer Jeden Art und Weise freundlich begrüßt.

Hierher, Mylady, rief jetzt Lady Danville; hier ist ein Platz für Euch. Wahrlich, Ihr macht es den Leuten schwer, Eure Gesellschaft zu genießen. Heute Morgen, als ich Euch mit Gaston in den Park fliegen sah, als ob Ihr wer weiß welche Eile hättet, da suchte ich Euch nachzukommen, begierig von Euch die Freuden eines nebligen Herbstmorgens zu erlernen; aber ich fand bald, daß Ihr Euch für heute einen andern Schüler erwählt hattet, und ich fürchtete zu stören, als ich Lord Membrocke desselben Weges Euch nacheilen sah. Ich kehrte daher schnell zu diesem warmen Zimmer zurück, hätte auch auf keinen Fall einen so langen Lehrgang ausgehalten, wie Ihr mit Lord Membrocke zurückgelegt.

Maria hatte sich zu Anfange dieser Rede der Lady genähert. Während des Verlaufs ihrer Worte blieb sie stehen und blickte voll Erstaunen in die bitter lächelnden Züge der Marquise. Sie war sich eines gegen sie gerichteten bösen Willens so wenig gewärtig, daß sie im ersten Augenblicke zweifelte, ob sie recht höre; als sie sich überzeugen mußte, ihr Zusammentreffen mit dem verhaßten Lord werde als ein verabredetes angesehen, und laut und mit Hohn als solches beleuchtet, fühlte sie sich empört. Ihr Antlitz ward von einer hohen Röthe überdeckt, ihre schlanke Gestalt hob sich zu einer edeln Majestät, und der ernst gebietende Glanz ihrer Augen setzte Richmond in Staunen. –

Ich muß zwar annehmen, Mylady, daß Ihr so eben scherzen wolltet; aber Ihr habt in Eurer guten Laune übersehen, daß Ihr einen Gegenstand wähltet, der selbst im Scherze das[108] Gefühl einer Frau beleidigt, und ich bin beschämt, Euch an diesen Mißgriff erinnern zu müssen.

Haltet zu Gnaden, stolzes Kind, rief die Marquise, hochroth von Zorn; glaubt Ihr in mir einen so lehrbegierigen Schüler zu finden, wie in Lord Membrocke, so seid Ihr im Irrthum. Erlaubt, daß ich Euch auf diesen Mißgriff Eurerseits aufmerksam mache. Ihr aber, Lord Membrocke, seid kühl geworden in Euerm Ritteramte; warum bekennt Ihr denn nicht den Zufall, dem wir Euer empfindsames Zusammentreffen zuschreiben sollen. Könnt Ihr nicht? setzte sie lachend hinzu, da Membrocke mit einem zweideutigen Lächeln die Achseln zuckte.

Wie dürfte mein Mund widersprechen, zischelte er, wo die schöne Lady Melville sich so bestimmt erklärt hat.

Diese Worte wurden mit Willen halb leise gesprochen, wenn auch deutlich genug, um von den zunächst Stehenden verstanden zu werden, und das Gelächter, welches die Marquise ihnen nachschickte, vollendete das Beleidigende derselben. Aber schon erreichten sie nicht mehr das Ohr des unschuldigen Opfers dieser Bosheiten. Denn die alte Herzogin, auf alle ihre Gäste ein wachsames Auge habend, hatte die erhöhten Stimmen am Ende des Saales bemerkt, und, der schutzlosen Maria stets mütterlich gewogen, hatte sie schnell ihren Pagen gesandt, sie an ihre Seite zu rufen. Schon hatte das liebliche Mädchen, ihre Leiden vergessend, neben der alten Lady Platz genommen, ohne die Vollendung einer Beleidigung zu ahnen, die sie muthig von sich abgelehnt zu haben wähnte.

Richmond war ihr gefolgt. Wie auch seine innere Empfindung über dies neue Zusammentreffen mit dem Lord sein mochte, dessen bekannter Karakter dem Rufe einer jeden Frau schaden mußte, die man in irgend einem Verhältnisse zu ihm denken konnte: jedenfalls hatte die Art, wie Lady Melville von der boshaften Marquise angegriffen ward, ihm empörend[109] gedünkt. Wenn er sich seine Meinung auch vorbehalten zu müssen glaubte, wollte er doch nimmer dulden, daß man in seiner Gegenwart und in dem Hause seiner Verwandten ein junges schutzloses Wesen zu beleidigen wage. Der Achtung sich wohl bewußt, die man seinem Karakter zollte, widerlegte er durch die ehrfurchtvollste Höflichkeit gegen die eben Beschuldigte in den Augen der meisten Anwesenden das eben Gehörte. Er bediente sie selbst mit der liebenswürdigsten Galanterie bei dem Frühstück, und der anfängliche Zwang und die Absichtlichkeit, die er sich auferlegte, wichen bald dem Vergnügen, das Keinem in der Nähe Mariens fremd bleiben konnte. Ihr Geist besaß heute eine besondere Elastizität, und die Freude hatte zu vollständig in dem lebhaft erregten Herzen Raum gewonnen, um nicht bald über Alle dazwischen getretenen Eindrücke zu siegen. Diese Erschütterungen selbst trugen bei, sie noch lebhafter und anziehender erscheinen zu lassen, da sie ihr ganzes Wesen in Aufregung gebracht hatten. Ihre wundervollen klaren Augen wechselten mit einem fesselnden Ausdruck, und ihr leicht bewegtes Mienenspiel deutete schon, ehe noch Worte ihn bezeichneten, den Gegenstand ihrer Empfindungen an.

Es war Richmond nicht möglich, die Augen von ihr zu wenden, obwol er sich einstweilen mehr noch ein Beobachter, als ein Bewunderer, dünkte.

Und warum war denn meine liebe Maria so erzürnt, als ich sie zu mir rufen ließ? frug jetzt die alte Lady, zärtlich Lady Melville anblickend.

Unsanft berührt mitten in dem heiteren Gespräch mit Richmond, schien sie ihm fast zusammen zu schrecken, und schnell ernst und erröthend niederblickend, blieb sie die Antwort zu lange schuldig, um nicht dadurch aufzufallen.

Ich war unhöflich, fuhr die alte Herzogin gütig fort, ich hätte Dich nicht stören sollen, da Du eben heiter warest; aber[110] das war nur die Neugierde der alten Frau, auch möchte ich nicht zugeben, daß Dir etwas zu Leide geschehe; denn ohne Grund erzürnst Du Dich nicht.

Innig küßte Maria ihre Hand. Das Gefühl dieses Schutzes sollte mich sanft lassen, unter welchen Umständen es sein möchte, aber ich habe viel mit meinem ungestümen Herzen zu kämpfen. –

Die alte Herzogin ward so eben angeredet und drückte nur noch die Hand ihres Lieblinges zur begütigenden Antwort. Lady Melville wandte sich aber sogleich zu Richmond; ihr Gesicht glühte, und ihre Augen standen in Thränen.

O Mylord, rief sie, wie hasse ich in mir diese leicht veranlaßte Heftigkeit, und wie wenig vermag ich sie noch zu zügeln, trotz dem, daß ich ihrer so lebhaft mir bewußt bin. Wir sollen wohl nicht gleichgültig bleiben, wenn uns das Unnöthige aufgenöthigt wird, aber diese Selbstvertheidigung läßt stets einen Stachel in uns zurück; denn selten bleibt uns die Gelassenheit, die bloß das Rechte überhaupt vertheidigt. Leicht mischt sich Beschämung des Andern in unsere Worte, und so wird aus der Vertheidigung eine Art von Rache, die uns dann wieder selbst verwundet und vor uns selbst herabsetzt.

Gewiß, versetzte Richmond, ist hierin die Lage einer Frau noch viel zarter, als die eines Mannes. Wir sind in den vielseitigeren Beziehungen unsers Lebens in viel größerer Gefahr der Mißdeutungen, und wir müssen uns fast an diese Voraussetzung gewöhnen und sie ertragen lernen, um unsere Handlungen nicht endlich beschränkt zu sehen von dem gefährlichen Ehrgeiz, jene zu vermeiden. Oft geht der Weg zu einer feststehenden Achtung und Anerkennung nur durch Ertragung uns fern liegender Anschuldigungen, und es gehört gewiß der wahre Muth der Tugend dazu, wenn wir schweigend unsere Rechtfertigung allein der Gerechtigkeit vertraun, die im Laufe der[111] Zeit jedem wahrhaften Bestreben vorbehalten ist. Doch, wie auch dieser Grundsatz als ein allgemeiner Jedem gelten möge, in den meisten Fällen leidet eine Frau zu sehr unter dem leisesten sie treffenden Argwohn, als daß sie nicht eilen möchte, ihn von sich abzuwehren; und ist der Zorn irgendwo Ihrem Geschlechte erlaubt, möchte es hier sein.

O nein, auch da nicht! rief Maria lebhaft. Ich träumte jetzt schon von der Erreichung einer so stillen in sich begründeten Würde, einer Sanftmuth der Seele, die in dem Ankläger oder Verläumder allein den Leidenden, den zu Beklagenden sieht; dann aber muß der Zorn fern bleiben, und unsere Worte werden um so mehr den Karakter der Ueberzeugung tragen. Doch als die größte Sünde sollten Männer sich fürchten, eine Frau überhaupt in die böse Stimmung des Zorns zu versetzen. Denn wäre auch das größte Recht auf unserer Seite, wir werden uns doch stets im Nachtheil befinden, eben weil wir aus unserer Natur heraustreten. Es bleibt ein Mißlaut in uns zurück, hätten wir auch den glänzendsten Sieg davon getragen. Wüßten die Männer doch, wie dankbar wir denen sind, in deren Atmosphäre wir rein und furchtlos aufathmen, und sorgenlos unserer Natur uns hingeben können, ihres Schutzes gewiß und ihrer edeln Beobachtung aller feinen Begrenzungen unserer dann so glücklichen Existenz!

Richmond hob den sinnend niedergeschlagenen Blick bei diesen Worten zu ihr auf. Ein unbeschreibliches Gefühl sagte ihm, daß er es sei, den sie in der Lebhaftigkeit ihrer Rede bezeichnet hatte; es ward ihm zur höchsten Süßigkeit, sich sagen zu können, er werde von ihr verstanden und anerkannt, und als sein Blick, belebt von dieser Empfindung, den ihrigen suchte, da sank er hinter den feinen Schleier der langen seidenen Augenwimper.

Es blieb ihnen keine Zeit, diese zarte Verlegenheit zu bekämpfen; die jüngere Herzogin erhob sich und forderte Richmond[112] auf, sie nach ihren Zimmern zu begleiten. Er wußte es wohl, daß ihm hier das schwierige Geschäft oblag, seine leicht gereizte Mutter mit der bedrohten Lage ihres Vaters bekannt zu machen, und es kostete ihm in dem gegenwärtigen Augenblick eine besondere Ueberwindung, aus dem weichen Zustand, in dem er sich fühlte, zu all der Besonnenheit zurückzukehren, die der vorliegende Gegenstand nöthig machte.

Es gelang ihm jedoch besser, als er sich zugetraut hatte; ja, er fand heute sogar ein fast neues Talent in sich, das einer leichteren Auffassung der verwickeltesten Umstände, und da er auch seine Mutter von ihrer Sorge um seinen Bruder erleichtert antraf, der in einem langen kindlichen Briefe seiner Verbindung mit Anna Dorset mit der ruhigen Würde des entschlossenen Mannes gedacht hatte, fand er sie in einer ansprechenden Stimmung.

Sie sah der Ankunft ihres Vaters mit kindlicher Freude entgegen und setzte zu viel Vertrauen in seinen hohen Ruf, um nicht jede Anklage dadurch entkräftet denken zu müssen. Vielleicht hätte es in Richmonds Auftrage gelegen, ihr diese stolze Sicherheit um etwas zu verringern; aber sein stets gegen diese geliebte Mutter so zärtliches Herz vermochte es nicht, sie aufs Neue schon heute zu beunruhigen, wo sie eben erst eines solchen Gefühls in Bezug auf ihren ältesten Sohn sich entledigt hatte. Er glaubte nähere Nachrichten von seinem Oheim abwarten und ihre ihm so heilige Ruhe noch eine Zeitlang bewahren zu können.

Ein Versuch, seine Mutter zu einiger Mittheilung über Lady Melville zu bewegen, scheiterte jedoch, da sie ihm mit der kühlen Ruhe einer Selbstherrscherin erwiederte, daß sie die etwa nöthigen Bestimmungen über dies Fräulein sich selbst vorbehalten und daher alle anderweitigen Bemühungen, ihr Schicksal aufzuklären, sich verbeten habe, indem solche der Ehre und dem Glück des armen Wesens wenig ersprießlich schienen. Sie ziehe[113] vor, ihr auch ohne weitere Aufklärung ihren Schutz zu bewilligen; worin sie sich jetzt bestärkt fühle, da die Befürchtung, durch sie die Ehre ihrer Familie bedroht zu sehn, nach Roberts männlicher Fassung verschwunden sei. Dagegen sprach die Herzogin sich sehr wohlwollend über ihre künftige Schwiegertochter aus, unterließ auch nicht der reizenden Ollonie zu erwähnen. Es ward ihr leicht, zu erkennen, wie fern Richmond jeder Gedanke an die Pläne seiner Familie liege, da er von der heranblühenden Jungfrau wie von einem lieben Schooßkinde sprach und in jener gleichgültigen Laune, die weder Lob noch Tadel widerlegen mag, den Versicherungen seiner Mutter zuhörte, daß sie von ausgezeichneten Tugenden des Geistes und Herzens sei. Auch schwieg die Herzogin gar bald, denn sie sah in dieser Vernachlässigung eines Mädchens, der sie im Geheim die Ehre zugestanden, ihre Schwiegertochter zu werden, eine Beleidigung sowol für sich, als für Ollonie's jungfräuliches Gefühl; und sie konnte das selbst ihrem Sohne nicht schnell genug vergeben, um ihn so freundlich zu entlassen, als er es erwarten durfte. Doch auch dieser Wink sollte dies Mal verloren sein, denn Richmond ging in Gedanken vertieft von dannen, er frug sich nur, wie die Erwähnung der Lady Melville, die doch jetzt aufgehört habe, seiner Mutter Besorgniß zu erregen, sie so auffallend habe verstimmen können?


Die alte Herzogin wünschte die Gesellschaft um sich fest zu halten, bis sie selbst mit ihrer Familie nach Godwie-Castle zurückkehren würde, und sie war daher unermüdlich, in den Vergnügungen und Beschäftigungen um sich her die angenehmste Abwechselung zu erhalten.[114]

Es konnte ihr das nicht fehlschlagen, da ihr die reichsten Mittel nach Außen zu Gebote standen, da ihre stets gleiche Laune und ihre heitere Milde überall belebend eingriff, und Jeder durch ihren Beifall sich belohnt sah, wenn er zur Heiterkeit des Ganzen die Hand geboten hatte. Trotz diesem über alle wehenden Panier der Freude kann wohl Niemand bezweifeln, daß nicht allen das Herz zu dieser einen Losung schlug und Viele, von eignen Betrachtungen beschwert, nur jene schickliche Haltung beobachteten, die nirgends das eigene Interesse geltend zu machen sucht.

Lord Ormond befand sich vornehmlich unter diesen letzteren, denn er war sich seiner bewußt geworden, und hatte sich mit einer unbeschreiblichen Erschütterung eingestehen müssen, durch Lady Melville aufs Neue mit einem Gefühl bekannt geworden zu sein, dem er sich nicht mehr zugänglich gewähnt hatte. Ja, er mußte diese Empfindung dies Mal in sich von einer Hochachtung und einer Theilnahme unterstützt fühlen, wie bei seiner früheren, so unglückselig leidenschaftlichen Liebe niemals der Fall gewesen. Er hatte anfänglich noch die Schwierigkeiten erwogen, die bei seiner Stellung und seinem Range in der Verbindung mit einem unbekannten Wesen, über dessen Leben noch so viel Dunkel und Zweideutigkeit lag, ihm zu besiegen oblagen. Aber er erkannte jetzt nur eine Schwierigkeit, nur die eine Furcht, ob er, der so viel ältere Mann, das Herz dieses Engels je gewinnen könne, und war zu jedem andern Opfer bereit, wenn er dies eine erlangt haben würde. Er wollte, im Fall man etwa Bedenken trüge, seine Gemahlin bei Hofe zu empfangen, seinen Abschied nehmen, und seine Güter durch allen Zauber von Kunst und Kultur zu einem würdigen Boden für sie umschaffen. Aber diesen wichtigen Augenblick, der darüber entscheiden sollte, wagte er nicht herbei zu führen ja, tausend Bedenklichkeiten ließen ihn vielmehr denselben stets[115] weiter hinaus schieben. Er hörte indeß nicht auf, sie mit der zärtlichsten Aufmerksamkeit zu bewachen, und erkannte nur zu bald mit Sorge, wie die kindliche Ruhe und das herrliche Gleichgewicht ihres ganzen Wesens von ihr zu weichen begann, und bald einer schwermüthigen Stimmung, bald einer überreizten Lebhaftigkeit Platz machte, was auf einen innerlich leidenden Gemüthszustand schließen ließ. Er suchte sie stets zu unterstützen, seinen Worten ohne Beziehung einen allgemein beruhigenden Karakter zu geben, sie vor der neugierigen Zudringlichkeit Anderer zu bewahren und ihre eigenen Aeußerungen, die immer mehr den Ausdruck des Leidens trugen, vor Mißdeutungen zu schützen.

Sie schien die Nähe eines sorgsamen Freundes in ihm zu ahnen, und es war ihm, als ob sie ihn stets unter allen ihren Umgebungen suche und in seiner Nähe allein zu der harmlosen Ruhe zurückzukehren vermöge, die sonst ihr eigenstes Element war. Wie konnte Ormond sich enthalten, auf diese ihm so süße Wahrnehmung die Erfüllung der Hoffnungen zu bauen, die ihn jetzt einzig belebten. Und dennoch wagte er das entscheidende Gespräch noch nicht mit ihr einzuleiten. Jeden Versuch, tiefer in ihr Vertrauen einzudringen und namentlich sie über ihr, ihm stets unbegreiflicher werdendes Verhältniß zu Lord Membrocke zum Vertrauen zu wecken, blieb nicht nur ohne Erfolg, sondern schien sogar jedes Mal so viel Unruhe, ja, Schmerz ihr zu verursachen, daß er nicht oft sich überwinden konnte, dazu erneute Veranlassung zu geben.

Wie nahe aber auch dieses Interesse seinem Herzen lag, Ormond hatte sich zu lange gewöhnt, seinen Umgebungen eine größere Theilnahme, als sich selbst, zu schenken, um auch nicht jetzt noch für Alle theilnehmend zu bleiben, und so lag ihm zunächst ob, Ollonie zu beobachten, welche ihn in die schmerzlichste Unruhe versetzte.[116]

Das holde leidenschaftliche Kind schien jetzt über alle Grenzen erregt, in einem beständigen krampfhaften Zustande zwischen Lachen und Weinen zu schweben. Auch hier, wo sonst Ormond das unbedingteste Vertrauen fand, ward er jetzt zurück gewiesen, und seine väterlich ernsten Vorstellungen, ihr sonderbar übertriebenes Wesen mehr zu beherrschen, hatten sie laut weinend, wie in einem Zustande von Verzweiflung, zu seinen Füßen geführt; ja, viele Tage später durfte nur sein Blick sie aufmerkend erreichen, um neue Thränen aus ihren Augen zu locken.

Immer von der einen Idee erfüllt, in Richmond und Ollonie dereinst ein Paar zu sehen, begann Ormond ihren Zustand auf ihr erwachtes Gefühl für Richmond zu beziehen. Daß dies Gefühl bei dem geliebten Kinde für ihr ganzes Leben bedeutend sein würde, hatte der zärtliche Freund stets erwartet, und nur den Himmel angerufen, sie glücklich in ihrer Liebe sein zu lassen, da ihm die Leiden einer unglücklichen Liebe für dies Gemüth höchst gefährlich erschienen. Welches aber ihr Loos bei Richmond sein würde, das blieb ihm immer, je länger, je mehr ungewiß, denn Richmond hatte ein vorherrschend ernstes Betragen angenommen und hielt sich mehr, als gewöhnlich, von dem nähern Umgange der Dame zurück. Selbst eine frühere Vermuthung, daß Richmond, von den Reizen der Lady Melville hingerissen, sein Herz an diese verloren habe, bestätigte sich nicht, indem er auch sie zu vermeiden schien, und, sich auf seinem Zimmer in Bücher und Schriften vergrabend, den melancholischen Ernst seiner Züge hinreichend vor ihm durch die Sorge um Lord Bristol rechtfertigte, dessen Lage immer bedrohlicher sich zu gestalten schien.

Ein auffallendes Ereigniß bestimmte endlich Ormond, den letzten, ihm so gewagt erscheinenden Schritt bei Lady Melville zu versuchen.[117]

Der jüngere Theil der Gesellschaft hatte sich durch eine Morgen-Promenade zu Pferde erheitert, und man hatte so eben den Schloßhof erreicht, als Lord Membrocke seinem Pferde die Sporen gab und pfeilschnell auf einen Jüngling in Reisekleidern zusprengte, der im Hofe harrend unter den übrigen Dienern stand und, sogleich dem Lord den Steigbügel haltend, ihm beim Absteigen ein Packet überreichte.

Zwischen Ormond und Lady Arabella ritt Lady Melville still und gedankenvoll zunächst in den Schloßhof ein. Als sie sich so eben aus dem Sattel gehoben hatte, nahte ihr Lord Membrocke mit triumphirender Miene, hob das Briefpacket in die Höhe und rief, bedeutungsvoll sich neigend: Ich habe die Ehre, Mylady, Euch anzuzeigen, daß mein Page so eben von seiner Reise zurückgekehrt ist.

Sogleich legte sich Todtenblässe über Maria's Angesicht; aber als Membrocke noch einen Schritt näher trat, stieß sie einen herzzerreißenden Schrei des Entsetzens aus und sank, ohne daß die überraschten Anwesenden es hätten verhindern können, auf den Boden nieder. Sogleich ward Alles thätig. Mit einer wüthenden Heftigkeit stieß Richmond Lord Membrocke, der ihr zunächst stand und sie berühren wollte, zurück und richtete sie selbst auf, indem er mit lauter Stimme nach einem Sessel rief. Denn obwol sie vom Boden aufgehoben worden, so zeigte sie dennoch, daß ihre Besinnung noch nicht vollständig genug war, um sich auf den Füßen halten zu können.

Sie öffnete jetzt die Augen und blickte Richmond an; dann schlossen sich diese wieder, und sie schien aufs Neue ihrer Sinne beraubt. Richmond eilte, die Lady auf den herbeigetragenen Stuhl sanft aus seinen Armen niederzulassen, dann übergab er sie der Sorgfalt der Frauen, bestieg sogleich sein Pferd und ritt, die Herren flüchtig grüßend, langsam über den Hof, in der Richtung des eben zurückgelegten Weges.[118]

Von der heftigsten Bewegung ergriffen, brachte Ormond mehrere Stunden einsam in seinen Zimmern zu. Nein, er durfte dies geliebte Wesen nicht länger schutzlos den Verfolgungen des Mannes hingeben, der über sie ein unbekanntes Recht auszuüben schien, das sie mit Entsetzen erfüllte, und das sie doch anzuerkennen gezwungen schien. Noch heute wollte er ihr den Schutz anbieten, den seine ehrerbietige Liebe ihr gewähren konnte; als ihr Verlobter hatte er das Recht, ihre Sorgen zu theilen und jeden ihr Ueberlästigen zu entfernen. Länger damit zurückzuhalten, schien ihm feigherzige Schwäche, und er eilte hinweg, um über ihr Befinden Erkundigung einzuziehn.

Lord Membrocke begab sich indessen mit seinem wichtigen Paket nach seinem Zimmer, wohin ihm sein gewandter Page folgte. Er hob aus einem Briefe Buckinghams, zu seiner unsäglichen Freude, einen zweiten hervor, der, mit dem Siegelring des Prinzen von Wales verschlossen, die Aufschrift: An Lady Maria Melville, zeigte. Dies schien ihn so vollständig zu befriedigen, daß er fast Buckinghams Brief zu lesen übersah, indem er seinem Pagen unaufhörlich Aufträge gab, die, von dem listigen Knaben wohl verstanden, auf eine schnelle Abreise hindeuteten. – Wir wollen uns indessen mit dem Inhalte des ungelesenen Briefes bekannt machen, wie es der Lord, wenn auch später, doch wol schwerlich unterlassen haben wird.

»Du hast aufs Neue gezeigt,« schrieb Buckingham, »daß Du eigentlich zu nichts taugst, was über den Gesichtskreis einer kopflosen Weiberintrigue reicht, und könnte ich in dem alten Eulennest bei diesen lächerlichen Tugendhelden, diesen Nottinghams, einen andern meiner Geschäftsleute brauchen, so würde ich Dir befehlen, angesichts dieses das Feld zu räumen. Denn wie Du auch die Sache einhüllst, es ist nur zu klar, Du hast wie der jämmerlichste Stümper das Mädchen verschüchtert, ehe Du sie sicher hattest. Du hattest vergessen, daß ich Dir befohlen,[119] sie zwar zu entführen, aber dabei eingedenk zu bleiben, daß Du meine Nichte entführtest, die etwas zu weit über Deine Person erhaben ist, als daß Du mit Deinen gewöhnlichen Plänen an ihr nicht Deinen Hals wagen würdest. Genug, Dir bleibt nur das eine Verdienst, daß Du, als ein ausgearteter Verwandter dieser Familie Nottingham, auf eine Zeitlang unter ihnen geduldet werden kannst, und ich entsetze Dich Deines Amtes nicht, damit es Dir vergönnt bleibe, durch Dein ferneres Betragen mir noch einige Proben von Deinem bis jetzt nicht verspürten Witze abzulegen.

Dein Einfall mit dem Briefe ist nicht übel, und wenn sie Dir darauf freiwillig folgt, so bist Du im Fall der Verfolgung gedeckt; und erkenne ich sie später an, möchte es wenig darauf ankommen, ob auch die ganze Welt wüßte, sie wäre mit Dir davongegangen. Außer vor dem hohen Areopagus der Nottinghams wird die Nichte Buckinghams wol überall ihre volle Geltung behalten. Ein Hauptspaß ist es dabei, daß ich ihnen so, ohne daß sie es ahnen, einen Gegenstand aus den Händen spiele, den sie jetzt mit vornehmer Pietät dulden, und der ihnen so wichtig scheinen würde in ihrer verwickelten Angelegenheit mit Bristol! So viel ist gewiß, Karl seufzt nach diesem Mädchen, wie eine Mutter nach ihrem Schooßkinde, und wären diese Nottinghams seine ärgsten Feinde, wie sie es überdies nicht sind, er würde ihnen den Dienst, ihr Leben gerettet zu haben, mit nichts glauben vergelten zu können und selbst auf meine Kosten mit diesem Bristol sie bezahlen. Dabei rückt die Zeit immer näher, welche das Wollen und das Können in eine Hand geben wird; denn Vater Jakob sieht aus wie die verschossenen Gobelins im Ahnensaale, und selbst die große Abschließung von Babys Vermählung mit Frankreich vergißt er jeden Augenblick wieder, und glaubt, die Infantin werde erwartet.[120]

Beeile Dich jetzt, sie wegzubringen; ich habe mehr zu bedenken, als dies Mädchen, und doch muß sie in meinem Gewahrsam bleiben, bis die französischen klugen Herren mir ihre Prinzessin überliefert haben und dieser Prozeß, der den hochmüthigen Bristol stürzen soll, beseitigt ist. Dann soll Frankreich, welches schon über meinen Einfluß zu triumphiren glaubt, erfahren, daß Buckingham gegen die Reize ihrer Prinzessin ein Gegengift in dem Besitz einer berechtigten Nichte hat, und die stolze Herzogin von Nottingham, die einst Buckingham verschmähen durfte, soll bejammern lernen, daß sie Buckinghams Nichte nicht früher erkannt hat, um ihren Vater damit retten zu können.

Wenn Du Dich klug und bescheiden beträgst, wird Dein Verdienst beim Vater des Mädchens einzukleiden sein; aber sei schnell und lasse mich nicht länger hören, daß Du sie mit Gewalt nicht entführen darfst. Folgt sie Dir nicht willig, so befehle ich Dir, entführe sie mit Gewalt; denn sie muß verschwunden sein, ehe die Ahnung ihres Werthes laut wird. Bedenke, daß ich keinen Fuß eher aus England setze, bis ich sie gewiß habe. Du findest in Berrystreet Alles zu ihrem Empfange bereit, und wie es der Rang fordert, den sie beim Eintritte in mein Haus einzunehmen berechtigt ist. Du aber wirst sogleich mir selbst die Nachricht des glücklichen Gelingens überbringen, und dann die Ehre haben, mich nach Frankreich zu begleiten, wohin ich mich begebe, die Hand der königlichen Henriette zu empfangen und die schönste der Frauen wieder zu sehen.

Warum hast Du mir nicht lachen helfen, als Tomson mit seiner geübten Feder den rührenden Brief verfaßte, der meine kleine spröde Nichte in meine Hände liefern soll. Ich schwöre Dir, daß ich, der ich täglich die Handschrift des Prinzen sehe, sie nicht unterscheiden konnte. Den Siegelring kennt sie auch,[121] denn Karl schwatzt den ganzen Tag von den Wundern, die er und der steife Narr, der Nottingham, an dem Dinge wollen erlebt haben.

Nun, mir kann es recht sein. Dabei merke ich wohl, daß diese Korporation von Heiligen mich als den nahen Blutsverwandten selbst in eine Art Heiligthum gehüllt hat, und daß sie meinen Namen mit gehöriger Hochachtung betrachtet. Viel zu viel habe ich Dir nach Maßgabe Deiner geringen Verdienste geschrieben, ich fürchte fast, es ist ein bischen Langeweile dabei, mitunter denke ich, daß Du mir fehlst. Deine Schulden sind abermals bezahlt, der Kastellan von Berrystreet hat für Dich einige Wechsel. Buckingham.

NB. Damit Du den Inhalt des rührenden Oheims- Briefes kennst, erfolgt hier die Abschrift.« –

Sie lautete, wie folgt:

»O, weigere Dich nicht länger, dem Einzigen zu folgen, der sich dem gefährlichen Unternehmen unterzog, Dich zu mir zu führen!

Ein schreckliches Geschick macht die edelsten Menschen zu meinen bittersten Feinden; Du darfst Dich ihnen nicht vertrauen, ohne großes Elend über mich zu bringen. Glaube nicht, daß ich über die Thorheiten dessen blind bin, dem Du Dich vertrauen mußt, aber es blieb mir keine Wahl. Mir ist er ergeben, davon habe ich Proben; muthig und treu ist sein Sinn. Folge ihm ohne Verzug, ohne Sorge, nur an Deinem Herzen kann ich die Schmerzen ausweinen, die mich zerreißen. Ich unterschreibe mich nicht, Du kennst Handschrift und Siegel.«

Zwar war Membrocke vom Inhalte beider Briefe wenig erbaut; doch sein Leichtsinn ließ ihn bloß im Hintergrunde die Reise nach Frankreich sehn und im nächsten Augenblicke die Sicherheit, jetzt das stolze Fräulein in seinen Besitz zu ziehen. Trotz Buckinghams Droh-Brief behielt er sich doch vor, die[122] Angelegenheiten hier nach seiner Ansicht zu ordnen und, so viel sich nur erreichen ließ, für sich zu gewinnen, denn bei seinem Mangel an aller Achtung für Frauen zweifelte er nicht, daß eine Fluchtreise tausend Verhältnisse herbeiführen müsse, welche dann zu seinen Gunsten zu leiten, ihm immer noch ein Leichtes schien. –

Für den Rest des Tages blieb Lady Maria in Gesellschaft der Lady Arabella auf ihrem Zimmer. Lord Ormond und Membrocke mußten beide daher ihre Ungeduld bis zum andern Tage zügelu.

Als Lady Maria am andern Morgen zum Frühstück erschien, trug sie den unverkennbaren Ausdruck des tiefsten Grames; ihr Antlitz war blaß, und ihre Augen schauten so groß und kalt und mit einem so trostlosen Ausdrucke umher, daß sie Niemand ohne Antheil sehen konnte. Sie blickte von Einem zum Andern in gleicher Theilnahmlosigkeit, und schob ihren Sitz zwischen die jungen Damen ein, die sie alle mit Beweisen der größten Zärtlichkeit überhäuften.

Ormond blieb in der bewegten Stimmung, die ihm der so nah rückende wichtige Augenblick gab, lieber fern von ihrer Nähe. Membrocke aber genoß die stolze Sicherheit des nahen Gelingens und fragte wenig nach der kleinen Gunst, die zu erringen hier sehr zweifelhaft war. Er kündigte dagegen der alten Lady seine Abreise nach London an, da Seine Majestät die Gnade gehabt habe, ihn zu der Gesandtschaft zu ernennen, die zur hohen Vermählungsfeierlichkeit sich mit dem Herzog von Buckingham nach Frankreich begeben werde.

Man hörte die Nachricht mit so wenig Betrübniß an, als irgend die Höflichkeit gestattete, und der Lord wendete nun seine gnädige Aufmerksamkeit ausschließlich der Marquise Danville zu.

Richmond allein näherte sich der Lady Maria. Als er sie anredete, bebte seine Stimme, und als Maria ihre schwermüthigen[123] Augen, von der seelenvollen Stimme ergriffen, zu ihm aufschlug, da strahlte ihr eine solche Fülle des Gefühls aus seinen Zügen entgegen, daß augenblicklich das verschwundene warme Leben in ihren Busen zurückkehrte, und ihre Züge den bezaubernden Ausdruck wieder annahmen, der ihnen so eigen war.

Richmond konnte diese von ihm bewirkte Veränderung nicht verkennen, und er gab sich dem verführerischen Vergnügen hin, an dem Geiste dieses schönen Wesens sich zu erfreuen.

Sie hatten beide ziemlich die Welt um sich her vergessen, und Richmond gewahrte zu spät, daß die Augen seiner Mutter in starrer Prüfung auf ihm ruhten. Er hörte nicht mehr, was Maria ihm sagte, noch ein Mal blickte er sie an, als wollte er den Ausdruck ihrer Züge mit sich hinweg nehmen, dann verließ er sie mit der kalten Höflichkeit, die er seit lange allein für ihr Verhältniß passend erachtet hatte. Maria versank aufs Neue in die Apathie, aus der sie nur augenblicklich gerissen schien, und als Lord Membrocke sich ihr mit Zuversicht näherte und sie um eine Unterredung bat, neigte sie bejahend ihr Haupt mit einer Ergebung, als könne keine Gewalt der Erde mehr das drohende Schwert von ihrem Haupte abwenden.

Was ich jetzt von Euch noch zu hören habe, macht es kurz, Mylord! sprach Lady Melville, als sie in einer halb offenen Säulenhalle, die der Lord zu seiner Audienz erbeten hatte, ihn sich ihr nahen sah. Sie hatte alle ihr noch mögliche Kraft und Besonnenheit hervorgerufen, um sich durch nichts überraschen oder verführen zu lassen, und hoffte noch immer, er werde die ihm. über sie verliehenen Rechte nicht genügend beweisen können.

Lord Membrocke fand es leicht, den bescheidenen Mann zu spielen, da er im nächsten Augenblicke seinen Triumph feiern konnte, und indem er ihr ehrerbietig einen Sessel zuschob, blieb er in gemessener Entfernung vor ihr stehen.[124]

Mylady, hob er an, meine Worte sollen Euch nicht länger belästigen. Ich bin nur der Ueberbringer eines Schreibens, das wahrscheinlich beredter zu Euch sprechen wird, und ich bin blos hier, um zu hören, was Ihr, nachdem Ihr den Inhalt kennt, mir zu befehlen haben werdet.

Mit diesen Worten entfaltete er langsam vor den ihn scharf beobachtenden Augen der Lady ein Portefeuille, aus dem er den verhängnißvollen Brief hervorzog. Leichenblässe und hohe Glut wechselten in den Zügen Maria's, als er ihn ehrerbietig. hinhielt. Sie griff darnach, als sie ihn aber gefaßt hatte und die ewig theuern Züge der Handschrift dieses geliebten Oheims zu erkennen glaubte, als diese Ueberzeugung noch durch den Anblick des Abdrucks seines Siegelringes verstärkt ward, unterlag sie ihren mächtig sie überraschenden Empfindungen, und mit einem Strom von Thränen sank sie in den Sessel zurück. Ach, sie hätte sich verachtet, wäre noch ein Zweifel in ihrem unschuldigen Herzen geblieben; und ehe sie noch den Inhalt kannte, war sie schon entschlossen, jede Bedenklichkeit zu unterdrücken und Alles zu befolgen, was ihr darin aufgegeben würde.

Mit der kindlichsten Ehrfurcht las sie nun die liebevollen Worte, die so viel Schmerz und so viel Liebe und Vertrauen zu ihr ausdrückten; sie preßte sie endlich an ihre Brust, hob die in Thränen schwimmenden Augen wie zu einem kurzen Gebete zum Himmel und erhob sich dann völlig entschlossen von ihrem Sessel.

Ich bin jetzt überzeugt, daß mein Oheim mich selbst zu sich beruft, daß er selbst meine Verschwiegenheit gegen meine Wohlthäter verlangt, daß mir kein anderes Mittel übrig bleibt, die Befehle meines einzigen mir gebliebenen Verwandten zu erfüllen, als – Euch zu folgen und heimlich zu folgen. Sie sprach diese Worte mit einem Widerstreben, daß sie trotz der Absicht, den Vertrauten ihres Oheims nicht mehr zu beleidigen, doch nicht zu unterdrücken vermochte.[125]

Ich war dieses Eurer so würdigen Entschlusses gewiß, erwiederte Membrocke, und habe daher Alles zu meiner Abreise vorbereiten lassen. Ich werde, wenn es Euch also gefällt, morgen Mittag öffentlich abreisen, am Abend zurückkehren, und Euch mit einem raschen Pferde und sicheren Gefolge am nördlichen Ausgang des Parkes erwarten. Ihr müßt Euch dahin begeben, so bald Ihr Alles in Ruhe wißt; denn uns bleibt in dieser ersten Nacht ein bedeutender Weg zurück zu legen, um uns vor den gewiß erfolgenden Nachstellungen verbergen zu können.

Er hatte sich beeilt, Alles, was nöthig war und sie in seinen Einzelheiten erschrecken mußte, in diesen Augenblicken der ersten Ueberraschung vor ihr auszusprechen. Sie stand sprachlos vor ihm und er hätte noch lange sprechen können, ohne daß sie ihn unterbrochen hätte; denn sie schauderte, während er seinen Plan vor ihr entwarf, über die schreckliche Lage, in die sie sich durch diesen Entschluß versetzte. Ihre kindliche Liebe, ihr Pflichtgefühl, alles, was einen Augenblick früher sie über jede Rücksicht erhoben hatte, reichte nicht mehr zu, wenn sie nun zugleich der Vertraulichkeit und Gewalt gedachte, die sie diesem Manne einräumte, und des schmählichen Verdachtes, den sie in dem Kreise ihrer bisherigen Beschützer über sich zurück ließ. Die theuern Gestalten in all ihrer ernsten Tugend gingen mahnend an ihr vorüber. Ach, wie schwer war es, auf ihre Achtung zu verzichten! Wie erschwerte es die Trennung von ihnen, die auch ohne diese Zugabe ihr Herz zu zerreißen drohte, so grausam! Sie erwog die Möglichkeit, sich rechtfertigen zu können, sie wollte einen Brief zurücklassen, der ihre Unschuld betheuern sollte, aber auch dazu sank ihr der Muth, da sie fühlte, daß nur Angabe der Gründe ihres Schrittes sie rechtfertigen konnte, indem die Flucht mit diesem Manne eine Handlung war, die jede allgemeine Versicherung ihrer Unschuld entkräften mußte.[126]

So blieb ihr denn nichts, als völlige Ergebung, und ihr reines Herz hob sich voll Vertrauen zu dem empor, der ihre Unschuld kannte, und in dessen Hand es lag, sie von jeglichem Verdachte zu retten. Sie gedachte mit tiefer Wehmuth der Worte Richmonds, daß das muthige Ertragen des bösen Verdachts, im Gefühl einer höheren Absicht, in einzelnen Fällen als eine allgemein Jedem gestellte Aufgabe anzusehen sei, und daß sich daran die Würde des inneren Bewußtseins stärke. Diese Aufgabe nun war ihr so bald zu Theil geworden, und ach, ihm nicht einmal durfte sie es sagen, daß sie sich der Prüfung unterzog. Sie fühlte die ganze Bitterkeit dieses Schmerzes, und ihre junge Brust ergriff ihn mit aller Kraft eines neuen Gefühls. Aber der Schmerz verleiht auch Kraft, und ihn muthig in seiner ganzen drohenden Gestaltung anblicken, bewaffnet uns unwillkürlich gegen ihn. Maria fühlte etwas dem Aehnliches. Sie hatte, wähnte sie, das Schmerzlichste durchgefühlt; jetzt trat das Bild ihres leidenden Verwandten wieder vor ihre Seele, und mit edelm Muthe beschloß sie, auch um so hohen Preis ihm Alles zu sein.

Es mag so bleiben, wie Ihr sagtet, sprach sie zu Lord Membrocke, der, noch immer ohne Antwort, in dem schnellen Wechsel ihrer Züge ihre Entschließungen zu lesen versucht hatte.

Ich bitte Euch überdies um Verzeihung wegen meines Betragens; Ihr müßt mich mit den Fehlern entschuldigen, die Ihr ohne Zweifel bei der Art gemacht habt, wie Ihr mich von Eurer Sendung unterrichten wolltet. Ich habe jetzt den besten Willen, Euch zu vertrauen, sorget durch Euer Betragen dafür, daß es mir möglich bleibe, wozu der einzige Wunsch sein kann, daß ich nie etwas Anderes, als den Gesandten meines Oheims, in Euch wahrnehme. – Er kniete nieder, um sein spöttisches Gesicht zu verbergen, und ihre Hoheit persiflirend, küßte er den[127] Saum ihres Kleides, indem er rief, eine gekrönte Königin solle ihm nicht heiliger sein!

Ein kurzer Schrei Maria's schreckte ihn auf. Sprachlos vor Schreck, deutete sie seitwärts, wo eben eine weibliche Gestalt, der Marquise Danville nicht unähnlich, nach den inneren Gemächern zu verschwand, während am Ende des Kreuzganges Lord Ormond an Richmonds Arm gelehnt sich zeigte.

Steht auf, rief sie heftig, und entehrt mich nicht vor der Zeit durch Euer Betragen! Lord Membrocke erfüllte dies so beleidigende Gebot gerade mit so viel Muße, wie nöthig war, um gewiß zu sein, daß beide Lords ihn zu ihren Füßen gesehen hatten, und entfernte sich dann, sie vertraulich grüßend. Dies entging der unglücklichen Maria, denn bei dem Anblick dieser beiden Männer und der Stellung Membrocke's war sie einer Ohnmacht nahe, und überwältigt von der schrecklichen Ueberzeugung, daß ihre Verurtheilung schon jetzt und eben damit angefangen habe. Sie fühlte aufs Neue ihre Kraft sinken, noch ein Mal fragte sie angstvoll ihr Gewissen, ob es nöthig sei, sich selbst so grausam anzuklagen; ja, es fiel ihr sogar der bis dahin nicht möglich geachtete Zweifel an der Forderung ihres Verwandten ein. Sie fühlte, daß Kummer und Unglück diesen edeln Mann etwas aus seiner Höhe herabgezogen haben müßten, da er nicht anstand, sie einer so zweideutigen Lage hinzugeben. Aber, rief ihr edles Herz, eben darum muß ich zu ihm; heilen muß meine Liebe dies edle Wesen! Abermals war sie entschlossen, und ein lauter, tiefer Seufzer beendigte diesen schrecklichen Kampf.

Und warum theilt Lady Maria mit Niemand den tiefen Gram, dem sie zu unterliegen scheint, sprach hier eine sanfte, gerührte Stimme, und Maria, die den Nahenden nicht bemerkt hatte, blickte in Lord Ormonds theilnehmendes Antlitz. Maria schüttelte nur langsam das Haupt, ihre Lippen blieben verschlossen.[128]

O, theure Maria! rief er jetzt lebhafter, warum hat nur ein Einziger das Recht, Euer Vertrauen zu genießen, ein Einziger, ach, und ein so Unwürdiger! während Lady Maria von den treusten und redlichsten Freunden umgeben ist, die keine Aufgabe zu schwer halten würden, ihr Ruhe und Heiterkeit wiederzugeben. O Mylady, habt Erbarmen mit Euern Freunden, mit Euch selbst! Die Bürde, die Ihr tragt, ist für Euch allein zu schwer, wählt einen von uns, daß er so glücklich werde, sie mit Euch tragen zu können!

Das steht in Gottes Hand! seufzte Maria und schlug die Augen in trostvollem Glauben zum Himmel auf; dann wandte sie sich, überwältigt von der innigen Sprache des edeln Mannes, zu Lord Ormond und reichte ihm sanft die Hand.

Doch, was auch ein unerbittliches Geschick über meine Handlungen bestimmen mag, seid sicher, Mylord, Euer werde ich gedenken, und dieser Stunde Eures treuen, thätigen Mitgefühls, und so unmöglich ich Euer Anerbieten annehmen kann, so sicher seid, daß ich seinen Werth tief empfinde, um so tiefer, als ich den hochachte, der es mir so großmüthig darbietet.

O, rief Ormond dringend, wenn Ihr mich achtet, wenn Ihr Vertrauen zu mir habt, so steht nicht an, mich zu Euerm Beschützer anzunehmen! O sprecht, was knüpft Euch an diesen sittenlosen Mann? Warum könnt Ihr Euch seinem Einflusse nicht entziehn? Glaubt mir, kein Zweifel an Eurer engelgleichen Reinheit trübt meine Verehrung gegen Euch, ich bin gewiß, höllische Täuschungen haben Euch umsponnen, hintergangen seid Ihr, ein Irrthum der Tugend ist es, der Euch von diesem Manne abhängig macht. Redet, sagt nur ein Wort, sagt, daß Ihr selbst Euch von ihm trennen möchtet, und ich will ihn zwingen, daß er nie wieder von diesem Augenblicke an Euch nahen darf.

O nein, nein! rief Maria, haltet ein mit Eurem Eifer, laßt ihn in Frieden, verfolget ihn nicht, ich darf es nicht veranlassen,[129] nicht zugeben. Ormond wandte sich ab mit einem Schmerze, der ihn zu sehr übermannte, um sogleich wieder reden zu können; aber das Gefühl, daß sie unglücklich sei, und der schreckliche Gedanke, daß sie sich in der Gewalt eines Mannes zu befinden schien, von dem er nur das Nachtheiligste voraussetzen konnte, dies überwältigte jede andere Betrachtung, wie sehr er auch durch ihre anscheinende Theilnahme für diesen Mann zu leiden begann. Er konnte sie nicht verlassen, mit erneutem Antheil wandte er sich zu ihr:

Theure Lady Maria, seht mich als Euern besten Freund an, und dann und in dieser Beziehung würdigt meine Worte Eurer Aufmerksamkeit! Mein Herz leidet zu heftig bei dem Zustande, in dem ich Euch sehe. Ich würde Euch Eurem eigenen Gutdünken überlassen können, wenn Ihr glücklich wäret, aber Ihr seid es nicht, dieser unglückselige Mann hat Euch nicht Frieden und Glück mit dem Vertrauen zu sich einflößen können, darum können Eure Freunde nicht ruhig bleiben, und glaubt mir, wer Lord Membrocke kennt, fühlt Sorge um Euch. – Er hielt in der Hoffnung einer Antwort inne; aber nur bleicher und bleicher ward ihr schönes Angesicht, ihre Lippen öffneten sich, aber sie schienen keine Worte sprechen zu können, nur bange Seufzer entschwebten ihnen.

Jetzt stand der unglückliche Mann vor der Vermuthung, die ihm am schwersten ward auszusprechen, und die sich ihm doch endlich unwiderstehlich aufdrängte.

Ich kann Euch nicht verlassen, sprach er, als sie einen schwachen Versuch machte, hinweg zu gehen, und ihm mit der matt erhobenen Hand das Gleiche anzudeuten suchte, ich kann Euch nicht verlassen, Ihr habt mir Freundesrechte zugestanden; o zürnt mir nicht, wenn ich, von meiner Sorge um Euch getrieben, Euch zu dringend erscheine, laßt mich die größte Angst meines Herzens Euch gestehn und rechnet auch in diesem[130] Falle auf meine grenzenlose Ergebenheit, auf jeden Beistand, dessen Ihr benöthigt seid. – Ich frage Euch, hat die liebenswürdige Außenseite dieses Mannes, hat sein munterer Geist Eindruck auf Euer junges, unerfahrenes Herz gemacht, liebt Ihr ihn?

Als ob ein elektrischer Schlag das Fräulein getroffen, so fuhr sie jäh empor, und ihr ganzes Leben schien aus den Zauberbanden der Apathie, worin sie im vorigen Momente gefangen lag, zu seiner vollen Energie erwacht; ihre Wangen und ihre Augen hatten Licht bekommen, hoch stand sie sogleich auf, und die Hände an die Brnst gedrückt, rief sie laut und aus tiefer Brust: Gott sei mir gnädig, Mylord, wohin führt Euch Euer erfinderischer Geist? Wie war es Euch möglich, dahin zu gelangen? Nein! nein! Seid sicher, ich liebe ihn nicht und kann ihn nie lieben! nein, die Gerechtigkeit laßt mir widerfahren, dies für unmöglich zu halten.

Sie hatte sich mit einem so engelreinen Unschulds-Eifer zu ihm hingebeugt, daß seine Seele jubelnd ihr Glauben schenkte, und hätte sie für den Ausdruck seiner Züge Sinn gehabt, sie hätte darin das hohe Entzücken erkennen müssen, das er bei dieser Wahrnehmung empfand. Sein Augenblick war nun gekommen. Ich glaube, sprach er zitternd, – o vergebt mir, wenn ich Euch beleidigte, zürnt mir nicht, aber laßt mich um so dringender fortfahren, wenn Euch kein Gefühl an ihn bindet, Euch vor ihm zu warnen.

Edler Freund, wenn Ihr Glauben an meine Unschuld habt, erwiederte Maria sanft und ernst, so unterwerfet diesen der Probe, mir ohne Gründe zu vertrauen. Ich hoffe zwar vor Gott gerechtfertigt zu sein; aber es ist mir versagt, so auch vor Menschen dazustehen. Ich muß dies Mal der Stimme meines Gewissens folgen, ich stehe – allein, setzte sie voll Wehmuth hinzu, und von allem natürlichen Beistand getrennt. –[131]

Nein, rief Ormond, hier sie unterbrechend, Ihr steht nicht allein, nur von Euch hängt es ab, Euch demjenigen, den Ihr Freund genannt, durch die heiligsten Bande auf ewig zu nähern. Ja, theure Maria, ich will es Euch nicht länger verschweigen, ich liebe Euch – sagt, daß Ihr mein sein wollt, und macht mich zum glücklichsten Manne. O, vertraut mir, ich will Euch ehren, schützen und lieben, und die ganze Bürde Eures unverdienten Schicksals, wie groß sie auch sein möge, auf mich nehmen, damit Euer Engelherz wieder frei athme und Ihr das Entzücken empfinden möget, namenlos zu beglücken.

Maria hatte ihn mit einem Ausdruck angesehn, der nur zu deutlich mehr Schreck als Freude andeutete; sie drückte jetzt die flache Hand gegen die Stirn, als wollte sie sich zu einem klaren Bewußtsein wecken, während Ormond mit einer Erwartung an ihren Zügen hing, die nur zu deutlich seine tiefe Erschütterung ausdrückte.

Ihr – Ihr liebt mich? stammelte sie endlich tonlos, und das schöne Auge floß in Thränen über, die auf Ormonds gefaltete Hände fielen, der, seiner nicht mehr mächtig, zu ihren Füßen gesunken war. O Lord Ormond, warum liebt Ihr eben mich? fuhr sie mit einem tiefen Schmerzenstone fort, o warum mich? Doch nein, es kann nicht sein, es wird nicht sein, es ist Euer großmüthiger Eifer, der Euch zu diesem Glauben führt. Nein, nein, Ihr liebt mich nicht, aber retten wollt Ihr mich, aus der trostlosen Vereinsamung, in der ich dastehe, wollt Ihr mich erretten. Ihr wollt Euch zum Opfer bringen, um mich von dem Einfluß jenes Mannes zu befreien, den Ihr mir so verderblich schildert. O ich habe Euch errathen und erkenne den ganzen Umfang Eures großmüthigen Herzens! Doch, wie auch Alles kommen mag, ich kann nicht, kann dies großmüthige Opfer von Euch nicht annehmen. O steht auf, rief sie dringend, als Ormond den Kopf senkte und seine Stellung nicht änderte.[132]

Es war kein Opfer meinerseits, was ich Euch zu bringen dachte, ich war es, der von Euch ein Opfer begehrte, sprach Ormond, nach Fassung ringend, indem er von seinen Knien aufstand. Ich, der Vereinsamte, suchte die Gemeinschaft eines Engels, der alternde Mann beging die Thorheit, die Gefühle der Jugend zu hegen und ihre Erwiederung für möglich zu halten – ich bin bestraft, und was ich leiden werde, ist die Buße meiner Thorheit. Ihr liebt mich nicht, ich sehe es klar, wenn Ihr das Wort auch gern mir sparen möchtet, doch verstanden habe ich Euch und werde versuchen, es zu überleben!

O um Gotteswillen, sprecht nicht so! rief Maria hier, von tödtlicher Angst ergriffen, und eilte ihm nach, da er bleich und schwankend an einen Pfeiler sich zu stützen suchte. Thränen des tiefsten, schmerzlichsten Antheils stürzten über ihre Wangen. Von aller Schüchternheit verlassen, sah sie nur den edeln Leidenden, ach ihrethalben Leidenden; sie ergriff seine Hand und drückte sie zwischen den ihrigen; sie suchte bittend sein Auge, um durch die zärtlichste Theilnahme ihm Linderung zu verschaffen, und hätte Ormond das wärmste Gefühl der Freundschaft in diesem schrecklichen Augenblick zu schätzen gewußt, es hätte ihn schön und tröstend aus ihren Blicken ansprechen müssen.

Er rang mit dem jähen Wechsel seiner Hoffnungen; er versuchte die körperliche Erschütterung, die ihn selbst überraschte, zu besiegen; er richtete sich an ihrer zarten Hand, die sie ihm kindlich lieh, empor, er wagte es, den schweren trüben Blick aufzuschlagen und blickte, unwiderstehlich hingezogen, zu ihrem lieben Antlitz auf.

Engel, sprach er, tief gerührt, als er ihre unschuldige, zärtliche Sorge um ihn erblickte. Du kannst nicht weh thun, und wenn Du auch das blühendste Paradies der Zukunft mir in einer Sekunde zur öden Steppe der Wüste verwandelt hättest! Nein, ich will leben lernen und mich so leidlich, wie möglich,[133] schicken, und wenn es nur wäre, um Dir keinen Seufzer mehr zu kosten, diesem klaren Auge keine Thräne! Vergeßt, was ich Euch sagte, aber vergeßt nicht, daß ich Euer wärmster Freund geblieben, versprecht mir, ach als kleinen Ersatz für das, was ich eben verlor, versprecht mir, daß ich Freundes Rechte auf Euch behalten soll.

Sie legte sanft und ernst die Hand in die ihr dargebotene. Mein edler und großmüthiger Freund! sagte sie dann mit innigem Tone, vielleicht kömmt bald der Augenblick, wo nicht mein Mund, doch das Andenken an diese mir geschenkten Rechte Euch mahnen wird. Sie schwieg und fühlte aufs Neue die Last des eignen Geschicks. Doch Ormond blieb nun wieder stehn, und muthig von dem eigenen Schmerze sich erhebend, wendete er ihrer geheimnißvollen Lage sich wieder ausschließlich zu.

Muß ich Eure Worte deuten, als ob uns von Euch eine Trennung drohe? Was hat man gethan, Euch von hier wegzuscheuchen? O glaubt mir, von Allen seid Ihr geliebt; jedes Glied dieser Familie achtet sich glücklich, Euch ehrenvollen Schutz zu verleihen, bis die Zeit Euch über Eure Verhältnisse aufklären wird. Warum wollt Ihr nicht den Schutz annehmen, der den Gewährenden nur Freude schafft? – Maria lehnte, sich immer müder in ihrem Geiste fühlend, gegen einen niedern Fenstersitz. Antworten konnte sie nicht; sie fühlte sich übermannt von den Bildern, die in ihrem Geiste auftauchten und verschwanden. Ormond blieb, sie betrachtend, vor ihr stehn, und selbst heftig erregt, sprang sein Geist in Bezug auf sie von einem kühnen Schlusse zum andern.

Da war ihm plötzlich, als risse die Binde vor seinen Augen. Sie liebt! rief eine Stimme in ihm, und willenlos fast rief sein Mund: Ihr liebt, Maria, jetzt weiß ich Alles, Ihr liebt!

Maria zuckte bei dem Worte zusammen und legte die Hand scheu auf ihr Herz, dann blickte sie Lord Ormond voll Erstaunen fragend wie ein Kind in die Augen.[134]

Ihr liebt, theures Mädchen, sagte er noch ein Mal mit höchster Theilnahme, denn sie schien auf diesen Laut aus seinem Munde zu warten, und wie begabt mit höherer Erkenntniß, setzte er mit überzeugender Gewalt hinzu: Ihr liebt Richmond!

Irr' flammte ihr Blick bei diesen Worten auf, dann sank sie, die Hand schnell aufs Herz drückend, ohne Laut ohnmächtig nieder. Ormond bezwang, so mächtig in Anspruch genommen, leicht seine eigne Stimmung. Er öffnete die Scheiben und richtete sie sanft in dem Fenstersitz empor. Bleich, ohne alle Farbe, glich sie einem schönen Marmorbilde. Wunderbar rührend spielte das seltsame Lächeln der Ohnmacht um den zarten Mund, während der tiefe Ausdruck des Leidens in der schmerzlich gezogenen Stirn ausgedrückt lag und die herbstliche Sonne, mit blassen Lichtern eindringend, in leichten Goldstreifen das blasse Heiligenbild verklärte.

Bald schien es dem Lord, die Ohnmacht habe sie verlassen. Ruhig, wie bei einer Schlafenden, hob sich der Athem ihrer Brust immer süßer ward das Lächeln ihres Mundes, und aus den sanftgeschlossenen Augenliedern drangen einzelne Tropfen und fielen wie Perlen auf den Schooß; aber sie öffnete sie nicht, und Ormond blieb, gefesselt von Erwartung, ihr stumm gegenüber. Fürchten konnte er ihren Zustand nicht, denn auch die Stirn begann sich jetzt zu lichten, Engel schienen mit ihr zu spielen, so süß ward jeder Zug des lächelnden Gesichtes.

Gewaltsam hatten Ormonds Worte das Geheimniß ihrer Brust entschleiert und durch diesen Namen ihm ein so mächtiges Recht verliehen, daß sie dem schnellen Bewußtsein unterlag. Kaum war's eine Ohnmacht zu nennen, was sie überkam, seltsam war Traum und Bewußtsein in ihrer Seele jetzt verschwistert. Sie wußte wohl, sie ruhte, sanft von der Sonne Strahl bespielt, im Fenstersitze, sie nahm es wahr, daß Ormond gütig schützend[135] ihr zur Seite stand; doch eben so ohne Erstaunen, ohne einen Uebergang von Vorstellungen, die sie der Wirklichkeit entfremdeten, schaute sie, wie die Bogen des Fensters vor ihr sich auseinander schoben und ihr ein freier Blick in die herrlichste Natur ward. Auf einer weiten Höhe schien ihr Sitz zu stehen, sie blickte in ein blühend Land, reich an schönen Städten, mächtigen Schlössern und hohen Thürmen und Kathedralen.

Weit ins Land hinein sah sie mit klaren Augen das bunte Treiben eines reichen, weit verbreiteten Volkes, doch der vergangenen Zeit gehörend. Ein Festtag schien für Alle angebrochen; denn festlich glänzend zog die Bevölkerung nach einer Richtung hin, und aus der weiten Ferne hatte sie Begriff von rauschendem Getöne, von Musik, von Menschenstimmen, vom Geräusch der Waffen und vom Jubelruf der Freude.

Ein schmelzend Grün bedeckte die Höhe, auf der sie ruhte, und einsam schien es hier, als reiche der Fuß des Hügels nicht zur Erde hin. Sie fühlte ein seliges Genügen, ein himmlisches Erlöstsein von aller irdischen Sorge; nichts schien ihr obzuliegen, als selig lächelnd zuzuschauen, wie schön gestaltet Alles um sie war. Da sah sie eben näher nun am Rand des Hügels einen Eichenwald, die Sonne schien hinein, der Boden schimmerte vom saftigen Grün des Mooses, und Blätterschatten tanzten wie dunkle Blumen drüber hin; da hörte sie den Chorgesang der Geistlichen, ein Agnus Dei sangen sie, und bald erschienen in den breiten Wegen sie paarweis mit dem Allerheiligsten, mit holden Knaben, die aus Silberbecken die leichte blaue Wolke des Räucherwerks um sich kräuselten. Die Ritter folgten im goldenen Harnisch und mit langen wehenden Federn; auf ihren Schultern trugen Andere den hellen Silbersarg mit goldener Krone, und die Zipfel des königlichen Purpurmantels hielten Knaben in Gold und düsterer Seide. Viele waren, die in hoher Trauerpracht noch folgten, dann war der breite Weg[136] des Waldes wieder leer, und nur die Sonne spielte mit den Blättern auf dem frischen Grunde. Doch liebliche Töne klangen jetzt; der Wald verhüllte noch die neue frohe Mähr, nur Hörnerharmonien in heiterer Weise, zu einem Hochzeitsreigen wohlgeschickt, eilten froh voran, dann kam der Zug in bunter Pracht. Wie spielten nun im Glanz der Sonne die bunten goldenen Stoffe der Herren und Frauen, der Edelsteine, der bunten Federn zauberisch Farbenspiel. Der leichte Schritt der schön geschmückten Rosse schien mehr begeistert von den Hörnerklängen, als gelenkt vom leichten Druck des goldenen, Zügels taktmäßig hinzuschreiten. Die Schönheit ziert hier die Pracht, und Glück und Lust entsproß in zarter Harmonie, und endlich bot der Mittelpunkt des Zugs sich dar. Zwei schöne Knaben führten den milchweißen Zelter, auf dem die junge Schönheit lächelnd ruhte, die, in dem Schmuck der Königin, wie eine Nymphe des Waldes mit Blatt und Moos und Blumen zu tändeln schien, und einer langen Ranke zarte Fäden um einen schönen, königlichen Mann geschlungen hatte, der innig ihr ergeben, gefesselt schon an ihren Augen hing. Der Zug schien sich zu nahen, den Hügel zu ersteigen; die holde Frau nickte nach Maria hin, sie hob die zarte weiße Hand empor und steckte fünf kleine Finger in den goldenen Reifen einer Krone, die sich hoch dann ihr entgegen streckte. Da hob der Mann an ihrer Seite sein Angesicht und sah Maria zärtlich an.

Mein Oheim! rief sie. Verschwunden war das Bild, der ganze süße Traum. Sie stand plötzlich aufgerichtet vor Lord Ormond, der zu ihren Füßen lag, und flehend sie beschwor, zum Bewußtsein zu erwachen. Sie sah ihn an mit dem holdesten Lächeln, ihre Augen leuchteten, wie von einem tiefen innern Lichte erhellt, und sanfte Röthe ergoß sich um ihr Angesicht. Ja, sprach sie, als ob Lord Ormond jetzt erst das verhängnißvolle Wort gesprochen, Ihr habt es mir gesagt, jetzt weiß ich[137] es, ich liebe ihn! Dies angstvolle Geheimniß ist nun fort aus meiner Seele, ja, ich liebe ihn! – Sie hatte die Hände auf ihre Brust gedrückt, als wollte sie sich das Eigenthumsrecht an dieser Ueberzeugung sichern. Sie hatte, wie es schien, vergessen, was Lord Ormond über sich selbst ihr gesagt, und war jetzt nur bemüht, ihn zum Vertrauten ihres nun erst verstandenen Gefühls zu machen. Ormond senkte, noch immer kniend, sein Gesicht auf ihre Hand, die sie ihm willig ließ, von unnennbaren Gefühlen fast betäubt. Da riß sie aus ihren geisterhaften Schwärmereien ein lautes, helles Schluchzen dicht an ihrer Seite. Ormond sprang auf; Maria blickte hin. Ollonie Dorset stand mit schlaff niederhängenden Armen ihnen gegenüber, und mit dem Ausdruck der Verzweiflung im bleichen Gesicht weinten ihre schönen Augen Ströme bitterer Thränen.

Als sie sich bemerkt sah, flog sie auf Maria zu, umschlang in voller Qual ihren Nacken und seufzte: Du liebst ihn! O Du Glückliche! Und Dich, wie liebt er Dich! O nimm ihn, nimm ihn! Ollonie kann sterben für Euch beide. Ja, Ihr gehört zusammen, es mußte so kommen; wie konnte er mich lieb behalten neben Euch. O Maria, ich selbst, ich wollte Euch hassen, wie Ihr so sorglos mein Glück zerstörtet; doch auch ich, auch ich konnte Euch nicht hassen! Ja, ich mußte Euch nur heftiger lieben, denn liebenswerther scheint Ihr mir noch durch das Lob seiner Liebe.

O Gott! rief Ormond hier, ganz außer sich, das theure Wesen in diesem Schmerz zu sehen. So war denn ausgesprochen, was er aus ihrem Zustande nur zu wahr errathen; sie hatte Richmond in der Stille lange geliebt und erst ihr Gefühl verrathen, seitdem sie ihn für Maria glühend wähnte. Wie theilte sich in diesem Augenblick sein Herz zwischen diesem geliebten Mädchen und dem theuren Gegenstand seiner Liebe! Still hielt[138] Maria das holde Kind an ihrem Busen fest, ohne Worte, tiefsinnend. Sie wird ohnmächtig, sagte sie dann leise und hob sie mit Ormonds Hülfe auf ihren Sitz.

O! seufzte Ormond tief und schmerzlich, mußt Du schönes Herz auch die Qual unglücklicher Liebe leiden! Wie habe ich vergeblich gefleht, es möchte ihr erspart bleiben; doch immer ahnte ich ihre Liebe, ja, ich wünschte sie, ehe ich wähnen konnte, daß meinem edlen Richmond der höchste Preis zu Theil geworden.

Still, sprach Maria leise, Ihr seid im Irrthum, Lord Richmond liebt mich nicht, und mein Gefühl, das Ihr mich kennen lehrtet, hat damit nichts gemein. Doch Ollonie liebt Richmond nicht, Euch liebt sie, theurer Ormond, Euch! Und unbegreiflich habt Ihr Euch getäuscht und dies bis diesen Augenblick übersehen. Ohne Euch zu nennen, hat sie mir längst ihr Geheimniß verrathen, und ich hoffte, Ihr theiltet ihr Gefühl.

Ormonds Erstaunen raubte ihm die Sprache. Ihre einfachen und bestimmten Worte ließen keine Mißdeutung zu, und vor ihm selbst that sich die Ueberzeugung auf, mit tausend schnell gegenwärtigen Beweisen. Doch er behielt nur wenig Zeit, diese Gedanken zu verfolgen. Die leichte Erschöpfung wich von Ollonie, sie schlug die Augen auf und blickte Beide zärtlich an; dann nahm sie Ormonds Hand, drückte sie sanft in Maria's Rechte, und lispelte leise und schwach: So gehört Euch denn! Und Du, lieber, bester aller Menschen, Du werde glücklich!

Sie wollte aufstehen, aber matt geworden, ward sie von Beiden unterstützt.

Ollonie, sagte Maria sanft, Du hast zwei Hände vereint, die es schon in Freundschaft waren; nicht Liebe wird ihr folgen. – Nun aber überlaßt mir die Pflege unserer theuern Ollonie, ich führe sie sicher.[139]

Ormond drückte in stummer Sprache die Hände Beider an sein Herz und eilte dann mit seiner vielfach angeregten Qual von dannen.


Der Tag, der diesem Morgen folgte, war nun der letzte, den Maria unter dem ehrwürdigen Schutze ihrer großmüthigen Freunde verleben sollte, und es war ihr die Aufgabe gestellt, unter einem ruhigen Aeußern ihr tief bewegtes Herz zu verbergen. Wenn etwas diesen überwältigenden Umständen das Gleichgewicht zu erhalten vermochte, war es die bestimmte Richtung, die seit Ormonds Worten das Gefühl ihres Herzens erhalten hatte. Sie gewann, trotz den andrängenden äußern Umständen Zeit, sich hierüber mit sich völlig zu verständigen. Wie sie es so lange in sich als unverstandenes Geheimniß hatte tragen können, überraschte sie, und sie bat sich selbst um Verzeihung, daß sie in Verworrenheit und Unruhe und unverständlichem Wechsel von Freude und Leid hatte verderben können, was nun, verstanden, zu einem schönen vollständigen Schatz ihrer Seele gehörte, sie adelte und ihr eine neue erhebende Weihe zu geben schien. Daß zur selben Zeit diesen Empfindungen der Eintritt ins Leben und jede glückliche äußere Beziehung abgeschnitten ward, erkannte bei flüchtiger Betrachtung ihr klarer Verstand zu bestimmt, um eine Träumerei darüber zuzulassen, und sie fühlte, daß sie nur dann, ihrer selbst würdig, sich als Besitzerin dieses Gefühls anerkennen könnte, wenn sie eben so bestimmt und aufrichtig ihm die vollständigste Resignation zur Seite setzte. So heiligte sie beide Gefühle in ihrer Brust, und als sie nach diesem festen Abschluß mit sich das übrige Leben anblickte, fühlte sie sich ihm viel ruhiger gegenüber gestellt, als früher, und nur, ob sie das Rechte zu thun vorhabe,[140] das nur flößte ihr Bedenken oder Sorge ein, nicht mehr die damit verknüpften Opfer. Nur der Brief, der die theuren Schriftzüge trug, konnte immer wieder aufs Neue die Bedenklichkeiten besiegen, die in jeder andern Beziehung ihr der bevorstehende Schritt einflößte. Aber ihren Widerwillen, sich auch nur in vorübergehende Gemeinschaft mit diesem Mann zu setzen, diesen zu überwinden, fühlte sie sich außer Stande. und ließ darin endlich ihr Herz gewähren.

Seltsam traf sie Richmonds Anblick, als sie ihn bei der Tafel zuerst wieder sah, und sie würde ihn schwerlich ohne den Tribut der Weiblichkeit ertragen haben, hätte ihre wahrhaft feste und vollständige Resignation ihn nicht ohne alle Beziehungen zu sich, blos als das schöne Urbild ihrer Liebe ihr erscheinen lassen.

Als er sie anblickte, drang das unaussprechlichste Gefühl der Befriedigung durch ihr Herz, und sie gewahrte den tiefen schwermüthigen Ausdruck seines Blickes mit der schmerzlichen Ueberzeugung, daß er dem Mitleiden angehöre, womit er sie in Bezug zu Membrocke sah. Bald, sagte sie sich, wird der Schritt geschehen, der mich fürs Leben aus Deiner reinen Nähe treibt und meinen Namen den Verworfenen beigesellen wird; Du wirst erröthen, mich unter diesem Dache einst gesehen zu haben. Ein Seufzer bezeichnete die Schwere des Opfers, das ihr auferlegt war, und sie fühlte sich fast getröstet, daß ihr Gefühl nie in seinem Herzen Wiederklang gefunden, und so ihm der Schmerz erspart blieb, an ihr sich scheinbar geirrt zu haben.

Fast war es ein Glück, daß Ollonie's Zustand ihre Sorgfalt erforderte. Maria besaß vollkommen die Eigenschaft der Frauen, das eigene Interesse zurück zu drängen, und frei und hingebend sich einem fremden aufzuschließen. Ihr war mit der gütigen Empfindung zugleich der Takt verliehen, unscheinbar und ohne den Leidenden außer eigne Thätigkeit zu setzen, blos[141] ergänzend oder stützend einzutreten, und namentlich war sie, schnell Olloniens Wesen überschauend, sie zur Kraft zu wecken bemüht.

Eine lange Unterredung, in der sie doch, die eigentliche Vertraute zu werden, vorsichtig vermied, hatte Ollonie nicht allein überzeugt, daß Maria sich ihrem theuern Oheim nicht vermählen wolle, sondern auch in ihr jene jungfräuliche Empfindung geweckt, die sie fürs Erste zur Selbstbeherrschung zwingen konnte.

So hoffte Maria sie aus dem leidenschaftlichen Zustand zu erlösen, den ihr die Eifersucht gegeben, und für Ormond Zeit zu gewinnen, von der sie das Glück Beider hoffen zu dürfen glaubte.

So dem fremden Interesse hingegeben, hatte die junge Heldin fast keinen Blick für ihre eigene Zukunft übrig, fiel er aber darauf, dann schaute sie in ein undurchdringliches Dunkel, worin sie nur das eine Bild ihres theuern verfolgten Oheims als Ziel und Lichtpunkt erblickte. Dahin wandten sich dann alle Kräfte ihrer edeln Seele, und verliehen ihr den ruhigen Ernst, der zwar alle Blüten des Glückes verschließt, aber desto freier und stärker jede Tugend der Seele zur Reife bringt. Sie schien sich seit diesem Morgen weit über die Zeit der Jugend hinaus entrückt, und wie jede Bewegung ihrer Seele sich ihrem Aeußeren mittheilte, so trug ihr ganzes Wesen jene ernste und ruhige Würde, welche die Abfindung mit dem Leben bezeichnet.

Membrocke konnte dies nicht übersehen, und es gehörte nicht zu seinen angenehmen Beobachtungen; er hätte sie lieber hinfällig und außer sich erblickt. Diese feste Haltung schien ihm wenig Rechte über sie lassen zu wollen, und er verwünschte dies ihm stets neue Aufgaben bereitende Mädchen.

Als die Tafel aufgehoben war und die jüngeren Personen sich dem fröhlichen Beisammensein überlassen wollten, fühlte[142] Maria sich unfähig, daran Theil zu nehmen. Ihr Herz sehnte sich mit kindlicher Innigkeit nach dem Beisammensein mit der Herzogin von Nottingham. In ihrer Nähe wollte sie die letzten Stunden durchleben und sich stärken zu dem großen Schritt, der ihr bevorstand.

Schaudernd sah sie, wie Membrocke sich nach der Tafel von Allen beurlaubte. Indem er sich auch ihr ehrerbietig zum Abschiede näherte, warf er ihr einen vertraulichen Blick zu und flüsterte: Um neun Uhr bin ich zurück.

Maria vergaß, tief beleidigt, ihr ganzes Verhältniß zu ihm und antwortete ihm blos durch einen Blick voll Verachtung. Aber ihr Gesicht war, Allen sichtbar, mit Blut übergossen, und Richmond wendete sich von ihr ab und verließ die Gesellschaft.

Als die beiden Herzoginnen sich entfernt hatten, blieb Maria in dem schmerzlichen Gefühl, alle hier Versammelten zum letzten Male zu sehen, wie gefangen zurück. Von Allen nahm sie im Geiste Abschied; ach, Keiner schien ihr mehr unbedeutend oder unliebenswürdig. Selbst die Pagen, die Diener, die noch mit dem Dienste beschäftigt hin und wieder gingen, Alle flößten ihrer Seele das schmerzlichste Interesse des nahen Abschieds ein. Lucie hing sich in ihre Arme und begehrte morgen früh den Spaziergang mit ihr, und nun ward sie von allen Mädchen umgeben, die sie liebevoll drängten, den Jagdzug mitzumachen, den Richmond für morgen vorgeschlagen und Maria, unfähig ihn zu belügen, abgelehnt hatte. – Da entschlüpfte sie rasch den ungestümen Liebesbeweisen, die ihre Brust zerrissen, und eben so wenig fähig, allein zu bleiben, führte sie ihren Vorsatz aus, zur jüngeren Herzogin sich zu begeben, in deren ernster, gemäßigter Nähe sie gegen neue Erschütterung der Art sich gesichert hielt.

Als sie, von dem meldenden Pagen geführt, in das lange gothische Zimmer eintrat, in dessen Fenstervertiefung die[143] Herzogin saß, gewahrte sie zu ihrer Ueberraschung Lord Richmond vor ihren Füßen auf einem niedern Fensterbänkchen sitzen.

Willkommen, Lady Maria, sprach die Herzogin, während Richmond schnell aufsprang. Ihr seid gütig, mir Euern Nachmittag schenken zu wollen, da Alle, wie ich höre, sich auf eine Cavalcade begeben. Damit reichte sie Maria die Hand entgegen, welche diese mit beklommenem Herzen an ihre Lippen drückte.

Und doch, Mylady, sprach Maria, fürchte ich, seid Ihr zu gütig gewesen, mich anzunehmen. Ihr hattet liebe Gesellschaft, Ihr hattet vielleicht Geschäfte, setzte sie hinzu, auf Richmond blickend, der, mehrere Papiere in der Hand haltend, stumm grüßend ihr gegenüber stand.

Ich hätte in diesem Fall es Euch aufrichtig gesagt, erwiederte die Herzogin. Wen ich willkommen heiße, der darf auch dessen sicher sein. Setzt Euch, fügte sie hinzu und zog Maria auf einen kleinen Sessel, der nächst ihrem Lehnstuhl stand, und Du, Richmond, nimm Deinen alten Platz hier ein und lies mir das Ende Deines Briefes vor. Meine liebe Maria wird sich so lange mit sich unterhalten.

Richmond that, wie ihm geheißen, und obwol er erst nach einigem Verzuge die Stelle wiederfinden konnte, bei welcher Maria's Ankunft ihn unterbrochen hatte, las er, doch mit einer Stimme, die noch lange vergeblich nach Festigkeit strebte, weiter: »Ich kann unter diesen Umständen nicht genau angeben, wann mir das Glück zu Theil werden wird, Dich, meine geliebte Tochter, zu umarmen. Keinesfalls kann ich indeß wünschen, daß Du nach London kommest, da in der Hoffnung, die sich uns jetzt darbietet, mir vielleicht vergönnt sein wird, nach Godwie-Castle zu kommen. Daß ich diesen Zeitpunkt herbei sehne und Alles, was in meinen Kräften ist, anwenden werde, ihn zu beschleunigen, wird Dir gewiß sein, und meine Tochter[144] wird nicht wünschen, daß etwas in einer Sache übereilt werde, wovon die Ehre ihres Vaters abhängt.«

Da sei Gott vor, sprach die Herzogin und legte den Brief des Grafen von Bristol, den Richmond ihr reichte, ehrerbietig zusammen: doch bin ich der Meinung, daß mir am allerwenigsten zustehe, mit Besorgniß an diese Beweisführung zu denken. Nicht als Tochter fühle ich mich um die Ehre meines Vaters besorgt, als Engländerin bin ich besorgt und beschämt; denn sagt, wohin muß es mit einem Lande gekommen sein, in dem sich die Männer, die sich die Säulen des Staates nennen dürfen, an die sich die Verehrung zweier Generationen und die Hochachtung fremder Staaten knüpft, vertheidigen müssen, gleich als wären sie unbekannte, dem Zweifel unterworfene Emporkömmlinge, für welche keine Thaten reden können. England wird erstarren an der Nachricht, Bristol stehe vor dem Richterstuhle eines Parlaments, und neues Weh wird den Namen Buckinghams treffen, der so grenzenloses Elend verbreitet, und mit welchem die Nachwelt alles Unglück und alle Schande dieser Zeit bezeichnen wird.

Maria schauderte zusammen. Die bittern, strengen Worte der gekränkten Frau bezeichneten die Katastrophe, in die ihr eignes Schicksal nun so geheimnißvoll und gefährlich verflochten war; sie nannten zugleich den Namen Buckingham in derselben Beziehung, als Membrocke es gethan, und bestätigten die Wahrheit seiner Angaben.

Ich habe Euch, theure Mutter, noch Einiges über die Vermuthungen des Grafen Archimbald mitzutheilen, hob jetzt Richmond an.

Seine Thätigkeit hat keinen Augenblick gerastet, und so große Hindernisse ihm die Wachsamkeit Buckinghams auch in den Weg legte, ist es ihm mit Hülfe eines mächtigen und geheimen Feindes von Buckingham dennoch gelungen, dem Lord[145] Saville auf die Spur zu kommen, der, nach der Ueberzeugung Euers Vaters, die wichtigen Dokumente entwandte, die von der Hand des Herzogs von Olivarez unterzeichnet, das bestimmte und durchaus ehrenvolle Benehmen des Grafen bestätigen. Gewiß ist eine traurige Zeit gekommen, wo Lord Bristol eines Dokuments bedarf, sich freizusprechen von dem schmählichen Verdachte, sein Vaterland muthwillig und um persönlicher Genugthuung willen in einen so gefährlichen Krieg verwickelt zu haben; aber es ist dahin gekommen, wollen wir uns immer freuen, daß es der Unschuld nie an Freunden fehlt, und daß Lord Bristol die Besten des Landes unter die seinigen zählt. –

Du sagst ein wahres Wort, mein Sohn; aber ich wiederhole es, ich trage Leid um England, das auf dem Wege ist, dem Auslande ein Spott zu werden! –

Graf Archimbald, fuhr Richmond fort, scheint überdies die Auflösung des Königs zu erwarten. Die Fieberanfälle haben sich wiederholt, und die Idee des Krieges mit Spanien ist ein Schreckbild geworden, dem der unglückliche, schwache Greis, dessen ganze kleine Politik – Zeit seines Lebens – in dem Bündniß mit Spanien bestand, zu unterliegen droht.

Buckinghams Abschluß der Vermählung unseres Prinzen mit der französischen Prinzessin soll fast wider Willen des Königs und des Prinzen geschehen sein. Den König hat dieser verwegene Mann zittern gelehrt und das Jawort des Prinzen während einer hitzigen Krankheit erhalten, die ihn gleich nach der Rückkehr von Spanien überfiel und über deren Ursache, obwol Buckingham den Prinzen fast ausschließlich umgab, doch sehr seltsame Gerüchte umlaufen.

So viel ist gewiß, daß der Prinz, stets Allem gnädig, was unsere Familie angeht, Alles angewendet hat, diesen Prozeß von dem Grafen Bristol abzuwenden, daß der König aber, von Buckingham verhärtet und außer sich über den[146] Gedanken, am Ende seiner Laufbahn noch einen Krieg zu erleben, den er stets so ängstlich vermieden, den Grafen als die einzige Ursache davon ansieht. –

Nun, rief die Herzogin, so erhalte Gott sein Leben nur noch so lange, bis er seinen besten und getreusten Diener gerechtfertigt vor sich sieht. O, ich ertrüge es nicht, wenn dies gekrönte Haupt zur ew'gen Rechenschaft gerufen würde, ehe er dem sein irdisch Recht gesprochen, der sich um ihn so wohl verdient gemacht.

Hier entglitt dem Busen der unglücklichen, gequälten Maria ein tiefer Seufzer. Der gerechte Wunsch, dieser edeln Frau, ihrer Wohlthäterin, der Mutter Richmonds, dieser heil'ge Wunsch, für dessen Erfüllung auch sie ihre Hände hätte zum Himmel erheben müssen, er enthielt das Todesurtheil über den einzig ihr gebliebenen Verwandten, über den theuern Oheim, an den sie trotz des Scheines von Schuld, der ihn zu treffen schien, nicht ohne die tiefste und zärtlichste Bewegung des Herzens denken konnte. Ihr blieb jetzt kaum ein Zweifel, daß es der verfolgte Lord Saville war, dem sie diese Rechte zugestehen mußte, daß Lord Membrocke ihr Wahrheit gesagt und sie im Begriff sei, zu dem zu fliehen, der den Verfolgungen ihrer Beschützer preisgegeben war.

Riesenhaft groß trat ihr hartes Schicksal vor sie hin, bereit, alle die zarten Fäden zu zerreißen, die sie mit diesen geliebten Menschen hier verbunden hatten.

Die Herzogin mißdeutete dieses Zeichen tiefer Theilnahme, und ihre Hand sanft drückend, sprach sie: Gott behüte Euch vor ähnlichen Sorgen, liebes Kind, Euer allzu weiches Herz erläge solchen Leiden.

Die Schicksale der Menschen, sprach hier mit tiefer Bewegung Richmond, sind verschieden; nicht zweien wird ein gleiches zu Theil; aber der Schmerz findet zu jeder Brust den[147] Weg, und nur, wie er uns innerlich gefaßt findet, macht den Unterschied. Doch die geringsten Schmerzen bleiben immer jene, die das eigne verfehlte Glück uns giebt. Wer widersteht aber mit dauerndem Muthe, wenn er das Edelste und Liebste, was die Erde für ihn trägt, in der Gewalt einer bösen Macht leiden und untergehen sieht, ohne daß ihm das Recht verliehen ward, es zu schützen oder zu vertheidigen.

Wir wollen damit schließen, so heftige Auskunftsmittel, wie Deinem jugendlichen Eifer zusagen, nicht für nöthig zu halten, sagte die Herzogin mit beschwichtigendem Tone und schien nicht zu gewahren, wie Richmonds Augen an den bleichen, kummervollen Zügen Maria's hingen. Maria sah diese Augen nicht, denn die ihrigen hafteten melancholisch am Boden; aber seine Stimme drang zu ihrem Herzen, und ein wunderbar wonnevoller Schmerz durchzuckte sie.

Das gebe Gott! seufzte er tief auf, und vergeben mögt Ihr meinen trüben Worten. Aber ich glaube, setzte er, zur Heiterkeit sich zwingend, hinzu, der Nebel dieser letzten Tage thut es bei mir, ich bin nicht mehr ich selbst, ich fühle es wohl, denn trübe liegt auf mir die Erwartung jedes nächsten Morgens.

Maria's Haupt senkte sich hier auf die Armlehne des Stuhles, in dem die Herzogin saß. Doch diese sah die fallenden Thränen nicht, die sie zu verbergen strebte, sondern ganz Mutter, schaute sie besorgt ihrem Liebling ins Angesicht und prüfte mit ihrer Hand ängstlich die kalte Stirn.

In Wahrheit, Du bist krank, ich selbst habe, glaub' ich, übersehen, daß wir vielleicht zu lange hier verweilten. Laß uns zurückkehren nach Godwie-Castle. Seine hohe gesunde Lage wird Dich am besten wieder herstellen, auch sind wir dort London um so viel näher, und leicht läßt sich jetzt dort ein Kreis versammeln, der Dir Zerstreuung und Erholung giebt. –[148]

O, sorgt nicht um meinetwillen, theure Mutter, rief Richmond, nicht diese Luft ist's, die mein Herz so preßt, und keine andere Luft lindert dies Weh. Glaubt und vertraut mir nur, aus mir selbst muß ich mich erheben, und ich werde es! Doch Eurem Plan, nach Godwie-Castle zu gehn, widerspreche ich nicht. Wir sind dort London näher, das sage ich auch, und dort muß unser aller Schicksal sich jetzt lösen. – So gieb denn Befehl zu unserm Empfange dort! sprach die Herzogin, noch immer ganz von Besorgniß eingenommen.

Alle hatten sich erhoben, Richmond wollte gehen. Maria stand vor dem Augenblick, der sie auf immer von ihm trennen sollte. Kaum trugen sie noch ihre wankenden Füße, und sie hielt sich an dem Lehnstuhle der Herzogin, welche, an einen Tisch getreten, noch einige Papiere für den Sohn zurecht legte.

Richmond betrachtete Maria, er sah ihre Erschütterung und trat ihr näher.

Und wird Lady Maria noch länger ihren besten Freunden das bisherige Recht zugestehn, sie mit sich zu führen? Darf ich ihre Zimmer in Godwie-Castle bereit halten lassen? –

Maria versuchte umsonst zu antworten. Nach einigen vergeblichen Bemühungen, die bebenden Lippen zu öffnen, schüttelte sie leise das Haupt.

Ihr wollt uns nicht folgen, fuhr er nun bewegter fort; Ihr verschmäht die Herzen, die Euch so innig ergeben sind, die Ihr durch Eure Nähe habt vergessen lassen, daß ohne Euch zu leben möglich sei? Es ist Euch Niemand etwas unter uns, Niemand darf sich des Glückes rühmen, Euch so nöthig zu sein, wie Ihr es uns geworden. Ihr seid so gut, so großmüthig; aber gefühlvoll wenigstens nicht. – Er schwieg; seine Stimme bebte zu heftig und Maria vergingen bei dieser nie gehörten Sprache fast die Sinne. Wie mit einem Siegel waren ihre Lippen verschlossen, und nur die Angst dieses Verstummens[149] hielt sie aufrecht. Sie drückte die Hand endlich auf ihr Herz und hob die Augen zu ihm auf, die das ganze Geheimniß ihres Herzens trugen.

Ich verstehe nicht, sagte die Herzogin und wandte sich, wollt Ihr nicht mit nach Godwie-Castle, Lady Maria?

Ich habe keinen freien Willen, erwiederte jetzt Maria mit dem Ausdrucke der Ergebung.

Gewiß! sagte die Herzogin, welche Kleinmüthigkeit! Was ist Euch? Womit haben wir es versehen, und worin haben wir Euch Zwang aufgelegt? Bestimmt ganz nach Gefallen, ob Ihr uns begleiten oder später mit meiner Schwiegermutter folgen wollt? –

Ich empfinde tief Eure Güte und habe Euch nur aus voller Seele zu danken für die unendliche Großmuth, die Ihr mir unablässig beweist. Seid sicher, daß ich nirgends lieber bin, als wo Ihr seid, daß es die süßeste Empfindung meines Herzens wäre, Euch zu dienen, um nur Eure Nähe nicht zu entbehren. –

Die Herzogin fühlte sich geschmeichelt, vor ihrem Sohne der Gegenstand von so vieler Liebe zu sein, und ungewöhnlich freundlich zog sie Maria zu sich und küßte ihre Stirn.

Ihr seid ein liebes gefühlvolles Kind, sprach sie dabei, ich lege gleichfalls Werth auf Euern Umgang und sehe es gern, wenn Ihr mit uns geht.

Maria's Herz unterlag hier. Sie sank vor ihr nieder, und ihre Hände ergreifend, rief sie flehend: O, in dieser glücklichen Stunde gebt mir Euern Segen, daß er auf meinem Haupte unwiderruflich ruhen möge! Was auch mein dunkles Schicksal über mich verhängen möge, widerruft ihn nie! Dann werde ich hoffen, daß ein guter Engel mir zur Seite bleibe. – Ihre Augen vergossen Thränen, und sie hatte etwas so unwiderstehlich Dringendes, daß die Herzogin ohne Widerstand[150] die Hände auf ihr Haupt legte. Gott segne Euch, liebes Kind! sprach sie dabei mit sichtlicher Ueberraschung. Aber laßt das, steht auf und seid nicht so heftig! Ihr seid ohne Ursache so feierlich, als ob uns das jüngste Gericht bevorstände; wir sollen stets über unsere Gefühle strenge Disziplin halten, gar leicht werden wir sonst bei geringen Veranlassungen davon überrascht.

Maria stand auf und trocknete ihre Augen, sie fühlte die Ruhe des Todes. Mit dieser letzten Erschütterung schien ihre Seele ausgekämpft zu haben; sie kam sich wie eine Sterbende diesen geliebten Menschen gegenüber vor; sie konnte keinen Schatten von Hoffnung haben, je wieder mit ihnen vereint zu werden; ihre Trennung schien ihr vollständig und unwiderruflich, wie durch den Tod. Aber dieses Ueberdenken ihres traurigen Geschicks gab ihr für den nächsten Augenblick alle Fassung wieder. Sie blickte auf zu Richmond, als er sich jetzt entfernte, und begleitete ihn mit ihren Augen, bis er in der Thür verschwand. Ich habe ihn zuletzt gesehn, sagte sie dann zu ihrem getödteten Herzen.

Sie blieb, bis die alte Herzogin erschien, um ihre Schwiegertochter zur Abendgesellschaft abzurufen. Beide waren von Maria's Blässe überrascht und gönnten ihr, sich auf ihr Zimmer zurückzuziehn. Still küßte diese Beiden zum letzten Mal die Hand und ging dann langsam an der Versammlungshalle vorüber, aus der eine Heiterkeit schallte, die für sie nicht mehr vorhanden war.

Als sie in ihr Zimmer trat, verabschiedete sie die gute getreue Errol und blieb dann allein, sich zu ihrem großen Unternehmen vorzubereiten. Sie hatte nur wenig Anordnung zu treffen; alle gingen darauf hin, sie so unabhängig, wie möglich, von Membrocke zu machen. Sie legte ihre Juwelen und eine bedeutende Summe Geldes, die ihr aus den Wechseln ihres Taschenbuches mitgetheilt war, nebst einem zweiten vollständigen Anzug zusammen, kleidete sich selbst in ein festes Reisekleid und[151] harrte dann, bis die Glocken des Schloßthurmes Neun schlugen. Dann stand sie auf und warf sich vor dem Betpult nieder, an dem sie nie wieder knien sollte; aber fern von ihr war jede Erweichung. Ihre Züge schienen von Marmor, hoher Ernst ruhte auf ihrer Stirn, und die Freiheit der Seele, die aus einer klaren und unabänderlichen Anschauung des Pfades, den uns die Pflicht führt, entsteht, selbst wenn wir ihn mit Gefahren umstellt erblicken, diese ward ihr zu Theil und ließ sie erkennen, daß nach der Trennung von den ihr so theuren Menschen nichts mehr der Rührung werth sei.

Sie flehte Gott um Schutz an: Meine Seele behüte und nimm sie in Deine Obhut; gieb mir Kraft, daß ich zu Deiner Ehre vollende, was mir obliegt. Herr, Dein Wille geschehe!

Nach diesem kurzen Gebet stand sie auf, hüllte um Kopf und Schultern ihren weiten Mantel, ergriff ihr kleines zusammen gepacktes Eigenthum und eilte aus ihren Zimmern.

Sie wußte die Gesellschaft noch beisammen und mußte jeden Augenblick ihr Auseinandergehen erwarten; aber sie war fest entschlossen, es mit furchtloser Gleichgültigkeit zu wagen.

Als sie, um die Gesellschaftshalle zu vermeiden, an welcher vorüber sie den Park auf kürzerem Wege erreichen konnte, durch die Gallerie ging, in der sie am Morgen die entscheidensten Augenblicke ihres Lebens durchkämpft hatte, dachte sie noch ein Mal mit tiefer Wehmuth an Ormond, und als sie an die Stelle gekommen, wo sie die Ergießungen seines edlen Herzens empfangen, blieb sie einen Augenblick gefesselt stehen. Da hörte sie vom Park her deutlich nahende Schritte und bald mehrere Stimmen. Ihre Lage ward schrecklich, den Nahenden wurden Windlichter vorgetragen, und der Fensterbogen, in den sie treten konnte, war so groß und vom Monde erleuchtet, daß ihre schwarze Gestalt bei dem flüchtigen Blicke erkannt werden mußte. Wie durfte sie aber an diesem Aufblick nach diesem[152] Fensterbogen zweifeln, da sie unter mehreren Stimmen die des Lord Ormond erkannte, bei dem sie dasselbe Andenken an diesen Platz voraussetzen mußte. Doch blieb ihr keine Wahl, als dem Zufall zu vertrauen, und da die Nahenden sie jetzt erreicht hatten, drückte sie sich fest verhüllt in die Ecke des Fensters, mit starrer Erwartung des nächsten Augenblicks.

Die Herren hatten den morgenden Jagdzug geordnet und sprachen von ihren Pferden. Richmond ging mit einem der Herren voran, und als er rasch an dem Fenster vorüber streifte, sprach er: Nein, Sir Francis, wählet, welches von meinen Pferden Euch ansteht, dies Pferd gehört Lady Melville, und ich hoffe, sie wird uns begleiten. Indem strich Ormond vorüber, aber das Haupt auf die Brust gesenkt, schien die Erinnerung des hier Erlebten viel zu mächtig in ihm zu sein, um noch Sinn für ein äußeres Zeichen zu haben. – Sie waren vorüber, nur einzelne Streifen Licht glitten noch über den Boden hin. Maria entfloh nun, so schnell sie vermochte, ihrer Haft.

Die dunkeln Schatten des Parks waren erreicht. Sie näherte sich dem verabredeten Platze und hörte bald die leisen, im welken Laube rauschenden Schritte ihres Gefährten. Ein unbeschreibliches Entsetzen erschütterte sie, als er vor sie hintrat, sie zu begrüßen.

Seid Ihr bereit, Mylord? So eilt denn und führt mich den dornigen Pfad der Pflicht, und denkt, daß, wie ich hülflos auch scheinen möge, doch über mir Gott im Himmel wacht, wie über Euch er einst richten wird.

Eure Hülflosigkeit, theure Lady, ist eine eingebildete; im Gegentheil wird dies der erste Schritt zu der ausgezeichneten Stellung sein, wozu Euch Eure Geburt berechtigt. Der mächtige Buckingham und Euer edler Oheim werden siegreich hervorgehn aus allen ihnen von dieser stolzen Familie bereiteten Bedrängnissen, daran zweifelt nicht![153]

O schweigt, ich bitte Euch, von Triumphen, die mit dem Unglück meiner Wohlthäter erkauft sind! Wie könnt Ihr, ein Verwandter dieser edeln Familie, an ihr Unglück mit Gleichgültigkeit denken, da ich es selbst nicht vermag, selbst um den Preis nicht, den theuern Oheim gerettet zu sehn.

In Wahrheit, ich hätte nicht Vorwürfe erwartet, rief Membrocke, daß ich Eurem Interesse lebhafter zugethan bin, als dem meinigen; aber ich sehe ein, daß Lady Melville für alle Bewohner der Erde mehr Großmuth und Gerechtigkeit hat, als für mich selbst.

Es ist jetzt nicht der Augenblick, einen Wortstreit zu führen, erwiederte Maria ernst, und ich bin nicht in der Stimmung, mir eine richtige Erwägung der Zukunft zuzutrauen. Man findet für gut, sie in ein Dunkel zu hüllen, welches mich zu sehr der Willkür eines Einzelnen hingiebt, um mich ihm nicht schärfer beurtheilend gegenüber zu stellen, als unter gesicherten Verhältnissen der Fall sein würde. Ich will Euch meine Dankbarkeit aufheben, und sie soll nicht gering sein, wenn Ihr mich meinem natürlichen Schutze übergeben haben werdet. Laßt uns jetzt unsere Reise beeilen.

In einer kleinen Schlucht, die sie jetzt mit schnellen Schritten erreichten, fanden sie die Pferde und zwei gleichfalls berittene Diener. Schnell und sicher hob. sich Lady Maria in den Sattel, und die Kappe ihres Mantels tief über ihr Gesicht ziehend, überließ sie den Zügel Lord Membrocke, welcher ihr zur Seite ritt, während ein Diener den Zug anführte und der andere ihn beschloß.

So blieb Maria stumm in sich selbst verloren, nur des Einen sich bewußt, daß ein neues Leben für sie angegangen war, und daß ihre Jugend von nun an abgeschlossen hinter ihr lag.

Als der Tag anbrach, befanden sie sich bei einer einsam liegenden Meierei, wo Lord Membrocke eine Sänfte für Maria[154] bestellt hatte und sie nöthigte, einige Erfrischungen zu sich zu nehmen. Noch war es ihm nicht gelungen, sie in ein Gespräch zu ziehen, eben so wenig sagte ihm ihre ganze Haltung zu. Ruhig und gemäßigt waren ihre Antworten; sie ließen eben so wenig Vertraulichkeit, als Vorwürfe zu und hielten ihn beständig in der begrenzten Zurückhaltung eines Begleiters.

Die feuchte Nacht, die Kälte des Morgens und der angestrengte Ritt hatten indessen Maria eine kleine Erholung nöthig gemacht, und sie sah die Ankunft einer Sänfte nicht ungern, da sie ihr noch mehr Abgeschiedenheit zu sichern schien und ihrer großen Ermüdung zu Hülfe kam. Sie benutzte die Gelegenheit, dem Lord ihren Dank für seine sorgfältigen Reiseanstalten auszudrücken, da sie sich selbst zu einer milderen Stimmung für ihn zu bewegen wünschte.

Lord Membrocke war entzückt über diese sanfteren Worte, wie er sie noch nie aus ihrem Munde gehört, und leichtsinnig und thöricht glaubte er sich jetzt den Hoffnungen auf ihre Gunst überlassen zu können. Er verdoppelte seine Bemühungen, welche der traurige Zustand der Meierei wenig begünstigte. Zwar brannte ein hohes Torffeuer in dem weiten Kamine, der den Hausgenossen zugleich als Heerd diente, aber der Rauch schien keinen andern Weg zu kennen, als durch die morschen Fenster und Thüren der großen Halle selbst. Ein Haufen ärmlich gekleideter Kinder, ihre düster blickende Mutter und einige sehr wild aussehende Männer theilten diesen Raum mit den Reisenden und schienen in der Ueberzeugung, so vornehmen Leuten nichts zu ihrer Erquickung bieten zu können, auch gänzlich gleichgültig gegen ihre Erscheinung zu sein. Membrocke ließ indessen Alles herbeischaffen, was seine Reiseküche vermochte, er bereitete selbst Maria's Sitz am Heerde und trocknete mit Sorgfalt ihren feuchten Mantel. Er durfte ihr aber keine lange Rast gönnen, und Maria fürchtete selbst[155] eine Unterbrechung ihrer Reise zu sehr, um nicht sogleich bereit zu sein.

Sie bestieg nun ihre Sänfte, und Membrocke setzte sich an die Spitze des Zuges, welcher mit doppelter Eile vorwärts ging, und noch um zwei Diener vermehrt war.

Es war Maria aber nicht vergönnt, zu größerer Ruhe zu gelangen. Sie fühlte ein ungemein heftiges Brennen ihres Kopfes und ein so ängstliches Klopfen des Herzens, daß ihr Athem zu stocken begann. Die Ruhe ihres Geistes verwandelte sich in eine qualvolle Erregung von Angst und Furcht. Sie bebte bei jedem Geräusch zusammen und wünschte zuletzt nur noch, das neue ungekannte Uebel möchte sie erreichen, da sie das Härteste besser ertragen zu können glaubte, als diese Furcht, für die sie keinen Namen hatte. Es machte ihr daher keinen stärkeren Eindruck, als sie um die Mitte des Tages den nachfolgenden Diener herbei sprengen hörte, worauf sogleich Membrocke, nachdem er seinen Bericht angehört, den Zug zur größten Eile antrieb. Sie glaubte an den Bewegungen ihrer Sänfte errathen zu können, daß man Seitenwege einschlug, und zweifelte nun nicht länger, daß sie verfolgt würden. Doch wer verfolgte sie? dieser eine Gedanke löschte alle übrigen Betrachtungen aus. Sie wagte nicht, Membrocke zu fragen, der, wie sie hörte, unruhig hin und her sprengte. Auch blieb ihr wenig Zeit zu Schlüssen übrig, denn das wilde Heranjagen von Pferden überzeugte sie, daß sie eingeholt wären. Nach einigen Versuchen, die Eile zu verdoppeln, hielt plötzlich die Sänfte, von einem verworrenen Stimmengeräusch umgeben.

Halt! Halt! schrie eine wohlbekannte Stimme, und sogleich hörte sie Membrocke in einem heftigen Wortwechsel mit Lord Richmond und Ormond. Mit entsetzlicher Ruhe beantwortete Membrocke die Vorwürfe seiner Verfolger. Er fragte sie mit kaltem Hohne, welches Recht sie hätten, ihn und die Lady[156] zu verfolgen, und sie von ihm zurück zu fordern, da es ihm doch wohl ohne den Willen der Lady selbst nicht hätte gelingen können, sie zu entführen.

Haltet ein mit dieser Verläumdung, rief Richmond, außer sich; sie ist Euch nicht freiwillig gefolgt. Geraubt habt Ihr sie, mit Gewalt entführt, und ich fordere sie von Euch zurück im Namen der Herzogin von Nottingham, deren Haus Ihr durch solche That zu beschimpfen wagtet! Augenblicklich übergebt das Fräulein uns und steht uns dann Rede über die Beleidigung, die Ihr derselben anzuthun gewagt.

Ueberlaßt die Wahl dem Fräulein selbst, lachte Membrocke; sie mag bestimmen, wem sie folgen will; sie mag sagen, ob sie mir freiwillig gefolgt, oder ich sie entführt habe. Wahrlich, Mylords, wir ereifern uns sehr unnütz, da ein Wort aus dem Munde des schönen Fräuleins Euch besser aufklären wird, als meine eifrigsten Bemühungen, und glaubt mir, ich bin ganz bereit, Euch die Lady zu überlassen, wenn sie Euch nur folgen will!

Es lag eine Sicherheit in Membrockes Betragen, die Ormonds Herz mit den entsetzlichsten Zweifeln erschreckte, während sie Richmonds Zorn nur erhöhte.

Haltet ein mit Euern Schmähungen, rief er, Euer Mund kann die reinste Tugend nicht beschimpfen! Er stürzte zu der Sänfte hin und riß die Thür derselben auf.

Maria hatte jedes Wort der schrecklichen Unterhandlungen gehört und, empört über Membrockes boshafte Benutzung ihrer Lage, nur zu wohl erkannt, daß ihr keine Rettung von dem schmählichen Verdachte blieb. Als sie Richmond erblickte, glühend und außer sich, mit Seelenangst auf ihre Entscheidung harrend, da verließ sie ihre Besinnung, und ihre erste Bewegung war, sich aus der Sänfte zu stürzen.

Bleibt, Mylady, sagte Membrocke kalt, und beantwortet die Fragen dieser gestrengen Richter! Sagt, folgt Ihr mir aus[157] eignem Antriebe, habt Ihr mich zum Begleiter dieser Reise angenommen, oder habe ich Gewalt gebraucht und Euch entführt?

Entführt? wiederholte mit Abscheu Maria, nein! nein! Er entführt mich nicht, o eher den Tod!

Und doch, schrie Richmond, doch seid Ihr mit ihm! Nun seht Ihr wohl, lachte Membrocke, mit Gewalt erlangt man nichts über das stolze Kind.

Lady, sprach Richmond, indem er erblassend sich an den Schlag der Sänfte hielt, wie kamt Ihr in seine Gewalt? Nicht um meinetwillen frage ich, mir steht kein Recht zu; sondern um meiner Mutter willen, die um Euch trauert, wie um ihr eigenes Kind. Ich beschwöre Euch, antwortet mir, warum verließt Ihr uns, warum finde ich Euch in der Gewalt des Lord Membrocke? – Er schwieg, sichtlich erschöpft; seine abgebrochenen Reden, seine am Boden ruhenden Augen zeigten nur zu deutlich die tiefe Bewegung seiner Seele.

Maria fühlte jedes seiner rührenden Worte als eine neue Wunde ihrer Brust. Auf seine Achtung verzichten zu müssen, gegen ihn nicht die Rechtfertigung erwähnen zu dürfen, die ihr Andenken bei ihm rein von Schuld erhalten mußte, – sie glaubte diesen Gedanken in seiner ganzen Qual schon früher erschöpft zu haben; aber wie ganz anders war es jetzt, ihm gegenüber, von seinen rührenden Worten, von dem viel rührendern Ausdruck seiner Stimme und Mienen begleitet. Noch ein Mal fragte sie sich, ob es hier keinen Ausweg gebe, noch ein Mal seufzte sie nach Rettung; aber die Antwort, die ihr klarer gegenwärtiger Verstand ihr gab, blieb dieselbe. Alsbald kam ihr die Kraft zurück, die schon halb entschwunden geschienen.

Sagt Eurer ehrwürdigen Mutter, theurer Lord, sprach sie dumpf, aber fest, mein Leben würde ein Dankgebet bleiben für meine Wohlthäter; sagt ihr, ich verdiene noch immer den[158] Segen, den sie auf mein Haupt niedergelegt, noch ein Mal flehe ich sie an, ihn nicht zu widerrufen. Ein Mehreres habe ich zu meiner Rechtfertigung nicht. Ich bitte Euch, verzögert meine Reise nicht und überlaßt mich dem Schutze des Lord Membrocke.

Großer Gott! rief Richmond mit der höchsten Heftigkeit, wie schrecklich müßt Ihr betrogen sein, da Ihr so im Rechte zu sein glaubt! Wie können wir Euch verlassen, da wir hieran nicht zweifeln dürfen! Mylady, hier ist Lord Ormond; er genoß Euer Vertrauen; ich beschwöre Euch, laßt ihn die Umstände prüfen, die einen mindestens so auffallenden Schritt veranlaßten. Ormond, tretet näher; ich bitt' Euch, redet, bewegt das Fräulein, Euch zu vertrauen. Gewiß, Ihr werdet hintergangen; o, mißtrauet Eurer Jugend, Euerm Mangel an Erfahrung; Euer tugendhafter Muth, Euer offener Karakter haben Euch verlockt.

Ormond war zwar näher getreten, aber wie gelähmt von dem Vorgefallenen und ihren eben gehörten Erklärungen. Die Worte erstarben ihm; er hob nur seine Augen zu ihr auf, in denen der Vorwurf mit dem Schmerze um den Vorrang kämpfte.

Es ist genug, rief Maria, allen ihren Muth sammelnd, ich werde nicht betrogen; unläugbare Beweise haben die traurige Nothwendigkeit bestätigt, der ich mich jetzt unterwerfe. Ich muß schweigen, aber vielleicht würdigt mich noch Gott dereinst des einzigen von mir ersehnten Glückes, mich vor Euch gerechtfertigt zu sehen; ja, vielleicht ist es mir durch diesen mich niederbeugenden Schritt dereinst noch möglich, meinen theuern Wohlthätern nützlich zu werden. Laßt mich jetzt, Mylords, und richtet nicht, wenn es Euch möglich ist.

Ihr wollt fort von uns, stammelte Richmond, fort von Euern Freunden? Ihr verschmähet unsern Beistand, Maria, theure Maria?[159]

Die Unglückliche verhüllte ihr Gesicht, ihr Muth war dahin, ihre Sinne schwanden, sie hörte nichts mehr.

Es scheint mir, Mylord, daß ich Euch alle Geduld und Nachsicht bewiesen, auf die Ihr irgend Anspruch machen konntet, sprach endlich Membrocke. Ich fordere jetzt, daß Ihr zurücktretet und die Lady ihrer freien Wahl überlaßt, die, wie Ihr gesehen, zu meinen, nicht zu Euern Gunsten ausfiel.

Noch immer ruhten Richmonds Augen auf Maria, die mit verhülltem Gesicht auf ihren Knien in der Sänfte lag und kein Zeichen des Lebens gab, das, den Andern unbewußt, von ihr gewichen war.

Ormond ergriff, von Richmonds Zustand gerührt, seinen Arm und zog ihn zurück, wohl einsehend, daß ihre Macht vorläufig hier nicht ausreiche, doch fest entschlossen, Membrocke nicht aus den Augen zu verlieren.

Membrocke benutzte dies, verschloß die Sänfte und setzte den ganzen Zug in rasche Bewegung.

Als sie dahin zogen und kein Zeichen des Widerstandes in der Sänfte noch eine Hoffnung übrig ließ, stürzte Richmond an Ormonds leidende Brust, und Beide hielten sich im Bewußtsein eines großen Schmerzes fest umschlungen. – Wir müssen Beide jedoch sich selbst überlassen und der unglücklichen Maria folgen, die wir mehrere Tage später in einer völlig veränderten Lage wieder finden. Lord Membrocke nämlich, nachdem er sie bis dahin mit leidlicher Haltung geführt hatte, übergab sie eines Morgens beim Aufbruch zur weiteren Fortsetzung der Reise einem andern Begleiter, der angeblich auf einige Zeit ihre Reise leiten würde, da es ihm jetzt obliege, voran zu eilen, um ihren Oheim von ihrer nahen Ankunft zu unterrichten.

Alles, was Lady Maria von der Gegenwart des Lord Membrocke befreite, schien ihr glaublich und annehmbar. Sie fügte sich daher ohne Gegenrede in diese Anordnung und[160] trennte sich mit erleichtertem Herzen nach kurzem höflichen Abschiede. Ihrem Oheim durch diesen Mund den Gruß ihrer Liebe voran zu schicken, konnte sie sich nicht überwinden.

Der Tag, an dem wir uns ihr wieder zugesellen, war einer der angestrengtesten der ganzen Reise. Die anbrechende Nacht verhüllte von Außen die Gegenstände und gestattete keine Wahrnehmungen mehr über den Weg, den Lady Maria in ihrer kleinen Sänfte zu verfolgen hatte. Die unwillkürliche Zerstreuung, die der Tag ihr gewährte, hörte hiermit auf, und zurück gedrängt in ihren Sitz, ward sie aufs Neue von allen Bedenklichkeiten über ihre Lage ergriffen.

So sehr sie sich durch die Entfernung des Lord Membrocke erleichtert fühlte, konnte sie doch daraus keinen beruhigenden Schluß ziehn. Aufs Neue entzog sie ihm vielmehr ihr mühsam geschenktes Vertrauen, um zu erforschen, ob sie endlich doch von ihm betrogen worden sei. Aber was ward dann aus dem Briefe des Oheims, denn sie nicht bezweifeln konnte? Warum überließ er sie ohne Widerstand jetzt einer andern Obhut; was konnte ihm eine Entführung aus dem Schlosse ihrer Beschützer nützen, wenn er sich nicht dadurch seine Gewalt über sie sichern wollte? Und in welcher Gewalt war sie jetzt? Setzte sie ihre Reise nach Lord Membrockes Bestimmung fort, sollte sie dennoch ihren Oheim erreichen, oder war noch irgend ein ihr unbekanntes Interesse für ihre Person, das jetzt über ihr waltete? Oft erschreckte sie der Gedanke, jener wilde Lord, welcher sie zwang, aus dem Schlosse ihrer Tante zu entfliehen, könne jetzt über sie gebieten; aber wie wenig stimmte dafür die Art ihrer Behandlung, wie wenig paßte das Wesen des Mannes, der ihr Reisegefährte war, zu den bösen Absichten, die sie dann hätte fürchten müssen.

Der Fremde, der sie begleitete, hatte allmälig ihre Achtung und ihr Vertrauen gewonnen.. Obwol er erst im mittleren[161] Alter stand, war dennoch der Ausdruck seines Gesichts von einem tiefen schwermüthigen Ernst, und seine scharfen edeln Züge wurden durch die Blässe seiner Farbe noch erhöht. Er lächelte nie, aber sein Ernst war mit so viel Milde gepaart, sein Organ so wohltönend, daß eine mehr hervortretende Freundlichkeit nicht vermißt ward. Er war weit davon entfernt, gegen Lady Maria die Dienstbeflissenheit eines galanten Mannes anzunehmen. Ruhig nahm er wahr, was ihr nöthig oder angenehm sein konnte, und er ertheilte darnach seine Befehle, ohne jemals selbst sich einer Dienstleistung zu unterziehen. Ihre Anfangs dringenden Aufforderungen, sich über seine Absichten und Vollmachten zu erklären, und ihr zu sagen, ob sie noch das frühere Ziel ihrer Reise erreichen werde, wußte er ganz von sich abzulehnen, indem er mit der höchsten Milde immer aufs Neue wiederholte, daß sie ohne Furcht und Sorge seiner Führung vertrauen könne, daß keine Art von Widerwärtigkeit sie treffen solle, so lange sie unter seinem Schutze sei, und daß ihr wahres Wohl bei dem Ziel ihrer Reise jetzt mehr bedacht werde, als früher. Dabei nöthigte er sie aber, ohne Unterbrechung dieselbe fortzusetzen, und ihre Nachtlager waren nicht mehr in wohl eingerichteten Schlössern, sondern in Schlupfwinkeln und Ruinen oder unscheinbaren Hütten, die bei ihrem ersten Anblick wenig Aussicht aus eine menschliche Wohnung gaben. Hier fanden sich Personen, welche so wenig zu ihren Umgebungen zu gehören schienen, daß Maria's edles Zartgefühl erschrak, als sie dieselben zu den niedrigen Diensten ihrer Aufwartung sich herablassen sah. Sie hörte hier auf den hölzernen Sitzen, bei mühsam verstopften Thüren und Fenstern, und einem elenden Gericht von grobem Mehl, die hohen würdevollen Reden der gebildeten Welt und bemerkte eine Vertrautheit mit allen Formen dieser höhern Kreise, verbunden mit einer stoischen Verachtung der daran haftenden Eitelkeit. Wenn auch häufig in[162] gleichem Maaße die tiefste Bitterkeit dabei hervortrat, erfüllte doch das Elend, wozu so gebildete Geister verdammt waren, das Herz Maria's mit Theilnahme, welche sie zur Verzeihung, ja, zur Vertheidigung jeder dadurch erzeugten Härte stimmte. Sie ahnete bald, daß sie allein unter Personen sich befand, welche der verfolgten katholischen Kirche angehörten, die geneigter waren, im Vaterlande zu darben, als in andern Ländern geduldete Flüchtlinge zu sein. Auch schienen ihr die kolossalen Ruinen, in denen sie zu verschiedenen Malen einen mühsam geschützten Wohnort finde, trotz der Nacht, die sie hinführte und oft wieder vor dem Morgen davon wegrief, den zerstörten Klöstern anzugehören, wovon sie in der Geschichte von der Ausrottung der katholischen Religion in England so viel gehört hatte.

Ihr Zartgefühl und die Achtung für ihren schwermüthigen Gefährten hielt sie ab, sich darüber Gewißheit zu verschaffen; ja, sie fühlte bald ihr eigenes Herz so von Theilnahme für diese Märtyrer erfüllt, daß sie nur der eigenen Achtung für sie genügte, wenn sie in ein ehrendes Schweigen alle weitern Ansprüche auf Erläuterungen begrub und damit das Vertrauen vergalt, das man ihr bei ihrem jedesmaligen Empfange bezeigte.

Sie zweifelte eben so wenig, daß ihr Begleiter, seiner Gesinnung nach, zu jenen Unglücklichen gehöre, und sein Reisegewand, obwohl es keine bestimmte Form der Kleidung erkennen ließ, erinnerte sie doch, ebenso wie sein kahles Haupt, an das Kostüm der Priester jener Kirche. Auch ward ihre Reise durch sehr unbesuchte Wege fortgesetzt, und es schien ihr ebenso sehr das Bestreben ihres Begleiters, sich und sein Gefolge wie sie selbst zu verbergen. Außerdem suchte er, während des Tages an dem Schlage ihrer Sänfte reitend, sie zu unterhalten, und dies auf eine so ausgezeichnete Art, daß der Lady oft die Stunden im Fluge vorüber gingen. Auch wußte er sie selbst zu[163] Mittheilungen zu veranlassen, und bekannt mit allen Personen von Bedeutung, die in die Zeit seines Lebens gehörten, beantwortete er alle ihre Fragen auf das Genügendste und mit mancher feinen Gegenbemerkung.

Hauptsächlich lenkte er oft seine Unterredungen auf religiöse Gegenstände und entwarf die erschütterndsten Gemälde von den Leiden und Unterdrückungen, welche die Katholiken in England von der Härte und Unduldsamkeit der Protestanten zu erleiden hatten.

Er wußte die Verfolgten zu Helden ihrer Ueberzeugung zu machen, und die Stärke und Fülle des Trostes hervorzuheben, der ihnen aus ihrem Glauben erwachse; wogegen er mit einzelnen scharfen Zügen die Gegenpartei schilderte, als in einer von Gott verlassenen ruchlosen Verdorbenheit versunken.

Diese Erzählungen rührten um so mehr das Herz der Zuhörerin, da sie in ihrer eigenthümlichen Zusammenstellung den Stempel der Wahrheit trugen. Auch konnte es an Stoff hierzu nicht leicht fehlen, bei der noch frischen Erinnerung an die wirklichen Greuel der Verfolgung, die unter Elisabeth den vom Volke gehaßten Glauben vertilgen sollten. Auch Jakob war noch zu manchen ähnlichen Verordnungen durch die öffentliche Meinung gezwungen worden, wenn auch er, obwol selbst eifriger Protestant, Toleranz gern übte. Eigentliche Verfolgungen wurden gewiß von ihm weder gebilligt, noch veranlaßt, aber dennoch zu wenig gehindert, um nicht zu den traurigsten Bedrückungen Gelegenheit zu lassen.

Maria fand sich bei diesen Unterredungen auf keinem fremden Boden; ihre Erzieher hatten die höchste Toleranz in religiösen Beziehungen gepredigt, und sie kannte sehr wohl den verschiedenen Standpunkt des Religionswesens unter den Regierungen seit Heinrich dem Achten. Sie so vorbereitet und klar zu finden, erregte offenbar die besondere Aufmerksamkeit[164] ihres Begleiters, und seinen geschickten Bemerkungen that sich bald die ahnungslose Seele seiner jungen Gefährtin zu einer unbefangenen Erzählung ihrer Erziehung und einer begeisterten Schilderung ihrer Erzieher auf; wodurch ihm mancher unerwartete Aufschluß über die geheimsten Religionsansichten der wichtigen Person kam, die das Fräulein als ihren Oheim bezeichnete.

Der Weg, den die Reisenden an dem vorliegenden Abend zurücklegten, war so verdorben und uneben, daß ihr Begleiter sich voraus begeben hatte, um die Gefahren zu untersuchen, die dem Transport einer Sänfte bevorstehen konnten. Langsam nur zogen die müden Thiere über den immer ungleicher werdenden Boden. An Maria's Ohr drangen von Zeit zu Zeit dumpfe Töne, die sie zwar bei dem Fortbewegen des Zuges, dem Anrufen der Pferde und Diener untereinander, nicht verfolgen konnte, die ihr aber zu wohlbekannte Jugenderinnerungen wiedergaben, um sie nicht endlich zu überzeugen, daß sie in die Nähe der Küste gekommen, und daß es das Meer sei, das sein majestätisches Wellengeräusch zu ihr herüber trug. Diese Ueberzeugung versetzte sie in eine unbeschreibliche Aufregung. Es schien ihr gewiß, daß sich jetzt ihre nächste Zukunft entscheiden mußte. An die Küste hatte man sie geführt und also Wort gehalten, denn hier durfte sie auch ihren Oheim erwarten. Dies geliebte Bild trat mit einem Male, mit dem ganzen Zauber kindlicher Liebe ausgestattet, vor ihre Seele und unterdrückte darin jedes andere Bild, jede andere Beziehung zum Leben. Mit Enthusiasmus ward sie sich der süßen Pflicht bewußt, für ihn zu leben und sein Schicksal mit ihm zu theilen. Indem sie in dem kleinen Raum der Sänfte niederkniete, stieg ein Gebet aus ihrer Seele, welches Gott Dank sagte für den heiligen Beruf, den er ihr verliehen, und worin sie ihn anflehte, ihre Seele zu kräftigen, um Alles zu vollenden zu seiner Ehre.[165]

Sehr überrascht war daher ihr Begleiter, als er den Zug ausruhen ließ und, zur Sänfte mit einer Fackel zurückkehrend, die Lady ohne alle Spuren der Ermüdung fand, und mit so leuchtenden Augen, mit so heiterer Stirn, in so fester Stellung überhaupt, daß die Worte der Theilnahme, die in Bezug auf die Beschwerden des Weges ihm auf den Lippen schwebten, erstarben und er, von Erstaunen überwältigt, eine Frage nach der Ursache wagte.

Denkt Ihr, Sir, antwortete ihm entzückt lächelnd das schöne Mädchen, ich höre die Stimme des Meeres nicht? Es hat mich in der Wiege zur Ruhe gesungen, es war der Takt zu meinen Jugendträumen; wo ich es höre, scheint mir die Heimath! Verwandte, Glück und Sicherheit ahne ich, wo ich seinen Gruß vernehme, und mit der Zuversicht, die ich jetzt empfinde, will ich Euch danken, ehrwürdiger Mann, daß Ihr Wort hieltet, daß Ihr mich mit rastloser Güte und Großmuth beschütztet und mich jetzt meinem großen Beruf entgegen führt. O sagt offen, wann werde ich zu ihm gelangen? Ist er mir schon nah? Werde ich bald seinen Segen empfangen?

Wer den Gang ihrer Gedanken so wohl zu erforschen gewußt, wie ihr Begleiter, konnte nicht lange mißverstehen, was sie jetzt bewegte, und sein augenblickliches Erstaunen wich einem sehr milden Gefühl von Theilnahme und Wehmuth, welches in sich wahrzunehmen, ihn vielleicht selbst überraschte.

Er mußte unwillkürlich daran denken, wozu die Natur sie berufen habe, und wozu der Wille der Menschen sie jetzt bestimme, und er sah trübe zu Boden, als der fragende Blick aus diesen klaren Augen seine Antwort ihm abzufordern trachtete.

Habt Geduld, liebe Lady! sagte er mit verlegenem Ausdruck, Ihr habt recht gerathen, wenn Ihr am Ziel Eurer Reise Euch glaubt. Das Fernere werdet Ihr dort durch Andere, als[166] mich, hören; mir selbst ist nicht bekannt, ob Euern Hoffnungen die Erfüllung nah oder fern liegt.

Nun so laßt uns weiter reisen, rief das Fräulein, damit mir endlich Sicherheit werde, und ich handeln darf, oder erfahren, wer für mich so uneingeschränkt zu handeln strebt; mein Geist sehnt sich hinaus, ich fühle Kräfte und den Willen, sie meiner Pflicht zu weihn.

Die schnell gegebenen Befehle zur Fortsetzung der Reise unterbrachen diese kurze Unterredung, und bald erreichte der Zug einen Weg, der geebneter schien und, jetzt durch das Hervorbrechen des Mondes sicher erhellt, keine weitern Schwierigkeiten darbot.

Alsbald durchzog man noch ein kleines Waldgehege von dürftigem Fichtenholze, und unmittelbar dahinter erkannte die scharf aufmerkende Reisende das Felsenufer des Meeres und die oberen Dächer und Thurmspitzen eines Bauwerks, welches, zwischen die Felsspalten hineingedrängt, unterhalb den Blicken noch entzogen war.

Maria drückte die bebende Hand auf ihr Herz. Sie schien sich zu entsetzen bei diesem Anblick, der sie mit der Ahnung einer großen Lebensentscheidung erfaßte. Aber tief blau ruhte jetzt der aufgehellte Himmel über den weißen Kreidefelsen, und unzählige freundliche Sterne blickten mit ihren wohlbekannten Namen und Bildern wie alte Bekannte. Ein süßer Trost zog in ihr bewegtes Herz, und als sie gerade über der höchsten Thurmspitze das Zeichen des Himmelswagens stehn sah, der so auch über den Zinnen von Burtonhall und dem Waldschlosse der Tante stand, lächelte sie, wie Kinder, die geliebte Spielkameraden wieder sehn.

Es zeigte sich jetzt bei dem Einzug in die felsigen Küstenschluchten ein bequemer Weg, der fast unmerklich ansteigend bis zum Schlosse fort lief, welches nun auf einer Plattform[167] großartig und geräumig sichtbar ward. Auf der einen Seite mit seinem Unterbau in das Meer reichend, von der andern Seite genugsam von dem Felsen entfernt, um eine freie Stellung und einige Anlagen von Gärten zu erlauben, die, so gut es die Rauheit der Küste zuließ, Versuche der Kultur zu beabsichtigen schienen, hatte das Ganze ein wohlerhaltenes und festes Ansehn. Für Lady Maria, welche an die rauhe Lage solcher Besitzungen gewöhnt war, zeigte sich darin nichts Abschreckendes. Im Gegentheil schweifte ihr Auge mit Entzücken über das Schloß hinweg, nach dem dunkeln Spiegel des Meeres, das in majestätischer Ruhe, nur seinen eigenen ebenmäßigen Bewegungen gehorchend, wie erzürnt von dem Widerstand der kreidigen Ufer, seine dumpfe, gebieterische Stimme vernehmen ließ.

O Du lieber Gefährte meines Lebens, seufzte sie sehnsuchtsvoll, stehe mir bei und sei mein Schutz!

Da ward ihr der liebe Anblick entrückt; die Sänfte lenkte ein, und bald erreichten die Reisenden ein wohl verschlossenes Brückenthor, vor dem man anhielt, und das sich erst dem ziemlich oft wiederholten Schalle des Hornes öffnete, welches einer der Diener ertönen ließ.

Alsbald thaten sich die mächtigen Thorflügel der innern hohen und festen steinernen Mauer auf, welche von dem Flügel des Schlosses aus einen weitläuftigen, regelmäßigen Hof umschloß, der in sehr gefälliger Eintheilung mit Taxus-Hecken und geschnittenen Bäumen der leicht durchwinternden Cypressen zu Spaziergängen und Ruheplätzen im Freien bestimmt schien. Um den Theil aber, der sich unterhalb des Schlosses befand, führte ein in offene Bogen eingetheilter Gang, der als eine spätere Anlage sehr zierlich und wohlerhalten zugleich in der Mitte das große Eingangs-Portal zeigte, dem sich jetzt die Reisenden auf einem ringsumlaufenden gepflasterten Wege nahten.[168]

Der Begleiter der Lady, der von einigen Dienern bis hierher geleitet war, hob die Lady aus der Sänfte und führte sie schweigend in die wohlerleuchtete große Halle ein, die nach allen Seiten Thüren und zwei Haupttreppen zeigte, und die Verbindung des ganzen Hauses zu enthalten schien. Hier empfing sie ein alter gebeugter Diener in zierlicher einfacher Kleidung, der sich vor Maria's Gefährten bis zur Erde beugte und seine Hand zu küssen strebte, welches dieser aber zu verhindern wußte. Dann warf er einen schnellen Seitenblick auf die Lady und blieb verlegen stehn.

Nun, Miklas, sprach der Begleiter, wie steht es mit unserem Empfange? Willst Du für die Lady auf das Beste sorgen?

Miklas aber schwieg und zuckte die Achseln, dann hob er italienisch an, in der Hoffnung, dadurch seine Antwort der Lady zu entziehn: Ihr seid noch nicht so weit, wie Ihr hofft, sie weigern sich, die Signora zu empfangen, ihr Obdach zu geben. Ihr müßt das erst bewirken, ehrwürdiger Herr, denn Ihro Gnaden sind mehr erzürnt, als willfährig zu nennen.

Genug, genug! erwiederte der Andere, welcher wohl wußte, daß Maria den alten verstanden hatte; führt die Lady in ein Zimmer und mich zu Eurer Gebieterin! Seid gewiß, Lady, fuhr er zu Maria gewendet fort, daß ich auch jetzt treulich für Euch sorgen werde.

Der Alte führte die Lady unterdessen gegen eine der Thüren des Untergeschosses, und indem er sie öffnete, rief er laut hinein: Margarith, empfange diese Dame!

Maria trat in ein kleines gewölbtes Gemach, dessen hohes Fenster fast bis zur Erde reichte und nach dem hell vom Monde beleuchteten Bogengange des Hofes hinaus ging, und das in seiner übrigen Ausstattung, wenn auch reinlich und anständig, doch das Zimmer eines Hausvogtes zu sein schien, wofür sie den Alten sogleich gehalten hatte.[169]

Mit allen Zeichen der Verlegenheit und der Ueberraschung sprang ein junges Mädchen aus der Fensternische ihr entgegen, die gleichfalls wohlhabend, aber in die Tracht geringerer Stände gekleidet war. Dicht vor der Lady stehend, konnte sie die Augen nach einem flüchtigen Blick nicht wieder erheben, und begann ein verzweifeltes Spiel der Hände mit ihren silbernen Brustlatzketten.

Maria vergaß, dem schönen, verlegenen Kinde gegenüber, sogleich Alles, was sie selbst in diesem Augenblick bewegte, und mit der ganzen holden Freundlichkeit ihres für jeden Bedrängten stets offenen Herzens, ergriff sie das verlegene Mädchen bei der sich sträubenden Hand und redete ihr zu: Sei nicht bange, mein Engel, Du sollst in mir keinen unfreundlichen Gast haben; gewiß, fuhr sie fort, bist Du des Hauswarts Tochter, und hast wol noch mehr Geschwister oder eine liebe Mutter, die Du mir wol rufen kannst? Laß doch Deine Angst, sieh, ich setze mich selbst, da Du versäumst, mich zu nöthigen; doch laß nur Deine Unruhe, dann wollen wir uns noch viel erzählen, bis der Vater mich abruft.

Ein tiefer Seufzer stieg hier aus dem Busen der Geängstigten; sie blickte auf und dann schnell nach dem Fenster zurück. Es war eine so auffallende Qual auf ihrem Gesichte wahrzunehmen, daß Lady Maria sie vorerst aufgab und sich ohne Weiteres fast dicht bei der Thür auf einen ledernen Stuhl niederließ, um ihrer jungen Gefährtin Zeit zur Besinnung zu lassen. Aber es schien, als ob dies kleine Räthsel damit sich nicht beruhigen könnte. Denn anstatt sich zurück zu ziehen, stand sie noch immer vor Maria, und während sie oft sich nach dem Fenster umsah, schien sie darauf ihre Stellung vor der Lady abzuändern, daß sie den Anblick desselben ihr entzöge.

Endlich brach sie in Thränen aus und lief mit der Schürze vor den Augen zum Fenster zurück.[170]

Als Maria sie ein Weilchen hatte weinen hören, gewann ihr Mitleiden über ernstere Betrachtungen die Oberhand.

Es ist mir leid, daß ich Dich so betrübe, liebes Kind, hob sie sanft an; kann ich auch den Grund nicht errathen, will ich Dich doch gern erleichtern, wenn Du mir nur einen andern Platz zeigen willst, wo ich der Rückkehr meines Begleiters warten kann.

Das Schluchzen hörte auf, mit leisen Schritten nahte sich das Mädchen. Ach! sprach ein tief betrübtes Stimmchen, theure Lady, was müßt Ihr von mir denken; ach, ich Unglückliche, wie habe ich Euch so schlecht behandelt. Indem fuhr sie erschrocken zusammen und schaute nach dem Fenster um, an dem Lady Maria ein leises Klirren gehört, wodurch aber die Angst des Mädchens sich wieder aufs Höchste zu steigern schien. Nein, Lady, brach sie endlich mit gejagter Stimme los, hier könnt Ihr nicht bleiben, es ist hier – kalt, es ist hier so unwürdig für vornehme Leute, ich werde Euch hinführen, wo es besser ist.

Wie Du willst, mein Kind, sagte Maria sanft und stand sogleich auf, der Kleinen folgend, die nun zur selben Thür hinaus, fast fliegend vor ihr her in einen Eingang trat, der einen erleuchteten Gang verschloß, an dessen Seite sie eine hohe Thür öffnete, die Lady einzutreten nöthigte und dann eben so schnell davon lief, als sie vorangeeilt war.

Maria sah sich jetzt in einem ziemlich langen, aber nicht breiten Gemache, welches an der einen Seite der Länge nach vier hohe Fenster zeigte, die so in der Mauer verloren waren, daß sie schmale Kabinette bildeten. Das Zimmer war gewölbt und mit reicher Architektur versehen. Vom Gebälk hing eine große, schön gearbeitete Lampe herab und verbreitete über die nächsten Gegenstände ein klares Licht. Zwei lange Tafeln standen in einiger Entfernung von einander, um den ledernen daran geschobenen Sitzen Raum zu lassen. Die Tische waren[171] mit feinen weißen Tüchern bedeckt, und in schicklichen Zwischenräumen mit leeren silbernen Geräthschaften zum Gebrauch der Tafel bestellt.

Am obern Ende, wo die Tafeln zusammen liefen, stand ein hoher Lehnstuhl von Eichenholz, der, ein wenig erhöht, fast einem kleinen Thron ähnlich sah. Ein rothes Sammetkissen lag auf dem Sitze und zu den Füßen, und davor stand ein kleines Tischchen, ebenfalls mit Tafel-Geräthen besetzt.

Lady Maria konnte daher nicht zweifelhaft sein, daß sie sich in dem Eßzimmer des Hauses befand, und zählte zwölf Lehnstühle, woraus sie auf die Zahl der täglichen Hausgenossen schloß, und den übrig bleibenden Patz an den Tafeln auf öftern größeren Zuspruch beziehen konnte.

Sie ging am Ende des Saales einer Fensternische zu, in der sie ermüdet auf einen Sitz niedersank und von hier aus noch ein Mal den Raum überblickte. Ach, dachte ihr kindliches Herz mit Zärtlichkeit, ist dies auch Dein Wohnort, geliebter Mann, den ich vergeblich zu erreichen strebe? Ist an dieser Tafel Dein Platz, und in welcher Beziehung lebst Du hier? Von da hinweg fiel jetzt ihr Blick gegenüber auf eine sonderbare Einrichtung. In dem ganz steinernen Zimmer sah sie am Ende des Saales, dem erhöhten Platze gegenüber, eine Wand von geschnittenem Eichenholz, noch ein Mal so hoch und breit, als die Eingangsthür, aber für einen solchen Zweck gewiß nicht bestimmt; denn es war eine flache Wand, vor der eine kleine Treppe vom selben Holze bis zur Hälfte des Ganzen in die Höhe lief. Oben bildete sie einen Absatz, der einen Balkon mit einer Brustlehne hatte, und darüber hing eine silberne Lampe, welche nicht brannte.

So sonderbar diese Einrichtung war, konnte sie die junge Lady doch nur vorüber gehend fesseln; denn das Fenster, woran sie ruhte, ging nach der Seite des Meeres hinaus. Die[172] tiefen regelmäßigen Töne, womit dieses sich am Fuße des Schlosses brach, drangen zu ihr hinauf und zogen ihre Blicke nach. Der Mond leuchtete hell, und Maria sah nun, wie schön das Schloß in einer Art Bucht gelegen war, an beiden Seiten von vorspringenden Felsufern gegen das Ungestüm des Meeres geschützt. Unter den Fenstern, fast dicht daran grenzend, lief eine Terrasse, die von vergeblichen Versuchen zeugte, den Stürmen des Ozeans gegenüber dem Boden etwas Vegetation zu entlocken. Ach, welche weit abziehenden Erinnerungen traten damit vor ihren Geist! Wie gedachte sie der Kindheit, wo sie selbst als eifrige Blumistin so unermüdlich mit den rauhen Elementen ihres Wohnorts gekämpft hatte, ihm einige Blüthen zu erziehen. Voll Theilnahme blickte sie nieder, um zu prüfen, wie weit man hier damit gelangt sei, und so von Bild zu Bild geführt, versank sie in ein tiefes Sinnen über die wunderbare Gestaltung ihres Lebens. Das erste Bedürfniß zarter Jugend, sich vertrauend anzuschließen und die zweifelhaften Schritte ins Leben nach der gereiften Ansicht schützender Freunde lenken zu können, dies mußte sie in den schwierigsten Augenblicken ihres Lebens entbehren, und ihren eigenen Geist aufrufen, ihr Stütze und Hülfe zu sein.

Wenn sie einen Blick auf ihre Erziehung warf, mußte sie oft glauben, ihre Erzieher hätten ein solches Schicksal für sie geahnet, da sie mit besonderer Sorgfalt sie über das Leben aufzuklären bemüht gewesen waren, und ihren Geist auf Selbstständigkeit und eigene Erkennung der Wahrheit gerichtet hatten. Ach, und doch wie wenig mochten sie ihr Schicksal voraus gesehen haben. Wie war sie aus dem Kreise gerissen worden, in dem sie so sicher sie geborgen glaubten! Wie mußte sie sich sagen, daß die Umstände hier alle Berechnungen vernichtet hatten, weil sonst ihre Lage nicht so bis auf das Letzte hilflos hätte sein können. – Mit ihrer innern Freiheit des Geistes[173] hatten sie ihr Hülfsmittel für das Leben geben wollen, aber alle andern Mittel, sich ehrenvoll zu behaupten, waren ihr durch dieselbe Liebe entzogen.

Der Name, den sie beibehielt, er sogar war ihr in Zweifel gestellt. Sie durfte es nicht wagen, sich irgend Jemandem verwandt zu nennen, ohne auf schlecht verhehlte Bedenklichkeiten zu stoßen, und oft hätte sie die Stirn berühren mögen und sich fragen, ob ihre ganze Jugend ein spurlos verschwundener Traum gewesen, oder ob jetzt sie ein solcher Zustand quäle, aus dem sie vergeblich zu erwachen strebe.

Das erste Zeichen, das sie in der fremden Welt, in die sie so jäh gestoßen war, aus jener frühern erhielt, wie ward es ihr zu Theil, und wo führte sie es hin? Konnte sie übersehen, daß sie unermeßlich viel gewagt, dem Manne zu folgen, der damit begann, sich frech ihr zu nähern? Konnte sie sich jetzt geborgen halten, da der Empfang in diesen Mauern so gar kein Zeichen der Theilnahme zeigte, deren sie doch gewiß sein mußte, im Fall ihr Oheim sie hier erwartete? und wo Schutz hoffen und suchen, wenn sie verrathen war? Hier erfüllte sich ihr unschuldiges Herz mit einem tiefen Schmerze, es war das Andenken an ihre großmüthigen Wohlthäter auf Godwie-Castle, welche für sie verloren waren. Sie waren für sie verloren; ihre strenge Tugend eben schied sie auf immer.

Heiße Thränen drängten sich dieser Ueberzeugung nach, und in ihnen tauchte das Bild des edlen Richmond auf, wie er flehend an ihrer Sänfte stand und sie zurückzuführen strebte. Ach, es trat aus diesen letzten Augenblicken ein unvergeßlicher Ton seiner Stimme in ihre Erinnerung, ein Blick seiner seelenvollen Augen. Wenn sie, in heiliger Einsamkeit mit sich, ihn jungfräulich schüchtern herauf zu rufen wagte, dann öffneten sich die Pforten ihres Herzens, von seiner sel'gen Fülle aufgesprengt, und ihr ganzes Wesen blieb lauschend stehen und horchte[174] den Wundern, die einen magischen Kreis, sanft betäubend, um sie zogen. Sie verhüllte schüchtern ihr Haupt. Denn eben ungerufen kam der süße Zauber, und trocknete die bittern Thränen und ließ das tief betrübte Herz erquickt zurück, aufs Neue mit sanften Hoffnungen und jugendlichem Vertrauen ausgeschmückt.

Ein leichter Fußtritt in der Nähe ließ sie schließen, daß sie nicht mehr allein sei. Sie zog den Mantel zurück und erblickte nun eine ältliche Frau, welche sich aus einem anderen Theile des Zimmers der Eingangsthüre nahte und dieselbe sorgfältig mit einem Riegel verschloß. Sodann zündete sie mehrere an den Wänden hängende Lampen an, doch nur auf der Wand, die den Fenstern gegenüber, und ehe Maria, die so eben sich erheben wollte, um sich ihr kund zu geben, dazu gelangen konnte, rollte sie den hohen Lehnstuhl bei Seite und zog einen Teppich weg, worunter sich eine Fallthür zeigte, die sie mit großer Schnelligkeit öffnete und so von einander schlug, daß sie zwei Lehnen bildete, woran sie sichern Schrittes mit ihrer Leuchte in die Tiefe stieg.

Maria fühlte sogleich, daß sie hier der ungeahnte Zeuge eines Geheimnisses gewesen, und unangenehm davon bewegt, schwankte sie, ob sie sogleich das Zimmer verlassen oder die Rückkehr der Frau erwarten solle.

Sie entschied sich für das Letztere, da die verriegelte Thür ihr den Wunsch anzeigte, von Außen jede Störung zu verhüten, und sie nicht berechnen konnte, welch größeres Unheil sie anrichte, wenn sie durch ihre Entfernung diesen Eingang unbeschützt ließe. Die Fremde erhielt das Fräulein lange in unerfülltem Harren, und bald drängte sich ihrem Geiste eine Möglichkeit auf, dies Ereigniß mit demjenigen in Verbindung zu denken, den sie überall anzutreffen hoffte. Aber wie schauderte sie bei dem Gedanken, daß unter der Erde seine Wohnung[175] sei; welch ein Loos mußte ihm dann gefallen sein, wenn seine Gegenwart in solch strenges Geheimniß gehüllt ward.

Sie behielt nicht lange Zeit zu Vermuthungen, denn durch ein Geräusch wurden ihre Blicke der eichenen Wand zugerichtet, an der sich außerhalb Schlösser zu rühren schienen. Plötzlich thaten sich vor ihren erstaunten Blicken oberhalb der kleinen Treppe die eichenen Wände auseinander, und zeigten eine kleine Thür, welche die Einsicht nach einem hell erleuchteten niedrig gewölbten Gange zuließ.

In dem alten Manne, der hier hervortrat, erkannte Lady Maria den Hausvogt, der sie empfangen hatte, und der damit beschäftigt, den Eingang durch das Ineinanderschieben der Holzwände zu erweitern, jetzt wieder in demselben Augenblicke verschwand, als sie ihn anrufen wollte. Dennoch blieb sie entschlossen, sich um jeden Preis aus der unfreiwilligen Lage einer Lauscherin zu ziehen. Eben erhob sie sich, um dem alten Manne nachzugehen, als sich ihr ein so überraschender Anblick darbot, daß sie von Erstaunen gefesselt in ihren Fenstersitz zurücksank, der sie, in tiefe Schatten gehüllt, jedem Blicke entzog.

Es zeigten sich nämlich plötzlich in dem kleinen Eingange der Treppenthür zwei Knaben in Chorhemden mit reich gesticktem Skapulier, welche, lange Wachskerzen tragend, die kleine Treppe hinab in den Saal schritten.

Ihnen folgte eine große hagere Frau, welche, in der Kleidung einer Ursuliner-Nonne, mit dem Rosenkranze in der Hand, von einem Geistlichen in der Tracht des Ordens Jesu beim Niedersteigen unterstützt ward. Als er den Saal erreicht hatte und dem hellen Scheine der Wachskerzen begegnete, erkannte Lady Maria ihren Reisegefährten, aber ihr Erstaunen fesselte jede ihrer Bewegungen und machte sie jetzt wirklich unfähig, sich zu erkennen zu geben.[176]

Diesen Personen folgten nun mehrere Frauen, alle in vorgerücktem Alter, und alle als Ursulinerinnen gekleidet.

Sie zogen in gemessener Ordnung durch den Saal der Fallthür entgegen und stiegen schweigend, ohne die Köpfe zu erheben oder eine andere Bewegung zu machen, als das langsame Fortschleppen alter schwacher Personen erfordert, die verborgene Treppe hinab.

Der Hausvogt verschloß die Wände, wie die Fallthür hinter sich, so daß die Lady nach einigen Momenten, die noch der Ueberraschung gehörten, zweifelte, ob sie dies Alles wirklich gesehn oder aufs Neue von den Bildern ihrer Phantasie überwältigt worden sei. Als sie endlich gewiß war, sich nicht getäuscht zu haben, strömte damit zugleich eine Fülle von Beziehungen auf ihr eigenes Schicksal über sie ein, und ahnend stieg in ihr der Gedanke auf, daß hier in einem scheinbar heimlich erhaltenen Nonnenkloster ihr Oheim unmöglich Schutz und Hülfe gesucht haben könne. Diese Folgerungen wurden plötzlich durch ein ungestümes Klopfen und Hämmern an der verschlossenen Eingangsthür unterbrochen, dem gleich darauf ein ängstliches Rufen folgte:

O öffnet, öffnet die Thür, habt Erbarmen und kommt hervor, wenn Ihr noch hier seid! Ein kleiner Wirbel von klopfenden Fingern und das zarte weinerliche Stimmchen überzeugten Maria bald, daß es Margarith sei, welche sich einzudrängen bemühte, und da sie selbst nichts lebhafter wünschte, als diesen Zufluchtsort fremder Geheimnisse zu verlassen, so eilte sie hervor und schob mit leichter Mühe den Riegel zurück.

Margarith stürzte nun todtenblaß herein, und verwildert die Blicke umherwerfend rief sie: O, theure Lady, haben sie Euch gesehen? O sagt es mir; ich bin verloren, wenn sie Euch sahen![177]

Sei ruhig, Kind, ich ward, sehr gegen meinen Willen, von Niemand gesehen, aber bringe mich hier fort, denn ich möchte diese, meiner so unwürdige Rolle nicht weiter spielen.

Ja, ja! ich führe Euch fort, rief Margarith, noch immer bleich und zitternd: nichts will ich Euch mehr verbergen; denn Ihr werdet mich nicht unglücklich machen, und ich muß ja doch verzweifeln! Angstvoll die Hände ringend und seufzend ließ sie sich jetzt von Maria zur Thür hinausdrängen, und bald hatten Beide das kleine Zimmer erreicht, aus dem sie von dem wunderlichen Kinde zu Anfang fast vertrieben worden war.

Kaum hatte sich die Thür hinter ihnen geschlossen, als die Kleine vor Maria auf ihre Knie niederfiel, und in Thränen ausbrechend in dem flehendsten Tone kindischer Angst sie beschwor, ein ewiges Schweigen über das Erlebte zu bewahren.

Ach! Ihr wißt nicht, wie schrecklich ich bestraft werden würde, wenn man wüßte, daß ich so unbesonnen die Geheimnisse des Hauses verrieth. Ich dürfte nicht frei und, wie jetzt, um meinen guten Vater bleiben; ich müßte auch in die Gewölbe beten gehn und mich einsperren in die kleinen Zimmer. Ach! Ihr würdet mich tödten, wenn Ihr Euch gegen den Vater verriethet; ach, und Euch selbst träfe auch gewiß ein trauriges Loos.

Du brauchst mich nicht an eigne Gefahr zu erinnern, sprach schmerzlich gerührt Lady Maria; Dein Schmerz ist mir genug, und ich werde ihn nicht durch unbesonnenes Schwatzen erhöhen. Aber bist Du auch sicher, daß Niemand weiter, als Du, um meine Anwesenheit dort weiß? Kann mich Niemand überführen, daß ich die Wahrheit verhehle?

Nein, nein! stammelte Margarith, offenbar wieder verlegen werdend; wenn Ihr es selbst nicht sagt, wird es Niemand erfahren. –[178]

Nun so nimm mein Wort, liebes Kind, daß ich schweige, und verscheuche nun jede Furcht und Sorge vor mir, denn Niemanden will ich betrüben, am wenigsten ein so liebes Kind, wie Dich. – Sie neigte sich dabei, sie sanft emporzuheben, und drückte einen leichten Kuß auf die Stirn des sich nun verklärenden lieblichen Mädchens. Bei dieser entwickelte sich jetzt erst ihre ganze Natur in einer höchst anmuthigen Geschäftigkeit um Lady Maria. Sie nahm ihr den Reisemantel ab, und suchte es ihr auf alle Weise leicht und angenehm zu machen. Die Flamme nagte bereits behaglich an einem reichlichen Torfaufsatze im Kamine. Margarith schob nun den großen bequemen Lehnstuhl dahin und ein Bänkchen zu dessen Füßen, und ruhte nicht, bis Maria alle eigenen Bemühungen für ihr Reisegeräth aufgegeben hatte und in dem Sessel sich der Ruhe überließ.

Hierzu fühlte sie sich auch hinreichend durch die Strapazen des Tages aufgefordert. Es machte ihr Vergnügen, während sie behaglich ruhte, die Kleine mit den Augen zu begleiten, die so anmuthig und geschäftig sich umher drehte, bis sie endlich an einem kleinen Tischchen seitwärts vom Kamine Platz nahm und an einem seidenen Netze eifrig zu knöpfeln begann. Dabei schauten die klugen hellen Augen oft zur Lady lächelnd auf, und guckten dann nach dem Fenster und scheu wieder auf ihre Arbeit zurück.

Da wir nun doch in so kurzer Zeit Freunde und Vertraute geworden sind, liebes Kind, hob Lady Maria endlich an, so möchte ich wohl erfahren, warum Du mich zuerst fast aus diesem Zimmer hinausgejagt hast. Es muß Dich doch dazu ein wichtiger Grund getrieben haben, indem Du vielleicht das Ereigniß voraussehen konntest, was ich erlebt. Nun, werde nicht wieder ängstlich, fuhr sie fort, da sie sah, daß Margarithens Kopf glühend roth auf die Brust sank, und alle Qualen der Angst und Beschämung sie zu ergreifen schienen. Wenn es[179] Dich sehr ängstigt, will ich warten, bis Du mehr Vertrauen zu mir fassest, sollte ich hier überhaupt lange verweilen.

Ach! seufzte Margarith und hielt die Hand an die Stirn, ich möchte es Euch lieber sagen, als gegen eine so gütige Dame so einfältig und undankbar erscheinen; aber Ihr werdet eine gar böse Meinung von mir bekommen, und doch sind wir Beide ganz unschuldig.

Beide, sagte Maria, was meinst Du denn? Ja, rief Margarith, schnell aufstehend, komm nur hervor, Lanci, wir wollen der lieben Dame Alles sagen.

Voll Ueberraschung wandte die Lady den Kopf, und sah nun aus der Fenstervertiefung einen Jüngling in feiner Jagdkleidung mit einem kleinen gefiederten Mützchen in der Hand hervortreten, der, gleich Margarith, in den glühendsten Purpur der Beschämung gehüllt, schüchtern neben ihr stehen blieb.

Kinder, sagte Maria, trotz der hier am Tage liegenden Intrigue, ganz bezaubert von dem Augenblicke dieser schönen jungen Leute, was habt Ihr denn vor? Weiß denn Dein Vater darum?

Ach, das ist es eben, seufzte Margarith, glaubt Ihr wohl, daß er es nicht leiden will, daß Lanci mich besucht? Lanci ist mein Vetter, wir wurden groß zusammen, und darum haben wir uns so lieb. Mit eins mußte Lanci aus dem Schlosse, blos weil man zugesehen hatte, wie wir uns jagten auf dem Abhange. Sie thaten ihn zu dem alten Förster im Walde, und er soll mich nicht besuchen. Liebe Lady, da paßt er denn zuweilen auf, wenn Reisende kommen, wie oft geschieht, und kommt so mit herein.

So, so, lächelte Maria, und da habe ich ihn heute Abend wohl hier eingeführt?

Ein schneller freundlicher Blitz aus seinen dunkeln Augen, welcher die Fragende traf, sagte Ja, und Margarith setzte nun[180] verschämt hinzu: Seht, liebe Lady, das war meine Angst, als Ihr kamet. Denn Lanci, der schnell wie ein Reh ist, hatte mir schon das Zeichen gegeben, daß ich ihn einlassen sollte, und er klopfte immer wieder, weil er nicht wußte, was mich hinderte zu öffnen.

Und auf welche Weise wird denn Lanci eingelassen? fragte die Lady weiter. Beide schauten nach dem niedrigen Fenster und konnten dann ein kleines Lachen nicht unterdrücken, was sie als schuldlos spielende Kinder bezeichnete, daß Maria unwillkürlich mitlachen mußte.

Aber, sprach sie dann, sich zum Ernst zwingend, Ihr seid doch recht leichtsinnige Kinder. Hat es der Vater einmal verboten, so wird es großen Lärm geben, wenn er Lanci findet, und mich däucht, das kann jeden Augenblick geschehen, und dann, Margarith, bist Du doch immer ungehorsam.

Ja, sagte hier der Jüngling, der gute alte Vater ist es aber gar nicht, der uns trennt; er muß es nur thun, weil es Ihro Gnaden haben wollte. Er hat es mehr als hundert Mal gesagt, wenn ich ein ordentlicher Mann würde, sollte Margarith meine Frau werden.

Schweig doch davon, Lanci, rief Margarith dazwischen, wer wird davon sprechen.

Aber, sagte Lanci, die liebe Dame denkt sonst, wir sind schlechte Kinder. Wir thun es aber blos heimlich, damit, wenn's herauskommt, der Vater sagen kann, daß wir beide Schuld haben, und wird Margarith dann fortgejagt, so heirathe ich sie gleich.

Nein, sagte Margarith, nicht eher, als bis Du Jäger bist; das thue ich dem Vater nicht zu Leid, so lang Du Bursche bist.

Lanci warf den Kopf hinten über, wie Jemand, der es besser weiß und seiner Sache sehr gewiß ist.[181]

Aber wenn Ihr doch auch dem Vater davon nichts sagen wolltet, setzte jetzt Margarith besorgt hinzu.

Wahrlich, sagte Maria, lächelnd den Kopf schüttelnd, ich werde ganz schwer von allen Deinen Geheimnissen. Wenige Stunden bin ich erst hier, und zwei wichtige Dinge willst Du schon mich zu verhehlen zwingen. Weißt Du wohl, daß das Letzte mir wichtiger scheint, als das Erste?

Beide sahen sich erstaunt und besorgt an, und rückten dann unwillkürlich dem Sitze Maria's näher, sie flehend anblickend.

Sieh, ich kann es gar nicht leiden, wenn junge Leute heimlich sind, fuhr Maria fort; gewiß habt Ihr schon zuweilen, um Eure kleinen Besuche zu verbergen, allerlei List und Lügen sagen müssen, und das ist immer gottlos und kann Euch verderben. Solltet Ihr Euch denn nicht treu bleiben, wenn Ihr Euch auch nicht sähet? Und wenn Lanci Jäger ist und ordentlich um Dich wirbt, wird er Dich schon zur Frau bekommen, da der Vater ihn lieb hat.

Treu bleiben, das ist nicht schwer, sprach Lanci, sich männlich aufrichtend, und wenn ich sie zanzig Jahr nicht sehn sollte, bliebe ich ihr treu; aber wenn ich nicht manch Mal hierher zu dem armen kleinen Dinge komme, dann hat sie gar keinen Spaß mehr, und muß ganz umkommen in dem alten finstern Schlosse. Das könnt Ihr nur glauben, gnädige Lady, so um gar nichts bestehn wir all' die Gefahr nicht; gelogen hab' ich auch noch nie darum, und vielleicht bewahrt mich Gott davor, da er sieht, daß ich es aus guter Absicht thue.

Maria fühlte sich unwillkürlich von dem Gemisch von Liebe und kindlicher Reinheit gerührt, das aus Beider Wesen und Worten sprach. Margarith dagegen war durch des Geliebten Vertheidigung wieder traurig angeregt. Maria fühlte wohl, wie schwer die Furcht einer Trennung auf sie wirke, und da sie den Verhältnissen, von welchen diese jungen Leute bedrängt[182] wurden, noch so neu und fremd war, stellte sie gern ihr Richteramt ein, hoffend, der gute Engel, der so lange mit ihnen war, werde sie ferner schützen.

Gott sei Euch gnädig, sagte sie sanft, wie kann ich Euch rathen, da mir Alles hier fremd ist? Ich kann mich nur durch Schweigen unschädlich machen, das will ich. Betet Ihr zu Gott, daß er Euch behüte und Euer Herz nicht in Unwahrheit verstricke! Ich will Euch nicht stören, mein Kopf ist ohnehin müde, laßt mich hier ausruhen, und sagt Euch ungestört, was Euer Herz erfreut.

Freundlich dankten die wieder kindlich erheiterten jungen Leute und zogen sich in den tiefen Fenstersitz zurück, während Maria ungestört ihren Gedanken nachhing.

Aber häufig geschieht es, daß unsere Phantasie aufhört thätig zu sein, wenn die Gegenwart mit ihren Erscheinungen uns so nah gerückt ist, daß wir uns jeden Augenblick als selbst thätig erwarten können. Wir schließen dann im Gegentheil uns wie eine Knospe zusammen, um der Wirklichkeit die gesammelten Kräfte darbieten zu können, und das ablockende Spiel der Phantasie erbleicht mit seinen bunten Bildern an der Erwartung des nächsten Augenblicks.

So kam es, daß es Maria unmöglich ward, ein Bild hervor zu heben für ihre eigene Lage, und unbestimmt angeregt, sank ihr müdes Haupt zurück, und sanfter Schlummer wiegte sie bei dem leisen Geflüster der jungen Leute ein.

Aus einem farblosen Traum erweckte sie der Strahl eines Lichtes, der ihre Augen traf. Vor dem Tischchen der Tochter, an dem die letztere wieder saß, stand der alte Vogt, einen Armleuchter mit Kerzen haltend, und sprach leise in die freundlich aufmerkende Tochter hinein.

Gern, bester Vater, beantwortete das gute Kind die Anrede des Alten, gern will ich für die arme Dame sorgen, und[183] viel lieber, wenn sie nicht jenen alten Damen anheimfällt, und die freundlichen Zimmer bezieht; denn ich hoffe doch, da wird sie nicht auch geplagt werden.

Schweig, unterbrach sie der Alte, strenger blickend; thue, was vor Dir liegt, sei dankbar für das Vertrauen Ihrer Gnaden und laß Deine unschicklichen Bemerkungen. Die gnädige Frau hat dem ehrwürdigen Herrn erlaubt, Alles nach seinem Gutdünken einzurichten, und wir waren bis jetzt damit beschäftigt, und ...

Halt, lieber Alter, unterbrach ihn hier Lady Maria, unfähig, durch anscheinenden Schlaf sich hinter die geheimen Verhältnisse des Hauses zu stehlen, wenn Deine Worte nicht für mich sind, so fahre nicht fort, denn ich habe, wie Du siehst, ausgeschlafen.

Ueberrascht, aber mit ehrfurchtsvoller Höflichkeit, wandte sich der Alte schnell zur Lady, und sich bis zur Erde beugend, sagte er in der angemessenen Haltung eines Schloßvogts:

Meine gnädigste Frau, die Besitzerin dieses Schlosses, beehrt mich, Euch, Mylady, hierselbst willkommen zu heißen, und da der vorgerückte Abend der gnädigen Dame nicht mehr erlaubt, Euch eine Audienz zu ertheilen, ersucht sie Euch, die Zimmer in Besitz zu nehmen, die sie zu Euerm Empfang hat einrichten lassen, und über Dero Diener zu befehlen, die alles Mangelnde zu ersetzen bemüht sein werden.

In Wahrheit, guter Alter, erwiderte Maria, indem sie sich mit ihrer eigenthümlichen Hoheit erhob, das Willkommen der Dame, deren Gast ich wider Willen bin, kömmt so spät und nach so unziemlicher Vernachlässigung, daß ich so einladende Worte mehr auf Eure gute Sitte, als auf die Eurer Herrin beziehen möchte. Doch sei es darum, ich sehe mich nicht ungern blos an Euch und Eure Tochter gewiesen, und bin bereit Euch zu folgen.[184]

Der alte Herr sah mit einigem Erstaunen auf diesen stolzen Anspruch an seine Gebieterin. Aber Domestiken, die alt geworden im Dienste, sehen nicht ungern an denen, die sie bedienen sollen, einen hohen Anspruch auf äußere Achtung hervortreten; sie fühlen sich selbst dadurch gehoben und glauben sich weniger zu vergeben gegen Personen, die sich selbst zu ehren wissen.

Der Alte mochte noch außerdem Gründe haben, unserer jungen Heldin Ehrfurcht zu bezeigen, denn es schien, er fühle sich nun ganz an seinem Platze. Er erwiderte mit stummer Verbeugung die Worte der Lady und schritt dann mit dem hoch gehobenen Leuchter voran, als sie, in ihren Mantel sich hüllend, bereit schien ihm zu folgen.

Auf dem entgegengesetzten Flügel im Erdgeschoß des Schlosses öffnete Miklas jetzt eine Thür, welche die Lady einlud, in ein großes Vorzimmer zu treten, das an seinen leeren weißen Wänden die kostbarsten Stuckaturen, von einem großen Feuer in dem weiten Kamin erleuchtet, zeigte.

Der Alte durchschritt dies Zimmer und bat die Folgenden, in ein daran stoßendes Kabinet zu treten, wohin nur Margarith die Lady begleitete. Auf das Angenehmste fühlte sich Maria von dem ersten Anblicke desselben überrascht. Es gehörte zu den Zimmern, die uns sogleich einladen zu bleiben und uns Alles darzubieten scheinen, was ein sinniges Leben erfordert. Es war angenehm erwärmt, und nur ein mildes Kohlenfeuer glühte noch in dem Marmor-Kamin, der den ganzen Hintergrund des schmalen Zimmers einnahm. Davor standen auf einem schönen Teppiche mehrere bequeme Sessel, ganz, wie die Wände und Vorhänge des Zimmers, mit grünem Damast und goldenen Borten bedeckt. Es schien, als hätten Freunde so eben von traulicher Zwiesprache sich erhoben, und Maria konnte sich nicht enthalten, voll Hoffnung und Sehnsucht nach ihren leeren Sitzen zu blicken.[185]

Gegenüber zeigte sich das breite hohe Fenster, das in seine tiefen Wände eine kleine Biblothek aufgenommen hatte, wovor ein schön geformtes Lesepult stand, mit allen Einrichtungen zum Schreiben versehn, und an ein kleines Ruhebett war zu ihrer freudigen Ueberraschung eine Harfe gelehnt. Mehrere Bilder, an den Wänden passend vertheilt, schienen alte Portraits und Heiligenbilder, und entgingen vorerst ihrer Betrachtung, da der Schein der Kerzen ihre finsteren Tafeln nur schwach erhellte. Auch drängte Margarith, begierig die Lady mit ihrer Wohnung bekannt zu machen, sie in das Nebenzimmer, das eben so hoch und schmal, als das erstere, durch ein großes damast-behangenes Bett sich als Schlafzimmer ankündigte.

In der Fensternische war hier eine schwerfällige, aber reich besetzte Toilette angebracht, und ein ungeheurer venetianischer Spiegel vortheilhaft gegen das Fenster aufgestellt. Was aber sogleich Maria's Aufmerksamkeit anzog, war eine der Thür gegenüber eingelegte Nische von schwarzem Marmor, worin, von zwei Wandleuchtern, auf denen Kerzen brannten, erleuchtet, sich das Bild einer Mutter Gottes mit dem Kinde zeigte, von einer so himmlischen Schönheit in Ausdruck und Farbe, daß Margariths Bewegung, womit sie sich augenblicklich davor bekreuzte und das Knie beugte, natürlicher erschien, als ihr schnelles Uebergehen zu den andern Gegenständen des Gemaches.

Das Bild ruhte auf einem Untersatz von ebenfalls schwarzem Marmor, welcher ziemlich deutlich die Form eines Altars hatte, vor welchem ein kleines Betpult stand, worauf sie ein aus ihrer Reise-Equipage entlehntes griechisches Neues Testament erkannte.

So schön und sinnig auch diese Einrichtung getroffen war, fühlte Maria doch mit ihrem richtigen Gefühl eine Absichtlichkeit heraus, die sie fast verletzte, und früher als der Gegenstand es verdiente, wendete sie sich davon ab, ihr kleines liebes Eigenthum[186] von dem Betpulte wegnehmend und es auf ein Tischchen neben ihr Bett legend.

Nun, theure Lady, rief innig befriedigt Margarith, seid Ihr denn nicht ganz zufrieden mit Eurer Wohnung, und wollt Ihr die kleine Margarith als Eure gehorsame Dienerin annehmen?

Beides, beides, sagte freundlich Maria, sogleich jugendlich in die heitere Stimmung ihrer kleinen Dienerin eingehend, und nun bitte ich Dich, mein Gepäck etwas zu ordnen, welches ich hier angehäuft sehe.

Ja, theure Lady, vertraut das mir, erwiederte Margarith, und erlaubt vorerst, daß ich Euch Eure Haube abnehme und ein wenig Eure Reisekleider wechseln helfe, denn das wird Euch erquicken und Lust machen zur Abend-Mahlzeit, die mein Vater indessen für Euch servirt.

Mit vielem Geschick unterzog sich die Kleine jetzt ihren neuen Dienstleistungen, wobei ihr die unendliche Fülle und Schönheit von Maria's Haar manchen Ausruf des Erstaunens entlockte, wie sie überhaupt jetzt erst die hohe Schönheit ihrer neuen Herrin er kannte und von einer fast scheuen Ehrfurcht davor erfüllt ward.

Maria fühlte sich von dem langentbehrten Behagen an einer gewohnten weiblichen Bedienung und den kleinen Annehmlichkeiten einer bequemen Einrichtung erheitert, und stets sich ihren Empfindungen hingebend, ermüdete sie nicht, anmuthig scherzend ihre kleine Dienerin anzuleiten, so daß, als endlich der erquickliche Wechsel der Kleider beendigt war, Beide mit heiterer Stirn der Einladung folgten, welche der alte Herr zum Abendbrod ergehen ließ.

An der Thür des Vorzimmers, welches zu ihrem Speisezimmer bestimmt war, schulterte der alte Vogt und überreichte ihr auf einem silbernen Teller einen fein gebrochenen Streifen[187] Papier, auf dem sie in italienischer Sprache die Worte fand: Hoffet und seid getrost!

Dazu fühlte sie sich in ihrem Innern vollkommen geneigt, denn ihr war in hohem Grade die glückliche Gabe zu Theil geworden, mit jedem Augenblicke abzuschließen und, immer klar in ihrer Stimmung, Jedem sein Recht, sei es in Schmerz oder Zufriedenheit, zu gönnen. Ihr junges, unerfahrenes Leben machte sie noch kindlich sicher, den guten Worten vertrauend, die man ihr bot, und diese jugendliche Hingebung fand doch Schranken in einer seltenen Schärfe der Beobachtung und einem höchst zarten und weit reichenden Gefühlsvermögen. Sie verlor daher nur selten ihre Sicherheit und Ruhe, was, ihr unbewußt, in diesen Eigenschaften begründet und, vielleicht früh von ihren Erziehern erkannt, so schön entwickelt worden war.

Freundlich das Streifchen in der Hand zerdrückend, schritt sie vor und ergötzte sich an den schönen Verhältnissen des hohen, hell erleuchteten Gemachs.

In der Mitte desselben stand ein kleines Tischchen, mit einem Couvert belegt, wovor ein unermeßlich hoher Lehnstuhl gerückt war, dessen goldene, mit bunt benähtem Sammet bedeckte Wände verschiedene erblichene Wappenschilder zeigten.

In einiger Entfernung stand ein mit reichem Silbergeschirr bedeckter Schenktisch, auf dem die angerichteten Speisen dampften.

Ei, sprach Lady Maria, freundlich alle diese Anordnungen beobachtend, Du hast sehr angenehm für meinen Hausstand gesorgt, lieber Alter! Ich muß Dir Dank sagen, wenn Du Haus-, Hof- und Küchenmeister zugleich warst; es ist Alles aufs Beste eingerichtet, um nach einer beschwerlichen Reise angenehm ausruhn zu können.

Sie richtete dabei ihre Augen huldreich auf Miklas und fand ihn in ihrem Anschaun so ganz verloren, daß er kaum ihre[188] Worte verstanden haben mochte, und wir müssen es unentschieden lassen, ob etwa eine andere Gedankenverbindung in ihm bei dem vollen Anblick des Fräuleins aufstieg. Als sie sich indeß dem Tische näherte, eilte er herbei und rückte ihr den Stuhl, sie ehrfurchtsvoll bedienend.

Die durch manche Entbehrungen erregte Eßlust des jungen Fräuleins gewährte dem Vater und der Tochter hinlängliche Genugthuung für ihre Bemühungen. Sie lobte die trefflichen Seefische und die saftigen Waldschnepfen, indem sie neckend einige Fragen über Jagd und Jägerei des Schloßgeheges hinwarf, und die erglühende Margarith sogleich wegschickte, um ihr die auf dem Schenktisch stehenden in Zucker eingelegten Früchte zu holen.

Dem Alten ging, je länger, je mehr das Herz auf, seinem lieblichen Gast gegenüber. Wie stolz und ernst und ihrer Würde sich bewußt sie ihm zuerst erschienen war, sah er doch noch nie in einer und derselben Persönlichkeit so viel kindliche Unbefangenheit, eine so sorglose Sicherheit und eine Heiterkeit vereinigt, welche die Umgebungen in ihren Kreis zog, ohne ihnen je eine Verwechselung der Verhältnisse möglich zu machen.

Als er ihr am Ende des Mahles in einem zierlich getriebenen Silber-Geschirr einen kühlen Wein des überseeischen Frankreichs darbot, konnte er sein Entzücken kaum hinter seiner Ehrfurcht bergen, als sie lieblich lächelnd ihn auf der Zunge prüfte und dann dem alten Wein-Kenner ein wichtiges Zeugniß über die Güte desselben abgab.

Wolle Gott Euer Gnaden jeden Tropfen zum Segen werden lassen! rief er fast gerührt.

Amen! erwiederte sie, sich rasch erhebend, indem er mit mehr Gewandtheit, als er sich noch zugetraut, bis zu ihrer Thür voranschritt, sie zu öffnen, und ihr jede Courtoisie eines alten, wohlerzogenen Dieners zu erweisen strebte.[189]

Als Maria sich für die Nacht entkleidet hatte und ihre junge Dienerin entfernen wollte, blieb diese erstaunt stehen und zeigte ihr an, daß sie entschlossen sei, in ihrer Nähe zu bleiben.

Denkt Ihr, Lady, es sei nicht besser, zu zweien in diesem Schlosse zu wohnen? Nein, weiset mich nicht zurück, Ihr wißt noch nichts von diesem bösen Schlosse. Gott sei uns gnädig, fuhr sie fort, sich bekreuzend, ich bin nicht befugt davon zu sprechen, aber besser ist es, Ihr behaltet mich bei Euch. –

So, sagte Maria lächelnd, Du willst also mein Schutz und Schirm sein, und in Deiner Nähe hältst Du mich für sicherer vor all Deinen angedeuteten Fährlichkeiten? Sage mir doch wenigstens, ob Du Dich bei meiner Beschützung als Geisterbannerin zeigen mußt, oder bewaffnet mit Degen und Pistolen, damit ich erfahre, welcher Art meine Gefahren sein werden.

Ach, theure Lady, spottet nicht, fuhr Margarith ängstlich fort; Ihr mögt wol sehr muthig sein, aber was hier zuweilen geschieht, sträubt wol Männern das Haar, und Ihr würdet es nicht so leicht ertragen, als Ihr glaubt. –

Wenn dem so wäre, glaubst Du, daß Dein alter Vater uns hier verlassen und uns schutzlos der Gefahr Preis geben würde? Geh, geh, Margarith, Du hast zuviel Ammenmährchen gehört, ich aber kenne thörichte Furcht nicht und verlange allein zu schlafen. –

Nein, nein, liebe Lady, Ihr werdet das nicht wollen, ich müßte ja den Weg allein zurück machen, und überdies – sie stockte.

Nun überdies? fragte die Lady, überdies bist Du eigensinnig und willst nicht gehorchen.

Ach Ihr zürnt, theure Lady, ich aber bin unschuldig an Euerm Unwillen, denn seht, ich kann wol dieses und jenes Zimmer verlassen, aber weiter nicht, denn – denn wir sind ja eingeschlossen.[190]

Eingeschlossen? rief die Lady, und nie sah Margarith schneller veränderte Züge, als bei diesem Worte. Gefangene! fuhr das Fräulein in höchster Ueberraschung fort, ist es möglich? Margarith, was treibt man mit mir, wer wagt es, so mich zu behandeln, mit welchem Rechte verfügt man über die Freiheit meiner Person? Sprich! Ich befehle Dir, mir zu sagen, wer ist die Besitzerin des Schlosses? Wo bin ich? und was weißt Du von den Absichten auf meine Person? Doch Du träumst, Mädchen, Deine abergläubische Furcht will mich einschüchtern, damit Du Deinen Willen behältst; ich selbst werde untersuchen, ob Du mich zu täuschen denkst.

Mit flüchtigem Fuße eilte sie, ein Licht ergreifend, durch das angrenzende Zimmer nach dem großen jetzt wieder völlig leeren Vorzimmer, das ohne Kerzen, von der Flamme des Kamins nicht mehr erhellt, ein ödes geisterhaftes Ansehn hatte. Aber das Fräulein, voll Erwartung und erzürnt über die Möglichkeit, daß Margarith Recht haben könne, nahm wenig davon wahr; sondern froh nur, die große Eingangsthür zu erkennen, eilte sie mit schnellen Schritten darauf zu. Doch sie drückte vergeblich an dem breiten eisernen Schlosse hin und her, und ihr Licht dazu erhebend, erkannte sie bald den einfachen Mechanismus eines von Außen befestigten Riegels.

Die Ueberzeugung von der Wahrheit dessen, was sie als eine große persönliche Beleidigung ansah, überwältigte ihren Geist für den Augenblick bis zu einer Art von Betäubung. Sie lehnte den Kopf gegen den Arm und an das verhängnißvolle Schloß, als müsse sie auf dieser Stelle Mittel zu ihrer Befreiung ausdenken. Das Licht hing unbeachtet in der andern niedergesunkenen Hand, und die kleine Flamme suchte an ihrem langen niederhängenden Nachtkleide eben weitere Nahrung, als seufzend und mit unterdrücktem Weinen die näher geschlichene Kleine es aus ihrer Hand zog.[191]

Ach, Lady, kommt hier weg, schluchzte sie leise, ach, zürnt nicht länger.

Halt! rief Maria aufschreckend, ich höre Schritte, hörst Du es, Margarith?

Heiliger Gott, sei uns gnädig! stammelte Margarith und strebte die Lady mit sich zu ziehn.

Nein, sprach Maria, ich werde diesen späten Wanderer anrufen, er soll augenblicklich Deinen Vater herbei holen und sagen, daß man mich hier als Gast und nicht als Gefangene behandele!

Nein, nein! o schweigt, rief Margarith, sich vor ihr niederwerfend.

Aber Maria war aufgeregt und zürnend, und als die Fußtritte jetzt vor der Thür anzuhalten schienen, als ob das Geräusch, welches Maria absichtlich an dem Schlosse machte, sie festhielte, rief sie:

Wendet Euch hierher! Habt die Güte, diese Thür von Außen zu öffnen, so Ihr könnt, oder Miklas, den Hausvogt, zu rufen!

Sogleich schien Jemand von Außen mit Ungestüm gegen die Thür zu fahren, und nach einigen ungeschickten Versuchen, sie so aufzudrücken, rasselte es heftig an dem Schlosse, welches zitterte und nachgab.

Maria riß der niedergesunkenen Margarith das Licht aus der Hand, und es hoch hebend blickte sie der aufgestoßenen Thür entgegen. Doch voll Grauen bebte sie zurück, als ein Weib eindrang, dessen verwildertes Ansehen eine Wahnsinnige bezeichnete. Ihre grauen Haare hingen unter einem schwarzen Schleier lang hervor und in dünnen Strähnen über ihre furchtbar hohe Gestalt, welche nur von nothwendiger Kleidung gedeckt, Hals, und Brust und Arme in widriger Abzehrung zeigte.

Aber vor Allem furchtbar war die Grabesfarbe des Gesichts, die stieren, glanzlosen Augen, und das Lächeln des[192] Wahnsinns um den lippenlosen Mund. Schaudernd trat Maria zurück, aber angezogen schien die gräßliche Erscheinung von ihrem Anblick, sie folgte ihr nach, den mehrarmigen Leuchter gegen sie vorstreckend, und je länger sie mit ihren furchtbaren Augen sie anblickte, desto mehr gewann ihr starres Gesicht einen gemischten Ausdruck von Erstaunen und Wuth.

Wer bist Du? sagte sie mit heiserer Stimme, ich muß Dich kennen! Sie rieb die Stirn, und wieder vordringend, rief sie, höllisch lachend: Du bist so ein Spuk aus der großen Welt, woraus sie mich vertrieben. Ha, jetzt kenne ich Dich! Doch von wannen kommst Du? Wer brachte Dich hierher? Sendet Dich der Knabe Villiers, den sie Herzog nennen? Ha, ha, ha, ha! Du bist es, und kennst Du mich, die schöne Franziska Howard?

Komm, komm! Du entgehst Deinem Schicksal nun nicht, bist Du doch von seinem Blute! Ha, die Rache ist süß, sehr süß. –

Gierig streckte sie die Hand aus und ergriff Maria's Gewand, welche, vergeblich mit dem Entsetzen kämpfend, ihre Knie wanken fühlte und, als die kalte Hand des Weibes ihren Hals umspannte, ihrer Sinne beraubt zur Erde sank.

Als sie die Augen wieder aufschlug, leuchtete der frühe Morgen matt durch das hohe Fenster. Langsam kehrte ihr Bewußtsein zurück, und sie sah nun, daß sie in dem großen Himmelbette ihres Schlafgemachs lag, und daß mehrere Personen um sie beschäftigt waren. Ein Versuch, sich zu bewegen, ließ sie einen Schmerz und eine Lähmung ihres Armes fühlen, und jetzt überzeugte sie sich, daß man daran eine Ader geöffnet, woraus das Blut sich vor ihr in ein Becken ergoß.

Es waren dies Alles die Wahrnehmungen eines noch halb ohnmächtigen Geistes, der sich selbst noch nicht wieder vereinigt fühlt mit den Zuständen des Körpers.[193]

Sie erkannte den Reisegefährten, der die Lanzette geführt hatte; sie sah Margarith auf ihren Knien, das Becken haltend; sie fühlte sich in den Armen einer fremden Frau, deren mildes schneeweißes Gesicht sich dicht neben dem ihrigen zeigte; aber sie hätte sich nicht gleichgültiger dabei fühlen können, wenn sie eine mit diesen Gegenständen bemalte Holztafel gesehen hätte. Nachdem der nöthige Verband umgelegt war und sie aus den Armen der Frau sanft in die Kissen sank, und die grünen Vorhänge des Bettes sie in eine angenehme Dämmerung hüllten, sanken ihre Augenlieder ermattet nieder; der Schlaf trat an die Stelle der tiefen Ohnmacht und vereinigte den durch Schrecken verstörten Geist mit dem genesenden Körper.

Nach einem langen und erquickenden Schlaf erwachte das Fräulein mit der angenehmen Empfindung wieder hergestellter Kräfte. Die Ruhe, die außerhalb der Vorhänge ihres Bettes herrschte, war indeß eine Wohlthat, welche sie sich zu verlängern suchte, da ihr Geist sogleich zu arbeiten begann, um theils die Begebenheiten der letzten Stunden sich zurück zu rufen, theils ihre Beziehungen zu sich selbst herauszufinden. Aber ihre Phantasie hatte vor dem letzten Ereigniß einen zu tiefen Eindruck empfangen, um nicht immer darauf zurück kommen zu müssen. Der Name Franziska Howard, den die grauenvolle Erscheinung sich beigelegt, gehörte einem Wesen, dessen Name mit jenem tiefen Abscheu in England genannt ward, womit man Verbrechen bezeichnet, die in einer zu hohen Sphäre sich begeben, um in ihrer ganzen Wahrheit zur Anschauung des Volkes zu gelangen.

Maria war damit unbekannt, aber wenn sie den Aeußerungen dieser elenden Frau nachdachte, ward ihr die Ahnung eines durch Gewissensvorwürfe gestörten Geistes. Schaudernd dachte sie an die Nähe dieser Furie, die in ihren Phantasien sie zu einem bekannten Gegenstande ihrer Wuth gestempelt hatte.[194] Natürlich prüfte sie jetzt ihre ganze übrige Lage, und was unter so bedrohlichen Umständen ihr etwa noch für Schutz geblieben sei, und bei dem Zurückkommen auf diesen Gegenstand, fühlte sie sogleich eine lebhafte Anerkennung der von Margarith und Miklas ihr bewiesenen Sorgfalt.

Es war klar, daß Miklas die Thür verwahrt hatte, sie vor dem umherwandernden Spucke zu schützen, daß Margarith, davon unterrichtet, vielleicht um sie nicht zu beunruhigen, den Grund verschwiegen, ihr eigener Ungestüm aber diese gütige Vorsorge verhindert hatte, da durch ihr Geräusch an der Thür und ihr Rufen offenbar der schreckliche Gegenstand herbei gezogen worden war.

Erwärmt von dem Gefühl, hier eine ihr zugewendete gute Absicht anerkennen zu dürfen, und lebhaft bewegt von dem Wunsche, das dabei von ihr selbst Verschuldete gut zu machen, griff sie schnell in die Vorhänge des Bettes, und sie zurückdrängend, sah sie Margarith an dem Fußende ihres Bettes auf einem niedrigen Stühlchen sitzen und an dem Netze knöpfeln, das auf ihren Knien ruhte.

Ein freudiger Ausruf des lieben Mädchens begleitete ihr Aufblicken, und an dem Bette niederstürzend küßte sie kindlich jubelnd die Hände ihrer Lady und konnte nicht müde werden, sich über ihre gehoffte Genesung zu freuen.

Aber, setzte sie schüchtern hinzu, theure Lady, zürnt Ihr mir und meinem alten Vater auch nicht mehr?

Gutes Kind, erwiederte Maria, wie rührt mich Deine Sanftmuth und Güte, da ich allein die bin, die über Dich so viel Schrecken brachte, indem ich die Vorsorge Deines Vaters und Deine eigene Schonung verkannte, in meiner Heftigkeit nur mir selbst folgte und Alles dadurch herbei zog, wogegen Ihr mich zu behüten trachtet. Vergieb Du mir dagegen und sei gewiß, ich werde Deine guten Absichten nicht wieder mißverstehn.[195]

Ach, theure Lady, Ihr seid wie ein heil'ger Engel, rief Margarith, wie hätte ich Euch wol zu vergeben? Gottes Gnade und die heil'ge Jungfrau haben uns ihren Schutz verliehen, sonst wären wir freilich unterlegen. Aber wie konntet Ihr auch das ahnen, was wir erlebt? Wer es kennt, glaubt es kaum! –

Sage mir, liebe Margarith, wenn es Deine Pflicht nicht überschreitet, unterbrach sie Maria, wer war die gräßliche Person, die uns erschreckt hat, und warum genießt sie bei ihrer Geisteszerrüttung die Freiheit, hier umher zu gehn? –

Ach, theure Lady, wer möchte die ihr nehmen, da sie die Herrin des Schlosses, unsere gnädige Gebieterin ist. –

Die Herrin des Schlosses? rief Maria erschrocken. –

Ja, so ist es. Die Lady ist sehr reich, und ihr Gemahl nun schon viele Jahre im Grabe, obwol ich noch recht gut mich des lieben schwermüthigen Herrn erinnere. Gott sei seiner Seele gnädig! Glücklich war er auch nicht, die Leute sprachen Allerlei von ihm. Er mußte viel Trauriges erlebt haben; denn rührender seufzte kein Mensch. Ach, und dann hörten wir ihn eben so die Nächte durch umher wandern und tief, tief seufzen. Des Morgens fanden ihn die Bedienten oft auf den kalten Steinen der großen Halle oder auf den Treppen eingeschlafen liegen. Alt konnte er dabei nicht werden, das könnt Ihr denken; aber er that keinem Kinde was zu Leide, ja, er liebte sie zärtlich, und ich und Lanci und einige Fischerkinder, wir saßen gern um ihn her, und er schnitt uns Bilderchen und knetete uns Püppchen von Wachs.

Mit der gnädigen Frau war es damals noch nicht so weit, wie jetzt, aber lieben thaten sich die Herrschaften nicht. Man sagt, der gnädige Herr sei ein Ketzer gewesen, und die gnädige Frau habe ihn gern durch die heilige Kirche von seiner Schwermuth befreien wollen; aber das sei ihr nicht gelungen, und[196] darum schrien sie oft fürchterlich gegen einander und blieben dann wieder getrennt.

So kam es auch, daß die gnädige Frau es gar nicht merkte, als Mylord eines Morgens verschwunden war; und als sie spazieren gehen wollte, fand sie die Leiche des gnädigen Herrn vor einer kleinen verschlossenen Thür dicht vor ihrem Schlafzimmer. Seitdem ist Mylady sehr unruhig, und geht häufig des Nachts umher und beabsichtigt Mylord zu suchen, von dem sie jetzt noch denkt, er schlafe irgendwo und werde sich erkälten. Aber es sind nun fast zehn Jahre, daß der arme Herr zur Ruhe ist, und Mylady weiß dies auch bei Tage und so lange sie gesund ist, aber häufig vergißt sie es wieder. –

Das Unheimliche des Eindrucks, den Maria empfangen, ward durch diese Mittheilungen nicht gemildert, und vor Allem schrecklich schien es ihr, in der Gewalt eines sinnberaubten Wesens zu sein. Sie fühlte die größte Ungeduld, sich über die Verhältnisse, in die man sie gegen ihren Willen gezwängt, Auskunft zu verschaffen, und sich vollkommen gesund fühlend, verlangte sie das Bett zu verlassen. –

Liebe Lady, verzieht einen Augenblick, Pater Clemens will erst Euern Puls untersuchen, ehe er dies zugiebt; ich rufe ihn sogleich. –

Wer ist Pater Clemens? sprach Maria. Laß das, liebes Mädchen, ich fühle mich ganz wohl und wünsche nur, daß Du zu Deinem Vater gehst und ihn aufforderst, mir meinen Reisegefährten herzusenden, den ich nothwendig sprechen muß.

Nun, liebe Lady, sagte Margarith, das ist ja eben Pater Clemens, derselbe, der Euch diese Nacht zu Hülfe kam und Euch nachher zur Ader ließ.

Maria war von dieser Entdeckung nicht sehr überrascht, und wünschte um so mehr das Bett zu verlassen, da sie Sehnsucht trug, sich selbst in unabhängiger Thätigkeit[197] zu fühlen, diesem unsichern, geheimnißvollen Umherschleichen gegenüber.

Ehe es daher Margarith hindern konnte, ergriff sie die seidene Decke ihres Bettes, und sich hineinhüllend, stand sie pfeilschnell auf ihren Füßen, und betrieb nun selbst mit Geschick und Schnelligkeit ihr Ankleiden, wobei sie doch bald Margariths Beistand nöthig fand, da der Arm, an dem man die Ader geöffnet, noch ziemlich unbrauchbar war.

Als sie sich dann den sorgfältigen Händen der neuen Kammerjungfer entzogen, eilte sie der Nebenthür zu und als sie in ihr Wohnzimmer trat, fand sie die Lehnstühle an ihrem Kamine nicht mehr leer, sondern in der einfachen Kleidung des Ordens Jesu saß ihr Reisegefährte einer Frau gegenüber, die Maria auf den ersten Blick für dieselbe erkannte, in deren Armen sie erwacht war.

Beide schienen in ihr Gespräch vertieft und nicht wenig überrascht, als Maria blühend, vollständig gekleidet, und mit jenem klaren und festen Ausdruck des ganzen Wesens, der vom guten Rechte zeigt, vor sie trat.

Pater Clemens, wie wir ihn nun nennen müssen, schien auch nicht sogleich den rechten Ton finden zu können, und sein Gesicht war mehr verlegen, als ernst.

Ihr überrascht uns, Mylady, sagte er, vor sich niedersehend; ich will wünschen, daß Ihr Euch nicht zu früh für gesund erklärt habt. Ich war gesonnen, Euch Ruhe anzurathen.

Ruhe, Sir? antwortete Lady Maria, Ruhe bedarf nur noch mein Geist; über das Gefühl der Gesundheit giebt man sich selbst das richtigste Zeugniß!

Die blasse Frau machte hier eine kleine Bewegung und zog Maria's Aufmerksamkeit dadurch auf sich. Ich irre mich wohl nicht, fuhr sie gegen diese gewendet fort, wenn ich mich Euch verpflichtet halte für Euern liebreichen Beistand, den Ihr mir in dieser Nacht geleistet?[198]

Ohne die Augen zu erheben, verbeugte sich die Angeredete bloß mit dem Kopfe.

Pater Clemens hatte mich zu diesem Dienst ersehn, erwiederte sie leise; Ihr seid mir nicht dafür verpflichtet.

Maria konnte, trotz dieser kalten Antwort, ihre Blicke nicht sogleich von der anziehenden Person abwenden, die diese Worte sprach, und deren hohe und schlanke Gestalt in der eng anschließenden schwarzen Kleidung, die sie trug, noch sehr wohl als schön zu erkennen war. Ihr milchweißes Angesicht von der feinsten Regelmäßigkeit, mit seinem demüthigen und frommen Ausdruck, rief unwillkürlich das Andenken an jene rührenden Heiligenbilder zurück, die in ihrem kleinen Schrein das ganze Leben zugebracht zu haben schienen, um einem einzigen frommen Gedanken nachzuhängen, Ihr Kopfputz aber erinnerte Maria an die Nonnen, die sie zur Nacht gesehn, obgleich dieser jetzt Schleier und Skapulier fehlten, und allein die eng anliegenden weißen Binden um Stirn und Kinn geblieben waren.

Als sie aus Schicklichkeit die Augen abzog, begegnete sie den Blicken des Pater Clemens, welcher mit sichtlichem Vergnügen den Eindruck zu erwägen schien, den Maria empfing.

Sir, sprach sie hierauf mit Festigkeit, Ihr müßt begreifen, daß ich von Euch über sehr viele Dinge Aufklärung erwarte und die von Euch selbst mir gewünschte Ruhe nicht früher möglich ist, wie es überhaupt wohl scheinen mag, sie möchte vorerst eben nicht mein Loos sein!

Ich bin bereit dazu, erwiederte der Pater, obwol ich Euch im Voraus bitten muß, in mir nur den bevollmächtigten Vollzieher höherer Befehle zu erkennen, denen ich selbst willenlos unterthan bin.

Es beliebt Euch vielleicht, hochwürdiger Herr, mich zu entlassen, sprach hier die blasse Frau, schüchternd sich dem Pater nähernd; ich würde meinen, einige andere Pflichten zu haben.[199]

Geht, liebe Tochter, sprach Pater Clemens, haltet Euch aber gern bereit, die Einsamkeit dieser Eurer Schutzbefohlenen zu theilen!

Ich habe weder eigene Zeit, noch eigenen Willen; selig, wer gewürdigt wird zu gehorchen, antwortete sie, und ohne ihr stilles Gesicht zu verändern, beugte sie ihr Haupt, welches der Pater segnend berührte, worauf sie leicht wie ein Geist an Maria hinschwebte, ohne sie bei dem Gruße ihres Hauptes anzublicken.

Maria sah diesem ganzen Abschiede mit einem anschwellenden Gefühle zu, welches, als die Thür sich hinter der demüthigen Gestalt schloß, sich Luft zu machen strebte.

Ich bin also in der Gesellschaft von Katholiken? Ihr seid ein Priester jenes Glaubens, und jene Frau gehört zu den Schwestern der heiligen Ursula?

Mit Ruhe setzte sich Pater Clemens bei diesen Worten nieder, ihr den Armstuhl anweisend, der so eben verlassen worden war, und erwiederte dann, seine Augen andächtig erhebend:

Ja, Mylady, Ihr habt es gesagt. Hierher, in diese verpönten Mauern hat sich eine kleine fromme Gemeinde geflüchtet, um, dem alten heiligen Glauben ihrer Väter treu bleibend, dem vaterländischen Boden ein Samenkorn jener ausgerotteten heiligen Frucht zu behüten, zu Gottes allmächtiger Verfügung, am Tage, der da zeigen wird, wessen Reich die Erde Englands ist!

Es ist kein Grund mehr vorhanden, Euch dies zu verbergen; denn für Verrath bürgt uns Eure Gesinnung mehr noch als die übrige erlangte Sicherheit. –

Ehrwürdiger Herr, sprach Maria, ich weiß, daß Eure Verbindungen gegen die Gesetze meines Vaterlandes laufen, und es kann mir keine angenehme Entdeckung sein, mich für den Augenblick darein verwickelt zu sehen. Indeß, weit davon[200] entfernt, die Treugesinnten Eures Glaubens zu tadeln, bedaure ich vielmehr, daß man die Würde unserer Kirche dadurch zu erhalten dachte, daß man verfolgend gegen die Eurige aufträte.

Sehr wahr, sprach Pater Clemens, sichtlich belebt, es war das Gefühl, welches jeder Verblendung der Art folgt, daß, wer einmal aus den Segnungen unserer Kirche tritt, nur durch weltliche Macht Siege erringen könne.

Dies ungerechte Mittel gegen eine tief begründete Ueberzeugung und den Rath des Gewissens ist zu allen Zeiten und von allen Partheien benutzt worden, erwiederte die Lady, und wir dürfen es sicher dem Wesen der Kirche nicht zurechnen, was nur der Despotismus der Unduldsamkeit verschuldete. Aber wenn ich bis so weit sprach, geschah es hauptsächlich, Euch zu überzeugen, wie ich von Innen heraus den Geist der Kirche, der ich angehöre, für unverträglich mit den harten Mitteln halte, die angewandt sind, die Eure zu vertilgen. Ich würde aus dieser Ueberzeugung nie die Hand bieten, Aehnliches zu veranlassen, und darüber keinen weltlichen Richter anerkennen. Jetzt aber sagt mir, auf welche Weise hat mein Schicksal diese Wendung genommen, und was wißt Ihr mir über die Absichten zu sagen, die mich hierher leiteten?

Euch aus den Händen des schwärzesten Verraths zu befreien, erwiederte Pater Clemens mit Betonung; aus Mitleid für Eure Jugend und Unschuld, die dem Elende bestimmt war. Wer von Oben her ein so weitreichendes Interesse an Eurem Leben nimmt, weiß ich Euch jedoch nicht zu sagen; ich bin ein beglaubigter Priester des heiligen Ordens Jesu, mir ist nur das blinde Vollziehn dessen gestattet, was jederzeit das Rechte und Beste ist. –

Was meint Ihr? unterbrach ihn Lady Maria, heftig bewegt. Ich ward betrogen? Von wem? Sagt, ich bitte Euch, von wem?[201]

Daß nur von Lord Membrocke die Rede sein kann, darüber könnt Ihr gewiß nicht im Zweifel sein, antwortete Pater Clemens, von ihm, der, um Euch aus der Obhut der Familie zu entführen, in deren Kreise Ihr lebtet, kein anderes Mittel wußte, als jenen erlogenen Brief.

Großer Gott! seufzte hier das unglückliche Mädchen, in ihren Sitz zurückfallend, so hätte ich recht geahnet? Doch wie könnt Ihr den Brief erlogen nennen, rief sie alsbald, sich erhebend, der seine Handschrift zeigt, mit seinem Siegelring gesiegelt, den ich so oft an seiner Hand gesehn? –

Armes Kind, es war leicht, Euch zu betrügen, denn die Höllenkünste ahnet ihr nicht, womit gewandte Schreiber eine jede Handschrift nachzuahmen wissen, und daß man Siegelringe stehlen könne, war Euch auch wohl kein vertrauter Gedanke.

Schaudernd verhüllte Maria ihr erblaßtes Angesicht und ein Gefühl von Trostlosigkeit, eine Verlassenheit, ein Elend nöthigte sich ihrem Geiste mit dieser Entdeckung auf, wie sie es nie empfunden, und ihre erste Flucht, ihr Alleinsein auf der Landstraße, an Hunger und Müdigkeit erliegend, schien ihr nun ein glücklicher Zustand, da sie damals die Hoffnung trug, ihr lebe der Oheim und in ihm aller Schutz, alle Liebe, aller Trost.

Nach einigen Augenblicken tiefster Erschütterung, die der Pater Clemens, in ernstes Sinnen verloren, nicht zu unterbrechen suchte, rang sich ihr Geist mit neuer Anstrengung empor, sie zog die Hände weg, und den Verkündiger dieser trostlosen Nachrichten schmerzlich anblickend, rief sie mit dem Tone der wahrsten Seelenangst:

Vergebt mir, wenn ich, so grausam betrogen, wie Ihr sagt, und verlassen von Allen, die mir die Natur zum Schutze bestimmte, jetzt die Qual des Mißtrauens kennen lerne und sie auch gegen Euch, von dem ich um so viel lieber Gutes[202] dächte, da ich nur Gutes von Euch erfahren, nicht ganz zu bemeistern vermag.

Beweiset mir, edler Sir, was Ihr sagtet, denkt mit Nachsicht, daß, wenn ich annehmen dürfte, Ihr allein betrügt mich jetzt, dadurch mein Leben minder hoffnungslos würde und eine Aussicht mir bliebe, den Schutz zu erreichen, nach dem ich mich sehne. Denkt, setzte sie mit hervorbrechenden Thränen hinzu, daß, wenn Lord Membrocke mich betrogen hat und mein Oheim nichts von mir weiß, mir fast jede Hoffnung schwindet, ihn aufzufinden.

Und nun sprecht, ich beschwöre Euch, sprecht die Wahrheit. – Haltet ein, rief sie angstvoll, als Pater Clemens die Lippen öffnete, hört mich weiter! Man sagt, die Theilhaber Eurer Kirche halten Alle meines Glaubens für ausgeschlossen aus dem Verbande christlicher Pflichten. Ich kann es nicht denken, ich will es namentlich von Euch nicht denken; aber es könnte sich doch in Euerm Geiste eine Geringschätzung gegen das Schicksal eines Wesens einstellen, das Ihr Ketzerin nennt. Ich verlange nicht, daß Ihr gegen mich wärmer fühlen sollt, als Euer Glaube zulässig hält; aber bedenkt, Sir, daß wir die Wahrheit zu sagen uns selbst schuldig sind, daß jede Seele sich selbst vergiftet, die zu Gunsten irgend eines Planes den heiligen Pfad der Wahrheit verläßt. O Sir, also um Euer selbst willen, um des heiligen Namens willen, den der Orden trägt, zu dem Ihr Euch bekennt, redet die Wahrheit, denkt, daß ich an diesen Namen glaube, gleich Euch, und daß wir durch ihn Strafe oder Vergebung empfangen werden. –

Der Pater hatte sie nicht ohne Theilnahme gehört, und vielleicht hatte manche Mahnung ihn nicht ohne Verlegenheit gelassen, aber die Erinnerung an den Orden, dem er verpflichtet war, heilte schnell alle Verletzungen des Gewissens und führte ihn zu seinen Verpflichtungen zurück, die, auf Gott gefällige Zwecke gerichtet, über die Mittel keinen Zweifel gestatten.[203]

Könntet Ihr übersehen, hob er mit Würde an, wie vorsorglich diejenigen gegen Euch gehandelt, die Euch meiner Obhut vertrauten, wie würdet Ihr dadurch am besten jenes traurige Vorurtheil widerlegt fühlen, welches die Feinde unserer heiligen Kirche verbreitet haben, um die Seelen zu verscheuchen, die ohne Befriedigung jener abgefallenen Kaste angehören und nach dem Mutterschooße unsrer Kirche sich zurücksehnen.

Die Diener und Dienerinnen dieser vom Heilande stammenden Lehre gehen verfolgt, beleidigt und im Elende schmachtend noch immer, gleich den Jüngern des Herrn, über die vom falschen Wahn ergriffene Erde, und suchen, wie der Hirt im Evangelium, das verirrte Schaf. Wer Euer beklagenswerthes Loos meinen Obern entdeckt habe, kommt mir zu wissen nicht zu. Eure Unschuld indeß rührte die erhabenen Männer Jesu, und da ihr Einfluß eine noch unsichtbare, aber nicht geringe Macht ist, erhielt ich das Zauberwort, welches Lord Membrocke von Euch abzustehen zwang. Ihr selbst mögt durch unbefangene Aeußerungen und die daran geknüpften Nachforschungen Eurer Freunde Lord Membrocke zu dem Plane Veranlassung gegeben haben, der ihm Eure Entführung gelingen ließ. Glücklicher, als Eure Freunde, hatte er den entdeckt, den Ihr zu finden strebtet, seine Handschrift ward von einem geschickten Bösewicht nachgemacht, der Siegelring ihm entwendet, und Beides in des Lords Hände geliefert. Ihr ließet Euch täuschen, obwol keine Zeile dieses Briefes die Gesinnungen des Mannes verrieth, dessen Handschrift man wohl nachzuahmen vermochte, aber nicht den Ton seiner Liebe. –

O, Ihr sprecht wahr! rief hier Maria, überwältigt von der fremden Bestätigung ihrer eigenen Empfindungen. –

Und so triumphirte das Böse, und Ihr folgtet dem elenden Verführer, der Euch verkauft hatte an einen vornehmen Wüstling, dem er Euch zuführte. –[204]

Und jetzt, rief Maria, alles Andere übergehend, wie werde ich es jetzt anfangen, um mich so bald als möglich unter den Schutz meines Verwandten zu begeben? Soll gegen Euch, Sir, der Ihr so viel für mich gethan, und gegen diese geheimen Freunde, die sich meinem Danke entziehen, meine Verbindlichkeit noch höher steigen? Soll ich Euch das Glück dieser Wiedervereinigung verdanken? –

Mylady, Ihr findet mich hier an der Grenze meiner Wirksamkeit und Macht. Euch hierher zu führen, lauteten meine Vorschriften, ich erwartete hier weitere Bestimmungen zu finden, die jedoch ein ungewöhnlicher Zufall verspätet haben muß, und die Euern unfreundlichen Empfang verschuldet haben. Wenn die Vorschriften ankommen, werden sie enthalten, was mit Berücksichtigung Eurer Sicherheit in Bezug auf diesen höchst gerechten Wunsch und seine mögliche Ausführung zu beschließen ist. Geduldet Euch bis dahin, und überseht nicht, in nutzloser Sehnsucht nach jenem Ziele, die Annehmlichkeiten, die Euch hier ein ruhiges, ungefährdetes Leben sichern. –

Und wißt Ihr wenigstens nicht mir zu sagen, ob mein Oheim bereits Nachricht von meinem Schicksal und jetzigem Aufenthalte erhielt. Denn nachdem man gewagt hat, diesen theuern Namen zur Ausführung so böser Absichten zu mißbrauchen, wie Ihr sagt, und wie tausend von mir nur mühsam unterdrückte Ahnungen mir bestätigen, zweifle ich nicht mehr, daß die ganze Erzählung über seine politische Stellung mit zu den Erfindungen jenes Verräthers gehört. Sie einen Augenblick geglaubt zu haben, gereicht mir zur tiefsten Beschämung, da sie den erhabenen Karakter des Mannes befleckte, den ich nie so anzugreifen hätte gestatten sollen. –

Das Schicksal dieses Mannes liegt mir zu fern, als daß ich Euch darüber Auskunft geben könnte; aber ich glaube annehmen zu müssen, daß es eine Wendung genommen, die ihn[205] vielleicht augenblicklich aus der Lage setzt, Euch selbst Dienste zu leisten. Es wird ihm sehr zur Beruhigung gereichen, Euch in einer vollkommenen Sicherheit und in den anständigsten Verhältnissen zu wissen, da, wie sehr auch das Letztere in dem Hause der Herzogin von Nottingham der Fall war, doch Eure Sicherheit sich als unzulänglich erwiesen hat. –

O Sir! seufzte hier Maria, wen trifft der Vorwurf anders, als mich selbst? Meine eigne leichtgläubige Thorheit hat mich dem Schutze entzogen, der sonst ausreichend für alle andern Fälle war. –

Ihr habt darin nicht Unrecht, und ich mag es Euch um so weniger ausreden, da Euer Selbstvertrauen in den meisten Fällen weiter geht, als sich mit Eurer zarten Jugend und dem Mangel an Vertrauen verträgt, der nothwendig damit verknüpft ist. –

Maria fühlte sich von diesem sanften Verweise des bejahrten Mannes, dessen Grundsätze und Ansichten sie mit Verehrung angehört hatte, wohlthätig berührt, und da junge und gut geartete Personen sich stets zu denen hingezogen fühlen, die sie schonend auf ihre Fehler aufmerksam machen, so hätte Pater Clemens nichts vortheilhafteres wählen können, wenn es überhaupt sein Wunsch war, sich in der Gunst des Fräuleins festzusetzen. Sie hob ihre Augen mit einem so demüthigen Ausdruck zu ihm empor, als hätte sie ihn allein beleidigt, und sagte mit sanfter Stimme:

Ich sehe es wohl ein, daß Ihr ganz recht habt, und Eure Güte, mich daran zu erinnern, ist sehr groß. Ich bin viel zu früh dem Rathe meiner Verwandten entzogen worden; alle meine Fehler sind daher unbeachtet geblieben, und ich selbst habe versäumt, mit Ernst darauf zu wirken. Aber gewiß will ich von jetzt an, da Gottes Güte mir eine Warnehmung durch Euch schickt, dagegen nicht länger nachsichtig sein. Darf ich Euch[206] indeß nun einen Wunsch gestehn, der sehr lebhaft in mir wird, seit ich weiß, daß ich betrogen ward.

Redet, liebe Tochter, erwiederte der Pater Clemens mit dem väterlichen Tone, in den das Fräulein ihm selbst so eben hineingeholfen hatte, mit Antheil will ich alle Eure Wünsche hören und fördern, was möglich ist.

Maria öffnete die Lippen, aber ein tiefes Roth deckte plötzlich ihr unschuldiges Angesicht, und ihr Kopf sank auf ihre Brust. Nach einigen verlegenen Augenblicken hob sie schüchtern an:

Glaubt Ihr, verehrter Sir, daß eine aufrichtige Darstellung der Wahrheit und meiner damit verflochtenen Thorheit die theure tugendhafte Familie versöhnen könnte, die ich durch meine unbesonnene Entfernung so tief beleidigt habe? und könnt Ihr mir, dies zu bewirken, einen Weg zeigen?

Pater Clemens hielt mit der Antwort zurück, und hätte Maria nicht eben abgeschworen, ihrem Urtheil unbedingt zu vertraun, so hätte sie nicht übersehen können, daß dieser Gedanke ihm sichtlich widerstrebte.

Es wird zu Eurer Rechtfertigung im Laufe der Zeit sich sicher eine Gelegenheit finden, erwiderte er nach einigem Bedenken; doch jetzt müßt Ihr durchaus Euch von Allen Schritten nach Außen zurückhalten, da vor erst nur die spurloseste Zurückgezogenheit Euch vor den Nachstellungen des mächtigen Mannes bewahren kann, gegen dessen weitreichenden Einfluß selbst Euer Oheim Euch nicht zu schützen vermöchte. –

Nennt mir, theurer Sir, diesen furchtbaren Mann, der so verhängnißvoll für mein armes Leben ward, und zugleich seine Gründe, gerade mich zu verfolgen. –

Solltet Ihr nie den Namen des Herzogs von Buckingham haben nennen hören? Er ist es, der Euch verfolgt. Laßt Euch damit genug sein, daß er Euer Verderben wollte, und verlangt[207] nicht, daß ich nähere Angaben mache, die zu erwähnen weder meiner geistlichen Würde ziemt, noch Euch sie anzuhören.

Maria schwieg, wie gelähmt vor Schrecken und Abscheu; erst nach langer Bekämpfung der dadurch erregten Schmerzen fuhr sie schüchtern fort:

Und bin ich hier sicher? Werde ich hier nicht erreicht werden? und wer läßt mir hier Schutz angedeihen? Wem habe ich nächst Euch zu danken? –

Den mächtigen Obern meines Ordens, die in diesem Hause, welches unter ihrer besonderen Macht steht, schon manche von der Welt verfolgte Unschuld gerettet haben, denen seid auch Ihr verpflichtet. Aber kümmert Euch um diese Verpflichtungen nicht, Euer Verwandter wird diese Ansprüche dereinst anerkennen und sie zu belohnen wissen. –

Und, Sir, fuhr sie fort, und Unruhe und Bekümmerniß malte sich in ihren Zügen, stehe ich nicht unter dem Einfluß der schrecklichen Frau, oder wie bin ich vor ihr zu sichern? –

Ihr werdet derselben Frau im Laufe des Tages noch vorgestellt werden und Euch dann selbst überzeugen, daß, wer nicht bei Nacht sich muthwillig ihr entgegen stellt, bei Tage nichts von einer Unglücklichen zu leiden hat, die bei uns allen den höchsten Anspruch auf Mitleiden und sogar auf Achtung besitzt. Ein höchst bewegtes und der weltlichen Begierde ergebenes Leben sucht sie gut zu machen durch eine fromme Hingebung an die heilige Mutterkirche, und sie hat ihr väterliches Schloß seit dem Tode ihres Gemahls, der so wirksamer Reue unzugänglich war, zu einem Aufenthalt der ehrwürdigen Schwestern gemacht, in deren Kloster sie als Kind erzogen ward, und zu denen sie jetzt sich mit heiligen Gelübden wieder bekannt hat. Ihr werdet unter den Frauen dieses Hauses würdige Gesellschaft finden, und vor allen in dem Umgang mit Schwester Electa, die Ihr hier saht, ein wahrhaftes Vorbild christlicher Tugenden und[208] weiblicher Demuth erkennen. Wie auch Eure Glaubens-Meinungen abweichen mögen, zweifle ich doch nicht, Ihr werdet der frommen Eintheilung des Tages Euch anschließen, da sie Euch eine würdige Beschäftigung mit den höchsten Gegenständen menschlicher Betrachtungen sichert. Um ein mögliches Aergerniß schwacher Seelen zu verhüten, namentlich um die ängstliche Empfindlichkeit Eurer Wirthin nicht zu reizen, die sich schwer überzeugen ließ, daß Ihr Euch hier nicht als Spötterin eindringen wolltet, bitte ich Euch sogar die einfache Kleidung des Hauses anzulegen und so den Frieden zu sichern, den man Euch dann ungestört wird genießen lassen.

Wie, rief Lady Maria mit ihrer ganzen Lebhaftigkeit, ich sollte das Gewand einer Nonne anlegen? Ich, eine Protestantin, sollte, wenn auch nur in dieser Aeußerlichkeit, den Schein einer Handlung annehmen, die mich von der Kirche trennte, der ich durch Geburt und Ueberzeugung angehöre? Nein, Sir, das ist nicht Euer Ernst, oder Ihr denkt sehr gering von dem Eifer, den wir unserer Lehre zuwenden. Ich will mich der Ordnung des Hauses, das mir Schutz verleiht, fügen, aber ohne mich Gebräuchen anzuschließen, die man mich gelehrt hat, als unverträglich mit der reinen Lehre des Evangeliums anzusehn. Sicher verspreche ich Euch, durch ein ehrerbietiges Betragen jede Besorgniß wegen einer unwürdigen Spötterei zu verbannen; aber in dem Maaße, wie ich dies thue, soll man auch meine Ueberzeugung ehren und sie nicht als verächtlich ansehn, daß sie sich hinter einen Schein von Lüge verbergen müßte.

Als Maria Alles gesagt hatte, was ihr aufschwellendes Herz ihr eingab, gewahrte sie erst den ernsten, vorwurfsvollen Blick des Priesters, womit dieser die heftigen Worte der Gereizten begleitete. Nachdem sie sich gesammelt, schien ihr, diesem stillen Vorwurf gegenüber, ihre ganze Rede nur der Ausbruch einer Heftigkeit, die sie sonst stets in sich anfeindete.[209]

Das Stillschweigen, welches Pater Clemens zu beobachten fortfuhr, verstärkte den Vorwurf, den sie sich aufnöthigte, und schnell zu ihrer eigensten Natur zurückkehrend, redete sie mit ruhiger, doch schüchterner Stimme fort:

Ich fühle, was Ihr sagen wollt, ehrwürdiger Herr, und sehe ein, daß ich heftiger war, als Euer Vorschlag rechtfertigt. Wenn ich Euch tadelnswerth erscheine, so verzeiht mir; der eigne Vorwurf hat mich erreicht, und Euch wollte ich nicht wehe thun.

Schweigend senkte Pater Clemens das Haupt und erhob sich langsam, indem er gesonnen schien, das Fräulein über die Aufnahme ihrer Entschuldigung im Zweifel zu lassen. Sein Auge hing am Boden, er grüßte sie feierlich und verließ das Zimmer ohne die geringste Erwiderung.

Als die Thür sich hinter ihm schloß und die unglückliche Maria sich allein sah, da überwältigte sie das Gefühl ihrer trostlosen Lage, und sie sank in Thränen aufgelöst auf den Teppich hin, ihren Kopf in den Polstern des Lehnstuhls bergend. So verlassen hatte sie sich noch nie gefühlt. Das Zürnen des Paters, die Art, wie auch er sie jetzt verließ, machten ihr erst fühlbar, welch eine Stütze er ihr geworden, und wie erschreckend und trostlos sich ihr Leben gestaltet hatte, da ein Blick über dasselbe ihr sagte, daß alle ihre Hoffnungen niedergesunken und sie von Allen getrennt sei, denen sie vertrauen durfte, und die es früher oder später jemals gut mit ihr gemeint.

Zum ersten Male fühlte sie in ihr sonst so gesundes Herz eine Muthlosigkeit einziehn, wovor sie bisher ihr starker Karakter, ihre Jugend und alle ihr vorschwebenden Hoffnungen bewahrt hatten. Körperlich ermattet, von den Eindrücken dieses Hauses, zu dessen düstern Geheimnissen sie sobald gelangen mußte, erschreckt, verfiel sie in eine bisher unbekannte Furcht, und unbestimmte Sorgen für ihre persönliche Sicherheit nahmen ihr völlig die Freiheit des Geistes, die ihr sonst eigen war.[210]

Sie fühlte dies selbst; aber sie konnte nicht einsehn, wie viel sie ihrer Körperschwäche davon zurechnen mußte. Doch alle Umstände ihrer Lage schienen ihr allein schon geeignet, sie nieder zu beugen, und diese Ansicht versenkte sie in eine widerstandlose Betrübniß.

Sie ließ ihren Thränen freien Lauf, und eine Fülle von Wehmuth drängte sich aus ihrem Busen. Weinend liegen zu bleiben, bis alle Schmerzen ausgeweint wären und sie sterbend sich auflöse, schien ihr das Einzige, was ihr übrig geblieben. Dies hoffte sie in der schmerzlichen Abspannung ihres Geistes, dahin deutete sie die überhand nehmende Schwäche ihres angegriffenen Körpers, darnach sehnte sich ihr ermüdetes Herz. Aber es ist selten der Wille des Himmels, unsern Körper zur Zerstörung an unsere Seelenschmerzen zu übergeben. Nur wer zum ersten Male den Umfang einer Trostlosigkeit kennen lernt, die ihn schnell von allen gewohnten Banden des Lebens ablöst, hofft und erwartet sie durch den Tod gelöst zu sehen. Eine andere Wechselwirkung ist uns aufgegeben, ein anderer Sieg dem schmerzbeladenen Geiste aufgehoben! Gegen unsern befangenen Willen bleibt die zarte Körperhülle für die in ihr tobenden Stürme ausreichend, bis wir den Frieden mit allen Erscheinungen in und außer uns schließen, und, erstarkt im Kampfe, weder unsere Auflösung hoffen, noch sie zu wünschen wagen. Wer aber einen tiefen, umfassenden Schmerz erlebt, der ihn aus allen Freudentempeln der Vergangenheit scheuchte, der erwacht zum Weiterleben, wie ein Verbannter, der fern von dem Boden der Heimat, wo sein Glück und seine Lieben wohnen, an der fremden Stelle nichts sucht und erwartet, und als ein stiller theilnahmloser Gast, als ein neid- und freudloser Beobachter die Schätze der Erde nicht mehr für sich vorhanden glaubt. Oft geht der Unglückliche diesen Weg, ohne zu ahnen, daß es der Weg zu einer lichtvolleren Erkennung des Lebens ist.[211]

Lady Maria stand nach einigen Stunden erschöpfenden Schmerzes von ihren Knien auf, und blickte sich kalt und gleichgültig an, als ihr blasses, leidendes Gesicht aus dem Spiegel zurücksah. Sie hätte keine Fremde gefunden, die ihr gleichgültiger geschienen hätte, als sie sich selbst. Nur eine dumpfe Vorstellung des Erlebten und der augenblicklichen Lage war ihr nach so vielen Anstrengungen und Erschütterungen geblieben, nur eine klagenlose Ergebung, eine völlige Muthlosigkeit, gegen ihr Schicksal anzukämpfen; und hätte man jetzt den Schleier der Ursulinerinnen über sie geworfen, sie würde ihn lächelnd als eine Wohlthat empfangen haben. Diese Stimmung hatte Zeit um sich zu greifen, denn ob absichtlich oder zufällig, ihre Einsamkeit ward bis zur Mittagszeit nicht gestört.

Margarith meldete ernst und schüchtern, daß das Mittagessen aufgetragen sei, und sie folgte ohne Erwiderung der Meldung. Aber der alte Diener, der heute in ein festes Schweigen gehüllt sie bediente, mußte voll Erstaunen die leidenden Züge des schönen Fräuleins und ihr gänzlich verändertes Wesen betrachten. Sie grüßte mit dem müden Haupte, ohne daß ein Lächeln den stummen Gruß belebt hätte; unberührt blieben die Speisen vor ihr stehn, und sanft wies ihre Hand den kleinen goldnen Becher zurück, dessen Inhalt sie noch gestern so wohl zu schätzen gewußt. Miklas und seine Tochter wechselten Blicke, und auch der Vater konnte die Theilnahme nicht unterdrücken, die sich in einzelnen Tropfen aus den Augen der Tochter stahl. Längst hatte man auch die letzte Schüssel unberührt hinweggenommen, und harrte, daß Maria sich erheben würde; aber in tiefes Sinnen verloren, gab sie kein Zeichen, daß sie sich ihrer Lage bewußt war. Mit der ganzen Geduld wohlerzogener Diener hielt der Alte diese Probe aus; doch ehe er es verhüten konnte, kniete Margarith neben dem Fräulein nieder.[212]

Liebe, theure Lady, wollt Ihr Euch niederlegen, sprach sie weinerlich, Ihr müßt sehr krank sein.

Als ob ein Schuß an ihr Ohr gefallen, so schreckte die gebeugte Gestalt Maria's bei diesen Worten empor, und schnell aufstehend rief sie hastig und tonlos: Was willst Du? Wie? Wo soll ich hin?

Wollt Ihr nicht ruhen, liebes Fräulein? sprach Margarith, noch schüchterner durch die Aufnahme ihrer ersten Worte. Ihr scheint der Ruhe zu bedürfen.

Ja, Ruhe, Ruhe! seufzte Maria, die habe ich nöthig, sehr nöthig; wo aber sagst Du, daß ich sie finden soll?

Auf Euerm Bette, erwiederte die Kleine ermuthigt, laßt mich Euch dahin führen.

Träumerisch blickte Maria die geschäftige Dienerin an, und mit einem Seufzer, der ihre Brust zu sprengen schien, ließ sie sich hinwegführen.

Der Abend breitete schon seine Schatten über das Schlafzimmer Maria's, auf dessen Bette sie unruhig athmend lag, in jenem Zustande von Fühllosigkeit, womit wir oft einen Zeitraum füllen, in dem geistige und körperliche Ermüdung uns wohlthätig gegen den Schmerz abstumpfen, dessen Opfer wir wurden. Maria dachte wenig, und die tiefe Stille, die sie umgab, da Margarith, ob aus eigenem oder fremdem Antrieb, schweigend in einem Eckchen ihrer Befehle harrte, ließ sie eine Abfindung mit dem Leben träumen, eine Trennung von der Welt, an die sie mit Befriedigung dachte. Sie schauderte daher erschreckt auf, als ein dunkler Schatten vor dem Fenster vorüber nach ihrem Bette glitt, denn sie fühlte Furcht vor neuen Erschütterungen, und ihr erster Gedanke war, das grauenhafte Wesen der Nacht zu sehn. Beschwichtigend drangen daher die sanften Sprachlaute der Schwester Electa zu ihr nieder.[213]

Der Friede des Herrn sei mit Euch, Mylady, so redete die feine Gestalt sie an, indem sie, über den Fußboden hinschwebend, dem Bette nahte. Ich wollte Euch meine Dienste anbieten, fuhr sie fort, und Euern Arm verbinden.

Maria richtete sich mühsam auf, erwiederte leise den ersten Gruß und gab sich willig den Bemühungen hin, welche der weibliche Arzt mit großer Geschicklichkeit übernahm. Als dies Geschäft beendigt, zögerte die Schweigende noch einen Augenblick und betrachtete das bleiche Gesicht ihrer Pflegebefohlenen mit Theilnahme.

Ihr seid auch im Uebrigen leidend, liebe Lady, und Eure Hände haben Fieberwärme; soll ich Euch einen kühlenden Trank bereiten? –

Habt Dank, erwiederte Maria, mir ist ganz wohl, und nur mein Kopf entbehrt Ruhe, Ruhe! es ist schwer, sie zu finden, daher bin ich geduldig, daß sie mir fehlt.

Ruhe, hob Electa an, Ruhe kehrt nur ein, wo wir mit frommem Vertrauen, was außer uns liegt, an die Regierung dessen verweisen, der über alle Erscheinungen der Erde wacht.

Ich hoffe, sagte Maria, ich befinde mich noch auf dem Wege des Vertrauens, den Ihr bezeichnet, aber ich bin jetzt keines klaren Bewußtseins fähig. Eben mein Kopf hindert mich; es ist Alles abgerissen, ohne Folge und Ausdauer; nur hier, setzte sie seufzend hinzu, ihre Brust berührend, hier fühle ich eine niederbeugende Last.

Nichts beugt uns tiefer, erwiderte die ernste Gefährtin mit Sanftmuth, als wenn wir von der unruhigen Begierde, das Leben nach unserm Willen zu lenken, abstehen müssen und unsere geringen Kräfte kennen lernen, welche Jugend und Unerfahrenheit uns überschätzen lassen. Doch diese Erkenntniß ist mehr, als alles Andere, eine Gnade des Himmels, und kein süßeres Glück ist, als still harren auf den Willen des Höchsten.[214]

Ja, sagte Maria, unwillkürlich Antheil nehmend, ich habe eine Ahnung von dem Frieden der Seele, in dem jeder Widerstand sich auflöst, weil der Einklang gefunden ist mit uns und der Außenwelt. Aber dies ist das Ziel, nicht der Weg. Nimmer mögen wir dahin gelangen, wenn wir uns nicht in der Theilnahme aller unserer Kräfte, kämpfend und wieder kämpfend, und zu immer neuen Fragen ans Leben bereit erhalten, bis wir alle Antworten vernommen haben, die möglich sind, und nöthig zum Frieden mit uns selbst; und wenn dazu Muth und Kräfte schwinden, setzte sie schwermüthig hinzu, dann ist uns das Härteste geschehen.

Ach, seufzte Electa nach einer kleinen Pause, junges kühnes Gemüth, wie gefährlich ist ein dergestalt herausforderndes Treiben. Der Frieden, den ich meine, ist ein Gnadengeschenk des Himmels, das hernieder fließt, ohne unser Verdienst, ohne unser kühnes Ringen. Ich verstehe Euch zum Theil nicht, doch, wie mir scheint, glaubt Ihr diese Gabe Euch selbst mit Euern menschlichen Kräften erwerben zu können. Vergebt, aber mich schaudert vor dem Gedanken, das höchste Gnadengeschenk durch den Hochmuth der Menschen verunglimpft zu sehn. Die Welt ist die Versuchung, der wir entsagen sollen, um Frieden zu finden. Wir können nicht mit der Welt im Einklang sein und zugleich auch mit dem Willen Gottes, denn die Welt verlockt uns stets zum Widerspruch gegen denselben, ehe wir Alles in ihr als eine Versuchung zum Bösen ansehen lernen und ihr gänzlich absagen.

Mein Geist ist müde und schwach, erwiederte Maria sanft, und ich möchte Euch kein Aergerniß geben, da Ihr sicher gefunden habt, was Ihr als ein unmittelbares Gnadengeschenk Gottes anseht.

Nein, nein! unterbrach Electa hier die angefangene Rede mit mehr Eifer, als Maria diesem stillen Wesen zugetraut.[215] Nein, glaubt nicht, daß ich zu den Gewürdigten des Herrn gehöre, denen er seinen Frieden gab. Wenigen nur wird so großer Lohn zu Theil, Wenigen nur; und ich trage den Fluch der Welt noch auf meinem verlockten Geist, und mein Gebet ist unfruchtbar und kann diese Seligkeit nicht hernieder flehen. Zehn Jahre sind es, daß ich in wahrer reumüthiger Erkenntniß einer Welt entsagt, die den Gesetzen christlicher Demuth Hohn spricht, und die empfangene Sünde hat noch ihren Stachel in mir zurückgelassen. Und Ihr, armes junges Wesen, scheint in dieser Welt und unter allen ihren zahllosen Verlockungen die Erlangung des Friedens zu hoffen, der selbst da ausbleibt, wo alle Versuchungen der sündigen Welt vor diesen heiligen Mauern umkehren.

Maria konnte nicht ohne Theilnahme die tiefe Zerknirschung, den peinlichen Zustand der armen Seele sehn, die unter dem Schleier stiller Ergebung ein so unruhig kämpfendes Herz barg.

Es ist nichts so wirksam, ein edles Gemüth aus den Banden des eignen Kummers zu erlösen, als der Blick auf ein fremdes Seelenleiden, welches bei jungen Personen überdies noch stets den Wunsch belebt, einwirkend zu helfen; während längere Erfahrung uns die Unzulänglichkeit dieses frommen Eifers einsehen läßt und uns mehr blos zum theilnehmenden Zuschauer macht.

Ihr fandet also auf dem eingeschlagenen Wege nicht den Frieden, nach dem Ihr trachtet? hob Maria nach einer kleinen Pause gutmüthig forschend an. Ihr hättet Euch in der Welt erst mit ihr versöhnen müssen, jetzt steht sie wie eine Feindin hinter Euch, und der Haß, den Ihr empfindet, stört eben Euern Frieden, und er kömmt nimmer von Gott. Seine Welt ist eine heilige Offenbarung, und unsere Unvollkommenheit ist es, wenn wir sie mit Sünden belastet sehn.

Sprecht nicht so, Ihr wißt nicht, was Ihr sagt, und daß Ihr im Irrthum seid! Es ist Gottes Wille, daß wir die[216] Welt hassen sollen, um uns davon los zu reißen und dem Himmel in seiner reinen Herrlichkeit uns zuzuwenden. Um der Unsterblichkeit unserer Seele willen müssen wir den ewigen Tod der Sünde fliehen; uns kann nur Ruhe in dieser Welt, Versöhnung in jener werden, wenn wir die Versuchung hassen lernen und im Gefühl unserer Schwäche davor fliehen. Ihr seid noch in der unglücklichen Sucht befangen, Euch selbst zu berathen, daher hofft Ihr so weltlich, weil das Weltliche Eurer sündigen Neigung zusagt. Erst wenn wir uns selbst verlassen und die ganze Last unserer Verantwortung einem Gotterfüllten Führer anheim stellen, erst dann sehen wir ein, wie nutzlos wir uns abmühten in der eigenen regellosen Thätigkeit. Eine Gnade Gottes ist der geistliche Gehorsam, dem wir allein dann angehören, und von bevorrechteter geistlicher Erkenntniß gelenkt, werden wir von der Sünde entfernt. –

Aber auf welchen Wegen glaubt Ihr, sprach Maria, daß jene Gotterfüllten, bevorrechteten Führer fähig wurden, uns Irrende zu leiten und verantwortlich für uns zu werden? Glaubt Ihr nicht, daß sie mit sich selbst erst anfingen und der Selbstberathung nicht überhoben waren, um ihren Geist zu der Höhe zu führen, die sie nun erst für Andere zu einem schützenden Vormund ihrer schwächern Seele macht?

Die heilige Kirche, erwiederte Electa, verleiht ihren Dienern, ohne sie durch die befleckenden Wege gewöhnlicher Menschennoth zu führen, die Höhe und Heiligkeit, von welcher den Schwächern mitzutheilen sie berufen sind. Ein ganzes Leben, in heiliger Einsamkeit und Unschuld zugebracht, ein Leben, an das nie ein irdisches Verlangen streifte, ein Leben, daß durch die Satzungen der Kirche über uns so weit erhoben ist, soll von uns nicht mit dem Maaßstabe gemessen werden, der unser eignes irdisches, unvollkommenes Dasein uns giebt. Wenn ihnen Kämpfe aufgegeben sind, wie uns allerdings die Geschichten[217] der Heiligen sagen, so sind diese so weit über denen, die wir zu bestehn haben, daß ihrer theilhaft zu werden, schon eine Heiligung für uns wäre. Die Noth, die uns beugt, liegt als ein unbekanntes Gebiet weit ab von ihrer Bahn; und doch suchen sie den Seufzenden dort auf, doch wissen sie ihn zu finden, und die reine Atmosphäre ihrer Nähe, zu der sie uns hinziehn, ist der Anfang, womit sie uns Schauder erregen vor unserer weltlichen Gestaltung. Denn allgemach zu dem Muthe zu erstarken, die Seele aufzuthun, die Sünde auszusprechen, von der wir uns selbst nur ein lügenhaftes Geständniß abzulegen vermögen, die Wahrheit aufgedeckt zu hören von dem geheiligten Munde des Reinen, Untadeligen und uns selbst baar von jeder Täuschung zu erkennen; ferner in der Angst und Qual der Sünde, die uns dann befällt, an ihn uns festhalten und uns nicht verloren halten zu dürfen, so lange wir ihm gehorchen, ja von ihm die Last unserer Sünde getragen zu fühlen, ihn verantwortlich dafür gemacht zu sehen, wenn wir blos befolgen, was sein heiliger Mund gebietet – wie wäre damit die eitle Sucht zu verbinden, die Retter unserer Seele selbst auf eine Linie der Betrachtung mit uns zu stellen, da sie doch so hoch über uns stehn.

Es muß ein schönes Loos sein, das gefunden zu haben, was Ihr schildert, erwiederte Maria. An einem hochbegabten reinen Geist in unserer Nähe uns aufzuranken und in seiner Klarheit leicht zu erkennen, wo in uns selbst es dunkel blieb; Wahrheit gebend und empfangend, sich auszuheilen von dem leicht gehegten Schein derselben, das ist ein seliges Loos; wer es gekannt, und einsam dann verbleiben muß, der welkt am Boden früher hin.

England, rief hier Electa mit heiligem Eifer, ist arm geworden an dem heil'gen Troste, den ich meine, und darum verwirrt ein irres Suchen dies arme Land. Der Sünder will vom[218] Sünder Schutz, der von derselben irdischen Noth belastet seufzt, und der für den Leidenden an seiner Seite nur dieselbe Qual zum Austausch der Empfindung, nicht aber die Kraft zu entsündigen erhalten hat. Alle, die dem neuen Geiste fröhnen, alle die, gleich Euch, Mylady, wie mir däucht, an weltliche Bande denken bei dem, was ich auf jene höhern Geistlichen bezog, die werden welk werden vor der Zeit. Denn es ist zwar noch die Wurzel, die ihrer inneren Natur gemäß Zweige und Ranken treibt, aber die Hand des Gärtners fehlt, die sonst empor das strebende Gewächs gezogen hätte; sich selbst überlassen, überwächst sich der Keim, erstickt in eigener ungeregelter Fülle und welkt am Boden hin. –

Dies Gleichniß scheint Ihr, gute Schwester, auf unsere Kirche zu beziehen, und fragen möchte ich Euch dagegen, ob Ihr denn die Eure noch auf dem Standpunkte glaubt, den Ihr so eben schildertet, und der sich allerdings in ihrer früheren Entwickelung vorfand. Nie habe ich ohne Achtung und Verehrung der frommen Männer denken können, welche zuerst die Inbrunst ihrer Liebe und Anbetung unter jenen Formen darzustellen strebten, worin nach ihnen so viele Tausende mit gleicher Inbrunst ihr heißes Andachtsgefühl versenkten, und es heiligten und heilig übertrugen, durch das unschuldige Verlangen, das Höchste, was uns gegeben ward, zu ehren. Sie hatten sicher einen göttlichen Ruf empfangen, und erstaunenswürdig bleibt, was ihnen in einer Weltherrschaft gelungen, welche ohne Beispiel in der Geschichte steht, und deren Segensfülle in allen Richtungen nachzuweisen ist. Doch eben sie, die Geschichte, lehrt uns auch die ganze Stiftung als ein Menschenwerk betrachten, das der Welt seine großen Dienste that, und, des Inhalts entledigt, den das Bedürfniß erheischte, nun leer geworden ist und den Gang alles Irdischen, allmäligem Verfall entgegen geht. Noch sind einzelne Seelen mit ihrer frommen reinen[219] Liebe vermögend, einen Sinn hinein zu legen, dem ihrer ersten Stifter ähnlich. Aber dies ist individuell, es ist nicht mehr das Werk, der Geist der Kirche! Haltbar ist nicht, was Basis einer Weltentwickelung war, die, erreicht, nun ein anderes Bedürfniß sucht und findet; und so, erlaubt es mir zu denken, ist die Reformation entstanden, nicht Menschenwerk dem Menschenwerk entgegen, sondern nothwendige Entwickelung der Menschheit in sich, das Bedürfniß eines höheren Lebens im Geiste, unabhängig von dem Verhältniß berechtigter Menschen, der Priester, zu unberechtigten, den Laien: mit einem Wort, ein Leben mit Gott durch den freien Genuß des Evangeliums.

So bin ich gelehrt worden zu denken, und so sehe ich Eure Kirche nicht tadelnd, aber als ein ehrwürdiges Vergangenes an, und weiß gar wohl von ihrem wahren Inhalt zu trennen, was nothwendig mit ihrem Verfall als Sünde sich von ihr aus verbreitet hat. –

Unglückseliges Kind, sprach hier Electa, sich bekreuzigend, welch ein Geist spricht aus Euch? Ach, Herr, Herr! Du prüfst mich hart in dieser Versuchung, warum muß ich, die Schwache und Ohnmächtige, unsere heilige Kirche angreifen hören? Warum muß ich in ein Gemüth blicken, das sicher geworden ist in so schrecklicher Verläugnung! –

Es war nicht meine Absicht, Euch weh zu thun, unterbrach Maria die Erschütterte in ihren Klagen; ich war eben nicht in der Stimmung, so ernste Dinge mit Euch zu erwägen. Ihr selbst habt mich dazu belebt, und die einmal gewonnene Ueberzeugung zu unterdrücken, fehlt mir jede Anlage. Glaubt nicht, in mir eine verhärtete Seele zu finden, ich hoffe eine Christin zu sein, und mein Herz ist voll von dem Glauben an die Offenbarung. Laßt uns damit beschließen; wir möchten sonst weit über unsere Befugniß uns hinausreden.[220]

Und jetzt trat Pater Clemens zu ihnen, von dem es ungewiß blieb, ob er ein Zuhörer gewesen, da sein gelegenes und geräuschloses Herzutreten die Antwort der jetzt sich entfernenden Schwester Electa verhinderte, und es im Zweifel blieb, ob sie nachgiebiger oder zurückstoßender ausgefallen sein würde.

Maria richtete, sichtlich erfreut, sich ihm entgegen, und es war nicht zu übersehen, wie sie, hold ihn anlächelnd, auf dem einzigen ihr gebliebenen bekannten Gesicht ein Wohlwollen suchte, das sie bei der Fremdheit und Verlassenheit ihrer Lage festzuhalten strebte. Aber Pater Clemens vermied den Blick dieses wiederbelebten Auges, und nachdem er sanft, aber kurz nach ihrem Befinden gefragt, kündigte er ihr trocken an, daß er komme, ihr Lebewohl zu sagen, da er vor Nacht das Schloß verlassen werde.

Bei dieser Nachricht fühlte sich Maria wie von einem betäubenden Schlage gelähmt, und gleich darauf von einer Fluth so niederschlagender und angstvoller Vorstellungen überwältigt, daß sie fast einen Schrei ausstieß und wie vor einem Schreckbilde ihr Gesicht verhüllte. Pater Clemens fuhr indeß, ohne sich davon scheinbar bewegen zu lassen, mit Ruhe fort: Ihr findet hier ehrenvollen Schutz und alle Gelegenheit, Euern Geist in die Stimmung zu bringen, die Eurer Zukunft die entsprechendste ist. Es wird Euch an belehrendem Umgang nicht fehlen, Ihr werdet Euch Liebe und Wohlwollen erwerben können, und jede Theilnahme finden, die der Tugendhafte stets für alle wahren Interessen des Lebens empfindet. Vor Allem aber denket mit Dankbarkeit gegen Gott daran, daß Ihr durch die Boten seiner Gnade auf Erden aus den Fallstricken des Lasters errettet seid.

Indem mein Auftrag an Euch hiermit vollendet ist, setzte er mit weicherer Stimme hinzu, empfehle ich Euch dem Schutze des Himmels und will Gott bitten, Euerm Geiste diejenige Stimmung zu verleihen, die Euch den Frieden in Euch und[221] zu Euern Umgebungen sichert. Der Herr segne Euch und – – – Maria fühlte eine kalte Hand auf Ihrem Scheitel, und den angefangenen Segen, dem nun die schnelle Trennung folgen sollte, unterbrechend, ergriff sie die Hand des Mönches und zeigte ihm mit dieser raschen Bewegung ihr rührendes, von Schmerz und Angst entstelltes Angesicht.

Nein, nein! Ihr könnt mich nicht verlassen wollen, rief sie bebend, so den letzten Trost nicht von mir ziehen; Ihr wollt mich bestrafen für meine Ungeduld am Morgen, mich noch mehr erschrecken. Nein! rief sie lebhafter, seine Antwort unterdrückend, Ihr könnt mich in dieser fremden Welt nicht ohne Schutz lassen. Bleibt nur hier, ich bitte Euch! Still will ich sein und Euch gehorsam, wie ein Kind dem Vater; Alles will ich thun, was die schreckliche Gebieterin verlangt, denn mein Inneres kann ich behüten, und das Aeußere zu befolgen, soll mich Demuth lehren und Nachsicht gegen fremden Willen. Ich will das düstere Nonnenkleid anlegen, fuhr sie fort, die steigende Bewegung des Pater Clemens nicht sehend, ja, ich will hinab steigen in die finstere Gruft, wo Ihr Gott dient, und hier, wie da, werde ich beten können. Aber geht nicht fort, wenn Ihr nicht den Tod über meinen geängstigten Geist hernieder rufen wollt; oder müßt Ihr fort, so nehmt mich mit. Fürchtet nicht für mich auf einer vielleicht beschwerlichen Reise. Ich will Alles entbehren, was die Pflege des Körpers erheischt, ich will mit Euch zu Fuße wandern; ich habe Kräfte, glaubt mir. Ach, erdrückt nur nicht den Geist in mir, raubt dem Herzen nicht den letzten Hoffnungsstrahl, und Ihr sollt mich ausdauernd finden und unermüdlich in Allem, was Ihr begehrt.

Pater Clemens hatte nicht ohne Rührung und Erstaunen ihren Worten gehorcht. Maria hatte in ihrer Angst die Kenntniß der unterirdischen Kirche verrathen, und ihm zugleich eine Anhänglichkeit und ein Vertrauen gezeigt, daß er seinem Herzen[222] nicht wehren konnte, zu überlegen, ob den Geboten Genüge zu leisten sei, die ihn von ihr vertrieben. Aber es konnte nur ein kurzer Kampf mit seinem menschlichen Gefühle sein; schnell kehrte der gewohnte Einfluß des Gehorsams wieder, und er suchte sich mit der Hoffnung zu trösten, ihr Schicksal könne noch in dem höhern Willen seiner Obern eine bessere Wendung nehmen.

Ich muß Euch zwar hier verlassen, hob er daher bald gefaßt an, als ihr Blick ängstlich seiner Antwort entgegen sah, doch geschieht dies mit der innigsten Ueberzeugung, daß für Euer Wohl damit gesorgt ist. Ich habe bei dem, was Ihr mich thun seht, keine freie Wahl, mir steht nicht zu, zu ändern und zu klügeln, mir fehlt die Uebersicht von dem, was nöthig ist; es wird erreicht, indem ein Jeder ohne Einspruch auf seinem Platze das Befohlene thut. Dies genügt uns und ist Erfüllung unseres Berufs.

Ha! rief Maria, sich erhebend und mit glühenden Wangen vor ihn tretend, wo ist die fürchterliche Gewalt, die Euern hellen Geist in solche Knechtschaft zwängt? Wer seid Ihr, daß Ihr das hohe Recht der Menschen aufgegeben, frei der eigenen Ueberzeugung zu folgen? Wie hat man es vermocht, Euch so in Fesseln einzuschlagen, daß Ihr Euch der freien Berathung mit Euch selbst entzieht, und blind und ohne Zweck ein abgerissenes Dasein lebt, unwissend, ob der Weg, den Ihr mit festgeschlossenen Augen geht, derjenige sein wird, auf dem Ihr vor Gott dereinst wünschen werdet Euch befunden zu haben! Ist das die Stimme des Gewissens, der wir folgen sollen, die Euch von dem verlassenen Wesen fortruft, welches, verlockt durch falsche Kunst, aus ehrenvollem Schutz getrieben, hier unter grauenhaften Umständen von neuen, dunkel drohenden Gefahren sich umgeben sieht? O, werft ein so fremdes Wesen von Euch, gehorcht dem heiligen Geiste, der in der Brust des bessern[223] Menschen Thun und Lassen richtet! O, daß ich Euch rührte, für Euch selbst, für mich!

Es entstand eine Pause. Der Pater war in eine Stimmung gebracht, die ihn entsetzte; doch in dem Maaße, als er, was er eben vernommen, innerlich wie eine harte Versuchung zu bezwingen trachtete, riß er sich mit seiner ganzen Kraft davon los, und erwiederte mit mehr Kälte und Härte, als zu erwarten war:

Haltet ein mit Euern unbesonnenen Reden; Euer Verstand ist ein keckes Ding und überbietet mit leichten Worten schnell jedes Maaß, womit Ihr wenigstens trachten solltet, das zu würdigen, was fremd oder widersprechend erscheint. Lernt erst begreifen, daß, wer zu gehorchen vermag, in sich einer größern Kraft bedarf, als zum Widerstehen gehört, daß nur der mit Ruhe die äußere Freiheit aufgiebt, der sie nach Innen gesichert hält, und daß der Weg kein fremder ist, auf welchem das Panier des Heilandes weht. Eben darum verstummt die neugierige Frage, ob seine Bahn auch rauh und öde, über Fels und Trümmer, durch stille, nie bemerkte Thäler führe. Ihr wißt es selbst nicht, wie ich in Euerm Wesen eben jetzt die Weisheit derjenigen verehre, die Euch hier zur Erkenntniß Eurer selbst die Gelegenheit geben. –

Scheltet mich, wie Ihr wollt, rief Maria, schnell seine weitere Rede hindernd, aber verlaßt mich nicht; stellt mich so unmündig dar, wie Ihr wollt, überzeugt Euch nur, daß ich um so mehr Eures Schutzes bedarf. Ich glaube, daß Ihr mich kennt, und Eurer Weisung will ich gehorchen; aber schweigt mir von der fremden Macht, von der ich mich gekannt denken soll. Oder, fuhr sie plötzlich ernster fort, ich muß glauben, wer ich bin, zu wem ich gehöre, ist nur ein mir vorenthaltenes Geheimniß, und jene Obern tragen irgend eine Absicht, mich, die Freigeborene, hier als Gefangene verschmachten zu lassen.[224] O entsetzliches Loos! Könnt Ihr es denken, dauert Euch meine Jugend nicht, nicht der Schmerz derer, die mich vielleicht zu finden trachten, und denen ich hier widerrechtlich vorenthalten bin?

Ihr werdet mit dieser Art, die Umstände anzusehen, erwiederte der Pater, unter die Ihr Euch fügen müßt, Euer Loos schwerer machen, als es der Wahrheit nach zu nennen ist. Nehmt die Dinge so einfach, wie sie vor Euch liegen, und überlaßt es der Zeit, die Veränderungen darin hervor zu rufen, die der Himmel Euch bestimmt. –

Ach, welch ein Rath, für ein Herz, das in so kurzer Zeit alle Gefahren einer schutzlosen Lage durchkämpfen mußte, und sich nicht verhehlen kann, daß es auf sich, auf seine eigenen Kräfte angewiesen ist, auf eine Erfahrung, so jung und ungeprüft, die, muß ich Euern Worten glauben, so unzulänglich sich erwies, daß es einer fremden Einwirkung bedurfte, um die schrecklichen Folgen des ersten selbst gelenkten Schrittes abzuwenden. –

Ihr solltet daraus lernen, wie wenig Ihr zur eignen Lenkung Euers Schicksals berufen seid, und dankbar anerkennen, daß Eurer Jugend diese Hülfe von einer Seite kömmt, wo mit der reifsten und weit reichendsten Erfahrung der Wille sich verbindet, sie zu Euerm Nutzen anzuwenden. –

Nein, nein! Ihr überredet mich umsonst, diese heimlich waltende Macht als eine wohlthätige anzusehen; ihre Anordnungen sind im eigenen Interesse, mit Beschränkung der Freiheit dessen angeordnet, dem sie zu helfen vorgiebt. Ich will mich frei erklären. Ich verlange über mich Gewalt zu haben; diese Mauern will ich verlassen, und heute noch; ich will von Gott geschützt den suchen, der allein ein Recht hat, mir zu gebieten. –

Da Ihr denn selbst diesem heiligen Schutze entsagt, so danket Gott, daß Niemand in diesen Mauern lebt, der Euch[225] zu willfahren berechtigt ist. Ich warne Euch noch ein Mal, ergebt Euch mit Gelassenheit in Eure Lage. Der Widerstand möchte eine Aufmerksamkeit erregen, die Euer Schicksal auf eine Weise bestimmte, wie Ihr sie am meisten fürchtet, und wie sie jetzt vielleicht noch abzuwenden ist, wenn Ihr still ergeben Euern aufstrebenden Geist verberget. –

Ihr sprecht in Räthseln und laßt doch ahnen, man habe mich zu andern Zwecken hierher gebracht, als mich der Schande zu entziehen. Ihr wißt mehr. Es ist gewiß, Ihr kennt die Absicht, die über mich bestimmt, und seid nicht ohne Mitleid, ohne Theilnahme. Erbarmt Euch denn und thut mehr; entreißt mich dieser Lage, die so viel Bedrohliches in sich schließt. Ich muß Euch vertrauen, obwol Ihr Euch so klein, so gering als Diener jener fremden Macht bezeichnet. Ihr habt ein Herz, ich weiß es: Ihr könnt es nicht so sehr im Gehorsam ersticken, daß es Euch nicht sagte, was menschlich und gerecht ist. Fürchtet nichts von meiner heftigen Weise, die stärker ist, als ich sie sonst in mir kannte, was ich jetzt wohl fühle; denn die Kräfte des Menschen, wenn sie erweckt werden, treiben gute und böse Früchte, und, eingehegt von treuer Liebe und belebt vom reinsten Vertrauen, kannte ich den Widerstand nicht, den ich heftig in mir sich regen fühle, wo Beides aus meinem Leben nun verschwunden ist. Doch ich will mich gegen Euch ganz bezwingen lernen; denn Euch muß ich am meisten jetzt vertrauen, wenn ich auch wünsche, Ihr vertrautet in höherem Grade Euch selbst. Es sind erst Stunden verflossen, seit mein Geist von einer Schwäche befallen war, die, mir sonst fremd, mich jetzt mit Angst erfüllt. Ich glaubte sonst, der äußern Noth zu widerstehen, sei das Schwerste; aber ein tödtliches Grauen umschleicht mich, wenn ich denke, der Geist wird endlich müde und schläft ein; im Schlaf könnte er geschehen lassen, wovor ihm beim Erwachen grauete. Seht, sagte sie leiser und mit kindlicher[226] Furchtsamkeit ihm nahend, ich zittere für das Heil meiner Seele! Ihr könnt nicht läugnen, ehrwürdiger Herr, hier wird ein anderer Glaube, als der meine, streng geübt, man wird mich ungern als anders Glaubende hier dulden, man wird den Uebelstand durch Bekehrung heben wollen, und seit heute Morgen fehlt mir der gute Muth, ich könnte siegend mir selbst getreu verbleiben. Ich sehnte mich zu sterben in meinem Schmerze, und konnte nicht recht beten, und jeder Trost, der lebenskräftig sonst aus meinem Glauben mir entgegen trat, war mir so fern, wie hinter Nebeln ein Freund, den man nur schwach erkennt. Das könnte wiederkehren; ich weiß nicht, wie ich sagen soll; sterben möchte ich, nur nicht den Rückschritt thun zu Eurer Kirche, und möglich halte ich ihn blos, weil mir die neue Erfahrung geworden ist von meiner Geistesschwäche. –

Unglückliches Kind! sprach nach einer Pause der Geistliche mit mehr Gefühl, als er sich gestatten wollte, Ihr rührt mich, so sehr ich Euch im Irrthume sehe, und darum desto mehr. Warum ward Euerm fähigen Geiste nicht von Jugend auf die sanfte Lenkung unsrer Kirche zu Theil? Nicht Furcht, nicht Zweifel beugten dann Euern Muth; Ihr würdet in jedem Glaubensbruder die Verwandten wieder finden, die Euch entrissen sind, wie Tausenden vor Euch. Das ist der Fluch von jener Spaltung der wahren, vom Heilande eingesetzten Kirche, daß Mensch vom Menschen geschieden steht im irren Zweifel, daß der Eine seiner Seele Heil nur dann behütet glaubt, wenn er gering hält und verachtet, was dem Andern heilig erscheint. Wo ist der Anhalt in Eurer Kirche, wenn der Geist ermüdet unterliegt, wie Ihr eben an Euch selbst gewahrtet? Der Hochmuth Eurer Selbstgerechtigkeit treibt Euch hinaus, weit über die Grenzen Eurer wahren Kraft. Ihr unterliegt in dem eiteln Treiben der Welt, und nirgends findet Ihr den Anhalt in dieser Wüste, nirgends den sichern Port, in dem Ihr ausruhen[227] könnt, und Schutz und Hülfe findet. Er ist nur im Schooße unserer Kirche, nur Eigenthum der frommen Männer, die in heiliger Betrachtung der göttlichen Dinge den Maaßstab für die richtige Würdigung irdischer Noth gefunden. Sie allein vermögen uns zu stützen, wo wir erlahmen in dem wilden Jagen nach eitler Lust; und Ihr fürchtet diese Stütze, Ihr fürchtet sie in dem Augenblicke, wo Ihr Euch schwankend fühlt in Eurem stolzen Alleinsein. –

Genug, ehrwürdiger Sir, unterbrach Maria hier den Eifernden schnell; zu sehr mahnt mich Eure Rede daran, daß ich nicht umsonst fürchtete, in diesem Hause den Angriffen Eures Glaubenseifers ausgesetzt zu sein. Nicht zum polemischen Kampfe fühle ich mich gerüstet, und billig solltet Ihr meinem Geschlechte und meiner Jugend dies erlassen wollen, obwol, verhehlen will ich's Euch nicht, mir Einiges beifällt, das darthun möchte, die Erde sei überall des Herrn, und Hinfälligkeit drücke ihren Stempel auf alles Menschen-Werk. Der Glaube, dem ich angehöre, giebt mir Kraft, und eben jetzt, mich aufzulehnen gegen falsches, unklares Treiben. Frei bin ich geboren, und einem hohen Geschlechte gehöre ich an, wenn über seinen Namen mir auch ein Gewebe gezogen ist, in welchem ich Wahrheit von Trug nicht mehr zu trennen weiß. Dem gemäß darf ich nicht leiden, daß ich zu unbekannten Zwecken unbekannter Menschen diene und müßt Ihr mich verlassen, so begehre ich mindestens durch Euch die kennen zu lernen, die hier gebieten, auf daß ich mich offen mit ihnen selbst verständigen könne.

Maria hatte ihre volle Energie wieder erlangt; ihr schönes Antlitz zeigte Licht und Farben, ihr schlanker Wuchs hob königlich sich höher, und der Ton ihrer Stimme hatte die bebende Tiefe, die aus einem gekränkten Herzen kömmt.

Pater Clemens übersah dies nicht und fühlte wohl, wie wenig fürs Erste diese Stimmung geeignet sei, ihrem Schicksal[228] eine bessere Wendung zu geben; aber diese Betrachtung war zugleich mit einem warmen Gefühl der Theilnahme verbunden und machte es ihm unmöglich, ihren Vortheil ganz zu übersehen, ja, ihn beschlich sogar ein Gefühl von Furcht vor derselben Macht, der er diente, als müßte er sie davor zu schützen suchen. Vielleicht hätte ein etwas ruhigeres Nachdenken ihn dieser menschlichen Empfindung entzogen und ihn wieder zum Sklaven seiner aufgenommenen Pflicht gemacht. Häufig indeß übt eine wahrhaft edle Natur auf ein mühsam bezwungenes Gemüth, worin der edle Keim, überbaut von Absicht und Sophisterei, begraben liegt, die magische Gewalt, belebend zu dem halb Erstorbnen einzudringen. Es entstehen so oft Zeichen eines höhern Daseins in einem sonst leer davon befundenen Leben, wunderbarer, als die Oasen in der Wüste, und vergänglicher und leichter überschüttet von dem heißen Sande des ringsum herrschenden Bodens. Genug, der Pater zögerte nicht, ein Mensch zu sein.

Wünscht diese Zusammenkunft nicht in dieser Stimmung, sagte er leiser, und laßt Euch warnen, den Geist nicht zu zeigen, der Euch belebt. Man fürchtet eben Euer hochstrebendes Gemüth, und wenn man sich davon überzeugt hielte, würdet Ihr nie mehr diese Mauern verlassen dürfen. Erschreckt nicht so heftig, sprach er begütigend weiter, da er die blasse Stirn, den Schreck des edeln Wesens sah, Ihr sollt nicht umsonst mir Vertrauen geschenkt haben. Haltet mich nicht zurück. Ich kann Euch nützlicher sein in der Ferne, und ich will es, wenn Ihr mir dagegen feierlich gelobt, Euch hier mit Klugheit zu verhalten, durch keinen Widerspruch eine zürnende Aufmerksamkeit auf Euch zu lenken, still ehrend Electa's und der Andern Glaubenseifer zu begegnen, und ruhig den kühnen Geist in Fesseln einzuschlagen. Dann, fuhr er schwankend fort, glaubt man vielleicht, wenn ich zu Eurer Freiheit Euch das Zeugniß des beschränkten Sinnes gäbe – doch genug, unterbrach er sich[229] sichtlich beängstigt. Die Theilnahme macht mich geschwätzig; ich hoffe, Ihr werdet mich nicht mißverstehn. Ich ehre jede Absicht meiner Obern und hoffe ihnen nicht zu nah damit zu treten, daß ich zu Duldung und Gehorsam Euch ermahnte.

O, bereut nicht, edler Mann, was Euer menschlich Herz Euch sagen ließ, rief kindlich zärtlich hier Maria. Ihr habt genug gesagt. Kann ich auch den Grund von diesem Verfahren nicht erkennen, so weiß ich doch die Absicht und will mich wahren, mit Gottes Beistand, obwol ich niemals absichtlich zu täuschen gelernt, sondern es stets verschmäht habe. Ich will Gott bitten, daß er mir eingebe, was nöthig ist, die Feinde hier zu täuschen; denn Freiheit ist so süß, und jenseits dieser Mauern lebt noch so manche heitere Hoffnung. Ach, helft mir sie erringen, und glaubt mir die schöne Welt, die Gottes Offenbarung war, sie ist nicht sündig, und Sünde nur ist, was sie von Gottes Ebenbild trennt.

Thränen flossen auf die Hand des Priesters, die Maria mit den ihrigen fest umschlossen hatte, und so lebensvoll, so überzeugt sprach sie ihm zu, daß es fast schien, als habe sie vielmehr das Werk der Bekehrung an ihm versucht und sei weiter darin vorgedrungen, als mit seinem Berufe sich vertragen wolle; denn das niedergeschlagene Auge konnte nicht ganz verbergen, was seine ausdrucksvollen Züge von innerem Widerspruch und tiefer Rührung sagten.

So laßt uns scheiden, sagte er sanft, und Gott behüte Euch und lenke Alles nach seinem Wohlgefallen.

Sanft beugte Maria das Haupt, und segnend berührte er es einen Augenblick. Leise, aber fest, verließ er das Gemach, und Maria blieb nicht so trostlos zurück, wie er sie gefunden. Ein Strahl von Hoffnung erhellte die düstern Räume ihres Herzens, in welche mit der vollen Kraft der Jugend das[230] Vertrauen wiederkehrte und der Muth, dem Widerwärtigen zu begegnen. –

Wir wollen nicht behaupten, daß Maria's Muth derselbe blieb, als sie am nächsten Morgen die Augen aufschlug und ihre Gedanken darauf fielen, daß Pater Clemens längst aus diesen Mauern entfernt sei und sie allein Allem gegenüber stehe, was ihr fremd und besorglich erschien. Aber der gesunde Schlaf der Jugend hatte nicht umsonst ihren Körper erquickt; frei lebte er auf, und in ihm fand die Seele Ruhe.

Margariths Vater bereitete das Frühstück an dem lodernden Feuer des Kamins, während Maria sich mit Hülfe der Tochter im Nebenzimmer ankleidete. Bei ihrem Eintritt empfing sie eine sehr feierliche Einladung des alten Dieners, der Herrin des Schlosses sich vorzustellen.

Ich bin bereit, erwiederte Maria mit leichtem Wechsel der Farbe; sagt Eurer Dame meine Willfährigkeit, ihr aufzuwarten. Sie wird die Stunde Euch vielleicht bestimmt haben, wann sie mich empfangen will, denn wenig kenne ich noch die Ordnung des Hauses.

Ihro Gnaden bedürfen einer langen Morgenruhe, sprach der alte Diener, die Augen niederschlagend. Schwester Electa wird Euch, Mylady, abrufen, wenn Ihro Gnaden dazu bereit sind.

Schön, mein guter Alter, erwiederte Maria; wir sind erst kurze Zeit Bekannte, ich habe Euch aber Dank zu sagen für die Sorgfalt und Güte, die Ihr mir bei einigen Zufälligkeiten erwieset.

Schuldigkeit, durchaus Schuldigkeit, murmelte der alte erfreute Mann und schob den Sessel zu dem Tischchen, worauf ein Frühmahl bereitet stand, das der Schloßküche Ehre machte und nichts vergebens aufgestellt war für Maria's angeregte Eßlust.[231]

Sie beschäftigte sich alsdann damit, die Einrichtung ihrer Zimmer zu mustern, und untersuchte besonders ihre Bibliothek, die, allerdings von einseitiger Auswahl, Maria aufs Neue die unheimliche Ueberzeugung gab, daß man auf alle Weise ihrem Geiste jene Richtung zu geben trachte, welche in diesem Hause die allein geduldete war.

Eine kleine Ausgabe des italienischen Homers war hinter andern Büchern verborgen, offenbar eine Abweichung vom vorgeschriebenen Plan, die Pater Clemens sich erlaubt. Es erfreute sie dies um so mehr, da sie eine tröstliche Zusage seiner milden, wohlwollenden Gesinnungen darin wahrnahm, das einzige Unterpfand aller Hoffnung für ihre Zukunft.

Diese Beschäftigungen wurden von der Schwester Electa unterbrochen, welche erschien, sie zu dem bevorstehenden Besuche abzurufen. Maria empfing sie mit der ihr eignen huldvollen Güte, und fest entschlossen, den Rath des Pater Clemens nicht zu vergessen, so lange es sich mit ihrer Würde vereinigen ließe, eilte sie mit Margariths Hülfe, ihre Kleidung in eine ernste Form zu bringen, was ihr leicht gelingen konnte, da sie, zum Wechsel ihrer Reisekleider, nur die bei sich führte, die sie als Trauer für ihre Verwandte getragen. Ihre Juwelen ließ sie zurück, und die Fülle ihrer schönen Locken verbarg sie unter einer schwarz sammetnen Haube, die, an der Stirn mit einer Spitze anliegend, in zwei kleinen Bogen bis zu den Wangen sie umschloß, und wenn auch allerdings zur herrschenden Welttracht gehörend, doch ein ungemein einfaches und ernstes Ansehn verlieh. Sie suchte während dieser Anordnungen ihr Gemüth zu sammeln und den Schauer zu überwinden, der jeden Augenblick, bei dem Andenken an das Erlebte, ihre Fassung zu überwältigen drohte; ja, sie ermahnte sich, höchst vorsichtig in ihren Aeußerungen zu sein und Alles genau zu beobachten, was um sie her vorgehe.[232]

Als sie bereit war, folgte sie der in großen Ernst versenkten Gefährtin, welche sie zu dem Hausflur führte, von wo breit geschwungene, schwerfällig verzierte eichene Treppen in die obern Zimmer des Schlosses gingen. Ueberall zeigte sich der prachtliebende Sinn der Erbauer oder Bewohner, und die polirten Stufen stimmten vollkommen mit den dunkeln eichenen Wänden überein, an denen in goldenen Rahmen eine Reihe Bilder hingen, unterbrochen von künstlich verzierten Wandleuchtern, welche doch schwerlich mit ihren dicken gelben Kerzen die dunkeln Räume erhellen mochten, die keinen lichten Gegenstand zum Reflex ihrer Strahlen darboten. Der trübe Morgen erhellte nur sparsam diese Gegenstände, denn sein an und für sich schwaches Licht fand keine Unterstützung in den Scheiben von gemaltem Glase, die keinen Blick nach der Gegend gestatteten, wohin sie führten. Auf der breiten saalartigen Brüstung, wo sich beide Treppen oben vereinigten, brannten ein paar schwache Kaminfeuer, und hier fand sich ein Diener, der, dem leisen Befehl der Schwester Electa folgend, hinter einem großen, sehr roh gezeichneten Gobelin verschwand, welcher den Haupteingang zu den innern Gemächern zu verbergen schien.

Mit einem schrillenden Ton fuhr alsbald diese Vorwand zurück, und von dem stummen Diener angewiesen, traten Beide in das Innere ein.

Der große Saal, der sie aufnahm, schien gänzlich unbenutzt, denn der weiße Marmor seiner Wände zeigte sichtlich die trübe Farbe des Staubes und der Feuchtigkeit, wovon die Luft durchdrungen war, und die fast erschreckend die Eintretenden anfiel.

Es folgte auf der rechten Seite, wohin sie sich wendeten, eine Reihe von Zimmern, die reich mit Sammet, seidenen und goldenen Tapeten behängt und ausgestattet waren, zugleich aber, unfehlbar aus einer neuern Zeit herstammend, eine Reihe[233] Gemälde aus der Heiligen- und Legenden-Geschichte enthielten, die jedes feiner ausgebildete Gefühl für Kunst empören mußten. Vor der letzten Thür blieb Electa, welche alle diese Räume mit gesenktem Haupte durchwandert und bei ihrem raschen Vorschreiten Maria nur wenig Zeit gelassen hatte, Beobachtungen zu machen, einen Augenblick stehn, und Maria's Näherkommen erwartend, sagte sie leise: Ehrwürdige Frau wird sie genannt.

Sie drückte die Thür auf, und Maria stand in einem kleinen leeren Raum, der, von oben Licht empfangend, einen Flur bildete, von wo eine schmale Wendeltreppe aus den untern Räumen in die Höhe führte. Augenblicklich rief dieser Anblick ihr die Erzählung Margariths von jener Treppe zurück, wo der unglückliche, wahnsinnige Herr des Schlosses seinen verzweifelnden Geist ausgehaucht hatte, und die kleine spitze Thür, der sie sich näherten, schien mit ihrer breiten Schwelle und tiefen Nische das Sterbelager des Unglücklichen zu sein, auf dem seine Gemahlin ihn am Morgen vergeblich zu erwecken suchte. Schaudernd blieb Maria stehn, und nahm wahr, wie Electa's Schritte gleichfalls zögernd inne hielten, und sie erst nach einem kurzen Gebet, einer Bekreuzigung und Besprengung aus dem an der Thür aufgehängten Weihkessel sich zum Vorschreiten anschickte.

Fast wider Willen folgte ihr mechanisch Maria, und sie standen nun wirklich in einem düstern Schlafgemach, mit dunkeln grün-damastenen Tapeten und einem ungeheuern Himmelbett versehn. Das Zimmer, in enger, halbrunder Form, durch einige schmale, hohe Fenster matt erleuchtet, war das Innere eines Thurms, zu dessen anderer Hälfte eine etwas größere Thür führte, der sie sich jetzt näherten.

Dies zweite Gemach war von einem hellen Kaminfeuer sowol erwärmt, als erleuchtet, denn der Tag blickte auch hier nur sparsam, kaum eingelassen, durch die hohen, aber schmalen gothischen Fenster. Das hell vorspringende Feuer bewirkte aber,[234] daß Maria, im ersten Augenblick geblendet, außer Stand war, die sie umgebenden Gegenstände zu erkennen, und mit gebeugtem Kopfe an der Thür stehn blieb. Als ihre Augen sich von dem schnellen Wechsel erholt hatten, sah sie sich in einem etwas größeren, run den und gewölbten Zimmer, an dessen getäfelten Wänden und Fußboden das Licht des Feuers zu erblinden schien, da das dunkle Eichenholz mit noch dunklern Tafeln behangen war, welche gefühlverletzende Darstellungen von Märtyrergeschichten enthielten, die eben keinen vortheilhaften Begriff von dem Sinn und Geschmack der Bewohnerin erwecken konnten. Eine Nische von kunstreich durchbrochenem Holze umschloß ein besser gelungenes Bild des Erlösers, vor dem zugleich ein Altar und ein Betschemmel standen. Einige hohe Sitze, welche gleich Chorstühlen zwischen den Fenstern hinliefen und ein eben so verzierter Schreibtisch waren der zunächst zu übersehende Inhalt des Gemaches, wovon Maria's Aufmerksamkeit indeß abgelenkt wurde, da Electa sie ermuthigte vorzuschreiten. Zunächst dem Kamin, doch so, daß sein Schatten sie deckte, gewahrte sie nun in einem der hohen Chorstühle eine weibliche Gestalt, welche mit hohler trockener Stimme sie nöthigte, näher zu treten. Kein Ton erinnerte Maria an die schrecklichen Laute des Wahnsinns, die sie gefürchtet hatte zu vernehmen, und der Anblick der Person, so traurig und abschreckend er war, paßte zu keiner der furchtbaren Erinnerungen. Sie war ohne alle Abweichung von Schnitt und Farbe in ein prachtvolles Nonnengewand gehüllt, dessen kostbare Stoffe aus ihrer höhern Würde sich erklären ließen, welches übrigens blos ihr schlaffes, gelbes Angesicht und ihre hagern, langen Hände sehen ließ, die von einem Rosenkranz umschlossen, müde vor ihr niederhingen.

Maria, die eine Anrede erwartete, sah sich den prüfenden, stechenden Blicken der düstern Erscheinung ausgesetzt, die, ohne alle Rücksicht auf Gastfreundlichkeit, blos das helle Licht des[235] Kamins, in dessen Beleuchtung Maria stand, zu benutzen schien, um die Persönlichkeit ihres Gastes vollständig zu erforschen.

So beleidigend dies auch war, so fühlte Maria doch eine Beklemmung und Bangigkeit, die es ihr unmöglich machten, selbst diesen kränkenden Empfang zu unterbrechen; ja, ihr Auge hing fast mit derselben Achtsamkeit an dieser unheimlichen Gestalt, als müßte sie ihre Bewegungen bewachen, um sich vor ihr zu schützen.

Dies lange Examen ihrer Augen kündigte sich als beendigt an durch ein verächtliches Lächeln, welches plötzlich das leblose Gesicht der alten Lady überschlich. Halb sich seitwärts wendend, redete sie sodann einen Mann an, der hinter ihrem Stuhl bis auf den Kopf verborgen saß:

Es ist dieselbe eitle Schönheit, die ich an ihr wahrnehme, und die ihre Herkunft mehr bestätigt als die Versicherungen der Betheiligten. Eine gute Aufgabe, wenn der Sinn ihrer Ahnenfrau sich auf sie übergetragen hat! Ihr könnt dann Eure Weisheit zusammen nehmen, denn zur Zeit reichten alle festen Schlösser von Schottland und England nicht hin, das zu hüten, was unter so einer weltlichen Haube hockte. – Ein kurzes heiseres Lachen vollendete die unverständliche Rede.

Wir vertrauen auch keiner weltlichen Hülfe, erwiederte der Angeredete, sondern dem Einfluß und der Fürbitte unserer gebenedeiten Mutter Gottes, welche Vorsorge trägt für die Verirrten ihres Geschlechts, wie Ihr in Demuth anerkennen werdet.

Ein ziemlich mißlauniges Gesicht bog sich von dem Antwortenden weg, während die Hände ohne Säumniß ein paar Kreuze schlugen und einige Kügelchen des Rosenkranzes abzählten.

So ist es, hochwürdiger Herr, sprach sie sodann sehr gleichgültig; die Heiligen haben das Vollbringen, und wer dies Geschlecht kennt, wie ich, der muß hoffen, daß sie sich alle vereinigen werden, es zu vertilgen. Bei den letzten Worten[236] zuckte ein wildes Feuer aus ihren Blicken, und sie schleuderte sie wie einen Blitz auf Maria hin.

Es ist zwar nicht meine Wahl, daß Ihr hier seid, begann sie jetzt, zu dieser gewendet; denn dies Haus genießt eine Heiligung, die durch profanen Besuch nicht verletzt werden sollte. Da man mich aber versichert, Ihr würdet durch das Beispiel der hier waltenden heiligen Kirche bald von Euern Irrthümern zurückgebracht werden, so darf ich die Hand zu einem Werke nicht verweigern, dessen Verdienstlichkeit ich in Demuth erkenne. Ich habe Euch demnach vor mich gefordert, um Euch die Erlaubniß zu ertheilen, unter uns zu erscheinen und durch das, was Ihr sehen werdet, Euern Geist in die Stimmung zu bringen, die Euch mit Eurem Gewissen versöhnen wird.

Maria kämpfte während dieser trocknen, unfreundlichen Rede mit aller Macht gegen ihr beleidigtes Gefühl; ihre Wangen rötheten sich, und ihre Augen füllten sich von diesem schmerzlichen Kampfe.

Ihr werdet ohne Zweifel wissen, erwiederte sie jetzt mit bewegter Stimme, wie ich hierher gekommen, und wie wenig es in meine Willkür gestellt worden ist, Euer Haus zu suchen oder zu vermeiden; wenn Ihr aber Gründe habt, den Anordnungen derer, die mich hierher führten, zu folgen, so rechnet es mir nicht an, wenn ich Euch lästig bin. Ich werde Eure Gastfreundlichkeit, wenn Ihr mir sie gewähren wollt, nicht durch ein störendes Betragen vergelten und, so lange ich hier bleiben muß, ehren, was Andern ehrenwerth erscheint, wenn meine Erziehung mir auch eine andere Richtung gab. –

Ihr macht vor allen Dingen zu viel Worte. Lange Erwiderungen sind überall unpassend, wo strenger Gehorsam das Einzige ist, was verlangt wird, und man Eurer Versicherungen nicht bedarf, da sich von selbst versteht, daß Ihr keinen Einwand zu machen habt. – Ich muß bekennen, ehrwürdiger[237] Herr, fuhr sie fort, mit demselben kalten, verächtlichen Tone sich wieder rückwärts wendend, ich finde mich blos aus Achtung für Eure und des Pater Clemens höhere Erkenntniß darein, dieser jungen und, wie mir scheint, äußerst übermüthigen Person eine Bevorrechtigung zu gewähren, die nur alle jene eiteln weltlichen Gedanken nähren wird, von denen ihr Kopf sichtlich erfüllt ist; auch muß ich mir einige Bestimmungen über die Dauer solcher Nachsicht vorbehalten.

Die Bestimmungen, denen wir beide gehorchen müssen, werden nicht ausbleiben, erwiederte eben so trocken der Angeredete; und die vorzüglichste Dienerin der heiligen verfolgten Kirche wird über ihre Stellung zu diesen Willens-Meinungen nicht im Zweifel sein.

Auf dem Gesichte der Lady zeigte sich während dieser Worte ein Kampf widerwilliger Art, und es kostete ihr sichtliche Mühe, eine Mäßigung zu behaupten, wie dieser aufgenöthigte Gehorsam sie ihr auflegte. Doch war es unverkennbar, daß die ältere Gewohnheit tyrannischer Eigenherrschaft sich mächtig gegen die strengen Anforderungen eines Gehorsams auflehnte, an den sie sich nie ohne Bitterkeit erinnert fühlte. – Genug, genug! Ich sage nicht, daß es für jetzt anders sein soll; nur, wie lange, werde ich mit Eurem geistlichen Rathe in Ueberlegung ziehn; denn allerdings ist es das Schloß der Howards, in dem wir uns befinden. –

Ja, vollendete der Hochwürdige diese Rede, und im Besitz der hochwürdigen Aebtissin zur heiligen Ursula.

Höhnisch warf sie den Kopf zurück, und die immer noch stehende Maria nun wieder ins Auge fassend, sprach sie heftig und rauh:

Die weltliche Haube will ich nicht wieder sehen; Schwester Electa wird Euch einen passenden Kopfputz bringen. Eure Kleider habe ich Euch noch für einige Zeit gestattet. Ihr werdet[238] früh zur Messe erscheinen, im Refectorium zu Mittag essen und die Vesper halten; dazwischen wird der hochwürdige Pater Johannes Euch Unterricht ertheilen, und in dem Maaße, als Ihr fortschreiten werdet in der Entsagung von Euern Irrthümern, werdet Ihr – –

Ueberlaßt mir das Weitere, unterbrach sie Pater Johannes, der die Vollendung ihrer Rede nicht zu wünschen schien, und wahrnahm, wie Maria, von dieser übeln Behandlung erschüttert, kaum aufrecht zu stehen vermochte. Er näherte sich, aus seinem Versteck hervortretend, dem zitternden Mädchen und führte sie selbst, von Electa unterstützt, zur Thür hinaus.

In dem kleinen Schlafzimmer hielt er sie an. Laßt Euch, sagte er beruhigend, durch den lobenswerthen, aber etwas heftigen Eifer der hochwürdigen Frau nicht erschrecken. Ihr werdet darunter nicht zu leiden haben, so Ihr Euch sanft und aufmerksam zeigt.

Maria wollte reden, gleich auf der Stelle wollte sie jeden Zweifel aufheben über das, was man von ihr zu erwarten habe, aber ein krampfhaftes Schluchzen war der Tribut, den ihre geängstigte Natur verlangte. Vergeblich bemühte sie sich, deutlich zu sprechen, sie brachte nur abgerissene und unverständliche Worte hervor.

Ich sehe Euch wieder, unterbrach Pater Johannes diese mißglückenden Versuche; überlegt wohl, was Ihr sagen wollt, Euch wird weder Rath, noch Trost fehlen, aber hütet Euch, durch Widerstand in Kleinigkeiten Eure Verhältnisse hier muthwillig schlimmer zu machen. – Schwester Electa, ich vertraue die Bekümmerte Eurer Vorsorge und Euerm Troste. – Geht, geht, setzte er abwehrend hinzu und verschwand hinter der Thür in das Gemach, das sie verlassen, während Maria, von Electa geführt, den Weg nach ihren Zimmern zurücklegte.[239]

Ich denke, man hat uns da eine schwere Pönitenz auferlegt, hochwürdiger Herr, begann die erzürnte Lady, völlig ihrer übeln Laune hingegeben, als der Pater Johannes mit ernstem und ruhigem Antlitze eintrat. Ein Aergerniß, denke ich, für Alle, die zu einer höhern Begnadigung in dies Haus gelangt sind.

Wenn die Aufgabe schwer ist, die man uns gab, so ist es nicht an Euch, dies zu rügen, erwiederte in gänzlich verändertem, strengem Tone der Geistliche, da nur schwierige und widerstrebende Ausübungen Euch die Wohlthat erzeigen können, Euren Geist von den Makeln der Welt zu erretten, die noch in zu großer Stärke Euch anhängen. Ich denke, es gehörte nicht zu Euern Aufgaben, die junge Person, die wir Euch zuführten, mit einer Strenge zu empfangen, die sie verschüchtern und gar zum Widerstand reizen wird. Sie mußte zutraulich gemacht werden, sie mußte die wohlwollendsten Gesinnungen bei uns annehmen können, dann sicherten wir uns ihre Aufmerksamkeit, ihre Nachgiebigkeit und Gewöhnung, und der Einfluß eines einförmigen, von aller Zerstreuung fernen Lebens, dem sie hier anheim fiel, ward dem heiligen Vorhaben günstig. Ihr habt jedoch, gleich dem hochmüthigen Kinde der Welt, Euerem eiteln Herzen und seiner Lust, zu kränken und zu verachten, Genüge gethan, und wahrscheinlich mehr Unheil in wenigen Minuten angerichtet, als in unserer Macht liegen wird, je wieder gut zu machen. Ich brauche Euch nicht zu sagen, wie weit Ihr dadurch Euch von den Pflichten entfernt habt, deren strenge Erfüllung doch das einzige Mittel ist, Euch hier den Schutz zu sichern, dessen Ihr bedürft, dort aber die Vergebung Eurer Sünden und die Errettung von ewiger Verdammung.

Diese harte und strenge Rede wirkte gleich einer Bannformel über das gereizte Wesen der Lady. Erschreckt von dem bloßen Tone ihres Beichtigers, senkte sie beim Anfange seiner[240] Rede schon das Haupt, aber die harten Worte verletzten so sichtlich ihr verwöhntes Gemüth, daß sie bald wieder auffuhr, und mit Blick und Mienen ihre Empörung anzudeuten suchte. Da der Geistliche aber die Streiche seiner Worte schärfte, trat nach und nach die Furcht ein, welche man durch die stärksten Mittel als das einzig mögliche Joch ihr übergeworfen hatte, und alsbald zeigte sich auch Zerknirschung, welche ihr die zuletzt gebrauchte Drohung um so lebhafter erregte, als ihr entnervter Geist, von den Vorwürfen eines schwer belasteten Gewissens bedrängt, nur zu empfänglich für die Androhung künftiger Strafe war.

So geschah es, daß ohne Gegenrede sich angstvolle Seufzer aus ihrem Munde drängten, und zu allen Trostmitteln ihrer Kirche schreitend, murmelte sie die Gebete ihres Rosenkranzes und schlug mit blindem Eifer Stirn und Brust.

Pater Johannes ging indessen mit langen Schritten auf und nieder, und schien, nachdem er sie zur Ruhe verwiesen, sie ganz vergessen zu haben; und in der That suchte er seine Gedanken in Bezug auf die Persönlichkeit der jungen Lady, über deren fernere Leitung ihm Vollmachten geworden waren, zu ordnen.

Die Lady hatte indessen ihre Andacht beendigt. Nicht wagend, das Nachdenken des wandelnden Priesters zu unterbrechen, und zu einem müßigen Hinbrüten auf ihrem Lehnstuhl verdammt, fand ihr Geist allgemach den bequemeren und oft betretenen Weg zur Zeitlichkeit und zu jenen irdischen Zwecken wieder, die ihr, trotz aller äußern Form klösterlicher Strenge, unmöglich so fremd werden konnten, als man es zuweilen, um sie in Furcht und Gehorsam zu erhalten, von ihr erzwang.

Der unglückliche, verführte Herzog von Sommerset war dem Henkerbeile nur durch Jakobs unbesiegbare Liebe zu ihm entflohn. Dies Schloß war ihm zu einem Gefängnisse der[241] mildesten Art angewiesen. Von der Theilnehmerin oder eigentlichen Urheberin seiner Verbrechen, seiner katholischen Gemahlin, Lady Franziska Howard, war dies alte Besitzthum der Howards zum Heerde des in ihrem Vaterlande verpönten und vielleicht eben darum von ihr beschützten Katholicismus gemacht worden. Von der klugen Herrschaft ihres jesuitischen Beichtvaters geleitet, stand sie bald in Verbindung mit allen Machinationen der dem alten Glauben anhängenden und noch immer sehr mächtigen katholisch-jesuitischen Partei, woran sich nur zu viele weltliche Händel anschlossen, die sie zu theilen oder zu erspähen unablässig bemüht war.

Die ungemein einsame und doch feste Lage des Schlosses, die Küsten des nahen Frankreichs, in dem diese Partei ihre mächtigsten Anhänger unter dem damals Europa beherrschenden Richelieu zählte, und das unabhängige, immer noch bedeutende Vermögen der verbannten Lady, machten es zu einem unschätzbaren Schutzpunkte. Nachdem die Herrschaft über die Eigenthümer bis zur gänzlichen Nullität des unglücklichen Hausherrn erreicht war, wurden die Anordnungen darin mit einer Ueberlegung und Verschlagenheit getroffen, daß dadurch das Dasein dieses Verstecks und seiner von den Zeitgenossen fast vergessenen Bewohner der Welt entzogen blieb.

Kein gebahnter Landweg wies dahin, und die hohen Ufer, hinter denen das Schloß versteckt war, hinderten den Anblick desselben aus der Ferne. Es wahrzunehmen, blieb nur vom Meere aus möglich, bei Umschiffung eines sehr gefährlichen Punktes, der, von allen erfahrenen Schiffern vermieden, eine von den Spitzen der Bucht bildete, in welche das Schloß seine festen Mauern senkte.

Während es kaum einem Hause ähnlich sah, das einigen von den strengen Gesetzen dahin verschlagenen Katholiken zur Zuflucht diene, hatten die geschickten Lenker dieser Angelegenheit[242] hier eine klösterliche Stiftung begründet, welche in ihrer Form die Strenge behauptete, die ihnen bei der Beherrschung eines fast unbezähmbaren Geistes in der Lady Franziska zu Hülfe kam. Ihr war eine gewisse Würde zugetheilt worden, die ihrer zügellosen Herrschsucht Befriedigung gönnte, ohne sie der geistlichen Zucht zu entziehn, die so nöthig war, sie mit allen ihren Plänen und Anforderungen dem Willen derer unterzuordnen, die sich die Lenkung ihrer Angelegenheiten so vollständig angemaßt hatten. Sie ward auf diese Weise ganz zu den Zwecken gebraucht, die ihre geistlichen Vormünder verfolgten, und zuweilen wurden dieselben Leidenschaften, die sie zu beherrschen trachteten, ihrer eignen Richtung überlassen, je nachdem das Eine oder Andere zweckmäßiger schien. Nicht zu übersehn war dabei in der Lady ein großer Hang, sich diesem Einflusse zu entziehn, obwol ihr gedrängtes Gewissen sie zur Sklavin derselben Männer machte, gegen die sie wiederum ihre ganze List zeigte, um eine über ihre Erlaubniß reichende Gewalt auszuüben.

Mitten in dieser Stimmung, die am häufigsten nach einer ihr abgezwungenen Zerknirschung eintrat, befand sich jetzt die Lady, als sie sich endlich zu einer Anrede entschloß, die das verdrießliche Schweigen aufheben sollte. –

Wenn man mir so gänzlich die Macht entziehen will, die ich meiner Würde nach über den weiblichen Theil dieses Hauses besitze, so sehe ich nicht ein, was eben dies Haus ihr nützen soll, und warum man sie, die doch schon bis zur Küste vorgedrungen ist, nicht noch den kurzen Weg über das Meer machen ließ, wo sie in Frankreich, denke ich, besser, als hier, aufgehoben werden konnte. –

Vielleicht wird dies später noch nöthig werden, erwiederte Pater Johannes nachdenkend; wir setzten vorläufig auf Eure Weltklugheit und Euern guten Willen Vertrauen, und hatten keineswegs die Absicht, diese junge Person Euerm Einflusse zu[243] entziehn. Ob sie uns nützlich oder hinderlich werden kann durch den Anspruch ihrer Geburt, ist noch zu unentschieden bei der bestimmten Richtung, die ihr die frühere Erziehung gab, als daß wir sie jetzt schon unabänderlich aus dem Lande entfernen sollten. Wenn sie uns aber nützlich bleiben oder werden soll, so bedenkt, daß sie nur entlassen werden kann als unsere Freundin, als die Theilnehmerin aller unserer Interessen, daß sie ihre hohe Geburt nur dann kennen lernen darf, wenn sie damit das schwache Herz zu regieren gelobt, das, durch den Tod ihrer Mutter erschüttert, unempfindlich bleiben könnte für den Besitz der schönsten Fürstin, der erlauchten Henriette von Frankreich. –

Und dies hofft Ihr wirklich zu erreichen bei einem Geschöpfe, das neben dem Fluche ihres Geschlechtes einerseits den unbezwinglich trotzigen Karakter der Buckinghams trägt, und andrerseits die ganze weltliche Thorheit ihrer Aeltermutter, dieser berüchtigten Maria von Schottland, in jedem Zuge ihres glatten Gesichts? Sperrt sie lieber heute als morgen ein, und laßt jede Hoffnung auf ihre Bekehrung fallen. Damit werdet Ihr wenigstens so viel erreichen, daß Ihr diesem verabscheuungswerthen Buckingham seinen auf sie berechneten Triumph entzieht; Ihr werdet über sie keinen feiern. Dafür nehmt das Wort einer Frau, die nicht umsonst Menschen gesehen hat.

Pater Johannes schwieg nach dieser Rede, und es war ihm deutlich anzusehn, daß er nicht viel bessere Hoffnungen nährte.

Pater Clemens, sagte er dann, rühmte uns die Güte ihres Herzens und die kindliche Hingebung in den Willen älterer Personen. Darauf mußten wir bei unserer Behandlung hinzuwirken suchen, und darum habt Ihr mit Euerm rauhen Empfang so ganz verkehrt gehandelt.

Ha! rief die Lady mit ziemlichem Ungestüm, wenn ich nur nicht verständige und erfahrene Männer von Güte des Herzens[244] und Hingebung in Anderer Willen müßte schwatzen hören. So lange der Wille Anderer den Gelüsten des eigenen Herzens schmeichelt, so lange findet er uns bereit, ihm zu folgen, so lange sind wir gütig und nachgiebig; und fremde Leiden erwecken unsere Theilnahme so lange, bis wir für unsere eigenen sie vergeblich suchten. Leerheit des Herzens wie des Lebens, mit einem Worte die Zeit der Jugend, verbreitet nach Außen diesen thörichten Schein, aber wer hat ihn nicht weichen sehn, sobald die Begierden des Herzens erwachend dem Willen eine Richtung geben. Dasselbe gute Herz, das mit seiner Leerheit Euch täuschet, unterstützt dann die Vorschläge der Leidenschaften, und kein fremder Wille wird es nachgiebig finden, von dem Wege abzuweichen, auf dem dies gute Herz fort stürmt, unbekümmert um die Niederlagen, die es dabei anrichtet. Franziska Howard hat nicht umsonst gelebt: Damals hieß sie auch ein gutes, sanftes Kind, als der alte, schwachköpfige König die Familien Essex und Howard vereinigen wollte, und man mir die Puppe und Essex das hölzerne Schwert wegnahm, unsere Hände zu einer spätern Vermählung an einander zu schmieden. Als aber Franziska den schönen Seymour sah und Herzogin von Sommerset werden wollte, da rühmte Niemand mehr ihr sanftes Herz; denn sie hatte einen Willen bekommen, und unbesiegbare Wünsche ließen sie den Willen Anderer verspotten. O, früh, sehr früh hat man mich gelehrt, was es mit dem Guten im menschlichen Herzen für eine Bewandtniß hat, und von ganzer Seele verachte ich die Heuchler, welche eine Stimmung zeigen, die ihnen mit dem ersten Hauch der Leidenschaft verloren ging. Gebt Acht, fuhr sie fort, da Pater Johannes der Versuchung, solche sündliche Rede seines Beichtkindes mit dem Donner der Buße zu erwiedern, nicht nachgeben zu wollen schien, gebt Acht, wie lange ihre Nachgiebigkeit aushalten wird, wenn man sie hindert,[245] in die Welt zurückzukehren, wohin jeder Pulsschlag ihres eiteln Herzens sich drängt.

Darum, hob Pater Johannes jetzt an, sei der Widerstand, den sie erfahre, ein unmerklicher, daß sie nicht im Streite Kräfte finde, die am ersten absterben werden in der öden Gleichmäßigkeit einer Geist tödtenden Lebensweise.

Ein kurzes widriges Lachen aus dem Munde der Lady gab ziemlich verständlich Kunde von ihrer Würdigung dieser Worte.

Pater Johannes ließ dies unbeachtet vorüber gehn und fuhr mit Ruhe fort:

Unsere nächsten Nachrichten werden uns den Tod des Königs melden und die Ankunft der neuen Königin; dann werden Stürme beginnen, unabsehbarer vielleicht, als wir jetzt ahnen können. Die Königin wird unseres Einflusses bedürfen; denn Mißtrauen empfängt sie um ihres heiligen Glaubens willen an der Grenze dieses Landes. Es ist nicht unbekannt geblieben, daß geheime Artikel Karls Macht in seinem Hause beschränken, und abenteuerlich genug malt man das Unbekannte aus. Jetzt gilt die Frage, ob sie Karls Herz besitzen wird. Zwei Leidenschaften theilen sich in ihn, die Sucht des Selbstherrschens, und der düstere Gram um den Tod der Jugendgeliebten und um das einzige Kind dieser Ehe. Hält Karl die Gattin deshalb fern von seinem Herzen, dann wäre der große Wurf zu wagen, seine Tochter der Königin zum Geschenk zu senden. Wer sie ihm bringt, wird großes Recht an seine Liebe haben, und die Königin wird die seltene Gelegenhett erhalten, eine Großmuth ihm zu zeigen, für die er dankbar sein muß. –

Und die Tochter, unterbrach ihn die Lady, die Tochter wird der katholischen Gemahlin das Widerspiel halten, Buckingham wird die weltlich gesinnte Nichte in sein Interesse ziehn und für sein grenzenloses Reich der Gewalt eine neue Stütze finden. –[246]

Um darüber entscheiden zu können, muß man etwas Höheres glauben, als Ihr es noch vermögt. Dies Mädchen wird nicht mit dem lasterhaften Buckingham gegen ihren Vater sich verbinden. –

Aber, fiel sie rasch ein, gegen die katholische Königin wird die Ketzerin den Vater zu sichern suchen. –

Dies wäre eher möglich, und dies bleibt noch zu erwägen. Um aber über diesen Punkt völlig sicher zu werden, wird sie hier fest gehalten und Proben unterworfen, die jeden Zweifel darüber aufheben können. –

Gut, gut, ich wünsche Euch Glück dazu. Doch die Welt ist erst der Magnet, der aus dem Schacht des Herzens die verborgenen Erze ans Licht zieht, und zwar von solchem Gehalt, als dieser mächtige Magnet allein zu wecken und festzuhalten weiß. Seid Ihr außerdem aber so völlig sicher, daß sie hier verborgen bleibt? Fürchtet Ihr nicht die tausendarmige Macht des gut bedienten Buckingham, nicht diese Nottinghams, die, den listigen Archimbald an der Spitze, viel vermöchten, wenn sie wollten? –

Wenn sie wollten, betonte spöttisch lächelnd der Hochwürdige, aber sie wollen nicht. Kennt Ihr den Irrthum nicht, an dem der hochmüthige Geist dieser Herzogin von Nottingham hinkrankt? Er hindert sie, die Flucht des Fräuleins zu rügen, wie sie sonst nicht unterlassen würde. Streng hat sie jede Nachforschung gehindert und verpönt, und dennoch hat diese Ausflucht, die sie sich gestattet, der Welt ein Geheimniß zu entziehn, das ihrem Hochmuthe so verletzend wurde, ihr Gewissen in ein Heer von Vorwürfen gestürzt. Sie glaubt sich halb und halb verpflichtet, die geträumte Sünde ihres Gatten an diesem Wesen gut zu machen, und daß sie der Lockung nicht widerstand, diese saure Pflicht von sich abzuschütteln, reizt ihren stolzen Geist, der vor sich selbst bewundernd dastehn möchte. Und daß[247] sie jede wirksame Verfolgung hinderte, daß sie von Archimbald, der leicht sich zu beruhigen weiß, streng begehrte, ihre Söhne zurück zu halten, beweist genug, daß sie der Versuchung unterlag. Denn allerdings muß sie dieselbe in Membrocke's Händen jetzt nach so langem Zögern für verloren halten, und der Gedanke daran quält sie und entfernt sie doch eben immer mehr von dem Wunsche, sie wieder aufzufinden.

Das gönne ich ihr von Herzen, rief behaglich freundlich die Lady; in ihre eignen Fallen müssen diese Heuchler sich verstricken; besser möchten sie sein, als Andere, um hochmüthig herabsehen zu können. Wenn wir der reizenden Sünde in unsern Wegen nicht auszuweichen wissen, ziehn diese Heuchler selbst das Bild der Tugend, womit sie prunken, zu dem Dienst ihrer Sünde hin. Ja, ja, es ist Alles eins. Nur wird der Eine von der Welt gezüchtigt, der Andere dagegen in seinem schwachen Herzen, und der Zufall ist bei Beiden der geschäftige Wirbelwind, der darüber fährt, und nach allen Ecken hin verwechselt und durch einander wirft, was die jämmerliche Klugheit der Menschen gesondert zurecht legte.

Kann man sich Tolleres denken, als daß dieser neckische Zufall das Mädchen, auf dessen Haupte ein unsichtbares Diadem geruht, welches behütet und bewacht war von Allem, was Schlauheit und List nur erdenken konnten, nun verschmachtend, mit Wunden bedeckt und ausgestoßen aus aller menschlichen Verbindung, eben auf die Schwelle derjenigen niederlegt, die ihre natürliche Feindin schon um ihres Antlitzes willen ist, und welche nun sogleich geschäftig Alles in ihrer Einbildung so anordnet, daß ihr daraus die höchste Züchtigung ihres eiteln Herzens erwachsen muß. –

Auch uns, erwiederte der Pater, überraschte dies Ereigniß, das so wenig vorher zu sehen war. Immer war dies Kind uns wichtig, und unsere Absichten mit ihr und dem ganzen Geheimniß[248] haben oft gewechselt. Um die spanische Verbindung zu hindern, wäre sie eine vortreffliche Erscheinung geblieben, denn ehelich war Karl verbunden, darüber sind die Beweise vorhanden; doch allerdings war es nur ein letztes Mittel, welches zwar jene, aber auch die Verbindung mit Henriette von Frankreich gehindert oder doch verzögert hätte, vielleicht bis zu dem ungelegenen, sich nahenden Moment seiner größeren Freiheit als König.

Und es ist nicht zu läugnen, Buckingham hat uns gedient, indem er sich zu dienen glaubte, in unserm Solde. War der Prinz nicht auf dieser tollen Reise, wo Jeder heimlich sein verkapptes Interesse unter dem Scheine von Vertrauen barg, mit Buckingham, so konnte Vieles nicht geschehen, und höchst wahrscheinlich war das Mädchen unserer Macht entzogen, wenn wir durch Porter auch in Kenntniß ihres ferneren Schicksals blieben.

Eben so war es nöthig, daß Lord Nottingham in Madrid starb und sonach im Hause seiner Gemahlin ihr der wahre Schutz fehlte, der einzige, der alle Zweifel der gekränkten Gattin hätte lösen, und damit uns eine höchst unwillkommene Entdeckung veranlassen können, die dem Prinzen augenblicklich zu ihrem Wiederbesitz verholfen hätte.

Uns war der Ort, den der Zufall ihr angewiesen, nicht erfreulich, bis wir über ihr ferneres Loos Befehle einzogen. Kaum war zu erwarten, daß Buckingham, obwol sehr gegen unsern Plan, durch die Ueberraschung, die der Prinz erlitt, Theilnehmer des Geheimnisses, sie gerade bei den Nottinghams suchen würde. Doch bestand der Kardinal damals, da der Tod der Mutter das Hinderniß für Frankreich aufgehoben hatte, darauf, daß wir diese Störung beseitigten. Es war nächst der geheimen Klausel des Ehekontrakts nicht der unwichtigste Theil von Mazarins Sendung, sie selbst mit hinweg zu führen; denn schon fürchtete der schlaue Staatsmann die neue Unterjochung[249] des neuen Königs durch den alten Einfluß Buckinghams, und wollte eine mögliche Steigerung nimmer wagen. Doch verzichtete er endlich auf die schnelle Ausführung dieses Planes, da wir ihm Nachricht gaben, wie der schlaue Herzog mit großer List sie aufgefunden und unter tausend Thorheiten seines Freundes Membrocke einen Plan entworfen, ganz dazu geschaffen, sie uns ohne das geringste Aufsehn in die Hände zu liefern.

Ein Kinderspiel war es fürwahr, da die Chiffern des Herzogs uns alle durch Maxwell bekannt sind, den tollen Tropf, den Membrocke, so lange umher zu jagen, bis wir sie unterdessen mit aller Sicherheit seiner Nachforschung entzogen. –

Alles gut bis dahin, sprach Lady Sommerset, aber Ihr spielt gewagtes Spiel. Hier sollen wichtige Interessen, wie unläugbar Buckinghams Macht ist, wenn sie auf den nächst zu erwartenden Monarchen übergeht, durch ein Weib aufgewogen werden, die da jung, mit einer seltenen Schönheit und dem Anspruch einer hohen Geburt begabt, sobald sie sich dessen in der Welt bewußt sein wird, gewiß Alles, was Ihr auch bei ihr eingeleitet zu haben glaubt, von sich werfen wird, wenn es ihr hinderlich scheint. Und was dann? Wo wird dann Eure Macht bleiben?

Unschädlich sie zu machen, erwiederte mit eisiger Kälte der Pater Johannes, bleibt uns in jedem Augenblick mitten in dem Glanz der Welt, wie zwischen diesen Mauern, und was die ihr zugedachte große Gewalt betrifft, so ist gegen Buckingham bereits eine andere heraufgeführt, die von jener nur unterstützt zu werden brauchte.

König Jakob wird sich mit Bristol versöhnen, und er wird, gehoben durch allen Einfluß des französischen Hofes, eine Rolle spielen, die nie unbedeutend sein kann, wo er sie überhaupt zu spielen Lust hat.[250]

Mit seinem Interesse ließe sich das Mädchen selbst verpflechten; denn mir sagte Pater Clemens, daß sie ihm in ihren Gesprächen, ohne Ahnung dieses Geständnisses, eine Herzensneigung zu dem Enkel Bristols verrathen, die befördert werden müßte, wenn sie der Welt zurück gegeben werden sollte; denn die Nichte Buckinghams würde dadurch Familien-Mitglied seiner Feinde. –

Ha, der Plan ist gut! Doch soll ich Euch sagen, was ich denke? Sperrt sie ein, vertilgt sie, gleichviel wie, da habt Ihr den Vortheil sicher. Und Karl? Ich müßte die Stuarts nicht kennen, wenn ich so thöricht sein sollte zu denken, Liebesgram und Vatersorge um Zwei, die da nicht mehr sind, werde der blühenden Gattin, von deren Schönheit Ihr so viel Aufhebens macht, hinderlich sein.

Doch sagt mir, fuhr die Lady fort, sagt mir nur das Eine, seid Ihr sicher, daß Karl vermählt war mit dieser Buckingham? Sind Dokumente darüber? Ist durch die Offenbarwerdung dieser Tochter keine Schande zu hoffen für Buckinghams stolzes Herz? –

Der Prinz war früher vermählt, als er hoffen konnte, Prinz von Wales zu werden, erwiederte der Priester, Beide waren noch im zartesten Alter; doch der leidenschaftlich aufgeregte Karl wollte wenigstens die Garantie dieser Vermählung haben, und der Graf und die Gräfin Melville waren die Zeugen.

Der Schloßkaplan Master Brixton vollzog die Ceremonie, die Dokumente sind doppelt ausgefertigt, das eine im Besitz Brixtons, und das andere verwahrte der Herzog von Nottingham hinter dem Bilde der Gräfin von Buckingham, welches der Prinz von Wales ihm einst, während eines Aufenthaltes in London, heimlich in die wohl verborgene Nische des Schlafgemachs setzen ließ, und dessen Dasein wohl schwerlich ein Mensch außer dem Herzog kennen mag. –[251]

Aber wie konnte Nottingham dessen ungeachtet diese rasende Leidenschaft fassen, da er doch wissen mußte, daß sie schon als Gemahlin des Prinzen nach London kam. –

Dies erfuhr er erst nach dem Tode seines Bruders, als der Prinz krank darnieder liegend keinen treueren Boten kannte, als eben ihn, der keinen Augenblick sein Bett verließ. Er sendete ihn zur trostlosen Gemahlin, noch auf dieser Höhe sie seiner treuen Gesinnung versichernd; denn fest entschlossen blieb er, sie auf den Thron zu heben, und verrieth somit dem Freunde das Geheimniß. –

Ha! ha! lachte die Lady, das war ein guter Auftrag; und daher wurde dann die verschmähte Gräfin Bristol schnell in Gnaden zur Braut erhoben!

Doch es sei so! rechtmäßiger Geburt oder nicht, vertilgt sie, vertilgt Alles, was den Namen Stuart oder Buckingham trägt; nur dann habt ihr den Erfolg sicher. –

Mit diesen Worten erhob sich die Lady und schritt nach ihrem Bet-Pult, den Rest des Morgens einer vorgeschriebenen Andacht zu weihn, die über den felsenharten Inhalt dieses Wesens auch nicht den kleinsten Einfluß ausübte.

Die Zeit, die jetzt für die unglückliche Maria anhob, war ganz dazu geschaffen, ein so junges und lebhaftes Gemüth nieder zu beugen und in eine schwermüthige und dumpfe Stimmung zu versenken.

Sie mußte nach einer Zusammenkunft mit Pater Johannes, worin sie nicht ermangelt hatte, ihr Glaubensbekenntniß abzulegen und zu vertheidigen, doch dem Rathe des Geistlichen nachgeben und sich der Ordnung des Hauses fügen.

Er sah wohl ein, daß der boshafte Geist der Lady nicht so weit gezähmt werden möchte, um mit ihr gemeinschaftlich handeln zu können, und so wußte er sich dem Fräulein als eine wohlthuende Mittelsperson anzudeuten, an die sich die Hülflose[252] um so lieber anschloß, da ihr sonst nur Margariths kindisches Geschwätz oder der beschränkte Geist der verschüchterten Schwester Electa für die Stunden blieb, die sie nicht in Gemeinschaft mit der Lady selbst oder im sogenannten Arbeitssaal mit den übrigen Schwestern zubringen durfte.

Diese Stunden waren ihr fast die unleidlichsten, denn wenn der Kultus, dem sie beiwohnen mußte, auch abweichend und, ihren empfangenen Begriffen nach, unzulässig war, konnte es ihr doch nicht schwer werden, daran ihre eigenen Gefühle anzuknüpfen und so die Widersprüche, die ihr von Außen drohten, in sich auszugleichen.

Hier aber war sie Stundenlang dem ermüdendsten Geschwätze ausgesetzt, welches sich um die widerlich entstellten und übertriebenen Schilderungen merkwürdiger Martyrien oder die Wunder von Heiligen-Bildern und Reliquien drehte, und im Munde beschränkter Personen eine Verzerrung und Kraßheit erhielt, welche zu ertragen, ihr die härteste Geistesqual däuchte; und doch blieb ihr dagegen nur der geringe Schutz, ihre Gedanken auf die Handarbeit zu richten, die hauptsächlich in der Anfertigung der groben Kleider und der Sandalen-ähnlichen, von Stricken geflochtenen Schuhe bestand, welche die Kleidung der Nonnen ausmachten.

Es entging Maria nicht, daß das Schloß außer den Nonnen oft Gastbesuch hatte, der zu dieser klösterlichen Form wenig paßte. Die Mittagszeit im Refektorium zeigte fremde geistliche Theilnehmer, von denen sie sich beobachtet sah, ja, aus ihrem Zimmer mußte sie den Besuch von Personen empfangen, die sich weiter nicht zeigten, und bei deren Gegenwart auch Lady Sommerset gewöhnlich auf mehrere Tage ausblieb, die sonst, als Priorin, beständig den großen Lehnstuhl einnahm, der den geheimnißvollen Eingang zur Kirche bedeckte, mit welcher Maria jetzt durch tägliche Theilnahme völlig vertraut geworden war.[253]

Ueber den Zweck dieser Besuche, die außerdem von dem konsequenten Verfahren des Pater Johannes unterstützt wurden, blieb kein Zweifel. Sie sollten Maria nicht allein bekehren, sie sollten sie zu einem gewissen Zweck, zu einer theilnehmenden Verpflichtung für den Orden bekehren.

Sie versuchte anfänglich dem Rath des Pater Clemens zu Folge, auf dem ihre einzige Hoffnung beruhte, eine völlig duldende Haltung zu behaupten, die weder zugestand, noch verweigerte, so daß man sie wirklich für bekehrt hielt; doch als man nun anfing, ihr in dieser Beziehung nähere Mittheilungen zu machen, empörte sich gegen diese Täuschung ihr stolzes und reines Herz. Sie trat nun bestimmter entgegen, verdoppelte aber dadurch nur die Bemühungen um sich und zog sich eine peinliche Scene zu, die mit einem Eidschwur endete, den man von ihr über die Geheimnisse dieses Schlosses begehrte. Nach langem Weigern willfahrte sie endlich, da sie sich kaum denken konnte, daß, außer dem Fanatismus der Einzelnen, irgend ein böser Zweck diesen Dingen zum Grunde liege, und da sie wohl einsah, daß ihr keine Wahl bleiben würde, wenn sie nicht selbst jede Hoffnung zum Heraustreten aus diesem Hause damit zerstören wollte.

Ihr Verhältniß zu der Lady des Hauses blieb gleich widrig und beklemmend für sie. War auch eine ähnliche Nacht-Scene nicht wieder vorgefallen, hatte diese doch ein so tief reichendes Ensetzen in ihr zurückgelassen, daß durch ungewöhnliche Töne, die oft Nachts an ihr Ohr drangen und durch eine Nachlässigkeit Margariths einst an die Thür ihres Schlafgemaches vorrückten, ihr hinreichend der grauenvolle Eindruck unterhalten ward, den jene furchtbare Frau ihr eingeflößt hatte.

Fast räthselhaft schien jedoch bei solcher Geisteszerrüttung die körperliche Stärke sowol, als die Schärfe und Klarheit des Verstandes, die ihr nach solchem Paroxismus verblieb. Wie[254] abschreckend und empörend die Richtung dieses Geistes auch war, setzte sie doch oft ihre gelehrten Umgebungen in Erstaunen, und führte mit ihrem schlagenden Verstande Geistes-Kämpfe, wobei ihre Gegner, wofern sie nicht meist zu der durch Weltklugheit berühmten Gesellschaft Jesu gehört hätten, ihrem durch weitreichende Erfahrungen entwickelten und überlegenen Scharfblick hätten weichen müssen.

Maria war die Rolle, die sie früher in der Welt gespielt, verborgen, aber sie bekam ein treues Bild von den Qualen, dem ein durch Sünden zerstörtes Gewissen auch bei der größten Härte des Gemüths nicht entgeht. Sie gewahrte mit Erstaunen, wie diese stolze, jeden Augenblick Widerstand leistende Frau, wie ein Kind eingeschüchtert und bebend vor dem angedrohten Fluch der Kirche, sich den harten Worten des Geistlichen und seinem Willen unterwarf, den sie, wenn sie sich von dieser innern Qual mit allen Hülfsmitteln ihres sophistischen Verstandes wieder befreit hatte, ihrerseits zu unterdrücken, eifrig bemüht war. –

Was jedoch unsere junge Heldin nicht erfuhr, sei uns erlaubt, für den Theil unserer Leser, denen das Leben der Franziska Howard nicht bekannt ist, mit einigen Worten hier einzuschalten.

Nach dem Willen Jakobs des Ersten, die beiden Familien, denen er gleich verpflichtet war, an einander zu knüpfen, wurden Lord Essex und Lady Franziska, wie sie uns selbst schon angedeutet hat, schon als Kinder, und beschäftigt noch mit Puppe und hölzernem Schwert, mit einander vermählt, und der vierzehnjährige Gemahl mit seinem Gefolge nach Italien geschickt, um dort seine Erziehung zu vollenden.

Lady Franziska erblühte indessen zu einer seltenen Schönheit, und als Hofdame der Königin führte sie der tägliche Umgang in die Arme eines königlichen Günstlings, der, aus dem[255] niedrigsten Stande durch blühende Schönheit und Liebenswürdigkeit zu den höchsten Würden und Ehrenstellen von Jakobs lächerlicher Vorliebe emporgehoben, endlich zum Herzoge von Sommerset erklärt ward.

Beide Liebende zweifelten nicht, daß Jakob eine Scheinehe, wie sie Lady Franziska fesselte, leicht den Wünschen seines Lieblings opfern würde, und waren daher sehr erstaunt, dem ungemessensten Zorne des Königs bei dieser Entdeckung zu begegnen.

Durch die Gunst des Kanzlers Lord Overbury war Sommerset dem Könige bekannt geworden, und von dem ausgezeichneten Geiste und den großen Kenntnissen dieses Staatsmannes unterstützt, war es dem völlig unwissenden Jünglinge allein möglich gewesen, die Stelle eines Ministers auszufüllen, die Jakob ihm aufnöthigte.

Er stand auch hier, in sein Vertrauen gezogen, großmüthig dem Verirrten zur Seite und belebte seine Hoffnung für die Zukunft. Jakob bestand indessen darauf, daß Lady Franziska ihre Verpflichtungen gegen Essex, der nun voll Liebe gegen seine junge Gattin zurückgekehrt war, erfüllen solle, und verbannte sie bei ihrer hartnäckigen Weigerung vom Hofe.

Hier unterhielt Overbury den Briefwechsel der Getrennten und blieb ihr Schutz gegen Jakobs härtere Maaßregeln.

Aber die zügellose Leidenschaft der durch Widerspruch Gereizten hinterging die vorsichtige Sorgfalt ihres edeln Freundes; sie fanden Mittel, sich ohne seine Hülfe zu sehen, und vollzogen, gegen den Rath ihres Wohlthäters, ihre in jeder Beziehung unrechtmäßige Vermählung.

Mit dem ganz edeln Zorn eines boshaft hintergangenen Freundes sagte sich Overbury nach dieser Entdeckung von den bisher Beschützten los, und ihrer eigenen Thorheit überlassen, ward ihr Geheimniß nur zu schnell dem Könige verrathen, und Beide wurden in den Tower gesetzt.[256]

So aus dem glänzenden Leben ausgestoßen, dem Beide ganz ergeben, entwickelten sich alle die gehässigen, schon bereit liegenden Laster Franziskas, und ihren Gemahl, dessen indolenter Karakter mehr gewährend, als mit handelnd war, gänzlich beherrschend, schwur sie ihrem Wohlthäter Overbury eine unversöhnliche Rache, da er ihr den Schutz verweigerte, den zu leisten sie selbst unmöglich gemacht hatte.

Die Sammlung ihrer Briefe unter Overburys Adresse, die Summen, die er ihnen vorgestreckt, wurden die sorgfältig geordneten Dokumente, womit die Lady ihre eigene Mutter an den König absendete, ihren Wohlthäter zu stürzen.

Der Erfolg ward von einem Gelddefekt unterstützt, den der unglückliche Mann nicht nachweisen konnte, und der ebenfalls durch die Agenten der Lady ihm gemacht war.

Unläugbar hatte er den Zorn des Königs verdient, indem er den beiden Verliebten so ganz gegen den Willen seines Monarchen Vorschub geleistet. Vergeblich verschwor Overbury seine Theilnahme an der endlichen Vermählung; Lady Franziska hatte durch nachgemachte Briefe auch dies völlig außer Zweifel gestellt, und Overbury betrat den Tower an dem Tage, an welchem Lord Sommerset mit seiner Gemahlin ihn verließ, welche, vom Könige begnadigt, ihren ehemaligen Platz bei Hofe wieder einzunehmen hofften. Hier entstand aber ein wüthender Kampf der Eifersucht zwischen dem indessen heimisch gewordenen Herzog von Buckingham, dem neuen Günstling, und dem zurückgekehrten, der, von seiner Gemahlin unterstützt, Alles versuchte, die alten Rechte wieder zu gewinnen.

Overbury hatte indessen Freunde gefunden, die, von Buckingham begünstigt, das Recht der Verurtheilten aufs Neue beleuchteten, und Jakob fing selbst an aufmerksam zu werden, als der Beweis sich zuerst kund gab, Overbury habe die Summen, die er nicht nachzuweisen wußte, nicht veruntreut.[257]

Dies war die Losung für Lady Franziska, welche, vom Laster einmal ergriffen, jetzt keine Handlung mehr scheute, die sie der öffentlichen Schande entziehen und ihre geheime Rache befriedigen konnte.

Overbury ward vergiftet in seinem Kerker gefunden, mit ihm zur selben Zeit starb eines gewaltsamen Todes sein Sekretair, derselbe, der durch die genaue Ordnung und Darlegung aller seinen Herrn vertheidigenden Papiere der Sache diese Wendung gegeben.

Diese wichtigen Dokumente selbst waren verschwunden, aber eine furchtbare Gerechtigkeit erstand gleich nach Lautwerdung dieser Greuel in der öffentlichen Meinung. Mit Fingern wies man auf Lady Franziska und ihren Gatten, und es bedurfte nur geringer Anzeichen, um ihnen aufs Neue die Wohnung des Towers anzuweisen, auf dessen düsterer Schwelle sie nun der Schatten ihres gemordeten Wohlthäters empfing.

Hier bildete sich in dem unglücklichen Verbrecher, dem kaum dreißigjährigen Lord Sommerset, die furchtbare Verwirrung des Geistes aus, die, durch so viel Schuld veranlaßt, späterhin der rächende Begleiter seiner Tage ward; und so hartnäckig der Widerstand seiner Gemahlin blieb, so leicht waren doch seinem erschütterten Geiste die Aussagen entrissen, die das Oberhaus bedurfte, um Beide des Lebens für verlustig zu erklären.

Lange zögerte Jakob, obwol die Richtigkeit des Urtheils anerkennend, mit der Vollziehung.

Die Zeit verwischte das Andenken dieser Greuel erst aus den Kreisen der Unterhaltung, dann aus den Gedanken der Menschen überhaupt. Ob sie lebten, ob heimlich das Urtheil an ihnen vollzogen, oder ob sie in einer strengen Verbannung gehalten würden, war zweifelhaft, zuletzt gleichgültig; und Jakobs Räthe, die den Kampf ihres Herrn kannten, durften[258] zuletzt wagen, ihm selbst vorzuschlagen, die Gefangenen nach dem alten Schlosse der Howards an der Ostküste von England zu bringen.

Sein Wunsch ward dadurch erfüllt; denn es kränkte ihn zu sehr, ein Mitglied aus der Familie Howard und seinen ehemaligen Liebling den öffentlichen Verbrecher-Tod sterben zu lassen.

So führte sie ein sicheres Geleit dahin, wo sie den Strafen der Einsamkeit und ihren Sünden überlassen blieben.

Man behielt lange die Gewohnheit, zuweilen durch königliche Kommissarien von ihrer Gegenwart sich zu überzeugen, und dies Recht blieb auch noch immer dem nächsten Gerichtshofe, zu jeder beliebigen Stunde das Schloß und die Bewohner zu besuchen, und von ihrer Gegenwart sich zu überzeugen.

Nach dem Tode des unglücklichen Herzogs, dessen Wahnsinn, durch die harte Behandlung seiner Gattin vermehrt, ihm so früh den Tod gab, wie wir schon aus Margariths Bericht ersehen haben, hörten die lästigen Besuche immer mehr auf, sie blieben aber die Hauptveranlassung einer so sorgfältigen Verheimlichung der katholischen unterirdischen Kirche, da diese nicht so schnell als die Kleider oder die Personen, die Verdacht erregen konnten, zu verbergen war.

Lady Franziska hatte auf den Rath ihrer geistlichen Freunde mit dem letzten Richter der Stadt Gersey, dem diese Obliegenheit ward, eine Abkunft durch Entrichtung einer Summe Geldes getroffen, und ihr vorrückendes Alter als Motiv ihres Wunsches genannt, unbehelligt von jenen lästigen Nachweisungen verbleiben zu können. Dies hatte den besten Erfolg gehabt, da der Richter, selbst in hohen Jahren, sich gern dieser Verpflichtung überhoben sah, und ihm die Gegenwart der Verbannten viel angenehmer veranschaulicht ward durch einen monatlichen Revers, den er ihr für die empfangene Abfindung ausstellte.[259] Denn die Nothwendigkeit, sich einer Frau gegenüber zu stellen, über deren Verbrechen seit dem Tode ihres Gemahls, wie über ihre Geisteszerrüttung so übertriebene Gerüchte in der kleinen Stadt herrschten, daß Jeder das Schloß als einen Pfuhl der Hölle floh, war stets eine lästige Pflicht. –

Dies ist die Geschichte einer Frau, in deren Nähe wir unsere junge Heldin haben führen müssen, und indem uns der Wahrheit nach nur vergönnt war, ihre Lage als ungünstig und unerfreulich zu bezeichnen, ja, als von einer Unsicherheit umgeben, die unsere Theilnahme erregen könnte, müssen wir sie doch auch auf einige Zeit verlassen, um uns in Zusammenhang mit den Dingen zu setzen, die anderswo sich als einflußreich auf ihr Schicksal erzeigen werden. Und zwar müssen wir in manchen Beziehungen uns erlauben, eine Zeit flüchtig zu berühren, in welche wir unsere Leser früher bereits eingeführt haben.

Quelle:
Henriette von Paalzow: Der Verfasserin von Godwie-Castle sämmtliche Romane. Band 1–6, Band 3, Breslau 1855, S. 1.
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