Dritter Theil

Obwol Fenelon nicht mehr persönlich die Erziehung in St. Sulpice leitete, da seine großen Fähigkeiten, nach mehreren, besonders durch den König ihm übertragenen Missionen, ihn jetzt zum Erzbischofe von Cambray berufen hatten, so behielt er dennoch ein leitendes Auge für die dortigen Angelegenheiten, und vor Allem für Reginald und Ludwig – er erklärte die Erziehung der beiden jungen Leute für vollendet!

Reginald hatte sein einundzwanzigstes, Ludwig sein zwanzigstes Jahr erreicht; Fenelon fügte als Rath für Beide hinzu, sie nicht zu trennen, sondern vereinigt, wie ihre Herzen waren, sie auch gemeinsam auf Reisen zu schicken. Dieser Vorschlag ward von dem Grafen Crecy und seiner Gemahlin mit vollständiger Zustimmung aufgenommen; – er verschob für den Grafen den gefürchteten Augenblick, den Jüngling Reginald, der unter dem Titel des Chevalier de Ste. Roche, als sein Mündel, bis jetzt noch von jeder Nachfrage seiner Verhältnisse abgehalten war, zu einem neuen Lebensabschnitte geführt zu sehen, der die fast nothwendige Frage enthalten mußte, welcher Platz ihm zustehe, in der Welt einzunehmen. Obwol der Graf Crecy einundzwanzig Jahre Zeit gehabt hatte, diesen Augenblick zu überlegen, so hatte er ihn doch, seinem Karakter gemäß, heranschleichen lassen, ohne für seine Anfrage eine Antwort finden zu können; und gänzlich beruhigt durch die Freigebigkeit, mit der er beide junge Leute gleichmäßig ausstattete, war er sich nur bewußt, diese sorglose Freiheit des Reichthums ihm erhalten[1] zu wollen, die nöthige Form, in der sie ihm zu erhalten wäre, von seinem alten Troste, dem Zufall, erwartend. – Wir müssen annehmen, daß seine Gemahlin ebenfalls Gründe hatte, sich mit Fenelons Rath einverstanden zu erklären, da wir ihr großes Vertrauen zu ihrem ehemaligen Lehrer kennen; doch hatte die geheime Geschichte der zurückgelegten zwanzig Jahre, bis auf einige Punkte, sie der Wahrheit immer näher geführt, und sie in Reginald einen Anspruch an ihren Gemahl anerkennen lassen, den sie leise zu schützen und zu fördern suchte, und dies unbezweifelt aus einem Triebe ihres Edelmuthes; aber – wir müssen es gestehen – zugleich auch, um sich dadurch jede mögliche Erklärung oder Rechtfertigung abzuhalten; denn hier fühlte sie beständig die Grenze ihrer Selbstbeherrschung. Sie zitterte sogar vor sich selbst bei dem Gedanken, dies unglückselige Geheimniß wirklich zu kennen, und sie war zweifelhaft, ob sie es ferner dann in Reginalds Erscheinung werde ertragen können oder dürfen; da ihre Vermuthungen nie so weit gingen, die Rechtmäßigkeit seiner Ansprüche zu ahnen.

So hatte denn der Graf Crecy volle Freiheit, die Dinge sich von selbst machen zu lassen, und fand sich sogar überall von seiner. Gemahlin hierin unterstützt.

Die auffallende Thatsache, daß Reginald den Namen der besonders dem Grafen gehörenden Besitzung Ste. Roche führte, schien ihr nie auffallend. Sie zählte Reginald so bestimmt zu ihrem Hausstande, nahm so fest an, daß jene Besitzung ihm gehöre, ohne diese merkwürdige Annahme je entschieden auszusprechen, daß damit viele andere Nachfragen, nach den Eltern oder den Berechtigungen Reginalds, von selbst wegfielen.

Auch mußte die Marschallin von Crecy bei diesen Verfügungen, die sie anfänglich mit dem größten Zorn erfüllten, da sie ihr den unberechtigten Jüngling, dessen größeres Recht sie hartnäckig vor sich läugnete, viel zu sehr begünstigten, endlich[2] verstummen. Denn nachdem ihre Schwiegertochter jede Anregung darüber überhört hatte, traf sie bei einem direkteren Angriffe hier auf einen so maaßlosen Ausbruch von Zorn und Heftigkeit, mit so drohenden Aeußerungen verbunden, daß sie schnell einsah, eine deutlichere Erklärung würde die Gemahlin ihres Sohnes zu den äußersten Schritten treiben, – sie würde sogar glauben, sie thun zu müssen – und die Marschallin hatte kaum noch Zeit, indem sie jede erfahrene persönliche Beleidigung der Erzürnten übersah, beschwichtigend einzuschreiten, wodurch die junge Gräfin nun auch von dieser Seite völlig Ruhe bekam. – Mit zarter Hand hatte Fenelon dagegen seine edle Schülerin in dieser Prüfung zu leiten und zu schützen gesucht; selbst die Beichte hatte nie den Namen für das Geheimniß des belasteten Herzens aufgedeckt; allgemein war das Vertrauen des tief wohnenden Schmerzes, allgemein der Trost des würdigen Freundes! Beide kannten sich vollständig, und es fehlte ihnen in dieser schonenden Form nicht an ausreichendem Verständniß. –

Nur der Gegenstand so vieler Vorsicht und Selbstüberwindung blieb völlig unbefangen und sorglos, diesen Verhältnissen gegenüber. Er sah sich als eine Waise an, dessen Eltern der Graf Crecy gekannt, und daher sein Vormund und Verwalter seines Vermögens, wofür er die Besitzung Ste. Roche hielt, deren Namen er trug, geworden war. Mit kindlicher Liebe hing er an dem Grafen Crecy, aber fast noch mehr an der Gräfin; denn das düstere, gedrückte Wesen seines Vormundes paßte viel weniger zu seinem raschen, glühenden Feuergeiste, als der lebhafte Geist der Gräfin. Auch liebte die Gräfin ihn wirklich; sie liebte ihn mit der schönen Unparteilichkeit, die sie seine seltenen Fähigkeiten erkennen ließ; sie liebte ihn zugleich als den Freund, als den Beschützer ihres eigenen Sohnes, der mit einer zarteren physischen Bildung, auch geringere geistige Gaben besaß.[3]

Dieser Jüngling lebte nur von der befruchtenden Glut seines geliebten Reginald; er ward ergänzt, getragen, belebt durch ihn, und seine scharfblickende Mutter sah bald den ganzen Vortheil dieser innigen Verbindung, und war Reginald in der Stille dankbar für einen Dienst, den jener nicht ahnte, und den beide Jünglinge durch ihre innige Zuneigung für einander sich bezahlten.

Nur ein Wesen gab es in dieser friedlichen Ausgleichung, welches, jedem friedlichen Zustande zürnend, am wenigsten ihn einem Hause gönnte, dem es grollend gegenüber blieb – es war der Marquis de Souvré, welcher trotz Alles, was er erreicht, sich doch noch nicht genug gethan hatte und nie das Auge von der Hoffnung abwendete, mit einem plötzlichen Schlage die Mine, die, von Allen so sorgfältig verdeckt, dennoch unter ihren Füßen weglief, dereinst in die Luft sprengen zu können. Er war, wie zu erwarten stand, durch zunehmende Jahre nur verhärteter und böswilliger geworden; von tausend ehrgeizigen Plänen verscheucht, verachtete er Alles, was er erreicht, um seine vollständige Bitterkeit gegen die Welt fortsetzen zu können. Er rächte sich für jede ihm fehlgeschlagene Absicht an der ganzen Summe der menschlichen Gesellschaft; das Individuum galt ihm fast gleich; denn jedes Gelingen beleidigte ihn, und er trat demselben entgegen, so viel es möglich zu machen war. Ja, dies ward nach und nach eine größere Beschäftigung für ihn, als seine eignen Angelegenheiten, da er, ohne es sich einzugestehen, den Fluch der Sünde erfuhr, gegen alle erstrebten Vortheile mit Gleichgültigkeit und Ekel erfüllt zu sein.

Seit dem Tode der Königin machte er Madame de Maintenon den Hof und gehörte zu ihrem kleinen Zirkel, hier eben so, wie früher bei Madame Henriette und der Königin, gefürchtet und geschont. Er hatte den heiligen Geistorden und den Kammerherrn-Schlüssel, und Ludwig der Vierzehnte verfehlte[4] niemals, wenn er ihn sah, zu sagen: »Was hat uns unser geistreicher Herr Marquis mitzutheilen?« Er mußte sich selbst eingestehen, er werde es schwerlich höher treiben, und deshalb gewann sein Karakter in der angedeuteten Richtung Stärke und Dauer, und die Menschen blieben ein tief von ihm verachtetes Werkzeug, mit dem er sich herabließ, nach Laune und Willkür zu spielen. Wir werden begreifen, daß der Marquis de Souvré aus dem Leben gemacht hatte, was er als seinen Inhalt annahm, und daß seine ganze Erfahrung eine fortgesetzte Bestätigung dieser Annahme schien. – Nur einen Punkt in seinem Leben gab es, an den er nie ohne ein unfreiwilliges Erschrecken denken konnte; – es war die Erscheinung Fennimors! – Wie sehr er sich auch bemüht hatte, ihre wunderbare Ueberlegenheit zu verläugnen, sie gering zu schätzen, sie zu bespötteln und zu verachten, es zeigte sich Alles unzureichend, wenn in unbewachten Stunden der Augenblick vor ihm auftauchte, wo sie vor ihm stand, wie ein leuchtender Engel mit dem feurigen Schwerte der Gerechtigkeit, und mit ihrem erhabenen Mitleiden und religiösen Grauen ihm ein Bild seines eigenen Zustandes vorhielt, in dem er sich, überwältigt von der furchtbaren Gewalt der Wahrheit, erkannt hatte, und vor dem ihn eine stets geläugnete Ueberzeugung seiner Verworfenheit ergriffen hatte. Er erlebte, ohne es hindern zu können, die Strafe, sich an jedes Wort, jeden Zug ihres Gesichtes, jede Bewegung erinnern zu können. Er mußte der Erscheinung in seinem Innern, wie gefesselt stille stehen; er hörte den Ton ihrer Stimme, er mußte sie begleiten, bis sie vor seinen Augen, wie er damals glaubte, starb. Er hatte nie Aehnliches erlebt – dieser Tod hatte ihn nicht befriedigt, nicht an ihr gerächt; es schien umgekehrt – er lag wie eine Rache, die er erlitten, in seiner Seele. – Er selbst war von diesem Platze entflohen, von einer Macht in die Flucht geschlagen, die stärker war, als er; er nahm die ganze[5] Last einer Verwerfung und Herabwürdigung mit sich, die er nie zu erleiden gedacht, und er nahm sie mit, ohne sich seiner Empfindung nach gerächt zu haben. Kam Souvré Jahrelang nachher an diesen Punkt seiner Erinnerung, fuhr er in die Luft, wie von dem giftigen Bisse eines Skorpions verletzt. Er konnte es kaum fassen! Da es aber dasselbe blieb in seiner Ueberzeugung, warf er prüfend den Blick umher und suchte den Gegner zu entdecken, der mit diesem unverscheuchbaren Eindrucke seiner Seele zusammen hing. Er fand ihn nur zu bald in dem Hoheit blickenden Jüngling mit den tief blauen Augen und dem braunen, goldbesäumten Heiligenscheine seines Lockenhaares. Wenn dieser Jüngling, der ihn beständig reizte, alle Dämonen seines frivolen Geistes spielen zu lassen, ihn dann plötzlich ernst und ruhig anblickte, fühlte er den Blitz, den Fennimor einst über ihn entzündete; und wenn er ihn hassend und zürnend doch selbst zu locken schien, als ob der Dämon in ihm unter den Augen dieses Jünglings in Zuckungen verfiele, so gelobte er sich eben so oft, diese einzige Gewalt seines Lebens, die ihm ungebeugt gegenüber gestanden, sollte dennoch von ihm gebrochen werden.

Dies blieb auch das wohl befestigte Band zwischen ihm und der Marschallin von Crecy. Beide waren auf der Geistesbahn, die sie erwählt, nicht stehen geblieben. Bitter grollend stand die Marschallin, eben wie Souvré, der Welt gegenüber, die es gewagt, statt siegreichen Gelingens, ihr so viel gescheiterte Pläne und Wünsche zu geben. – Obwol jetzt in hohem Alter, hatte sie noch keine Schwächen desselben zu erleiden; und verknöchert in den Formen ihres Hofdienstes, schien sie fast dieselbe zu bleiben. Aber wo war der Glanz ihres Hauses, den ihr Sohn um jeden Preis aufrecht erhalten sollte? Niemals hatte derselbe seinen Hofplatz wieder eingenommen, also auch sein Ansehen in den Zirkeln, die sie einst beherrschte,[6] nie wieder erlangt. Seit dem Tode der Königin lebte ihre Schwiegertochter ebenfalls ganz vom Hofe entfernt; und da Leonin dem Marschalle von Louxembourg nicht wieder in den Krieg gefolgt war, setzten Beide ein, wie es der Marschallin schien, höchst unwürdiges Privatleben fort, das sie vergeblich zu verändern getrachtet hatte und nur von Zeit zu Zeit wieder zu stören versuchte, um mit derselben beleidigenden Ueberzeugung sich zurück zu ziehen, daß ihr Einfluß hier an dem finster grollenden Eigensinne ihres Sohnes und der kalten Ruhe ihrer Schwiegertochter scheitern müsse. Dessen ungeachtet entzogen sich Beide der Geselligkeit in dem Hause der Marschallin nicht, und scheinbar blieb das vollkommenste Einverständniß. Aber wenn die Marschallin, von immerwährender Mißbilligung gereizt, bedachte, wem sie das Scheitern aller ihrer ehrgeizigen Pläne danke, dann kam sie scharfsichtig kombinirend endlich zu dem kleinen, unscheinbaren Punkte, den sie so tief verachtet, so leicht zu erdrücken dachte, wie den Wurm unter ihrem Fuße – Fennimor, dies unberechtigte, geringe Wesen, dessen Ansprüche ihr kaum der Widerlegung werth geschienen, hatte doch mit seinem unbedeutenden Leben den Boden untergraben, auf dem sie fest zu stehen glaubte; und sterbend noch schien sie die Rache, alle Pläne umzustürzen, die auf ihren Untergang berechnet waren, vollführt zu haben. Von Leonin's Flucht bei der Nachricht ihres Sterbens, mußte die Marschallin den Verfall des Glanzes ihres Hauses herrechnen. Wenn sie an den Morgen des Tauftages dachte, mußte sie sich sagen, daß ihr Herz, in stolzer Befriedigung schwellend, ihr fast die Brust beklemmt habe; und wenige Stunden nachher war Alles in einem Grade verändert, den sie in ihren Verhältnissen für unmöglich gehalten hatte.

Wir haben hier noch einmal die Veranlassungen zu ihrem Gemüthszustande berührt, um uns dann um so deutlicher denken zu können, mit welchen Empfindungen sie Reginald, mit dem[7] beleidigenden Zunamen Ste. Roche, ansehen mußte, der, wenn ihm auch sein wahrer Name damit geraubt war, dennoch eine Begünstigung schien, gegen die sie noch immer Vertilgungsmittel in ihrem Geiste aufsuchte, nie die Hoffnung aufgebend, ihn aus Berechtigungen zu verdrängen, durch welche sie ihr Haus für beschimpft hielt.

So viel als möglich, leugnete sie seine Gegenwart ganz. Sie hatte eine Weise, über ihn wegzublicken, ihn nie zu hören, jede Anregung Anderer hinzunehmen, als sei sie auf diesem Punkte taub und blind, daß es bis jetzt unmöglich geblieben war, den jungen Mann ihr vorzustellen, wodurch sie jede Ermuthigung verhinderte, und ihr die Freiheit gesichert schien, ein nie anerkanntes Verhältniß zur gelegenen Stunde mit unvergebener Stärke angreifen zu können.

Dessen ungeachtet ward es ihr nicht erspart, den Jüngling so oft, als ihren angebeteten Enkel sehen zu müssen. Da die jungen Leute an keiner Gesellschaft Theil nahmen, war es nur der Mittagskreis beim Grafen Crecy, in welchem sie zu gewissen Tagen erscheinen durften, und wo sie nur die nächsten Freunde und Verwandte fanden, und welche Tage die Marschallin zuletzt nicht mehr versäumte, um sich mit Uebergehung Reginald's an ihrem Enkel zu entzücken.

So bitter nun Souvré selbst den Chevalier de Ste. Roche haßte, so war ihm doch seine Gegenwart ein unendliches Ergötzen, der stolzen Marschallin gegenüber; und er hatte tausend kleine Kunstgriffe, um die feste Stellung seiner geehrten Freundin zu erschüttern oder das Maaß des Unwillens, woran sie zehrte, zu vermehren.

Auch war Reginald selbst wie dazu geschaffen, diesen bösen Willen zu unterstützen; denn es gab kein freieres, sorgloseres Betragen als das seinige. Er übersah jede Unfreundlichkeit; denn er hielt sie für unmöglich. Kein Zug seines Gesichtes[8] oder seines Karakters erinnerte an seinen Vater; er war das vollständigste Bild seiner Mutter. Sein Anstand war so ausgezeichnet, daß er Jedem eine Art Erstaunen einflößte; seine bezaubernde Höflichkeit, die von einem seelenvollen Ausdrucke der Güte unterstützt ward, machte auf die ältesten und vornehmsten Personen einen Eindruck, der sie unwillkürlich jede seiner Aeußerungen mit einer Art Verbindlichkeit aufnehmen ließ. Ohne daß man nachweisen konnte, wie es geschah, nahm er bald überall einen ausgezeichneten Platz ein. Es war kein Zug von Anmaßung in ihm; aber seine Unbefangenheit ließ ihn den Platz einnehmen, der ihm eingeräumt ward. Er hatte die unschuldige Freude der Entwicklung und schien seine jungen Kräfte auf jedem Platze mit Lust und Frische zu prüfen. So ergriff er auch mit einer rührenden Wärme und Hingebung das Verhältniß zu der Gemahlin des Grafen Crecy und zu dem jungen Grafen Ludwig. Er nahm mit der sicheren Voraussetzung ihrer Liebe, ihr Vertraun, ihre Theilnahme in Anspruch, und gab dafür mit reichen Händen Alles, was er selbst besaß. Beide junge Leute waren unzertrennlich; Ludwig betete seinen jungen Freund an, und Viktorine wußte, daß dies Gefühl bei ihm stärker sei, wie bei Reginald; denn sie hatte längst erkannt, daß dieser sie am meisten liebe. Ebenso war Reginald im Kloster bei seinen Lehrern und Erziehern besonders ausgezeichnet; er war ihr Stolz, ihr Triumph. Die jungen Leute aus der Fremde, besonders aus England, aus den vornehmen Familien, die mit den Stuarts sich verbannt hatten, und von denen einige den Vorzug erlangten, ihre Söhne den berühmten Mönchen von St. Sulpice anvertrauen zu dürfen, fanden alle in dem jungen Chevalier de Ste. Roche ein Vorbild, dem sie sich anschlossen. Seine Ueberlegenheit stützte sie Alle, und ihr ganzes Leben unter seiner heitern und doch so edeln und sittlich festen Leitung fand Genuß, ohne Tadel zu erwecken.[9]

Als die Marschallin von Crecy die Absicht erfuhr, beide junge Leute auf Reisen zu schicken, that sie noch ein Mal Alles, was ihr an Macht im Hause ihres Sohnes zustand, um diese unbegreifliche Unschicklichkeit zu hindern. Aber sie drang auch dies Mal nicht durch und entschloß sich endlich, diesen Gegenstand fallen zu lassen, um einen anderen, ihr wichtigeren verfolgen zu können.

Sie fand nämlich bei der sorglosen und unwürdigen Art, wie beide Eltern die höchst wichtigen Verhältnisse ihrer Familie vertraten, daß sie in ihrem Enkel, so viel es noch die ihr zugetheilten Lebensjahre zuließen, retten und schützen müsse, was ihm dereinst zur vollen Aufrichtung des alten Glanzes dieses Hauses behülflich werden könne; und dazu hielt sie eine Vermählung für das geeignetste Mittel. Die Gräfin La Fajette half aus eignem Familienstolze diese Wünsche unterstützen. Ihre Tochter, die Gräfin d'Aubaine, die Freundin Louise de Crecy's, der jetzigen Marquise d'Anville, hatte glücklicher wie Louise, welche mehrere Kinder verloren und erst jetzt zwei kleine Knaben heraufzog, drei blühende Kinder, einen Sohn, den Aeltesten der Familie, und zwei hold heranblühende Töchter, von denen die älteste, Franziska, diejenige war, welche die Marschallin ihrem Enkel bestimmte. Dieser Plan fand bei den Eltern des jungen Ludwigs keinen Widerspruch; doch verlangte die Gräfin Crecy, daß keine Vorherbestimmungen statt finden sollten, den jungen Leuten freie Wahl bleiben müsse, und keine Kenntniß dieser elterlichen Wünsche ihnen die nöthige Unbefangenheit rauben solle. Diesen Bedingungen gab die Marschallin mit stolzer Geringschätzung nach und verfügte, daß die Reise, die nunmehr festgesetzt ward, mit einem Besuche bei Louise auf dem Schlosse Arconville, und mit deren Familie vereinigt, alsdann bei dem Grafen d'Aubaine in Ardoise, anfangen solle. Bis dorthin sollte der Marquis de Souvré die jungen Leute begleiten;[10] dann sollten sie sich zuerst nach England und Schottland begeben, und zwar in Gesellschaft eines Freundes aus dem Collège von St. Sulpice, der, obwol bedeutend älter, als beide Jünglinge, doch mit dieser Reise eine Zugabe seiner für vollendet erklärten Erziehung zu machen wünschte und in dieser Zeit der zärtlichste Freund Reginald's ward. – Der Tod seines Vaters, der ihn zum Lord Duncan-Leithmorin gemacht, forderte seine Rückkehr nach England, wohin ihn die Freunde, mit Einwilligung des Grafen und der Gräfin Crecy, zu begleiten versprochen hatten.

Mit musterhafter Standhaftigkeit ertrug die Gräfin Crecy den Abschied von ihren beiden Lieblingen; denn ihre schnell herabgekommene Gesundheit gab ihr eine schmerzliche Ahnung, daß diese Trennung für immer sein würde. Aber wie sie ihren Sohn aus ihren Armen ließ, legte sie Reginald's Hand in die seinige, und indem sie Beide segnete, sagte sie: »Reginald, Sie werden meinem Sohne ein treuer, liebevoller Freund sein – ich vertraue Ihnen mit vollster Zuversicht die zartere Natur meines theuern Sohnes.«

Mit welchen Gefühlen kniete Reginald da vor der Frau nieder, die er am meisten liebte, und sah sie mit glühendem Antlitze an – wollte ihr antworten – und hatte Nichts, als feurige Thränen, die er ihr nicht verbarg! Sie verstand ihn, bog sich nieder und küßte mütterlich seine Stirn.

Beide traten ihre verhängnißvolle Reise an. Wir finden die jungen Leute erst in Ardoise wieder, wo sie in dem Kreise junger liebenswürdiger Gefährten den vollen Reiz der Jugend kennen lernten. Die Marquise d'Anville und ihr Gemahl, der Graf und die Gräfin d'Aubaine waren so vom Glücke begünstigt, so heiter und sorglos, daß sie noch jünger erschienen, als ihre Jahre angaben; und begünstigt von der Freiheit eines ländlichen Aufenthaltes, theilten sie das fröhliche Leben ihrer Kinder und[11] erhöhten dadurch ihre Freude. Der junge Graf d'Aubaine hatte sein zwanzigstes Jahr vollendet, die Gräfin Franziska trat ihren sechzehnten Sommer an, und eine vierzehnjährige Schwester war das Schooßkind Aller, der Armand und Leonce, die kleinen Knaben der Marquise d'Anville, sich anschlossen. Außerdem zogen liebe Gäste aus und ein. Der junge Lord Duncan ward von Allen zur Familie gerechnet, und er fühlte sich hier um so weniger fremd, als er zwei liebenswürdige Landsmänninnen fand. Gegen den Vater der einen, einer Miß Lester, der jüngeren Tochter eines Geistlichen, hatte Graf d'Aubaine eine Verpflichtung der Dankbarkeit; da der würdige Mann ihm bei seinen Reisen durch England in einer gefährlichen Krankheit durch treue Pflege das Leben gerettet hatte. Sie blieben von da an in immerwährendem Briefwechsel, und der würdige Herr Lester entschloß sich endlich, den Wunsch des Grafen d'Aubaine zu erfüllen und seine geliebte Margarith, die mit Franziska in einem Alter war, auf einige Zeit nach Frankreich zu schicken. Dies geschah in Begleitung einer Miß Ellen Gray, die als Pflegekind mit Margarith erzogen ward, und, bedeutend älter, ihr eine Art Schutz werden sollte.

Nur zu schnell verflossen hier ein Paar der glücklichsten Monate, und fast Alle fühlten sich überrascht, als der Moment da war, der die lange festgesetzte Trennung forderte.

Aber man trennte sich nicht, wie man sich zusammen gefunden hatte. Das Loos war geworfen. In dem heiteren Reigen der Jugend, in dem scherzenden Vertändeln der Stunden, in einer Lebenszeit, die den Ernst und die Wichtigkeit desselben in den Hintergrund drängt, hatte doch Jeder unbewußt das Loos empfangen, was über seine Zukunft entschied; und erst, als die Stunde der Trennung schlug, erkannten die Betheiligten, was sie erlebt!

Auch hier hatte Reginald den ersten Platz eingenommen. Wie mit Zauber lenkte er die Gemüther! Nicht allein die Jugend[12] hing ihm in Allem vertrauend an, selbst die Aeltern theilten dies Gefühl. Jauchzend, voll Jugendlust flog Reginald, jeder Anforderung genügend, von einem Platze zum anderen. Jede körperliche Geschicklichkeit, nicht für ihn allein, für alle Anderen ausreichend, führte ihn in das Interesse eines jeden Anwesenden. Seine Schönheit schien hier noch eine neue Entwicklung zu erfahren; es trat jenes bezaubernde, glühende Feuer hervor, welches das erste Stadium der Jugend überschritten anzeigt, und jeden Blick, jede Bewegung zu einer kühnen Herausforderung an das Leben macht, gegen dessen geheimnißvollen Inhalt eine zürnende Begierde hervortritt, die sich des Streites mit ihm zu erfreuen denkt; und ohne daß er es wußte, jagte sich der kindlichste Witz mit der glänzendsten Fülle der Gedanken und Gefühle über seine Lippen. – Fenelon's Schüler hatte Unterricht erhalten, der seine Geistesfähigkeit frei entwickelt hatte – und ihr Zweck und Ordnung gegeben, die ihm schon jetzt ein Resumé von Bildung gab, das der Jugend oft so schwer wird, aus wüst eingehandelten Kenntnissen zu gewinnen, die nur zu oft ein ganzes Leben hindurch einen beschwerten Zustand zurücklassen, der sich vergeblich auf das mühsam gesammelte Material stützt, das doch nicht Bildung werden will. Hiervon war Nichts in Reginald; von der todten Masse der Eingangsform schon erlöst, hauchte das Wissen sein geistiges Fluidum in ihm aus und belebte und erzeugte das Gegebene zu eigener Gestaltung; der Nachweis fand sich in seinen entwickelten Gedanken, nicht in Jahreszahlen und Namensregister.

Louise und ihr Gemahl ahnten sein besonderes Verhältniß zu ihrer Familie; die merkwürdige Dotation von Ste. Roche mußten sie nothwendig darauf führen. Alle Uebrigen kannten diesen Umstand nicht; und die Besitzung Ste. Roche, die fast nie als Crecy'sches Eigenthum genannt ward, schien selbst dem Grafen d'Aubaine unbekannt, in dessen Nähe sie lag; es wurde[13] ihm daher leicht, den jungen Mann als Besitzer anzuerkennen, da Graf Crecy, als Vormund, ihn unter diesem Titel ihm empfahl. Doch wurde er Veranlassung, daß Reginald selbst darauf aufmerksam ward; und ohne über die auffallende Art nachzudenken, mit der sein Vormund ihm die Nähe seiner angestammten Besitzung verschwiegen hatte, sprach er seinen Wunsch aus, sie kennen zu lernen. Graf d'Aubaine unterstützte dies um so mehr, da eine der jungen Engländerinnen, Miß Ellen Gray, sich verpflichtet fühlte, ihre Mutter aufzusuchen, die, aus unbekannten Gründen, dort ihren Aufenthalt hatte; was es für sie sehr wünschenswerth machte, die Reise unter Reginald's Schutz anzutreten. Doch hier schritt der Marquis de Souvré auf das Entschiedenste ein. Er erklärte diesen Besuch ganz gegen den bestimmten Reiseplan, für den er, wenigstens so lange sie auf französischem Boden wären, einzustehen habe; und Reginald, der stets eine ehrerbietige Nachgiebigkeit gegen Aeltere hatte, fügte sich in diesen Ausspruch.

Miß Ellen Gray reiste daher allein nach Ste. Roche ab, und Reginald schob die Besichtigung seiner Besitzung bis zur Beendigung seiner Reise auf, indem er sich von Ellen, die noch vor seiner Abreise zurückzukehren hoffte, versprechen ließ, recht Viel davon zu erzählen; da er es sehr wünschte, damit die frühesten Eindrücke seiner Kindheit aufzufrischen, die ihm immer einen reizenden Aufenthalt in Mitten eines Waldes vorspiegelten, wo er an einem seltsamen Schlosse kleine Treppen erklettert war, die um einen Thurm liefen, von einer alten Frau behütet, welche ihm dann schöne Früchte schenkte.

Auch traf Miß Ellen Gray einen Tag vor der Abreise der jungen Leute in Ardoise wieder ein, wie es schien, wenig befriedigt von ihrem Aufenthalte; da Mistreß Gray, ihre Mutter, keine Freude bei ihrem Wiedersehen gezeigt hatte und mehr ihre Abreise, als ihr längeres Bleiben zu betreiben schien. Auffallend[14] war es, wie der Marquis de Souvré Miß Gray bei ihrer Ankunft ausschließlich in Anspruch nahm und die kleine, unbedeutende, gebrochen französisch sprechende Miß Gray zum Gegenstand einer Aufmerksamkeit machte, als habe er erst jetzt ihr Verdienst erkannt und sie damit zu gleicher Zeit zu seiner ausschließlichen Gefährtin erhoben. Es ging aber aus dieser besonderen Auszeichnung natürlich hervor, daß er überall in ihrer Nähe blieb und ihr ziemlich ungeschicktes Bestreben, sich Reginald zu nähern, abzuwähren wußte. Doch scheiterte der Marquis endlich mit seiner ganzen Feinheit an der listigen Beobachtungsgabe dieses etwas derben und dreisten Mädchens, die sehr bald, seine Aufmerksamkeiten für Spott und Hohn haltend und bloß die Absicht darin sehend, sie von ihren jungen Freunden zu trennen, ihm den Streich spielte, während einer kurzen Unterredung des Marquis mit einem Anderen, ihm zu entwischen, ohne Bedenken zu Reginald hinzulaufen, ihn mit sich nach der Bibliothek zu ziehen und diese eilig hinter sich zu verschließen. »O hört, hört, ehe der listige Mann mir wieder nachrückt!« rief sie athemlos; »meine Mutter ist die alte Frau, die Euch in Eurer Jugend pflegte; sie beschwört Euch, nicht abzureisen, ehe Ihr nach Ste. Roche gekommen seid; – sie hat Euch ein großes, wichtiges Geheimniß zu entdecken, von dem Euer ganzes Lebensglück abhängt. Aber Ihr müßtet selbst kommen – und solltet Euch um Gotteswillen vor dem abscheulichen Marquis de Souvré hüten; denn er habe Eure Aeltern ins Unglück gestürzt!«

Reginald blickte das kleine, hastige Mädchen, das so unweiblich lebhaft und übereilt ihm ihre Mittheilungen machte, mit einem nicht zu beherrschenden Ausdrucke von Mißbehagen an, und es ward ihm fast unmöglich, darauf einzugehen. Sie waren so geheimnißvoll, Argwohn erregend, daß sie ihn aus seiner ganzen bisherigen Stellung und Gemüthsstimmung zu[15] reißen drohten, wenn er ihnen Glauben schenkte. Er, der bis zu diesem Augenblicke das Mißtrauen nur dem Namen nach kannte, konnte es unmöglich durch diese Mittheilungen in sich aufnehmen. Er hörte daher nur höflich zu, ohne die Alteration des jungen Mädchens theilen zu können, und bat sie endlich, ihre Mutter von der Unmöglichkeit zu unterrichten, jetzt nach Ste. Roche kommen zu können; da die Abreise nach England für den andern Morgen festgesetzt sei, und es nicht mehr in seiner Macht stehe, dies abzuändern. Bei seiner Rückkehr werde er dagegen den Besuch von Ste. Roche als eine Pflicht ansehen und sich dann sehr freuen, seine alte Pflegerin wiederzusehen.

Ellen Gray hatte einen Anlauf zu ihren Mittheilungen genommen, der ihr vollständig durch die Wichtigkeit, die sie denselben beilegte, gerechtfertigt schien; jetzt sah sie sie ziemlich kalt und ohne das erwartete Erstaunen aufgenommen. Sie fühlte sich dadurch beschämt und ward bei ihrem empfindlichen Karakter sehr beleidigt.

»Ganz nach Ihrem Belieben, mein Herr!« sagte sie, hochroth werdend; »ich habe bloß meine Schuldigkeit gethan, bloß den Befehl meiner Mutter erfüllt, die allerdings klüger scheint, als manche anderen Leute, und durch ihre Jahre wohl berechtigt, Dinge zu wissen, von denen die Jugend sich Nichts träumen läßt. Jetzt muß ich überdies sehr um Verzeihung bitten; denn ich habe noch die letzten Stunden mit Gräfin Franziska gestört.«

Vergeblich war Reginald bemüht, die Beleidigte aufzuhalten oder zu versöhnen. Sie enteilte, ihn empfindlich grüßend, und hatte die Gesellschaft erreicht, ehe der Marquis ihre kurze Abwesenheit inne ward.

Dagegen müssen wir gestehen, daß Reginald von dem ganzen Zusammensein mit Miß Gray nichts behalten hatte, als ihre letzten Worte. Das Nahen der Abreise hatte sein Herz[16] erfaßt und die Ueberzeugung, Franziska d'Aubaine mit allen Kräften seiner Seele innig zu lieben, bestätigt. Seit diesem Morgen ihrer Gegenliebe gewiß, trug er in seinem hochschwellenden Busen das höchste Glück, bedroht von dem Schmerze der nahen Trennung! – Es war kein Augenblick, sein Interesse in Anspruch zu nehmen für eine trübe, Argwohn erweckende Richtung. Viel näher lag es ihm, dem Grafen d'Aubaine in die Arme zu eilen und um seine Tochter öffentlich zu werben; aber seine Jugend machte ihn schüchtern; er hielt sich des Glückes nicht werth, das er begehrte – er wollte durch Reisen entwickelter werden und dann seine Stellung zu erheben suchen für den Anspruch, den sein Herz machte. Auch war dies die Bitte der von ihren Gefühlen überraschten, kindlichen Franziska; und sie entschied über ein Schweigen, so heilig und süß, wie die Andacht ihrer unschuldigen Herzen!

So verließen die jungen Leute, in Gesellschaft Lord Duncan's, Ardoise, das sie erst nach zwei Jahren wiedersehen sollten; und wir müssen es gestehen, alle Drei das Bild der schönen Franziska d'Aubaine im Herzen tragend.

Der Marquis de Souvré aber eilte nach Paris zurück.

»Madame,« sagte er zur Marschallin von Crecy, »Ihr Enkel hat mir seine Liebe zur jungen Gräfin d'Aubaine gestanden und ist entzückt über die Pläne seiner Großmutter.«

Er hielt inne und ließ sie erst den Triumph verrathen, den das Gelingen ihres Planes ihr machte – dann fuhr er fort: »Doch, wie überall, steht auch hier der Chevalier de Ste. Roche im Wege – entschieden war der Vorzug, den die junge Dame dem sterblich in sie verliebten jungen Manne gab, und der Zufall machte mich zum Zeugen ihrer gegenseitigen Liebeserklärung.«

Mit verbindlichem Lächeln beobachtete er das aschfarbene Erbleichen der Marschallin, welches plötzlich, durch die Schminke durch, sich in glühende Röthe verwandelte.[17]

»Und Sie – Sie ließen das zu?« stotterte sie endlich.

»Ich kannte Ihre Absichten nicht – ich fürchtete voreilig zu sein!« erwiederte Souvré lächelnd.

Die Marschallin verstand vollkommen seine Absicht und war schnell gefaßt. »Sie hatten Recht, Marquis,« sagte sie ruhig, »ich werde Alles selbst ordnen und darf um so weniger an dem Gelingen zweifeln, da es nicht die erste Angelegenheit ist, die ich nach meinem Willen lenkte.«

»Ohne Zweifel werden Euer Gnaden es ganz in Ihrer Willkür haben,« erwiederte Souvré verbindlich, »wenn man an das glänzende Beispiel denkt, welches das Schicksal Ihres Herrn Sohnes darüber zum Belege führt.«

Ein glühender Blick bitteren Hasses fuhr aus den Augen der Marschallin. Aber sie durfte Souvré nicht verstehen, um nicht noch mehr in Nachtheil zu kommen; und wünschte auch zu lebhaft, von den Vorfällen in Ardoise unterrichtet zu werden, um ihren böswilligen Vertrauten nicht schonen zu wollen.

Sie erfuhr nun den glänzenden Eindruck, den Reginald in Ardoise hervorgebracht, ohne alle Schonung und Milderung, und eben so auch die Anwesenheit der beiden jungen Engländerinnen, die, in einem gefährlichen Zusammenbange mit der Bewohnerin von Ste. Roche stehend, ihr eine nicht ungegründete Besorgniß einflößten; doch, bevor noch der Marquis seine Erzählung geendet, hatte die Marschallin ihren Plan entworfen, dessen Resultat uns nicht erspart bleiben wird.


* * *


Ein Jahr nach der Abreise ihres Sohnes blieb über den Zustand der Gräfin Crecy kein Zweifel mehr, und das Frühjahr des zweiten Jahres senkte die ausgezeichnete und edle Frau in ihr frühes Grab. Ihre Aeltern waren ihr Beide vorangegangen,[18] und sie hatte in der Marschallin nie einen andern Anspruch anerkannt, als den der äußeren Sitte. Ihr Gemahl betrauerte sie mit der ganzen düsteren Melancholie eines Gemüthes, das sich kaum das Recht zugesteht, was den Schmerz selbst zu einem süßen Eigenthume machen kann. Fenelon hatte ihre letzten Stunden beseligt und den Athemzug gehört, der sie vom Leben trennte; er hatte keine Thräne für die Verklärte – begeistert schaute er ihr nach! Eine süße Befriedigung lag in dem Glauben, daß sie ihn jetzt ganz erkennen werde – und er schmückte seine Seele mit Frieden und Seligkeit, um würdig zu sein, wenn sie sich zu ihm nieder neige.

Der Schmerz der Abwesenden war groß – und mit der ganzen Energie der Jugend hielten sie ihn fest, und übertrugen ihn lange auf alle ihre Zustände.

Der Graf Crecy zog sich in die tiefste Einsamkeit zurück; er ward immer düsterer, menschenscheuer und argwöhnischer; aber die Marschallin fing nach dem Tode seiner Gemahlin wieder an, in ihrem Einflusse zu steigen, und da sie kluger Weise sein Bedürfniß nach Ruhe nicht störte, überließ er ihr die Handhabung der Verhältnisse, die darüber hinausreichten; und so gewann sie das Feld, was sie nöthig hatte.

Mit kluger Umsicht bestimmte sie die Familie d'Aubaine, den Winter am Hofe zu leben; sie hoffte dadurch sowol Franziska, als ihren Aeltern die Weihe für ihre Pläne zu geben und sie den wahren Standpunkt, auf den sie ihr Rang und ihre Ansprüche beriefen, erkennen zu lassen; da sie fürchtete, daß ihr ländlicher Aufenthalt sie etwas den Ansichten entzogen haben könnte, die zu behaupten, ihr die erste Pflicht einer solchen Familie schien. Außerdem mußte dies nothwendig eine Folge haben, die sie sehnlichst wünschte – entweder die beiden englischen Mädchen, deren Rang ihnen keinen Anspruch an die Hofverbindungen der Familie gab, ganz von ihnen trennen und[19] sie nach ihrem Vaterlande zurückführen, oder, im Falle sie dieselben bei sich behielten, doch eine Trennung von ihren Verbindungen in Ste. Roche veranlassen. Dieser letztere Fall trat ein; Miß Lester und Ellen Gray begleiteten die Familie, und es ist leicht zu denken, mit welchen Augen die Marschallin zwei Mädchen betrachtete, die in so naher Verbindung mit dem Schicksale ihres Hauses standen. – Unter diesen Umständen gereichte es ihr zur ungemeinen Erleichterung, daß ihr Sohn sich während des ganzen Winters aller Geselligkeit bestimmt entzog; und wenn sie auch mit Unwillen sah, wie sein Karakter verwilderte, so hatte sie doch immer mehr die Pläne ihres Ehrgeizes in ihm geliebt, als ihn selbst, und indem sie diese auf ihren Enkel übertrug, verlor ihr Sohn, der gewagt sie darin zu betrügen, die Kraft, sie durch seinen Zustand zu kränken.

Nicht ganz so glücklich war sie in Bezug zur Familie d'Aubaine. Nicht, wie sie gehofft, ließ sich dieselbe für das ganze Jahr am Hofe festhalten, sondern bezog, nachdem sie den Sommer auf dem Stammschlosse zugebracht, gegen den Herbst das in jagdreichen Wäldern versteckte Ardoise. Doch hielt der Graf dessen ungeachtet die verabredete Verbindung für abgeschlossen und erlaubte seiner Gemahlin, der Gräfin Franziska die Absichten der Aeltern mitzutheilen.

Betäubt von Schmerz und Schrecken, bis ins tiefste Innere erschüttert, hörte die unglückliche Franziska diese Erklärung, die sie von allen Hoffnungen ihres jungen Herzens für immer zu trennen drohte; und zu aufrichtig und natürlich, um sich beherrschen zu können, erfuhr die Mutter in demselben Augenblicke ihr Geheimniß.

In der Zeit, in welcher diese jungen Leute sich durch ihr Herz wollten leiten lassen, gab es fast keine andere Art ehelicher Verbindung, als die, welche Aeltern unter einander beschlossen, und keine anderen Ueberlegungen, als die dabei zu bedenkenden[20] äußeren Verhältnisse. Nicht Bildung, nicht Güte des Herzens oder Liebe zu den Kindern veränderte dies ruhig geordnete System aller vornehmen Häuser, und die daraus entstehenden Schein-Ehen, die in dem überhandnehmenden Zustande der Sittenlosigkeit der höheren Stände vollkommen Platz fanden und ihre Ausartungen unterstützten, machten Niemanden aufmerksam auf diese gewissenlose Procedur. Hier trat jedoch eine kleine Abweichung ein, die besonders Reginald's Persönlichkeit zuzurechnen war. Beide Aeltern hatten ihn selbst so ausgezeichnet gefunden, daß eine Art von Verstehen mit dem Gefühl ihrer Tochter, eintrat. Sie hätten sich zufrieden gefühlt, wenn Reginald der Graf von Crecy gewesen wäre – und hatten Theilnahme für die Wünsche Franziska's. Es konnte jedoch nur in so fern davon die Rede sein, daß sie erwarten wollten, ob bei der Anwesenheit der beiden jungen Leute, wie aller Familienhäupter, sich eine Auskunft treffen lasse, vorausgesetzt, daß die Familienverhältnisse des ziemlich unbekannten jungen Mannes eine solche Möglichkeit überhaupt denkbar machten. Diese großmüthige Zusicherung der Aeltern, die sie über ihr Jahrhundert erhob, rettete Franziska's Herz vor dem langsam zehrenden Gifte hoffnungsloser Liebe und ließ sie größeres Vertrauen fassen, als es den Aeltern möglich gewesen wäre, erwecken zu wollen.

Die Ankunft der Marschallin von Crecy, die, wie sie vorgab, in Ardoise ihren Enkel empfangen wollte, belebte diese Hoffnungen nicht sehr; denn sie trat sogleich mit der entschiedenen Haltung auf, die ein festgestelltes Verhältniß andeutet, und Franziska fühlte, daß sie von ihr als ihre Enkelin behandelt wurde, als wäre keine Zurückhaltung mehr nöthig.

Die gefaßte Frau übersah den Vortheil, den die Gegenwart ihr bot, fest entschlossen, eben so die Zukunft zu bewachen und keine Störungen mehr zu dulden. Zwei lästige Zugaben waren wenigstens entfernt; Miß Lester war nach England[21] zurückgekehrt, Ellen Gray war als Braut zwar geblieben; aber jetzt bereits mit dem Sohne des verstorbenen Kastellans St. Albans verheirathet. – Dessen ungeachtet begehrte die Marschallin von ihrem Sohne, daß er an Reginald den Befehl schicke, den Grafen Ludwig nicht nach Ardoise zu begleiten, sondern zu ihm nach Paris zu kommen.

Gewiß würde Reginald den Befehl seines Vormundes erfüllt haben, wie schwer es ihm auch in diesem Falle gewesen sein würde; aber die Botschaft des Grafen verfehlte ihn.

Die Sehnsucht, Ardoise zu erreichen, die Beide uneingestanden in gleichem Maaße fühlten, hatte sie ihre Reise so beeilen lassen, daß sie um zwei Tage früher eintrafen, als sie erwartet wurden.

Dieses plötzliche Erscheinen brachte den Plan der Marschallin, durch einen schnellen Abschluß der Verlobung Alle zu überrennen, zuerst aus dem Gleise. Die ganze Sache ward nun in eine natürlichere Bahn geleitet. Franziska und Reginald sahen sich in einem Zeitpunkte der Jugend wieder, wo zwei Jahre Trennung nur vortheilhafte Veränderungen mit sich führen. Erstaunen und Entzücken war der leuchtende Gruß ihrer Augen; – und die Marschallin konnte nicht hindern, daß ein flüchtiges Wort die unveränderte Gesinnung verrieth, welches Franziska, noch von leisen Hoffnungen genährt, anhören durfte.

Aus dem Empfange, der Reginald von der ganzen Familie zu Theil ward, stieg eine unbeschreiblich zürnende, befürchtende Stimmung für die Marschallin auf; und nach einer kurzen Ueberlegung mit dem Marquis de Souvré, der sie begleitet hatte, ließ sie den Vater Franziska's zu sich einladen.

»Graf d'Aubaine,« hob sie sogleich an – »ich habe Ihnen eine Entschuldigung zu machen, indem ich fürchten muß, daß Sie, bei der großen, unbedachtsamen Schwäche des Grafen und der verstorbenen Gräfin Crecy, für den jungen, unberufenen[22] Menschen, den Sie Chevalier Ste. Roche nannten, mich beargwöhnen könnten, ich mache mich derselben theilhaft, indem ich seine Anwesenheit hier gut heiße. – Dem ist indessen nicht so. Ich habe diesen jungen Menschen, der gar keine Anrechte hat, sich in unsern Zirkel zu drängen, nicht allein stets so behandelt, wie es mir zukam, sondern auch jetzt darauf gedrungen, daß er sich hier nicht abermals in Ihr Haus eindränge und ihm der Befehl entgegen geschickt werde, direct nach Paris zu gehen. Der junge Mensch giebt indessen vor, diesen Befehl nicht erhalten zu haben, was ich genöthigt bin zu glauben, da es mein Enkel bestätigt; so ist seine Anwesenheit zu erklären, und hoffentlich rechnen Sie mir diese unpassende Gesellschaft nicht ferner zu.«

»Ich bin nicht wenig erstaunt, meine Gnädigste,« erwiederte Graf d'Aubaine mit wirklicher Unruhe, »eine solche Erklärung über einen jungen Mann zu hören, den ich, wegen der Vorzüge, die man ihm in Ihrer Familie gestattete, allerdings durch seine Geburt für dazu berechtigt hielt. Ich kann nicht läugnen, daß ich es nicht ganz zu entschuldigen weiß, daß Graf Crecy mir darüber nicht früher einen Wink gab; da ich ohne Zweifel seine Verhältnisse zu uns alsdann vorsichtiger gestellt haben würde. Doch sagen Sie mir, Frau Marschallin, wer ist dieser junge Mann?«

»Das mag Gott wissen,« sprach die Marschallin entschlossen; – »irgend ein Findling, ein Sprosse unerlaubter Verbindung, über die meine Schwiegertochter oder mein Sohn Grund zu schweigen hatten. Sie wissen, daß Beide voll überspannter Ansichten waren. – Anstatt aus einer so dunkeln Kreatur einen Kammerdiener meines Enkels zu bilden, zogen sie es vor, einen Spielkameraden daraus zu machen, ihn endlich erziehen zu lassen, als habe er Ansprüche, und die Unschicklichkeit hinzu zu fügen, ihn zu den Gesellschaftskreisen ihres Sohnes zu erheben.«[23]

»Ich gestehe,« sagte Graf d'Aubaine, aus mehr als einem Grunde gekränkt – »daß ich dies eben so wenig, wie Euer Gnaden billigen kann. Der junge Mensch selbst wird diese Ueberhebung zu büßen haben! Er ist jetzt in dem Alter, wo seine Berechtigungen geprüft werden, und es ihn dann sehr überraschen wird, sie in Nichts zerfallen zu sehen.«

»Mag er denn die Strafe seines Uebermuthes tragen,« erwiederte die Marschallin kalt, »wenn wir nur unsere Gesellschaft gegen solche Befleckungen rein erhalten! Ich würde ihm befehlen, augenblicklich nach Paris abzureisen, wenn ich nicht dadurch gezwungen würde, von meinem bis jetzt gegen ihn befolgten Systeme, ihn überhaupt nie zu bemerken, abzugehen; denn bis jetzt habe ich seine usurpirte Gegenwart noch durch keinen Blick, oder gar durch Worte anerkannt. – Da der Aufenthalt meines Enkels überdies nur zwei Tage dauern kann, weil die Zeit der großen Präsentation in Versailles damit herangerückt ist, so denke ich, beachten wir, wenn Sie bis dahin diesen Mißgriff zu lenken übernehmen, seine Gegenwart nicht; und in Paris, bei der Stellung, die der junge Graf dort einnehmen wird, müssen sich ihre Wege von selbst trennen, und wir werden diesem Menschen nicht mehr begegnen.«

»Wie,« rief der Graf d'Aubaine, »nur so kurze Zeit wird die Anwesenheit des Grafen Crecy dauern? Wissen Sie wohl, meine Gnädigste,« fügte er lächelnd hinzu – »daß wir bis dahin noch Viel zu thun haben?«

»So scheint es, mein lieber Graf,« erwiederte die Marschallin geschmeichelt; – »und da ich Sie nicht mißverstehen kann und als Repräsentantin des Werbenden billig zuerst reden muß, so wollen wir uns, wenn es Ihnen beliebt, zur Gräfin d'Aubaine begeben – ich will dort meinen Vortrag halten.«

Er bot ihr den Arm, und Beide begaben sich, völlig eines Sinnes, zu dieser so wichtigen, so entscheidenden Zusammenkunft,[24] die das Lebensglück zweier Menschen bestimmen sollte, ohne daß man ihrer Ueberzeugung nachgefragt hätte. Dem Grafen d'Aubaine kam in der That nach dem, was er so eben vernommen, kein Zweifel über die Stellung ein, die er allein noch für passend halten konnte; denn indem wir ihm das Zeugniß des besten Menschen und Vaters geben müssen, konnte er doch unmöglich seiner Zeit so entwachsen sein, um durch persönliches Verdienst den Standesunterschied für ausgleichbar halten zu können. Er fühlte mit Unwillen den Mißgriff, diesen jungen Mann ohne voran gegangene Sicherheit so nahe gezogen zu haben und dachte mit väterlicher Liebe daran, Franziska die Last der Beschämung zu erleichtern, die es ihr, wie er voraussetzte, machen mußte, wenn sie erfuhr, wie unberechtigt der Gegenstand war, dem sie Einfluß auf ihr Gefühl zugestanden hatte. Um jedoch seiner unvorbereiteten Gemahlin einen lenkenden Wink zu geben, hob er nach den Empfangsfeierlichkeiten sogleich an sie zu bitten, auch ihrerseits die Frau Marschallin über ihre Besorgnisse in Bezug auf den Begleiter des jungen Grafen Crecy zu beruhigen, indem er das herabsetzende Bild, welches die Marschallin entworfen, noch ein Mal vor seiner Gemahlin aufrollte. – Die Wirkung konnte bei ihr nicht viel anders sein, wie bei ihrem Gemahle. Die Marschallin hüllte sich in einen Schwall von Worten und schien weiter nichts zu sehn; aber sie bemerkte sehr wohl den Blick, mit dem beide Ehegatten sich mit einer Art von Entsetzen verständigten, und sah darin die Bestätigung, wie nöthig dieser beeilte Schritt gewesen.

Als die Eltern darauf in aller Form den Heirathsantrag ihres Enkels von der Marschallin entgegen genommen und ihre Einwilligung ohne weitere Beschränkung auf Franziska gegeben, ward der junge Graf Ludwig gerufen, und die Marschallin verkündigte ihm sein Glück, was er mit dem vollen Entzücken eines jungen, verliebten Mannes aufnahm.[25]

Damit mußte er sich jedoch vorläufig begnügen; denn die Gräfin d'Aubaine wollte ihre Tochter, wie sie sagte, erst auf den Besuch ihres Verlobten vorbereiten, und der junge Graf war genöthigt, die Abendtafel an der Seite Franziska's zuzubringen, ohne seine Gefühle verrathen zu dürfen.

Als man sich für die Nacht getrennt hatte, beschied die Gräfin d'Aubaine ihre Tochter nach ihrem Zimmer, und hier erfuhr die unglückliche Franziska, daß sie mit dem Grafen Crecy verlobt sei! Die Gräfin d'Aubaine sah, wie ihre Tochter unter ihren Worten erbleichte und mit trüben, hinsterbenden Blicken das mütterliche Auge suchte; sie eilte daher, ihr Alles zu sagen, was sie für hinreichend hielt, die mißgeleiteten Wünsche derselben auszulöschen, und es erfolgte eine Erklärung über Reginald, nach der Angabe der Marschallin.

Das war zu Viel! Denn Franziska war in den Ansichten ihres Standes erzogen; sie wußte, daß es gegen einen solchen Makel der Geburt, wie hier angedeutet war, keine Rettung gab – daß der Tod sie nicht sicherer trennen könnte, als solche Stellung zum Leben. Aber dieser Gewißheit gegenüber stand Reginalds Bild in einer Bevorrechtung der Natur, die jeden Vorzug, den ihr Herz und ihr Verstand ihm eingeräumt, so vollständig rechtfertigte, daß sie sich sagen mußte, ein Irrthum sei es nicht gewesen, nur ein entsetzliches Schicksal! Dies Gefühl erfaßte sie mit vollster Stärke, und schluchzend stürzte sie zu den Füßen ihrer Mutter.

Ob die sanfte Gräfin d'Aubaine ihre Tochter ganz verstand, bleibt dahin gestellt; vielleicht glaubte sie auch, Franziska weine aus Beschämung; – und es waren milde, gütige Worte, die sie, mütterlich erweicht, ziemlich ins Ungewisse hinein über die heftig Weinende sprach. Jedenfalls erzeigte sie ihr die Wohlthat, ihre Thränen nicht durch voreilige Ermahnungen zu hemmen; – und so weinte die[26] Unglückliche die erste Herbigkeit des Schmerzes vor ihrer Mutter aus.

Wie die Nacht gewesen, die dieser späten, traurigen Entdeckung folgte, war dem leicht zu errathen, der am anderen Morgen das bleiche Antlitz der schönen Franziska erblickte.

Aber es ward theils mit Absicht, theils aus Unbefangenheit übersehen; die Verlobung der beiden jungen Leute ging vor sich, und Franziska sah in einem träumerisch betäubten Zustande so ruhig und kalt, wie ihre Hand in die des ungeliebten Jünglings überging, als sehe sie einer fremden, ihr durchaus gleichgültigen Ceremonie zu. Wenn Etwas diesen Schritt Franziska erleichterte und Etwas dem Glücke des jungen Grafen Crecy fehlte, so war es die Abwesenheit Reginalds, die schon am Abende vorher bemerkt ward. Für den andern Morgen war die Abreise Beider festgesetzt, und sein plötzliches Verschwinden um so auffallender, da er Ludwig nichts darüber gesagt hatte und die Mittagstafel bereits vorüber war. Frostig ging Graf d'Aubaine endlich auf die Bitten seines neuen Schwiegersohnes ein, nach dem jungen Manne auszusenden; und da auch diese Boten gegen Abend, ohne Nachricht von ihm zu bringen, zurückkehrten, ließ sich Graf Ludwig durch Nichts abhalten, seine Nachforschungen selbst anzustellen. Auch sollten diese glücklicher sein; denn Reginalds Vorliebe kennend, eilte der Graf zuerst in den Wald, der an den Park grenzte, und hier wohl bekannte Signale und Anrufungen gebend, erhielt er ungefähr in der Mitte des Waldes, an einen alten Steinbruch gelangt, die wohl bekannten Antworten. Außer sich vor Freude, stürzte er der Gegend zu, woher er die Antwort vernommen, und in demselben Augenblicke flog Reginald, aus der entgegen gesetzten Richtung des Waldes kommend, ihm entgegen.

Beide stürzten sich in die Arme, als wären sie Jahre getrennt gewesen, und noch inniger selbst, als Ludwig, schien[27] Reginald's Liebe und Zärtlichkeit von einer ungewöhnlichen Stimmung angeregt. »O, Ludwig, geliebter, theurer Ludwig, wie glücklich macht mich Deine Liebe, Deine Treue, selbst wenn sie Dir Sorge verursachte!« – So beantwortete er die zärtlichen Fragen und Vorwürfe des Grafen, und Arm in Arm erreichten sie eben eine offene Stelle des Waldes, wohin der Mond mit Tageshelle schien. Hier hielt Reginald an und wendete den Grafen gegen den hellen Schein des Mondes, um ihn anzublicken, als habe er ihn noch nie gesehen! – Zur selben Zeit bemerkte der Graf, wie bleich und verändert Reginald war – wie heftig bewegt sein Inneres – wie er kaum sich zu fassen wußte. »Reginald,« sprach er, »Dir ist etwas ganz Besonderes geschehen!«

»Morgen! morgen!« rief Reginald, und warf einen bedeutungsvollen Blick auf das Gefolge, das der Graf mit sich geführt, und besonders auf den Kammerdiener des Marquis de Souvré, der sie mit spähenden Blicken verfolgte.

Doch Ludwig hatte dem geliebten Vertrauten selbst so Viel zu sagen, daß er befahl, man solle vorangehen und ihre glücklichen Erfolge den Herrschaften anzeigen. Aber auch, als Beide allein waren, schien es Reginald unmöglich, seinen Bericht zu machen.

»Schone mich, Ludwig!« sprach er – »ich habe so Ungeheures erfahren, daß ich wie verwirrt von der erlebten Aufregung bin; doch sei gewiß, das, was ich erfuhr, kettet uns nur noch inniger, noch fester aneinander; es bestätigt unsere innige Liebe und wird großes Unrecht versöhnen!« –

»Das bin ich gewiß, daß Nichts unsere Liebe beeinträchtigen kann, theurer Reginald – darum fragte ich nicht; nur voll Erstaunen bin ich, daß Du etwas erleben konntest, was Dich so besonders betrifft!« –

»Es betrisst mich nicht besonders! Es enthält Dein, wie mein uns bis jetzt vorenthaltenes Schicksal! – Doch laß'[28] mich – es preßt mir das Herz ab. – Nur das Eine höre noch: ich mache Dir Bedingungen – die eine ist, daß wir Beide über Ste. Roche nach Paris gehen, daher noch in der Nacht abreisen – und daß wir über diesen Umweg das tiefste Schweigen beobachten; denn erfährt die Marschallin oder Souvré unsere Absicht, würden wir auf jeden Fall daran gehindert werden.«

»Das ist seltsam Reginald!« rief Ludwig – »und nur ungern gehe ich darauf ein, da jede Heimlichkeit mir schwer wird.« –

»Auch mir, theurer Ludwig! Und doch habe ich es mir gelobt, Dich dahin zu bringen. Denke also, wie mich die Umstände bewältigen müssen, und löse mein mir selbst gegebenes Wort!«

»Das will ich – es sei beschlossen, und weiter keine Rede davon!« rief Ludwig; – »und da Du mir für den Augenblick so wenig zu sagen vermagst, so höre denn, was mich verlangt, Dir auszusprechen. Ich – Reginald, bin glücklich! Seit heute Morgen ist mir Franziska verlobt, und Nichts hat meinem Glücke gefehlt, als Du – Deine Abwesenheit war mir fast unerträglich!«

Heftig fuhr Reginald an Ludwig's Seite zusammen – er blieb stehen – er blickte zu ihm auf. Der Weg, auf dem sie jetzt wandelten, war wieder dunkel – er sah den Glücklichen nur undeutlich, der ahnungslos den Liebling tödtlich getroffen. »Franziska, Franziska Dir verlobt?« rief er gebrochen. »Es ist nicht möglich! Noch gestern – nein, Ludwig – nein, Du neckst mich – es ist nicht möglich – nein! Franziska kann Dir nicht verlobt sein – sage nein! Sage die Wahrheit – der Scherz ist zu grausam!«

»Was ist das?« rief Ludwig ahnend und tief erschrocken. – »Reginald fasse Dich! Sprich offen, deutlich zu mir – Gott, welche Ahnung! Warum erfüllt Dich mit Schreck und[29] Schmerz, worin ich nur Veranlassung zur Freude für Dich wähnte?«

»Sage mir,« sprach Reginald – »verlobt bist Du? Sie hat sich Dir verlobt – sie hat Dir ihre Liebe gestanden? – Antworte, Ludwig, oder ich verliere den Verstand!«

»Nein, Reginald, nicht sie – sie hat sich mir weder verlobt, noch mir ihre Liebe gestanden – und jetzt fühle ich erst, was das sagen will – jetzt erst erkenne ich, wie mich die eigenen Wünsche verblendet haben; da ich die von den Eltern vollzogene Verlobung für die Erfüllung meiner Wünsche hielt! O Reginald, was haben wir gethan, so innig uns geliebt und doch das Wichtigste uns verschwiegen! O, sage mir – sage, was ich ahne – Du besitzest mehr, als ich, in dieser Verlobung?«

»Ludwig,« rief Reginald, an seine Brust stürzend, »ich besaß ihr Herz; – schon vor zwei Jahren gelobten wir uns Treue – schweigen mußte ich auch gegen Dich; denn sie verlangte es so!«

»Aber jetzt, jetzt,« stammelte Ludwig – »sprachst Du sie nach Deiner Rückkehr?« –

»Noch gestern gestand sie mir ihr unverändertes Herz!« –

Ludwig wendete sich von ihm, und heiße Thränen stürzten aus seinen Augen. »Ich verstehe Alles,« sagte er gebrochen – »ihr todtenbleiches Angesicht – ihre leblose Ergebung – Gott, warum erkannte ich es nicht früher!«

Es entstand eine schmerzliche Pause – dann erhob sich Ludwig zuerst, und den Liebling suchend, sank er an seine Brust.

»Ludwig,« sagte Reginald – »wir können jetzt keinen Entschluß fassen, als den einen, uns nicht fremd zu werden und gemeinschaftlich, treu und redlich mit jedem Opfer das theure Wesen zu schützen! Wie es kommen mag, ich weiß es nicht! Aber wenn sie ihren Eltern gehorsam sein muß, so rechne auf mich, ich werde dann allein zu leiden suchen; – können wir[30] ihr Herz retten, so verbinde Dich mit mir zu gleicher Verzichtleistung!«

»So sei es!« rief Ludwig, erhoben und getröstet durch einen edeln Entschluß, der ihn nicht von dem Freunde trennte, sondern nur noch inniger mit ihm verband. Beide hielten hier inne; denn ein Geräusch, wie das eines Davoneilenden, ließ sie fürchten, belauscht worden zu sein. Ihrem Anrufe erfolgte jedoch keine Erwiederung, und sie waren zu lebhaft durch sich selbst beschäftigt, um lange bei dieser Störung verweilen zu können.

Sie kamen erst spät nach dem Schlosse von Ardoise zurück; nur der Graf d'Aubaine war noch im Gesellschaftssaale; er empfing Beide etwas trocken und schien einige Worte der Entschuldigung von Reginald kaum zu beachten.

Ludwig fühlte augenblicklich die Kränkung für den Freund und gewann dadurch mehr Sicherheit, dem Grafen ihre schnelle Abreise anzukündigen und ihm die Empfehlungen an die Damen zu übertragen. Es schien den Grafen d'Aubaine sichtlich zu beleidigen; und nachdem er einige Versuche gemacht, diesen Eindruck hervorzuheben, widersprach er ihrem Vorsatze nicht und nahm augenblicklich Abschied.

So trennte man sich in sehr seltsamer Stimmung, und die des lebhaftesten Erstaunens, von Seiten des Grafen d'Aubaine, war in mehr als einer Hinsicht gerechtfertigt; denn die jungen Leute ahnten in ihrer großen Gemüthsbewegung nicht, wie auffallend ihr Betragen war. Schon ihr Aeußeres konnte befremden, da es bei Reginald besonders eine große Aufregung zeigte und solche tödtliche Blässe und Entstellung seiner Züge, daß der Graf ihn als einen Verzweifelten ansehen mußte und sehr betrübt war, wenigstens einen Theil dieser Stimmung auf Ludwig übertragen zu sehen, deren Ursache zu errathen, ihm allerdings mit einigem Widerstreben möglich ward.[31]

Auf ihren Zimmern angelangt, hörten die jungen Leute, Gräfin Franziska sei erkrankt, doch bereits in besserem Zustande.

»Vor allen Dingen müssen wir fort,« rief Ludwig schmerzlich – »das sehe ich ein. In Paris müssen wir mit Fenelon und dem Vater Alles beschließen!«

»O, warum lebt Deine Mutter nicht mehr!« seufzte Reginald schmerzlich. – –

In derselben Nacht verließen die jungen Leute mit ihrem Gefolge Ardoise, und wechselten von da an in rastloser Anstrengung die Pferde, so oft sie deren finden konnten, um, wo möglich, noch am andern Abend Ste. Roche zu erreichen.

Während dieser traurigen Reise versuchte Reginald seine Bewegung so weit zu überwinden, um seinem Freunde eine Erklärung dieses heimlichen und beeilten Schrittes geben zu können. Aber es ward ihm schwer; denn er schien ganz überwältigt von besonders inniger Zärtlichkeit gegen Ludwig, und von einer Wehmuth – von einer innern Angst verfolgt, die ihn mehr geneigt machte, den Augenblick in stummer Hingebung zu durchleben. Gebrochen – in Zwischenräumen trat endlich hervor, was wir hier im Zusammenhange mittheilen wollen.

An dem Abend, als Reginald zuerst vermißt ward, hatte ihm ein Diener des Hauses gemeldet, es sei so eben ein Bote im Schlosse gewesen, der ihn gesucht, um ihm zu sagen, daß im Walde am Försterhause Jemand auf ihn warte, der ihn beschwöre, augenblicklich dort hinzukommen.

Da Reginald vor der Abendtafel keine Hoffnung hatte, Franziska d'Aubaine im Salon zu sehen, so schien ihm der Waldweg eine anmuthige Zerstreuung; auf das Geheimnißvolle dieser Aufforderung gab er sehr wenig Acht, dagegen bedenkend, daß er, um den Waldweg zu erreichen, den Theil des Schlosses berühren mußte, wo Franziska wohnte. Auch gelang ihm, was er gehofft; die Thüren nach dem niedrigen Balkon waren[32] geöffnet – von fern schon sah er den blaß-blauen Atlas ihres Kleides und die weißen Rosen in ihren dunkeln Locken. Diese Kleidung war an sich wie ein Zeichen der Treue; denn er hatte sie zuerst darin gesehen, und sie wußte, wie sehr er sie liebe. Als sie ihn bemerkte, und er, von Zweigen gedeckt, aufs Knie sank und die Hände aufhob, wie um ein Zeichen ihrer Liebe bittend, sah er, wie sie eine von den Rosen löste, dann Härchen aus ihren Locken an einander knüpfte, an denen sie die zarte, weiße Rose langsam über den Rand des Altans herabschweben ließ, um dem Glücklichen Alles zu geben, was er glaubte nöthig zu haben. – Froh entfloh er in der Richtung nach dem Forsthause.

Wir werden ihm vergeben müssen, daß er ganz vergessen hatte, was er dort sollte, und als er eintraf, sich erst besinnen mußte, was der Förster damit wollte, daß er ihn nach hinten hinaus, in ein kleines, abgelegenes Stübchen führte.

Doch erkannte er, noch geblendet und deshalb nicht recht sehend, wenigstens sogleich die helle, schneidende Stimme mit dem breiten, entstellenden Dialekte, die augenblicklich anhob: »bloß um meiner Mutter gehorsam zu sein, bin ich hier; denn die Art, wie Ihr mich das erste Mal abwieset, war gänzlich hinreichend, mich von solchen Sendungen abzuhalten!«

»Miß Ellen Gray!« rief Reginald – »wie bin ich überrascht, Euch hier zu finden!«

»Ueberrascht oder nicht,« erwiederte sie schmollend; – »es ist Eure Angelegenheit, nicht die meinige, um deretwegen ich hier bin – und ich heiße, wenn's Euch beliebt, nicht Ellen Gray, sondern Madame St. Albans.« –

»Verzeiht, Madame, und seid meiner Dankbarkeit gewiß! Auch rechnet mir nicht zu, wenn ich Euch beleidigt habe; denn ich erinnere mich, daß Ihr mir vor meiner Abreise eine Mittheilung machtet, die meine unbedachtsame Jugend überhört hat.« –[33]

»Ja, ja, überhört!« rief sie heftig – »überhört, weil natürlich eine so unbedeutende Person, wie Ellen Gray, nichts mitzutheilen haben konnte, was wichtig genug war, um es zu behalten.«

»Vielleicht,« erwiederte Reginald, herzlich gelangweilt durch dies Betragen – »vielleicht kann ich jetzt gut machen, was ich damals verschuldete, und Euern ungerechten Verdacht widerlegen.«

»Das will ich wünschen!« rief sie, plötzlich in einen jener Thränenströme ausbrechend, die so leicht die Theilnahme entkräften, da sie ein Gemisch von Rührung und jener gewöhnlichen, weiblichen Empfindlichkeit sind, die, ohne Erweichung der Gesinnung, mehr ein fortgesetzter Versuch zu zürnen ist – »und glaubt mir,« fuhr sie fort, »es wird Euer Schade nicht sein; denn« – und sie schluchzte noch immer – »meine Mutter, die Wärterin Eurer Kindheit, die Ihr so schön vergessen habt, daß Ihr auf ihre Bitten nichts geben wolltet das erste Mal, diese läßt Euch auffordern, mir augenblicklich nach dem Kloster Tabor zu folgen, bis wohin sie Euch entgegenkommen wird.«

»Jetzt? heute?« rief Reginald erstaunt. –

»Ist das wieder zu Viel verlangt? Paßt es wieder nicht? Habt Ihr gar keine Verpflichtungen, als Euch dort bei den hochmüthigen Leuten zu vergnügen?«

»Ihr thut mir Unrecht, Madame St. Albans! Ich bin gegen die Verpflichtung, der Wärterin meiner Kindheit dankbar zu sein, nicht gleichgültig. Aber Ihr dürft, ohne ungerecht zu werden, nicht übersehen, daß meine Entfernung sehr unhöflich sein würde, da wir nur zwei Tage bleiben können.«

»Ach, meine arme, arme Mutter!« rief Madame St. Albans mit einem so wahren Ausdrucke von Schmerz, daß jetzt erst Reginald's Theilnahme erregt ward. – »Sie überlebt es nicht, wenn sie abermals getäuscht wird! Herr, ich bitte Euch – überlegt, was Ihr thut! Wenn Ihr die Frau kenntet, die Euch[34] begehrt, da würdet Ihr gehen, so weit sie Euch riefe. Seht, sie sagt nie ein Wort umsonst, und Jeder, der sie kennt, gehorcht ihr. Da sie nun Euch fordert, wie noch nie einen Menschen – da sie mich schickt, Euch zu treiben – und so voll Todesangst ist, als hinge Euer Leben daran – da seid sicher, es ist wichtig. – Laßt Alles, Alles fahren und brecht auf mit mir; ich habe im Walde ein kleines Fuhrwerk aus dem Kloster; fahren wir gleich ab, können wir noch in der Nacht eintreffen, und Ihr könnt um Mittag wieder zurück sein!«

Reginald schwankte. Mit einem Male – er wußte selbst nicht, ob durch Ellen's Gründe oder ob aus freier Wahl – fühlte er sich getrieben – er sagte es ihr und wollte den Förster auf das Schloß schicken, ihn zu entschuldigen.

Doch dem widersetzte sich Ellen auf das Bestimmteste. Niemand dürfe ihre Anwesenheit ahnen, das gerade habe die Mutter bestimmt geboten, und auch der Förster, der ihrer Mutter zugethan sei, werde nicht gegen ihre Befehle handeln.

Nach einigen Minuten saß er neben Ellen in einem kleinen Wägelchen, in welchem die Mönche zu ihren Pfarrkindern fuhren, und rollte rasch dem Kloster Tabor zu, ohne von Ellen's Unterhaltung belästigt zu werden, die in einem übellaunigen Schweigen verblieb, gelegentlich ihre linkische Empfindlichkeit darthuend.

Doch graute der Morgen bereits, ehe Beide das alte Kloster erreichten, von dessen Bewohnern sie freundlich empfangen wurden und benachrichtigt, daß Mistreß Gray bereits angekommen sei und ihrer in den Gemächern des Priors harre. – Als Reginald in das hohe, gewölbte Gemach eintrat, das vollständig den Reichthum bezeichnete, welcher dem Oberhaupte der Abtei zustand, sah er den ehrwürdigen Prior vor einer Frau stehen, die in einem hohen Lehnstuhle vor ihm saß, ein bleiches, abgezehrtes, strenges Antlitz zu ihm aufhob und, wie es schien, sehr mißfällig seinen Worten zuhörte.[35]

»Bedenkt und überlegt wohl, was ich Euch sagte,« sprach er, wie zum Weggehen bereit – »ein Wort ist bald gesprochen; – aber das Gesprochene nie zu widerrufen. Sobald der Andere es vernommen, ist es sein Eigenthum mit allen seinen Gefahren, mit allen Folgen, die kein Wort mehr abzuhalten vermag.«

Die Frau neigte kalt das Haupt. »Ihr habt Rath er theilt, wie es Euch trieb, und Ihr hattet Recht dazu – ich thue gleichfalls, wie es mich treibt, und thue gleichfalls Recht!«

Der Prior hörte diesen schroffen Worten, die noch durch den trockenen Ton der Stimme und eine mangelhafte Aussprache verstärkt wurden, mit einem leisen Schütteln des Kopfes zu; aber in seinem Blicke lag zugleich die Hoffnungslosigkeit, diesen festen Sinn zu ändern.

»So sei Euch Gott gnädig und segne Eure Vorsätze!« sprach er sie grüßend und blieb, indem er sich wendete, überrascht vor Reginald stehen, der an der Seite des Laienbruders, der ihn geführt hatte, im Hintergrunde des Gemaches stehen geblieben war. »Ich glaube, Mistreß Gray,« sprach er sich umdrehend – »dies ist Euer Zögling!«

Die unglückliche Frau folgte der Richtung, die der Prior ihr gab; – und wie hätte sie ihn verkennen können, der in jedem Zuge Fennimor's Sohn war!

Sie richtete sich heftig in ihrem Lehnstuhle auf, als wollte sie ihm entgegen; dann hielt sie sich plötzlich an seiner festen Lehne und starrte Reginald an, der sich ihr mit dem freundlichen Lächeln nahete, das ihn Fennimor nur noch ähnlicher machte.

»Um Gott, Madame,« rief der Prior jetzt, »faßt Euch – und setzt Euch!« – Die Gestalt der früh Gealterten wankte, und ihre Augen schlossen sich. Der Prior unterstützte sie beim Niedersitzen; aber er sah, sie kämpfte mit einer Ohnmacht, und der wohlwollende Mann hielt ihr selbst ein erfrischendes Elixir vor, das auch bald die starken Lebensgeister dieser heftig[36] empfindenden Frau sammelte. Unwillig fast wies sie die Bemühungen zurück; – sie schien von ihrer Schwäche überrascht und ihr zürnend. »Laßt das,« sagte sie rauh – »es war Nichts! Schwäche in den Füßen – die Reise – so Etwas bin ich nicht gewohnt – es war ein Schwindel.«

»O, gute Liebe,« rief hier Reginald, der ihr Bild wie einen Traum in sich auftauchen fühlte – »sieh' mich doch nur an – Du mußt mich gewiß wiedererkennen, da ich es vermag! Sag', heißt Du nicht Emmy?«

Die harte Frau zuckte bei dem ersten Tone seiner sanften, liebevollen Stimme zusammen. Der Prior trat seitwärts, und Emmy sah den Jüngling dicht neben ihrem Stuhle knien und das volle Morgenlicht jeden Zug seines schönen, ihr so erinnerungsreichen Angesichtes erhellen. Sie legte die Hand auf seine vollen Locken, und ihre Augen wurzelten prüfend auf seinen Zügen. Sie vergaß sich gänzlich selbst; schmerzlich stöhnend, hob sich zuweilen ihre Brust, und große Thränen rollten einzeln über ihre Wangen; aber sie ahnte nicht, wie sie ihre Gefühle darthat. Reginald mit seinem edeln, verstehenden Herzen störte sie nicht; liebevoll lächelnd, hielt er das lange Examen ihrer trostlosen Augen aus, ohne sich zu regen; nur der Prior störte endlich diese stumme Scene, die er nicht mehr verstand.

Mit ihrer alten, kecken Weise fuhr jetzt Emmy, wie sie ihn, den Vergessenen, als Zeugen ihrer Empfindungen sah, ohne Bedenken auf: »Ihr hier, Prior? Ich dachte, Ihr hättet mir ungestörtes Beisammensein zugesagt? – Nun, es sei! Wenn wir Euch hier zu viel sind, so weist uns einen andern Platz an.«

»Beruhigt Euch,« lächelte der Prior gutmüthig, »ich werde gehen, und Ihr sollt nicht weiter gestört werden.«

»Nun so thut das,« rief sie ungeduldig – »die Zeit wartet nicht auf uns!«[37]

Als der Prior sich zurückgezogen hatte, sprang Reginald von seinen Knieen auf und fiel der vollständig wieder erkannten, alten Wärterin mit dem Ungestüme eines Kindes um den Hals. »O Emmy, liebe Emmy, wie habe ich Dich so vergessen können, da mir Alles einfällt, nun ich Dich wiedersehe? O, wie danke ich Dir, daß Du mich gezwungen hast, Dich zu sehen – wie von Herzen froh werde ich nun sein, mit Dir schwatzen zu können – all' die lieben Erinnerungen meiner Kindheit mit Dir zu sammeln!«

Emmy's Gesicht bekam fast einen Ausdruck, als wollte sie lächeln; aber zu tief hatte sie den Schmerz sich mit jeder Faser ihres Wesens verketten lassen – es ging nicht mehr! Selbst die Wonne, die der Anblick dieses Lieblings ihr gab, riß nur in heftigen Erschütterungen erstarrte Schmerzen wieder lebendiger hervor.

»Reginald! Reginald! geliebtes Kind! theures Andenken Deiner seligen Mutter!« rief sie – »wir haben Wichtigeres – Ernsteres zu thun! Lange – lange schon mußtest Du wissen, was ich Dir erst jetzt sagen kann; – aber die Barbaren rissen Dich von mir; denn sie fürchteten, was in meine Gewalt gegeben war Dir zu sagen. Wo sollte ich Dich finden in dem schrecklichen Sodom, wohin sie Dich schleppten – und als Ellen Dich sah, Du zuerst in meine Nähe gekommen warst – da hast Du Dich geweigert, meinem Gebote zu folgen. Die thörichten Leute dort hielten Dein Herz fest, und Du vergaßest Deine Pflicht gegen mich!« –

»O vergieb doch nur und halte mir nicht mehr vor, was mich so tief betrübt. Sieh', ich hatte Dich ja vergessen!« –

»Vergessen! vergessen« – wiederholte Emmy bitter – »vergessen! Das ist eine Ader aus dem Herzen Deines Vaters – Deine Mutter wußte davon Nichts. Ha, junger Bursche, wenn ich dächte, Du hättest noch mehr von diesem[38] Vater in Dir!« Sie starrte ihn so wild an, daß er fast davor schauderte.

»Sag' mir, Emmy,« hob er an, um sie zu zerstreuen – »kanntest Du meinen Vater so gut – und willst Du mir von beiden Aeltern sagen, von denen ich nie erfuhr?« –

»Das will ich, mein Sohn! Darum kam ich her und entbot Dich zu mir. Aber freue Dich nicht darauf; – was Du hören wirst, wird Deinen Herzschlag hemmen und Deine Jugend welken lassen. – Und doch mußt Du es wissen; denn Du mußt Recht fordern für Deine Mutter, von Deinem Vater entehrte Mutter!«

»O Emmy,« rief Reginald, von ihrer Stimmung unsicher gemacht und an ihren klaren Sinnen Zweifel bekommend; – »schone die Todten! Er wird schon vor Gott das ewige Gericht erfahren haben, hat er gefehlt; – laß' den Sohn nicht Richter werden über den Verstorbenen!«

»Den Verstorbenen?« – rief Emmy heftig – »ha, Gott hat ihm zu seiner Strafe das Leben gelassen. – Ja, er lebt; und ich hoffe so elend, wie er es verdient! Sag' mir,« fuhr sie fort, ohne von Reginald's Entsetzen Kenntniß zu nehmen – »sag' mir, ob sie mir recht gesagt hat, das plappernde Ding, die Ellen, lebt der Graf Crecy in finsterer, menschenfeindlicher Zurückgezogenheit und findet weder Trost, noch Freude?«

»Was willst Du mit ihm, Emmy?« rief Reginald bebend; – »was kümmert Dich der unglückliche Mann, der mein Wohlthäter war von Jugend auf, und dessen Trübsinn ich schmerzlich beklage?«

»Ha, schweig',« rief Emmy – »und spare Dein thöricht Mitleiden! Dieser Wohlthäter, wie Du ihn zu nennen wagst, ist der Räuber Deines Namens, Deines Ranges – der Mörder Deiner Mutter – der größte Bösewicht der Erde und Dein rechtmäßiger Vater – Du sein erstgeborner, ehelicher Sohn!«[39]

Mit einem Schrei sprang Reginald von seinem Platze auf – wild, außer sich, ergriff er Emmy – er schüttelte sie mit einer Kraft, daß sie bebte, und bleich, mit Schweißtropfen die Stirn bedeckt, schrie er auf, als wolle ihm das Herz brechen. »Weib, Du bist wahnsinnig!« stieß er endlich hervor – »oder Du lügst – wo bin ich – wer rettet mich vor dem Gifte ihrer Worte!« Er stürzte zu Boden und verhüllte sein Angesicht.

Emmy sah dem Allen ohne Erschütterung zu, wie einem längst Erwarteten – Unabweislichen. Endlich sagte sie fast ruhig: »Ja, ja, Du hast Recht – es wäre besser, ich wäre wahnsinnig – besser selbst, ich löge – als daß es Wahrheit, schreckliche Wahrheit ist! Auch war es nah' daran, mein Kind – und nur Du hast mich vor Wahnsinn bewahrt, nur Dein unschuldig Kinderauge, Dein Lächeln, Dein erstes Stammeln, Deine kleinen Schritte – daran blieb ich ein Mensch!« Sie seufzte tief und schwieg, ruhig, wie es schien, den ersten Schmerzin Reginald abwartend. Sie brauchte nicht viel Zeit; er sprang empor, gereizt von der angeregten Qual. Aber sie hatte Recht gesagt – sein Herzschlag war gehemmt – seine Jugend schien zu welken!

»Gieb mir Rechenschaft,« sagte er hohl – »beweise! Es ist schwer – sehr schwer, was Du da sagst – das tödtet Viele; – und ich – ich kann dann nie wieder froh sein!«

»Was liegt an Allen!« sagte Emmy hart – »wenn Du nur Deine Mutter rächst – wenn Du nur, Du einzig rechtmäßiger Graf Crecy, diesen Namen wiederforderst und ihn behauptest, um der Ehre Deiner Mutter willen!«

»Und der jetzige Graf Crecy, Ludwig?« rief Reginald mit Schmerzenslauten. –

»Ist ein Bastard! Ein verworfenes, von allen Gesetzen im Himmel und auf Erden verdammtes, rechtloses Kind!«

»Aber mein Bruder!« rief Reginald. – »Mein Bruder! – Ludwig mein Bruder!« Dieser Gedanke rettete ihn.[40] Es war der Sonnenblick der Liebe, der dies in der Erstarrung seufzende Herz seinem Elemente zurückgab. Ludwig war sein Bruder; – welch' eine Wonne! O, vergeben wir ihm, daß er weniger Sohn als Bruder war! Sollte er doch jenes um den fürchterlichen Preis des Hasses und der Rache werden – schien ihm doch der Bruder der einzige Trost dieses entsetzlichen Augenblickes!

Mißbilligend betrachtete ihn Emmy Gray. Er entsprach ihrem zürnenden Herzen nicht. Sie hatte keinen Maaßstab für ein junges, edles Gemüth, von böser Sucht noch unberührt. Doch faßte sie sich. Noch kannte er das Schicksal seiner Mutter nicht; – damit mußte ihm die Stimmung kommen, die sie erwartete.

»Setze Dich,« sagte sie gebietend – »wir haben noch Viel vor uns – Viel – Viel mußt Du hören – mit vollen, klaren Sinnen hören und wohl bewahren in Deinem Gedächtnisse, damit Du den Teufelskünsten stehen kannst, die Dir entgegen treten werden.«

Schaudernd folgte Reginald ihrem Gebote. Der jähe Zustand, den das bis jetzt Erfahrene in ihm erregt, ließ ihn keine Richtung festhalten; er beschloß, das, was er hören müßte, streng zu prüfen. Einer Unwahrheit beschuldigte seine fürchtende Seele die alte, gebietende Frau nicht; aber er dachte an eine Entstellung durch ihre leidenschaftliche Stimmung. O, wie schön und warm belebte ihn das jugendliche Verlangen, zu versöhnen und zu entschuldigen!

Wir wissen, was ihm von Emmy Gray mitgetheilt werden konnte; und indem wir hinzusetzen, daß sie Nichts verschwieg, Nicht mit ihrem gegenwärtigen Verstande versäumte, was die Dinge zur anschaulichen Thatsache erhob, werden wir begreifen können, wie Reginald sich zuletzt um alle seine frommen Hoffnungen betrogen fand. Immer bleicher und bleicher werdend,[41] starrte er die rächende Frau vor sich an, in deren harten Zügen kein Hauch von Schonung oder Mitleiden neben der zornigen Anklage Raum fand. Das frühe Alter hatte ihr Antlitz gefurcht, ihre Gestalt gebeugt; sie trug schwere, steife Trauerkleider, und ihre Bewegungen waren durch die Wichtigkeit der Gedanken, die sie erfüllten, tragisch und edel. Eine solche Persönlichkeit unterstützte, ohne daß er darüber zum Bewußtsein kam, was sie sagte. Reginald fühlte die Macht der Wahrheit; er hörte bloß noch, und nahm auf, was sie ihm gab, er urtheilte nicht mehr darüber. Auch sagte sie nur die Wahrheit – sie war inhaltsschwer genug! – Als sie geendet, wurzelte ihr durchdringendes Auge auf Reginald. Er sprang auf und rief, die Hände zum Himmel streckend: »Mutter, Mutter, ich will Dein Sohn sein vor Gott und Menschen! O, sieh' herab; denn ich bin damit dem Unglücke geweiht!«

»Das Grab meiner Mutter will ich sehen!« rief er dann hastig, zu Emmy gewendet – »Ste. Roche will ich sehen! – Großer Gott, diesen Namen trage ich!« Er verstummte; – dann fuhr er wieder auf: »Doch Ludwig bleibt mein Bruder – mein unschuldiger Bruder! Ha, Emmy, den werde ich schützen und retten, der soll nicht entehrt und dem Auge der Welt zum Hohn werden – hörst Du, Emmy? Meine Mutter,« rief er die Hände zum Himmel hebend – »ich will den Bruder schützen und die damit ehren, die Deinen Sohn geschützt und geliebt hat! Emmy,« fuhr er fort – »morgen bringe ich Dir meinen Bruder, Du wirst ihm selbst Alles, Alles sagen, wie mir.«

»Ha, dem Bastarde?« rief Emmy – »dem, der Dich verdrängte von Deinem angestammten Platze?«

»Schweig!« rief Reginald, mit der Heftigkeit des ersten Schmerzes – »und wage nicht, ihn noch ein Mal so zu nennen! Mein Bruder ist Ludwig; – er soll so rechtlich geboren sein, wie ich selbst, und nur theilen will ich mit ihm!«[42]

Emmy verblödete einen Augenblick mit geheimer Lust vor der heftigen Entschlossenheit des jungen Mannes. Es war ihr schon recht, daß er selbst ihr Trotz bot, und sie erlebte von dem Zöglinge gern, was sie von Niemandem duldete.

»Die Dokumente, das Blatt des Kirchenbuches über die Vermählung meiner Eltern und meinen Taufschein, den hebe mir auf. Ich muß Ste. Roche sehen – ihr Grab – ihr Grab! O, ich habe Nichts früher auf dieser Welt zu thun! – Erst ihr Grab,« rief er – »und dann das trostlose Leben!«

Plötzlich siegte die Wehmuth; er brach in Thränen aus, und sie, die selbst keine mehr zu ihrer Erleichterung weinen konnte, sah in tiefem, ernstem Schweigen zu, wie sein junges, zertrümmertes Herz sich abarbeitete. Sie freute sich dabei seines ganzen Wesens – wie ihn der Schmerz nicht entkräftet hatte, und wie er den Vater nicht ein einziges Mal genannt.

Endlich sprang er auf, er schüttelte die nassen Locken aus dem Gesichte und nahete der alten Freundin: »Geh zurück nach Ste. Roche, Emmy, und erwarte mich morgen dort; – ich komme mit meinem Bruder Ludwig – ich werde ihn vorbereiten; denn er hört das besser von mir; und über ihrem Grabe werden wir das Weitere beschließen. Ich verspreche Dir dabei, daß ich der Marschallin und Allen, die es ihr verrathen könnten, verbergen werde, wohin wir gehen; – ihr werde ich keine Einmischung gestatten, darüber sei sicher.«

Es war die höchste Zeit, daß man sich trennte, wenn Reginald Ardoise noch erreichen wollte, ohne Verdacht zu erregen; aber trotz seines schnellen Aufbruches war die Zeit unter den traurigen Mittheilungen doch rasch verflossen, und Reginald erreichte erst das Forsthaus, nachdem, wie uns bekannt, seine Abwesenheit von Allen bemerkt worden war. –

Was wir hier in seiner Folge ruhig nach einander erzählten, trat in vielen Zwischensätzen mit dem reichen Gefühlswechsel[43] in beiden Jünglingen, wie er nothwendig in dieser Mittheilung begriffen sein mußte, hervor; – aber in Beiden siegte die rein getheilte Freude, Brüder zu sein; und so fest, so sicher waren sie sich, daß Keiner dem Anderen eine Versicherung gab, Beide durch ihre Liebe geschützt, die nur noch erhöhter, noch gerechtfertigter schien durch die neuen Bande.

Die Außenwelt erinnerte sie erst wieder an sich, als sie zum Pferdewechsel die Gastfreundschaft des Klosters Tabor in Anspruch nahmen. Der Himmel war nicht allein von dem nahenden Abend umdüstert – ein Gewitter hing mit schweren, bleifarbenen Wolken-Gebirgen über ihren Häuptern. Dringend luden die Mönche die jungen Männer zum Verweilen ein, ihnen den Weg durch die Wälder von Ste. Roche in der Nacht fast unwegsam schildernd; vergeblich waren diese Abmahnungen, Reginald wies sie alle zurück, mit dem düsteren und heftigen Ungestüme, den seine Erregung mit sich führte. Der gutmüthige Prior konnte endlich nichts thun, als ihren Wagen mit einigem Proviante zu füllen und die besten Pferde und den kundigsten Wegweiser hinzuzufügen.

Doch begriffen sie bald selbst die angedrohten Schwierigkeiten, als sie den Wald erreicht hatten. So lange die Blitze ihren Weg erhellten, zeigte sich der Wegweiser nützlich, und der Wagen bewegte sich langsam vorwärts; aber sie hörten auf, ohne daß der Mond durch die schwarzen Wolken dringen konnte, und jetzt stürzte der Regen in Strömen herab. Der Weg ward zum Gießbache, Fackeln und Windlichter erloschen, und die Pferde an den Zügeln führend, bewegten die Leute den Wagen nur unter großen Schwierigkeiten vorwärts. Wie langsam und beschwerlich ihre Reise unter solchen Umständen vor sich gehen mußte, ist leicht zu übersehen. Oft ließen sie halten, oft kehrten sie um, wenn sie in völlig unwegsame Bahn gerathen waren; und es glich mehr einem Wunder, daß sie endlich das Ende[44] des Waldes erreichten, als einem erwarteten Resultat ihrer oft so vergeblichen Anstrengungen.

Mitternacht war indessen vorüber, als sie die gelichteteren Stellen des Waldes, die das Schloß Ste. Roche erkennen ließen, erreichten. Der Regen hatte aufgehört; aber der Sturm wälzte sich heulend und mit furchtbarer Gewalt über den zitternden Boden. Die jungen Leute hatten den Wagen verlassen, sie wollten sich selbst den Eingang zum Schlosse suchen; denn ihre Diener hatten mit den erschöpften Pferden zu thun, und der Wegweiser erklärte, daß er um keinen Preis das alte Geisterschloß betreten würde und that Alles, was seine plumpe Ueberredungsgabe vermochte, die jungen Herren gleichfalls davon abzuhalten.

»Herr, Herr,« sprach er – »das ist ein Unglückshaus; noch Niemand hat es unbeschädigt verlassen, die Meisten fanden ihr Grab darin und litten vorher viele höllische Qualen. Räuber sollen auch darin hausen! Und was Wunder – seit St. Albans, der alte Kastellan, verstorben ist, und der Sohn die Pachtung vom Kloster Tabor übernommen, steht Alles verlassen; die Thore und Gitter sind auf, ohne Wächter, ohne Schloß und Riegel. Was Wunder, daß sich einnistet, wer finster Werk treibt; denn die alte böse Hexe, die sich dort abgesperrt, die wird es nicht hindern!«

Dessen ungeachtet machte diese Rede nur bei der Dienerschaft Eindruck; die jungen Männer befahlen, daß man den Mundvorrath, nach dem sie anfingen, einiges Verlangen zu tragen, ihr nöthiges Gepäck und die Windlichter nachbringen möchte, der Wagen langsam den Eingang suchen sollte, und eilten Arm in Arm dem Schlosse zu. Jetzt standen sie an einer terrassenartig ansteigenden Befestigung, die, durch Gräben getrennt, mit kaum wahrzunehmenden Brücken überbaut waren, hinter welchen sich die dunkle Masse des Schlosses zeigte, die[45] gegen den Nachthimmel, der, mit zerrissenen Wolken bedeckt, die, vom Sturm gejagt, einen schauerlichen Wechsel trieben, wahrhaft drohend und gebietend abstach.

Beide blieben stehen, lebhafter von seinem Anblick ergriffen, als sie erwartet hatten. »Weiß Gott,« rief Reginald – »man möchte zu den bösen Dingen Glauben fassen, die über dies alte Schloß in dem Munde der Nachbaren sind; es sieht aus, als riefe es Jedem eine Warnung vor seinem Bereiche zu!«

»Ja,« sprach Ludwig bewegt – »wie das riesige Grabmal eines ganzen Geschlechtes sieht es aus! Die Valois erbauten es, wie Du mir sagtest; – sie hätten mit allen ihren Sünden darunter Raum!«

Sie schritten vor und erreichten trotz des wüthenden Sturmes, der sich wie Menschenhände ihnen entgegen drängte und sie zurück zu schleudern schien, die Eingangsbrücken. »Dieser Nacht werde ich gedenken bis an mein Ende!« rief Reginald und ergriff das Gitter, was den düstern Hof mit Theophims Grabmal umschloß. Er zog Ludwig nach sich, der, matt und erschöpft, ihm kaum folgen konnte; und Beide traten nun durch das offene Gitter in den Schloßhof, der ihnen wenigstens einigen Schutz verlieh, obwol das Geheul des Sturmes sich nur noch schauerlicher gegen alle die Ecken und Giebel brach, die, mit eisernen Gittern und Wetterfähnchen besteckt, ein wunderliches Konzert bildeten.

»Laß uns Quartier machen, wo wir zukommen!« sprach Reginald. – »So spät, so über Mitternacht hinaus, erwartet uns die alte Freundin nicht mehr; wir wollen sie nicht beunruhigen und werden doch Dach und Fach finden für die wenigen Stunden.«

»Ja,« erwiederte Ludwig – »laß uns Schutz suchen ohne Zeitverlust, ich fühle mich erschöpft; – vielleicht bestätigt sich das Gerücht, daß die Thüren aufblieben.« –[46]

Beide überschritten nunmehr den Hof, und ihre Erwartung erfüllte sich. Sie traten ohne Hinderniß in die weitläufige Halle des unteren Geschosses; und nachdem die Diener Windlichter angezündet hatten, sahen sie, wie von hier aus schwere, eichene Treppen, mit großem Aufwande von Raum, in die oberen Gemächer führten.

»Hier ist nicht Bleibens, trotz der alten Kamine, die vielleicht unseren Leuten nützlich werden,« sprach Ludwig; – »es ist hier kalt und feucht; wir wollen höher steigen, wir finden oben wohl bessere Räume.«

Die Diener leuchteten, und man erreichte den oberen Treppensaal, der, mit dunkelm Marmor getäfelt, an eben solchen Wänden mit Portraitstatuen umstellt war und rechts und links große Eingangsthüren zeigte, die, von Eichenholz, schwerfällig und überladen verziert, in Einfassungen von schwarzem Marmor liefen.

»Das sind finstere Eingänge,« rief Ludwig – »wie die Pforten zu einer Gruft!«

Reginald schauderte. »Laß uns lieber den Theil des Schlosses suchen, wo Emmy wohnt!« rief er lebhaft. »Zu Entdeckungen in diesen düstern Räumen sind wir nicht hergekommen.«

»Nein,« rief Ludwig – »das Bedürfniß nach Ruhe beherrscht mich ausschließend! Laß uns eintreten – rechts oder links – ich strecke mich sogleich nieder, wäre es auch auf den Stufen eines Grabmals. – Leuchtet, wir treten hier ein!«

Die Diener gingen zögernd voran, Ludwig schob sie weg; er selbst drückte das kunstreich umschnörkelte Schloß; es gab nach, und sie traten in ein schmales, hohes, gewölbtes Zimmer, welches, mit breitem Kamin und herumlaufenden Bänken, einem großen steinernen Becken in der Wand und daneben befestigtem Schenktisch, als ein Vorzimmer zum Eß- oder Banket-Saal, zu erkennen war.[47]

»Das zweite Zimmer wird besser sein!« rief Ludwig, jetzt thätiger werdend, als Reginald, der mit unbeschreiblicher Gemüthsbewegung und höchst widerwillig nur dem Grafen folgte. »Halt,« sagte er, die angelehnte Thür aufstoßend – »das ist ein Prunkgemach – und offenbar noch königlichen Ursprunges. Sieh den Thronhimmel mit der Krone und den kostbaren Purpurbehängen!«

Die Lichter erhellten nur sparsam den großen Prachtsaal früherer Zeiten; denn dem damaligen Geschmacke gemäß, war überall düsteres Material, wie schwarzer Marmor, Ebenholz, eichenes Getäfel und von der Zeit leicht geschwärzte Vergoldungen zu abenteuerlichen und gigantischen Verzierungen verbraucht. Doch waren hier bequeme Stühle, Kamine, die vielleicht die Feuerung vertrugen, und was sie mit näherem Forschen erspähen konnten, machte diesen Raum für furchtlose Gemüther zu einem tadellosen Ruhepunkte weniger Stunden. Ludwig schob sogleich einen der großen, damastenen Lehnstühle gegen einen Kamin, und indem er befahl, von einigen zusammengestürzten, auf dem Heerde aufgehäuften Möbeltrümmern Feuer zu machen, verrieth seine abgebrochene Rede, seine todtenähnliche Farbe, wie groß seine physische Erschöpfung sei. Obwol dies für Reginald, wie für ihre Diener nichts Ungewöhnliches war, regte es doch auch jedes Mal den guten Willen Aller an, ihm zu Hülfe zu kommen. Während die Diener sich mit dem Feuer beschäftigten, bemühte sich Reginald, von den alten Stühlen und ihren bauschigen Kissen Ludwigs Stuhl bequemer zu machen, und als der ihn stumm, aber dankbar anlächelnde Bruder ruhte und mit warmen Mänteln überdeckt war, zog er ein klirrendes, schreiendes Tischchen von getriebenem Kupfer herbei, das seine Staubdecke räumen mußte, und auf dessen mit künstlichen Bildern eingelegter Platte Reginald mit jugendlich gelenkiger Geschicklichkeit die Mundvorräthe ausbreitete, die der gute Prior[48] ihnen mitgegeben. Bald war so eine Art Bequemlichkeit eingetreten, die wenigstens als Gegensatz des draußen wüthenden Sturmwindes so genannt werden konnte; da der Kamin wirklich in hellen, prasselnden Flammen die zertrümmerte Pracht des vorigen Jahrhunderts verzehrte und damit in seiner Nähe wohlthuende Wärme verbreitete. Ludwig griff nun auch, sichtlich erquickt, zu den Speisen, die der Klosterküche Ehre brachten, und fühlte sich besonders von dem starken, alten Weine neu belebt, welcher ihnen in einer Berechnung zugetheilt war, die den Maaßstaab des dort zuerkannten Bedürfnisses verrieth.

»Jetzt,« rief Reginald – »bin ich erquickt, und unsere Leute werden es auch sein. Ruhe Du hier, mein Lieber – ich will mit den Leuten und unseren Pistolen die nächsten Räume untersuchen; denn ein offenes Haus will ein nöthiges Bedenken erregen. Behalte Du eine von Deinen geladenen Pistolen hier, mit den anderen bewaffnen wir uns.«

Ludwig war es zufrieden, und Reginald durchspähte zuerst ihren Aufenthalt. Das Zimmer war mit kostbaren, aber verwitterten Gobelins behangen, darunter standen fest und unversehrt verschlossene Schränke, die eine fortgesetzte Skulptur in Ebenholz waren und, mit Gold, Silber und Elfenbein untermischt, Gegenstände aus dem alten und neuen Testamente darstellten. In der Gegend des Thronhimmels stand eine lange, eben so kostbar gearbeitete Tafel, über der ein verstaubter Teppich von purpurrothem Sammet mit goldenen Frangen hing. Außer der Eingangsthüre befanden sich noch zwei kleinere in diesem Zimmer; die eine öffnete sich nach einer offenen Gallerie, von der ihnen sogleich der Sturm entgegen wehte, der sie der festen Thüre froh werden ließ. Dagegen war neben dem Thronhimmel eine vierte, größere Thüre, die Neugierde und Verdacht in ihnen erweckte; da sie mit mehreren Schlössern und eisernen Balken verwahrt war, die nach einigen Versuchen, sie zu öffnen,[49] sich als zu stark befestigt zeigten, um den Eingang möglich zu machen. Dies machte auf Reginald einen sehr unangenehmen Eindruck, und er fühlte damit Sorge und Unruhe in sich angeregt; obwol er bemüht war, sie zu verbergen, da er Ludwigs eintretende Ruhe zu stören fürchtete. Um so viel sorgfältiger untersuchte er die anstoßenden Räume; und alle zeigten sich durchaus beruhigend. Er befahl einem der Diener, mit dem Pistol in der Hand im Vorsaale zu lagern, den zweiten ließ er vor die Thür nach der Gallerie sich legen; er selbst aber nahm Ludwig gegenüber am kupfernen Tischchen Platz, so daß er die geheimnißvolle Thür im Auge behielt. Er hoffte, Ludwigs leichten, krankhaften Schlummer bewachen zu können, trank mehr Wein, als gewöhnlich, um sich munter zu erhalten; und da das sonderbare, wehklagende Geschrei der vom Sturm umwehten Zinnen und Thürme in dem mannigfachsten Wechsel seine Phantasie anregte, fühlte er sich auch der Müdigkeit widerstehend, die ihn von dem Augenblick an bedrohte, als Ludwig vor ihm in gleichmäßigeren, ruhigeren Schlaf versank. Er faßte das scharf geladene Pistol fest in die rechte Hand und sich in den Lehnstuhl zurücklehnend, blieben seine Augen, wie gefesselt, an der verschlossenen Thüre haften. O, wie sammelte die Ruhe, die für seine Gedanken eintrat, die Bilder, die aus Emmy's mächtiger Rede über das Verhängniß dieses Hauses in ihm niedergelegt waren! Von der Gruft der Claudia von Bretagne an, bis zu dem blühenden, schönen Bilde seiner kindlichen Mutter, durchlief seine angeregte Phantasie nach Emmy's strenger Anordnung alle Begebenheiten. Wie schmerzlich und qualvoll stieg ihr und sein Schicksal in ihm auf, und wie dämonisch wuchs besonders Souvré's Gestalt in diesem Bilde an, von dem er sich erst jetzt eingestand, wie sehr er ihm in der Stille abgeneigt geblieben war. Wie verhängnißvoll erschien ihm dies Schloß selbst, das in seinem Bereich immer nur Unglück und[50] Schuld über seine Bewohner häufte; denn Emmy hatte nicht unterlassen, die Gräuel der Katharina von Medicis, des Theophim von Crecy, des Spinola zu berühren, wenn auch nur, um den Vorwurf zu verstärken, daß man Fennimor eine so entweihte Wohnung angewiesen. – So reihete sich Bild an Bild und erregte fieberhaft sein wallendes Blut. Der kühne Jüngling, der die Furcht noch erst erfahren sollte, lernte plötzlich ein Gefühl kennen, für das er, da es ihm neu war, den Namen nicht wußte. Er blickte in dem ungeheuren, dunkeln Raume mit klopfendem Herzen umher; das tiefe Schweigen, was jetzt hier herrschte, schien ihm entsetzlich; dieser Schauplatz geselliger Lust, ohne Zweifel von allen und den verschiedensten Bewohnern zu diesem Zwecke benutzt, zeigte keine Spur mehr seines früheren Lebens. Die Sessel blieben unbesetzt, die Tische leer, und die ungeheuren Schränke verhüllten ihren Inhalt, zum Dienste jener Zeit gehörend. »O,« rief Reginald plötzlich unbewußt – »dies Schweigen ist unerträglich! Besser, es belebte sich Alles mit den Gestalten der Vergangenheit!«

»So folge mir!« rief eine hohle, ernste Stimme hinter ihm. Entsetzt wandte er sich und sah, daß er bei seinem Umherblicken die Richtung nach der verschlossenen Thür aufgegeben hatte, die jetzt geöffnet war; von da her, das übersah er mit einem Blicke, war die Männergestalt gekommen, die diese Worte zu ihm sprach. Aber Reginald fühlte seinen Athem stocken; und doch konnte er es nicht nachweisen, warum ihn eben diese Gestalt so entsetzte. Seine Züge waren nicht ganz zu erkennen; ein spanischer Hut mit breiter Krempe, nur seitwärts mit einer Agraffe aufgeschlagen, beschattete sein Gesicht; doch schien es Reginald gelb und bleich. Um seine Schultern hatte er einen kurzen, feuerfarbenen Mantel, der drei große Löcher auf der Brust zeigte; übrigens schien er in schwarzem[51] Sammet altspanisch gekleidet, und trug ein breites Schwert in reicher Scheide eng an sich gedrückt.

Immer deutlicher trat es Reginald hervor – er hatte die ganze Gestalt, so wie sie jetzt vor ihm stand, noch so eben unter den Portaitfiguren auf dem Treppensaal erblickt; dazwischen schien es ihm, er sähe Souvré's Züge, und die Gestalt nur widersprach in ihrer Größe dem flüchtigen Gedanken. – Und dieser Mann aus einem anderen Jahrhunderte forderte ihn auf, ihm zu folgen; Reginald fühlte sich wie von einer unabweisbaren Autorität beherrscht! Ohne es deutlich sehen zu können, glaubte er das stechende Auge des rothen Mannes zu fühlen; er wandte sich ängstlich nach Ludwig um. Aber dieser war nicht allein schon erwacht, es schien sogar, er war früher aufgefordert worden, als er selbst; denn er stand bereits eben so willfährig, als Reginald.

»Gesellschaft sollt Ihr finden,« fuhr der rothe Mann fort – »und für zwei Grafen von Crecy, an deren Leben die Erhaltung des Hauses Crecy-Chabanne hängt, soll es passende, unterhaltende Gesellschaft sein! Ihr fürchtet Euch doch nicht?« setzte er höhnisch hinzu.

Dies schreckte Reginald empor. Jetzt erst fühlte er den erstarrten Zorn sich in seiner Brust beleben. »Wer seid Ihr?« rief er. »Welch ein Recht habt Ihr, in unserem Schlosse eine Einladung an uns zu richten, als wäret Ihr der Herr desselben?«

Eine Art Schnauben, wie es der Zorn zuweilen bei sehr wilden Menschen hören läßt, ging voran, dann folgte ein höhnendes Lachen. »Kind, halte ein mit Deiner Wichtigkeit,« rief dann der rothe Mann – »und hüte Dich, mich zu reizen, daß Du nicht gleich erfährst, welche Macht ich hier habe – eine solche, die in ihrem Alter und in ihrer Rechtmäßigkeit die Deinige überbieten könnte!«[52]

Und Reginald – der kühne, hochherzige Jüngling – schwieg. Ihm war so fremd und erdrückt zu Muth; als er sprach, fühlte er keine Kraft, seinen Worten Ton und Stärke zu geben; sein Athem war so kurz, sein Kopf schien ihm nicht frei; – nur die Nähe Ludwigs beruhigte ihn. An seiner Seite folgte er dem voran schreitenden, rothen Manne, willenlos – wie durch Zauber ihm nachgezogen, und an Ludwig dieselbe Gewalt wahrnehmend.

Als sie die Schwelle der jetzt geöffneten, früher so fest verschlossenen Thür überschritten, blieb der rothe Mann stehen; und indem er zurückschaute, sagte er: »Ihr hattet, denke ich, große Lust, diese Räume zu betreten! Als ich Euch an den Schlössern hämmern hörte, konnte ich denken, wer es war. Ihr hattet Recht, hier Einlaß zu wünschen; – nur kam es mir zu, Euch hier willkommen zu heißen; denn es ist so recht eigentlich mein Bezirk. – Auch wartete ich schon längst auf Euch, Ihr Grafen von Crecy-Chabanne!« Ein kurzes, feindliches Lachen folgte, und die erschütterten Jünglinge eilten ihm nach, der mit geräuschlosen Schritten über das dunkle Getäfel voranglitt.

Sie fanden erleuchtete Räume, ohne den Moder der Zerstörung, doch in dem Geschmacke des Jahrhunderts eingerichtet, dem der Mann im rothen Mantel anzugehören schien. Sie kamen erst durch einige kleinere Wohnzimmer, durch ein Schlafzimmer mit einem großen Bette, gegen dessen verschlossene, schwersammetne Vorhänge ihr Führer wild drohend die Hand erhob – und wie glich er jetzt Souvré! Dann öffneten sich weite Säle, und die Jünglinge erstaunten über die Ausdehnung des Schlosses und den Glanz der Ausstattung. Diese Räume wurden jedoch von einer Schaar geschäftiger Diener und Dienerinnen belebt, die in einer ungewöhnlichen Thätigkeit umhersausten; doch ohne anderes Geräusch vernehmen zu lassen, als[53] daß sie die Luft zu bewegen schienen, die oft schneidend und kalt an den Jünglingen vorüberstreifte, und auch die zahllosen Kerzen in einer beständig wehenden Bewegung erhielten.

Der rothe Mann hatte mit Allen zu verkehren, und Beide behielten Zeit, das zahlreiche, wunderliche Personal zu betrachten, das, einig und in derselben Richtung wirkend, doch durch das Kostüm so getrennt erschien, als lägen zwischen den einzelnen Gruppen Jahrhunderte. Das Erstaunen Beider verschlang jede Frage; sie waren im Sehen aufgelöst und von großer Beklemmung und einem nicht zu beherrschenden Grauen erfüllt; denn diese wort- und geräuschlosen Geschöpfe änderten jeden Augenblick mit Blitzesschnelle ihre Plätze, und die abenteuerlichsten, längst vergessenen Kostüme, die, schwerfällig und beladen, jede Bewegung zu hindern drohten, wurden hier mit einer Leichtigkeit getragen, als wären es Gewänder, von Staub und Luft gewoben. Die Jünglinge wurden von Niemandem bemerkt, von Niemandem berührt; obwol sie von der großen Anzahl immer umkreist waren und ihren kalten Lufthauch fühlten. Alle waren beschäftigt, eine Tafel zuzurichten; von den alten Geschirren in den kostbarsten Metallen, die sie herbeischleppten und ordneten, waren einige kaum in ihrer Bestimmung zu erkennen, so fern mußte die Zeit ihres Gebrauches liegen; dazwischen kamen neuere Gegenstände; die köstlichsten Geschirre und Becher, zu deren vervielfältigten Modellen Benvenuto Cellini als Erfinder genannt wird. Dann das leichte, florartige Glas der Venetianer mit Wappen, Farben und Vergoldungen; – jedes Jahrhundert, schien es, hatte seine Geschirre und seine ihm zugehörende Bedienung.

Vergeblich rang Reginald mit der wahnsinnigen Verwirrung, in die er sich gestürzt fühlte; die Dinge behielten ihre Gestalt und zogen ihn endlich in einem Maaße an, daß die Ueberlegung in ihm erstarb; – nur Ludwig's Arm, sein[54] antwortendes Auge, das er zuweilen suchte, gab ihm ein Gefühl von Haltung und Ruhe.

Jetzt winkte ihnen der rothe Mann, ihm zu folgen, und Beide traten mit ihm in den nächsten Saal, welcher glänzend erhellt und von großer Ausdehnung, aber mit einer Masse von Gestalten beinah' überfüllt war. – Doch waren sie früher den Dienern begegnet, standen sie hier unverkennbar den Gebietern gegenüber. Wohin in dieser glänzenden Versammlung zuerst das Auge richten – wie den Reichthum fassen, der hier den Glanz aller erdenklichen Kleiderpracht mit dem Zauber von Schönheit und Jugend vereinigt zeigte? – Die Jünglinge waren geblendet – ihre Phantasie war überboten; sie fühlten eine schüchterne Hingebung und schienen sich kaum berechtigt, zu einer so anspruchsvollen Versammlung gehören zu wollen. Doch auch hier fiel Reginald bald die chronologische Folge auf, auch hier zeigten sich aus der Gesellschaft verschwundene Kostüme, oder solche, die nur noch in alten Bildwerken bewahrt wurden; und bei ruhigerer Betrachtung sah er zwei Frauen, die wie schroff bezeichnete Zeitabschnitte sich gegenüber standen und einen ganzen Kreis ähnlicher Gestalten um sich versammelten. Es ist ein Maskenscherz, wollte Reginald denken; aber er glaubte an dem Gedanken zu ersticken. Der Athem blieb ihm stehen, er wollte laut aufschreien, sich die Qual zu erleichtern; – aber der Laut erstarb – die Lippen blieben tonlos. – Da trat der rothe Mann, der Alle wie seine Gäste zu leiten schien, zu ihnen; er führte sie umher. Sie wurden vorgestellt – er hörte viele Namen – und sich und Ludwig immer gleich als Grafen Crecy bezeichnen; doch schien es ihm, der rothe Mann spreche kein Wort, und hier, wie bei den Dienern, herrsche lautlose Stille. Dennoch wußte er, die blasse hagere Frau mit den tiefgesenkten Augenliedern, mit der ruhigen Stirn und dem Ernst einer Heiligen, sei Claudia von Bretagne. Sie trug den thurmhohen[55] Bau eines steifleinenen Kopfputzes, jener Mode, woran radförmig Halskrause und Brustlatz liefen, die keine Ahnung einer menschlich weiblichen Gestalt zuließ. Von grobem aschfarbenen Wollenzeuge hingen die Gewänder in festgenähten Falten ohne Gürtel bis zum Boden; nur die Hände sahen mit den Fingerspitzen aus den aufgeschlagenen Aermeln hervor; sie waren schön und fein, doch gelblich weiß, und umschlossen ein schwarzes Kruzifix. Aus den Falten des Rockes hing ein Spindel nieder, und nur auf der höchsten Spitze des widrig steifen Kopfputzes saß die kleine Königskrone; sie hatte aber einen Schein wie Sternenlicht, und so auch leuchtete ein Kreuz von Edelsteinen, was auf dem Brustlatze ruhte. Um sie standen junge, bleiche Frauenbilder in der entstellenden Tracht der Zeit, mit Angesichtern, so still, so mienenlos und kalt, als sei das Buch des Lebens mit seinem ganzen Inhalte vor ihnen verschlossen geblieben. Sie standen um die stille, unbewegliche Herrin, die ihrer nicht zu achten schien; dazwischen sah man Ritter mit unbedecktem Haupte, Pagen in Wappenfarben, gleich Gerüsten dieser Abzeichen, geschmacklos überladen mit bunten Farben und ungefälligem Schnitte der Kleider. Klein jedoch nur war die die Zahl, die um die Königin kenntlich zu erblicken war; denn nur die Bezeichneten traten deutlicher hervor. Hinter ihrem Stuhle schwirrte noch ein ganzer Knäuel verbundener Gestalten, die lebendig um einander glitten und bei dem unsicheren Lichte der wehenden Kerzen immer zu wechseln schienen.

An einen großen, weitläufigen Kamin gelehnt, in dessen Heerd die jähe Flamme, in Regenbogenfarben spielend, nach allen Seiten züngelte – so nah, daß der Rand der reichen Gewänder in jedem Augenblicke von den hervor schlüpfenden Flammen besäumt ward, stand ein Weib von mächtiger Schönheit! Sie hatte wohl die starre, kalte Weise der übrigen Frauen; doch ihr, wie allen um sie versammelten Schönen glühte ein fremdartig,[56] schimmerndes Roth auf den Wangen. Der Kopf war unbedeckt; in vollen Ringeln floß das dunkle Haar bis auf die marmorbleichen Schultern; auf der Mitte ihres Hauptes aber ruhte eine große, mächtige Krone von Brillanten; – es war Katharina von Medicis! – Sie schaute mit den glühenden Augen in die Ferne. Ihr Gewand war purpurrother Sammet; es deckte um die volle Taille kaum die preisgegebene Schönheit ihrer Formen. So waren alle Frauen ihres Kreises schön und zum Erschrecken fast enthüllt. Dazwischen bewegten sich zahllose Männergestalten in den prachtvollen Kostümen der Valois zur Zeit der Medicäerin. – Die Namen der Geschichte wurden den beiden Jünglingen genannt, sie sahen ihre belebten Gestalten, es schien, als habe Alle, die nacheinander dieser Zeit gedient, ein Hoffest hier vereinigt. Es waren die Sitten, die damals geltenden, bewunderten Formen der Geselligkeit; Alles diente, empfing, erwiederte; und man sah Alle gruppenweis in gesellschaftlicher Beweglichkeit.

Die Jünglinge wurden wie im Wirbel fortgetrieben; ob es Sekunden, ob es Stunden waren, sie wurden sich dessen nicht mehr bewußt; mit überspannter Neugierde ernteten sie mit ihren Augen die Wunder ein, die sich ihnen enthüllten. – Bald waren sie getrennt, bald waren sie vereint; – doch Keiner sagte dem Anderen mehr ein Wort; es schien, als verlören auch sie die Sprache. Denn, wie sehr auch Reginald sich mühte, klar zu werden, ob dieser glanzvolle Kreis durch Worte sich verständige, es gelang ihm nicht; – er verlor den Gedanken daran; oder die Anstrengung, ihn festzuhalten, verging in angstvoller Betäubung, die endlich in dem Anblick unterging, der so berauschend war. – Da ergriff sie plötzlich der rothe Mann, zog sie zum Kamin und stellte sie dicht vor die Königin; – er nannte ihre Namen und starrte höhnend auf sie hin. Sie fuhr zusammen; – einen Schrei des Schmerzes glaubten sie zu[57] hören. Die Flammen des Kamins umzüngelten wie ein Saum das glänzende Gewand; – sie sträubte sich und strich die Flammen mit den Händen ab. Da sah Reginald, wie ihre, Füße nackt und bis zum Knöchel roth gefärbt waren; – sie wehrte die Jünglinge ab, der rothe Mann jedoch hielt sie vor ihr fest und forderte eine hohe, in Goldstoff gekleidete Gestalt, die hinter Katharina stand, heraus, hervorzutreten; hohnneckend zeigte er ihr die Jünglinge, dann hob er den rothen Mantel auf und zählte die runden Löcher: eins – zwei – drei; – da taumelte der Andere und sank zusammen. – Es war Theophim, Graf von Crecy! Im nächsten Augenblicke wurden die glänzenden Tischchen von getriebenem Kupfer mit sammetnen Beuteln zum Spiele eingerichtet, herbeigerollt. Die verschiedensten Partieen wurden schnell geordnet. – Alles saß – die Königin Claudia ausgenommen; sie hatte die Spindel los gemacht und zog die feinen Fäden, langsam durch die bunten Reihen wandelnd, als sei sie hier allein.

Reginald erblickte Ludwig mit Katharinens schönen Frauen beim Brettspiele; heftig erregt, suchte er zu ihm zu kommen; aber die Luft schien in schweren, hindernden Schichten zwischen ihnen zu liegen; er konnte ihn nicht erreichen. Dagegen stand er mit einem Male zur Seite der Medicäerin; sie spielte mit Theophim von Crecy ein mystisches Spiel mit goldenen und silbernen Figuren; auf der kupfernen Platte des Tisches waren Bilder eingelassen, nach deren Zeichen sich die Spieler zu richten schienen. Schrecklich war ihm Theophim's Bild – bleich – das Gesicht mit grünen Flecken übersäet – die Hände mit goldgestickten Handschuhen bedeckt, die so grauenhaft schlotterten, als ob sie eine dürre Knochenhand bedeckten.

Unruhig auch war der Königin Betragen, und schaudernd – zuckend – fuhr sie oft zusammen. Da sah Reginald mit Entsetzen, daß in den reichen Locken die rothen, schwarzgefleckten Würmer[58] krochen, die den lebendigen Leib der Menschen fliehen und nur bei Todten hausen; – er sah, wie aus den Falten des Sammtes, aus dem Juwelenplatze sie ihren Weg lustwandelnd über die reine Wölbung des schönen Halses nahmen – wie sie den runden Arm entlang bis zu den Fingerspitzen krochen – und wie die Königin ohne Weigern ihrem Treiben sich ergab.

Doch schien es ihm, das Auge werde ihm stets klarer und deutlicher, die Gegenstände zu erfassen; – die Frauen, so schön, so reizend und glänzend anfangs erscheinend – erstarrten plötzlich – sie hatten keinen Blick im Auge – sie glitten pfeilschnell ohne Schatten, ohne Schritt oder Bewegung über den Boden. – Claudia ging, als ob der Fußboden sich langsam mit ihr fortzöge. Keiner berührte den Anderen; – seufzend, wie fernes Geheul, durchfuhr den ganzen Raum schneidender Zugwind; – überhaupt wehte eine kalte und belastende Luft, die bis zum Herzen die Kraft zu hemmen drohte. Reginald erwartete immer bestimmter einen Hauptmoment, ein Entsetzliches – das alles Grauenhafte vor ihm überbot. Doch schien es auszubleiben; – die Thüren öffneten sich, die Tafel war gerüstet, der Dienerschwarm eilte herein; wie rollender Sand durchdrang er blitzschnell die jetzt fast ganz erstarrten Gruppen der stolzen Versammlung. Alles schob sich vor, die Herren und die Damen, wie getrieben, wie gejagt von dem sturmschnellen Dienertrosse. – Zwischen ihnen Beiden stand hohnlachend der rothe Mann am Eingange des Banketsaales, und ängstlich schaudernd drängten die Eindringenden sich zusammen, als ob sie seine Berührung fürchteten. Er aber zeigte mit dem langen, dürren Finger auf den Einen oder Anderen, bald Mann, bald Frau; und jeder der Bezeichneten trug ein ähnliches Merkmal, als er selbst – ein Paar runde Löcher im Mantel oder Wamms, die Frauen in dem zarten Mieder. – O, wie gern hätte sich Reginald der Einen in Silberstoff, mit[59] dem Halsbande von niedertropfenden Rubinen, genaht! Es war Eudoxia Nemours; – sie deckte mit der lilienweißen Hand die Stelle in dem Mieder, wohin der unerbittliche Rothmantel höhnend deutete. Doch kreiste die Besinnung wieder in Reginald, überwältigt von den Gegenständen und ihrem fabelhaften Gemische. – Er saß an der Tafel neben schönen starrblickenden Frauen; er sah am oberen Ende derselben Ludwig an der Königin und Teophim's Seite sitzen und ward umsaust von der rastlosen Bedienung. Er wußte selbst nicht, ob man Speisen gab und nahm, ob die Becher leer oder gefüllt die Tafel umkreisten; – immer qualvoller, immer bänger ward sein physischer Zustand – Todesangst hemmte jeden Pulsschlag – er glaubte Modergeruch wahrzunehmen – er schauderte, die starren Weibergestalten mit den schönen, leblosen Armen und Händen, die dicht neben den seinigen auf der Tafel ruhten, sich bewegen, ihn berühren zu sehen – er wollte aufspringen, Ludwig aus dieser Gesellschaft reißen, mit ihm entfliehen! Er schaute nach ihm hin – er fehlte. Jetzt schien das Maaß gefüllt. Er sprang mit Riesenkräften, die er nöthig hatte, auf – er stand vor dem Manne im rothen Mantel mit Souvré's Zügen. »Bleib'!« rief dieser – und lähmte so die Kraft des Jünglings. »Die Zeit der Rache ist gekommen, erloschen in diesem Augenblicke das Geschlecht der Crecy-Chabanne; – denn so Du lebst, blüht es in Dir nicht weiter. – Ich bin Spinola! Der von Deinem Ahnherrn Theophim beraubte und ermordete Spinola; – und ich lebe fort in Souvré, dessen Mutter eine Spinola und meine Enkelin war! Hier hast Du den letzten Grafen Crecy-Chabanne!« – Er schlug den Mantel zurück – im Arme trug er Ludwig's bleiches, blutiges Haupt!

Ein Schrei der Wuth rang sich aus Reginald's Brust; – er fühlte mit Entzücken das Pistol in seiner Hand – er hob es auf – der Schuß fiel. – In demselben Augenblicke zerstob[60] Alles um ihn her; – tiefe Dunkelheit umgab ihn – er fühlte, er war erwacht. – Traum war das entsetzliche Erlebniß! –

Keuchend hob sich noch die Brust, der Angstschweiß floß von seiner Stirn, die Besinnung schien ihm noch zu mangeln; noch glaubte er leises Gewimmer – Todesröcheln zu vernehmen, sein Körper schien ihm steif und gelähmt – doch meinte er, der Schuß sei gefallen; denn er erwachte, wie seine Hand mit dem Pistole noch in der Luft schwebte.

Jetzt hörte er eine Thüre sich öffnen – er hörte Schritte – Lichtschein drang ein – mehrere Personen standen vor ihm – der Schein der Kerzen traf ihr Gesicht. – Es war der Marquis de Souvré, bleich, entstellt durch Sturm und Regen – von vielen Dienern gefolgt. »Ha,« rief Reginald – »Du bist der Rachegeist des Spinola!« – Souvré sprang entsetzt zurück; – Reginald glich einem Wahnsinnigen. »Fort!« schrie Reginald, wild den Marquis bedrohend – »Du hinderst mich nicht mehr, mein Werk ist gethan, die ewige Gerechtigkeit wird siegen, mein Bruder ist Ludwig!« – Alles fuhr zurück – er stürzte vor nach Ludwig's Stuhle – jeder Blick folgte ihm. –

»Ungeheuer,« schrie Souvré – »was hast Du gethan? Mörder! Mörder!«

Das Licht beleuchtete so eben scharf, ohne Täuschung Ludwig's erbleichtes, im Todeskampfe zuckendes Gesicht. Der Schuß hatte ihn getroffen. Aus der tiefen Wunde seiner Brust floß das Blut in vollen Strömen dahin; – röchelnd hob sich der nur selten noch wiederkehrende Athem – es war vorbei – der letzte Augenblick hing über ihm!

Starr blickte Reginald – versteinert in dies geliebte Antlitz. Er hatte eben so Entsetzliches erfahren – es war gewichen; zum zweiten Male sagte ihm eine Stimme: kannst Du träumen – es wird nicht sein! Umsonst, die Wahrheit trägt eine andere Farbe – sie überzeugt uns schnell![61]

»Bösewicht,« schrie Souvré – »bekenne – gleich hier bekenne – Du bist sein Mörder!«

»Ich bin's!« rief Reginald mit schrecklichen, erschütternden Lauten. – »Ich bin Dein Mörder, Ludwig! Mein Bruder – Ludwig – höre mich! stirb nicht! erwache! sieh' mich an! – Mein Bruder, ich habe Dich gemordet!«

Es war, als ob der Sterbende auffuhr – Reginald war über ihn gestürzt – sein Blut überströmte ihn – Ludwig rang mit dem letzten Seufzer – seine Leiche sank über ihm zusammen. –

Souvré riß Reginald schnaubend vor Wuth in die Höhe. Dieser hatte das Bewußtsein verloren; er schleuderte ihn zu Boden, er wagte es, ihn mit seinen Füßen fortzustoßen. Sein Haß, seine Wuth brach aus allen Schranken hervor. »Bindet ihn – weckt das Dorf – ruft den Richter herbei!« rief er wie rasend. Seine Natur trieb ihn an, früher an Reginald's Bestrafung, wie an Ludwig's mögliche Rettung zu denken.

Doch die Diener der beiden jungen Leute, innig von der entsetzlichen Begebenheit ergriffen, versahen das Werk der Menschlichkeit. Der Kammerdiener Ludwig's riß ihm die Kleider auf, er wusch das Blut von der Wunde; doch ein Blick reichte bin, von jedem Rettungsversuche abzustehen. – Mit der größten Sorgfalt hätte der beste Schütze sein Ziel nicht sicherer treffen können, als Reginald's im Schlaf abgeschossenes Pistol, das mitten durch das Herz traf!

Als die treuen Diener diese traurige Ueberzeugung erlangt hatten, legten sie die heiß beweinte Leiche ihres jungen Herrn auf die große Tafel des Banketsaales und beschäftigten sich nun mit Reginald, der noch immer leblos auf dem Boden lag; denn Niemand theilte die Meinung des Marquis – Niemand hielt den jungen, verehrten Herrn des Mordes fähig!

Souvré war indessen zu den gewaltsamen Mitteln geschritten, die seinem Grolle zusagten. Er ließ von seinen Leuten[62] die Thüre bewachen und Andere schickte er nach dem Flecken, die Gerichtspersonen zu holen. Was indessen in ihm vorgehen mochte, als er den alten Saal, den Schauplatz so vieler Schrecken, auf und nieder wandelte, werden wir begreifen, wenn wir denken, daß er, sobald die Abreise der jungen Leute der Marschallin bekannt ward, dieser das erlauschte Gespräch seines Kammerdieners mittheilte, woraus hervorging, daß Beide den Weg nach Ste. Roche genommen hatten, von welchem Orte Reginald, wie aus dem mit Ludwig geführten Gespräche sich ersehen ließ, wichtige Mittheilungen mußte erhalten haben. Diese Reise wollte die Marschallin um jeden Preis hindern, und Souvré, dem Jünglinge so bitter zürnend, entschlossen, ihm jeden Vortheil zu rauben, war schnell erbötig, sie einzuholen, und dann entweder ihre Rückkehr zu erzwingen, oder Ludwig allein nach Paris zu führen. Der Vorsprung, den Beide hatten, ihre jugendliche Eile, das böse Wetter, welches den Marquis noch heftiger getroffen, verzögerte seine Ankunft bis wenige Augenblicke vor der entsetzlichen Katastrophe, die das Lebensglück so Vieler entschied.

Schon brach der Morgen mit seinem fahlen Lichte an; der sturmdurchwühlte Himmel sandte einen verwirrenden Wechsel von Licht und Dunkelheit; die Kerzen verglommen. Reginald regte sich; der Unglückliche sollte erwachen! Nicht lange blieb sein Bewußtsein aus. Betäubt – seufzend blickte er die treuen Diener an, die sich weinend um ihn bemühten; er richtete sich auf, und mit dem ersten Blick umher, stieß er einen wilden Schrei aus, der selbst Souvré durch alle Nerven drang. »Ludwig, Ludwig!« rief er, halb ahnend, halb fragend, und ergriff krampfhaft die Arme der mitleidigen Diener, die ihn halten wollten.

»Laßt ihn nicht entfliehen!« rief Souvré, als sie vor dem hastig Vorschreitenden zurücktraten, »der Bösewicht muß[63] in Ketten gelegt werden!« Aber Reginald hörte und verstand ihn nicht, ja, er erkannte ihn wohl kaum; denn der schwächliche Marquis flog wie ein Zweig, den man zurückschlägt, von seiner Hand bei Seite, als er ihm in den Weg treten wollte.

Wie ein Gespenst, mit Blut überdeckt, bleich und entstellt, eilte der unglückliche Jüngling vor und suchte den Bruder. Noch war seine Vorstellung nicht klar, nur wie von einer dunkeln, schweren Last fühlte er sich niedergebeugt und suchte ahnungsvoll den Bruder, damit Erklärung erwartend. Er erblickte den Kamin, an dem Beide gesessen; aber indem er darauf zustürzen wollte, streifte er die Tafel, worauf der Entseelte ruhte.

Er stürzte wildschreiend darauf hin – er rief mit allen Tönen der Verzweiflung seinen Namen, er ergriff seine Hände, sein Haupt und verwechselte den entsetzlichen Traum mit der Wirklichkeit. An Ludwig's Tod begann er zu glauben; – aber wie es geschehen, konnte er nicht fassen. Hände ringend blickte er Alle an. »Wer – wer – hat das gethan?« rief er mit erschütterndem Jammer. »Spinola? Das Ungeheuer, unter seinem Mantel trug er das Haupt! – Aber – Ludwig's Haupt liegt nicht getrennt – aus der Brust fließt das Blut – sagt, sagt, habe ich geschossen? Ja, ich hatte das Pistol! – Ich – ich habe den Schuß gehört! Spinola, Spinola, Du hast meine Hand geführt! Du – Du bist sein Mörder!« Außer sich stürzte er auf Souvré zu, der in demselben Augenblicke mit den Gerichtspersonen des Fleckens Ste. Roche näher trat. Wüthend faßte er den Marquis: »Gestehe, gestehe, Deine Mutter war eine Spinola! Rache, Rache hat Dich geleitet – Du hast den Erben der Crecy-Chabanne getödtet – Du wolltest dies unschuldige Geschlecht ausrotten, dem Ahnherrn zur Sühne! Doch zittere, zittere! Ich lebe – ich bin der älteste Graf Crecy-Chabanne – ich werde ihn rächen, Ludwig – Ludwig meinen[64] theuern Bruder!« Hier tauchte sein Gefühl in dem tiefsten Schmerz unter; er stürzte aufs neue über Ludwig's Leiche, und krampfhaftes Schluchzen erstickte jedes weitere Wort.

»Mein Herr,« sagte der Richter von Ste. Roche zu dem Marquis de Souvré, der von Reginald's letzter Rede wie vom Blitze getroffen stand – »soll das der mir bezeichnete Mörder sein?«

»Ich glaube,« sagte Souvré zerstreut und kaum hörbar. Fennimor's Sohn hatte aufs neue den Schleier von seinem Inneren weggerissen, den er sich selbst kaum zu lüften gewagt. Zwei Mal, unter demselben Dache, von der Mutter und dem Sohne, ward der jähe Blitz der Wahrheit in seine schwarze Seele geschleudert, daß er sie erkennen mußte! – Ja, seine Mutter war eine Spinola, die Enkelin des hier gemordeten Spinola; oft hatte sie dem Sohne die Geschichte des Ahnherrn erzählt, oft ihr Eigenthumsrecht über das Besitzthum der Crecy ausgesprochen, und in Souvré's Herzen hatte sich mit der Begierde zum Reichthume und der Unmöglichkeit, ihn in Rechtsanspruch zu nehmen, der finstere Groll genährt gegen dieses ihn beraubende Geschlecht. Doch überdeckt von der gesellschaftlichen Bequemlichkeit, die dies zu Glanz und Ehre erhobene Haus gewährte, hatte schon die Mutter ihm die Anweisung zur Verstellung gegeben, die er lauernd, Böses schürend, zu benutzen wußte, wie wir es erfahren haben. – Doch woher wußte der Jüngling dies? Souvré hatte den zufälligen Streit vergessen, der zwischen ihm und Fenelon in Gegenwart der Jünglinge einst vorfiel, und worin er, von seinem Hasse überrascht, sich seiner Anrechte auf das von Ste. Roche stammende Vermögen gerühmt; er aber glaubte überall die Andeutungen vermieden zu haben, als kenne er das Schicksal der Seinigen. Wie konnte es nun der Jüngling wissen? – Ein Grauen faßte ihn unwillkürlich; er wäre gern entflohen! Fennimor's Sohn trieb den sicheren Streiter eben so, wie sie einst, aus der festen Bahn, daß ein[65] Stillstand im raschen Vorschreiten eintrat – ein lästiges Erschrecken vor sich selbst.

»Mein Herr, Sie müssen sich erklären!« wiederholte der Richter das oft Gesprochene. »Bleiben Sie dabei, diesen Jüngling als den Thäter, als vorsätzlichen Thäter zu bezeichnen?«

»Ja,« rief Souvré, jede Unsicherheit abschüttelnd, mit dem Siege der Hölle in der frohlockenden Stimme – »ja, er ist der Mörder! Hierher hat er ihn, gegen den Willen der Seinigen, absichtlich gelockt, die schwarze That zu vollführen; – und zu spät mußte ich kommen, sie zu verhindern.«

Der Richter warf einen prüfenden Blick auf Souvré, dann sagte er kalt: »Ich habe blos den augenblicklichen Thatbestand zu Protokoll zu nehmen. Die unglückliche Begebenheit wird bald in andere Hände übergehen. Sie scheint mir sehr verwickelt; doch muß ich darauf aufmerksam machen, wie wichtig das erste Zeugniß ist, wie sehr wir uns hüten müssen, mit vorgefaßter Meinung hier zu Werke zu gehen; denn er wiesen ist hier nur der Tod!«

»Erwiesen,« rief Souvré – »ist absichtlicher Todtschlag! Denn wir fanden den jungen Bösewicht mit dem Pistol in der Hand vor dem schlafend Ermordeten.«

Der Richter schwieg und blickte auf die weinenden Diener: »Haltet Ihr den jungen Herrn dort für den Mörder?«

»Nein, nein, unmöglich! Sie liebten sich so sehr!« so erscholl es aus Aller Munde.

Souvré wollte sprechen; doch seine Klugheit kehrte zurück – er hielt ein. – »Mein Herr, hier handelt es sich nicht um unsere Meinungen,« rief er, anscheinend ruhig – »untersuchen Sie!«

Der Richter beorderte den Schreiber mit seinen Papieren an dasselbe kupferne Tischchen mit eingelegten Bildern, an dem einst Katharina von Medicis mit Spinola und Theophim zu[66] spielen pflegte, an dem die jungen Leute so eben in brüderlicher Eintracht gesessen, und an welchem jetzt der Eine zum Mörder des Andern erklärt werden sollte. Die Aussagen der Diener waren bald verzeichnet. Sie konnten, so widerstrebend es ihnen auch war, ein böses Motiv unterzulegen, doch nicht abläugnen, daß Reginald hauptsächlich mit Hast und Ungeduld die Reise betrieben und die Bitten des Priors im Kloster Tabor, dort das Ungewitter abzuwarten, zurückgewiesen habe. Dagegen bezeugten sie freudig das innige Einverständniß der beiden jungen Leute, erzählten die Sorgfalt Reginald's für den ermüdeten Ludwig und überzeugten den Richter bald, wie viel mehr bei diesen Aussagen ihre Neigung und Ueberzeugung zusammenfiel. – »Und dieser Schmerz,« sagte der Richter ernst – »bezeichnet er wohl den Mörder?«

»Ha,« rief Souvré – »es ist die Reue, die natürlich der jetzt ertappten Schandthat nicht fehlen kann!«

Der Richter nahete sich indeß dem Angeklagten, der im wahnsinnigsten Schmerze noch immer laut schluchzend über der Leiche lag.

»Richtet Euch auf, junger Mann,« rief der Richter – »antwortet uns!« Reginald fuhr empor.

»Ja, ja,« rief er mit der schrecklichen Zerstreutheit, die der Vorbote des Wahnsinnes zu sein pflegt – »sprecht zu mir! O, sagt mir die Wahrheit – Ihr habt weißes Haar – Ihr dürft nicht lügen – o, das ist schön – das Alter ist auch weise, und was vorgeht in der Welt, hat es geprüft. Sagt mir, ich bitte Euch bei Eurer Seele Seligkeit – habe ich ihn getödtet, oder Spinola, der schreckliche Rothmantel, der Ahnherr des Marquis de Souvré?«

Er bog sich weit vor, um forschend das Gesicht des Richters zu prüfen, und als dieser in ernstem Schweigen vor ihm stehen blieb, fuhr er bittend fort: »Sag', das Pistol – das[67] Pistol, sag', wie war das? Der Rothmantel brachte mir Ludwig's geliebtes Haupt. – Gott der Barmherzigkeit, da schoß ich! Habt Ihr's gehört? Habt Ihr den Schuß gehört? – Sprich, alter Mann! Dir will ich glauben – hat dieser Schuß meinen Bruder getroffen?« Ein lautes Geschrei – krampfhaft zerrissen von Schluchzen – brach bei diesen Worten aus seinem Munde.

Der Richter schüttelte schmerzlich das Haupt. »Gott weiß,« sagte er halb vor sich hin – »der beging keinen absichtlichen Todtschlag! – Junger Mann,« fuhr er dann lauter fort – »sammelt Eure Lebensgeister! Ihr müßt mir Antwort geben – wir wollen nicht Schuld – wir wollen Wahrheit entdecken! Ich – ich hörte den Schuß nicht – und weiß nicht, ob er aus Eurem Pistol kam.«

»Nicht? nicht? Du hörtest ihn nicht? Du sahest mich nicht?« schrie Reginald, auf ihn zustürzend; – »o, dann – dann bin ich es vielleicht nicht – dann fiel vielleicht kein Schuß – wenigstens nicht aus meinem Pistol!«

»Wozu die Heuchelei!« schrie Souvré, empört über die milde Weise des Richters – »ich hörte – ich sah es! – Elender, ich traf Dich, das Pistol auf Deinen Freund gerichtet – ich hörte den Schuß, ehe ich die Thür öffnete.«

Aber ehe der Richter noch antworten konnte, stürzte Reginald auf Souvré zu, er griff ihn und schüttelte ihn mit der Gewalt des Wahnsinnes.

»Ungeheuer,« rief er – »Du lügst! Dein ganzes Leben ist Lüge und Verbrechen! Du hast meine Mutter getödtet – Du hast ihren Gatten zum Verbrechen geführt – Du hast mich, den rechtmäßigen Erben, zum Bastard gemacht – Dein Zeugniß gilt nicht! Denn Du bist die Lüge selbst – Du bist der Rachegeist des Spinola – des fürchterlichen Rothmantels, der es mir so eben selbst gesagt!«[68]

Bis dahin hatte keiner der Diener den Marquis zu befreien gesucht. Niemand liebte ihn, und die gehässige Stellung, die er hier, einem Geheimnisse und dem angebeteten Jünglinge gegenüber, einnahm, ließ ihnen den heftigen Ausbruch desselben fast zur Befriedigung gereichen. Doch eben hatten sie Worte vernommen, die zu sichtlich den Stempel des Wahnsinnes trugen; – erschrocken befreiten sie den zitternden Marquis.

»Bindet ihn! Bindet ihn!« schrie Souvré, fast erstickt in Wuth – »er ist wahnsinnig – wahnsinnig!«

»Und um so weniger vielleicht schuldig!« rief der Richter. –

»Genug, mein Herr, genug! – Ich erkläre sie ihres Geschäftes hier dispensirt; – das Recht wird sich finden – es wird ohne Sie gehandhabt werden.«

Souvré ergriff die unvollendeten Blätter des Protokolls. Der Richter verneigte sich und schied schweigend und erschüttert aus seiner Nähe, die Blicke noch voll Rührung auf das nothwendige Opfer dieser schrecklichen Begebenheit gerichtet. – Der Marquis befahl augenblicklich, die Leiche in einen der Reisewagen zu tragen, und Reginald gebunden und bewacht daneben zu setzen. Langsam sollte dieser Zug erfolgen – er wollte nach Ardoise voran, um die traurige Vorbereitung zu übernehmen.

Doch, ob die Bemühungen der Diener nur gering – ob Reginald's Widerstand so mächtig war – sie erklärten dem Marquis, ihn zu binden sei unmöglich; – und da er ihres guten Willens bedurfte und das Hinderniß in ihnen argwöhnte, so begnügte er sich mit dem Befehl an seinen eignen Kammerdiener, ihn im Wagen zu bewachen. Es war ein unnützes Gebot! Fest hielt Reginald die theure Leiche umklammert; – ohne auf eine Vorstellung zu achten, schien er das unerklärliche, das schreckliche Geheimniß dieses Todes nur an dem leblosen Busen des Lieblings ergründen zu wollen, hier allein[69] von der wahnsinnigen Angst erleichtert zu werden, die seinen Verstand bedrohte. So ging die Reise langsam, aber unaufhaltsam fort. Souvré eilte voran; doch erreichte er erst am anderen Morgen, bei vorgeschrittener Zeit, Ardoise. Hier mußte er zu seinem großen Verdrusse erfahren, daß sämmtliche Herrschaften Tag's vorher nach Mont-Réal, dem Stammschlosse der Familie d'Aubaine, aufgebrochen seien, und man sie erst zur Tafel zurück erwarte. Um diese Zeit mußte auch die Leiche eintreffen; Souvré sah die Gefahr der Ueberraschung ein und beschloß, augenblicklich ihnen entgegen zu reisen, und mit Hülfe des Grafen die Uebrigen aufzuhalten, bis sie das Unvermeidliche erfahren. Doch der geschäftige Zufall drängte sich auch hier zwischen die Beschlüsse des Marquis!

Die Familie war schon früher von Mont-Réal aufgebrochen, um ein seitwärts liegendes, erst kürzlich vom Grafen d'Aubaine erbautes, kleines Jagdschloß zu besehen, welches die Damen noch nicht kannten. Dies machte, daß sie den Marquis de Souvré verfehlten, der erst später einigen auf geradem Wege zurückkehrenden Dienern begegnete und von ihnen die Abschweifung der Herrschaften erfuhr. Damit war wahrscheinlich Alles verloren! Souvré ließ, so rasch die Pferde laufen konnten, umwenden; wir werden erfahren, wann er eintraf. –

Die Marschallin, Madame d'Aubaine und ihre beiden Töchter fuhren in einer bequemen Jagdkarosse, wie sie in Versailles Mode waren, von der Besichtigung des kleinen Waldschlößchens nach Ardoise zurückkehrend, durch den schönen, herbstlich kolorirten Buchenwald, der in den Park überging, und an ihrer Seite ritten die beiden Grafen d'Aubaine, Vater und Sohn, begleitet von Jägern und Stallleuten.

Franziska reizte durch ihre tief bekümmerte Stimmung die üble Laune der Marschallin in hohem Grade; sie kannte die Ursache dazu – und zugleich über Souvrés Sendung in höchster[70] Spannung, trachtete sie nur darnach, Alles zu verbergen, was in ihr vorging, und führte mit besonderer Lebhaftigkeit die Unterhaltung. Als man in den Schloßhof einfuhr, erkannte die Marschallin die Reisekutsche ihres Enkels, welche angespannt im Hofe stand.

»Mein Enkel ist zurückgekehrt!« rief sie, sichtlich erfreut – »Souvré wahrscheinlich auch!«

Dagegen bemerkte der Graf d'Aubaine mit Erstaunen, daß die Diener aus dem Hause nicht, wie es Sitte war, zum Empfange ihrer Herrschaften ihnen entgegen eilten, um den Wagen zu öffnen, sondern daß die bestaubte Reisebegleitung diesen Dienst versehen mußte. Franziska verließ zuerst den Wagen. Ihr ahnendes Herz durchbrach die strengen Formen, die sie am Wagen festgehalten hätten – sie eilte mit flüchtigen Schritten der Entscheidung ihres Schicksals entgegen. Der Portikus des Hauses war mit allen Bewohnern gefüllt, Niemand beachtete das Geräusch der ankommenden Herrschaften; in eine Gruppe zusammengedrängt, umgaben sie einen Gegenstand in ihrer Mitte. Doch die junge Gräfin erkannte Reginalds laute Stimme, der in einer Heftigkeit, die ihren Ton seltsam veränderte, einzelne Worte und Reden ausstieß.

»Um Gottes Willen, was ist hier geschehen?« rief sie mit der höchsten Seelenangst – und der Kreis der bestürzten Menge wich bei ihrer, Allen so eindringlichen Stimme zurück. Sie stand jetzt vor Reginald, der glühend im Fieberwahnsinne, die Leiche des von der Reise bereits entstellten Ludwig, mit Riesenkräften an seine Brust gedrückt hielt.

»Reginald,« rief Franziska überwältigt – »was ist geschehen? Um Gottes Willen, wer ist das?«

»Franziska,« sagte er, seufzend vor ihr niederknieend – und alle Wogen seines brausenden Innern sanken bei ihrer Anrede zusammen. – »Dich will ich fragen! Du – Du wirst[71] es begreifen – Du wirst es mir erklären – ob Souvré, der Rothmantel – oder ob ich der Mörder bin?«

In diesem Augenblicke theilte sich der Kreis; die Herrschaften standen alle vor der entsetzlichen Scene!

»Reginald,« rief Graf d'Aubaine – »Chevalier – stehen Sie auf!« fuhr er heftig fort – »zu welcher unschicklichen Scene gebrauchen Sie hier meine Tochter!«

»Unschicklich?« rief Reginald – »Thor, sage entsetzlich! schrecklich! Ist denn sein Tod unschicklich? O, sage lieber – das jammervollste, grausamste Elend der Erde!«

»Wer – wer ist die Leiche, die der Wahnsinnige hält?« stammelte die Marschallin und drang mit Heftigkeit vor. Doch Graf d'Aubaine vertrat ihr den Weg – er wollte sie wegführen, aufhalten; die entsetzliche Wahrheit, daß dies ihr Enkel sei – wie entstellt er auch war – tagte in ihm! Er bat, sich rasch an seine Gemahlin wendend, daß die Damen die Halle verlassen möchten; doch nur Madame d'Aubaine war dazu bereit; mit Eifer stieß die Marschallin den Grafen zurück, während Franziska wie am Boden gewurzelt vor Reginald stand und keine Aufforderung hörte, die an sie erging.

Es hatte sich indeß der Kammerdiener des Marquis de Souvré dem Grafen genaht und ihm einen Theil der Wahrheit flüchtig mitgetheilt. Die Marschallin hörte einzelne Worte – sie schritt vor. – »Mein Enkel,« sprach sie zitternd – »ein Mord sagst Du – wer – wer – wo ist Dein Herr?«

»Ich glaubte ihn hier zu finden,« sprach der Kammerdiener. »Ja,« riefen mehrere Stimmen – »er war hier – und fuhr der Herrschaft nach Mont-Réal entgegen.«

»Fragen Sie den Menschen dort?« sprach die Marschallin, am ganzen Körper zitternd und auf Reginald zeigend. Doch ein Blick dahin zerstörte die wenige Fassung, die sie noch behaupten wollte; – sie stürzte vor – riß die Leiche selbst von[72] Reginalds Brust, die sie ihr verhüllte, und erkannte trotz der Entstellung die Leiche des Enkels – den einzigen ihrem Ehrgeize noch lebenden Grafen Crecy-Chabanne!

Ihre Zähne schlugen zusammen; sie hatte keinen Laut in der Kehle. »Ja, es ist Ludwig – Dein Enkel!« rief Reginald. »Er ist todt – ermordet; – mein theurer Bruder ist todt – und Niemand weiß, ob Souvré oder ich ihn ermordet habe!« –

»Du – Du, Elender – Du sein Mörder?« Mit diesen Worten, den ersten, die sie ihm jemals gönnte, brach der Starrkrampf ihrer Lippen. – »Mein Enkel todt – todt! Durch Dich getödtet! Schlange, die Du Dich unter uns genährt – warum hast Du ihn Deiner Bosheit geopfert?« –

»Halt!« rief Reginald und ließ seine Arme langsam los, da mehrere Diener sich bemühten, die Leiche ihm zu entwinden. – »Arme alte Frau, Du dauerst mich um Deiner Schmerzen Willen! Aber Du weißt nicht, was Du sprichst; – ich werde es Dir sagen – später – später – doch jetzt bin ich krank – mein Kopf ist wüst! Ich war ja sein Bruder – Du weißt es! – Sein ältester Bruder war ich – an dem Du Dich so sehr versündigt hast, böse alte Frau!«

Die Marschallin sah das ruhige, hinsterbende Antlitz Reginalds, und ihr klarer Verstand überraschte sie gegen ihren Willen mit der Ueberzeugung – er sei der Mörder nicht! »Wer ist der Mörder?« stammelte sie.

Reginald faßte an seine immer bleicher werdende Stirn. – »O,« sprach er mit den herzzerreißendsten Tönen des Schmerzes – »das kann ich nicht ergründen, so sehr ich mich darum bemühe! Wer mir das sagte! Wer mir sagte – ich sei es nicht! Aber Einer muß es sein – entweder der Rothmantel, der Spinola, oder Souvré, der Bösewicht, der schon meine Mutter tödtete – oder ich selbst!«[73]

Da stieß Franziska einen Schrei aus – sie trat dicht vor ihn hin – »Reginald,« rief sie, »Du bist es nicht; – nein, nein, Du bist kein Mörder!«

»Und doch – und doch ist er der Mörder!« schrie plötzlich eine nur zu kenntliche Stimme – und Souvré stand unter ihnen. »Graf d'Aubaine, ich fordere Sie auf, augenblicklich gerichtlich über diesen Menschen zu bestimmen; – er ist der Mörder des Grafen Crecy! – Ich kam zu spät, das Verbrechen zu hindern. – Er hatte ihn nach Ste. Roche gelockt – ich kam in dem Augenblicke an, wo der Schuß fiel, und fand ihn noch mit aufgehobenem Pistol vor seinem Opfer.«

»Sag' – sag' Du« – rief Franziska mit brechender Stimme – »ich will nur Dir glauben – sag' – antworte ihm – ermanne Dich! Nein, Du bist der Mörder nicht!«

»Gebe Gott, daß ich es nicht bin!« seufzte Reginald; – »aber es war mein Pistol – und Alle haben den Schuß gehört.« Er schien sich noch ein Mal aufraffen zu wollen; – plötzlich brach er zusammen. Leblos stürzte er zu Franziska's Füßen.

»Uebergebt dies Ungeheuer den Gerichten!« rief die Marschallin – »säubert die Luft von dieser Pest!«

Graf d'Aubaine schwieg; Souvré befahl, den Verbrecher aus dem Schlosse zu bringen.

»Vater,« rief Franziska, »er ist dennoch der Mörder nicht!«

Zornig fuhr der Graf auf. Er befahl ihr, augenblicklich sich hinweg zu begeben. Alle Frauen wurden von seinen Worten erschreckt. Selbst die Marschallin ließ sich hinweg führen; nur Franziska blieb, als habe sie nichts gehört, neben ihrem Vater stehen; und als er dies sanfte, folgsame Kind so sicheren Widerspruch mit so festem Vertrauen gegen ihn behaupten sah, wendete er sich sanft und gerührt zu ihr, indem er seine Hand[74] auf ihr kaltes, entstelltes Gesicht legte: »Vertraue mir, Frauziska, und zeige Dich fest und würdig; auch ich glaube nicht, daß er der Mörder ist, und werde ihn danach behandeln!«

O, welch ein Blick herzzerschlagener Ergebung traf ihn da aus ihren trüben Augen! Nach einigen vergeblichen Versuchen zu sprechen, lallte sie endlich: »Denn er ist krank, Vater – und von Sinnen!«

»Ja, ja, mein Kind! Geh' jetzt – auch Du bist krank.« – Diese Worte vollendeten den Zustand, der nur bis dahin von der Seelenangst bewältigt war; sie schloß die Augen; ihre Frauen trugen sie nach ihrem Zimmer. –

Der Graf d'Aubaine stand als Hausherr in dem wild kreisenden Strudel von Anforderungen, die, einem so entsetzlichen Ereignisse gemäß, alle eine leidenschaftliche Uebertreibung zeigten, die ihn zwar nur zufällig, aber dennoch unabweislich in den verschiedensten Richtungen, zu Entscheidungen nöthigte, da er sich, wenn auch selbst tief getroffen, doch für den Besonnensten, den Absichtslosesten erkennen mußte. Es kam in diesen ersten, unbewachten Augenblicken dabei Manches zur Kenntniß des Grafen, was ihn überraschte und seine Vorsicht und Beobachtung schärfte.

Die Marschallin machte so heftige körperliche und geistige Zustände in Zeit von vierundzwanzig Stunden durch, daß der Zügel der Selbstbeherrschung, den sie sonst nie aus der Hand verlor, kein Bändiger ihrer so jäh aufgestörten Leidenschaften war, und Graf d'Aubaine hatte bei aller Theilnahme doch mit Widerwillen einen bösen Sinn, ein mehr rachsüchtiges, als kummervolles Herz erkannt. Durch diesen Eindruck ward es ihm auch leichter, dem Marquis de Souvré zu begegnen, der, umsichtiger als die Marschallin, den Grafen zu übersehen glaubte und seine Schritte seinem Willen gemäß zu lenken hoffte. – Die Marschallin war nämlich mit sich einig geworden,[75] diesen Mord so öffentlich, als möglich zu machen, um dadurch einen unauslöschlichen Makel auf Reginald zu werfen, der ihm vielleicht das Leben kosten konnte – wenn nicht, doch den bürgerlichen Tod unbezweifelt bereiten mußte. Sie glaubte, eine solche Schranke um so nöthiger aufführen zu müssen, da sie ihn von seiner Geburt unterrichtet halten mußte, diesen Mord als eine Folge ansah, und in der Schwäche seines Vaters eine wahrscheinliche Gefahr ahnte, daß die Zeit seine bedrohlichen Ansprüche noch dereinst ans Licht ziehen könnte. Dazu war sie aber ohne den kleinsten Zweifel entschlossen, lieber den berühmten Namen Crecy-Chabanne aussterben zu sehen, als ihn in diesem durch seine Mutter ihr entehrt scheinenden Abkömmling fortbestehen zu sehen. Diese Ansprüche jedoch überhaupt als leere Erfindungen zu läugnen, ihre geringste Kenntniß derselben wenigstens bestimmt abzuweisen, und dadurch auch ihre Berechtigung in Zweifel zu stellen, wenn sie ihr je bis zu Erklärungen nahe gerückt würden, war die vorläufige Richtung, die sie ihren Gedanken gegeben hatte, nachdem die maaßlose Aufregung der ersten Stunden von ihrer Geisteskraft wieder eingefangen war.

Es blieb ihr ein großer Trost, daß der Graf d'Aubaine die Aeußerungen Reginald's, die, bei dem ersten Zusammentreffen mit der Marschallin, auf seine Geburtsansprüche hingewiesen hatten, entweder überhört, oder auf die Rechnung des Wahnsinnes geschoben hatte, von dem er ihm ergriffen geschienen. Sie schonte ihn dagegen eben so, indem sie ihm keine Frage über Franziska that, die aus dem trüben Kreise der Hausbewohner verschwunden war. Dagegen hatten ihre raschen Schritte nach Außen hin den Widerstand des Grafen zu erfahren, indem er mit mehr Scharfblick, als sie ihm zugetraut, die traurige Weitläufigkeit eines Prozesses darthat, der, fast zwecklos, nur mehr Leiden herbeiführen mußte und kaum eine so[76] bestimmte Entscheidung erwarten ließ, daß die traurige Thatsache außer Zweifel hervortreten werde. Aber die Marschallin hatte Gründe, diesen Prozeß herbeizuführen, die sie aber nicht aussprechen durfte; und der Graf d'Aubaine hatte für diese Oeffentlichkeit Befürchtungen, die er verschwieg, weil sie sein eigenes Interesse berührten und die in der Möglichkeit beruhten, daß bei der dem Richter zustehenden Erforschung der Gründe, die dem Angeklagten zur Last fallen müßten, seine Tochter erwähnt werden könnte; da er selbst die Liebe der beiden jungen Leute, die sich in einem Gegenstande begegnet war, heimlich als ein wahrscheinliches Motiv dieser entsetzlichen Katastrophe ansah. Da Beide so mit verdeckten Karten gegen einander spielten, mußte nothwendig die Marschallin gewinnen; denn sie hatte schlagendere Wendungen zu machen – und sie versäumte keine! –

Der Courier war abgesendet, der zugleich dem unglücklichen, wenig geschonten Vater die Meldung des Todes, mit der Bezeichnung Reginald's als Mörder, machte und eine Anzeige anbefahl, die den Kriminal-Hof von Paris zur gerichtlichen Einmischung aufforderte.

Bei allen diesen raschen und gebieterischen Handlungen zeigten sich die beiden Verbündeten, der Marquis de Souvré und die Marschallin, nicht vollkommen einig, und Ersterer sah das zornige Dahinstürmen derselben mit Besorgniß und nicht, ohne sich dagegen aufzulehnen. In einer ihrer geheimen Zusammenkünfte sagte er deshalb: »Wir spielen doch ein gewagtes Spiel, diese Kreatur aus ihrem Dunkel zu ziehen! Wenn dieser Mensch durch Emmy Gray von seiner Geburt unterrichtet ist, wird er durch diese gerichtliche Procedur von uns eigentlich erst dahin gestellt, wo er auch zugleich seine Ansprüche geltend machen kann; was er nur wünschen wird. Denken Sie, Madame, welch' ein Aergerniß, wenn Sie diese auch nur bekämpfen müßten!«[77]

»Ha, mein lieber Marquis, worauf stützen sich denn solche Ansprüche? Hat mir denn nicht Lord Gersey sein Wort gegeben, daß er das Zeugniß des Kirchenbuches in Stirlings-Bai vernichten ließ? – Und hier – das Zeugniß von der Geburt dieses Geschöpfes, was beweist es anders, als daß es ein Kind war, dem der wahre Name nicht zustand! Haben Sie mir das nicht selbst gesagt?«

»Gut, Madame; aber welche Sicherheit giebt Ihnen Ihr Herr Sohn? Wird er nicht, von diesem jungen Bösewichte gedrängt, Alles eingestehen? Und wird das Eingeständniß des Grafen nicht alle Kirchenbücher hinlänglich ersetzen?« –

»Ich werde ihm mit meinem Fluche drohen, wenn er dies wagt!« rief die Marschallin, außer sich; – »aber ich werde ihn entfernt halten, daß das nicht möglich ist; man macht ihn krank – man verdächtigt seinen Verstand; – glauben Sie mir, ich werde Mittel finden, dies von mir abzuhalten!«

»Ich darf daran allerdings nicht zweifeln,« sagte Souvré höhnisch – »da Euer Gnaden über die Mittel nicht schwierig sind, wie ich höre. Doch besser wäre es gewesen, den guten, schwachen Leonin auf seinem Schlosse zu lassen; wozu ihn hierher berufen, wenn seine Anwesenheit Gefahren bringt?«

»Welch' Geschwätz!« rief die Marschallin ungeduldig; – »bleibt der Gemordete nicht sein Sohn? Kann ich den Schutz der Gesetze aufbieten und den Vater dabei übergehen? Außerdem wußte ich, daß ein bedeutendes Erkranken ihn an das Bett fesselt. Ich beklage das in diesem Augenblicke nicht; – die Form ist beobachtet, und die Sache wird nicht durch ihn gestört werden.«

»Sie überbieten mich immer, meine Gnädigste!« erwiederte Souvré. – »Man kann Ihnen in Ihren kühnen Combinationen nicht folgen; vorzüglich, wenn man noch immer so, wie ich, einen lächerlichen Rest von Menschlichkeit mit sich herum schleppt[78] und so mauvais ton ist, mütterliche Weichheit in Euer Gnaden anzunehmen.«

»Ich dispensire Sie von Ihren Reflexionen über mich, Herr Marquis,« sagte die Marschallin mit dem Versuche, ihm zu imponiren. »Wer, wie ich, die Ehre einer Familie, die dem Throne so nahe steht, zu schützen hat, kann von Personen in anderen Verhältnissen nicht immer verstanden werden.«

»Vollkommen richtig,« sagte der unerschütterliche Marquis – »ich – zum Beispiel – verstehe weder diese Ehre, noch die Mittel, sie zu schützen. Doch das thut Nichts. Immer jedoch, Madame, komme ich darauf zurück, daß wir diesen jungen Menschen reizen werden, Alles zu sagen, was er irgend hervorbringen kann.«

»Und ich zweifle nicht, daß dies Geschwätz eines unbekannten Menschen, der so sehr verdächtig ist durch die Anklage, die so eben über ihm schwebt, nicht aufkommen wird gegen das Zeugniß einer Frau, die meine Stellung in der Welt einnimmt. Wir behalten immer Recht, wenn ein Zeugniß aus diesen niederen Ständen, zu denen seine Mutter, also auch er gehört, gegen uns aufzutauchen wagt. Lehren Sie mich unsere Stellung nicht kennen!«

Diese Unterredung endete, wie jede frühere. Man trennte sich mit erhöhtem Hasse, mit dem Gefühle der Last und der nothwendigen Hülfe, die man an einander hatte; und Jeder behielt seine Meinung. –

Unterdessen schien es, daß das Opfer dieser Maaßregeln, von Gott selbst aus der Gewalt seiner Feinde erlöst werden sollte. Ein hitziges Fieber zerstörte die Jugendblüte des unglücklichen Jünglings, der noch wenige Tage früher eine Zierde der Menschheit, ein verschwenderisch ausgestatteter Liebling des Himmels schien. Ihm ward die Sorgfalt und Pflege, die in einem so edlen Hause zu erwarten stand; der Graf ließ ihn[79] behüten und bewachen; ja, er selbst nahm zuweilen in dem Zimmer des Kranken Platz und hörte mit Erstaunen, den Wahnsinn des Gequälten die fern liegendsten Dinge mit der Gegenwart und mit Einbildungen über dieselbe, wie der Graf wähnte, verknüpfen, die jedoch alle theils von Liebe für den Verstorbenen, theils von Schmerz über seinen Tod erfüllt waren.

Von da wandelte der unglückliche Vater nach den stillen Gemächern Franziska's. Er fand hier täglich dieselbe rührende Erscheinung. Sie ward nicht krank; es war ihr wenigstens nicht zu beweisen, daß sie es war. Sie ließ sich jeden Abend entkleiden und bestieg ihr Bett; aber nach kurzem Schlummer saß sie dann, bis der Morgen anbrach, in ihrem Bette aufrecht, ohne ein Zeichen der Theilnahme. Ihre alte Amme, die sie allein zu hören schien, öffnete dann die Fenster; und aus ihrer Hand nahm sie ein wenig leichte Nahrung. Dann schien sie alle Tage von derselben Idee getrieben zu werden; sie stand hastig auf und begehrte dasselbe blaue Atlaskleid und die weißen Rosen zum Haarputze, und erwartete so angezogen, an dem niederen Balkon sitzend, ihren Vater. Sobald er eintrat, ging sie ihm entgegen und schmiegte sich an seine Brust – mit einem Lächeln, das dem schon fest eingegrabenen Schmerzesdruck auf Stirn und Auge einen Werth der Liebe verlieh, den der unglückliche Vater tief empfand, und der ihn weicher und hingebender machte, als er es je in sich gekannt. Er sagte einige Worte über Reginald's Befinden – und für diesen Augenblick schien sie gelebt zu haben! Dies Erwarten des Vaters, dies Aufhorchen seiner Worte war das einzige Eigenmächtige an ihr; dann blieb sie nur ein zwischen Gehorsam und sanftem Widerstande getheiltes Werkzeug in fremder Hand, in tiefes, unablässiges Nachdenken versunken.

Es ward indessen dem Grafen kaum möglich, der Marschallin zu beweisen, daß eine gerichtliche Vorbereitung der[80] Sache von seinen Gerichtsbeamten unzulässig sei; da der Angeklagte, als Fieberkranker, unmöglich in Verhör genommen werden könnte. Sie war in ihrem Schmerze von allen Dämonen ihres Inneren so verfolgt, daß sie um jeden Preis eine Thätigkeit herbeizurufen trachtete; und Reginald's Krankheitszustand, der sowol den Prozeß, wie sie selbst aufhielt, und sie an diesen einförmigen Landaufenthalt fesselte, da sie über Alles doch selbst Wache halten wollte, ließ sie mit Jedem zürnen, der sie auf die Unmöglichkeit einer schnelleren Entwickelung hinwies.

So hörte sie denn mit grausamem Vergnügen endlich die Nachricht, daß die Krankheit des Unglücklichen sich gebrochen habe, und seine Genesung bei seiner Jugend nicht lange zu erwarten stehe. Wenige Tage später fuhr zu ihrer maaßlosen Ueberraschung der Reisewagen ihres Sohnes in den Hof, der von einigen Kriminal-Richtern und dem nöthigen Gefolge in einem zweiten Wagen begleitet ward. Von zwei Dienern gestützt, in den Händen einen Stock, der ihn aufrecht erhalten mußte, so wankte Leonin, Graf von Crecy-Chabanne der Vater des Gemordeten und des angeklagten Mörders, dem theilnehmenden Grafen d'Aubaine entgegen, der, tief erschüttert von seiner traurigen Verfallenheit, ihn in einem Lehnstuhl in die für ihn bereiteten Zimmer tragen ließ.

Wir übergehen die verschiedenen Scenen des Wiedersehens, die keinen versöhnenden Anklang für uns enthalten würden, da Keiner die Gefühle des Anderen theilte, und zwischen Mutter und Sohn eine nicht mehr zu überdeckende Kälte obwaltete, die noch auffallender in einem Augenblicke ward, der Liebe und Theilnahme aus ihrem tiefsten Verstecke hätte hervorheben müssen.

Die Marschallin hatte Zeit gehabt, sich mit ihrem Schmerze einzurichten, und das gewohntere Gefühl, jede erlittene Unbill an irgend wem zu strafen, machte das Gefühl der Rache gegen[81] Reginald zu einer ihr zusagenden Thätigkeit. Sie wußte daher ihr kaltes Herz unter religiösen Floskeln von Ergebung und Vertrauen zu verbergen und trat ihrem Sohne begierig, mit ihren fertigen Plänen zu Reginald's Vertilgung, entgegen. Aber entweder war sein Schmerz, oder seine körperliche Abspannung zu groß, um sich zu bestimmten Aeußerungen erheben zu können; keinesfalls gelang es der Marschallin, eine Theilnahme zu erwecken, wie sie ihr nöthig war; und nachdem sie mit Souvré vergeblich alle Mittel versucht hatte, ihn zu lenken, beschlossen Beide bei ihrer vertraulichen Mittheilung, von ihm Nichts mehr zu erwarten, sondern die Gerichtspersonen in Thätigkeit treten zu lassen, und ihn, so viel als möglich, außer Wirksamkeit dabei zu setzen.

Der Graf d'Aubaine mußte daher einwilligen, einen Saal des unteren Schlosses zu den Verhandlungen in Bereitschaft setzen zu lassen. Reginald war bereits außer dem Bette, bei vollständig wiedererlangter Geisteskraft, und bot kein Hinderniß mehr dar. Auch nährte der Graf eine Sehnsucht, hiermit eine so trostlose Belästigung seiner Familie endlich aufgehoben zu sehen; da er allerdings die Nothwendigkeit einer ersten gerichtlichen Verhandlung in seinem Schlosse, von wo der Angeklagte ohne Gefahr noch nicht zu entfernen war, und bei der größeren Nähe des trostlosen Schauplatzes dieses Vorfalles, wie aller zu versammelnden Zeugen, einsah und sich ihr nicht zu entziehen wußte.

Während dieser Vorbereitungen hatte er Reginald nur auf kurze Zeit gesehen, um ihm die bevorstehenden Verhöre mit der menschlichen Güte anzukündigen, die in seinem Herzen vorwaltete. Er fand ihn stets ruhig, mit dem tiefsten Ausdruck eines männlichen Schmerzes, ohne Absicht, auf die Theilnahme des Grafen einzuwirken, oder die Anklagen zu berühren, denen er, nach einzelnen Andeutungen, mit einer festen Ueberzeugung entgegen[82] ging, die er eben so bei Anderen vorauszusetzen schien, ohne sie näher zu bezeichnen.

Als der Graf d'Aubaine am Tage des Verhörs bei dem unglücklichen Kranken eintrat, fand er eine Pflegerin dort, von der seine Leute ihm nichts zu sagen wußten, als daß Herr St. Albans aus der Pachtung Tabor mit seinem Fuhrwerke sie hergebracht; und, nachdem er sich auf ihr ausdrückliches Gebot sogleich habe zurückziehen müssen, sei sie nicht mehr von dem Kranken gewichen.

Sie war in steife, etwas fremdartige Trauerkleidung gehüllt und trug einen auffallenden Ausdruck von kalter Strenge und finsterem Kummer in ihren verfallenen Zügen. Der Graf konnte sie nicht ohne Theilnahme betrachten, wozu er hinreichend Zeit behielt, da sie, in ihre eigenen, schwermüthigen Gedanken vertieft, auf nichts zu achten schien; denn der Kranke, an dessen Bette sie saß und an dessen entstellten Zügen ihre Augen hafteten, lag in einem leichten Schlummer, der ihre Thätigkeit für ihn eingestellt hatte. Nachdem der Graf sie hinreichend beobachtet, trat er so nah, daß sie ihn bemerkte. Sie richtete einen einen düsteren, prüfenden Blick auf ihn; dann zeigte sie auf den Kranken, als gebiete sie ihm Stille. – Sie machte dem Grafen einen imponirenden Eindruck; ihre Persönlichkeit übte die Gewalt, die von einem entschiedenen Karakter ausgeht, und weder von Rang, noch Reichthum ihre Macht zu borgen hat. Die Sicherheit, mit der solche Personen ihren Weg verfolgen, macht ihnen unwillkürlich die minder starken Naturen dienstbar, und räumt ihnen eine Herrschaft ein, die sie überall zu erwarten scheinen.

Doch in demselben Augenblicke machte der Kranke so unruhige Bewegungen, mit so ängstlich stöhnenden Lauten verbunden, daß sie ihm die Hand auf die Stirn legte, um ihn zu erwecken. »Ob Du den elenden Schlummer genießest oder nicht,«[83] sagte sie mit düsterem harten Tone, und wie nur zu ihm redend – »das ist nur eine andere Art von Qual, und eine, aus der Du Dich noch weniger retten kannst. – Graf d'Aubaine,« fuhr sie dann, sich zu ihm wendend, fort – »glaubt Ihr auch, daß der arme Knabe dort ein Mörder ist?«

Es lag in der Frage und in dem Blicke, mit dem sie von ihm fort zum wieder entschlummerten Reginald sah, eine verächtliche Herausforderung an die ganze Welt, die That ihr zu beweisen, die jede Sylbe ihrer Worte, jedes Zucken ihrer Muskeln verwarf; und die auf halbem Wege stehen gebliebene Ueberzeugung des Grafen ward dadurch mit fortgerissen, so daß sie sich aus seiner Brust hervordrängte, wie ein frei gewordener Strom, ihn selbst überraschend, als er sein festes, ruhiges: »Nein!« hörte. –

»Da seid Ihr Euch denn selbst gerecht und erzeigt Euch einen größern Dienst, als Ihr jetzt begreifen mögt; denn Gottes Fluch muß die treffen, welche die Hand noch gegen dies Kind ausstrecken. –

Ihr scheint diese unglückliche Begebenheit sehr genau zu kennen,« erwiederte der Graf – »der junge Mann scheint Euch nahe anzugehen?«

»So ist es!« erwiederte sie, mit einem rührenden Zucken von Schmerz; – »und Euch will ich sagen, wie der Zusammenbang ist. – Setzt Euch,« fuhr sie fort – »und befehlt Euren Leuten, daß sie uns ein Weilchen mit ihren albernen Gesichtern verschonen. Ich will nicht gestört sein, wenn ich an meinem Herzen reißen muß.«

Der Graf that, wie sie befahl. Ihre unbeugsame Weise verrieth sich so bestimmt, daß er ihr nachzukommen trachtete, ohne ihrer Berechtigung zu gedenken.

Als er sich ihr gegenüber gesetzt hatte, sagte sie sogleich: »Meiner Tochter, Ellen Gray, habt Ihr einst Gastfreundschaft erzeigt; ich theile nicht die Meinung dieser Thörin,[84] die Euch und die Eurigen für hochmüthig hielt, und Ihr habt eben meinen Glauben bestätigt. Ich war die unglückliche Dienerin, welche die Mutter dieses Knaben, die rechtmäßige Gräfin Crecy-Chabanne, aus England nach diesem verfluchten Lande begleitete, wo man ihr Ehre und Leben zu nehmen trachtete.«

»Wen,« rief der Graf – »wen meint Ihr damit? Ihr sagtet, die Gräfin Crecy-Chabanne!«

»Und ich sagte recht!« fuhr Emmy finster blickend fort – »ich sagte die Wahrheit, Graf d'Aubaine! Die Mutter dieses Kindes war in England rechtmäßig an Leonin, Grafen von Crecy-Chabanne vermählt. Als seine Gemahlin folgte sie ihm hieher, und er vergrub sie in das düstere Schloß Ste. Roche; – er verläugnete vor dem Altare sein rechtmäßiges Kind und raubte ihm seinen Namen; – und während er vor Gott nach gültigen Gebräuchen vermählt war, heirathete er ein anderes Fräulein in Paris und betrog so Beide und hatte zwei Frauen. Aber dem Bastarde, den er dort erzeugte, gab er den Namen: Ludwig, Graf von Crecy-Chabanne, während er seinem rechtmäßigen Kinde den Namen Ste. Roche beilegte.«

Der Graf sprang auf. Dürr, trocken und hart hatte das unglückliche Weib die Worte herausgestoßen. Wie früher Reginald, so zweifelte jetzt der Graf an ihren klaren Sinnen. »Frau,« rief er, »Ihr sprecht fürchterlich sicher die schrecklichsten Anschuldigungen aus! Wißt Ihr, was Ihr sagt?«

»Ich weiß es!« sagte sie fest – »obwol ich selbst nicht begreife, daß ich so viel Elend mit gesunden Sinnen überlebte. Doch Gott wird mich aufgespart haben, Zeugniß abzulegen; und es wird wahr sein und richtig, als stände ich vor meinem ewigen Richter, und wird doch Allen, wie Euch eben jetzt, das Haar zu Berge treiben.«

»Emmy, Emmy,« rief jetzt der erwachte Reginald – »was hast Du vor mit Deinem kühnen Einschreiten? Wage es[85] nicht, mich leiten zu wollen – ich weiß, was mir zusteht. Die Gerechtigkeit, die Du mich gelehrt hast erkennen, werde ich fordern, um des heiligen Andenkens meiner Mutter willen – und dieselbe Gerechtigkeit wird ihren dann anerkannten Sohn vernichten und den Namen begraben, an dem so schwerer Fluch hängt!«

»Herr Graf,« sprach er dann, indem er sich auf dem Lager aufrichtete, auf dem er angekleidet geruht hatte – »ich bin bereit – ist das Gericht versammelt?«

»Noch nicht,« erwiederte der Graf verwirrt und erschüttert; – »ich wollte mich selbst überzeugen, ob Ihr zu den Verhandlungen fähig wäret.«

»Ich bin es!« rief Reginald mit Festigkeit. »Meine Kräfte werden die kurze Zeit ausreichen. Seid gewiß, Herr Graf, was ich zu sagen habe, wird die Verhandlungen abkürzen; wir werden bald zur Entscheidung kommen.«

»Unglückliches Kind,« rief Emmy, hier einfallend, – »zu welchem Wahnsinne bist Du entschlossen? Kannst Du Dich Deinen Henkern, die Dich von Jugend auf verfolgten, ausliefern wollen, damit sie Recht behielten, und ihnen Alles gelänge, was sie beschlossen seit Anbeginn?«

Reginald faßte sanft ihre Hand und sah ihr fest in die trostlosen Augen: »Emmy, ich kann das Letzte nicht von Dir abhalten – tröste Dich Gott!«

»Junger Mann,« sagte Graf d'Aubaine theilnehmend, »Gerechtigkeit ist, daß wir auch gegen uns selbst nicht voreilig entscheiden, wenn ein großer Schmerz uns um unsere Lebenshoffnungen gebracht hat. Das Leben ist lang, die Zeit schreitet ein; wir können noch oft von Vorn anfangen, wenn wir auch von dem uns bis dahin angewiesenen Wege verschlagen werden.«

»Ich danke Euch!« sagte Reginald. »Ihr würdet gewiß mein Vertrauen zurückweisen müssen, darum nöthigte ich es Euch nie auf; bald werdet Ihr mich hören!«[86]

Mit der tiefsten Bewegung verließ der Graf Beide. Neue, traurige Anklagen hatte er vernommen, und immer mehr fiel sein Herz den Anklägern heimlich ab, immer lebhafter schloß er den Jüngling darin ein.


Da die Marschallin erklärt hatte, den Verhandlungen beiwohnen zu wollen, sah sich die Gräfin d'Aubaine genöthigt, sie zu begleiten, und beide Damen erschienen daher, in tiefer Trauer, von ihren Frauen umgeben. Der Gerichtssaal war dem Zwecke gemäß würdig eingerichtet. Am oberen Ende, der Eingangsthüre gegenüber, stand in der Breite eine schwarz behangene Tafel mit dem Kruzifix, hinter welchem der Kriminal-Rath, Herr von Mauville, Platz genommen hatte; ihm zur Seite saßen zwei Assistenten. An den beiden Enden der Tafel befanden sich die Protokollführenden Schreiber. Links von der Tafel, unter der Fensterreihe, saß der Marquis de Souvré, hinter ihm standen seine Domestiken als Zeugen; ihm zur Seite nahm man den Prior des Klosters Tabor wahr, hinter ihm die Mönche, die mit den jungen Leuten verhandelt hatten; weiterhin befand sich eine Gruppe, die der Arzt des Schlosses mit den ihm beigegebenen Gerichtspersonen aus Ardoise und dem Richter von Ste. Roche bildete. Diese hatten den Zustand der Leiche am Morgen in dem Erbbegräbnisse, wo sie vorläufig beigesetzt war, untersucht. Ihnen allen gegenüber hatten die Damen ihre Plätze genommen; zunächst der Tafel saß Graf Leonin, bleich, wie vom Fieber geschüttelt, mit halb geschlossenen Augen; er hatte es bestimmt verweigert, als Kläger aufzutreten, und so war die Marschallin in seine Stelle eingerückt. Theilnehmend sah man die beiden Grafen d'Aubaine an seiner Seite. In der[87] Mitte des Zimmers stand ein einzelner Lehnstuhl; er war noch leer; der Angeklagte ward erwartet.

Alle Anwesenden waren in Schwarz gekleidet, und die ganze Versammlung trug einen ernsten, feierlichen Karakter, der selbst in den Zügen sich ausdrückte. Der Kriminal-Rath, Herr von Mauville, empfing die Meldung, daß Alle versammelt waren; er erhob sich und erklärte die Sitzung für eröffnet. Der Graf Crecy, der nur geführt zu gehen vermochte, sprang plötzlich auf und rief, wie außer sich: »Ich kann nicht bleiben, ich muß fort!« Doch diese Anstrengung der Verzweiflung stützte den gebrochenen Körper nur einen Augenblick; er sank in den Stuhl zurück und verhüllte sein Gesicht; mitleidig von den beiden Grafen gedeckt, ward er den Blicken der Anwesenden entzogen.

Die Thüren öffneten sich; man sah den Angeklagten, von zwei Dienern unterstützt, daher wanken! Reginald war selbst in den Verheerungen dieser letzten Ereignisse seines Lebens noch er selbst geblieben; aber er sah wie seine schöne Leiche aus. Ueber der Stirn, den gedrückten Augenliedern hatte der Schmerz seinen unverkennbaren Stempel eingeprägt, und die sonst fröhlich sich um seine Stirn kräuselnden Locken hingen jetzt weich und müde um das schmale, bleiche Antlitz. – Als er die Schwelle überschritt, schien die Wichtigkeit des Momentes ihn zu erfassen; man sah, wie die Kraft, an den Gedanken in seiner zuckenden Stirn sich entzündend, sich durch alle Muskeln seines Körpers ergoß; er verließ, mit der alten Anmuth seinen Führern dankend, ihren Arm und ging allein vor bis zur Lehne des Stuhls. Hier blieb er stehen; und als er den schönen Kopf aufhob, schien er von der ganzen Versammlung Nichts zu sehen, als das hoch vor ihm aufgerichtete Kruzifix. Ein feines Roth trat hervor, ein Blick der Begeisterung durchbrach den Druck des Schmerzes, eine Fülle unaussprechlicher Anbetung entwickelte sich in dem Schüler Fenelon's, eine entzückende Rührung über den Segen,[88] der ihm von dort aus zu Theil ward, beugte sein Haupt in Dank und Demuth – Alle schwiegen; Jeder fühlte, er bete!

Mit sanfter, gehaltener Stimme begann Herr von Mauville alsdann seinen Vortrag, nachdem er den Angeklagten aufgefordert, sich niederzusetzen. »Es handelt sich hier,« fuhr er nach der schicklichen Anrede gegen die Anwesenden fort, »um ein Attentat, welches in seiner geheimnißvollen Verwicklung zu verfolgen, eine doppelte Pflicht wird; da es nicht allein eines der berühmtesten Geschlechter Frankreichs in seinem einzigen, hoffnungsvollen Erben erlöschen macht, sondern zugleich der menschlichen Gesellschaft einen entehrenden Makel aufzunöthigen scheint, indem in dem Angeklagten uns ein Jüngling bezeichnet wird, der, in dem Falle der Ueberweisung, alle menschlichen Bande, die heiligsten Verpflichtungen der Dankbarkeit zerrissen hat. Wir finden hier von den bis jetzt damit beschäftigten Gerichtspersonen Fakta gesammelt, die man uns übergeben hat, um an Ort und Stelle eine vorbereitende Uebersicht zu veranlassen, die dem hohen Kriminal-Hofe von Paris zur letzten Prüfung vorgelegt werden kann. Wir wollen, indem wir diese ernste und heilige Pflicht auszuüben uns berufen finden, uns alle ermahnen, unsere Seele von dem Vorurtheile frei zu erhalten, welches gehäufte Wahrscheinlichkeiten gegen den Angeklagten erzeugen könnten, damit wir geneigt bleiben, die mögliche Rechtfertigung mit eben der Treue und Sorgfalt zu verfolgen, als wir gefaßt sein müssen, die Vergehung zu finden und zu bestrafen.«

Jetzt erfolgte eine ruhige und klare Erzählung der Thatsache, in wie weit sie den Richtern vertraut sein konnte. Wir übergehen sie um so eher, da wir nicht gesonnen sind, unsere Mittheilungen in den geschlossenen Formen einer gerichtlichen Verhandlung zu machen. Indem wir auf die Erinnerungen des selbst mit Durchlebten den Leser verweisen, werden wir die[89] daraus entstehenden Ansichten nur in der Weise mittheilen, wie sie zur vollständigen Theilnahme des Folgenden verhelfen wird.

Unbezweifelt lag in den wohlgesammelten und geordneten Anschuldigungen eine auffallende Wahrscheinlichkeit für den bezeichneten Thäter; selbst der Unbefangenste, Wohlwollendste konnte dies nicht in Abrede stellen. Der Kammerdiener des Marquis erzählte das erlauschte Gespräch, in welchem Reginald durch die dringendsten Bitten den jungen Grafen zu der Reise nach Ste. Roche bewogen hatte. Der hier sich anknüpfende Verdacht ward besonders dadurch gestützt, daß Reginald die Geheimhaltung dieses Schrittes verlangt und die Furcht ausgesprochen hatte, daß man sie sonst daran verhindern werde. Die Reise selbst sei nun mit einem Ungestüme und einer Uebereilung vorgeschritten, die selbst die ungern nur zeugenden Domestiken der beiden jungen Leute nicht läugnen konnten; ja, die, nach ihren Aussagen, hauptsächlich dem Angeklagten zur Last fiel. Dieser Verdachtgrund ward durch den Prior des Klosters Tabor, wie durch dessen Mönche verstärkt. Durch ihn erfuhr man Reginald's Anwesenheit im Kloster, am Tage vorher; durch ihn die lange, von Seiten Reginald's, mit heftigen Ausbrüchen endende Unterredung mit der alten Bewohnerin des Schlosses Ste. Roche, welche der Prior, als das Haus Crecy aus unbekannten Gründen bitter hassend, bezeichnete. Weiter ward der Ungestüm erzählt, mit dem Reginald bei dem heftigsten Gewitter und dem nahenden Abende, dennoch die Fortsetzung der Reise betrieben hatte; und selbst der Wegweiser mußte diese Anschuldigungen fortsetzen, da er seine Abmahnungen erwähnte, und wie der Angeklagte dessen ungeachtet den anderen jungen Herrn sich nachgezogen hatte, um das Schloß zu erreichen.

Vor Allem freilich erhielt nun die Aussage des Marquis de Souvré, deren Inhalt uns hinlänglich bekannt ist, die Wichtigkeit, alle bereits vorhandenen Verdachtgründe in einen[90] Zusammenhang zu bringen, der dem Angeschuldigten fast keine Ausflucht gestattete und ein Eingeständniß erwarten ließ, daß in den Thatsachen schon klar enthalten schien.

Als alle Einzelheiten verhandelt waren, kam der, von allen Anwesenden mit Spannung und den verschiedensten Empfindungen erwartete Moment, der den Angeklagten zu seiner Vertheidigung oder seinem Eingeständnisse aufforderte.

Mit Ruhe und Sammlung hatte der junge Mann, ohne durch Worte oder Bewegung eine Unterbrechung auch nur anzudeuten, dieser langen und schrecklichen Vorbereitung beigewohnt. Was in ihm vorging, blieb auch den ihn näher kennenden Freunden unergründlich. Der Schmerz, der mit dem verrätherischen Wechsel der Farbe sein Gepräge so verständlich in seinen Zügen ausgedrückt hatte, war doch entfernt von Verzweiflung oder Gewissensangst. Herr von Mauville, der erfahrene Rath eines so würdigen Gerichtes, als der Kriminal-Hof von Paris, hätte doch, trotz aller Beweisgründe, die er sich bemühen mußte darzulegen, schwören mögen: der Jüngling sei der absichtliche Thäter nicht. Und da er fand, daß die Züge des Angeklagten weder Schrecken, noch Unruhe zeigten, fürchtete er, der Jüngling übersehe die Größe der Gefahr und werde dadurch vielleicht weniger sorgsam sein, zu seiner Vertheidigung die ihn noch möglicherweise entschuldigenden Umstände zu sammeln. Er erhob sich demnach und leitete seine Aufforderung zur Vertheidigung an den Jüngling auf eine Weise ein, die seine Achtsamkeit wecken sollte.

»Obwol sich aus den eben beendigten Angaben der vorhandenen Zeugen eine traurige Wahrscheinlichkeit entwickelt hat, die das Attentat mit Ihnen, mein Herr, in einen kaum zu trennenden Zusammenhang bringt, muß ich Sie doch darauf aufmerksam machen, wie viel hierbei dennoch im Dunkeln bleibt, was in demselben Maaße die Wahrscheinlichkeit zu widerlegen[91] scheint und Widersprüche erzeugt, die wir geneigt sein werden, zu Ihren Gunsten erklärt zu sehen. Sie werden, indem wir Sie auffordern, Ihre Erklärungen abzugeben, die Wichtigkeit derselben nicht übersehen und sich mit Besonnenheit sammeln; da, trotz Ihrer Jugend, die Ueberweisung eines solchen Verbrechens nur mit dem Tode bestraft werden dürfte. So sehr ich nun bemüht war, den vorhandenen Akten meine Aufmerksamkeit zu widmen, ist es mir doch nicht gelungen, eine Hauptsache heraus zu finden: nämlich die Veranlassung – die Nothwendigkeit einer solchen Handlung. Ihr Verhältniß zum Grafen Ludwig war von Jugend auf das der zärtlichsten Freundschaft; Ihre Diener beschwören, daß Ihre gemeinschaftlichen Reisen die innigste Einigkeit verschönte. Sie waren überall die Stütze des schwächeren Grafen. – Dies Verhältniß hat sich bis in die Mauern von Ste. Roche erstreckt; auch hier verschafften Sie dem Freunde erst Ruhe und Bequemlichkeit; und das Pistol, was man nachher in Ihrer Hand fand, hatten Sie nach Aussage der Diener ergriffen, den schlafenden Freund zu bewachen. Außerdem waren Ihre bürgerlichen Verhältnisse außer aller Berührung mit denen des Grafen Ludwig; Sie besaßen ein unabhängiges Vermögen und konnten durch den Tod des Grafen keinen Vortheil erreichen, da Sie in keinem verwandtschaftlichen Grade mit einander standen. Wo also – da Liebe und Eintracht bis zum letzten Augenblicke erwiesen sind, wo bleibt die Veranlassung zu einem so fürchterlichen Verbrechen, da in Ihrem Leben kein Nachweis bösartiger Leidenschaften vorliegt? – Indem ich Sie pflichtmäßig auf diese Umstände aufmerksam mache, fordere ich Sie nunmehr auf, die vorangehenden, nöthigen Erklärungen über Ihren Namen und Ihre Geburt zu geben und dann den Eid zu leisten, mit dem Sie sich vor Gott verpflichten, die Wahrheit höher zu achten, als irdischen Vortheil.«[92]

»Mein Herr, Sie heißen Reginald, Chevalier de Ste. Roche, sind in Paris in dem Stadttheile St. Sulpice geboren, in dem Kloster St. Sulpice unter der Vormundschaft des Grafen Crecy-Chabanne erzogen. Haben Sie diesen Notizen noch etwas über Ihre Eltern und Familie hinzuzufügen, von denen ich hier keine weitere Erwähnung finde?«

Wir werden die Aufregung begreifen, die diese nöthigen und doch von den Anklägern übersehenen oder vergessenen Aufforderungen bei den Anwesenden erregen mußten. – Graf d'Aubaine blickte mit ungetheilter Erwartung auf den bleichen Jüngling, der jetzt den Versuch machte, sich zu erheben, und langsam an dem Stuhle sich stützend, endlich aufrecht stand und das schwermüthige Auge aufschlug, um das Antlitz des Richters zu suchen, der eben so mild und menschlich zu ihm geredet. Da traf sein Blick zuerst auf Franziska's Vater, und der Jüngling erbebte, als wolle er zurück sinken – dann war es vorüber! Er preßte krampfhaft einen Augenblick die Hände vor die Stirn, dann richtete er sich fest auf. Graf d'Aubaine ahnte die Ursache dieser heftigen Bewegung nicht, und Wenige außer Reginald sahen sie, so gespannt war die Aufmerksamkeit Aller; – und so blieb Franziska d'Aubaine, welche während der Rede des Herrn von Mauville leise durch eine Seitenthüre eingetreten war, ohne Störung, an den Stuhl ihres Vaters gelehnt, stehen. Mit der sorglosen Ruhe und Sicherheit, die bei so zarten, weiblichen Naturen immer das Zeichen einer Geistzerstörenden Gemüthsbewegung ist, schloß sie sich einer Verhandlung an, die weder für ihr Alter, noch für ihr Geschlecht passen wollte. Doch werden wir die Wirkung für Reginald begreifen; nach der ersten Erschütterung fühlte er nur eine Steigerung seiner Empfindungen dadurch eintreten. Es schien ihm, Gott habe den Engel gesendet, der ihn trösten und stärken solle; – auch glich sie einer solchen Erscheinung mehr, als[93] einem irdischen Wesen! Ihr schönes, todtenbleiches Antlitz war von ihrem reichen Haare umwallt, und drei weiße Rosen schienen die seltene Fülle halten zu wollen. Von ihrer hohen, schlanken Gestalt floß das bedeutungsvolle Kleid von blaßblauem Atlas nieder; und um so glänzender hob sich ihre Erscheinung hervor, da Alles um sie her in die tiefste Trauer gehüllt war.

Herr von Mauville wünschte, dem Jünglinge nur über das erste Wort hinweg zu helfen. »Mein Herr,« sagte er, »die Formalität, die Ihre Identität beweisen soll, erfordert Nichts, als ein bestätigendes: Ja! Es wird an Eides Statt angenommen werden, und es bleibt Ihnen frei, dem hohen Gerichtshofe später darüber die dort nöthigen Anzeigen zu machen, wenn Sie sich jetzt zu bewegt dazu fühlen sollten.«

»So kann ich diese Bestätigung nicht geben!« rief plötzlich Reginald, indem er sich frei aufrichtete.

»Mein Herr,« sagte Herr von Mauville – »Sie mißverstehen vielleicht meine Frage! Es handelt sich hier bloß um die einfache Bestätigung, daß Sie der Chevalier de Ste. Roche sind.«

»Ich habe Sie vollkommen verstanden,« entgegnete Reginald; – »doch soll meine Antwort an Eides Statt gelten, so kann ich sie nicht bestätigend geben; denn der Name und Titel: Chevalier de Ste. Roche gehört mir nicht wirklich, sondern ward mir mit böser Absicht bei meiner Geburt untergeschoben.«

»Verweisen Sie den Lügner dort zur Ruhe!« rief hier plötzlich die Marschallin von Crecy, indem sie außer sich aufsprang; – »er will die Angelegenheit verwirren, indem er etwas Fremdes – Ungehöriges hineinmischt!«

Herr von Mauville verneigte sich. »Das Verhör darf nicht unterbrochen werden, Madame! Wir sind genöthigt, den Angeklagten zu hören; zweifeln Sie nicht, Madame, daß wir die Dinge werden zu ordnen wissen.«[94]

Die Marschallin setzte sich in der größten Empörung, da sie einsah, nicht durchdringen zu können.

Reginald hatte sie keines Blickes gewürdigt; er blieb ruhig gegen die Richter gewendet. Als eine augenblickliche Stille eintrat, sagte er: »Ich habe Gott vor Augen und achte die Wahrheit höher, als irdischen Vortheil, darum habe ich diese Erklärung abgeben müssen. Aber diese Angelegenheit, die ich entschlossen bin, um der verletzten Ehre meiner tugendhaften Mutter willen, der Wahrheit nach, an das Licht zu ziehen, hat nur einen vorüber gehenden Einfluß auf die Angelegenheiten, die ich hier zu erklären habe. Daher bitte ich, mir die Angabe meines wahren Namens zu erlassen; – meine übrigen Erklärungen werden bald darthun, wie wenig ich geneigt bin, dieselben zu meinem Vortheile zu lenken.«

»Ich glaube, mein Herr,« sprach Herr von Mauville, nach kurzer Besprechung mit den beisitzenden Richtern – »daß wir um so eher in Ihren Wunsch einwilligen können, da Sie nicht vor dem hohen Gerichtshofe selbst stehen, und wir unsere Verhandlung nur als ein vorbereitendes Verhör ansehen können, indem die endliche Entscheidung nach Paris gehört; wenn unsere ungewöhnliche Sendung hierher allerdings schon der Rücksicht gegen eine der ersten Familien des Königreiches zuzurechnen ist.«

»So muß ich ferner erklären,« fuhr Reginald fort, »daß ich zu gleicher Zeit außer Stande bin, die Ursachen anzugeben, warum ich den Grafen Ludwig bewog, mit mir nach Ste. Roche zu gehen. Doch dies wird alles Ihre Funktionen als Richter nicht stören; denn mein Eingeständniß läßt alle Beweisgründe weit hinter sich zurück; – und so verzeichnen Sie denn, meine Herren, daß ich der Mörder des Grafen Ludwig bin, da mein abgeschossenes Pistol ihm das Leben geraubt hat!«

Der Angeklagte lehnte sich nach diesen Worten sehr bleich und kurz athmend an seinen Stuhl. Er hörte eine tumultuarische[95] Bewegung um sich her; es schien ihm, Graf Leonin werde an ihm vorüber aus dem Saale getragen. Als er sich wieder gesammelt hatte, sah er den Stuhl des Grafen Leonin leer; – sonst hatten Alle ihre Plätze behalten. Auf ein Zeichen des Herrn von Mauville trat Stille ein.

»Junger Mann,« rief er mit starkem, überredenden Tone – »ich ermahne Sie, sich zu sammeln! Sie waren krank, Ihre Geisteskräfte waren geschwächt; vielleicht sind Sie noch ohne klare Anschauung und verfallen in den oft sich zeigenden Fehler der Jugend, sich lieber bei dem ersten Verdachte, der ihren Ruf angreift, aufzugeben, als zu einer verständigen Vertheidigung überzugehen, die Geduld und Selbstbeherrschung erfordert.«

»Weiser, verständiger Richter,« rief hier eine rauhe, trockene Stimme laut und hart – »Dich segne Gott! Du bist der Erste, der auf dem verfluchten Boden Frankreichs die Rede eines Christen hören läßt!«

»Unglückliche Frau,« rief Reginald, zu Emmy Gray aufblickend, »was willst Du hier? wie kamst Du hierher?«

»Als sie ihn hinaus trugen, den sein Gewissen gerichtet, fand ich den Weg offen; und hier bin ich mit allem Rechte, Zeugniß abzulegen,« rief sie fest – »da Deine Lammsnatur das Schwert in der Scheide läßt, und Du den hungrigen Löwen die Speise vorwirfst, nach der sie trachten! Sagt,« sprach sie, bis zur Tafel vorschreitend und die Hand gegen den Richter aufhebend, »stehe ich vor einem christlichen, berechtigten Gerichtshofe? Wird hier Zeugniß angenommen – und unverfälscht vor Gottes Angesicht gerichtet?«

Herr von Mauville blickte mit Erstaunen auf eine Gestalt, die, wie aus einem anderen Jahrhunderte, an ein lebendig gewordenes Bild jener Zeit erinnerte, und die in Wort und Bewegung eine Kraft des Willens ausdrückte, unterstützt von[96] dem düstersten Ausdrucke des Zürnens, wodurch sie den vollkommensten Antheil erregte. »Zweifelt nicht, daß Ihr vor Christen stehet, die von Gott die Kraft erwarten, recht zu richten,« sagte er mild – »was habt Ihr uns zu sagen?«

»Meine Herren,« schrie hier der Marquis de Souvré, heftig aufspringend – »diese Frau kann kein Zeugniß vor Gericht ablegen; es ist die Bewohnerin von Ste. Roche, die schon längst dem Wahnsinne verfallen ist und wahrscheinlich durch ihren thörichten Einfluß den jungen Menschen zu dem bereits eingestandenen Verbrechen verführt hat!«

»Herr Marquis,« rief Reginald, mit einer Energie, die sein früheres Verhalten nicht angedeutet hatte, »Sie haben am wenigsten das Recht, die klaren und gesunden Sinne dieser ehrwürdigen und unglücklichen Frau zu schmähen. Reizen Sie mich nicht durch Beleidigungen gegen dieselbe, die ich nie dulden werde, sie mit den Mitteln zu vertheidigen, die mir, wie Sie wohl wissen, zu Gebote stehen!«

»Ja,« sagte Emmy Gray, welche den Marquis mit kalter Verachtung betrachtet hatte; – »jetzt erkenne ich das Gesicht des Sünders wieder; und der, der den Namen des Mörders verdient, wie kein Anderer, wagt, als Zeuge Dir gegenüber zu treten? Gott wird den Engel der Vergeltung senden und den Boden verwüsten, wo sein Fuß weilte! – Richter, der Du Dich rühmst, hier im Namen Gottes zu richten, laß den Bösewicht nicht Zeugniß sprechen – und höre von mir, wie schwarz seine Seele ist!«

»Herr von Mauville,« sagte die Marschallin mit der kalten Anmaßung, welche ihren hohen Rang in Erinnerung bringen sollte – »wir wollen nicht Zeuge sein von den Ausbrüchen einer elenden Geisteskranken; und ich muß Sie erinnern, daß die traurige Veranlassung, die uns pflichtmäßig hier gegenwärtig sein ließ, durch das Geständniß des[97] Verbrechers beendigt ist; ich fordere Sie auf, das Verhör zu schließen.«

Würdevoll erhob sich Herr von Mauville gegen die Marschallin. »Madame,« sagte er – »die Gegenwart Euer Gnaden ist eine freie Wahl, welche weder von uns verlangt, noch verweigert ward; daher ist die Entfernung Euer Gnaden gewiß Ihrem eignen Ermessen überlassen; doch kann ich damit das uns vorliegende Verhör um so weniger für beendigt erklären, da das Geständniß eines Angeklagten immer nur dann die Entscheidung mit sich bringt, wenn es mit den verschiedenen Anklagen zusammen fällt und dieselben vollständig erklärt. Dies ist hier nicht der Fall. Das Geständniß, welches unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, hüllt sich in ein Dunkel, das wir aufzuhellen trachten müssen; da wir nicht allein berufen sind, Schuldige zu entdecken, sondern auch Unschuldige zu beschützen. Jeder Nachweis, der sich dazu uns darbietet, muß von uns benutzt werden, und das Auftreten dieser Frau ist, wenn auch außer der Form, doch bei einem bloßen Verhöre, welches Beweise zu sammeln hat, vollständig zulässig.«

Es kostete der Marschallin einen sichtlichen Kampf, diese höfliche Zurückweisung hinzunehmen. Sie wünschte wenigstens, durch Entfernung ihre Beleidigung hervorzuheben; aber das brennende Verlangen, hier noch lenkend, oder abwehrend einzuschreiten, hielt sie zwischen Gehen und Bleiben in Aufruhr zurück, bis sie entschlossen auf ihrem Platze verblieb.

Herr von Mauville wendete sich nach seiner kurzen Entgegnung an die Marschallin, gegen Emmy Gray, und fragte sie, ob das Zeugniß, das sie hier anböte, im Zusammenhange stehe mit der unglücklichen Begebenheit, die hier verhandelt werde; sonst möge sie den Gang des Gerichtes nicht durch Einmischung fremder Interessen stören.[98]

»Meine Aussagen gehören dazu, wie Eure Augen zu Eurem Kopfe!« rief Emmy Gray – »darum gebt mir Raum, Richter, damit ich Euch sagen kann, was Ihr von ihm schwerlich erfahren werdet.«

»Emmy,« sagte Reginald mit Ernst – »Du hast nicht Wort gehalten und bist doch in großem Irrthume, weil Du den zu retten hoffst, der von Deinen Aussagen doch keinen Vortheil ziehen kann; – denn die eine Thatsache steht fest: Graf Ludwig fiel von meiner Hand!«

»Nun, um so besser, mein Kind!« rief die Alte, heftig vorschreitend; – »so hast Du schon gerecht Gericht gehalten, und Du bist nun der einzige, rechtmäßige Graf Crecy-Chabanne!«

»O, Emmy,« rief Reginald, sein Gesicht verhüllend; – »wozu hier die Schande meines Vaters aufdecken!« Es entstand indessen ein begreiflicher Tumult. Viele Stimmen riefen zugleich; Souvré, die Marschallin überhäuften Herrn von Mauville mit Vorwürfen, der Wahnsinnigen, der Betrügerin das Wort gestattet zu haben.

Herr von Mauville saß indessen still und mit klugem Auge, wie Jemand, dem plötzlich ein heller Lichtstrahl sichtbar wird. Er hörte und erwiederte Niemandem, – einzelne Worte mit den beisitzenden Richtern wechselnd. Er ließ der Aufregung eine Zeit lang ihren Gang, dann stand er plötzlich auf. Er wiederholte das Gebot zum Stillschweigen mehrere Male, laute Schläge gegen die metallene Scheibe führend, die vor ihm stand; seine Stimme, die mächtig und tönend war, überbot dabei das Gemurmel der Menge und die einzeln erzürnt Redenden.

»Frau,« rief er mit zorniger Weise gegen Emmy Gray, – »wer bist Du? Was wagst Du hier gegen die ersten Familien Frankreichs zu behaupten? Was hast Du für Rechte, für Beglaubigungen zu Deinen Behauptungen?«[99]

»Laßt sie schweigen,« sagte Emmy, – »ich habe lange nicht unter so viel Volks gestanden; ihr rohes Geschrei betäubt meinen Kopf!«

Es trat Ruhe ein; die Marschallin unterlag fast der Qual, bleiben zu müssen; sie kam sich über alles Maaß hinaus beleidigt vor. Aber es stand zu Viel zu verlieren, und sie zweifelte nicht, Alles verdächtigen und unterdrücken zu können, was hier hervortreten wollte. Emmy dagegen lehnte sich an die Gerichtstafel, Allen den Rücken kehrend, und sagte nun so laut und fest, daß jedes Wort den Saal durchdrang:

»Ich bin Emmy Gray, diejenige, die aus England die rechtmäßige Gemahlin des Grafen Leonin von Crecy-Chabanne nach Frankreich begleitete. Das Kind dieser rechtmäßigen Ehe ist der hier anwesende, arme, verfolgte Knabe; der, zu dessen Mörder ihn Alle machen wollen, war ein Bastard; denn die erste Gemahlin lebte noch ein Jahr nachher, als der Graf die zweite geheirathet hatte.«

Die Marschallin, Souvré erhoben sich wieder; aber Herr von Mauville winkte beruhigend: »Ich bitte, führen Sie keine Störungen herbei, ich erkenne die Sache so gut, wie Sie, und verspreche Ihnen Gerechtigkeit.« Beide hofften, Herr von Mauville sei auf ihrer Seite, und begaben sich zur Ruhe.

»Begreifst Du, alte Frau, was Du da herausgestoßen?« rief er hart; – »denkst Du, wir werden Dir glauben ohne Beweise, da Du einen Mann, wie den Grafen Leonin, angreifst, dessen Rechtlichkeit außer Zweifel steht?«

»Er war auch nur eine elende, leidende Kreatur in der Hand Anderer!« rief Emmy Gray; – »er war zum Guten, wie zum Bösen zu schwach, ein verächtliches, halbes Ding von Mensch; aber er hatte ein böses Weib zur Mutter, die wußte um Alles, – und einen Teufel zum Freunde, der hier steht, und der vollführte, was sie beschloß!«[100]

»Thörin,« rief Herr von Mauville; – »denkst Du wirklich, daß man Dir ohne Beweise glauben wird? Du bist den Gesetzen wegen boshafter Verläumdungen verfallen!«

»Mein Herr,« sprach Reginald, – »ich muß Ihrem Eifer Einhalt thun! Obgleich ich das Hervortreten dieser unglücklichen Angelegenheit mißbillige, und diese tief gebeugte Frau mein ausdrückliches Gebot, hier nicht aufzutreten, überschritten hat, muß ich sie doch jetzt gegen jede unverdiente Beleidigung in Schutz nehmen. Sie ist keine Thörin, mein Herr! Sie wird nur zu wohl beweisen können, was sie sagt; und da die Schranke überschritten ist, die ich mir aus Achtung für den Namen, den ich rechtmäßig trage, auferlegt hatte, so gebe ich den Umständen nach und erkläre ebenfalls laut und bestimmt, daß ich der einzige, rechtmäßige Graf Crecy-Chabanne bin!«

»Mein Herr,« rief die Marschallin, zitternd vor Zorn; – »ich erkläre einer Procedur nicht länger beiwohnen zu wollen, in der man jede Achtung gegen mich und meine Familie aus den Augen setzt, und Gaukler und Betrüger zum Zeugnisse gegen uns zuläßt!« Sie wollte, sich erhebend, ihren Platz verlassen; doch Reginald sollte ihr den Beweis geben, daß das Blut der Crecy in seinen Adern fließe! Lebhaft, mit glühendem Antlitze trat er ein Paar Schritte gegen sie vor.

»Bleiben Sie, Madame,« rief er in einem gebieterischen Tone, »und nehmen Sie Ihren Platz wieder ein! Sie haben kein Recht, Beschimpfungen gegen mich auszustoßen; denn Sie vor Allen sind fest von der Wahrheit der eben vernommenen Aussagen überzeugt. Sie, Madame, haben den Namen Crecy-Chabanne entehrt; – Sie, Madame, haben Ihren Sohn, meinen Vater, zu dem Verbrechen doppelter Ehe – zur Beraubung seines rechtmäßigen Kindes verführt; – Sie, Madame, haben durch Ihre unmenschliche Grausamkeit, durch Ihren Agenten Souvré das Herz meiner engelgleichen Mutter, Ihrer[101] allein rechtmäßigen Schwiegertochter, gebrochen! Sie – Sie haben das edle Haus Lesdiguères zu einer beschimpfenden Verbindung mit dem Gemahl einer Anderen vermocht und auch das Herz dieser edeln, betrogenen Tochter jenes Hauses gebrochen!«

»Bleiben Sie,« rief er, da die Marschallin, aus der Erstarrung ihres Schreckens erwachend, zu enteilen trachtete; – »Sie sind hier noch nöthig. Ich befehle Ihnen, zu bleiben! Sie haben gewagt, mich Betrüger zu nennen. Sie hätten vor dem Worte zittern sollen! Ich, der ich es über die Nächsten ausrufen konnte, habe es zurückgedrängt, aus Achtung für den Namen, den meine reine Mutter trug. Jetzt, Madame, ist das Siegel von Ihnen selbst gelöst; – ein Crecy-Chabanne darf nicht Betrüger genannt werden. Tritt vor, Emmy Gray, entfalte die Dokumente, die Alles darthun; und Sie, Madame, werden Kenntniß davon nehmen und alsdann widerrufen – gegen mich widerrufen

Die Marschallin stand, wie unter einem Zauber gebannt, starr – besinnungslos fast vor dem glühenden, zürnenden Jünglinge. Auch schien mehr oder weniger die ganze Versammlung in ein rücksichtsloses Zuhören aufgelöst, während Herr von Mauville ein scharfer Beobachter blieb, und mit Willen das Kreisen dieser leidenschaftlichen Zustände nicht zu hindern suchte, ihnen die Fingerzeige ablauschend, die die Wahrheit zu enthüllen versprachen.

»Was wagt Ihr?« stammelte endlich die Marschallin; – »was für Rechte habt Ihr an mich, als die der Verachtung und des Abscheues? Wem soll ich gerecht werden? Dem Mörder meines Enkels, dessen ganze Anklage gegen uns nur eine neue Bestätigung seines absichtlichen Todtschlages ist!«

»Absichtlich! Absichtlich!« schrie Reginald, als ob alle Saiten seines Innern mißtönend zerrissen würden; – »ich absichtlich Ludwig getödtet – ihn, der wenige Stunden zuvor[102] mein Bruder ward – ihn, der auf meine Liebe, auf meinen Schutz angewiesen war durch meine älteren Rechte an den Rang und Namen, den er getragen? Ich – ihn absichtlich morden? Heiliger Gott, dieser Gedanke konnte nur in Euch entstehen!«

Indessen hatte Emmy Gray den Trauschein aus dem Kirchenbuche von Stirlings-Bai, dessen sie sich vor der damaligen Abreise heimlich zu bemächtigen gewußt, ehe Lord Gersey seine Vernichtung vollführen konnte, und aus dem Kirchenbuche von Ste. Roche das Tauf-Attest Reginald's und den Todtenschein Fennimor's ausgebreitet. Herr von Mauville prüfte Beide und gab sie dann den anderen Richtern.

»Madame,« sagte Herr von Mauville dann zur Marschallin, »die Dokumente müssen allerdings genauer geprüft werden; – doch haben sie einen glaubhaften Anstrich!«

»Wie,« entgegnete die Marschallin, – »eine Ceremonie des ketzerischen Priesters dieser abtrünnigen Sekte, die wir angehalten sind, nicht als Christen anzusehen, – sie sollte einen Rechtsanspruch enthalten? Bei wem, glauben Sie, wird das Anerkennung finden?«

»Bei Allen, Madame,« entgegnete Herr von Mauville, »die mit einer besonderen Bevorrechtung der schottischen Kirche bekannt sind, welche, aus der Zeit der Königin Maria herstammend, die Priester dieser Kirche als befähigt anerkannte, kirchliche Einsegnungen zu vollziehen; damals in der Hoffnung erlassen, die Confessionen durch Vermischung endlich der römischen Kirche wieder zu gewinnen. Sie haben dadurch einen rechtskräftigen Grund erhalten, den wenigstens der päbstliche Hof nicht verwirft.«

Die Marschallin verlor einen Augenblick die Fassung. Sie blickte auf Souvré – dieser lehnte sich kalt und hochmüthig gegen die Gerichtstafel. »Madame,« beantwortete er den Blick[103] der Marschallin – »es scheint mir, Sie lassen sich zu sehr herab, diese verworrene Verhandlung mit Ihrer Gegenwart zu beehren. Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen den Arm gebe; Sie werden in Paris ein geeigneteres Gericht finden, was so ausgesuchte Beleidigungen abweisen und bestrafen wird. Wenigstens ich habe mit diesen Angelegenheiten Nichts mehr zu thun.«

Er nahete sich der Marschallin, und diese ließ sich hinwegführen, ohne sprechen zu können, ganz um ihre gewöhnliche, stolze Haltung gebracht; die Gräfin d'Aubaine folgte ihr; denn sie sah ihre arme Tochter nicht, welche auf einem Sessel hinter dem Stuhle ihres ebenfalls ahnungslosen Vaters saß, und mit der Gemüthsbewegung zuhörte, die sie gänzlich über ihre auffallende Handlungsweise hinweghob.

Als diese störenden Elemente sich entfernt hatten, ergriff Herr von Mauville wieder die oft unterbrochene Verhandlung. »Junger Mann,« redete er Reginald an; – »der Augenblick, in dem Ihre alte Beschützerin sie zwingt, sich einer so mächtigen und vornehmen Familie als ein nah berechtigtes Mitglied derselben zu zeigen, ist durch die traurige, vorangebende Veranlassung dieses Verhörs, ein sehr ungünstiger zu nennen. Dessen ungeachtet glaube ich annehmen zu können, daß mit dieser Entdeckung, die gegen Ihren Willen gemacht ist, und die Sie früher verweigert haben, der Grund weggefallen ist, der Sie abhielt, uns zu entdecken, warum Sie den Grafen Ludwig veranlaßten, mit Ihnen nach Ste. Roche zu gehen. Ueberhaupt, mein Herr – ich sage es mit Bedauern, aber es bleibt dennoch wahr – diese neuen Entdeckungen sind Ihnen nachtheiliger, als förderlich; denn die Frage wird jetzt wichtig, ob Sie, der Angabe nach, wirklich der ältere Graf Crecy-Chabanne sind, oder der bisher dafür geltende Jüngling; denn Ihre hiernach als unterdrückt erscheinenden Rechte könnten auf ein Verhältniß zwischen Ihnen und dem Gemordeten hinweisen, daß sein Leben[104] oder seinen Tod für Sie wichtig machte. Sammeln Sie sich daher und erzählen Sie aufrichtig den Verlauf der Begebenheit.«

»Mein Herr,« erwiederte Reginald sogleich, ohne Zögerung – »ich übersehe meine Lage ohne Täuschung, daher ohne Hoffnung. Der Tod Ludwig's durch meine Hand schließt überdies jede Möglichkeit wieder zu erlangenden Glückes gänzlich für mich aus! Mein Leben muß eine Sühne für sein schönes, früh geknicktes Dasein werden; – ich ersehne dies mehr, als daß ich ihm zu entrinnen trachte.«

Ein röchelnder Seufzer stieg hier aus Emmy's Brust; sie taumelte erbebend vor den festen Worten ihres Lieblings zusammen. Herr von Mauville befahl ihr einen Stuhl zu geben; starr blieb sie von da an sitzen, die Augen fest auf Reginald gerichtet.

»Was ich weiter von diesem entsetzlichen Verhängnisse zu berichten habe,« fuhr Reginald fort, »ist von so ungewöhnlicher Art, daß ich entschlossen war, es ganz zu verschweigen; da es unmöglich in den Augen meiner Richter sich zur Wahrheit erheben kann, und mich dieser daraus entstehende Zweifel gegen meine Wahrhaftigkeit doch tief kränken würde.«

»Sie müssen Vertrauen haben zu Ihren Richtern, junger Mann,« entgegnete Herr von Mauville; »wir sind nicht in der Absicht gekommen, Sie schuldig zu finden, und gewöhnt, das Ungewöhnliche zu hören. Kraft meines hohen Amtes fordere ich Sie auf, Alles auszusprechen, was Sie auf Ihrem Herzen haben.«

Nach einer Pause schmerzlichen Nachdenkens rief Reginald: »Es sei! Ich stehe vor einem edeln Manne, das fühle ich dankbar; – aber vor Allem fühle ich Gottes Nähe!«

Reginald erzählte jetzt mit Umsicht und Ruhe. Er berichtete die Unsicherheit über seine Familie, der er nicht nachgefragt habe in dem schützenden Verhältnisse zu der Familie[105] Crecy. Graf Leonin habe sich seinen Vormund genannt, und jede Auskunft für ihn bis nach zurückgelegter Reise verschoben. Dann erzählte er Emmy Gray's erste Aufforderung vor der Reise, die er abgelehnt; dann ihre zweite, welche ihn nach Tabor rief, und mit sichtlichem Widerstreben entdeckte er Emmy's Mittheilungen. Emmy verlangte, ihm in Ste. Roche die Dokumente zu übergeben – ihn trieb das Herz nach dem Grabe seiner Mutter – Ludwig sollte ihn begleiten. Er konnte Nichts von ihm getrennt denken; er sollte mit ihm, von den Dokumenten und Aussagen der Alten unterstützt, dort Alles bedenken und beschließen helfen! »Dies, mein Herr,« fuhr Reginald fort – »ist der wenig haltbare Grund, weshalb ich Graf Ludwig zu der Reise nach Ste. Roche bewog, den aber nur der begreifen kann, der weiß, wie wir uns liebten – wie kein Geheimniß unter uns waltete.«

»Doch ist dies dennoch viel wahrscheinlicher, als was ich weiter zu erzählen habe.« Er berührte jetzt den aufgeregten Zustand, in dem er, Ludwig zu bewachen, mit dem Pistol in der Hand, vor ihm gesessen habe und endlich, von unbewußter Müdigkeit überwältigt, entschlafen sei, wo ihn dann der Traum erfaßt, den er mit der Gewalt des tiefsten Grauens, das jetzt noch seine Seele zu überwältigen drohte, ergreifend vortrug. – Lautlose Stille herrschte im Saale. Vielleicht war Keiner in der ganzen Versammlung, der nicht den Jüngling als unschuldig und des tiefsten Mitleids würdig erkannt hätte.

Erschöpft und todtenbleich lehnte sich der Unglückliche, nachdem er geendigt, von der Anstrengung fast überwältigt, in den Lehnstuhl zurück. Mauville's Augen ruheten auf diesem rührenden Opfer, mit dem Wunsche, er möge so enden; denn der erfahrene Richter wußte, daß er nicht zu retten war.

Da sagte der beisitzende Richter zu Herrn von Mauville: »Sie vergessen die Aussage des Kammerdieners, der uns noch[106] von einem Liebesstreite der beiden jungen Leute erzählte. Gleichfalls eine wichtige Möglichkeit, so rasche That zu erzeugen!«

Ein mißbilligender Blick des Herrn von Mauville traf ihn; doch ungehindert davon, fuhr er fort: »Die Neigung Beider traf dasselbe Fräulein aus diesem Hause; Graf Ludwig war am Morgen mit derselben verlobt worden. Das erfuhr der Angeklagte!«

»Halt,« rief Reginald – »mein Herr, um Gottes Willen halten Sie ein!« Konvulsivisch war er aufgesprungen; noch ein Mal jagte das Blut über das sterbende Antlitz. »Mischen Sie in mein elendes Schicksal nicht den heiligen Namen dieser Dame! Sprechen Sie es aus, das vernichtende Wort: überführt, schuldig! – Aber um Gotteswillen, diesen neuen Beweisgrund nicht – ich will ihn nicht hören – wiederholen Sie es nicht bei Ihrer Seele Seligkeit!«

Da schwankte plötzlich Franziska vor den entsetzten Blicken ihres Vaters vorüber; sie wandelte leichten Schrittes auf Reginald zu, der bis an seinen Sessel vor ihr zurück wich. Dicht vor ihm blieb sie stehen und sagte mit einer weichen, tonlosen Stimme ohne Ausdruck und Kraft, während schwere Seufzer jeden Satz unterbrachen: »Warum verläugnest Du mich, edler, unschuldiger Reginald? Ich war es, die Du liebtest – ich werde ewig daran gedenken! Die Welt hat uns getrennt – doch blieben wir treu – und Ludwig, der arme Bruder, wäre nicht zwischen uns getreten! – Nun bin ich Braut von Dir und ihm – und Eure Witwe! – Leb' wohl – auf Wiedersehen!«

Sie reichte ihm, wie zum heiteren Spiele, die blasse, marmorkalte Hand – er widerstand nicht – er kniete nieder – laut schluchzend preßte er ihre Hand an seine Lippen – er, sah zu dem schönen, starren Gesicht empor, aus dem die Augen so abwesend niedersahen. Da senkte sich das blaue Atlaskleid wie verhüllend um ihn her; die schöne Gestalt sank langsam[107] zusammen; sie glich einem Engel, der in einer Wolke den bleichen Jüngling verhüllen wollte. – Der Vater hob die Bewußtlose sanft aus den Armen Reginald's, der in diesem Augenblicke der Trennung das Todesurtheil erlitt. Er sah ihr nach, als wäre sie sein letzter Lebensathem – und in demselben Augenblicke fühlte er sich mit Liebe an ein warm schlagendes Herz gedrückt. Es war Franziska's Bruder!

Herr von Mauville hob das Verhör auf. – Reginald ward mit zärtlicher Sorgfalt hinweggeführt. Hart trat Emmy Gray den Richtern in den Weg; sie wollte bitten; – aber der unbeugsame Sinn lernte nicht so spät die nie gekannte Aufgabe. »Sprecht Recht! Sprecht Recht, Ihr Richter,« schrie sie mit Todesangst, und ergriff hart den Arm des Herrn von Mauville; – »er ist ja unschuldig – rein, wie an der Brust der Mutter!«

»Arme Frau!« sprach Herr von Mauville – »ich werde ihn der Gnade des Königs empfehlen!«

»Gnade? Gnade?« rief Emmy wild – »Recht, Recht! keine Gnade – Recht muß ihm werden!«

»Vom Rechte darf er nichts hoffen,« sagte der zweite Richter; – »jeder Gerichts-Hof wird ihn verdammen. Träume sind keine gültigen Zeugen!«

Sie zogen an ihr vorüber; sie starrte ihnen nach; ihr größtes Elend war, daß sie diese Gerechtigkeit nicht verstand. Sie stieß ein fürchterliches – wildes Geschrei aus! – Die mitleidigen Mönche erfaßten die Unglückliche, die in Konvulsionen fiel.


Die Marschallin reiste noch denselben Abend mit dem Marquis de Souvré nach Paris ab. Die Trennung von der Familie d'Aubaine war kalt und zeigte von gegenseitigem Mißtrauen.[108] Das entschiedene Betragen der Marschallin war zurückgekehrt; es lag eine Verachtung gegen die erfahrenen Anschuldigungen in ihrem Wesen, die sie unbedeutend machen sollten. Graf d'Aubaine war zu edel und zu stolz, sich die Richtung seiner Meinungen angeben zu lassen; er zeigte sich in gemessener Haltung. Graf Leonin folgte seiner Mutter – fieberkrank – gebrochenen Herzens!

Später fuhr dem Wagen des Herrn von Mauville eine verschlossene Kutsche nach; sie brachte Reginald nach der Bastille. Um Mitternacht rollte langsam ein Rüstwagen mit der Leiche des Grafen Ludwig dem trostlosen Zuge nach; er ging langsam nach dem Erbbegräbnisse in dem Schlosse Moncay.

Lange blieb Franziska d'Aubaine geisteskrank, fast ausschließlich von ihrem Vater gepflegt, dessen Nähe allein ihr Ruhe gab; jeder Andere beängstigte sie. Jahrelang dauerte dieser Zustand. Langsam genas sie, eine Fremde sich fühlend in der Welt. Ihr Vater that keine Forderung, die sie auf gewöhnliche Weise dem Leben anzuschmieden trachtete; er forderte Nichts, als die Wiederkehr einer würdigen Geistesthätigkeit. Indem er die Geselligkeit der großen Welt von ihr abhielt, führte er sie doch zuweilen nach einem Schlosse in der Nähe von Paris und versammelte dort die Heroen der Zeit, an deren Geist Franziska aufstrebend sich entwickelte, wenn auch ohne Wunsch, ohne Zweck. So ward sie dem Leben leise wieder zugeführt – seine schöne, uneigennützige Gefährtin! –

Die Marschallin wußte ihre weitverzweigten Verbindungen sehr wohl zu benutzen. Reginald's Prozeß ward in eine Art von Geheimniß gehüllt, welchem sie den Schein der Mäßigung zu geben wußte. Es schien, als ob ihre schmerzbeladene Seele vor Allem öffentliche Verhandlungen scheue; – sie wies mit leisen Andeutungen auf ihren Sohn. Man konnte denken, Leonin sei geisteskrank. Vergraben auf ein fernes Crecysches[109] Gut, blieb sein Zustand zweifelhaft. Zuweilen schien er zu rasen; er wollte dann Souvré umbringen und verwünschte seine Mutter. Dann brachte er Tage und Nächte auf seinen Knieen zu – er sah Geister! Viktorine an Fennimor's Seite erschien ihm; er redete mit ihnen, und dies war der Uebergang jener Raserei. Er sank dann auf den Teppich des Fußbodens; hier fand er ein Paar Stunden Schlaf, bis ihn neue Verzweiflung weckte.

Nach einem Jahre, in welchem das Schloß Ste. Roche mit der ganzen Situation noch ein Mal erforscht war, die Richter die Aussagen der wilden Emmy Gray, ohne Glauben an ihren Verstand, angehört, alle Zeugen vernommen, und bald für, bald wider beschlossen hatten, fiel das Erkenntniß, wie zu erwarten stand, gegen Reginald aus. Er ward zum Tode verurtheilt und – der König unterzeichnete das Todesurtheil.

Diesen Moment der Sicherheit hatte die Marschallin erwartet. Sie fuhr in tiefer Trauer nach Versailles und zeigte ihrem ganzen Zirkel vorher an, daß sie die Gnade des Königs anzurufen denke für den Feind, für den Mörder ihres Hauses! Alles drückte Erstaunen und Bewunderung für die erhabene Tugend der ehrwürdigen, großmüthigen Frau aus. Es war das Signal für Alle, ihr nach Versailles zu folgen; man fragte der Stunde ihrer Abfabrt nach; es schien ein Festzug. Eine Karosse mit rothem Himmel – ein Vorrecht der Familien höchsten Ranges – hinter der anderen rollte auf dem großen Wege nach dem Schlosse.

Der Prinz von Courtenaye bat beim Könige zur Zeit der Audienz-Stunde für die Marschallin von Crecy um Gehör. Der Prinz, der, gerade im Dienste, sich diesem Auftrage unterzog, hatte einigen Blicken Ludwigs zu begegnen, die ihn unruhig machten. Der König fragte nach dem Inhalte des Audienz-Zimmers – wie man dies zu nennen pflegte. Herr von Courtenay[110] nannte die ersten Namen des Landes. »O,« sagte der König, mit einem stolzen Lächeln – »der ganze Zirkel! – Sie sehen,« fuhr er fort, sich zu einem Geistlichen wendend, der im Hintergrunde stand, »man hat uns einen Platz in der letzten Scene des Trauerspieles zugedacht.« – Dieser Geistliche war Fenelon, der Erzbischof von Cambray. – »Mein Herr,« sagte der König darauf zum Prinzen – »die Versammlung ist uns genehm; wir werden sie später empfangen.«

Herr von Courtenaye wußte jetzt gewiß, daß der König in Zorn war. Als er, ganz bleich vor Schrecken, in das Audienz-Zimmer trat, erschien am anderen Ende die Marschallin mit eben so verändertem Gesichte. Sie hatte Madame de Maintenon ihre Aufwartung machen wollen, welche sie von fern in einem Damenkreise auf der großen Terrasse lustwandeln sah; der meldende Lakay brachte aber die Antwort zurück: die Frau Marquise wären beschäftigt und könnten die Frau Marschallin nicht empfangen. Die Marschallin traute ihren Sinnen nicht; die anwesenden Damen, die sie wie ein Hofstaat begleiteten, wurden außerordentlich verlegen; und als sie das Audienz-Zimmer er reichte, war von dem früheren Gefolge Niemand an ihrer Seite.

Welche qualvolle Stunde folgte jetzt! Den Fremden schien der Abend heran zu nahen, die Einheimischen starben vor Neugierde und Ungeduld; immer mehr wuchs der Kreis, die Feinde der Marschallin rückten an. Sie wußte genau, daß sie herbei gerufen waren; selbst Souvré war so überrascht, daß ihm das Nachdenken darüber seinen gewöhnlichen Witz kostete. – Da öffneten sich die Thüren; die dienstthuenden Cavaliere schritten voran, dann kamen die Prinzen des Hauses; Alle stellten sich an der Thür auf. Man sah in dem Saale zunächst den König daher kommen, langsamen Schrittes, mit der imponirenden Würde, die von einer ihm, im hohen Mannesalter, noch treu[111] bleibenden Schönheit gehoben ward. Die daraus hervorgehende, vollständige Anmuth der Bewegungen machte ihn zu dem Vorbilde, welches er für ganz Europa war. Etwas hinter ihm, an seiner linken Seite ging Fenelon, der Erzbischof von Cambray; Ludwig sprach zu ihm mit dem Wohlwollen und der feinen Hochachtung, die Alle, die es erfuhren, berauschte. Die Marschallin fühlte, daß ihre Knie bei Fenelon's Anblicke schnell zusammen schlugen; heftig richtete sie sich nur noch gerader in die Höhe; Souvré schien ihr Platz machen zu wollen – er zog sich noch weiter zurück.

Athemlos harrten die Anwesenden, bis der König die Schwelle überschritten; in demselben Augenblicke setzte er einen kleinen Hut auf, den er unter dem Arme trug, nahm ihn nach einigen Sekunden ab, grüßte die Versammlung und setzte ihn dann wieder auf.

»Die Gemeldeten haben den Vorrang!« rief der Prinz von Courtenaye.

Das war der entscheidende Moment! Aus der Masse lösten sich die Bezeichneten und naheten, in einen Kreis sich stellend. Rechts, dem Könige zunächst, hatte die Marschallin mit dem kühnsten Muth ihren Platz eingenommen. Ludwig grüßte noch ein Mal, indem er den Hut einen Augenblick abnahm, dann redete er den Grafen Villeroi an und schien Heiterkeit und Wohlwollen zu athmen, wenn auch nie die imponirende Wichtigkeit des Königs dabei zu vergessen war. Wer hätte ihn aber nicht lieben müssen, als er sich der alten achtzigjährigen Herzogin von Gêvres nahete, die, an einen goldenen, mit Juwelen verzierten Krückenstock gelehnt, herbei gekommen war, dem Könige für eine ihrem Enkel erwiesene Gnade zu danken. Mit dem Hut in der hocherhobenen Hand stand der König vor der alten munteren Frau, die ihr dankbares Herz mit der größten Lebhaftigkeit vor ihm ausströmen ließ. Er schalt sie dagegen[112] mit einer hinreißenden Güte, daß sie gekommen war, und rief mit lauter Stimme: »Ein Tabouret! ein Tabouret!« und als es herbeiflog, rief er noch ein Mal: »Mein Bruder – ein Tabouret!« Monsieur verstand dies augenblicklich und legte herbeieilend die Fingerspitzen daran, während der König der alten, in Wonne strahlenden Matrone den Arm gab und sie niedersitzen ließ; dann begrüßte er den harrenden Kreis weiter. Aber trotz dieser weichmüthigen Scene ließ sich Niemand über die Stimmung des Königs täuschen. Er hatte einen kleinen, rothen Fleck unter dem rechten Auge, und Jeder wußte, daß er über etwas in Zorn gewesen. Schon bezeichnete man den Gegenstand desselben; denn der König war an der Marschallin von Crecy vorübergegangen, ohne sie zu begrüßen.

Die Audienz, welcher der übrige Hof bloß als Zuschauer beiwohnte, war bis auf die Marschallin und Souvré, die der König nicht angeredet hatte, vorüber. Der König richtete sich stolz empor und rief: »Meine Prinzen, ich glaube, Sie haben Ihre Bekannten in diesem Kreise.«

Das war ein Zeichen, daß der König fertig war. Der Prinz von Courtenaye durfte in diesem Augenblick, im Falle der König Jemanden übersehen hatte, die Personen bezeichnen. Er trat vor und nannte die Marschallin und Souvré; der König neigte kaum merklich das Haupt, und die Marschallin trat vor, allein noch von ihrem Zorne Kraft erhaltend.

»Madame,« begann der König, den Hut gleichgültig abnehmend und die Hand damit niederhängen lassend, welches ein niederer Grad von Attention war – »wir bedauern um so mehr, Sie erst so spät zu begrüßen, da wir Ihnen eine Mittheilung machen können, die für Sie allerdings von großer Wichtigkeit ist. Wir haben auf die Bitte Ihres Sohnes, durch den Herrn Erzbischof von Cambray vermittelt, den jungen Mann begnadigt, der, unter dem Namen Chevalier Ste. Roche,[113] ein beklagenswerthes Opfer der Verirrung ward, die, wie ich denke, Andere mehr, als er selbst verschuldet.«

»Sire,« sprach die Marschallin mit gehobener Stimme – »ich harrte hier mit derselben Bitte um Gnade! Nicht Rache an dem Uebelthäter kann das berühmte, erlöschende Geschlecht der Crecy-Chabanne retten; – wir suchten nicht Sühne durch Blut!«

»Das ist uns lieb zu hören!« erwiederte der König, mit unerschütterlicher Kälte; – »wir werden es, Madame, unserer Frau Schwägerin melden lassen. Sie hat uns diesen Morgen ersucht, die Frau Marschallin ihres Dienstes als Oberhofmeisterin entheben zu dürfen.«

»Sire,« rief die Marschallin – »ist Unglück, wie es unser Haus verfolgt, ein Grund, uns zu entehren?«

»Madame,« sagte der König – »vergessen Sie Ihre Stellung nicht! Unglück fand in uns Schutz und Hülfe; wir beweisen es, indem wir den jungen Mann begnadigen, der durch unerhörte Vergehungen um Alles betrogen ward, was wir an irdischem Besitze zu schätzen haben: um rechtmäßige Ansprüche an einen vornehmen Namen und den damit verknüpften Besitz großer Reichthümer!«

»Mit Schmerz sehe ich,« entgegnete die Marschallin, noch immer ungebeugt – »daß meine Feinde Zeit hatten, mich zu verdächtigen! Ich darf es sagen, Euer Majestät sind falsch berichtet!«

Der rothe Fleck auf Ludwigs Wange begann zu leuchten, das strahlende Auge des Königs durchbohrte die Marschallin. »Falsch berichtet?« rief er; – »hüten Sie sich, Madame, und wissen Sie, daß Ihr eigner Sohn und der Erzbischof von Cambray unsere Berichterstatter waren!«

Die Marschallin wankte zurück. –

»So wahr ich König von Frankreich und Nachfolger des heiligen Ludwigs bin – wäre der unglückliche Jüngling nicht[114] so öffentlich eines Mordes bezüchtigt gewesen, ich würde hier ganz anderes Recht geschafft haben! – Und Sie, Madame, die Sie fortan außer Zweifel sein werden, daß wir unterrichtet sind, wie Sie bis dahin uns zu täuschen wagten – Sie, denke ich, werden dem Minister der Polizei bis heute Abend anzeigen, welches Kloster, zwanzig Meilen von Paris entfernt, Sie zu Ihrem Aufenthalte gewählt haben.«

Die Marschallin wankte hin und her; sie wollte noch reden. Der König setzte den Hut auf und wendete sich ab; in demselben Momente war die Marschallin, von den Hofleuten verdeckt, zurückgedrängt; sie schritt steif und fest durch alle Säle, stieg in den Wagen mit rothsammetenem Himmel und sagte kaum hörbar: »Nach Moncay!«

»Nun, Herr von Courtenaye,« rief der König dem Prinzen zu; – »was giebt es noch?«

Der Prinz hatte kein Wort gesagt. »Ah', ich verstehe,« sagte der König – »der Marquis de Souvré! Sagt ihm, die Luft am Hofe passe nicht mehr für ihn. Wir glauben, er wird sich in England besser befinden; wenigstens wird seine Korrespondenz mit Wilhelm von Oranien dann geringere Schwierigkeit haben! Sein Name fällt unangenehm in unser Ohr!«

Souvré, der von Niemandem geliebt und geachtet war, selbst in dem Sinne, wie es bei Hofe gilt, wartete nicht, bis man ihn aus dem Salon stoßen würde. Er hatte schon lange das Versprechen, in England Schutz zu finden, wenn seine Spionerien entdeckt würden; er eilte nach dem Hotel Crecy, wo er wohnte, um seine Reise sogleich anzutreten. Die Polizei empfing ihn, seine Papiere waren in ihren Händen. Nach einem kurzen Prozesse beschloß er sein Leben in der Festung Rochefort.

Der Erzbischof von Cambray eilte nach Beendigung der Audienz durch die Gemächer des Königs nach einer offenen Gallerie, die in den Garten von Versailles führte. Bald sah[115] er den Gegenstand, den er suchte. Auf zwei Diener gestützt, versuchte Leonin, Graf von Crecy-Chabanne, ihm entgegen zu eilen. Der großmüthige Fenelon beschleunigte seine Schritte und hielt, die Seelenqual des Unglücklichen abzukürzen, mit freudigem Antlitz ein Pergament hoch in die Luft. »Begnadigt! begnadigt!« – rief er – »schließen Sie jetzt Ihren Frieden mit Gott; Ihr König verzeiht Ihnen!« Leonin stieß einen ächzenden Seufzer aus; Fenelon schloß ihn an seine Brust. –

Wenige Tage später erschien um Mitternacht vor den Thoren der Bastille ein verschlossener Reisewagen, mit einer kleinen Eskorte Bewaffneter in einfacher grauer Reisetracht. Nach Abgebung der Parole fuhr der Wagen in den innern Hof. Ein Herr, in seinen Mantel gehüllt, stieg aus und ward nach Reginald's Zimmer geführt.

»Mein Herr,« sprach er, sich vor Reginald verneigend – »ich bin beauftragt, Sie laut Befehl des Königs hier wegzuführen!«

»Wegzuführen?« rief Reginald; – »ist mein Prozeß entschieden?«

Reginald war fünfundzwanzig Jahr; er hatte ein Jahr hinter den Mauern der Bastille geschmachtet. Luft! Luft! – eine Wiese – ein Baum – eine Blume nur! seufzte seine schmachtende Seele. Jetzt sollte er fort – diese Mauern verlassen – aber zu welchem Zwecke? Sollte sein Todesurtheil vollstreckt werden? Sollte eine neue Festung ihn umschließen?

Fenelon hatte seinen Schüler in dieser schweren Zeit nicht verlassen; er hatte das Gefühl der Unschuld in ihm verstärkt, da er das Gefühl des Unglücks nicht aus seiner Seele nehmen konnte. Er stellte ihn klar zum Leben, in der geheimen Hoffnung, ihn für dasselbe wieder zu gewinnen. Von der Jugend unterstützt, konnte er in freier Thätigkeit, im Fleiße, in nützlicher Bestrebung, nach und nach das Leben sich ihm erhalten denken.[116]

»Ihr Prozeß ist entschieden,« erwiederte der Herr – »und ich bin Ihnen hoffentlich keine feindliche Erscheinung.« Reginald erkannte Herrn von Mauville.

»O, nein!« rief er lebhaft – »Sie waren vom ersten Augenblick an mein guter Engel!« –

»So folgen Sie mir auch jetzt voll Vertrauen!« – In kurzer Zeit war Reginald zur Abreise gerüstet; Beide bestiegen den Wagen. Die Thore von Paris lagen weit hinter ihnen, als der Morgen anbrach. Da erblickte Reginald bei den ersten Strahlen der Morgensonne die lang ersehnte Natur. Der Eindruck war überwältigend! Mit trunkenen Blicken sog er einige Minuten die Gegenstände ein; dann wendete er sich zu Herrn von Mauville, der mit antheilvollem Ausdrucke der Züge den schönen blassen Jüngling betrachtete. Den liebevollen, väterlichen Blick erkennend, warf Reginald sich laut weinend an seine Brust. Fremde Arme umschlangen den Jüngling! Er hatte von allen reichen Liebesbanden, die ihn seit seiner frühesten Jugend umgaben, Nichts behalten, als seinen Richter, der ein Mensch war!

In einer Hafenstadt machten die Reisenden Abends Halt. Reginald schlief einen langen, erquickenden Schlaf. Am anderen Morgen fand er Herrn von Mauville in besonders feierlicher Stimmung. »Bis hierher,« sprach dieser, »habe ich mich verpflichtet, Sie zu begleiten, theurer junger Mann! Man hat mich durch das Vertrauen geehrt, mit dem man mir die Vollziehung dieser Maaßregel überließ. Der König hat Sie begnadigt! Sie sind frei! Der Erzbischof von Cambray hat mir diesen Brief für Sie mitgegeben; er wünscht, daß Sie von Ihrem Vaterlande, bis auf die Erinnerung, Abschied nehmen mögen! Er fordert Sie auf, keine Verbindung mit demselben zu unterhalten, selbst der brieflichen Mittheilungen zu entbehren. Nur so, glaubt er, kann es Ihnen gelingen, ein neues Leben zu beginnen. Ihr Vater –«[117]

»Mein Vater?« rief Reginald, und eine glühende Wallung zeigte sich auf seiner Stirn. »Mein Vater wird den Wunsch meiner gänzlichen Vernichtung, der Beraubung aller Bande, die dem Menschen heilig und theuer sind, und ihn an sein Vaterland knüpfen, unterstützen! Er hat von mir Nichts mehr zu fürchten! Da ich es aufgeben mußte, für meine heilige Mutter Gerechtigkeit zu fordern, so hört für mich jeder Anspruch an ihn auf!«

Wehmüthig blickte Herr von Mauville den Jüngling an. Er wußte ihm wenig zu sagen und fürchtete sein zürnendes Gefühl durch Widerspruch noch heftiger zu erregen. »Der Graf Crecy war es,« fuhr er sanft fort – »der, durch die Vermittelung des Erzbischofs von Cambray, dem Könige das ganze Geheimniß Ihrer Geburt, Ihres traurigen Geschickes entdeckt; – und so dürfen Sie sagen, ist Ihrer Mutter Recht geschehen!«

Reginald's erglühtes Auge ruhte einen Augenblick voll Befriedigung auf Herrn von Mauville. »So mag ihm Gott verzeihen, wie ich ihm verzeihe!« rief er plötzlich tief bewegt.

»Darum sollte ich Sie bitten!« sagte Herr von Mauville; – »der unglückliche Vater fühlte keinen Muth, dem tief beleidigten Sohne selbst zu nahen.«

Reginald verhüllte sein Gesicht mit beiden Händen; Fennimor's Sohn weinte über den unglücklichen Vater. »Sagen Sie meinem Vater – sagen Sie ihm« – »Daß Sie ihm verziehen haben!« ergänzte Herr von Mauville die schluchzend herausgestoßenen Worte des Erschütterten.

»O, welch' ein Wort gegen einen Vater!« seufzte Reginald. »Sagen Sie ihm, daß ich gedenken wolle, er habe einst meine Mutter geliebt; – daß ich ewig gedenken will, wie er mich mit Sorgfalt erziehen ließ und wie viel Liebe er mir bewiesen. Aber wenn ich voll Schmerz zugleich behalten muß, wie er den Lockungen[118] der vornehmen Welt mit ihren empörenden Anforderungen und erlogenen Rechten erlag, so sagen Sie ihm, daß ich ihr einen tiefen, unversöhnlichen Haß geschworen; daß ich seine unnatürliche, entmenschte Familie hasse, und daß es mein Stolz sein soll, sie zu verläugnen und mich nicht mehr zu ihr zu zählen!«

»Ich darf Sie nicht fragen, wohin Sie zu gehen gedenken,« entgegnete Herr von Mauville; – »meine Bestimmungen lauten, dies nicht wissen zu wollen. Aber ich bin ein alter Mann; Sie sollen ihr Vaterland nicht verlassen, ohne den Segen eines Herzens, das Sie lieb gewonnen hat, wie einen Sohn.«

Reginald stürzte an seine Brust; Herr von Mauville segnete ihn in tiefer Rührung mit einer erschütternden Fülle hochherziger Worte. Dann entriß er sich plötzlich seiner Umarmung und enteilte dem schmerzlich bewegten Jünglinge.

Lange blieb Reginald regungslos auf seinem Platze. Wir können sagen, er erlebte einen großen Entwickelungs-Moment. Von allen Seiten nahete sich das Vorbereitete und ward zum Bewußtsein, das schnell die neue Form des Daseins bildete, und sie mit dem Inhalt einer ernsten, männlichen Erkenntniß erfüllte. Aber dessen ungeachtet seufzte das junge Herz: »Du bist allein!«

Als der Abend sank, redete ihn in schüchternen Lauten eine bekannte Stimme an; erschrocken fast sprang der Einsame auf. Es war sein treuer Kammerdiener, der sich ihm zu Füßen stürzte: »Nehmen Sie mich mit, gnädiger Herr! Verstoßen Sie mich nicht, sonst bricht mir das Herz!«

»Wie,« rief Reginald; – »Du willst den Verstoßenen – den Verbannten begleiten?« –

»Ja, Herr, bis in den Tod! Laßt mich nicht zurück, ich überlebe es nicht!« –

»So komm mit!« rief Reginald, und ein warmes Gefühl durchströmte sein Herz. Er war nicht mehr allein![119]

Die Reise war von dem sorgsamen Diener mit einer Umsicht vorbereitet, die seine Instruktionen verrieth. Als Reginald in den Wagen stieg, überreichte ihm der Kammerdiener ein Portefeuille; es enthielt ein bedeutendes Vermögen in Wechseln und Gold. Auf dem Umschlage standen die Worte: Das Vermögen von Fennimor Lester, verehelichten Gräfin Crecy-Chabanne.

Schaudernd verschloß Reginald die verspätete Urkunde der Gerechtigkeit. – »Hörtest Du nie von Emmy Gray?« fragte Reginald später. »Es sei die letzte Frage über die Vergangenheit; aber ich muß sie beantwortet haben, ehe ich das Land verlasse.« –

»Sie lebt – aber sie hat der Welt unerlöschlichen Haß geschworen; auch Euch wollte sie nicht wiedersehen! Der Herr Graf von Crecy lassen für sie sorgen, wie für eine Prinzeß.« –

Reginald änderte jetzt seinen Namen und blieb von da an verschwunden. Alle Bemühungen, ihn aufzufinden, scheiterten, wie wir es bereits wissen.


* * *


Wir wollen zu einer anderen Zeit dem Eindrucke nachfragen, den die Erzählung des Marquis d'Anville auf seine Zuhörer machte; näher liegt uns das junge Fräulein, das wir, von dem Arzte zu Madame St. Albans Hilfe herbeigerufen, in dem Vorflure des kleinen Thurmes verließen, der in die Zimmer der Mistreß Gray führte.

Trotz dem, daß der Arzt sie berufen, schienen dennoch über ihren Eintritt Schwierigkeiten obzuwalten; denn Elmerice hatte hinreichend Zeit, das ergreifende Schauspiel eines mit heftigen Ausbrüchen wild über die Erde dahin ziehenden Gewitters zu beobachten, und erst, als eine gleichmäßig graue Wolkenlage[120] einen frühen Abend herbeiführte, und der niederfallende feine und warme Regen die erschreckte und zerrissene Vegetation zu heilen schien, trat Asta zu der Harrenden und flüsterte ihr zu: »Bald! bald!«

Elmerice fühlte ihr Herz aufwallen; sie trat der Eingangsthüre näher und athmete bedürftig den Duft, der aus tausend kleinen, erquickten Kelchen balsamisch zu ihr aufstieg. Ihre Augen wurden naß, trotz dem, daß sie sich innerlich über eine Empfindung schalt, die ihr durch Nichts motivirt schien. Sie ward ungeduldig und wünschte um so lebhafter, in den bangen Zauberkreis eingeführt zu sein, den sie bald zu überwinden dachte durch Dienste, die sie leisten wollte. Auch sollte ihr Wunsch jetzt erfüllt werden. Asta war zurück geschlichen, mit ihr erschien der alte Arzt und führte sie stumm und leise durch die breite Flügelthüre, die sich geräuschlos in den Angeln drehte.

Obwol ein hoher, lang ausgestellter Schirm die Uebersicht des Zimmers hinderte, sah Elmerice doch an der weit ausgebreiteten Decke, daß sie in ein ungewöhnlich großes Zimmer trat. Der hohe Schirm bildete, wenige Fuß von der Wand abgestellt, einen verdeckten Gang, und als sie ihn, hinter dem Arzte hergehend, zurückgelegt, sah sie sich vor dem Bette der Madame St. Albans, die, auf Kissen gestützt, leise stöhnend darin ausruhte.

»Ach, Kind, Kind, ich habe es nicht gewollt, daß man Dich rief!« schluchzte Madame St. Albans leise. »Du armes Kind, wärest Du doch bei Deiner Gräfin geblieben! Was kommt nun Alles über Dich! Zwei Leichen wird es in kurzer Zeit geben; denn weder sie, noch ich, Keine von uns Beiden übersteht die Leiden!«

»Darum gerade ist es gut, daß ein Gesunder bei Euch ist,« erwiederte Elmerice freundlich, – »Ihr sollt bald erfahren, was gute Pflege thut.«[121]

»Ach,« sagte Madame St. Albans, fast verdrießlich, – »seid nicht so höflich mitten in dem Elende! Das kann Euch nicht von Herzen gehen; und ich habe nie den Leuten getraut, die so sehr höflich waren.« Grämlich lehnte sie sich in die Kissen zurück, als wolle sie Ruhe haben.

Elmerice wendete sich ab, wenig ermuthigt durch diesen Empfang, und sah in das Antlitz des alten Arztes, der, wie es schien, kaum ein lautes Gelächter bezwang.

»Da habt Ihr's!« sagte er, sie gegen eins der hohen Fenster führend, das mit dem Bette der Erzürnten in einer Reihe lag und eins der vier großen, breiten Fenster war, die diese Seite des Riesengemaches einnahmen. »Aber,« fuhr er fort, – »daran müßt Ihr Euch gewöhnen; ich habe lange gezaudert, ehe ich Euch zu diesen verrückten Weibern herbeschied; denn die Albans ist eine so kleine, jämmerliche Seele, die sich Wunder wie klug deucht, wenn sie Anderen nichts Gutes zutraut. Ich sage, solche sogenannte stille Leute, die immer thun, als wollten sie mit keinerlei Art von Verdienst in die Schranken treten, das sind innerlich die Tollsten, die sehen auf Alles mit Verachtung, was sie nicht verstehen; ihr Hochmuth macht sie bösartig.«

»Obwol ich Madame St. Albans bloß für launisch und nicht für bösartig halte,« sagte Elmerice – »habe ich doch von ihrer Weise schon manche Erfahrung gemacht, die mir jetzt zu Hilfe kommen wird.«

»Nur nicht zu gut, mein Kind! Schreit sie ein Paar Mal tüchtig an, das hilft mehr, als nachgeben. Bleibt Ihr immer sanft und freundlich, das versteht so ein Gemüth nicht. Weil sie selbst schreien und heulen würde, wenn man sie behandelte, wie sie Anderen thut, so hält sie Jeden, der es hinnimmt, für seiner Schuld überführt oder für falsch.«[122]

»Und doch,« lächelte Elmerice, belustigt von dem alten, klugen Manne, – »doch muß ich schon bei meiner Weise bleiben; es ist nicht so wichtig, daß sie mich versteht; aber ich würde mich selbst nicht verstehen, wenn ich ihr eben so erwiedern wollte, wie wir es ja an ihr nicht billigen. Ich werde weniger dadurch verletzt, wenn ich nicht darauf eingehe, und muß es leiden, wenn sie mich deshalb falsch schilt.«

»Ja, ja,« sagte der Alte, sie wohlgefällig anblickend, – »es giebt auch solche Weiberherzen! Ich kann sie wohl leiden, wenn ich dagegen den Anderen gern etwas auf den Leib hetze. Nun, mein Kind, ich werde zusehen, wie sie's machen, und komme schon zu Hilfe. – Jetzt will ich Euch sagen, daß Keine von den Beiden sterben wird, wenn sie im Bette bleiben; aber sehet, sie sind so krumm gezogen, so voll Gliederschmerzen, daß, wenn sie da nicht bleiben, ich für Nichts einstehen kann; denn alle Augenblicke wird es entzündlich, und die Alte liegt immer im Fieber. Das hält Einer in den Siebzigern auch nicht lange aus, wenn er gleich solchen Riesenkörper hat, wie sie. Bedurfte nun die Alte Etwas, was Asta nicht zu besorgen verstand, dann stand die Albans auf und that es; und da blieb die Geschichte, wie sie war, und Beide kommen mir von Kräften und können daran sterben.«

»Und hofft Ihr denn, lieber Herr,« rief hier Elmerice, angenehm überrascht, »daß Mistreß Gray sich von mir wird pflegen lassen?« –

»Davon kann vorerst bei Tage nicht die Rede sein; denn sicher litte sie es nicht. Aber sehet, in dem großen Himmelbette, da wird sie Euch nicht so bald entdecken, und nun ist Euer Geschäft, wenn ich nun doch einmal über Euch bestimmen soll, der Asta beizustehen, damit die Frau dort zu Bette bleiben kann, wenn es heißt, Umschläge kochen, Suppe oder Thee brauen, Wäsche wärmen, und was sonst noch vorfällt am[123] Krankenbette. Asta ist klug genug, es der Alten beizubringen; aber vorher will doch immer noch eine andere Hand dabei sein. – Und dann, mein Kind, des Nachts, da werdet Ihr zuweilen die Aeuglein aufhalten müssen; da tritt bei der Alten das Fieber ein, dann will sie aus dem Bette und redet Manches, worauf Ihr Nichts geben müßt; doch in dem Falle wird sie nicht merken, daß Ihr eine Fremde seid, und Ihr werdet sie beruhigen und im Bette festhalten können; denn sie ist schwach wie ein Kind. Der Frau aber da deutet an, ihre unnütze Geschäftigkeit wäre verboten; und weil Ihr entschlossen seid, von ihr zu leiden, so duldet ihren Widerspruch, aber haltet sie im Bett; ich werde dem Allen den gehörigea Nachdruck geben. – Und so segne Euch Gott, mein Kind!« fuhr er fort, und strich plötzlich mit der Freiheit eines alten Mannes ihr die Locken von der Stirn, und betrachtete sie zurückgebogen einen Augenblick mit seinen forschenden, runden Augen. Dann schüttelte er den Kopf und trat wieder an das Bett der Madame St. Albans.

»Frau,« sprach er – »betragt Euch jetzt vernünftig; ich habe Euch hier nicht das arme Fräulein hergeholt, daß Ihr an ihr Eure Launen und Tücken auslaßt. Was sie Euch sagt, müßt Ihr thun; denn das ist mein Wille, sonst könnt Ihr ins Gras beißen, und Herr Albans heirathet eine Andere. Na, das dachte ich wohl, nun geht das Weinen an; auf dem Punkte sind wir sehr empfindlich! Nun, ich sage Euch ja, thut, was ich von Euch fordere, und Ihr sollt tanzend und springend zum Herrn Gemahl zurückkommen!«

Ohne die schluchzende Entgegnung der Beleidigten abzuwarten, kehrte er sich um, und Elmerice, die noch immer an dem Fenster lehnte, sah mit Herzklopfen, wie er die Vorhänge des Bettes zurückschlug, in welchem die geheimnißvolle Alte ruhte.[124]

»Schickt die Ellen nach Haus, Doktor!« sagte eine rauhe, heisere Stimme; – »ich höre sie schon wieder schluchzen; ich will das lästige Weib nicht mehr um mich haben.«

»Zum nach Hause schicken gehören Zwei: Einer, der schickt, und Einer, der geht; zum Gehen aber gehören Beine, und die hat Ellen jetzt nicht; denn sie liegt lang aus, und hat das Gliederreißen, wie Ihr.«

»Daß Gott erbarm'! Warum kam sie denn her, wenn sie nicht besser war, als ich selbst?«

»Seid nicht undankbar, Emmy!« rief der Arzt; – »schon oft habe ich Euch gesagt, sie hat wie ein gutes Kind gethan; eine Andere, die so wenig von ihrer Mutter hätte, wie Ellen, würde nicht vom Krankenlager aufgestanden sein, um zu Euch zu kommen.«

»Jämmerliches – jämmerliches Menschenvolk!« rief die Alte. »Alles soll man Euch anrechnen! Geht – ich will nichts von Euch! Habe ich Euch doch oft gesagt, Ihr sollt mich lassen; denn ich kann Keinem mehr was sein und will daher auch Nichts annehmen; denn was thätet Ihr wohl umsonst? Für Alles soll man Euch dankbar sein – und hier ist Alles trocken in mir – ich habe für Euch Nichts übrig!«

»Wir wissen das,« sagte der Arzt – »Ihr seid eine halbe Wilde; – und Gott richte es! Nehmt nur ordentlich ein, dann habt Ihr uns bald Alle nicht mehr nöthig.« Dann bog er sich nieder; er schien ihren Puls zu fühlen. »Das Fieber kommt schon wieder; haltet Euch ruhig, das darf nicht oft mehr kommen!« –

»Laßt es kommen, so oft es will! Gottes Wunder, daß es noch in diesem morschen Leibe was auszudorren findet! Es ist ein schlechtes Fieber, wovon Ihr solch' Aufhebens macht; es thut nicht seine Schuldigkeit; ich bin's müde und satt und möchte es fördern, statt lindern.« –[125]

»Alte Sünderin!« rief der Doktor ungeduldig und riß die Vorhänge zu. Kurz grüßte er darauf Elmerice und war aus dem Zimmer verschwunden.

Ein augenblickliches Grauen beschlich diese, als sie sich ohne seinen kräftigen Beistand hier plötzlich allein fühlte. Die Reden der alten Frau, so bös und finster, hatten sie tief bewegt; sie fühlte, wie schwer es sein müßte, diesem Herzen zugänglich zu werden; aber sie hätte Viel darum gegeben, wenn sie den Versuch hätte machen dürfen. Dieser tiefen Verachtung, diesem Mißtrauen entgegen zu treten, sie zu versöhnen – diese jugendliche Schwärmerei erfüllte ihr Herz und Kopf.

Doch störte das fortgesetzte Schluchzen der Madame St. Albans ihr Nachdenken. Sie trat daher zu ihr, und ohne den Gegenstand ihrer Trauer weiter zu berühren, sagte sie ihr, sie möchte sich doch die Vorhänge lüften lassen, und that es zugleich, indem sie ihr auch die Kissen besser legte, das Haar unter die Haube schob und ein Getränk reichte, was Asta ihr stillschweigend andeutete.

Dies hatte bald die Folge, daß Madame St. Albans ruhiger ward; und obwol kein gutes Wort über ihre Lippen kam, so schien sie doch nachgiebiger in ihren Bewegungen zu werden. Auch blieb das letzte Beruhigungsmittel endlich nicht aus, und sie lag bald schlafend vor Elmerice's Augen. Jetzt gab diese ihrem Verlangen nach, sich mit dem Raume bekannt zu machen, der sie mit so besonderem Interesse erfüllte.

Es war ein so ungewöhnlich großes Zimmer, daß es nothwendig die ganze Tiefe des Seitenflügels, in welchem es lag, einnehmen mußte. Dies schienen zwei große Flügelthüren zu bestätigen, die zu beiden Seiten eines riesigen, marmornen Kamines lagen und die Wand einnahmen zwischen den Fensterwänden, und die in das Innere des Baues führen mußten, wahrscheinlich zu verschiedenen Zimmerreihen gehörend, die von[126] beiden Seiten des Flügels Licht bekamen; denn jetzt sah Elmerice auch, daß, den geöffneten Fenstern gegenüber, eine eben solche Reihe angebracht war, die vermuthlich in den Hof sah, doch jetzt mit Läden dicht verschlossen war.

Die Decke war ein Kuppelgewölbe, so schwer mit Stuckatur und geschwärzten Gemälden verziert, daß man ohne Schauder kaum die kolossalen Engel niederschweben sehen konnte, die, an schweren Blumenketten hängend, jeden Augenblick herabzustürzen drohten. Die Tapeten aber, von hochrothem Damast, mit weißen Blumen durchwirkt, waren noch wohl erhalten; eben so zeigten die Vorhänge der Fenster, des großen Himmelbettes von demselben Stoff, alle ihren Werth in ihrer Dauer. Wunderlich stach dagegen die Einrichtung ab, die das Bedürfniß der alten Frau hinzugefügt. Im Kamine stand ein Schränkchen mit hellpolirtem Zinn, Brennholz war daneben aufgehäuft und hölzerne Geräthe. Auf der anderen Seite bildete ein hoher Lehnstuhl von Ebenholz, mit Gold und Silber ausgelegt, den Gegensatz. Die Kissen waren, wenn auch verwittert, doch von kostbarem Stoffe; davor stand auf einem türkischen Teppich ein werthvolles Spinnrad mit aufgezogener Wolle, daneben ein kunstreiches Tischchen mit einigen Andachtsbüchern; weiter entfernt befand sich ein Gestell, wo hinter wenig zureichenden Vorhängen die geringe Garderobe aufbewahrt war, und daneben zeigte sich ein prachtvoller Schrank mit vielen Schlössern, der in seiner kostbaren Arbeit zu dem Armstuhl und Tischchen zu gehören schien.

So bildete Alles, was sich dem Auge darbot, einen Gegensatz, der unter anderen Umständen Elmerice vielleicht verletzt hätte; jetzt aber nur ihren Antheil weckte und den lebhaften Wunsch erregte, sich allen diesen Dingen nahen zu dürfen. Besonders aber hafteten ihre Augen auf den fest geschlossenen Thüren, von denen sie wußte, daß sie in die Gemächer der ehemaligen Gebieterin der alten Mistreß Gray führten. Doch trat[127] bald eine Dunkelheit ein, die ihr die Gegenstände entzog; und da Madame St. Albans durch Seufzen und Stöhnen ihr Erwachen andeutete, versuchte sie der Leidenden Hülfe zu leisten.

Asta dagegen lief ab und zu an das Bett der alten Frau, welche endlich begehrte, daß Feuer in den Kamin gelegt werde, um Licht zu bekommen. Es geschah, und wurde für Elmerice eine große Wohlthat, da die hoch aufwallende Flamme jeden Winkel erhellte.

Asta wies ihr nun freundlich bedienstlich ein altmodisches Sopha, mit Polstern und Decken belegt, das hinter dem Schirme stand, zur Nachtruhe an, und öffnete ein kleines Wandthürchen, das in ein kaum zehn Fuß messendes Kämmerchen führte, worin sie auf einem kleinen hölzernen Tisch einige einfache Mundvorräthe aufgestellt hatte, die wahrscheinlich Veronika gesendet. Dieser ganz leere, von rohem Mauerwerk aufgeführte Raum hatte eine Wohlthat für Elmerice – ein fast bis zur Erde reichendes Fenster, das geöffnet war und die warme Nacht genießen ließ, die mit völlig aufgehelltem Himmel und einem Meere glänzend funkelnder Sterne erquickend zu ihr niederschien. Asta hatte das Tischchen dicht vor das Fensterbrett geschoben, auf dem Elmerice sich niedersetzen mußte, da kein Möbel weiter vorhanden war; und sie fühlte zu sehr, wie das geschickte Kind bemüht gewesen, ihr Angenehmes zu erzeigen, als daß sie nicht der kleinen Mahlzeit zugesprochen hätte. Auch hier war dieselbe widersprechende Ordnung: ein silberner Teller und ein hölzernes Geschirr mit Milch, ein feines, damastnes Tuch und ein irdenes Gefäß mit Honig, ein goldener Löffel und ein eisernes, aus der Scheide gebrochenes Messer; das Brod lag in einer japanischen Vase und die Butter in grünen Blättern auf dem zerbrochenen Deckel derselben. – Asta sah dennoch wohlgefällig auf ihr Tischchen hin; – ihre junge Gefährtin lobte Alles sehr freundlich und genoß von Jedem, der Kleinen ihr Theil aufnöthigend.[128] Auch lag für Elmerice ein besonderes Interesse in dem Anblick dieser Gegenstände; und als hätte ein Alterthümler in den Schachten der Erde die Reste eines vergessenen Jahrhunderts gefunden, so betrachtete sie Alles und hielt die werthvolleren Geschirre zum Fenster hinaus, um sie besser erkennen zu können; und besonders erforschte sie, wie ein Heraldiker, das Wappen des Tellers, das die ihr doch unbekannten gekrönten Geier des Crecy'schen Hauses enthielt.

Endlich erinnerte Asta sie an ihre nächste Pflicht; denn das arme, überwachte Kind, für das Niemand gesorgt, schlief nach der erquicklichen Mahlzeit und von Elmerice's Nähe in Ruhe versetzt, bald fest ihr gegenüber ein, und sie umschlingend, führte sie die Kleine halb bewußtlos nach dem Sopha, das für sie bereitet war, und flüsterte der ängstlich Ankämpfenden zu, sie werde für sie wachen.

Tiefe Stille umgab Elmerice nun. Leise, mit großen Umwegen schlich sie nach dem Kamin und legte seitwärts einige stärkere Schichten Holz auf, das Ausgehen der tröstlichen Flamme zu verhüten. Sie nahm dann ihren Platz so, daß sie beide Krankenbetten beobachten konnte, und ließ die Stunden vorüberstreichen, ohne Müdigkeit zu empfinden. Madame St. Albans schien zu schlafen; aber Elmerice sah mit unbeschreiblicher Spannung, daß sich die Vorhänge vor dem Bette der alten Gray beständig bewegten, als regte Jemand sich dahinter hin und her; dann blieb es einen Augenblick ruhig. Allein plötzlich öffneten sich die Vorhänge vorsichtig; ein wunderlich vermummter Kopf fuhr hervor und wendete sich in allen Richtungen, wie es schien, um zu sehen, wie es außer dem Bette stände. Obwol Elmerice jede Bewegung sah, wußte sie sich doch hinter den bauschigen Fenstervorhängen hinreichend verborgen und lauschte mit klopfendem Herzen, was weiter geschehen würde. Die gemachten Beobachtungen schienen der Kranken zuzusagen; denn[129] sie nickte mit dem Kopfe und schob behutsam die Vorhänge weiter von einander. Elmerice sah deutlich eine aufgerichtete Gestalt, und nach wenigen Augenblicken schob sich eine alte, gekrümmte und dennoch große Frau hervor, die einen weiten dunkeln Pelzmantel um sich geschlagen hatte, und deren Füße mit Tuchsocken bezogen waren, die ihre Wanderung, die sie jetzt mühselig antrat, so geräuschlos machten, daß sie ein körperloses Wesen zu sein schien. Hier wäre der Moment gewesen, wo Elmerice, den Bestimmungen des Arztes zu Folge, hätte einschreiten müssen; aber hierzu fehlte ihr um so mehr der Muth, da die Handlung von ihr offenbar eine wohlüberlegte, nicht durch Fieberhitze eingegebene war; und so blieb sie eine unthätige bange Zeugin dieses Verfahrens.

Die Alte schien in ihrem großen Hause von Bett Alles verborgen zu haben, was sie zur Ausführung ihres Willens nöthig hatte; denn außerdem, daß ihre Kleidung warm und ausreichend war, sah Elmerice auch jetzt einen Stock in ihrer Hand, dessen Spitze vorsichtig umwickelt war. Und doch trug er sie kaum! Mit welchem Antheile sah Elmerice, wie sie wankte, oft wie zusammenbrechend stehen blieb und so mühvoll den weiten Weg zurücklegte, der sie gegen die Thüre führte, die zunächst den unverwahrten Fenstern lag. Wie gern wäre sie ihr zu Hülfe gekommen und hätte sie gestützt; denn schon fesselte das geheimnißvolle Wesen so ihr Herz, daß sie ihrem Willen sich unwillkürlich zuneigte, ihn höher achtend, als ihre empfangenen Vorschriften.

Die Alte blieb jetzt seitwärts am Kamine stehen, öffnete eine Feder in dem schönen Schranken, die ein Fach hervortreten ließ, aus welchem sie eine dicke, gelbe Wachskerze und einen Schlüssel zog; mit Mühe zündete sie das Licht an dem Feuer an und ruhete dann gänzlich erschöpft, wie es schien, einen Augenblick in dem hohen Lehnstuhle. Welch' ein schauerliches[130] Bild war ihr Anblick! Ihr starres, abgezehrtes Gesicht war von der Kerze in ihrer Hand scharf beschienen, während das Feuer eizelne, grellere Lichter darüber hinjagte. Sie hatte die Augen geschlossen, und die Ermattung der Krankheit rang mit der fast krampfhaften Festigkeit, mit der sie Kerze und Schlüssel gefaßt hielt. Bald öffnete sie auch wieder die kleinen, versunkenen Augen, und noch ein Mal prüfend umherblickend, erhob sie sich mühsam und erreichte die geheimnißvolle Thüre. Der Schlüssel faßte geräuschlos das Schloß, die Thüre öffnete sich, die Alte schritt über die Schwelle; und ehe sie dort Fuß gefaßt, blieb Zeit genug, den geöffneten Raum zu erkennen. Aber tiefe Nacht herrschte dort; die eine Kerze erhellte nur die Thüre, die von Innen, wie von Außen reich vergoldet war – dann schloß sie sich hinter der Alten. –

Mit welcher Bangigkeit harrte Elmerice ihrer Wiederkehr! Es schien ihr eine Stunde – da öffnete sich abermals die Thüre; das Licht beschien den gramvollen Ausdruck des bleichen, alten Gesichts. Langsam ward Alles verwahrt, und nach einiger Zeit verhüllten die Vorhänge des Bettes das ganze geheimnißvolle Treiben. –

Elmerice wußte sich kaum Rechenschaft zu geben von der Empfindung, mit der sie am anderen Morgen das Erlebte gegen den alten Arzt verschwieg, da sich Veranlassung genug zeigte, es ihm mitzutheilen. Schon fühlte sie sich der unglücklichen Alten verbindet; es schien ihr, sie habe eine Berechtigung zu ihrem Verfahren, das Andere nicht zu beurtheilen verständen; und das wider Willen abgelauschte Geheimniß verpflichte sie zum Schweigen.

Auch war die Aufmerksamkeit des Arztes an diesem Morgen mehr auf Madame St. Albans gerichtet, die, vom Fieber immerfort bewegt, ihn zu beunruhigen schien. Er saß sinnend, ängstlich ihren Puls prüfend, nahm endlich[131] Elmerice in das kleine Nebenstübchen und schüttete ihr seine Gedanken aus.

»Das ist seit gestern nicht mehr dasselbe,« sagte er; – »das wird ein Zehrfieber! Eine schlimme Sache, mein Kind – und welche Lage für so ein Krankenbett! Damit nützt sie der Alten nicht, und Beide belästigen einander. Was fangen wir aber an – verdreht wie Beider Köpfe sind?«

»Sprecht mit Veronika, lieber Herr,« rief Elmerice – »ob sie nicht Madame St. Albans zu sich nehmen will und pflegen; dann bleibe ich bei der alten Mistreß Gray und pflege sie allein.«

»Wo denkt Ihr hin?« lachte der Arzt; – »Ihr kennt die Alte nicht; das brächte sie nun vollends zum Rasen; – dem kann ich Euch nicht aussetzen, das hat sie noch nie geduldet.«

»Wagt es dennoch!« sagte Miß Eton lebhaft; – »ich habe eine Zusage in mir, daß sie mich dulden wird. Madame St. Albans muß gerettet werden; eine andere Pflege ist bei der armen Alten nöthig, und also Gott befohlen! Ueberlaßt es mir, ich werde durchsetzen, was ich will. Sie muß – sie soll – sie wird mich dulden!«

Der Arzt sah in Elmerice's sich röthendes Angesicht; er erstaunte über die Energie des jungen Mädchens, und Elmerice, die seine Gedanken aus seinen Zügen lesen konnte, lächelte und sagte: »Das dachtet Ihr nicht! Ihr wollt mir den Muth nicht zugestehen, den ich habe. Nun, erfahrt es denn durch das, was ich leisten werde; laßt alle Zweifel ruhen und thut lieber ohne Zeitverlust, was nöthig ist.«

»Du bist ein prächtiges Mädchen!« rief der Arzt. – »Weiß Gott, Du sollst Deinen Willen haben! Ordentlich neugierig bin ich, wie Du es treiben wirst; – und es ist wohl möglich, daß, soll es wem gelingen, es Dir gelingt!« –[132]

Von Madame St. Albans Einwilligung konnte nicht die Rede sein; sie hatte kein klares Bewußtsein. Veronika war zu Allem erbötig, obwol voll Sorge für Elmerice.

Am Nachmittage stand ein Lehnstuhl an Tragstangen gebunden, in dem kleinen Vorflure; in Betten und Decken gehüllt, ward die Kranke hinein getragen, und der Zug nach dem Pfarrhause begann unter Aufsicht des Arztes und der treuen Veronika.

Als Elmerice sich mit ihrer kleinen Gefährtin allein sah, kam eine wunderbare Ruhe, ja, mehr wie das, eine Befriedigung und Freude über sie, deren Grund sie nicht nachfragte, sondern mit dieser Kraft in ihrer neuen Stellung ganz vertraut zu werden suchte. Zierlich wußte sie die Verwirrung zu beseitigen, die sich nach und nach um zwei Krankenbetten angesammelt hatte. Der kleine Raum, der ihr zum Eßzimmer diente, war unschätzbar wegen seines Luftstromes, seiner sonnigen Helle. Veronika hatte ihr ein frisches Bett – einige Bücher – ihren Schreibapparat herbei geschafft; Alles ward dem vorhandenen, ausreichenden Raume mit seinen reichen Möbeltrümmern angepaßt und gewann bald ein klares, wohnliches Ansehen. – Der Abend war so über Beide unmerklich hereingebrochen, und die Alte hatte in dieser Zeit keine Störung veranlaßt, da es die Zeit ihres Schlafes war. Asta verließ nun das Schloß auf Veronika's ausdrücklichen Befehl, um Mundvorräthe einzuholen, und Elmerice hatte sich auf den breiten Fensterrand in das kleine Kabinet gesetzt, und das Tischchen mit Schreibzeug vor sich gestellt, um ihr Tagebuch an Marie Duncan fortzusetzen. Wie wohl that es ihr dabei, daß sie das Lager der alten Menschenfeindin hatte umschleichen können, so Manches für sie bewirken dürfen, ja, der fest Schlafenden eine blühende Rose durch die Vorhänge schieben können, deren süßen Duft sie nun wider Willen einathmete. Den silbernen Becher hatte sie ihr zuerkannt;[133] er stand auf dem silbernen Teller, mit wohlschmeckendem gemischtem, frischem Quellwasser; umher lagen einige der schönsten, reifen Früchte, welche ein Aroma verbreiteten, wie Blumen. Alles war auf dem feinen Ebenholztischchen so aufgestellt, daß eine leicht verschobene Falte des Vorhanges es ihr zeigen mußte, wenn sie erwachte. Elmerice lachte vor Freude, als sie damit fertig war, und ihre Augen wurden naß. Dies uneigennützige Werben um das arme, versteinerte Herz that ihr so wohl, als ob es mit Banden des Blutes an sie geknüpft sei.

Ehe sie aber zum Schreiben überging, nahm sie die Aussicht wahr, die sich ihr von dort aus darbot, und sie sah, daß sie einen Theil des Bauwerkes übersehen konnte, unbehindert des weiten Blickes, den sie in das Thal von Ste. Roche hatte. Vergessen war die Feder. Mit der gespanntesten Aufmerksamkeit suchte sie, was sie über das alte Schloß erfahren, an das anzuknüpfen, was sie von dem Baue vor sich erblickte. Die lange Reihe der Fenster, zu der auch das gehörte, worin sie saß, endete an einem runden, vortretenden Thurm, an dessen mittleren Fenstern ein kleiner Altan hervorsprang. Elmerice hielt den Athem an; ihre Wangen glühten; – das mußte der Eudoxien-Thurm sein! Am Fuße desselben grünte und blühte ein schmales Gärtchen, welches auf der hohen, wallartigen Untermauerung, die in das Theil reichte, angelegt war. Es war nicht künstlerisch von Gärtners-Hand geordnet; doch hatte es der Pflege nicht entbehrt. Der Eingang dazu mußte aus Fensterthüren sein, die in der verschlossenen Zimmerreihe lagen, die Emmy Gray behütete. Zwischen Rosenstämmen, die, angebunden und beschnitten, von einer sorgenden Hand zeigten, sah Elmerice sich einen Hügel wölben, mit zartem Rasen überdeckt; darauf ruhete ein Gegenstand – leuchtend – weiß; – er hob sich von der Erde ab, wie Menschenformen! Ihr Athem stockte; undeutlich verwirrten sich in ihr Begriffe und Gefühle.[134] Die Brücke der Phantasie, wie wir mit kluger Wägung auch den Ankergrund ihr rauben, ist nie ganz zerstört; sie harrt der Gelegenheit, um immer wieder leicht, von unbekanntem Material erbaut, sich aus dem tiefen Grunde des sehnsüchtigen Herzens vor uns zu erheben und, Sicherheit verheißend, den schönen Bogen in das Wunderland der Fabel hin zu senken, den Weg uns lockend zeigend, den wir bereit sind einzuschlagen, ohne Nachweis zu fordern vom warnenden Verstande, dessen ganzes Reich die zarte Brücke in den Lüften überwölbend deckt. Elmerice hoffte; wer mag um Rechenschaft sie fragen? Sie stand auf dem leichten Brückenbogen der Phantasie – und Alle, die dort stehen, hoffen, der Verstand habe sich geirrt! – Auf der Fensterbrüstung stehend, die schlanke Säule des Fensterkreuzes umschlingend, sich an ihr vorbeugend – so waren ihre Augen auf den geheimnißvollen Gegenstand gerichtet, während Stimmen und fröhliches Gelächter zu ihr drang, dem sie noch immer das Recht der Aufmerksamkeit versagte. Doch näher kam es; Pferde wieherten – sie schrak zusammen – ihre Augen folgten den Tönen – einem Wunder glich auch, was sich jetzt ihr darbot! Eine fröhliche Gesellschaft zu Pferde, von Herren und Damen in reicher modischer Tracht, von Dienern in kostbaren Livreen gefolgt, zog durch den Thalweg am Fuße des Walles vorüber. Erstaunt blickte sie zu ihnen nieder; da ward ihr klar, daß sie der Gegenstand der Beobachtung Aller sei, daß ihr weißes Kleid, vom Abendwinde leicht bewegt, die Blicke zu ihr hingezogen, daß vielleicht in dem verfallenen, menschenleeren Theile des Schlosses ihr Anblick bei den Vorüberziehenden gleiche Gefühle erregte, als die, deren sie sich eben bewußt geworden war. Obwol die Höhe ein Erkennen unmöglich machte, schrak doch ihr Herz zusammen, und schnell tauchte sie nieder und dankte Gott, als die Gebüsche sie verhüllten. Nicht so schnell schien man unter ihrem Fenster sich zu beruhigen. Sie hörte[135] länger noch den Wechsel lebhaft sich unterbrechender Stimmen und wagte, obgleich hinreichend verborgen, doch erst frei zu athmen, als sie den Hufschlag der davon eilenden Pferde hörte. So vernahm sie mit wahrer Erleichterung Asta's leises Klopfen an der stets verschlossenen Thür, und auch diese trat so bang bewegt herein, als werde sie verfolgt, und Elmerice gewahrte, daß die kleine Eingangsthüre zur Treppe schon fest verschlossen war.

»Was ist geschehen?« fragte sie das bewegte Kind; – »was hast Du?« Und Asta hätte die Frage zurückgeben können, so bewegt sah Elmerice auf ihre kleine Gefährtin, so sicher trug sie die Spuren ängstlicher Neugier.

»Ach,« sagte Asta, – »was muß im Schlosse los sein? Zur Nacht soll es in einem Feuer glänzen, als hielten Geister dort ihr Fest; – und bei Tage gehen Gestalten aus und ein, wie Keiner sie je gesehen – welche ganz von Gold – Andere in bunten Kleidern, wie die Feen sie tragen! Dann singen sie und halten Tafel; – ach, und das Alles uns so nah – wie schrecklich! Was soll aus uns wohl werden? Da hält ja kein Schloß, wenn sie wollen! Gut, daß ich das Stückchen Kohle hatte – ich habe das Kreuz über die Thür gezogen – das ist die einzige Rettung!«

Sinnend hörte Elmerice den Bericht an, und nachdem sie ihn in ihre Sprache umgesetzt hatte, erkannte sie, daß das Schloß von der Gesellschaft bewohnt sein müsse, die sie so eben am Fuße des Walles erblickt habe. Aber wer konnte das sein? Sie hatte von der Herrschaft dieses Schlosses noch nie gehört; – wer anders konnte jedoch mit so großem Eigenthumsrechte hier walten?

»Beruhige Dich, Asta,« sagte sie – »das sind Menschen, die das Schloß bezogen, wenn ich auch nicht weiß, wer hierzu das Recht hat. Eben vom Fenster sah ich sie zu Pferde einherziehen; sie hatten ein eben so menschliches Ansehen, als Du[136] und ich; sie waren nur, wie reiche Leute hohen Standes, kostbar gekleidet.«

Asta wagte einen Blick zu Elmerice, der alle die Zweifel des erschreckten Kindes, so wie die schüchterne Warnung enthielt, doch so Natürliches nicht zu glauben! Doch schwieg sie bescheiden, heimlich wohl sich mehr auf das Kreuz verlassend, als auf die Einsicht ihrer jungen Gefährtin.

Diese empfand jedoch in anderer Beziehung eine Unruhe, die Asta freilich nicht theilen konnte; denn plötzlich schien ihr ihre ganze Lage unpassend, besorglich. Die bängste Befürchtung für ein weibliches Herz – unbeschützt in zweideutige Verhältnisse zu gerathen – ergriff sie. Diese waren möglich, wenn der Eigenthümer plötzlich die Rechte Emmy Gray's verletzte und den Raum in Anspruch nahm, der bis dahin mit seinen unangerührten Rechten auch Elmerice und ihr gewagtes Unternehmen verhüllte. Doch war sie zu jung, als daß nicht diese ersteren Gedanken sich von der Frage durchkreuzt gefunden hätten, wer die zierliche Gesellschaft sein könne, die sie wieder in die Kreise zurück versetzt hatte, die sie seit dem Abschiede von Ardoise entbehrt.

Näher rückte ihr indeß ihr jetziges Verhältniß durch den harten, lauten Ruf der Alten, die nun zur Nacht, aus ihrem Schlaf erwachend, ihr krankhaftes Treiben zu beginnen schien.

»Asta,« rief sie – »wer hat dies aufgestellt? – Ist Ellen aus dem Bette?«

Asta sagte, sie wüßte Nichts davon, und Madame St. Albans sei zu Veronika gegangen, weil sie das Fieber stärker bekommen. –

»Nun, wer gab denn das? Warst Du der kecke Page, der wider meinen Willen sich hier breit gemacht?« –

»O nein! o nein!« rief Asta; – »ich weiß Nichts davon!« –[137]

»Schweige, Thörin,« rief die Alte, – »die Furcht macht Dich zur Lügnerin!«

Die Kleine schwieg. Wieder mußte sie das Feuer schüren, dann gebot sie ihr zu gehen.

Elmerice wies Asta stumm ihr Lager von vergangener Nacht und setzte sich an ihrem Bette nieder, um dem armen Kinde die erregte Furcht abzuwehren. Bald schlief sie sanft, und Elmerice setzte sich nun an das Lager der alten Emmy, von den dichten Vorhängen, die es umgaben, verdeckt.

Kein Schlaf kam mehr über die Kranke, und Elmerice konnte die ungewöhnliche Gemüthsbewegung der Alten erkennen, die in einzelnen Worten ausbrach, und zwar in Worten der alten Heimat-Sprache, von schweren Seufzern unterbrochen: »Asta war es nicht, – ich glaube es – sie log nicht – Ellen ist weggebracht – wer bleibt nun übrig? – Gerade, wie mein Engel es that – die Rose – und dann die Früchte – ach, mein Engel, warst Du hier? Warum erquicktest Du mein Auge nicht – bin ich es nicht werth, daß ich Dich auch schaue – die Rose zeigt doch Deine Liebe – Dein Mitleiden! – Sprich, hab' ich Recht?«

»Ja!« sprach Elmerice, von ihrem Gefühl überrascht, in derselben Sprache; – »ich möchte Dich gern trösten!«

Ein Entzückenslaut, Schreck-gebrochen, war die Antwort. »Sprich, sprich noch ein Mal – das ist süßer, wie Engelgesang! Laß' mich den lange ersehnten Ton noch ein Mal hören!« – Kaum war die Stimme Emmy's, die so kindlich bat, in dem weichen, belebenden Tone zu erkennen.

Elmerice glühte vor Liebe und Eifer; sie eilte vor und knieete jetzt schon neben dem Bette. »Fasse Dich! Vertraue mir! Ich bin gekommen, um Dich mit Gott und Menschen zu versöhnen durch meine reine, uneigennützige Liebe!«

»O mein Engel – laß' die Menschen!« rief Emmy – »beflecke damit Deine reinen Lippen nicht; – sag' mir nur das[138] Eine – dürfte ich Dich wohl schauen? Bist Du bloß ein süßer Ton – oder umgiebt Dich noch ein wenig von dem lieben, schönen Engelsleibe? – Darf ich Dich sehen?«

»Und wenn Du mich siehst,« sagte Elmerice – »wirst Du nicht erschrecken? Werden Dir meine Züge nicht fremd und störend sein?«

»O nein – nein!« rief Emmy dringend – »Deine liebe Stimme ist ja dabei!«

»So ziehe den Vorhang auf – ich kniee an Deinem Bette.«

Elmerice in ihrem weißen, faltigen Kleide, das schöne, von Bewegung erblaßte Angesicht von braunen Locken, wie von einer Glorie, voll umspielt, die tiefen blauen Augen mit der schönen Begeisterung der Menschenliebe zu ihr aufgeschlagen, kniete in dem hellen Lichte des Feuers, glänzend wie ein Cherub, vor den anbetenden Augen der in starres, entzücktes Anblicken aufgelösten, alten Frau.

Beide schwiegen lange. Elmerice schien sich bis in den tiefsten Grund dieser kranken Seele drängen zu wollen. Emmy sog mit langen, durstigen Zügen den Anblick ein, der die öden, verschmachteten Jahre löschen sollte in dem alten Wonnerausche – gefesselt von der geheimen Angst, er werde ihr im nächsten Augenblick entschwunden sein.

Da rollten aus den blauen Augen des holden Wesens große Thränen über die bleichen Wangen, und die Alte erbebte vor diesem Zeichen der Sterblichkeit.

»Du weinst,« sagte sie; – »weint man denn dort, woher Du kommst, dieselben Thränen?«

»Ach,« sagte Elmerice – »woher denkst Du, daß ich komme? In Deinem England, woher ich komme, weint man dieselben Thränen.«

Emmy zuckte zusammen und ergriff mit beiden Händen ihre Stirn. »Kann es denn sein?« fragte sie zagend. »O[139] sprich,« fuhr sie leise bebend fort – »bist Du mein Herzenskind – der Abgott meines Lebens – bist Du Fennimor?«

»Fennimor? Fennimor hieß meine Großmutter,« rief Elmerice.

»Deine Großmutter? – Du – Du bist nicht Fennimor?« stöhnte Emmy Gray, – »Bedenke Dich, Kind,« rief sie mit halber Geistesverwirrung – »Du hast ihre blauen Augen – das sind ja ihre braunen Locken – ihre runden Kinderwangen – ihre langen, weißen Finger – so trug sie den Kopf halb zur Seite geneigt. Ach, sage doch – gestehe es doch ein – sieh, das sind ja Fennimors Thränen – da schimmern ja ihre kleinen, weißen Zähne! – Du wirst doch nicht nein sagen? Denke doch – denke doch!« Ein lautes, krampfhaftes Schluchzen zerriß Emmy's Brust – sie verhüllte ihr Gesicht.

Elmerice bebte und dachte an Nichts, als an den Trost, den sie mit ihrer Liebe ihr zu geben trachtete, mochte sie ihr auch gelten, für was sie wollte.

»Emmy, Emmy Gray! Ich will Alles sein, was Du willst; – Deine Fennimor – oder ihre Enkelin – ich will Dich lieben, wie Beide! Nur weine nicht mehr – und vertreibe mich nicht von Dir; – laß mich bei Dir – nie will ich von Dir gehen – nur weine nicht; – das bricht mir das Herz.«

Die Alte gab den zarten Händen nach, welche die ihrigen wegzogen, und erfaßte mit neuem Vertrauen den süßen Wahn, den jeder Zug, jeder Ton des lieblichen Wesens ihr bestätigte.

»Komm, mein Engel!« sagte sie leise – »ich schließ Deine Zimmer auf – Du sollst sehen, wie gut ich sie gehütet habe – da ziehst Du ein – Du, die Herrin dieses Schlosses! Ich will aufstehen und Dir Dein Bettchen machen – es ist Alles gelüftet, an die Sonne gekehrt und geklopft – ich lege Dir das kleine Kissen unter Dein Köpfchen, wie Du es liebst – der Fußschemel mit der seidenen Decke steht vor dem Bettchen.[140] Ach, weißt Du wohl noch, wie Du mit Deinen kleinen Füßen darauf schlugst, als wolltest Du unartig sein und lächeltest doch dazu, daß ich all Deine kleinen, weißen Zähne sehen konnte! Komm nur, mein Engel – hast Du auch schon Deine Milch getrunken und Dein Obst gegessen? – Komm nur – ich bringe es Dir – ich habe Dir Alles aufgehoben – Deine schönen Tellerchen und Täßchen – es ist spät – Du mußt schlafen gehen.«

Unaufhaltsam, wie ihr ganzer Karakter, folgte Emmy dem Strom ihrer Phantasie. Diese blühende, jugendliche Fennimor, die kein Zeichen der Krankheit trug, versetzte sie schnell in die Zeit der Jugend ihres Lieblings, wo sie ihrer Pflege allein anvertraut war, und der neckende Frohsinn dieses lieblichen, jungfräulichen Kindes ihr Herz entzückt hatte. Mit leisem Drucke wies sie Elmerice von ihrem Lager, um aufzustehen und auszuführen, was sie so eben ausgesprochen.

Die Taufe, die diese so eben mit Fennimors Namen bekommen, schien sie auch in den Bann von Emmy's Gefühlswelt zu ziehen. Wir sehen sie stumm, freundlich hingebend an die Phantasien der armen Alten sich anschließen und betrachten ihre Hingebung, ohne sie mit anatomischen Finger berühren zu wollen; selbst eine Ahnung ihres Busens, die sie in vergeltender Liebe der Alten unterordnete, gern möglich haltend.

Bald stand Emmy, wie in vergangener Nacht, gerüstet; aber sie wankte nicht, obwol Elmerice durch Nichts gehindert ward, sie zu stützen. Was in ihr angeregt war, trieb sie, von dem heftiger wiederkehrenden Fieber gesteigert, anscheinend mit der alten Kraft vorwärts. Bald hatte sie Kerze und Schlüssel ergriffen, und Elmerice ward der geheimnißvollen Thür entgegen gezogen.

Mit welchem Herzklopfen trat sie in die verhängnißvollen Zimmer, die sie mit tiefem Dunkel umhüllten. Denn was vermochte[141] das Licht einer Kerze in diesen großen Räumen! Selbst Emmy's leitende Hand verließ sie bald, und sie hörte sie, immerfort leise und freundlich redend, nach einer andern Gegend des Zimmers zu gehen. Bald entzündeten sich mehr und mehr vielfach vertheilte Kerzen, und die Wohlthat, sich durch eigne Anschauung zurecht zu finden, kam ihr zu Hilfe. In dem Maaße schwanden auch die Schrecken. Wie hätten sie sich hier sollen anknüpfen lassen, wo die sorgfältigste Liebe mit Fleiß und Ausdauer eine schöne, mit Geist und Geschmack geordnete Einrichtung behütet hatte? Hier war nicht die eingeschlossene Luft lang unbewohnter Räume; nicht Moder, nicht Staub hatte hier Platz gefunden. Neben dem dauernden Geruche, den kostbare Möbel von edlem Holze verbreiten, waren hier in schönen, reichen Gefäßen aus Japan und China die köstlichsten, frischen Blumen aufgestellt, deren Duft die Luft erfüllte, und welche, als die einzigen Bewohner dieser stillen Räume, ein um so ungestörteres, frischeres Leben führten. Daneben standen die breiten, bequemen Möbel, wie der Glanzpunkt des Luxus unter Ludwig dem Vierzehnten sie hervor rief; alle geordnet oder ungeordnet, wie der Gebrauch es herbeigeführt hatte, so lebenswarm, so bewohnt scheinend, daß Elmerice, plötzlich erschrocken, von ihren Beobachtungen abließ, der Alten nachblickend, die in einem Nebenzimmer dieselben Vorkehrungen mit dem Anzünden der Kerzen zu machen schien, wie hier, und die sie jetzt mit dem geheimnißvollen Bewohner wiederkehren zu sehen, fast erwartete.

Doch Emmy kehrte allein zurück – und auf Elmerice zueilend, führte sie diese mit froher Geschäftigkeit in das nächste Gemach. Hier waren große Fensterthüren nach dem kleinen Gärtchen geöffnet; die sternenhelle Nacht, die herein sah, unterstützte das Licht der Kerzen; es war hell und von dem wunderbaren Gegensatze dieser Beleuchtungen magisch verklärt. Gegen die mittlere Thür stand ein hoher Lehnstuhl, als sei dies ein[142] besonders bezeichnetes Lieblingsplätzchen. Rosen blühten in schönen Gefäßen umher; am Boden aber, nach der Mitte des Fensters zu, war ein Teppich ausgebreitet, auf dem glänzendes, silbernes Spielzeug lag.

Welch eine gediegene Pracht athmete dies hohe Gemach! Diese seidenen Tapeten, mit Spiegeln und Goldarbeiten unterbrochen; diese schweren, goldenen und silbernen Gueridons, die Tischchen und Büchergestelle von Gold, Marmor oder seltenen Holzarten und endlich das kleine Positiv, von Engeln getragen, und das künstlich geschnittene, hohe Lesepult von Eichenholz – dahinter die Sitzbank von gleicher Arbeit – Alles jetzt von brennenden Kerzen beleuchtet!

»Sieh – sieh!« rief Emmy immer fort; – »ist es Dir so recht – bist Du zufrieden – sag mir – sag mir – habe ich Alles gut besorgt?«

»O, schön – schön, wunderbar schön ist es bei Dir!« rief Elmerice, ganz berauscht von den Eindrücken, die ihr im wahnsinnigen Eifer aufgenöthigt wurden – und sah dabei liebevoll zu der Alten auf, die, so wie sie die Lippen öffnete, wie angerührt von neuem Entzücken, horchend stehen blieb und über das alte, gefurchte und vergrämte Antlitz alle Sonnenlichter des Glückes, die auf diesen verhärteten Boden noch wirken konnten, treiben ließ.

»Nun gehört Dir das Alles wieder!« sagte sie dann seufzend und sinnend – »Du wirst das Alles wieder bewohnen – und ich werde Dir dienen – und werde Dich sehen – Deine Engelsstimme hören – Deine hellen Augen sehen – und horchen, wie der Boden so leise knistert, als fühle er es gern, wenn Deine kleinen Füße darüber hinfliegen! Alle Nächte habe ich Deine Blumen begossen – den anderen frisch Wasser gegeben, die welken verscharrt – und Alles gelüftet und den Staub ausgekehrt. Sieh nur, wie es da draußen in[143] Deinem Gärtchen ist!« – Sie zog sie zur Thüre hinaus, und plötzlich stand Elmerice vor einem grünen Hügel, unter dem Schatten blühender Rosensträuche – und vor ihr ruhete auf einem Ruhebette von schwarzem Marmor die schöne, runde Gestalt einer jugendlichen Frau, in weißem Marmor gebildet. –

»Gott,« rief Elmerice – »wer ist das? O Emmy, Emmy, ist das Deine Fennimor?«

»Das ist meine Fennimor!« erwiederte Emmy stöhnend und sank über das schöne Bild. – »Du weißt ja, er ließ nach Lesüeur's Bilde Deinen Grabstein mit Deiner lieben Gestalt hier meißeln – da – da – hier unten lagst Du so lange!« Sie stöhnte herzzerreißend. – Elmerice ward hingerissen; es stürmte in ihrem Busen; sie wußte nicht mehr, ob sie Fennimor sei, ob nicht; aber sie war geneigt es zu glauben und fühlte ein inniges Bedürfniß, hier mit dieser Stelle so vertraut zu sein, als Emmy es begehrte. Eine Fülle von Liebe sprang aus reicher Quelle in ihrem Busen auf. Wie liebte sie diese schöne, kalte Fennimor, diese treu ergebene Emmy mit ihrem finstern poetischen Schmerze; – wie einem Kinde der Eltermutter, schlug ihr Herz ihr entgegen! Sie kniete zu ihr – sie umschlang sie – sie legte ihr warmes Haupt an die erkaltende Wange der Alten, die auf Fennimors Marmorhand ruhte.

»Emmy!« sagte sie erst leise, dann immer dringender flehend – endlich mit allen weichen Lauten der Liebe: »siebe auf und liebe mich – ich will Dich ja lieben, wie Deine Fennimor!«

Emmy schien aus ihrer Betäubung zu erwachen, und die letzten Worte trafen ihr Bewußtsein.

»Ha, Mädchen, wer spricht da?« rief sie wild, und riß Elmerice mit sich empor – »war das meines Engels liebe Stimme – Fennimor redet,« sagte sie sinnend – »und ist doch so lange todt, daß braune Locken weiß wurden, und[144] Jugend zum Greise – sag, wie kam das?« fuhr sie fort und schritt vor, Elmerice mit fester Hand sich nach in das Gemach zurückziehend. Sie sah vor sich nieder; ihr starker Verstand wollte die magische Gewalt brechen, von der sie beherrscht war; – sie sann und sann, und blieb vor dem hohen Lehnstuhl in der offenen Thüre stehen. – »Hier starbst Du – hier sah ich Dich als Leiche – Du warst todt – ich war jung damals – und jetzt im höchsten Alter – das ist Alles richtig!«

So weit hatte sie sich durchgearbeitet, da sagte Elmerice: »Ach, liebe doch mich, die Lebende!«

Sie zuckte zusammen – ihre Augen folgten dem Tone; – da stand das schöne Abbild ihrer Fennimor hell von den Kerzen umstrahlt, von dem Nachthimmel mit blauen Lichtern ätherisch angehaucht. – »Ha,« rief Emmy, »alte Thörin! – Mein göttlich Kind, da bist Du ja! Und ich – wo war ich? – Sag mir, Du bist da, und ich will nach Nichts fragen; – nein, schweig, mein Engel, sage nichts! – Die falschen Menschen schwören – beflecke Deine Lippen nicht damit – sehe ich Dich doch – Du bist da – mir wiedergeschenkt – ich darf Dich haben – sehen – Dich pflegen und warten. O, wie Du kalt bist!« rief sie plötzlich, mit ihrer fieberheißen Hand ihre Hände fassend. »Gern gehst Du früh in Dein schönes Bettchen – das blieb Dir zu lange heut aus – deshalb bist Du so blaß; – ach, wie lange habe ich nicht bei Dir gewacht! und doch hattest Du das so gern – ach, wie Du mich immer hinhieltest – bald Dies, bald Jenes fordertest, damit ich bleiben sollte; und lachtest dann unter der Decke, wenn ich wieder umkehrte und Dir den Willen that, als merkte ich Deine kleinen Unarten nicht – ach, wie sah ich das so gern! Heute bleibe ich gewiß bei Dir, mein liebes Kind! Darum komm nur, komm, es ist längst Schlafenszeit!« –[145]

Emmy zog sie gegen eine offene Thür, die ein gleichfalls erleuchtetes Zimmer zeigte; und als Elmerice eintrat, sah sie ein eben so kostbar eingerichtetes Schlafgemach und, mit einem nicht zu mäßigenden Schauer, ein Bett mit reichen, grünen Damastbehängen in dem Hintergrunde. Emmy schritt vor und zog die Behänge zurück; das Bett lag weiß, wie täglich gepflegt, dahinter; die seidenen Decken, mit Rosen überstreut, einen süßen Duft ausathmend, waren zierlich aufgeschlagen, bereit, den erwarteten Schläfer angenehm zu decken; der kleine Fußschemel mit der seidenen Decke stand daneben. – Alles athmete auch hier fortgesetztes Leben.

»O Emmy, hier ist es schön!« sagte das junge Mädchen. Das Grauen war von der Schönheit und dem rührende Sinne der Liebe überwältigt, der hier, den Zerstörungen der Zeit zum Trotze, zu erhalten verstanden hatte.

»Ja,« sagte Emmy – »ich habe Alles bereit gehalten – ich mußte wohl, wer kommen würde – nun ist es erfüllt. Sieh, wie Alles frisch ist – gerade, wie Du es liebtest – nicht? Auch Deine schönen Kleider – Deinen Schmuck habe ich gehegt – morgen sollst Du die Wahl haben.«

So glücklich, mit Erinnerungen wahnsinnig spielend, taumelte Emmy Gray in dem Zauberkreise ihres früheren, ihres einzigen Glückes umher, und ihre junge Gefährtin fühlte nur das Bedürfniß, nachgebend diesen heiligen Wahnsinn nicht roh zu stören, furchtlos von der Zeit die Erledigung eines Zustandes erwartend, von dem eine ahnende Stimme ihr sagte: er würde, auch von Fennimors Bild entkleidet, dennoch verhängnißvoll ihr Leben erfassen. Und doch glaubte sie schon im nächsten Augenblicke erliegen zu müssen; denn Emmy, die, vom Fieber mit Jugendkraft beflügelt, im Zimmer redend hin und her schritt, forderte sie nun auf, sich nieder zu legen; ja, sie machte, als Elmerice anstand, ihr zu folgen, eine Bewegung,[146] sie in ihren Armen aufzuheben, wie sie dies vielleicht früher Fennimor gethan. Erschrocken saß nun Elmerice sogleich auf dem Rande des Bettes, und stellte die Füße auf das kleine Schemelchen. Da kniete die Alte vor ihr hin, und ahnend, was sie wollte, aber zitternd vor Verwirrung, löste Elmerice nun selbst die Fußbekleidung mit rascher Hand unter den langen Gewändern und stellte dann verschämt die kleinen, weißen Füße vor Emmy auf das Schemelchen.

Still saß sie davor auf der Erde und sah sie an, als ob ein Himmel unschuldiger Freude vor ihr läge; – leise strich sie ein Mal mit der Hand darüber, und ein mühsames Lächeln wollte die in Schmerz erstarrten Züge brechen. Doch es ging nicht, und sie seufzte nur, als wäre ihr wohl. Dann sah sie auf und raffte sich empor, legte die Decken zurück, und schüchtern nachgebend, legte sich Elmerice nun in das weiche, herrlich duftende Bette. Emmy rückte und zog und schob daran umher, wie sie es früher dem Lieblinge gethan; dann senkte sie den einen Vorhang, hing den anderen halb aufgeschlagen um einen großen, mit Kissen fast zum Bette umgeschaffenen Stuhl und nahm darinnen Platz, mit einer Decke sich umhüllend. »Siehst Du,« sagte sie leise und matt – »hab' ich's nun recht gemacht? Nun, laß mich auch ruhig bei Dir bleiben diese Nacht – und schlafe Du unter Gottes Segen bis zum hellen Morgen!«

»Das will ich,« erwiederte Elmerice nachgiebig; denn sie sah, das Fieber sank in seiner Heftigkeit, Ermattung trat ein, sie durfte sie nicht stören. Eben so wenig konnte sie hoffen, ihre Lage zu ändern; denn Emmy hatte das ganze Bett verbaut; auch hatte sie die zweite Nacht bis jetzt gewacht, sie war jung, das Lager weich und schön. Schon schlief die Alte fest; da verwirrten sich die Bilder, einen Augenblick nur glaubte sie die Augen zu schließen – jugendlich sank sie damit dem Schlafe in die Arme. –[147]

Dagegen erwachte Asta am frühen Morgen und fand, nachdem sie mit ihrem treuen Eifer sich aufgerafft, Niemanden, der ihrer Hilfe oder Fürsorge benöthigt war. – Sowol das Bett der Alten, wie das Lager ihrer jungen Gefährtin war leer. Starr blieb das arme Kind nach dieser Wahrnehmung in ihrem Schrecken gefesselt; dann ergriff die Furcht vom vergangenen Abende ihr Herz. Sie war sicher, die Geister, die das Schloß bewohnten – sie waren eingedrungen und hatten Beide davon geführt, und nur ihr Kreuzchen hatte sie behütet! Außer sich vor Schreck und Entsetzen, ergriff sie nun die Flucht. Ach, wie erwiesen war Alles! Hingen doch Schlösser und Riegel unter dem Schutze ihres Kreuzes unversehrt; also auf andere Weise, durch die Luft – den Rauchfang waren sie entführt! Während dem flogen die Schlösser und Riegel unter Asta's zitternder Hand auseinander, und die Thüren weit hinter sich aufschlagend, flog sie, durch den Wald laufend, wie gejagt, um das Pfarrhaus, um den alten Arzt zu erreichen, der oft schon früh den ersten Besuch bei Madame St. Albans zu machen pflegte.

Um diese Zeit bogen sich die Gebüsche zurück, die um den Eingang des kleinen Thurmes ihre zarten Zweige wölbten. Ein blühendes, weibliches Angesicht lauschte mit dem anmuthigen Ausdrucke von Neugier und Frohsinn daraus hervor; endlich folgte die schlanke, elastische Gestalt, sie erstieg die Treppe; offene Thüren luden sie zum Nähertreten ein, leichten, schüchternen Schrittes schwebte sie herein – Alles leer! Doch jene Thüren – und die eine bloß angelehnt; – leise schob sie sie auf, erst sah der Kopf herein, bald folgten die Füße. Welch ein Zauberland lag hier aufgerollt! Offene Thüren nach dem kleinen Garten, blühende Blumen, brennende Kerzen, die im Tageslichte schon erblindeten, überall der Hauch des Lebens! Das zweite Zimmer ebenso; Schönheit, Reichthum, Geist –[148] in jeder Falte, jedem Schnörkel ein Gedanke! Doch das nächste Zimmer! So lange es noch Neues gab, wozu hier weilen? Ein Schlafgemach, ein aufgeschlagenes Bett! – Die Lichtgestalt blieb an der Schwelle stehen, das leichte Gewand des Busens hob sich so hoch, so schnell; wir wissen nicht warum. Dann glitt sie leicht über den leichten Boden und blickte auf das schöne Engelsbild, das, tief schlafend mit dem Ausdrucke eines lächelnden Kindes, in dem grünen Zelte schlummerte, von einer Greisin bewacht, deren tief gefurchte Züge und wunderlich verhüllte Gestalt an jene Fabeln erinnerte, die von Zauberinnen erzählten, welche Königskinder entführten und bewachten zu geheimen Zwecken. Es war, als ob der Engel der Schlummernden sie besuchte. Wie antheilvoll, wie hoch entzückt, wie ganz verloren in dem Anblicke stand das zarte Wesen zu ihr hingebeugt! Da rückte die Alte das gesunkene Haupt empor; entflohen war das Lichtbild – spurlos verschwunden – nicht einmal der Ambra-Duft, den Engel sonst zurücklassen sollen, war hier zu spüren!

Später trat der alte Arzt mit Asta zaudernd in den offenen Raum. »Geschlafen hast Du noch, Du Thörin! Von der Hexenfurcht am Abende bist Du noch besessen, und läßt die Thüren auf und versäumst über Deine Furcht Deine Pflicht.«

Asta that dagegen nichts als schluchzen, und die Arme nach allen Ecken ausstreckend, zeigte sie die leeren Räume. Unwirsch stürzte der Alte nun auf die Betten zu und suchte, als ob er Gnomen vermisse, in jeder Falte. Vergeblich, er fand sie nicht.

»Was ist denn das für neuer Unsinn?« schrie er wild und blickte Asta halb fragend, halb verlegen an – »hast Du denn Nichts gehört?«

»Sagte ich's Euch doch!« schluchzte diese; – »wie konnte ich's denn hören, sind denn Thüren gegangen? War es denn natürlich Werk?«[149]

»Thüren?« rief der Alte, und drehte sich rasch auf dem Absatz um. Er hatte die Richtung bekommen. Die Thüre, die sich seit Jahren Keinem geöffnet, war nur angelehnt. Sogleich erfaßte Besorgniß für das, was Elmerice erfahren haben könnte, sein theilnehmendes Herz; er eilte der Thüre zu, indem er Asta befahl, zurück zu bleiben; denn er selbst überschritt nur ungern diese so streng behütete Schwelle, die er, seit Reginald als Kind davon hinweg getragen ward, nie mehr betreten hatte. Doch hielt das Gefühl der Achtung für den düsteren Willen dieser armen Unglücklichen das Gefühl der Pflicht nicht auf, was ihn zum Schutze des jungen Wesens trieb, das hier so verlassen zu haben, er sich jetzt zum ernsten Vorwurfe machte. Er blieb von dem Anblicke dieser wohlerhaltenen, erinnerungsreichen Gemächer nicht ungerührt; aber er wollte erst erfahren, was neuerdings hier geschehen war, und eilte rasch bis zum Schlafgemache vor. Wer beschreibt sein Erstaunen, als er hier die tiefste Ruhe – eine Scene des Friedens und offenbar vorhergegangener Liebesbeweise vorfand! Er blieb wie eingewurzelt stehen und fragte endlich mit seinem klaren, geübten Verstande der stummen Scene vor sich ihren ganzen Hergang ab. Was war nun weiter zu thun? Er sah an dem blassen Gesichte der Alten, das Fieber habe sie verlassen; – was konnte nun das Schicksal des jungen Mädchens werden, wenn vielleicht bei voller Besinnung die Illusion nicht vorhielt, welche die Alte bis zu diesem Grade der Hingebung während der Nacht gebracht hatte?

Er schüttelte den Kopf, und ungewiß über das Nächste, was sich hier begeben konnte, beschloß er in der Nähe zu bleiben. Mitleidig, wie er unter der rauhen Hülle aber war, eilte er erst zurück zu Asta, die in der Mitte der Stube auf den Knieen kauerte, ihr Schürzchen über das Gesicht gedeckt und eifrig ihren Rosenkranz betend.[150]

»Laß' das Geschrei,« schalt er, aber dennoch freundlich blickend – »und sei endlich vernünftig! Sie sind gefunden – Beide gesund, wie Vögel im Neste. Lauf nach der Vikarei, und sag', es stände Alles gut; sie hätten nur die Schlafstätte verändert; ich bliebe und brächte ihnen nachher selbst Nachricht.«

Asta stand gehorsam auf und zog das Schürzchen von dem verweinten Gesichte. »Und – und« – stammelte sie, »es ist ihnen nichts geschehen?«

»Nichts, nichts, mein gutes Kind!« sagte der alte Arzt und strich ihr gutmüthig mit rauhem Finger die Locken unter das rothe Mützchen; – »sie schlafen, wie die Dächse! Nun fort – fort – hast Du doch Alles dort in Brand gesteckt; – fort! fort! mach' es wieder gut – die Albans schreit sich sonst den Hals ab!«

Fort war Asta, und der Arzt kehrte auf seinen Posten zurück und setzte sich so, daß er Alles, was vorgehen würde, sehen konnte, ohne doch selbst gesehen werden zu können.

Er brauchte nicht lange zu harren; die Sonnenstrahlen erreichten das Fenster; sie fielen bei nicht verschlossenen Läden gerade auf das Bett, und indem sie durch die grünseidenen Vorhänge schienen, erhellten sie blendend das Innere des Bettes mit seinen weißen Kissen und farbigen seidenen Decken.

Dies brach die Augen der Alten; sie erwachte, doch schien es, sie sah im Anfange nichts, sie stöhnte nur, sich aus bequemer Lage vorsichtig aufrichtend. Aber jetzt faßte ihr scharfes Auge die Gegenstände; – wo fand sie sich? Sie schaute einige Augenblicke verstört umher; aber ihr erster Blick nach dem Bette – nach der süßen Schläferin, verschönt von der erquickenden Ruhe, weckte ihre Erinnerung. Sie wußte den Inhalt der Nacht, wie uns ein Traumbild bei Tage erscheint, wahr, lebendig, mit allem Zauber des Gefühls nachhaltig uns beglückend,[151] oft gerade um der Möglichkeit Willen, die Wahrheit zu betrügen, die uns oft nicht mehr geben kann, was der Traum uns glaubhaft an einander reihet. Aber hier war der Traum nicht wesenlos verschwunden; hier wollte Wirklichkeit bleiben, was doch nicht wahr sein konnte! Es war vielleicht zu viel für einen Geist, der seit einigen vierzig Jahren nur eine Richtung der Gedanken und Gefühle gekannt hatte; er mußte straucheln an der Schwelle der Vernunft, wenn sie noch in vollem Rechte anzunehmen war, da wo der Geist mit starkem Willen der ganzen Ordnung der Natur entgegentrat, wie zum Trotze die Zeit mit aller ihrer Macht verläugnend, bezwingend, um der einen Richtung zu dienen in abgöttischer Hingebung! Wie gering konnte die Versuchung sein, die hier den Geist gänzlich abzuleiten vermochte – und sie war nicht gering! Das Zeugniß, wie groß sie war, stahl sich aus den Augen des alten Arztes, der einst Fennimor als junger Mann in diesen Räumen bedient und sich jetzt ungestört in den Anblick der Schlafenden versenkte und von dem Zauber der Erinnerung selbstvergessen überwältigt ward.

Die Alte war indessen auf den Rand des Bettes gerutscht – immer näher – immer näher. Wie seufzte sie so laut und schwer! Dann rang sie die Hände und forderte Rath von ihrem überwältigten Geiste. Emmy – die den verwünscht hätte, der ihr die Möglichkeit abgesprochen, den Liebling einst in diesen Räumen noch wiederzusehen – Emmy rang – von der anscheinenden Erfüllung ihres eigensinnigen Glaubens überwältigt – mit dem Einlaß dieses Wunders in ihrem Geist.

Der alte Arzt schaute klug dem Kampfe zu; er nickte mit dem Kopfe und dachte, sie könne es nun allein abmachen, was sie so lange allein verschuldet.

Dazu war Emmy Gray auch stets bereit, und die Weise ihres Verfahrens gehörte ihr gewiß allein – so tief, so[152] unheilbar die ganze Welt zu verachten, um des einen, heiß geliebten Wesens Willen.

Auch hier arbeitete sie sich dahin, wohin sie trachtete. »Was frage ich« – sagte sie wie zürnend zu der Welt, von deren Widerspruche sie sich ahnend verletzt fühlte – »welch' ein Wunder mir zu Gunsten kam? Bist Du es denn nicht in jedem Zuge – jedem Gliede – bist Du nicht warm, und ist Dein Athem nicht so süß – hast Du nicht die Lippen eben so, wie sie, geöffnet, daß die kleinen Zähne dämmern? Nein, nein, Du bist Fennimor – mein Kind – mein Engelsbild; – und Alles wird nicht wahr sein – das Alter und die Zeit, von der sie schwatzen – die Thoren mit ihren Einbildungen!«

Heftig verhüllte sie ihr Gesicht – sie schien in einem neuen, gewaltsamen Kampfe zu liegen. Da erwachte Elmerice über ihr; und auch ihr war die Begebenheit der Nacht so vertraut geblieben, daß sie augenblicklich wieder im vollen Zusammenhange war.

Als die Alte, die Bewegung spürend, sich hastig aufrichtete, sah sie in zwei, liebevoll auf sie blickende, blaue Augen, die ihr eine Gewißheit ihres kühn behaupteten Glückes zu geben schienen, welche ihr zugleich die seligste Freude ward.

»Es wird so sein,« sagte sie, wie zu sich gewendet – »rede nun zu mir, mein Engel; – denn in der Stimme liegt Wahrheit.«

»Ich will Dich nicht täuschen, liebe Alte,« sagte Elmerice; – »aber nimm Dir Alles, was Du von mir zu Deinem Glücke gebrauchen kannst – ich will gern sein, was Du wünschest.«

Die Alte hörte sinnend diese Worte, und der Ton berückte, obwol noch derselbe, doch nicht mehr ihre Sinne so gänzlich, um nicht zu fassen, was sie ausdrückten. »Fennimor's Stimme war das,« sagte sie, fast fragend – »ach, wie soll ich das fassen?«[153]

»Könnte ich Dir doch helfen!« seufzte Elmerice. »Gott weiß, wie ich Dich schon jetzt so liebe, wie ein Kind, wie Deine Fennimor es nur konnte. Ich möchte gestorben sein – ein Engel – ein Geist von der, die Du so geliebt hast.« –

»Und Du wärest das nicht? O, mein Kind, ich fürchte ja keine Geister – auch wenn Du ein Geist von ihr bist – gestehe es! Es soll mir dasselbe sein!«

»Fühl' doch nur meine Hand, meine Stirn,« sagte Elmerice kleinlaut – »es ist ja Lebenswärme darin. Ich fürchte, ich sehe Deiner Fennimor nur sehr ähnlich; – und – weil meine Großmutter so hieß – so bin ich vielleicht ihre Enkelin!«

Athemlos hatte Emmy zugehört, und es malte sich ein so wahnsinniger Ausdruck in ihren Zügen, daß Elmerice fast vor ihr erbebte. Aber bald kehrte das Vertrauen zurück, sie werde nie von ihr zu fürchten haben, und damit auch Ruhe und Hingebung.

»Ihre Enkelin?« sagte Emmy endlich, und konvulsivisch hob sich ihre Brust; – »ihre Enkelin? – Fennimor's Enkelin! Dann – dann fließt doch ihr Blut in Deinen Adern – dann hättest Du doch alle Deine lieben, schönen Gliederchen von ihr geerbt! Und dies Alles – und Du gehörtest ihr – es wäre fast, wie sie selbst!«

Es war ein fürchterlicher Moment, als Emmy hier plötzlich von einer Thränenfluth überrascht ward, die mit ihrem gewaltsamen Ausbruche sie fast zu zerreißen drohte. Sie sank mit ihrem Kopfe in Elmerice's Schooß. Thränen! – sie kannte an sich ihr Dasein nicht mehr – wie fremd, wie erschüttert fühlte sich die arme Alte in diesem neuen Zustande! Aber sanft weinte auch Elmerice über ihr und strich liebevoll mit ihren zarten Händen über den bebenden Körper. »Darum wirst Du mich doch nicht hassen! Wenn ich Fennimor's Enkelin bin, dann[154] bin ich ja eben auf Deine Liebe angewiesen – dann mußt Du mich schützen!«

»Schützen!« rief Emmy, sich aufrichtend; – »schützen! Ja, weiß Gott, Du hast Recht – schützen muß ich Dich – dann, dann hätten wir es ja! Dann wärst Du ja ihre Erbin – die große, mächtige Erbin dieses Hauses! Aber« – fuhr sie fort, ihren Kopf in ihre Hand stützend – »hilf mir, mein Kind – ich bin heraus aus der Welt; – kann ich doch nicht zusammenbringen, wie Du ihre Enkelin geworden bist. – Ach, Kind, Kind,« rief sie eifrig und voll Angst, als könnte ihr das Glück wieder geraubt werden – »Du bist es – Du bist entweder Fennimor – oder, wie Du sagst, ihre Enkelin! Aber wie wissen wir es denn?«

»Wie soll ich Dir das erklären!« seufzte Elmerice – »Als Du mich Fennimor nanntest, fiel mir ein, daß auf dem Einbande meines Thomas a Kempis, Fennimor Lester steht, und daß mein Vater mir dies Buch schenkte und mir sagte, es sei von meiner Großmutter.«

»Heiliger Gott,« rief Emmy, außer sich – »so ist Alles wahr – und Du bist Reginald's Tochter – Fennimor's Enkelin!«

Sie sprang auf – sie streckte beide Arme, wie eine begeisterte Prophetin, in die Luft – ihre gebeugte Gestalt richtete sich auf – ein neuer Lebensstrom schien ihre Gebeine zu durchrieseln.

»Gerecht, gerecht willst Du dieser Unschuld werden, Herr des Himmels! Deine Wege werden Feuerströme vor meinen Augen; – ich kann ihren mächtigen Lauf verfolgen von Anbeginn; – die Wüste der Welt hat sie nicht verschütten können; – das Menschengewürm ist mit seiner Sünde darin verschlungen worden, und die Unschuld hast Du geschützt und zu der rechten Stelle geführt – wo Du die aufgespart hast, die ihr Recht schaffen wird!«[155]

In gleicher Begeisterung wendete sie sich zu Elmerice: »Sei mir gegrüßt, Nachkommin meiner heiligen Fennimor und jetzt meine Herrin; berufen zu vergeltender Gerechtigkeit schrecklicher Schuld – rechtmäßige Gräfin Crecy-Chabanne – Herrin dieses Schlosses und aller seiner großen Besitzthümer! Herr des Himmels, auch hier wirst Du die Wege zeigen und er kennen lassen, die wir zu wandeln haben – und aus Staub und Asche wird – neues Leben erstehen. Fennimor's Enkelin, befiehl Du bis dahin über mich und gebiete in diesen Räumen – Dein vorläufiges, kleines Erbtheil, an welches sich die großen Güter Deines Hauses anschließen werden – und empfange hiermit den Segen derjenigen, die Deinen Vater an ihrem Busen trug, und deren Herzenskern Deine Großmutter war!«

Feierlich küßte sie Elmerice auf die Stirn und fing dann sogleich an, die Vorkehrungen der Nacht aus dem Wege zu räumen, behände und in geschickter Thätigkeit weder Alter, noch Krankheit verrathend.

Unmöglich war es Elmerice gewesen, den Strom der Worte und Gefühle, der sich aus Emmy's begeisterter Seele hervordrängte, unterbrechen zu können. In sprachlosem Erstaunen hatte sie ihr zugehört und in sich eine Gewalt angeregt gefühlt, die sie selbst fast über das Maaß hinaus bewegte. Tausend Stimmen in ihr wollten ihr zuflüstern, daß sie Wahrheit gehört habe; und dennoch – wenn sie die betagte Alte vor sich sah, und des Wahnsinns gedachte, dessen Spielwerk sie seit vergangener Nacht war, behielt sie keinen Muth, ihr zu glauben, und fühlte nur das Eine, daß sie vorerst dem Willen dieses kranken Sinnes nicht entgegen treten dürfe. Ja, dies ward ihr leichter, als der Zweifel; denn es war mit den verhängnißvollen Worten der Alten etwas Neues in ihr erweckt: eine stolze Hoffnung, ein Gefühl der Berechtigung zu einer hohen Stellung des Lebens, die wie ein belebender Sonnenstrahl auf begrabene Wünsche fiel.[156]

»Ha,« rief die Alte, indem sie sich umwendete – »Ihr hier?«

Der alte Arzt saß in dem Lehnstuhl, in welchen er sich gleich zu Anfang postirt hatte, und schaute mit seinem klugen Angesichte in die wunderbare Scene, die vor ihm aufgeführt ward. Er nahm jetzt den kleinen, dreieckigen Hut ab, stieß mit dem hohen Stocke, dessen Goldknopf weit über die Hand vorsah, auf den Fußboden, und aufstehend und sich gegen Emmy verneigend, sagte er: »Zu Befehl, Madame! Wenn die Patienten Tollmannswerk treiben und davon laufen, haben die Aerzte das unbequeme Vergnügen, hinterher gehen zu müssen. Darf man fragen, wie einer Fieberkranken die Nacht außer dem Bette bekommen ist?«

»Laßt Euer Geschwätz!« entgegnete Emmy Gray; – »ich bin nicht darauf aus, mich von Euch hofmeistern zu lassen; Ihr könnt alle Zeit gehen, ich bedarf Euch gar nicht mehr.«

»So,« sagte er, und ein unterdrücktes Lachen spielte um seinen Mund; – »also jetzt bedürft Ihr mich nicht mehr; und dann ist das Nächste, daß Ihr mir die Thür weiset; – nun, es ist nicht das erste Mal! – Ich muß Euch aber sagen, daß ich dies Mal hier mehr, als Euch zu besorgen habe; denn das junge Frauenzimmer dort, das Ihr, in einer Eurer liebenswürdigen Launen, in diese seidenen Windeln gewickelt habt, um sie zu Eurer Spielpuppe zu machen, die ist mir anvertraut, ich habe für ihr Wohlergehen einzustehen, und werde nicht leiden, daß Ihr fortfahrt, Eure Thorheiten ihr in den Kopf zu setzen. He, Madame, habt Ihr mich verstanden? Ich habe die ganze Historie mit angehört.«

»So ist es gut!« rief Emmy unerschüttert; – »denn obwol Euch Niemand zum Zuhören berief, mögt Ihr, als Fennimor's ehemaliger Diener, immer zuerst den Vorzug genießen,[157] ihre Enkelin mit der Ehrfurcht zu begrüßen, die ihr hier in ihrem Eigenthume gebührt.«

»Emmy, Emmy,« rief der Alte ungeduldig – »bist Du denn vergeblich alt und grau geworden; – hat sich denn nach so vielem nutzlosem Hassen und Zürnen, nach all den Jahren dauernden Rachegedanken, die alle an der Ohnmacht Deiner geringen Welterfahrung scheiterten, hat sich denn darnach die Quelle des alten Wahnsinnes dennoch unversiegt erhalten, und willst Du jetzt ein neues Opfer bezeichnen, indem Du dies schöne, unschuldige Geschöpf diesen Kämpfen preisgiebst?«

»Alter,« rief Emmy, mit gemildertem Ausdruck auf ihn zuschreitend – »denke, was Du sagst! – Sieh' sie an – sieh' sie an! Sag', ist nicht das Vermächtniß ihrer Ansprüche in jedem Gliede ihres Körpers ausgedrückt? Höre ihre Stimme, Alter! Ruft sie Dir nicht mit Fennimor's Tone zu, ihre Enkelin anzuerkennen? Ja, ja, nenne mich wahnsinnig – aber sage auch – wenn Wahnsinn erlaubt ist – so ist es hier!«

»Du hast Recht, armes Weib,« sagte der erweichte Arzt: »ehe Du sie sahst, hatte ich schon gedacht, was Dich jetzt so verwirrt. Aber was hilft Dir und ihr die traurige Entdeckung, da ihre Ansprüche auf immer verloren gingen, und Du und ich mit allen Gefühlen für die unglücklichen Opfer, die ich mit Dir betrauern werde, so lange ich lebe, doch den Bann nicht aufheben können, der sie vor den Augen der Welt ihrer Rechte beraubte. Unglückliche,« sagte er und zog sie näher, ihr leise zuflüsternd: »vergiß nicht, daß Fennimor's Sohn, als Mörder, aller bürgerlichen Rechte auf Frankreichs Boden für sich und seine Nachkommen beraubt ward, und ihm kein Erbe zuerkannt werden darf.«

Die Alte taumelte bei diesen Worten, die sie aufs neue dem hoffnungslosesten Elende preisgaben, fast zur Erde. Der Arzt führte sie zu einem Stuhl, und sogleich kam der Gegenstand[158] ihrer schmerzlichen Unterredung zu seinem Beistande herbei, und vor ihr niederknieend und ihre kalten Hände erwärmend, sie mit rührenden Blicken ansehend, redete Elmerice leise zu der trostlos zu ihr niederschauenden Emmy.

»Bleib' dennoch bei mir, mein Kind – meiner Fennimor lebendiges Ebenbild!« stammelte sie endlich mühsam. »Wir wollen Alles – Alles besprechen. Alles – Alles sollst Du mir sagen – und hier – hier sollst Du sein, was Du wirklich bist. Hier reicht der Schwefeldunst der Welt nicht hin, und die Gräuel der Menschen sollen Dich hier nicht erreichen. – Sag', daß Du willst, und ich will Alles vergessen – Nichts denken, als daß Fennimor's Hände mir die Augen zudrücken und dann das reiche Erbe, das ich hier gesammelt, in Empfang nehmen werden.«

Der alte Arzt nickte Elmerice zu, ihr zu gewähren, und diese konnte aus voller Seele einwilligen; denn mit Zauberbanden fühlte sie sich hier gefesselt, und die Welt schien auf dieser Stelle alle Rechte an sie zu verlieren.

Dies goß Frieden in Emmy's schwer getroffenes Herz; und die kräftige Weise, wie sie sich nun erhob und den Arzt mit sich fort in ihr eigenes Zimmer rief, war ihm eine merkwürdige, fast ärgerliche Wahrnehmung, wie der Geist des Menschen über die Beschwerden des Körpers zu siegen vermag, und ärztliche Ansichten, ihre Mittel, ihre Prophezeihungen, in solchen Augenblicken zu verhöhnen scheint.

Nach einer langen Berathung, in welcher der Arzt die ganze Energie seines Karakters dem eben so unbeugsamen Willen seiner alten Gefährtin entgegen setzte, hatte er die Befriedigung, sie wieder in ihre frühere Muthlosigkeit zurückgedrängt zu haben. Denn was er sich auch selbst vorgenommen haben mochte, Emmy's Wirksamkeit mußte er dabei fürchten, da ihr ewig zürnender Pathos, einmal in Lauf gerathen, so schwer aufzuhalten[159] war, wenn die Umstände, wie dies zu erwarten stand, kein günstiges Resultat zulassen, und das geräuschloseste Zurückziehen dann das Nöthigste sein würde.

»Erstlich also,« fuhr er fort – »müssen wir wissen, ob sie das wirklich ist, was sie uns jetzt scheint, nämlich die Tochter des verschollenen Reginald.«

»Elende, kurzsichtige Zweifel!« murmelte Emmy verächtlich; – »solche Zeugnisse fertigt Gott nicht umsonst aus, wie sie auf ihrem Angesichte trägt – und habe ich es Euch nicht gesagt, daß ich Reginald, als sie ihn mir damals als liebes Kind raubten, das Buch mit dem Namen seiner Mutter in das Gepäck steckte, und daß ich auf meine Frage von ihm hörte, wie sie ihn hatten glauben lassen, es sei der Name seiner Kinderfrau! Aber lügt nur, Ihr Heiden und Heuchler! Wenn Gott will, taucht auf, was Ihr noch so tief versenkt habt – und legt Zeugniß gegen Euch ab!«

»Das wird sich ja zeigen,« erwiederte der Arzt; – »sie wird doch von ihrer Jugend wissen, sie wird doch sagen können, bei wem wir etwa noch in England nachfragen könnten; selbst die Gräfin d'Aubaine mag Auskunft zu geben wissen.«

»O, all dies fremde Volk, was Ihr da hineinmischen wollt,« rief Emmy – »wie hasse ich Alle schon im Voraus für den bösen Willen, den sie haben werden! Wenn Ihr denkt, Einer wird Recht sprechen – täuscht Ihr Euch!«

»Nun – und was alsdann?« rief der alte Arzt ihr entgegen. »Sprecht Ihr nicht selbst die Schwierigkeiten aus, die ich erwarte? Und werden sie nicht gerade dadurch noch größer. daß zuerst, nach so langen Jahren, die Erben des Grafen Leonin hier eingezogen sind?«

So erfuhr denn Emmy mit maaßlosem Unwillen die Ankunft des Marquis d'Anville; und wir übergehen billig die Ausbrüche ihres Zornes, da wir uns sehr wohl denken können,[160] wie sie diesen Besuch beurtheilen mußte, den sie völlig unberechtigt, für einen räuberischen Einbruch in fremdes Eigenthum ansah. Dessen ungeachtet wußte ihr endlich der alte Arzt zankend und zürnend klar zu machen, sie müsse sich ruhig verhalten. Ja, er machte sie glauben, daß selbst die Sicherheit ihres Schützlings von der Art abhängen werde, mit der sie sich hier so verborgen, als möglich, halte. Er wolle dagegen, wenn sie ihm nach ihrer Unterredung mit Elmerice noch übereinstimmende Anzeichen geben könne, dann auch das Seinige thun, die Herrschaften zu sondiren. Beim Vikar wolle er dagegen versichern, daß hier Alles gut stehe und sie die Pflege der jungen Person angenommen habe.

»Ja,« setzte Emmy hinzu – »und macht, daß Ellen wieder wohl wird – und laßt sie dann abreisen; denn sie ist mir hier lästig. Ich mag ihr trockenes Pflichtgeschrei nicht leiden; ich soll ihr das Alles mit Worten bezahlen, und die habe ich nicht übrig!«

Der alte Arzt nickte lachend und beeilte sich, diesen plötzlich so wunderbar umgestalteten Boden zu verlassen.

Was sich jetzt hier im Laufe der Zeit entwickelte, nahm in seinen Erscheinungen nicht an fabelhafter Gestaltung ab, sondern steigerte sich in dem Grade, als Emmy, sich immer mehr ihren Erinnerungen hingebend, sie der Gegenwart aufzunöthigen trachtete. Der alte Arzt schlug oft die Hände zusammen, wenn er sah, was hier entstand. Aber er hatte nicht die muthwillige Rohheit, das ungewöhnliche Treiben seines Nächsten darum zu verspotten, weil es nicht seine eigene Weise war. Er fragte erst nach, ob ihr kein wichtiger Nachtheil nachzuweisen sei, und konnte, darüber beruhigt, mit großmüthiger Neugier zusehen, wie verschieden das Bedürfniß der Menschen ist.

Mit wahrem Antheil blickte er aber auf das junge und schöne Wesen, über die sich der Strom dieses phantastischen[161] Treibens so unerwartet ergossen, und die in stiller, sinniger Stimmung diesen Erscheinungen einen Inhalt abgelauscht zu haben schien, der sie zu einer neuen Richtung oder Entwicklung ihres Inneren führte, der sie sich mit Wohlgefallen, mit Berechtigung hinzugeben schien. Sie bewohnte die Zimmer Fennimor's, wie ein Geist, so leise und spurlos und doch so völlig darinnen zu Hause und zur Ruhe gekommen! Emmy lag in ihrem großen Eingangszimmer, wie der Riegel davor. Seitwärts war eine vergessene, verrammelte Küche geöffnet, und Emmy hatte eine erwachsene, weibliche Hülfe, die darin tausend Dinge bereiten mußte für den Schatz, den sie bewachte. Ihre eigene Erscheinung hatte sich gleichfalls verändert; ihr weißes, starkes Haar ward jeden Tag von Asta sorgsam gekämmt und um die hohe, gefurchte Stirn gescheitelt; darüber wurde dann die saubere, vielfach betollte, kleine weiße Haube gesetzt; ein Kleid von geblümtem Moor, nach längst vergessener Mode, mit steifer Taille und Aermeln, mit feiner Wäsche und feinem gefalteten Halstuche, bekleidete täglich die alte, hagere Frau; und wenn sie auch um ein halbes Jahrhundert zurücktrat, so entbehrte doch ihre Gestalt und ihr ganzes Benehmen nie die Würde eines starken Karakters, wodurch sie gegen jede Lächerlichkeit geschützt blieb. Sie vollführte ihre gewöhnliche Usurpationen der Zeit mit so stolzem Ernst, daß ihr unwillkürlich Jeder einen Grund zu dem, was sie that, zutraute; und so flößte sie immer eher Erstaunen und Neugier ein, als daß sie Tadel und Spottsucht erregt hätte.

Wenn Elmerice von dieser Gewalt mit fortgerissen ward, war dies doch keine Nachgiebigkeit. Es war Trieb, Sehnsucht, mit Emmy in die Vergangenheit einzudringen; sie wollte in ihr den Boden ihrer Heimat ergründen; sie wünschte ihre Berechtigung zu der Stelle, die ihr Emmy anwies, aufzufinden, und bald schien ihr, mit der jugendlichen Ueberspannung, die[162] wir ihr zugestehen müssen, die sonderbare Herbeiführung ihrer Lage der Wille des Himmels zu sein, der an ihr die Unbill gut machen wollte, die ihre theure Vorfahrin erlitten. Noch war es jedoch nicht zu den Mittheilungen gekommen, die Emmy ihr versprochen, und die sie darüber hätten aufklären können; denn trotz dem, daß diese ihre Krankheit wie eine lästige Hülle abgeworfen hatte, war ihr eine Abspannung wohl anzumerken, die, nach der ihr neu gewordenen Lebensweise, gerade in den Stunden eintrat, die zu diesen Mittheilungen geeignet waren; und dann ward sie von Elmerice so sorgfältig geschont, daß sie an Emmy selbst fast unbemerkt vorüberging.

Außerdem eilte Elmerice, ihrem Verhältnisse nach Außen Gültigkeit zu verschaffen; denn jedenfalls wünschte sie vorerst die arme Alte nicht zu verlassen, und mit diesem Wunsche war eine geheime Hoffnung verknüpft, daß sich aus den Andeutungen, die sie gehört, eine neue Bestimmung für ihr Leben entwickeln werde.

Sie konnte der Gräfin d'Aubaine ihre Anwesenheit in St. Roche nicht länger vorenthalten; sie sagte ihr, daß sie Madame St. Albans aus den uns bekannten Gründen hierher begleitet habe und bei ihrem ernstlicheren Erkranken, in die Stelle der Pflegerin bei deren Mutter übergegangen sei. »Dies Verhältniß,« schrieb sie weiter – »ist jedoch weit entfernt, für mich eine Belästigung zu sein; ja, ich bin kaum noch eine Pflegerin zu nennen, da mich Mistreß Gray mit einer geheimnißvollen Liebe überschüttet, deren Grund in ihrem früheren Leben zu suchen ist; mir aber bis jetzt noch unbekannt blieb, da es mit erschütternden Begebenheiten zusammenhängen soll. Ihre Liebe räumt mir große Vorzüge ein; ich bewohne schöne Räume, und sie nöthigt mir Bedürfnisse auf, und hegt und pflegt mich, wie in früheren Tagen einen Liebling ihres Herzens, mit dem sie mich in Zusammenhang hält. Ich fühle mich selbst zu dem[163] wunderbaren, hochbetagten Wesen hingezogen, als gehöre sie auf irgend eine Art zu mir; und die Ueberzeugung, ihr mit meiner augenblicklichen Entfernung einen vielleicht tödtlichen Kummer einzuflößen, läßt mich bitten, daß meine theure Beschützerin mir ihre Einwilligung zu diesem verlängerten Aufenthalte giebt, und zugleich die Erlaubniß, ihr von dem Verlaufe der hiesigen Verhältnisse Nachricht geben zu dürfen. Ich halte dieselben bis jetzt für vollkommen anständig, da sie mich in ein strenges Geheimniß gehüllt haben und mir die größte Einsamkeit sichern.«

Dagegen enthielt ihr an Lady Marie Duncan abgesendetes Tagebuch die vollständigste Darlegung des Erlebten; und nun stand ihr nur noch der Abschied von Madame St. Albans bevor, die, jetzt hergestellt, mit Ungestüm ihre Abreise verlangte. Der alte Arzt hielt ihre völlige Genesung auch nur in ihrem eigenen Hause, unterstützt von ihren alten Gewohnheiten für möglich; und so kündigte er Elmerice ihren Besuch an, da Mistreß Gray kalt in diesen Abschied eingewilligt hatte.

Madame St. Albans kam sehr übler Laune an dem bezeichneten Tage nach dem Schlosse; denn sie hatte mit dem neuen Prior des Klosters Tabor um die Pachtung unterhandelt, welche sie dem Kloster abzukaufen wünschte. Nachdem sie mit dem verstorbenen Prior einig gewesen war, die Kaufsumme in jährlichen Abzahlungen entrichten zu können, ward sie jetzt von seinem Nachfolger mit dieser Einrichtung abgewiesen, welcher die Kaufsumme auf ein Mal bezahlt verlangte, wodurch sich die Unterhandlung, an die Madame St. Albans so viele Hoffnungen geknüpft, mit einem Male ganz zerschlug.

Ihre schnell umherrollenden Augen faßten bald den veränderten Zustand in diesen einst so düsteren Gemächern auf; und vor Allem überraschte sie die Umwandlung ihrer Mutter, welche, kalt und steif in ihrem Eintrittszimmer sitzend, die[164] Tochter empfing, sehr mißbilligend auf Elmerice blickend, die mit ihrer gewöhnlichen Freundlichkeit Madame St. Albans entgegen gegangen war und sie neben sich auf dem Ruhebette, einst Asta's Schlafstelle, niedersetzen ließ.

»Bitte, bitte, bemühen Sie sich nicht,« sagte sie zu Elmerice; – »ich glaube, es ist Ihnen hier nicht mehr erlaubt, sich um Andere zu bemühen! Wie ich höre, werden Sie hier bedient – und wie mir scheint, wie eine Gräfin oder Fürstin!« –

»Sie wissen bereits, liebe Madame St. Albans, daß Ihre Frau Mutter sehr gütig gegen mich ist!« –

»Ja, sehr gütig, so scheint mir selbst!« entgegnete die sich erzürnende Frau. »Man sollte, wenn man das, was man von dem Aufwande, der hier getrieben wird, hört, und es mit dem zusammenhält, was man sieht, nicht glauben, daß man zu der Mutter einer so armen Frau kömmt, der man es wegen Mangel einer kleinen Summe Geldes abschlägt, einen kleinen Ländererwerb zu machen!« Nach diesen Worten hatte sie sich hinreichend erweicht, um mit gerötheten Augen ein baldiges Schluchzen anheben zu können.

»Ellen,« rief Emmy jetzt rauh – »betrage Dich vernünftig und halte vor Allem Deine Thränen an! Ist Dir Deine Mutter bereits zu glücklich, daß Du sie oder den Gegenstand ihres Glückes mit Neid betrachtest? Du bist eine kleine Seele – und ich wußte immer, was ich von Deinem guten Herzen und Deiner Weichmüthigkeit denken sollte; die hält mit Heulen und Weinen und lästiger Bedienstlichkeit so lange vor, wie Einer so elend bleibt, daß Nichts an ihm ist; – aber wird es besser, und zeigen sich einige Lebensgüter, so möchten Deine neidischen Augen gleich Alles verschlingen. – Nun laß' das! Ich werde Dich nicht mehr ändern; – so leb' denn wohl. – Gott weiß, wie es Dein rechtschaffener Mann mit Dir aushält – ich beneide[165] ihn nicht; – leb' wohl, Ellen – reise glücklich! Ich glaube, Du hast eine gute Eigenschaft von mir – Du bist verschwiegen! Denk daran, daß ich darauf rechne.«

Wie hoch auch die ungestümen Gemüthswellen in Madame St. Albans Karakter gehen mochten, ihre Mutter fuhr mit einigen Worten nie umsonst darüber hin – sogleich legten sie sich.

»Nun – nun seht nur, wie Ihr wieder böse seid!« sagte sie, mit dem Versuche freundlich zu sein; – »denkt doch, daß es ein Abschied heute sein soll! Da müßt Ihr mich doch gut entlassen.«

»Schon gut! schon gut! Ich habe Nichts dagegen,« sagte Emmy kalt; – »ich habe stets gute Wünsche für Dich, aber lasse mich aus dem Spiele.«

Madame St. Albans zuckte die Achseln und beendigte dieses kurze Wiedersehen, so schnell sie konnte; da sie die leicht wachsende Ungeduld ihrer Mutter zu fürchten hatte, welche sie ruhig Stirn und Hand küssen ließ und sie dann, von Elmerice begleitet, laut schluchzend davon gehen sah.

»Es muß wohl wehe thun,« sagte sie, sogleich ihre Thränen von ihrem Unwillen besiegen lassend – »wenn man sich von einer Fremden bei der leiblichen Mutter verdrängt sieht! Ja, ja, mein Schatz, Sie haben so einschmeichelnde Manieren und können so hübsch um den Berg herum gehen; da kann unser eins nicht mit, der immer gewohnt ist, offen und gerade aus zu gehen.«

»O,« sagte Elmerice – »versündigen Sie sich doch nicht aufs Neue durch so arges Mißtrauen gegen mich! Sie wissen ja durch den alten Arzt, für wen mich Ihre arme, alte Mutter hält, und daß ich ihren Wünschen nachgebe, um sie nicht zu kränken.«

»Nun, mein Schatz, ich muß Ihnen sagen, daß ich das Alles sehr thöricht und unüberlegt von der alten Frau finde. Sie werden sich da hochmüthige Gedanken von Gräfinnen und[166] großen Gütern in den Kopf setzen; und wie Ihr vornehmer Umgang Sie schon ein Bischen oben hinaus macht, so wird das noch zunehmen mit solchen Einbildungen. Ich rathe Ihnen, Kind, schlagen Sie sich das aus dem Kopfe und suchen Sie bei Zeiten Ihr überspanntes Wesen los zu werden; da werden Sie gesund bleiben und ein Mal einen rechtschaffenen Mann so glücklich machen, wie ich Herrn St. Albans, der auch nicht die überspannten Frauenzimmer liebt, wenn solche auch am Ersten thun, als könnten sie Bücher lesen und haushalten in einem Athem.«

Elmerice schwieg. Sie blickte mitleidig auf ein Verfahren, dem sie Nichts entgegen zu setzen wußte.

Da die gehoffte Entgegnung ausblieb, sah Madame St. Albans kopfnickend zu ihr auf und setzte noch hinzu: »Und dann sich bei einer Mutter verdrängt sehen zu müssen!«

Elmerice erröthete jetzt vor Unwillen. »Ich dächte Madame St. Albans,« sagte sie – »in dem Verhältnisse zu Ihrer Mutter hätte sich unmöglich etwas ändern können; da es niemals besser war, als es jetzt ist.«

»Wirklich? wirklich?« sagte sie überrascht und verlegen; – »ich dächte doch! Indessen, wir wollen uns trennen, meine schöne junge Dame, und ich will denn von Herzen wünschen, daß Sie die große Herrschaft wirklich werden, von der Sie träumen. Doch denken Sie an mich; – es hängt starker Makel an dem vornehmen Namen!«

So ward auch der Abschied der beiden ungleichen Frauen sehr steif und kalt, und Elmerice athmete auf, als sie den Bann aufgehoben fühlte, den diese Frau stets über sie verhängte.

Dagegen hatte die erfahrene Aufregung in Emmy Gray die Kraft geweckt, ihre schwere, inhaltreiche Erzählung zu beginnen. Nur von der kurzein Sommernacht unterbrochen, führte sie mit großer Energie und mit Lebendigkeit des Geistes ihre[167] Erzählung bis zu ihrem Ende fort, und legte damit in die junge Brust ihrer Zuhörerin einen Schatz von Lebensansichten und Erfahrungen, die, nur auf traurige Thatsachen gestützt, uns in diesem zarten Alter den Werth das Daseins zu rauben scheinen.

Elmerice hatte Mühe, sich aus ihrer schmerzlichen Aufregung heraus zu reißen. Ach, wie war mit dem gesunkenen Wunsche, diese mit Verbrechen bezeichneten Ansprüche geltend zu machen, auch der Muth, ihren Besitz zu erlangen, verschwunden, wenn ihr auch eine ahnende Stimme sagte, ihr Vater sei dieser edle und verfolgte Jüngling Reginald. Zugleich fühlte sie eine tiefe kindliche Scheu, nach seinem Tode, vielleicht gegen seinen Wunsch, in diese verhängnißvollen Geheimnisse seiner Jugend eingedrungen zu sein; und sie gestand Emmy auch diese angeregten Empfindungen und das innige Verlangen, so traurige, verfolgte und mit Verbrechen bedeckte Ansprüche nicht aus ihrem Dunkel hervor zu ziehen, da sie nicht zweifeln dürfe, ihr Vater würde dies gemißbilligt haben; es würde ihn beleidigen, seine Tochter Rechten nachjagen zu sehen, von denen er verwiesen ward.

Emmy hörte ihr still und sinnend zu. Sie überlegte in ihrem Geiste, ob Fennimor, die in Blick und Ton zu ihr redete, auch so gedacht haben würde; und als Fennimors andächtiges Pflichtgefühl gegen ihren Vater vor ihr auftauchte, seufzte sie und schwieg, und ein breiter Schatten von Schwermuth deckte ihr erregtes Antlitz.

Da erfaßte Elmerice den Augenblick, der armen, aufs Neue gekränkten Freundin Fennimors ihre eigene Geschichte mitzutheilen; und von dem tiefen und verstehenden Gefühle der Alten hingerissen, von der wunderbaren Situation, die sie fast der Welt entrückt zu haben schien, sicher gemacht, ward ihre Hingebung bei dieser Mittheilung vollständiger, als sie es für möglich gehalten. Wir können uns dies jugendliche, von Weisheit[168] und Liebe geschützte Leben aus den Mittheilungen an die Gräfin d'Aubaine hinreichend vergegenwärtigen und finden uns erst als Zuhörer ein, wo die Erzählung Gegenstände berührt, denen die Gräfin d'Aubaine nicht nachzufragen wagte.

»Nur ich, Emmy,« sagte Elmerice, ihre Erzählung fortsetzend – »nur ich habe das ruhige, ungekränkte Leben, das dieser herrliche Vater führte, ein Mal durch meine Schuld unterbrochen; und doch war ich ahnungslos, daß ich ihn kränken würde, und vielleicht jetzt erst begreife ich die ungewöhnliche Strenge, mit der er mir entgegen trat. Denn, wenn Reginald mein Vater war, wie viel Grund hatte er dann, jede Verbindung mit einer stolzen französischen Familie zu hassen und von mir abzuhalten! – Auf dem Schlosse Leithmorin« – fuhr sie mit bewegter Stimme fort – »beständig von Gästen des In- und Auslandes belebt, befand sich einige Monate lang ein junger französischer Edelmann, der erst nur dem Lord Duncan, mit dem seine Familie befreundet war, einen Besuch machen wollte; später – glaube ich – ward ich Veranlassung, daß seine Abreise sich verzögerte. Meine jungen Freunde, die Kinder des Lord Duncan, sahen mich wie eine Schwester an; ich gehörte zu ihren Beschäftigungen, wie zu ihren Vergnügungen, wir theilten Alles; und ich sah daher den jungen Mann täglich.

Emmy, ich kann mir nicht zürnen, daß ich seine Vorzüge anerkannte! Er besaß so viel ausgezeichnete Tugenden, er wußte so Viel, er war so kindlich und gut, so heiter – so heiter, Emmy – bis er von Lord Duncan die gänzliche Abweisung meines Vaters erfuhr. Ich weiß nicht, aber ich glaube fast, sein tadelloses Wesen – und daß Lord Duncan ihn wie einen Sohn liebte, hatten mich glauben lassen, die Bewerbung des jungen Mannes werde von meinem Vater günstig aufgenommen werden. Wir waren sicher geworden in dieser Hoffnung – und auch ich, Emmy, war damals glücklicher, als jemals[169] später! Dieser Erklärung aber folgte eine schwere, leidenvolle Zeit. Mein Vater war in einem Grade davon erschüttert, daß er mehrere Tage das Zimmer nicht verließ, und meine Mutter Tag und Nacht an seiner Seite wachte. Später bekam Lord Duncan Zutritt. Ach, Emmy, mich wollte er erst gar nicht sehen! Aber der Gedanke seines Zornes hatte so auf mich gewirkt, daß meine arme Mutter meiner Verzweiflung nicht mehr Einhalt thun konnte; und als sie meinen Zustand dem Vater enthüllte, ließ er mich augenblicklich zu sich rufen.

Nie werde ich diese Unterredung vergessen! Als er mich so verändert, so aufgelöst in Schmerz, so trostlos bei dem Gedanken sah, ihn gekränkt zu haben, dachte er zuerst nur daran, mir Muth einzusprechen, mich seiner Liebe zu versichern, mich – und selbst den Jüngling, der um mich warb, schuldlos an dem Schmerze zu erklären, den er empfand. Dann, als ich in seiner Liebe wieder auflebte und zur Besinnung kam, machte er mich mit den Hindernissen bekannt, die unvermeidlich zwischen uns ständen. Emmy, es waren Gründe, die denselben Boden hatten, wie das Elend, das Du in Deiner Erzählung vor mir ausgebreitet hast! Er schilderte mir die Vorurtheile der Stände, wie ich sie bis dahin nicht geahnet, und weckte meinen Stolz und mein Ehrgefühl, indem er mir die nie endende Geringschätzung vorhielt, die ich in einer solchen Familie und in ihrem ganzen Gesellschaftskreise würde erleiden müssen, weil mich Alle durch meine geringere Geburt für unberechtigt halten würden, zu ihnen zu gehören; und wie das entwürdigteste Mitglied jener Kreise, das wir als ausgestoßen ansähen und mit unserer Verachtung bezeichneten, dennoch von Allen geduldeter sein und ihnen berechtigter erscheinen würde, als meine Stellung, wenn ich sie auch durch jeden äußeren und inneren Vorzug rechtfertigte.

Er sagte mir, daß mich mein Gatte nicht dagegen zu schützen vermöchte; daß die mitleidigen Duldungs-Beweise in[170] so schicklichen Grenzen gehalten sein würden, daß mir das Herz daran erstarren, mein Gatte in ohnmächtigem Zorne darüber vergehen könne, ohne daß ihm aus den leisen Beleidigungen das Recht erwachsen werde, Genugthuung zu fordern. Er war überzeugt, daß keine Liebe, auf diese Bedingungen hin, in den höheren Ständen dauern werde, da er von der Macht des schlechten Beispiels eine sehr traurige Vorstellung hatte. Lord Duncan hörte das Ende dieses Gespräches und versuchte, meinem Vater mildere Ansichten einzuflößen. Es gelang ihm nicht! ›O Duncan, Duncan,‹ rief er – ›von Dir diese Worte! Von Dir, der Du mein ganzes Schicksal kennst – der Du weißt, daß ich Wahrheit sage – Du redest einem Jünglinge aus dieser Familie das Wort, die ich fast angelobt habe zu verachten!‹

›Sie werden Deine Elmerice mit Freude unter sich aufnehmen,‹ rief der gute Lord, ›wenn Du nur auch etwas nachgebender sein wolltest!‹

›Ach,‹ rief mein Vater – und nie sah ich ihn heftiger – ›ihnen gilt Nichts höher, als ihre Geburtsrechte; sie haben kein wahres, inneres, sittliches Bedürfniß! So lange die Sittenlosigkeit noch von einem leidlichen Deckmantel usurpirter, gesellschaftlicher Haltung und Vorzüge überkleidet ist, bleibt ihnen das ehrloseste Individuum, trotz dem, daß sie von seinem Gehalte unterrichtet sind, eine eben so höflich gehandhabte Figur, als die Tugend selbst es fordern könnte. Der Schein ist's, was sie wollen, worauf sie halten; er bildet den Korporationsgeist, der sie durch einander sich schützen läßt und sie namentlich gegen das Richtschwert des Urtheils verbindet, das sich aus jenen geringeren Ständen erheben könnte und ihr falsches, leeres Treiben mit dem rechten Namen nennen!‹«

»O Emmy,« rief Elmerice – »diese Worte sind, wie diese ganze Unterredung, in mich eingegraben; denn sie entschieden[171] das Schicksal meines ganzen Lebens! Ich gelobte eine feierliche Verzichtleistung und trennte mich in Gegenwart des Lord Duncan von dem Manne, der mich liebte, und den ich gelobte, als einen Fremden anzusehen!« –

Wenn Emmy achtzehn Jahr gezählt hätte, wäre ihr Antheil, ihr Mitgefühl nicht inniger zu denken gewesen; sie blickte so bang, so liebevoll bang in die bewegten Züge der Erzählerin, daß diese sich ihr laut schluchzend in die Arme warf und Alles, was sie erlitten und so tief in sich verschlossen, auszuweinen wagte.

»O, mein armes, armes Kind!« seufzte Emmy; – »und doch glaube mir, Dein Vater war ein weiser Mann – und ich zweifle nicht, es war mein Reginald – der Sohn meiner Fennimor; – er hat Dich vor einem gleichen Elende bewahrt, wie meine Fennimor traf. O,« sagte sie mit einem rührenden Ausdrucke von Liebe – »könnte ich Dich doch trösten! Wollte Gott, Du wärest nicht mehr unglücklich, weil dies Elend von Dir abgewendet ist! Richte Dich auf – fasse Muth – und sage mir, wie das Buch meiner Fennimor, das ich vollständig wiedererkenne, Dir von Deinem Vater gegeben ward; ob er Dir Nichts sagte, was noch näher seinen Zusammenhang damit bezeichnete? –

Er gab es mir an dem Tage, wo ich von einem katholischen Geistlichen in den Schooß der Kirche aufgenommen ward. Er sagte mir, es sei ihm das heilige Vermächtniß seiner geliebten Mutter, die er nicht gekannt habe; er bat mich, den Inhalt zur Richtschnur meines Lebens zu machen, wie er daraus Trost und Belehrung geschöpft habe zu allen Zeiten. Dann zeigte er mit dem Finger hieher und sagte mit großer Bewegung: dies ist der Name Deiner unglücklichen Großmutter!« –

»O,« rief Emmy hier – »was zweifeln wir noch? Du bist sicher und gewiß die Tochter meines Reginald, und Eton[172] war der Name, den er annahm! Wenn nun Margarith Lester, die Freundin von Ellen, Deine Mutter war, so wird es gewiß, daß er zu dem Bruder seiner Mutter, zu Herrn Lester floh, als ihn dies treulose Land verbannte, und nach einigen Jahren, als er die jüngste Tochter seines Oheims geheirathet hatte, sich nach Schottland zu Lord Duncan begab, der seit langer Zeit die innigste Freundschaft für ihn zeigte.«

Wir werden die Ueberzeugung beider Frauen, die an dem Schlusse dieses Gespräches sich in ihnen befestigte, nicht tadeln können, da sich die Wahrscheinlichkeit dafür bei dem Austausch ihrer Berichte so bedeutend vermehrt hatte. Mit einem stolzen Triumph sah Emmy nun auf Elmerice, die sie träumte, in ihre Rechte eingesetzt zu haben, mit Verachtung der ganzen übrigen Welt. Wie sie dabei das Bedürfniß ihres jugendlichen, dem Leben noch gehörenden Lieblings verkannte, müssen wir ihr billig nachsehen, wenn wir denken, daß sie kaum je ein anderes Leben, als das der tiefsten Einsamkeit, gekannt hatte; und was sie Leben nannte, sich ihr nur als eine Pflanzschule der Verbrechen zeigte, aus der Elmerice errettet zu haben, ihr ein dankenswerthes Verdienst um sie schien. Auch erfuhr sie bei ihrer ausschließenden Besitznahme durch Elmerice keinen Widerspruch. – Wenn unser Herz den eben bezeichneten Kummer erleidet, scheint es uns nicht schwer, von dem übrigen Leben Abschied zu nehmen, mit dessen, uns als werthvoll aufgenöthigten, Gütern wir in einen traurigen Widerspruch gerathen, den die Einsamkeit uns dagegen schonend verhüllt. War doch die von ihren Eltern ihr angewiesene Heimat selbst kein beruhigender Aufenthalt mehr, und dagegen dieser jetzt aufgefundene, wunderbare Ruhepunkt wie geschaffen, sie und ihren Kummer auf immer der Welt zu entziehen. Dies schrieb sie auch ihrer geliebten Marie Duncan und forderte sie auf, ihren Vater zu seiner Einwilligung in diesen Lebensplan zu bewegen.[173]

Von da an faßte sie ihre ganze Lage mit der Liebe gegen einen dauernden Besitz auf, und theilte bald die rührende Schwärmerei Emmy's, die die ganze Vergangenheit zurückzurufen trachtete, und in krankhafter Aufregung sich über Gegenwart und Zukunft immer mehr verwirrte.

Elmerice hatte ihren Bitten nachgegeben und, uneingedenk des Modewechsels, ihre eignen Kleider mit den Prachtkleidern vertauscht, welche aus Fennimor's Garderobe, von Emmy gehegt und gepflegt, als ihr rechtmäßiges Erbtheil ihr von derselben übergeben waren. Als sie zuerst in einem schweren Seidenstoffe von gewässertem Moor, mit Spangen von reichen Steinen auf Schultern und Brust befestigt, vor Emmy dastand, sank diese vor ihr, wie vor einer himmlischen Erscheinung, nieder und dankte Gott in einem lauten, feurigen Gebete für die Gnade, ihr göttliches Kind, ihre Fennimor noch einmal vor Augen zu sehen.

»Ach,« sagte Elmerice – »ist es denn wirklich wahr, daß ich dieser schönen Fennimor so ähnlich sehe? Wüßtest Du, wie ich meine ganze Liebe zu Dir aufrufen mußte, um die Kleider anzulegen, die von dem herrlichsten Wesen der Erde in der kurzen Zeit ihres Glückes getragen wurden, Du würdest meine Beschämung begreifen, die mich fürchten läßt, ihren heiligen Schatten damit beleidigt zu haben.«

»Fürchte das nicht, mein Engel,« sagte Emmy – »sie würde Dich selbst damit schmücken – sie würde Dich mit Ueberzeugung für ihre geliebte Nachkommin erklärt haben! Aber auch Du sollst nicht länger in Zweifel bleiben, daß sie Dein Ebenbild ist; – und da Du zufällig einen Anzug gewählt hast, in dem Lesüeur sie gemalt hat, so sollst Du mein heiligstes Heiligthum, den Eudoxien-Thurm sehen, worin ich ihr Bild aufgestellt habe, an dem Platze, mo sie stets mit ihrem Harfion saß. – Dann wirst Du sehen, daß Du selbst aus dem Bilde[174] hervortrittst – dann wirst Du mir, ohne Dir Vorwürfe zu machen, das Glück gönnen, Dich ganz so zu sehen, wie sie ehemals vor mir stand.«

»O,« rief Elmerice – »vergieb mir meine Zaghaftigkeit und denke von meiner Liebe zu Dir nicht geringer; ich will Dir glauben und von jetzt an Dir folgen.«

»Vielleicht nur noch kurze Zeit,« sagte Emmy ernst, – »und Fennimor gönnt mir dies Glück – und segnet Dich dafür!«


Wir verlassen hier auf einige Zeit diesen Schauplatz des wunderbarsten Phantasielebens und kehren in den gegenüberliegenden Theil des Schlosses ein, das heitere Treiben der jungen Personen verfolgend, die hier dem Leben, so Viel an ihnen lag, allen Reiz abzufordern trachteten.

Indem wir uns jedoch die Eigenthümlichkeit der Hauptpersonen zurückrufen, werden wir eingestehen müssen, daß der frohe, heitere Lebenssinn des Marquis d'Anville und seiner jungen Gemahlin doch gerade deshalb so überströmend hervortrat, weil in ihnen ein sicherer Grund von ernstem Gefühle lag, und eine durch Grundsätze befestigte Karakterbildung. Wir dürfen daher erwarten, daß die Geschichte des Grafen Leonin, mit der wir uns beschäftigt haben, und die der junge Marquis so vorzutragen wußte, daß ihr Hauptinhalt durch die leichtere Form der Erzählung nicht geschwächt ward, einen ernsten Hintergrund in den Herzen seiner Zuhörer zurückließ, und das übersprudelnde Leben jugendlicher Heiterkeit dadurch leise eingedämmt erschien. Leonce hatte nicht nöthig, an sein System des Maaßes zu erinnern; vielleicht war aber das Maaß der Liebenswürdigkeit gerade dadurch in beiden Frauen erfüllt.[175]

An dem letzten Abende, als der Marquis seine Erzählung mit dem spurlosen Verschwinden Reginald's schloß, und die Gesellschaft nach einigen Worten, die ihre Erschütterung ausdrückten, sich früher, als gewöhnlich, getrennt hatte, öffnete sich einige Zeit später die Thür zu dem Zimmer des Marquis d'Anville, und seine junge Gemahlin trat mit der ihr stets bleibenden, anmuthigen Schüchternheit einer Jungfrau ein. Aber ihr liebliches Angesicht war so bleich, wie ihr weißes Nachtkleid; und als ihr der Marquis liebevoll entgegeneilte, fiel sie ihm in die Arme und weinte die ganze erfahrene Gemüthsbewegung, wie ein Kind an dem Busen der Mutter, in den Armen ihres Gemahls aus.

»Armand,« sagte sie, nachdem sie den rührenden Ausdruck ihrer Gefühle in etwas beherrscht hatte – »versprich mir, daß wir nicht Besitzer werden wollen von dieser traurigen Erbschaft; daß wir alle unsere Kräfte, alle unsere Verbindungen, alle unsere Mittel noch ein Mal in Bewegung setzen wollen, jenen armen, gekränkten Reginald oder seine Erben zu entdecken!«

»Du sprichst aus meiner Seele!« rief der Marquis, sie an seine Brust drückend – »die Zeit hatte den Eindruck in mir gemäßiget; die Fruchtlosigkeit meiner Nachforschungen hatte mich endlich damit abschließen lassen; fast hätte ich jetzt das Provisorium über diese Güter aufgehoben und mich zum Erben erklärt; aber indem ich Euch jetzt Alles erzählte, stieg, aufs neue belebt, die ganze Gewalt dieser großen Verschuldung in mir auf, und unmöglich schien es mir seit den letzten Tagen, hier wirklich als rechtmäßiger Besitzer aufzutreten und damit fast in die verwerfliche Bahn einzulenken, die unser armer Oheim verführt ward, zu betreten.«

»Das stand auf Deiner Stirn, Armand,« sagte Lucile, ihre Thränen völlig trocknend. »Auch kam ich nicht in der Meinung, ich könne Dir das Rechte erst durch meine Bitten[176] entdecken helfen. Ich wollte – ich hatte den Austausch unserer Gedanken so nöthig; mein Herz will mir zerspringen, wenn ich an das Schicksal dieser Fennimor denke – dieses unglücklichen Reginald. – Ich habe ein Gefühl, als könne diese wunde Stelle in unserer Brust – dieser Flecken auf unserem Wappenschilde nicht eher verschwinden, als bis wir dies Erbe den rechtmäßigen Besitzern übergeben haben.«

»Sieh' hier, Lucile!« rief der Marquis jetzt, und zog sie gegen den Schreibtisch; – »und möge dieser Brief, den ich noch heute Abend zu beschließen denke, Dir eine ruhigere Nacht bereiten und Deine Träume mit der großmüthigen Hoffnung füllen, daß Du Reginald wieder findest und ihm die reichste Erbschaft des Landes ausliefern kannst.«

Lucile hörte in freudiger Bewegung, als Armand sie in einen Lehnstuhl gesetzt hatte, was er seit ihrer Trennung geschrieben:

»An Lord Duncan-Leithmorin.«

»Euer Herrlichkeit haben wiederholte und dringende Aufforderungen zur Mitwirkung meiner jahrelangen Bemühungen, um die Auffindung Ihres Freundes Reginald de Ste. Roche, stets unbeantwortet gelassen; und ich habe lange geglaubt, daß meine Briefe an Euer Gnaden verloren gingen, oder Ihre möglichen, längeren Abwesenheiten von Leithmorin sie nicht in Ihre Hände lieferten. Obwol meine Nachforschungen dadurch nicht gänzlich gehemmt wurden, und ich sie in allen Richtungen fortsetzen ließ, knüpfte ich doch immer im Geheimen meine größte Hoffnung an Sie, als dessen Freund; – und – erlauben Sie mir, es hinzuzusetzen – ich verdiente von Euer Herrlichkeit eine weniger mißtrauische Aufnahme!«

»Sollten meine Hoffnungen, daß dieser, mein unglücklicher Verwandter sich nach England flüchtete und in Ihrer Nähe lebt, oder Sie Kenntniß seines Aufenthaltes haben, sich[177] erfüllen, so fordere ich Sie im Namen der Menschheit auf, Ihr ungerechtes Mißtrauen gegen mich aufzugeben und mir beizustehen, um eine späte, aber immer gleich heilige Gerechtigkeit gegen meinen unglücklichen, verfolgten Verwandten ausüben zu können. Ich bin in Ste. Roche und werde hier Ihre Antwort abwarten, indem ich mich der Couriere bediene, diesen Brief in Ihre Hände zu liefern.« –

Lucile erhob sich mit einem unaussprechlichen Ausdrucke von Stille und Verehrung in ihren Zügen. Sie beugte sich ein wenig gegen ihren Gemahl vor – sie öffnete die Lippen, als wollte sie reden – dann schwieg sie schüchtern, küßte sanft seine hohe, helle Stirn und sagte endlich ganz leise: »Armand, ich liebe Dich!«

»Lucile!« rief er entzückt, als habe er es zuerst gehört – und vielleicht hatte das erste Mal sein Herz nicht mit höherer, andächtigerer Wonne erfüllt!


»Meine theure Lucile,« rief Leonce am anderen Morgen, als man sich in dem kleinen Burggarten, der an der anderen Seite des Schlosses und an den jetzt bewohnten Gemächern lag, zum Frühstücke versammelt hatte – »ich muß um Gnade bitten; denn ich bin auf Ihre Unkosten liebenswürdig gewesen.«

»Ich glaube, das ist am Ende eine von Ihren seltenen und dann superfeinen Galanterien,« rief Lucile. »In welchem Reichthume von Liebenswürdigkeit müssen wir uns befinden, wenn Sie darauf Gebrauchsanweisungen schreiben; – und nicht allein die Quantität, sondern die Qualität muß es außerdem sein, die sie an Ihren eigenen Schätzen vorübergehen läßt. Ah, Armand, wir sind mit Deinem Bruder zufrieden!«[178]

»Dann gebe nur Gott, daß Sie es auch bleiben,« lachte Leonce; – »denn Ihre Gunst hat mich noch nie länger, als eine Sekunde vor dem Anfange unserer diversen Unterhandlungen beglückt.« –

»Aber Sie, mein theurer Widersacher, unterließen auch stets, Ihre Unterhandlungen, wie heute, mit einer einflußreichen, kleinen Schmeichelei zu beginnen! Selten fühle ich mich daher so sanft, so hingebend, so geneigt, Alles allerliebst zu finden, was Euer Liebden in weiser Herablassung geneigt sein werden, vorzutragen.«

»Nun, mich dispensire nur vom Zuhören!« rief Margot und stand mit zwei luftigen Springen auf dem Rande einer alten, marmornen Treppe, die terrassenartig in den Wald führte, der dem Burggarten gegenüber lag.

»Nein,« rief Leonce und setzte der flüchtigen Gestalt eben so gewandt nach – »Sie dürfen nicht entwischen; denn auch Sie sind bei meiner Verhandlung mit Lucile eben so betheiligt, wie diese; ich habe auch Ihre Gnade in Anspruch zu nehmen.«

»Gott, was ist geschehen?« rief Margot, mit erheucheltem Erschrecken; – »wie tief muß Leonce sich verschuldet haben, wenn er sogar meine Gnade gebraucht! Ha, Armand, kommen Sie zu unserm Schutze herbei; – er hat uns an Räuber verkauft – ihn gereut eine Verschwörung, die er angezettelt – ich fürchte Alles! das Schrecklichste, Entsetzlichste, Abscheulichste, da er meine Gnade anruft!«

»O,« rief Leonce, mit ein wenig dreister Heiterkeit Margot in die Augen blickend; »was gäbe ich darum, wenn ich wüßte, ob Sie mich um das, was ich gethan, abscheulich und entsetzlich finden werden!«

»Hier ist immer Einer unartiger, wie der Andere!« rief Armand, sehr ergötzt durch seine jungen Freunde. »Wen soll ich hier schützen? Meine Ritterpflichten kommen ins Gedränge,[179] wo die Natur ihre Rollen gewechselt zu haben scheint. Die Damen sind offenbar die Stärkeren, und Leonce sieht aus, als wolle er unterliegen.«

»Ja gewiß,« rief Lucile – »hier ist Niemand artig, als ich allein, was Du wahrscheinlich vorher zu bemerken vergaßest. Es ist ein schweres Geschäft, so große, so widerspenstige Kinder in Ordnung zu halten; aber ich muß mich daran geben, denn, kommt Margot so zu ihrer Mutter zurück, wird die gute Gräfin d'Aubaine glauben, ich habe meine ganze Solidität verloren, und man wird bedenken, ob man vorsichtig genug in der Wahl meines Gatten war.«

Armand nahm hier die leichte, weiße Hand gefangen, die während dieser mit Pathos gehaltenen Rede beschäftigt war, die verschiedenen Gegenstände des Frühstückes, welche das reich besetzte Tischchen bedeckten, in Umlauf zu bringen. »Und am Ende,« sagte er, sie küssend – »schickst Du mich fort, damit Deine Erziehung nicht durch schlechtes Beispiel leidet.«

»Und am Ende,« wiederholte sie, im Begriffe zu scherzen; aber gegen ihren mit Ehrfurcht geliebten Gatten leicht in dem Tone der Neckerei aufgehalten, brach sie plötzlich ab und rief: »ich fange mein strenges Regiment mit Ihnen an, Leonce – ich erkläre Ihre Chokolade noch zu heiß, um sie jetzt schon hinunterzustürzen; – sie wird sich warm halten bis Sie uns endlich vertraut haben, was wir Ihnen aufs neue vergeben müssen.«

»Ach,« rief Leonce – »denken Sie weniger an mich – obwol ich dieses herrliche Waldhuhn gern erst zerlegt hätte; aber gönnen Sie unserer armen, kleinen Margot das stille Vergnügen, ohne Gemüthsbewegung den zarten Brei von Erdbeeren, Brod und Milch und einigen zwanzig, kleinen Zuthaten dieser vor ihr aufgepflanzten Büchsen, zu verspeisen – dann fange ich an – sogleich! sogleich!«[180]

Das göttliche Vorrecht der Jugend, über Nichts zu lachen, ergriff Alle, bis auf die Verspottete. Sie war mit ihrer gewöhnlichen Diät junger Mädchen, die vor Fleisch und dessen Erscheinungen, wie vor den Gebräuchen wilder Völker, zurückbeben und ihren kleinen, heißen Magen unter der engen Schnürbrust mit Milch, Obst und Confituren baden, ein immerwährender Gegenstand für Leonce's Spöttereien und führte nicht selten, um ihm zu trotzen, auf ihrem Teller die wunderlichsten Gesellschaften sich widerstreitender Nahrungsmittel zusammen.

Nachdem der angenehme, kleine Lachschauer vorüber war, erklärte Margot, diese neue, grausame Spötterei habe ihr gänzlich ihre schöne Morgenspeise verleidet; Leonce könne daher anfangen, wenn anders seine wilden Gebräuche, die unschuldigen Thiere des Waldes zu verschlingen, ihm dazu Raum gäben.

»Ach ja,« rief Leonce – »es sei so! Denn ehe die Beklommenheit des Herzens nicht aufgehört hat, eher wird der Segen eines guten Frühstücks nicht an mir in Erfüllung gehen. Ich habe einen Freund,« rief er mit Pathos und zog einen Brief hervor. »Wie ich zu diesem Glücke kam, wird vielleicht nicht besonders schmeichelhaft für meine Eitelkeit sein. Jetzt ist vors Erste unsere Verbindung die allerfeurigste der Welt – wo ich nicht bin, ist ihm die Erde eine erkaltete Leiche, ein ausgebrannter Krater – mein Athem belebt den seinigen – mein Auge ist der Stern, der ihm die Nacht des Lebens erhellt – mein Lächeln ist der Sonnenschein, der alle Keime seines Wesens grünend und blühend hervorruft – der Ton meiner Stimme ist die Melodie, die er wiederklingen fühlt durch alle Saiten seiner Brust – meine Gedanken ergänzen die seinigen – meine Neigungen passen zu seinem Karakter – mein Herz, so weich, so kühl dabei, wie Sie es alle kennen, stärkt und erquickt das seinige, was leidenschaftlich von besonderem Feuer belebt wird – ach, ich muß inne halten! Wo gäbe es eine Sprache, um[181] eine Leidenschaft zu bezeichnen, die nach langer, spröder Dürre, plötzlich dem gefundenen Ideal gegenüber, in ihrer vollen Stärke hervorbricht.« –

Ein lautes Gelächter aller seiner Zuhörer unterbrach hier den muthwilligen Spötter, und nur mit Mühe unterdrückte er seine Neigung, darin einzustimmen.

»Ach,« fuhr er fort – »findet denn Nichts hier Anklang, was, aus der Welt der Ideale hernieder gestiegen, Glauben verlangt an ein höheres Bedürfniß? Sind diese Wunder der Seelenverwandtschaft, die keinen höheren Nachweis fordern, als ihr geisterhaftes Erscheinen vor uns – sind sie Ihnen denn alle fremd? – Lucile, gefühlvolle Gattin – und Ehrendame der Königin, hat Ihr Herz nie diesen Takt geschlagen? – Armand, Kämmerer des Reichs – Marquis aus den Zeiten Arthur's und der Tafelrunde – ging die Welt der Seligkeit, die in einem Dir ganz gehörenden Freunde schon Homer's und Pindar's Gesänge verherrlichen, an Dir ungekannt vorüber? – Und Sie, Margot – voll Jugend und Unschuld – eine schöne Knospe, um die alle Blätter, zur Vollkommenheit entwickelt, sich eifersüchtig über dem süßen Dufte gewölbt haben, der darin sein Aroma bereitet – ahnt Ihnen nicht wenigstens der verhängnißvolle Augenblick, wo sie überlistet von ihrem Vetter – oder – um in der Bildersprache dieser schönen Gedankenoperation fortzufahren – wo – sage ich also – ein Sonnenstrahl Sie so lange bescheinen wird, bis Sie aufblühen – und der göttliche Duft so schwärmerischer Liebe oder Freundschaft, als mein Freund für mich fühlt, die Luft durchdringen wird?«

»Nein, nein, Leonce,« rief hier Margot, sich durch das allgemeine Gelächter mit ihrer feinen Stimme Bahn brechend – »auch im Spaße kann und will ich Ihre abscheuliche Empfindsamkeit nicht ertragen! Lucile, er reizt mir das Blut bis in die Fingerspitzen; – alles Gefühl, bis zum kleinsten Atome, möchte[182] ich aus mir herausjagen, um auch Nichts, keinem Sonnenstaube Aehnliches, in mir davon zu haben!«

»O Knospe, Knospe,« rief der unerbittliche Leonce – »dieser Zorn ist Symptom Deines Aufblühens! Sollte der Sonnenstrahl schon über Deinen Blättern stehen?«

Wild und glühend bis zum Scheitel, sprang Margot auf, und jetzt setzte sie so schnell über die marmorne Treppe, daß sie eine Stufe verfehlte; und hätte Leonce sie nicht, eilig zuspringend, in demselben Augenblicke im Arme emporgerissen, so wäre sie die baufällige Treppe hinab gefallen.

Als er sie ansah, erblickte er dicke Thränen in ihren Augen, und sie schlug fast nach ihm; so ungestüm dachte sie daran, sich von ihm zu befreien.

»Nein, nein, Margot, verzeihen Sie mir erst!« rief er mit seiner vollen Gutmüthigkeit; – »ich war zu ausgelassen, ich habe Ihnen wehe gethan und fühle mehr, wie Sie ahnen, den Schmerz, Sie beleidigt zu haben! Nein, nein, ich lasse Sie nicht eher los, bis Sie mir verzeihen!«

»Alles, Alles,« rief Margot – »nur lassen Sie mich los, ich sterbe sonst auf der Stelle!« Und noch einmal versuchte sie, ihre kleinen Hände zu befreien, und entschlüpfte Leonce, der sie los ließ, und verbarg sich hinter Lucile, die vergeblich zur Ordnung gerufen hatte.

»Ich bin ganz Deiner Meinung, Margot,« rief Lucile lachend, daß die Thränen ihr in den Augen standen – »Leonce ist ganz unerträglich – und ich wünschte, wir wüßten seine pendantische Rede über das Maaß noch auswendig, um sie ihm jetzt vor halten zu können; denn ich merke, die Nutzanwendung hört bei seinem eigenen Verfahren auf – wie das bei allen Buß-Predigern der Fall sein soll.«

»Sein Sie jetzt nicht zu streng, Lucile!« erwiederte Leonce »ich habe Etwas in den schönen Augen meiner kleinen Muhme[183] gesehen, was allen Uebermuth in mir ausgelöscht hat. Ich bin für heute bestraft genug und will Ihnen jetzt ganz einfach referiren; ja, ich bin so eingeschüchtert, daß ich, um nicht mehr von meinen Gefühlen verführt werden zu können, die Veranlassung weder nennen, noch bezeichnen will, Ihrem Scharfblicke das Weitere überlassend. – Der junge Graf von Bussy, der so eben seine Vermählung mit Mademoiselle de Guiche in Versailles gefeiert hat, ist auf dem Wege nach seinem schönen Schlosse Rabutin und kommt so nahe an Ste. Roche vorüber, daß er, von unserer Anwesenheit unterrichtet, mir gestern einen Boten sendete, mit der Bitte, seinen Besuch bei meinen liebenswürdigen Verwandten zu vermitteln.«

»O,« rief Lucile, freudig ihre Hände zusammen schlagend – »das ist eine allerliebste Nachricht – nun sollen Ihnen alle Ihre Unarten vergeben werden!«

»Auch, wenn ich bereits zugesagt habe?« fragte Leonce. »Der Bote traf mich auf dem Wege nach dem Kloster Tabor, dessen Bibliothek ich einen Besuch machen wollte; da gedachte ich des Beifalles, den Sie, liebe Lucile, der jungen Gräfin Guiche stets gezollt, und ich hatte entschieden, ehe ich die Schwierigkeiten überlegt, Ihnen diesen Vortrag zu machen.«

»Nun, ich bin versöhnt,« rief Lucile; – »denn ich finde diesen Besuch allerliebst! Und ich argwöhne, Leonce – mein Armand war mit Ihnen im Komplotte bei dieser Uberraschung!«

»Zufällig war Armand mit mir, als uns der Bote erreichte.« lachte Leonce. »Doch er ist so schüchtern, wie ich, seiner holden Tyrannin gegenüber; wenigstens hat er mir die ganze Verantwortlichkeit zugeschoben.«

»Nun,« erwiederte Lucile – »was meinst Du, Margot, sollen wir ihm vergeben?«

»Thue Du, was Du willst,« sagte diese von weit ber; denn sie war leise hinter Lucile fort bis an das niedere Geländer[184] der Terrassen-Brüstung geschlichen und schaute, Allen den Rücken zukehrend, in die Gegend. »Ich werde mich darauf noch ein Weilchen besinnen und namentlich auf seine fernere Aufführung Acht haben, ehe ich Frieden schließe.«

»Dann habe ich Ihre Versöhnung sicher,« antwortete Leonce, – »besonders, wenn Sie mir erlauben, Sie jetzt anzusehen.«

»Nein, nein! Armand, leiden Sie es nicht!« rief Margot; – »ich springe hier hinunter, wenn er mir nahe kömmt!«

»Sein Sie ruhig,« antwortete Armand – »jetzt nehme ich Sie in meinen Schutz. Doch sagen Sie, darf ich Ihnen nahe kommen? Und wollen Sie uns beistehen, im Schlosse die Zimmer auszuwählen, die wir für unsere zahlreichen Gäste bereit halten müssen?«

»Sogleich komme ich,« sagte Margot; – »doch hier in der Ferne entdecke ich etwas – ich muß es erst heraus haben, was es ist.«

»Ich will Ihnen helfen, Margot« – rief Leonce aufstehend; – »ich weiß vollkommen in der Gegend Bescheid.«

»Nein, nein,« sagte sie, rasch herunterspringend – »ich weiß jetzt, was es ist;« – und mit einem Satze war sie zwischen Armand und Lucile und mußte nun ihr glühendes Gesicht den lachenden Augen ihrer jungen Freunde preisgeben.

»Kommen Sie, Margot,« rief Armand und gab ihr mitleidig den Arm – »wir verständigen, alten Leute gehen voran – diese jungen Spötter mögen uns folgen.«

So durchzog man erst den anmuthigen, kleinen Burggarten, der unter den Fenstern der von ihnen bewohnten Zimmer lag und von einer hohen Brüstung untermauert war, an deren Fuße sich die schönen, grünen Waldwege anschlossen, die wenig von der Kultur erfahren hatten und mit kurzem, saftigem Waldmoose bedeckt waren. Dieser Platz, den sie heute zuerst[185] besucht hatten, ward für würdig erkannt, auch den Gästen zur Frühstücksstunde zu dienen, da er Schatten und Kühlung versprach. Dann wandelte man durch die bewohnten Gemächer, um die Haupttreppe zu erreichen, die in die oberen Zimmer führte, welche über denselben lagen.

Hier, auf dem alten, mit Marmor-Statuen geschmückten Treppenflure blieben Alle, überrascht von ihren Erinnerungen an d'Anvilles Erzählung, stehen; und die Nacht, in der die beiden unglücklichen Brüder zu einer so fürchterlichen Katastrophe ihres Lebens diese Treppen erstiegen, stand Allen so lebhaft vor Augen, daß sie ihren frohen Lebenshauch aufhielt.

»Nein,« rief d'Anville – »mein Herz wird nicht eher ruhig schlagen, bis diesem armen, edeln Reginald Recht geschehen ist!«

»Und,« setzte Lucile mit dem lieblichen Ernste ihrer plötzlich erblaßten Wangen hinzu – »meiner heiligen, herrlichen Tante Fennimor! O, Armand, ich buhle mit ihrem Schatten, der diese Räume heiligt, um die Gunst ihrer Liebe; – ich will, sie soll mich gern als ihre Verwandte anerkennen!«

»Vielleicht segnet sie unsere Absichten,« sagte Armand; und unwillkürlich hing Lucile's Arm in dem ihres Gemahls; – und Margot war so erschüttert, daß sie sich ohne Weigerung von Leonce auf der Treppe unterstützen ließ, weil sie ihren ganzen Streit mit ihm vergessen hatte.

»Die Zimmer über den unsrigen sollen von den verschiedenen Besitzern stets im wohnlichen Stande gehalten sein,« erzählte Armand – »in ihnen müssen wir unsere Einrichtungen treffen.«

»Und berühren wir damit den Bankettsaal?« fragte Lucile. –

»Nein, dieser Theil des Schlosses bleibt uns links, wir wenden uns auf dem oberen Treppensaale rechts.«[186]

Sie fanden hier eine alterthümliche, aber reiche Ausstellung von vielen, wohl an einander hängenden Gemächern, und Leonce, der beständig die Chronik und den alten Plan des Schlosses studirte, sagte ihnen, dies seien die Gesandten-Zimmer. Katharina von Medicis habe sie noch mit ihren kostbaren, vergoldeten Ledertapeten, zum Empfange der polnischen Magnaten einrichten lassen, die sie dort in der Stille für ihre Sache zu gewinnen suchte.

»Wir werden doch wohl mit diesen Zimmern ausreichen?« fragte Armand Leonce.

»Nun, wie viel Gäste erwartest Du denn?« sagte Lucile. –

»Ich höre, es werden sich einige Freunde des jungen Ehepaares in seinem Gefolge befinden, und ich habe Alle hierher eingeladen; denn ich hoffe, wir fesseln sie so eine Zeit lang an unser altes Geisterschloß.«

»Und wie ich hoffe, Leonce,« sagte Lucile – »befindet sich unter ihnen auch Ihr junger, feuriger Freund, der Sie so überaus empfindsam stimmt, und den Sie uns jetzt doch nennen werden?«

»Nein, nein, liebe Lucile, das soll Ihrem Scharfsinne überlassen bleiben; ich verrathe ihn nicht und will Acht geben, wer von Ihnen beiden, ob Sie – oder meine kleine Muhme Margot ihn zuerst errathen wird.« –

»Sein Sie sicher, daß ich Ihre Freunde nicht zum Gegenstande meines Nachdenkens machen werde – am wenigsten aber begierig bin, diesen empfindsamen Jüngling kennen zu lernen!« Mit diesen lebhaften Worten rannte Margot schnell aus der Nähe ihrer Freunde, welche sie erst vor einer Portrait-Statue auf dem Treppensaale wiederfanden. Sie schauderte zusammen, als man sie anredete, und wies mit unverholener Bangigkeit auf die kühne, drohende Gestalt, vor der sie stand. »Es ist Spinola,« sagte sie, kaum hörbar.[187]

Alle theilten ihre Ansicht; und hingerissen von den Erinnerungen, die hier überall ihren Schauplatz fanden, trat bei Jedem der Wunsch hervor, dennoch die verhängnißvollen Gemächer zu betreten, wo ihrer so viel Grauen Erregendes wartete, und Lucile bestätigte ihren früheren Ausspruch: Sie habe nichts dagegen, sich ein wenig zu grauen, wenn sie dabei recht gesichert wäre – und so schien Margot auch zu denken. Doch nahm sie abermals und, wie es dies Mal schien, ohne alle Zerstreuung den Arm ihres bösen Vetters Leonce an.

Es war gewiß ein erschütternder Eindruck, diesen alten verfallenen Saal zu betreten, der seit der letzten gerichtlichen Untersuchung verschlossen gewesen war. Keine Hand hatte Willen oder Berechtigung gefühlt, hier die Spuren des Vorgefallenen, die früher sogar erhalten werden mußten, zu vertilgen; – und der Marquis und Leonce bereueten fast, von eigener Neugier verführt, den Damen so viel zugemuthet zu haben. Da standen gegen den Kamin die beiden Lehnstühle, der eine mit Kissen bedeckt, deren heller Atlas jetzt mit dunkeln Flecken fast verdeckt ward – und daneben das schrillende Tischchen von getriebenem Kupfer, mit der wunderlich eingelegten Platte. – Beide Damen standen mit unterbrochenem Athem davor; selbst die Männer blickten mit Ernst und Grauen auf diese verhängnißvollen Plätze; doch Leonce, der zugleich wünschte, die erblaßten Damen wegzuführen, eilte nach dem Ende des düsteren Saales, und leicht gelang es ihm, die Thüre nach der Gallerie zu öffnen, die er hier, gut vertraut mit dem Plane des Schlosses, vorzufinden sicher war.

Er fand die Thüre nur angelehnt, und als er sie aufstieß, glaubte er eine weibliche Gestalt am Ende der Gallerie verschwinden zu sehen; doch war diese so mit kleinen, selbst gesäeten Gebüschen bewachsen, daß ihm kein freier Durchblick gestattet war, und er fast beschämt seine forschenden Augen[188] zurückzog, überzeugt, es sei ein Spiel seiner eben so lebhaft erregten Phantasie. – Es drang indessen ein Strom von Luft und Sonnenlicht durch die geöffnete Thüre, daß sich Alle der erfreulichen Richtung zuwendeten. Aber indem sie ihr entgegen eilten, mußten sie an der großen, eichenen und noch immer behangenen Tafel vorüber, auf der Ludwig sein Leben ausgehaucht; und das scharfe Licht, was jetzt durch die Thüre strömte, erhellte sie und den dunkeln Fußboden davor.

»Was ist das?« rief Lucile, überrascht stehen bleibend – »dies ist ein Grab, mit Blumen überdeckt!«

Man nahete sich. Die Vegetation der so schmerzlich gedüngten Stelle war nicht zu läugnen; der feuchte Saal hatte die traurige Aussaat begünstigt; aber ein frischer Kranz von Epheu und Cypressen konnte diesem Stillleben der Natur nicht zugerechnet werden; und Alle blieben schweigend vor dem nicht erklärbaren Ereignisse stehen.

»Nun,« sagte Leonce – »wir wissen ja, daß wir nicht die alleinigen Bewohner dieses Schlosses sind. So muß denn Emmy Gray diesen Kranz hierher gelegt haben, und dieser Theil des Schlosses muß mit ihren Gemächern im Zusammenhange stehen.«

»Das ist wenigstens so prosaisch, als möglich, er klärt!« rief Margot – »ich schwöre aber darauf, die Alte war es nicht. Denn mit achtzig Jahren, wie sie bald sein kann, ist man nicht mehr so sentimental; und da sie schon seit einigen zwanzig Jahren diesen traurigen Ort über sich wußte, so ist es unwahrscheinlich, daß sie erst jetzt ihren Kranz fertig bekommen haben sollte; – denn es ist der einzige hier und ein völlig frischer!«

»Ach,« sagte Lucile – »denkt doch an die Erscheinung, die wir in den ersten Tagen unseres Hierseins hatten, wie wir unter der alten Terrasse hinritten, die vor Emmy's Zimmer liegt, und am Fensterkreuze die reizende Gestalt im weißen[189] Gewande schweben sahen, die sich lange genug zeigte, um von uns Allen gesehen zu werden, und dann plötzlich, wie ein Geist, verschwand! O, ich bitte Euch, laßt mich von hier fort auf die sonnenhelle Gallerie treten – wenn ich Luft habe, will ich beichten. Ihr werdet hier meine Neugier nicht verspotten, und ich kann nicht länger schweigen – selbst, wenn Ihr mich Alle auslachen solltet. Ach, Armand,« sagte sie, sich an ihn lehnend – »man ist nicht umsonst in diesem Geisterschlosse – ich erwarte überall Fennimor zu finden, ich wünsche es so brennend, daß mein Geist sich dabei verwirrt, und ich es für möglich halte. Deshalb,« fuhr sie fort, während der Marquis die holde, überspannt blickende Frau nach der Gallerie führte, »wüßte Emmy Gray, wie ich ihre Fennimor liebe, wie ich mich nach den Ueberresten ihres heiligen Engellebens sehne – sie nähme mich bei sich auf, sie würde mich anerkennen als Fennimors Verwandte!«

»Wir haben ja dazu noch Hoffnung, meine Liebe,« sagte der Marquis beschwichtigend. »Auch ich denke, unser Entschluß, endlich hierher zu kommen, soll uns noch gute Resultate bringen; ich könnte hier nicht eher fort, bis etwas Versöhnendes geschehen ist; obgleich ich gestehen muß, daß ich noch nicht weiß, wie es zu machen sein wird. Fast geht es mir, wie Dir; auch ich sehe umher, als erwartete ich etwas, wenn auch nicht Fennimor, den sanften Engel, dem ich seine höhere, nähere Vereinigung mit jener Welt, ohne einen egoistischen Wunsch für unsere Herzen, gönne.«

»So ist es, meine theure Lucile,« sagte Leonce, freundlich seiner bewegten Schwägerin nahend – »diesen Standpunkt müssen Sie festhalten – denken, wie diese hier schon verklärte Fennimor die höchste Seligkeit genießen muß, dann werden Sie Ihr schönes Gleichgewicht wieder erhalten, und wir werden uns Alle dem Leben um so theilnehmender zuwenden,[190] da es uns so heilige Pflichten auferlegt gegen ihren berechtigten Erben.«

»Ja,« sagte Lucile, ihm ihre schöne Hand reichend – »ich wußte wohl, daß Leonce eben so wenig an diesem Erbe Freude haben könnte, als wir selbst; doch ist es großmüthiger von Ihnen, wie von uns, da wir außerdem so viel reicher sind, wie Sie.« –

»Theure Lucile! Wenn wir die Rollen eben tauschen könnten, würden Ihre Gesinnungen gewiß nicht damit wechseln! Habe ich doch, wie Armand, was mir von diesem Vermögen zufiel, bisher nicht zu meinen Revenüen zugezählt – und ich hoffe,« setzte er lächelnd hinzu – »Sie haben mich stets elegant und vortrefflich eingerichtet gefunden.« –

Sinnend drückte Lucile dem geliebten Verwandten die Hand. »Aber wer war es denn,« fuhr sie plötzlich empor – »wenn es Fennimor nicht sein kann?«

Leonce sah unwillkürlich die Gallerie hinauf – aber Lucile fuhr fort: »Unser Streit an dem Abende, nachdem wir Alle jene Erscheinung in Emmy's, nur als von ihr bewohnt bezeichnetem Zimmer gehabt hatten, trieb mich am anderen Morgen früh aus meinem Bette, und ich wandelte hinaus – ich glaube fast, schon in der Absicht, in Emmy's Wohnung einzudringen. Durch Gebüsche mich durchdrängend, stehe ich vor dem kleinen Eingangsthurme – und diese mir als verschlossen und verrammelt geschilderte Wohnung liegt plötzlich mit geöffneten Thüren vor meinen Augen.«

»Sagt, war es nicht verzeihlich, daß ich eintrat? Ach, ich habe nur einen allgemeinen Eindruck erfahren; Einzelheiten kann ich Euch nicht anführen; mein Herz, meine Sinne waren in der Erwartung gespannt, Emmy jeden Augenblick begegnen zu können. Nur so viel weiß ich, ich durchwandelte fürstlich eingerichtete Räume – alle im frischesten Glanze – das Ganze,[191] wie zum Feste, mit blühenden Blumen geschmückt – ein Paradies – oder vielmehr ein würdiger Raum, sich Fennimor gegenwärtig zu denken. Da sah ich endlich Emmy Gray.« –

»Wie,« riefen Alle, »Du sahst sie?« –

»Ja, aber sie mich nicht! In tiefem Schlafe ruhete sie in einem Lehnstuhle vor einem großen prachtvollen Bette. Diese in Alter und finsterem Gram erstarrten Züge konnten nur Emmy Gray gehören! Aber wen bewachte sie in diesem Bette? Gott,« fuhr sie fort, indem sich ihre Augen füllten – »Armand, Du hast uns Fennimor so genau beschrieben, Du sahest ihr schönes Bild so oft bei Deinem armen Oheim, ich hatte Deine Worte so lebhaft aufgefaßt, daß ich kaum den lauten Schrei bezwang, wie ich in dem grünen Damastzelte des Bettes Fennimors schlafendes Engelsbild erblickte.« –

»Lebend? Einen lebenden Gegenstand?« riefen Alle. –

»Ja, lebend! – Wenn die reinste Farbe, die der gesunde Schlaf auf unsere Wangen malt – wenn das Lächeln des halb geschlossenen Mundes – wenn der leichte Kinderathem, der jugendlich ihren Busen hob; – wenn dies anders Lebenszeichen sind! – Dabei der braune Lockenschmuck – die schmale, weiße Hand, die Du gerühmt; – ach, Armand,« rief Lucile, in seinen Armen sich verbergend – »es war Fennimor! Denn wen – wen würde Emmy Gray sonst bewachen, wie Wärterinnen an der Wiege des geliebten Kindes wachen?«

»Sonderbar – unbegreiflich!« riefen Lucile's Anverwandte. Sie hatte von Niemandem Spott zu fürchten – Alle theilten ihre Bewegung.

»Aber weiter – weiter!« rief Armand, nun die tiefe ungewöhnliche Bewegung, die er in der letzten Zeit an ihr bemerkt, erklärt findend. »Sag', geliebte Lucile, geschah Dir auch nichts?« – Sie an seinem Herzen haltend, konnte er sich kaum überzeugen, daß sie ohne Schaden davon gekommen sei.[192]

»Ich weiß nicht,« fuhr Lucile fort, das bewegte Gesicht erhebend – »wie lange ich, in dem schönen Anblicke verloren, so vor der Schlummernden stand. Da hob Emmy den im Schlafe niedergesunkenen Kopf in die Höhe, und obwol sie nicht erwachte, ergriff ich doch die Flucht und kam unbemerkt zurück. – Vergebt mir, daß ich es Euch verschwiegen,« setzte sie, fast flehend zu Armand emporblickend, hinzu. »Oft habe ich es versucht; aber ich war beschämt über mich selbst, ich wollte Eure gute Meinung nicht verlieren, ich wollte besonders mich nicht Euren Neckereien aussetzen.«

»Da nehmen Sie den Vorwurf hin!« sagte Margot zu Leonce. »Ihre Neckereien sind es, die meine liebe Lucile zu dieser Heimlichkeit verführt haben; ich hoffe, Sie bereuen!«

»Mehr, wie Sie denken!« erwiederte Leonce, ernster, als der Vorwurf es verdiente. »Glauben Sie mir, theure Lucile, ich unterliege, wie Sie, dem Einflusse dieses Schlosses und dem Nachklingen seiner Begebenheiten, die Armand uns so lebhaft vorgetragen. Es ist mit dem Gedanken an Fennimor in meiner Brust ein unaussprechliches Gefühl von Sehnsucht und Schmerz erweckt. In solcher Stimmung übertreibt man leicht, wenn man nicht einzugestehen wagt, daß man ernster ist, als die günstigsten Umstände es rechtfertigen; darum verzeiht mir Alle!«

»Nun,« lachte Margot – »hier ist ein förmliches Beichtesitzen – eine Demuth – ein Abbitten; – nur mein Bekenntniß fehlt noch, daß ich eben so oft weinte, wie lachte und Euch das Erstere auch nicht sehen ließ.«

»Es scheint mir, wir haben Alle Ursache, unsere Gäste willkommen zu heißen;« hob jetzt Armand freundlich an; – »ich habe mit meiner Erzählung Euch Allen den frohen Lebensmuth getrübt! Unter unbefangenen Freunden, denen wir als Wirthe unsere Aufmerksamkeit schenken müssen, werden wir alle unsere eigne Natur wiederfinden.«[193]

»Nun hat Armand auch eine Sünde gegen uns gebeichtet,« rief Margot. – »Wir sind also Alle schuldig, und ich fange hiermit an und vergebe Allen!«

Freundlich blickte Jeder auf das reizende, feurige Mädchen, die, um sich den Blicken zu entziehen, durch die wilde Vegetation hindurch drang, die, über den Rand der Gallerie sich schleichend, nachgerade den ganzen Raum usurpirt hatte.

Mechanisch folgten ihr die Andern, und plötzlich die Lage erkennend, rief Leonce: »Wissen Sie, meine Damen, daß wir vor dem Eudoxien-Thurm stehen?«

»Das habe ich gedacht,« entgegnete Lucile. – »Laßt uns denn näher gehen – sein Anblick wird doch von uns allen heimlich ersehnt!«

Schon rief Margot: »Ich bin an der Thür, und sie ist nur angelehnt!«

Armand hielt Lucile einen Augenblick zurück. Sein Herz trieb ihn, ihr im Geheim ein liebevoll tröstendes Wort zu sagen. Leonce eilte daher an ihnen vorüber, und trat hinter Margot in das Eudoxien-Gemach.

Doch dauerte die herzliche Zwiesprache zwischen Lucile und Armand nicht lange. Ueberrascht blickten sie auf Leonce, der, aus dem Zimmer zurück auf den Marquis zustürzend, diesen mit Heftigkeit am Arme ergriff. »Armand,« rief er, während Todtenblässe und hohe Röthe sein schönes Gesicht abwechselnd überlief – »Armand, was kann das sein? Sie – ihr Bild!« – Er stammelte, er war gänzlich außer Fassung.

»Was ist geschehen?« rief Armand erschrocken – »was kann Dich so überraschen?«

»O kommt doch – kommt doch!« tönte Margots helle Stimme aus dem Gemache. Schon flog Lucile der Richtung entgegen. Als sie die Thür aufstieß, stand Margot ganz vertieft in den Anblick eines lebensgroßen, weiblichen Bildes, und[194] als Lucile davor hintrat, stieß sie mit einem Schreie der Ueberraschung die Worte aus: »Heiliger Gott, das ist sie!«

»Ja, in Wahrheit,« rief Armand, der schon hinter ihr stand; – »das ist das Bild Fennimors! Zwar nicht dasselbe, was mein Oheim bei sich hatte; aber dennoch ihr treues, unverkennbares Abbild!«

»Und das meiner Schlafenden!« rief Lucile. – »Ja, ja, ich täusche mich nicht – es gleicht ihr Zug für Zug; und gewiß sind die Augen mit den langen, schwarzen Wimpern, die ich geschlossen sah, so tief blau, wie diese! Ja,« wendete sie sich zu Leonce, der, athemlos ihr zuhörend, dennoch Zeit gehabt hatte, sich zu fassen – »ich begreife Ihr Erstaunen! Auch ich glaubte, die lebende Fennimor käme mir entgegen, als ich hier eintrat.«

»Nicht wahr,« sagte Leonce zerstreut – »es kann selbst starke Nerven erschüttern? Sehen Sie hier – damit wir außer Zweifel sind – diese Unterschrift: Fennimor Lester, vermählte Gräfin Crecy-Chabanne – gemalt im Jahre der Gnade 1670 von Eustace Lesüeur.«

»Das ist also das zweite Bild, was er malte, welches wahrscheinlich Emmy Gray für sich zurück behielt. Ihr werdet Euch dessen erinnern,« fuhr Armand fort – »Graf Leonin sagte mir immer, es habe die größte Mühe gekostet, nur Eins von den Bildern zu erhalten, die Lesüeur damals machte; und erst, als er seinen Wunsch aussprach, einen Grabstein darnach anfertigen zu lassen, willigte Emmy Gray ein, oder ließ sich vielmehr das eine, ihr minder liebe Bild wegnehmen.«

Während dieser Worte betrachteten Alle das wundervolle Bild des unsterblichen Lesüeur. Jeder entdeckte neue Vorzüge; Jeder fühlte, es sei mit Liebe und Begeisterung bis in die kleinsten Einzelnheiten ausgeführt worden.[195]

Fennimor war in einem weißen, gewässerten Moorkleide gemalt, welches über Schultern und Brust mit Agraffen von bunten Steinen befestigt war. Sie saß auf der von Eichenholz künstlich geschnittenen Bank, die zu dem dazu passenden Lesepulte gehörte, welches, zur linken Seite geschoben, mit Fennimor in Verbindung stand; denn ihre eine schlanke, weiße Hand ruhte darauf und auf dem kleinen Andachtsbuche, worauf man Worte las, die es als das neue Testament bezeichneten. Sie selbst schien sich nur eben davon weggewendet zu haben und sah, en face genommen, ganz aus dem Bilde heraus, mit einer so wunderbar anziehenden Stellung des Kopfes, daß Jeder fühlte, das habe der Maler nicht erfunden – die Natur habe es ihm vorgemacht. Ihre tiefen, blauen Augen blickten mit einem ernsten, begeisterten Feuer; der volle, kindliche Mund, der die schönste Bogenlinie bildete, war so gut und überredend halb geöffnet, daß er erst den Ausdruck der Augen vollständig erklärte; darüber die feine Nase, die wie von Marmor gemeißelt, und ohne dem lieblich runden Gesichte seinen kindlichen Zuschnitt zu benehmen, dennoch ein reines, griechisches Vorbild war. Aber die braunen Locken! Man konnte erkennen, daß sie Lesüeur zur Verzweiflung gebracht hatten. Man hätte glauben können, er habe sie endlich mit Gold übermalt und dann bloß die Schatten hinein gesetzt; sie glänzten wirklich, und die Wellenlinien, die ihre zarte Stirn umgaben, hatten erkennbare, feine goldene Linien. Und dieser Engelskopf ruhte ahnungslos über dem schönsten Körper! Dieser vorgebogene, schlanke Hals, wie fein war er auf den Schultern angesetzt – wie sorglos hielt die Spange die Falten, die über dem Latze die feinen Formen umhüllten! Keine üppige Fülle – eine Psyche, die auf den eben entfalteten Flügeln noch den zarten Blüthenstaub trägt, den selbst Zephir sich zu berühren scheut![196]

Auf einem kleinen Fußschemel stand ihr linker Fuß ziemlich hoch, so daß die Bewegung des Oberleibes wie darüber hinausgebogen erschien, was ihr einen bezaubernden Ausdruck von kindlicher Naivität gab. – In ihrem Schooße lagen Rosen, als habe sie dieselben im Kleide gesammelt, und die rechte Hand mit dem reizenden Arme, der unter dem Robenärmel vorsah, hielt oder stützte sich auf ein fremdartiges Instrument, das man auf alten Bildern in den Händen der Engel wohl als kleine Harfen sieht. Dieses ruhete in den Falten des lang niederfallenden, reichen, seidenen Gewandes; – und der Hintergrund schien der Purpursammet einer Tapete.

»Ach,« rief Margot – »nie sah ich etwas Aehnliches! Ich wollte, wenn sie lebte, zu ihren Füßen liegen! Sie muß, wenn sie gesprochen hat, die Geheimnisse des Himmels verrathen haben!«

»Aber,« rief Lucile – »sie lebt! Ich sah sie! Ich bitte Dich, Armand – denke Dir, daß die, welche ich in Emmy's Bereiche sah, lebt; daß sie vielleicht eine Verwandte – Gott, daß sie vielleicht Fennimors Verwandte ist! Ich bitte Dich, laß uns daran denken, der Alten näher zu kommen; sie muß uns den Eintritt gestatten – sie darf sich uns nicht länger entziehen!«

»Nein, theure Lucile, laß uns in unserem Eifer nicht zu weit gehen! Ihr könnt mir den Widerstand, den ich, so lange wir hier sind, Eurem Andringen entgegen setzte, nicht als Eigensinn auslegen. Es ist die Heiligkeit des gegebenen Wortes, die mich fest sein läßt! Die unanrührbare Stellung, die mein Oheim dieser armen, gekränkten Seele auch nach seinem Tode zu sichern suchte, war von dem vielen Unglücke, das er verschuldet hatte, das einzige, was in seiner Macht lag, versöhnend zu gestalten. Es war ihm gleich, was aus allen seinen Besitzthümern ward; aber Emmy's Lage zu sichern, mit allen[197] Launen, mit allen Anforderungen und Thorheiten, die sich im Laufe der Zeit bei ihr einfinden konnten, dazu schien ihm keine Instruktion bindend, ausreichend genug; – und wenn er Alles schriftlich und gerichtlich bestätiget hatte, nahm er doch auf eine rührende und mir unvergeßliche Art mich dann noch persönlich in Anspruch, und ich mußte immer wieder aufs Neue ihm das Versprechen geben, sie wie ein Heiligthum zu ehren.«

»Ach, das wollen wir ja eben!« rief Lucile. »Ich will sie ehren, als stände sie wie meine Eltermutter an der Spitze meiner Familie!« –

»Vergiß nicht, meine Theure, daß wir sie nicht nach unserer Weise beglücken oder ehren können! Bedenke, nach dem, was Du weißt, die nothwendige Gestaltung ihres Karakters! – Als ich nach dem Tode des Grafen Leonin ihr zuerst unter meinem Namen ihre Revenüen auszahlen ließ, schrieb ich ihr in englischer Sprache, der einzigen, die sie liest, ich glaube mit dem Ausdruck eines Sohnes an seine Mutter. Ich bat sie, mir zu gestatten, daß ich ihr ausreichendere Pflege senden dürfe; ich bat sie, ihr einen Besuch machen zu dürfen! Alles verfehlte jedoch seinen Zweck. ›Ich will von Euch Allen Nichts, als ungestörte Ruhe, und daß Niemand meine Rechte in diesem Schlosse anrührt!‹ Dies stand kaum leserlich auf einem alten, vergelbten Blatte, das mein Bote mir zurück brachte. Kinder waren dabei die Mittelspersonen gewesen; Niemand hatte Emmy selbst zu sehen bekommen.«

»Beruhige Dich,« fuhr er fort, sich Lucile nahend, die sichtlich durch diese Rede beschämt und verlegen war. »Dein kleines Vergehen, das überdies so spurlos vorüber ging, quält mein Gewissen nicht und belastet Dich weniger, da ich mich vielleicht niemals so ausreichend über meine Verpflichtungen aussprach.«

»Nun,« sagte Margot – »es ist immer gut, daß Ihr es thatet; denn ich gestehe, daß ich noch einen kleinen Groll[198] gegen Euch im Herzen hatte, wegen Eures ungestümen Widerstandes, wie wir am Tage nach der Erscheinung am Fenster, durchaus die Alte besuchen wollten.«

»Gewiß verdiene ich auch Ihre Verzeihung« – erwiederte Armand. »Uebrigens wird es Sie freuen, zu hören, daß mir eine andere Aussicht eröffnet ist.«

»Etwa in dem liebenswürdigen, alten Vikar – oder in Veronika?« rief Lucile. –

»Sie stehen in keiner Verbindung mehr mit Emmy Gray; ich sprach mit Beiden darüber. Die einzige Person, die sie zuweilen sieht, ist ein sehr alter Arzt, dessen tüchtigen Karakter mir die beiden edeln Geschwister sehr loben, und von dem sie glauben, daß er selbst Neigung habe, mich kennen zu lernen. Ich würde ihn schon gesehen haben; aber er hat das Physikat des ganzen Kreises, und ein wichtiges Geschäft rief ihn gerade an dem Tage, wo er sich hatte bei mir anmelden lassen, zu einem fernen Krankenhause der soeurs grises, in welchem sich bedenkliche Symptome gezeigt haben sollen. Doch enthielt sein Brief eine ziemlich bestimmte Aufforderung, seine Rückkehr abzuwarten.« –

Die ferne Hoffnung auf den alten Arzt tröstete die Damen über ihre kühneren, durch Armand's Festigkeit vereitelten Pläne, und jetzt gewannen sie erst Augen für den Eudoxien-Thurm.

Wir kennen dessen Ausstattung. Fennimor's Sorgfalt hatte zuerst den Zerstörungen der Zeit entgegengewirkt, in derselben Weise fuhr Emmy gewissenhaft in seiner Pflege fort, und so war hier Viel zu betrachten; denn auch der Harfion ruhete in einem Chorstuhle von geschnitztem Holze, und das Betpult der armen Eudoxia, was, von der Zeit gerüttelt, kaum noch wagerecht stand, war dennoch von jeder Spur der Vernachlässigung frei und lange den wehmüthigen Blicken Aller ausgesetzt.[199]

Doch entdeckten sie von hier keinen Ausgang weiter, und man trat den Rückweg an, aufs neue lebhaft von dem Wunsche ergriffen, Emmy in ihrer eigensinnigen und jetzt so geheimnißvollen Einsamkeit nahen zu dürfen.

Zur Zeit der Tafel kam der voraneilende Courier des Grafen von Bussy und meldete die Annäherung der Herrschaften, und die geschickten Diener des Marquis d'Anville meldeten zugleich die vollendete Einrichtung der Gastzimmer. Nach der Tafel bestiegen die Herren ihre Pferde, und die Damen besuchten mit gehörigem Gefolge die Gastzimmer, um eine letzte Uebersicht zu halten und die ihnen nachgetragenen Blumenvasen nach ihrer Anordnung aufstellen zu lassen.

»Begreifst Du den Zustand, in den Leonce gerieth, wie er das Bild von Fennimor erblickte?« fragte Margot ihre Cousine, als sie, auf einen Balkon tretend, sich niederließen, während in den Zimmern ihre Befehle ausgeführt wurden.

Ein rascher, fast neckender Blick aus Lucile's Augen traf Margot, die plötzlich erröthend, ihr Gesicht nach dem geöffneten Zimmer wendete.

»Nun,« sagte Lucile – »was weiter – er ist empfänglich für weibliche Schönheit; und – gestehen wir es nur – diese Fennimor schlägt Alles nieder, was an uns selbst in diesem Fache zu loben sein möchte. Doch trösten wir uns, mein Mühmchen, Bilder sollen uns nicht gefährlich werden!«

»Davon ist auch nicht die Rede,« sagte Margot ziemlich ernst. »Du müßtest ein seltsames Gemüth haben, wenn Armand sogar Deine Eifersucht erregte. Ich denke, Fennimor könnte leben, und Deine Ruhe würde an ihrer Seite doch unangefochten bleiben.«

Lucile lächelte mit inniger Befriedigung. »So ist es, meine holde, kleine Weisheit – und Du hast gut Schlüsse machen, da er selbst Deinen schönen Augen gegenüber den standhaften Prinzen machte.«[200]

»Laß' den Spott, Lucile,« sagte Margot – »wir wollen ein wenig vernünftig reden. Ich gestehe Dir, Leonce gefällt mir nicht – es fehlt ihm Etwas – glaube mir, ich habe ihn schärfer beobachtet, als Ihr Alle!«

»So!« sagte Lucile lachend. »Ein seltsames Geschäft für ein junges Fräulein von achtzehn Jahren! Solche Beobachtungen sind, wenn sie scharf sind, leicht gefährlicher Natur. Was fangen wir an, wenn Du mit so bedenklichen Dingen Dich beschäftigst?«

»Du willst nicht vernünftig sein, Lucile, und ich wäre es so gern einmal. Leonce flößt mir den größten Antheil ein; aber ich fühle, daß ich ihm nicht helfen kann; und da ich sehe, daß Ihr Alle taub und blind seid, so wollte ich Dich darauf aufmerksam machen – vielleicht, daß Armand durch liebevolle Fragen ihm zu Hülfe kommen könnte!«

»Vielleicht,« lächelte Lucile – »daß Du selbst ihm durch einige liebevolle Fragen zu Hülfe kommen könntest, auf die er Dir gewiß die Antwort nicht schuldig bleiben würde. Genug! Du hast Deine Absicht, mein besonderes Interesse für ihn zu wecken, nicht verfehlt; doch so leichtsinnig, wie Du glaubst, waren weder Armand, noch ich. Auch wir sind einig, daß ihm Etwas fehlt, auch wir finden, daß er verändert ist; aber wir finden zugleich, daß wir ihm nicht geben können, was ihm fehlt, und haben längst beschlossen, ihn Dir zu überantworten. Da Du ihn nun so scharf beobachtet hast, so zweifle ich nicht, eine liebevolle Frage Deinerseits wird Dir sein ganzes Vertrauen erwerben.«

»Und Du?« rief Margot, bis unter den Scheitel erglühend, indem sie, ungeduldig mit dem Fuße stampfend, aufsprang – »Du bist heute nicht zu einem vernünftigen Worte tauglich! Ich habe Alles vergeblich an Dich verschwendet und stehe wie ein albernes Kind vor Dir und muß Deine ausgelassene Laune ertragen, als hättest Du Recht!« –[201]

»Wenn Euer Gnaden etwas weiter vortreten, werden Sie den Reisezug der Herrschaften durch das Thal kommen sehen.« sprach der Haushofmeister, sich am Eingange der Thüre zeigend.

Sogleich folgte man der Anweisung, und mehrere Reisewagen, von einigen Herren zu Pferde begleitet, zeigten sich den erfreuten Damen.

Noch ein Mal durchliefen sie die Zimmerreihe, die nun, so viel dies in den Gemächern von Ste. Roche möglich war, ein ansprechendes Ansehen gewonnen hatten, und eilten dann hinab, ihre Gäste zu empfangen.

Heloise von Guiche, die jetzige Gräfin Bussy, war mit Lucile in demselben Kloster erzogen worden, und später hatten sie zu gleicher Zeit ihren Platz als Ehrendamen der Königin erhalten. Oft verschüchtert von den herrschenden Sitten bei Hofe, hatten Beide ihren Trost in einander gefunden und Beide schätzten sich mit der ruhigen Zuneigung, die man allein der Achtung schuldig wird.

Die blonde, jugendliche Heloise hatte die regelmäßige Schönheit, mit der wir nach einigen Augenblicken des Erstaunens fertig werden, wenn wir uns überzeugt haben, daß die Seele, die dahinter lebt, ein eben so regelmäßiger Körper ist, der auf der Außenseite nie eine Veränderung hervorrufen wird, nach der wir doch anfangen uns zu sehnen, wenn wir Zeit behalten, unsere Ansprüche über das Vergnügen der Anschauung hinaus zu richten. Man konnte nichts Vollständigeres sehen, als ihre rein griechische Gesichtslinie, ihr Haar von hochblonder Farbe, ihre bewundernswürdige Hautfarbe und die hohe Gestalt, welche die gewöhnliche weibliche Größe überragte und, von einer antiken Fülle verschönert, immer an die Statuen erinnerte, denen wir die Bekanntschaft mit der alten Götterwelt verdanken. Dazu kam die plastische Ruhe ihrer Bewegungen, die vorzüglich karakteristisch in der Unbeweglichkeit ihrer wunderschönen Arme[202] und Hände hervortrat – genug, sie war eine erstaunenswerthe Erscheinung, der man eher einen Tempel zur Wohnung, ein Piedestal zum Ruhepunkt angewiesen hätte, als das Gesellschaftszimmer und den Fauteuil. Doch war ihr hierzu Alles anerzogen, was nöthig war, und das immer gleiche, verbindliche Lächeln, der Gebrauch, stets leise rieselnd zu sprechen, die große Gefälligkeit, Andere nie durch Fragen oder Gedanken zu belästigen und immer höflich zuzuhören, wenn gesprochen ward, hatten ihr allgemeine Bewunderung erworben. Lucile de Maurepas wußte jedoch, daß außer dieser bequemen, äußeren Erscheinung, ihr ein festes, tugendhaftes Herz inne wohnte, daß sie Gefallsucht und Eitelkeit aus reinem weiblichen Instinkte verabscheute und mit unerschütterlichem Muth alle Verführungen abgewiesen hatte, die an dem Hofe Ludwigs des Fünfzehnten jeder ausgezeichneten Schönheit drohten und leider mit nur zu viel Bereitwilligkeit von den ersten und vornehmsten Familien des Adels entgegen genommen wurden, die eine so hoch herkommende Entehrung aufgehört hatten, unter sich so zu benennen.

Dennoch waren beide Frauen, seitdem Lucile de Maurepas, Marquise d'Anville ward, fast ganz aus einander gekommen, und die bescheidene Heloise, die für Lucile eine beinah schwärmerische Bewunderung fühlte, wagte nicht, sich selbst anzumelden, sondern überließ dies ihrem Bruder, dem jungen Grafen Guiche, der mit Leonce und Armand befreundet war.

»O, Madame,« sagte sie jetzt, von Armand geführt, mit der anmuthigsten Bescheidenheit sich vor Lucile verneigend – »was werden Sie zu meinem Besuche sagen?«

»Daß Sie immer noch dieselbe Treue und Liebenswürdigkeit besitzen, die ich wohl bewundern und lieben konnte, aber nie erreichen!« Hiermit umarmte Lucile die schöne Heloise und stellte ihr Mademoiselle d'Aubaine vor, welche noch nicht präsentirt und der Gräfin Bussy daher fremd war:[203]

»Meine kleine Muhme, die eben so unartig, als schön, eben so gutmüthig, als ausgelassen ist! Wollen Sie sie unter ihren Schutz nehmen?«

»Ach, Madame, wer Ihren Schutz genießt, wird den der ganzen Welt entbehren können, und Ihre schöne Muhme soll mich lehren, wie man Ihren Beifall verdient. – Doch der Graf Bussy wird mir zürnen, ihm so lange den Weg zu Ihnen vertreten zu haben.«

Graf Bussy war eben so schwarz, als seine Gemahlin weiß, und in der Größe überragte er sie bedeutend. Auf seiner breiten Brust ruhte ein Firmament von Sternen; denn er hatte in Spanien mit Auszeichnung gedient, und war Oberster eines Reiter-Regiments. Er hatte den Ernst eines Kriegers auf der breiten Stirn und blickte muthig und freundlich zugleich, wie das eine so schöne Eigenthümlichkeit dieses Standes zu sein scheint; nur seine Lippen waren zu stark emporgedrängt; sie bezeichneten den Stolz der Bussy-Rabutin. Er war der passendste Gemahl für Heloise de Guiche; denn er war sicher, nie seine Heftigkeit durch sie erregt zu sehen, nie Grillen oder Widerspruch begegnen zu müssen, was er Beides nicht gelernt hatte zu ertragen. Dafür schützte er sie, wie eine Mutter ihr Kind. Er hatte eine unablässige Aufmerksamkeit für sie; er umgab sie mit der höchsten Liebe und war glücklich, ihre schüchternen, kaum wahrnehmbaren Wünsche zu errathen und zu erfüllen.

Angenehm ward die Marquise d'Anville durch die Begleitung von der Prinzesse de la Beaume, einer alten Tante der Gräfin Guiche, überrascht, und mit ihr stellten sich Graf Guiche und der Chevalier de Vardes vor, Beide gleich ausgezeichnete Bekannte ihres Gemahls und Schwagers.

Das Audienz-Zimmer der Katharina von Medicis nahm diese angenehm gemischte Gesellschaft auf, und Mademoiselle de la Beaume unterließ nicht, nachdem sie von Leonce Alles[204] erfragt hatte, die Erinnerungen hervorzurufen, die hier so nahe lagen.

»Ueberhaupt, meine liebe Marquise,« fuhr sie fort – »halten Sie sich nicht durch mein weißes Haar gegen meine Neugier gesichert; ich bin mit dem vollständigsten Willen hierher gekommen, sie so viel, als möglich, zu befriedigen! Glauben Sie mir, Versailles vergaß einen ganzen Tag lang, über den neuen Hofstaat der Marquise de Pompadour zu scherzen, als wir unser Glück verkündigten, Ihnen aufwarten zu dürfen; und wer nicht irgend ein Wunder von Ste. Roche zu erzählen wußte, war den Tag nicht de bon ton

»Dem Himmel sei Dank, Madame!« rief Lucile. »Der Marquis d'Anville wird aufs neue Hoffnung fassen für meine noch mögliche Entwicklung, wenn er an Ihnen beobachten kann, daß die höchste Liebenswürdigkeit sich mit etwas Neugier verträgt! Ich war gar zu sehr in Mißkredit gekommen; denn ich hatte denselben Vorsatz, wie Euer Gnaden, und ihn zum Theile schon ausgeführt.«

»O,« rief Mademoiselle de la Beaume – »wie allerliebst, daß ich in Ihnen eine Verbündete finde! Der Marquis ist wahrscheinlich schon mit Allem, was Neugier heißt, durch Sie versöhnt, und wir haben seine Unterstützung sicher. – Sagen Sie mir nur das Eine, ob wir auch ein wenig graulich wohnen werden; denn es wäre doch entsetzlich, wenn wir nicht in der Nacht ein noch nie erlebtes Ereigniß hätten!«

»O, ma princesse,« rief die Gräfin Bussy – »darnach trage ich gar kein Verlangen! Doch, wie kann ich sie annehmen, wo meine theure Marquise herrscht!«

»Theure Gräfin,« lachte Lucile – »bis jetzt beherrschen die Phantasien dieses Schlosses mich mehr, als ich sie! Wir haben uns gestern noch gestanden, daß über uns Alle ein besonderes Wesen gekommen ist, dem Jeder von uns einen kleinen,[205] ungewöhnlichen Tribut zahlen mußte; und wir sahen Ihrer Ankunft mit dem Vertrauen entgegen, in Ihrer Nähe alle unsere Träumereien zu vergessen. Die Zimmer übrigens, die Sie, ma princesse, bewohnen werden, sind leider mit keinem besonderen Attentate bezeichnet. Katharina von Medicis ließ sie für die polnischen Magnaten, die hier vor der Wahl des Herzogs von Anjou ihren heimlichen Besuch machten, einrichten; und außer Liebestränken und goldenen Netzen, wird sich hier nicht Viel nachweisen lassen.«

»Ich hoffe doch!« sagte die heitere alte Dame – »das wird der glorreichen Frau Königin nicht Alles nach Wunsche gegangen sein! Irgend einer von den anwesenden Herren hat sich gegen ihren Willen gesträubt; da ist er denn verunglückt – von dem Altan gefallen – zwischen den Tapeten verschwunden – der Nachttrunk hat ihm einen Schlagfluß zugezogen – geschweige denn die nothwendigen Liebesopfer, die Katharina gerade so, wie Gift und Dolch anzuwenden verstand – genug – ich hoffe, wir erleben etwas!«

»Ich bleibe die ganze Nacht auf,« sagte die Gräfin Bussy – »wenn Sie mich so ängstigen, ma chere tante

»Still, still, mein Engel!« lachte die alte Dame, indem sie sich erhob – »die schönen, polnischen Magnaten werden selbst mit dem Kopf unter dem Arme, Dir den Respekt nicht versagen, den Deine Schönheit befiehlt.«

Alle erhoben sich nun, um im Hofdamen-Zimmer die interessanten Portraits aus jener Zeit zu betrachten. –

Als Margot d'Aubaine am Abende dieses Tages ihre Kammerfrauen entlassen hatte, öffnete sie, wie es ihre Gewohnheit war, das niedere Fenster, das nach dem Burggarten führte, und setzte sich auf den Fensterrand.

So viele Gedanken und Gefühle wogten in ihr! Die großen, feurigen Augen glänzten feucht und blickten so ernst, daß[206] man hier kaum das gaukelnde Kind des Tages wieder erkannt hätte. Da flog plötzlich eine Rose so gut gezielt und so geschickt hinein, daß sie Margot wider Willen in der Hand behielt. »Leonce!« rief sie unwillkürlich; denn – waren ihre Gedanken mit ihm beschäftigt gewesen – war ihr diese Art, sich anzukündigen, bekannt – genug, sie zweifelte nicht, wer es sei.

»Nun Sie mich erkannt, dürfen Sie weder nach Hülfe rufen, noch vor Schreck in Ohnmacht fallen,« sagte er leise – »sondern Sie müssen mir Erlaubniß geben, hinter der Hollunderwand hervorzukommen und mit Ihnen von Herzen zu reden.«

»Das werde ich nicht thun,« rief Margot, ohne sich vom Fenster zu rühren – »ich werde Ihr unschickliches Verfahren nicht aufmuntern.«

»Gut,« sagte Leonce – »so will ich Ihnen die Verantwortung ersparen!« und in demselben Augenblicke saß er vor ihr in der andern Ecke des Fensters, das er von Außen mit einem Satze erreicht hatte.

»Jetzt,« sagte er, lachend die Arme in einander schränkend – »kann unsere Gouvernante die Distancen messen und wird Alles in bester Ordnung erklären müssen.«

Margot senkte den Kopf, um ihr Lächeln zu verbergen. Sie hatte weder zum Billigen, noch Mißbilligen das Herz.

»Und nun,« fuhr er fort – »theure, liebe Margot, die Masken vom Gesichte! Nein, wenden Sie sich nicht von mir weg! Denken Sie, daß ich diesen tollen Streich, aus meinem Fenster zu steigen, um das Ihrige zu erreichen, gewagt hätte, wenn mir der Gedanke Ruhe gelassen hätte, daß ein Mißverständniß zwischen uns treten könnte? Sagen Sie mir, theure Liebe, erkennen Sie mein Herz? Sind wir uns Beide verständlich geblieben – und vertrauen Sie meiner treuen Liebe?«

Margot schwieg einen Augenblick – dann fuhr sie rasch empor. Beide kleine Hände streckte sie nach ihm aus und rief[207] so innig und zärtlich, wie sie vermochte: »Nein, nein, guter, lieber, edler Leonce, ich verkenne Sie nicht! Mein Herz begreift Ihre Absichten und – lassen Sie es mich gestehen – mit den sichersten Hoffnungen für meine glückliche Zukunft!«

In demselben Augenblicke sprang Leonce auf, und ehe sich Margot besinnen konnte, umschlang er sie und gab ihr einen herzlichen Kuß.

»Ungeheuer!« schrie Margot, außer sich vor Schreck; aber schon saß er ihr in der größten ruhe gegenüber.

»Sie haben Nichts mehr von mir zu fürchten,« sagte er – »aber Ihr allerliebstes Geständniß machte mich zu glücklich!«

»Nun, hören Sie weiter! – – Hören Sie nur,« rief Margot, zitternd vor Schreck – »man hat uns belauscht – wir sind verrathen!«

Auch Leonce hatte auf dem Altan über ihrem Fenster die Thüren öffnen hören und erinnerte sich, daß hier die Zimmer von Mademoiselle de la Beaume waren. »Still!« sagte er leise – »sein Sie ganz still – wir werden durch die Geisterfurcht der alten Dame gerettet werden!«

»Ach, Euer Gnaden,« rief eine zitternde Stimme – »wagen Sie sich nicht so dreist – Sie haben es selbst gehört – es ist nur zu gewiß, nicht hier draußen war das Geräusch – hier innen, hinter dem großen Bilde – ach, mein Gott, lassen Sie mich die anderen Herrschaften wecken, daß sie uns zu Hülfe kommen!«

»Schweig', Thörin,« erwiederte Mademoiselle de la Beaume; – »hier von Außen kam das Geräusch! Ich habe nicht durch tolle Furcht mein Gehör verloren.«

»Ach, so sei Gott Euer Gnaden gnädig! – Nicht einmal den Rosenkranz haben Sie am Arme – nun so soll der meinige Euer Gnaden schützen!« – Jetzt hörte man eine Stimme, wahrscheinlich den Rosenkranz murmeln. Mademoiselle de la[208] Beaume stand indessen auf dem Altan – eine stille, horchende Beobachterin; – und die jungen Leute kauerten unten so eingeschüchtert, daß sie ihren Athem zu fürchten schienen.

»Es ist gewiß, daß von Außen und zwar unter diesem Balkon das Geräusch sich hören ließ,« hob jetzt Mademoiselle de la Beaume mit einer sehr lauten und ernsten Stimme an. »Aber ich sehe ein, daß ich nicht berufen bin, diesem Geheimnisse nachzuspüren; nur das Eine mag man sich nicht einbilden, daß man mich durch Gespensterfurcht von der Wahrheit ablenken kann; – kein überirdisches, sondern ein sehr irdisches Geräusch von Menschen drang an mein Ohr. Komm',« fuhr sie, wahrscheinlich gegen ihre betende Kammerfrau, fort – »ich bin dieser Scene überdrüssig!«

Die Thüren fielen zu. Beide junge Leute athmeten auf; Margot brach jedoch in Thränen aus und rang die Hände. »Ich bin verloren,« rief sie – »es ist klar, daß sie dort oben Alles gesehen und gehört hat – ihre Strafrede war an mich gerichtet! – O, wie unglücklich bin ich durch Ihren unbesonnenen Streich!«

»Fassen Sie sich, Margot!« rief Leonce, besorgt und bekümmert über den Schmerz des guten Kindes. – »Ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre, daß Ihr Ruf darunter nicht leiden soll! Ich weiß, daß Mademoiselle de la Beaume ein edles, gütiges Wesen ist; ich eile morgen, ehe wir uns versammeln, zu ihr, und entdecke ihr unser wahres Verhältniß.«

»Nein, nein,« rief Margot weinend – »um Gotteswillen nicht! Ehe mein Vater Alles weiß – ehe er einwilligt und mir vergiebt, darf Niemand darum wissen.« –

»Nun, so müssen wir das ungerechte Mißtrauen eine kurze Zeit tragen! – Jetzt zum Hauptzwecke meiner kühnen That! Ihr Bruder ist von seiner Wunde fast genesen; an ihn, wie an Ihren Vater habe ich geschrieben, und von Ersterem[209] gestern eine völlig genügende Antwort erhalten; er selbst ist auf dem Wege nach Montreal, um Ihrem Vater die Ursache des Duelles selbst zu erzählen und der Wahrheit nach die Schuld des ganzen Vorfalles auf sich zu nehmen; – dann, hoffe ich, werden meine Gründe Eingang finden und dann« – –

»Gehen Sie, Leonce,« rief Margot ängstlich, die Hände vorsteckend; denn sie schien seine schnellen Manieren zu fürchten – »ich höre Ihnen schon viel zu lange zu.«

»Aber,« sagte er neckend – »Sie haben nun doch gerade so lange zugehört, um Alles zu erfahren, was Sie selbst gern wissen wollten. Adio, Mühmchen, jetzt hoffe ich, trocknen Sie Ihre Thränen und träumen von Ihrem Vetter – oder« –

»Fort, fort! Kein Wort mehr!« rief Margot, sprang in ihr Zimmer hinein und schloß, da Leonce im Nu verschwunden war, vorsichtig die Fensterflügel. –

Wer zur Sommerzeit auf dem Lande, in einem Kreise liebenswürdiger Menschen, begünstigt von äußeren Annehmlichkeiten, eine kurze Zeit zubrachte, wird wissen, daß Jahre in der Stadt, mit denselben Menschen verlebt, nicht so zu nähern vermögen, als einige solcher ländlichen Wochen.

Es war, als ob von Allen sich die Hemmungen ablösten, die sich nach und nach in den geselligen Zuständen der Stadt ankünsteln. Der Schlepprock und der Fächer wich dem bequemen Kleide, welches der Promenade, dem Fahren und Reiten und auch dem vorkommenden leichten Sprunge, oder dem geschickten Rennen günstiger war, und der Sonnenhut ersetzte den Fächer, um die Hand frei zu lassen für die kleinen Spiele des Federballes oder der seidenen Reifenschnur. – Die Herren hatten keine Uniformen, keine Orden mehr; der leichte seidene Rock zeigte nur bei Tafel Stickerei und den stählernen Galanteriedegen.

Und wie diese äußeren Pallisaden nach und nach verschwanden, so trat auch Geist und Gefühl ohne Reifrock in[210] natürlicherer Grazie hervor – und die glückliche Mischung der Gesellschaft gab ein ungemein angenehmes Zusammensein.

Dennoch fühlten Margot und Leonce mitunter den scharfen Blick von Mademoiselle de la Beaume; ja, selbst die höfliche und bestimmte Weise, mit der sie das unter der Dienerschaft verbreitete Gerücht einer nächtlichen Störung von sich abwies, enthielt für Beide die demüthigende Gewißheit, daß das Fräulein ihrer Sache sicher zu sein glaubte und sie zu schonen dachte.

Dies trübte zuweilen die Stimmung der kleinen Margot, die – ein Gegenstand von drei gleich eifrigen Bewunderern – sonst ein ganz heiteres Leben führte. Auch waren die beiden jungen Fremden ganz dazu geeignet, Leonce in Athem zu halten, wenn er darauf bedacht war, ihnen den Rang abzulaufen; denn der Chevalier de Vardes war, ungeachtet eines fast häßlichen, von den Pocken verdorbenen Gesichtes, doch in hohem Grade liebenswürdig durch Witz, Heiterkeit und tausend kleine, gesellige Geschicklichkeiten und, wie es schien, von Margot's schönen Augen bezaubert. Gefährlicher aber noch erschien der junge Graf Guiche. Er war seiner Schwester sehr ähnlich, und Beide hätten, ohne Ausstellung der Kritik, für das schöne Geschwisterpaar der alten Götterwelt gelten können. Aber der junge Guiche besaß auch die belebende Schönheit des Geistes und eine würdevolle Ruhe des Karakters, die mit seiner plastischen Schönheit aus einem Gusse schien. Er war nicht, wie Vardes, der haschende, flatternde Schmetterling, der die Blume ewig neckend umspielt – er erinnerte an den Sonnenstrahl, von dem Leonce gescherzt, der ruhig und in gleicher Wärme auf der Knospe ruht, sehnsüchtig ihre geschlossenen Blätter betrachtend.

Es war, als ob Margot vor diesem Blicke, dessen Ursprung sie mädchenhaft zu errathen schien, sich zuweilen zu flüchten suchte, als könne sie ihn nicht mehr ertragen; und als ob sie[211] dann nur bei Leonce Zuflucht fände, so eilte sie zu ihm, der sie immer schon zu erwarten schien. Besonders aber hatte eine unbedeutende Veranlassung die Gefühle des jungen Guiche so sehr verrathen, daß Margot seitdem vor ihm floh, um jede weitere Veranlassung zu vermeiden. Eine Flucht wilder Tauben hatte nämlich die Reiter auf einem Waldwege beinah überfallen, und Margot, die den Zug anführte, war in den ersten Schwarm gekommen und fast von ihnen bedeckt. Ganz außer sich, Alles vor sich niederrennend und stoßend, war Guiche in diesem Augenblicke, wo er sie bedroht hielt, an ihre Seite gestürmt. Er hatte ihren Vornamen mit Accenten einer Leidenschaft genannt, die von Niemandem wieder vergessen wurden; fand aber zu seiner großen Verwirrung ein ganz ruhiges Pferd und eine, nur durch seine Heftigkeit, bestürzte Reiterin, die ihn kalt zurückwies und jede Gefahr abläugnete.

So standen die Verhältnisse, als eines Morgens ein Bote aus Ardoise einen Brief an die Marquise d'Anville brachte, in welchem sich eine Einlage mit der Adresse: »an Miß Elmerice Eton,« befand. Die Tante schrieb der Marquise auf das zärtlichste und liebevollste und bat sie, diesen Brief an ihre junge Freundin Miß Eton abzugeben, von der sie so eben höre, daß sie sich in Ste. Roche bei Mistreß Gray befinde. »Ich sage Dir nicht, was ich wünsche,« fuhr dieser liebenswürdige Brief fort; »denn ich weiß, was meine Lucile nach Empfang dieser Nachricht thun wird; ich wünsche Dir blos Glück zu der Dir und mir gleich unerwarteten Gelegenheit, meine liebenswürdige, junge Freundin kennen zu lernen, und wünsche und hoffe, daß Du ihr die schwermüthige Einsamkeit, mit der sie eine Pietät gegen die alte, ihr wunderbar ergebene Frau zu erfüllen denkt, in Etwas durch Dein Hinzutreten erleichterst.«

Unbeschreiblich war der Jubel, mit dem Lucile, den Brief in der Hand, zu ihrem Gemahle lief. »Jetzt, jetzt, mein[212] Lieber, habe ich den Schlüssel zu Emmy's Heiligthume! Jetzt ist mein Geist erklärt – jetzt kenne ich den schlafenden Engel in Emmy's Gemache – Elmerice Eton ist es, an die ich einen Brief von Tante Franziska in Händen halte!«

Nach einigen Erklärungen theilte der Marquis die Freude über die gute Nachricht und begann mit Lucile Pläne zu entwerfen, wie man sich Elmerice nähern sollte.

Lucile stimmte endlich ein, sich mit Margot nach dem Frühstücke zu Veronika zu begeben und von ihr den Weg zu erforschen, diesen Brief in die Hände der jungen Dame zu bringen; bis dies geschehen und die Antwort erfolgt sei, wollten sie den Uebrigen ihre Entdeckung verschweigen.

Es gab nichts Lieblicheres, als die junge Marquise bei Veronika einkehren zu sehen. Dem Alter gegenüber, entäußerte sie sich all ihrer Vorrechte und war wie ein liebenswürdiges Kind, das, aus der Schule kommend, die Großmutter umschwärmt. Dagegen erschwerte Veronika ihr diese Hingebung auch nicht durch eine frostige oder ironische Zurückhaltung, die so oft, blos aus Hochmuth und Ungeschick zusammengesetzt, geringere Frauen zu den vielen Mißgriffen verleitet, die es den höheren Ständen mit Recht verleiden, ihren Umgang zu suchen; da sie durch solche Manieren, mit anscheinender Uebergehung ihrer menschlichen Verdienste, immer an die Aeußerlichkeiten ihrer Vorrechte erinnert werden, und um so mehr, da einem solchen Benehmen die leicht durchblickende, hochmüthige Versicherung zum Grunde liegt, daß man seine Rechte durch freundliches Entgegenkommen beeinträchtigt fürchte und sich glaube entbehren zu können, wenn nicht von der anderen Seite Alles zuerst geschehe.

Veronika hatte, den höheren Ständen gegenüber, die Naivität eines edeln Naturells, und ihr war in diesem, wie in jedem anderen Stande, Jeder lieb, der etwas Rechtes war;[213] und sie sah keinen Grund, ihr Wohlwollen zurückzuhalten, weil es zufällig einen Adligen traf.

So hatte sie auch mit Lucile und Margot eine Art mütterliches Liebhaben und innige Freude an Beider schönem Naturell. Sie hatte schon gelernt, ihnen eine Freude zu machen; und wenn man durch die Blumenbeete ging, sah man kleine Mützen von weißem Papiere sich auf den schlanken Stengeln schaukeln, und Rose und Nelke, oder sonst eine zarte Blume, mußten ihre Reize schonen, bis die lieben Damen vom Schlosse kamen. Dann führte Veronika sie vor die Beete und nahm den Blumen höflich ihre Mützchen ab; und wenn sie ihr schönes Köpfchen, von der Sonnenglut unversehrt, hervorstreckten, klopften die jungen Frauen vor Freude in die Hände, und Veronika schnitt sie dann vom Stock und machte ihnen zur Tafel Sträuße davon.

Heute saß Jede schon mit ihrem Strauß in der Hand in der kühlen Halle vor Veronika und beeiferte sich, von den lieben Gästen zu erzählen, und Veronika begleitete ihre Erzählung mit Ausrufungen, Fragen und wohlgefälligem Nicken ihres kleinen, weißen Kopfes.

Jetzt erzählte ihr die Marquise von ihrem Besuche bei Emmy Gray. »Auch Ihnen, liebe Mademoiselle Veronika, habe ich meine Sünde verborgen; denn wie mußte ich Ihnen vollends vorkommen, die Sie von allen solchen Thorheiten frei sind.«

»Ach,« lächelte Veronika – »das hat Alles seine Zeit, liebe Marquise! Ich bin alt geworden mit den Dingen dort, und Geheimnisse sind es so eigentlich für mich nicht; – aber irgend wie und wo regt sich in uns Allen einmal die Neugier! Zum Beispiel jetzt, da gäbe ich viel darum, ich könnte einen Blick in die alten Gemächer thun. Denn, sehen Sie, die junge Schönheit, die Sie dort gesehen haben, an der hängt mein Herz, und ihre Lage will mir gar nicht gefallen.« –[214]

»Ist es möglich! Sie kennen Miß Eton – für die wir heut Morgen von Tante Franziska einen Brief empfingen und die Aufforderung, sie aus ihrer Einsamkeit zu ziehen?« –

»Ja, meine lieben Damen, ich kenne sie; – und wer sie kennt, wird sie nie vergessen!« Dann erzählte sie ihnen, was wir bereits wissen, und verschwieg ihnen auch nicht die wunderbare Aehnlichkeit mit Fennimor, welche eben die leidenschaftliche Zuneigung der alten Mistreß Gray erregt habe.

»Aber,« sagte die Marquise – »wie machen wir es nur, um Miß Eton den Brief zuzustellen? Müssen wir warten, bis der alte Arzt zurückgekehrt ist, oder können wir ihn der kleinen Asta anvertrauen?«

»Beides ginge wohl,« erwiederte Veronica; – »aber Anderes habe ich seit lange beschlossen, und diese Veranlassung soll es zur Ausführung bringen. Wollen Sie mir den Brief an Miß Eton anvertrauen, so will ich versuchen, ihn selbst zu übergeben.«

»Wirklich?« riefen Beide überrascht; – »und glauben Sie Eintritt zu erlangen?« –

»Ich werde durch Asta Miß Eton schriftlich darum bitten, sie besuchen zu dürfen; – und fast glaube ich, die Alte wird mich nicht zurückweisen, wenn Miß Eton es für passend hält, meinen Besuch zu wünschen.« –

»Das gebe denn Gott!« rief Margot – »und, liebste Veronika – sehen Sie sich Alles recht genau an; behalten Sie sich Alles, was Sie sehen, und erzählen Sie es uns dann recht genau wieder. Sie glauben nicht, welch Verlangen ich nach diesen Geschichten habe; sie stören oft meine Nachtruhe!«

»Ach,« lachte die alte Veronika schelmisch – »die Nachtruhe wird wohl durch das Getreibe dort nicht in Aufruhr kommen! Ich habe so allerlei gehört, mein kleines, schönes Fräulein, was mir dazu einen anderen Schlüssel giebt. Nun,[215] werden Sie nur nicht so glühend roth, mein Liebchen – es hilft Ihnen doch nichts und es ist zum Freien und Gefreitwerden eine schöne Zeit. Sehen Sie nur, wie prächtig meine Orangen blühen! Weiß Gott, ich schneide Ihnen die schönsten Zweige heraus, wenn Sie mit dem lieben jungen Marquis herunter kommen und sagen: ›wo hast Du nun Deinen Kranz?‹«

Lucile lachte ausgelassen; doch Margot winkte der Alten ungeduldig, zu schweigen, und rief dann Gott und Menschen zu Zeugen ihrer Unschuld. – Da war jedoch Niemand, der ihr glaubte, und sie schalt nun liebkosend die alte Veronika, die mit Lucile fortfuhr, sie auszulachen.


Elmerice führte indessen ihr Schwermuth nährendes Leben mit der ergebenen Schwärmerei fort, die fast von ihrer Gefährtin verlangt und auch durch die wunderliche Situation unterstützt ward. Seit dem Tage, wo wir sie mit Emmy auf dem Wege zu dem Eudoxienthurme verließen, hatte sich ihre schwermüthige Ansicht des Lebens und ihre Abneigung, in die Welt zurück zu kehren, noch erhöht. Nachdem sie Fennimors Bild gesehen, überraschte ihr eignes Spiegelbild sie mit der Aehnlichkeit, und sie weigerte sich von da an nicht mehr, sich für die Enkelin der gekränkten Gräfin Crecy zu halten; aber zugleich hörte sie, daß die unrechtmäßigen Erben gekommen seien, das Eigenthum ihres Vaters in Besitz zu nehmen. – Und als sie die verhängnißvollen Namen erfuhr, flehte sie Emmy aufs Neue an, sie nicht in diese Ansprüche hinein zu ziehen, sondern sie zu schützen und zu verbergen, damit auch jede Berührung mit jenen Bewohnern unmöglich werde.

Doch hatte sich ihr Spielraum im Schlosse erweitert. Der Eudoxienthurm ward ihr Lieblingsaufenthalt. Zur Nacht,[216] wenn gegenüber in dem anderen Flügel des Schlosses die Lichter angezündet wurden, schlich sie an Emmy's Seite auf den kleinen Altan, der von hier in den Hof sah, und blickte in die erleuchteten Räume, in denen sie nach gerade die Verwandten der Gräfin d'Aubaine aus ihrem Betragen zu einander, kennen und unterscheiden lernte. Ach, welche Schmerzen sog sie ein; – wie verfolgte sie besonders das junge, schöne und glückliche Mädchen, das Margot d'Aubaine sein mußte; – und wie hielt sie die, ihr durch den Brief der Gräfin Franziska verrathenen Wünsche der Familie bereits erfüllt, wenn sie die zärtliche Aufmerksamkeit sah, die ihr von ihrem jungen Vetter Leonce zu Theil ward! Sie dachte an Leithmorin, an den Kreis ihrer jungen Freunde, und wie sie damals, wie Margot jetzt, der Gegenstand der Liebe Aller war. Dann kam sie sich alt und von der ganzen Welt verlassen vor und gelobte sich, für das theure Wesen zu leben, das sie mit so uneigennütziger Liebe umfing. Wenn dann die Lichter erloschen, und die geselligen Räume wieder in Dunkel gehüllt waren, blieben Elmerice's Augen noch lange darauf ruhen und schienen immer noch zu sehen, was sich dort eben bewegt hatte!

Mit unermüdlicher Geduld saß ihr Emmy Gray die langen, schweigsamen Stunden gegenüber. Für sie war das Anblicken ihres Lieblings die süßeste Unterhaltung; – und Jahre lang von jeder Mittheilung entwöhnt, hatte sie das Wort nicht mehr nöthig. Aber Elmerice ließ ihren Empfindungen nie so eigennützig Raum, daß sie die Zustände Anderer darüber aus den Augen verloren hätte, liebreich zur Alten gewendet, wußte sie mit ihnen wieder abzuschließen, um ihren Ideenkreis zu erfüllen. Dagegen unterrichtete Emmy sie nach gerade von allen Geheimnissen des Schloßbaues; und so hatte Elmerice durch die ganz verfallenen Hofdamen-Zimmer die geheimen Eingänge kennen gelernt, die nach dem Eudoxienthurme und nach den[217] Geheimzimmern der Katharina von Medicis führten. Mit der romantischen Liebhaberei der Jugend suchte sie diese Räume auf und wußte mit Emmy's Hülfe wenigstens, den Jahrhunderte alten Staub und Moder in Etwas zu vertreiben, wenn sie auch ihr Zerstörungswerk, in Gesellschaft der Holzwürmer, nicht mehr aufhalten konnte.

Dennoch waren diese Zimmer eine Ausbeute für den nachdenkenden Geist einer jungen, gebildeten Person. Die unsterblichen Sänger ihres Vaterlandes begleiteten die stolze, italienische Fürstin überall; ihre Werke standen in prachtvollen Einbänden, die, wie Kästchen von kostbarer Arbeit, die Pergamentblätter bewahrten, in Büchergestellen, die, von unverwüstlichem Zederholze kunstreich geschnitzt, ihre Schätze fest zu halten gewußt hatten. Hier fand Elmerice die zu jener Zeit modernen, damals schon vergessenen, französischen Dichter, die alten Minnesänger, die Provençalen mit ihren reichen, poetischen Schätzen; daneben seltene und wichtige Geschichtsbücher, Schriften staatsrechtlichen Inhalts, eine kleine Anzahl geistlicher Bücher: die Lehren der Jesuiten an Könige und Staatsmänner, päbstliche Breven – Auszüge aus Schriften über ihre hierarchische Wirksamkeit; – und endlich eine im Verhältnisse sehr kleine Anzahl Gebetbücher, alle im Geiste der damaligen Zeit, mit herrlichen Miniaturen verziert.

Tagelang fand Elmerice hier Beschäftigung, und ihre Kenntniß der italienischen Sprache ward unwillkürlich wieder erweckt. Dazu kam, daß sie sich hier – wenn sie, von der geheimen Unruhe ihres Herzens getrieben, Fennimors Zimmer verlassen wollte – gesicherter fand; denn den Eudoxienthurm wagte sie nicht wieder zu betreten, da ein Besuch, der sie bis zum Banketsaale geführt hatte, fast mit ihrer Entdeckung geendigt hätte; indem sie es war, deren davon eilende Gestalt Leonce damals an seinen Sinnen zweifeln ließ. – Emmy war[218] fast immer ihre Begleiterin; sie gewöhnte sich, ihre Spindel mitzunehmen und saß Stunden lang neben ihrem lesenden Liebling und genoß vielleicht noch alles Glück, von dem sie je geträumt hatte. Dadurch ward auch im Ganzen ihre Seele milder, sie verlor ihren starren Willen; ja, sie schien oft zu wünschen, ihre stille, engelgleiche Gefährtin möchte ihr irgend einen Befehl geben, eine Anordnung treffen, der sie sich fügen könne. Aber sie ahnte nicht, wie klein die Wünsche eines Herzens sich zusammen falten, das, in seiner stärksten, jugendlichen Empfindung zurückgedrängt, sich überdies gekränkt und verrathen glaubt.

So umsonst schien ihr jeder Besitz – so gleichgültig vor Allem, was ihr davon zu Theil ward, daß, was sie empfing, immer ausreichend war und ihre Wünsche und Ansprüche überbot!

Als sie Veronika's Briefchen erhielt, fragte sie Emmy, ob sie wolle, daß sie die gute Alte empfinge; Emmy glaubte einen Wunsch zu errathen und willigte augenblicklich ein.

Wie wenig Veronika auch die Empfindungen der Madame St. Albans theilte, konnte sie doch kaum ihr Erstaunen unterdrücken, als sie die Veränderung wahrnahm, die hier vorgegangen; denn obwol Veronika seit Fennimors Todtenfeier nie mehr das Schloß betreten hatte, so kannte sie doch durch ihren alten ärztlichen Freund die bisher hier herrschende Einrichtung hinreichend.

»Ja, ja, Veronika, die Zeit hat Euch nicht verschont,« sagte Emmy, von ihrer Spindel aufblickend; – »ich kann es bezeugen, Ihr blühtet wie Eine! Mein Engel sagte oft, Ihr wäret ein wahres Röschen; – und sie hatte doch an sich den Maaßstab, was dazu gehörte, denke ich!«

»Nun, Emmy, was thut es?« rief Veronika heiter – »mir ist mein Alter bequemer, wie meine Jugend! Ich hatte ein Hasenherz in der Brust und fürchtete mich vor jedem dreisten[219] Blicke, daß ich in die Wälder hätte rennen mögen! Jetzt, Emmy, läßt mir mein weißes Haar schon Ruhe. ›Da kömmt die alte Veronika,‹ höre ich sagen; man grüßt und dankt und nimmt von mir, ohne mich dabei zu beäugeln. Da bin ich meinerseits viel freundlicher und redseliger, und mir ist damit eine Bürde von den Schultern.«

»Soll wohl sein!« erwiederte Emmy; – »und lang ist es auch, daß wir uns nicht sahen! Ihr habt damals Viel für meinen Engel gethan – und zuletzt die kleinen weißen Glieder in den Sarg gelegt – ich danke Euch dafür, Veronika!«

Selbst mochte sie fühlen, wie verspätet dieser Dank nachkam; denn prüfend blickte sie zu Veronika auf und suchte, weiter sprechend, ihre Gedanken zu errathen. »Ein später Dank, nicht?« fuhr sie fast freundlich fort. »Nun, Jeder hat seine Art – und Emmy's Art wird nicht Vieler Art sein!« –

»Doch jetzt lebt Ihr auf, Emmy, und unser liebes Fräulein giebt Euch dazu Veranlassung. Nun, das ist schön! Euch ist eine Herzenserquickung wohl zu gönnen!«

Mit diesen Worten verließ sie Emmy, welche ihr wohlgefällig nachsah, und setzte sich zu Elmerice, die sie noch ein Mal herzlich begrüßte.

»Eine rechte Herzenssehnsucht hatte ich nach Ihnen, mein liebes Kind,« sagte Veronika; – »aber ich weiß wohl, wie es hier steht; man darf nicht viele Versuche machen; – doch, hoffe ich, geht es Ihnen gut.«

»Ja, gut! Gewiß, sehr gut! sagte Elmerice bewegt; – so viel Liebe, wie mir hier entgegentritt – wie sollte sie mich nicht beglücken!«

Emmy erhob sich bei diesen Worten und verließ das Zimmer; Veronika übergab Elmerice den Brief der Gräfin d'Aubaine und legte ihr den Wunsch der Schloßbewohner vor, sie bei sich in ihren Kreis aufzunehmen. Elmerice erröthete und[220] erblaßte abwechselnd so oft bei diesen Worten, daß Veronika besorgt nach ihrer Gesundheit fragte.

»Sie ist vollkommen gut,« antwortete Elmerice, mit gesenkten Augen und kaum Athem findend. »Der Brief meiner theuren Gräfin bewegt mich nur!« –

»Ei, ei, mein Kind, Sie sind doch sehr reizbar, wie mir scheint! Es kann ja nur Liebes und Gutes darin stehen. Aber ich sehe wohl, die weise Dame hat Recht! Sie ist sehr besorgt um Ihr einsames Leben; und wünscht lebhaft, Sie in den Kreis ihrer Familie aufgenommen zu sehen.« –

»O, niemals, niemals!« rief Elmerice heftiger, als sie selbst wollte. »Nein, theure Veronika,« setzte sie dann gefaßter hinzu – »hier werde ich bleiben – hier ist mein Platz! Wenn ich diesen verließe, müßte ich augenblicklich zur Gräfin d'Aubaine zurück. Diese heiteren, geselligen Kreise sind nicht für mich; – ich fühle die entschiedenste Abneigung dagegen! Nein, ich bitte Sie, Veronika, vermitteln – entschuldigen Sie meinen unwiderruflichen Entschluß, hier in der Einsamkeit bei Emmy Gray zu leben und jeden Umgang abzulehnen, der meine alte Freundin beunruhigen könnte und ihren kaum gemäßigten Gemüthszustand aufs neue aufregen.«

»Das ist sehr edel, mein Kind – sehr aufopfernd,« sagte Veronika; – »doch thut es mir herzlich leid, daß Sie sich selbst dabei so ganz vergessen. Emmy Gray hat eine wunderliche Art und Weise – wird es auch die rechte sein für ein junges, reizbares Wesen, wie Sie?«

»Zweifeln Sie nicht,« sagte Elmerice – »es ist kein Opfer – ich bleibe gern, aus eigner Neigung; – ich würde jetzt sogar weniger gern zur Gräfin d'Aubaine zurückkehren.«

»Und doch,« sagte Veronika – »wenn Sie die lieblichen Frauen dort nur kennten, würden Sie es vielleicht nicht so bestimmt ablehnen, mit ihnen umzugehen. Ach, die Marquise,[221] wie müßte sie zu Ihnen passen! Ich habe eine rechte Liebe zu ihr; – und von der kleinen, holden Margot könnte ich mir ordentlich Aufheiterung für Sie versprechen; denn das liebe Kind ist ein Bild des Glückes und der Heiterkeit.«

»Ach, dann paßt sie nicht zu mir,« rief Elmerice, in Thränen ausbrechend – »und ich muß ihre Nähe fliehen, um ihr Gemüth durch meine Schwermuth nicht zu verletzen.«

»Liebes Kind,« rief Veronika – »wie sind Sie so unglaublich hypochondrisch – wie beunruhigt mich Ihre Stimmung, und wie ganz anders würde sie sein, wenn Sie ein wenig Theilnahme hätten für meine jungen Freunde! Sie, die Alles so mitfühlen – wie würde Sie eine glückliche Ehe, wie dort an Zweien zu sehen ist, erfreuen; – und dann das Andere, was im Werke mit der kleinen Margot! Man sagt, sie ist die Braut des Marquis Leonce; und das sieht sich doch hübsch mit an, wenn so gut geartete, junge Leute sich lieb haben und endlich suchen und finden!«

»Genug, theure Veronika!« sagte Elmerice plötzlich kalt und ernst. »Ich bitte Sie um die Erlaubniß, während Ihrer Anwesenheit einige entschuldigende Worte an die Frau Marquise schreiben zu dürfen, die Sie ihr dann in meinem Namen geben wollen.«

»Also keine andere Entscheidung?« sagte Veronika, schmerzlich getäuscht. »Das paßt doch kaum zu der Güte und Sanftmuth, die ich an Ihnen kenne! Was ist das, mein liebes Kind? Sein Sie offen; – hat Emmy schon in Ihrer schönen Seele Unheil angerichtet?«

»Vielleicht,« sagte Elmerice, mit einem unverkennbaren Anfluge von Stolz – »vielleicht würden Sie mir selbst rathen, so zu handeln, wenn es mir erlaubt wäre, Ihnen die Gründe auszusprechen, die mich dazu bestimmen. Emmy Gray hat keinen Einfluß auf meine Abneigung, mich dieser Familie[222] anzuschließen; und der Werth derselben, von dem ich selbst überzeugt bin, vermag eben so wenig meinen Entschluß zu ändern. – Meine Achtung für Sie und Ihre Theilnahme kann es allein entschuldigen, daß ich so Viel sage; nehmen Sie es jedoch wie ein Geheimniß zwischen uns!«

Veronika blickte wehmüthig in die wunderschönen Züge des tief bewegten Mädchens. Sie hatte sie noch nie so gesehen; aber es lag eine solche Wahrheit der Empfindung, ein so fester Entschluß, ein so edles Selbstgefühl in ihrem Wesen, daß Veronika sich überzeugt fühlte, sie müsse so handeln; – und großmüthig gab sie ihre Absicht auf, den Vorsatz des jungen, verlassenen Mädchens zu erschüttern.

»So gebe Gott, daß es das Rechte ist!« sagte sie liebevoll; – »ich will mir nicht anmaßen, ferner darüber urtheilen zu wollen. Gehen Sie, mein Kind – schreiben Sie Ihren Brief an Madame d'Anville, ich werde Sie hier erwarten.« –

Als sich Elmerice vor Fennimor's kleinem Schreibtische niedersetzte, forderten die zurückgedrängten Empfindungen des jungen Mädchens ihren Tribut. In Thränen ausbrechend, fühlte sie noch ein Mal die namenlose Größe ihres Entschlusses; und die heißesten Schmerzen der Jugend – die eines gekränkten und verrathenen Herzens – waren hier in der Einsamkeit nicht in demselben Maaße, wie eben vor Veronika, von ihrem edeln weiblichen Stolze behütet; – sie verlangten noch ein Mal ihre ganze Herrschaft über dies junge Herz! –

Wir wollen die Minuten nicht zählen, die ihr so vergingen, und denken, daß sie sich schnell genug zu retten wußte, da sie, gegen sich selbst treu und wahr, immer von dem edeln Stolze beseelt ward, dessen Element die Selbstachtung ist.

»Fennimor,« sagte sie, sich aufrichtend – »Dich konnte in Deiner hohen, menschlichen Stellung Keiner erreichen, der mit dem Scheine der weltlichen Vorrechte Dich blenden und[223] verschüchtern wollte. Du bliebest, was Du warst – ein erhabenes Vorbild Deiner standhaft behaupteten Rechte! Ich bin Deine Enkelin, und so wahr mir Gott helfe, ich will vor Deinem Andenken nicht erröthen müssen!«

Sogleich schrieb sie:

»Euer Gnaden haben, veranlaßt durch die Aufforderung der Gräfin d'Aubaine, mich mit der Erlaubniß beehrt, Ihnen aufwarten zu dürfen. Indem ich dem Ausdrucke meiner größten Verehrung für Euer Gnaden, die Versicherung meiner Dankbarkeit hinzufüge, bin ich zu gleicher Zeit genöthigt, diese Auszeichnung ablehnen zu müßen, da meine augenblicklichen Verhältnisse mir jede Veränderung meiner Lebensweise verbieten.«

»Voll Hochachtung mich empfehlend

Elmerice Eton.«


Ein stolzes, mitleidiges Lächeln überflog Elmerice's schönes Gesicht, als sie ihren Namen unterschrieb; und sie ging mit diesem Briefe in der Hand, festen Schrittes zu Veronika zurück, die sie an Emmy's Seite und vertraulicher mit ihr redend fand, als die alte, harte Frau es wohl wenige Wochen früher für möglich gehalten hätte. Auch war ihr eine gewisse Verlegenheit anzumerken, als Elmerice vor ihnen stand. Sie war selbst überrascht, in die gewöhnliche Menschenweise übergegangen zu sein; – ja, es schien ihr vor Elmerice, als habe kein Anderer ein Recht an sie – als sei sie ihr damit zu nahe getreten.

»Nun, nun,« sagte sie – »meinem Engel gehört meine Zeit und Alles, was so eine alte Frau von Liebe noch in ihrem Herzen hat. – Ihr seid eine Schwätzerin geworden, Veronika; – und mit Zuhören und Antworten kömmt denn so Etwas heraus!«

Gutmüthig lächelte diese, wohl verstehend, was in Emmy vorging, und war daher auch zugleich bereit, ihren Besuch zu beendigen, um nicht einen Eindruck hervorzurufen, der ihrem[224] Wiederkommen hinderlich würde, was sie Elmerice's wegen, die ihr bedenklich gestimmt erschien, herzlich wünschte.

Aufs neue aber betrübte sie die abschlägliche Antwort ihrer jungen Freundin, als sie die liebenswürdige Ungeduld der Marquise d'Anville sah, die sich bei Lesung des kleinen Billets bald in gutmüthige Besorgniß auflöste.

»Meine liebe Veronika,« rief sie – »was werden wir nun machen? Das thut nicht gut. Die Antwort ist eben so höflich, als kalt abweisend – sie verdeckt etwas! Meine Tante Franziska wird sehr beunruhigt werden, und wir dürfen, fürchte ich, unsere Bemühungen noch nicht aufgeben.«

»Lassen Sie uns warten, bis der alte Arzt kömmt,« sagte Veronika sinnend. – »Er ist nicht umsonst in so hohem Alter; vielleicht fällt ihm das Rechte ein. Auch hat er den Ungestüm, der oft recht wohlthuend Bahn bricht da, wo feinfühlende Menschen lange vergeblich umher gehen.«

Die Damen saßen in dem Salon, in welchem man sich zur Mittagstafel versammelte. In diesem Augenblicke trat Leonce ein, und erfreut, Veronika zu sehen, eilte er, an ihrer Seite Platz zu nehmen.

»Wenn Sie Anderes im Sinne hätten, als Margot zu necken und mich damit zu kränken,« rief Lucile – »würde ich Ihnen mein Vertrauen schenken; – aber so« – –

»Versuchen Sie es,« erwiederte Leonce freundlich – »ich bin nicht so ganz in einer Richtung verloren, daß ich nicht durch Sie in eine andere übergeführt werden könnte.«

»Nun,« sagte Lucile – »so will ich es versuchen!« Mit einigen Worten unterrichtete sie ihn von dem Briefe der Gräfin d'Aubaine und von den Schritten, die sie durch Veronika gethan hatte. »Doch sehen Sie – das ist das ganze Ergebniß unserer Bemühungen« – fuhr sie fort und reichte ihm das Billet, was ihr Veronika gebracht.[225]

Sie hatte nicht Ursache, ihrem jungen Verwandten über Mangel an Theilnahme zu zürnen. In sprachlosem Erstaunen, schien es, hörte er ihr zu, und lange hielt ihm Lucile das Billet hin, ehe er es nahm. »Weiß Gott,« rief die Marquise – »er hat von unserer ganzen Mittheilung Nichts gehört und erwacht jetzt aus irgend einem Traume!«

»Nein, nein!« rief Leonce, schnell aufstehend – »Sie thun mir Unrecht – ganz Unrecht! Ich bin aufs tiefste von Ihren Mittheilungen bewegt; – ein so junges, schönes, von unserer Tante geliebtes Wesen in unserer Nähe zu wissen und ihr nicht all' die Aufmerksamkeit beweisen zu dürfen, die sie verdient – in zweifelhaften Verhältnissen sie zu denken – unter der Aufsicht einer vielleicht Geisteskranken – es ist unerträglich! ganz unerträglich! Lucile, Sie können nicht wollen, daß ich dabei gleichgültig bleibe. Theure Veronika, helfen Sie uns; – ich könnte den Verstand verlieren, wenn ich an die Lage des jungen Mädchens denke!«

Außer sich, drückte er dabei das Billet in seinen Händen und stürzte an das fernste Fenster, um es zu lesen.

Lucile sah ihm einen Augenblick ziemlich erstaunt nach; als sie ihren Blick abwendete, sah sie auf Veronika's Gesicht dasselbe Erstaunen ausgedrückt. »So sind die Männer, meine Liebe,« sagte sie lächelnd – »immer über das Maaß hinaus! Aber das macht die Verehrung für Tante Franziska!«

In demselben Augenblicke erschien der Vikar und die übrigen Gäste, und man begab sich zur Tafel. Doch war Leonce nicht, wie sonst, die Seele der Unterhaltung. In der größten Unruhe schien er die Dauer der Tafel zu ertragen und bald, nachdem sie aufgehoben war, verließ er die Gesellschaft. – –

Ein Gewitter, welches mit erquickendem Regen den Nachmittag anhielt, verhinderte einen beabsichtigten Besuch in der schönen Abtei Tabor; und nach einer Zerstreuung suchend,[226] machte die alte, unternehmende Prinzessin de la Beaume Allen den Vorschlag, die verschobene Besichtigung des Schlosses zu unternehmen.

Als man, mit Sorgfalt vorschreitend, den Banketsaal erreicht hatte und hier von dem ziemlich bekannten unglücklichen Ereignisse an Ort und Stelle sich theilnehmend unterhalten hatte, zeigte der Marquis d'Anville den Damen an, daß er die mit eisernen Schlössern und Querbalken verwahrte Thür zu den ehemaligen Gemächern der Katharina von Medicis habe wegnehmen lassen, und daß es in ihrer Macht stehe, sie zu betreten.

Alle hielten einen Augenblick inne. Was in ihre Willkür gestellt war, ward nun erst ein Gegenstand ihrer zweifelhaften Ueberlegung, und Lucile, die es veranlaßt, durfte als Frau vom Hause nicht, wie sie wünschte, entscheiden; da besonders das schöne Gesicht der Gräfin Bussy zu Marmor erblaßt war.

Endlich erklärten die Herren, sich theilen zu wollen. Einige wollten die Zimmer betrachten, die ihre Neugier reizten und so leicht erreichbar nun vor ihnen lagen. Andere wollten bei den Damen in dem düsteren Banketsaale bleiben. Lucile bat, sich den Herren anschließen zu dürfen, die die weitere Forschung wagten, und trat, von ihrem Gemahle, von dem Grafen Bussy und dem Chevalier de Vardes begleitet, vor die verhängnißvolle Thür.

»Nun, Lucile?« fragte der Marquis d'Anville; – denn so leise sie Alle zur Thüre geschlichen waren, stand doch Lucile mit dem Drücker der Thür in der Hand und wagte nicht einzutreten. »Willst Du Deine kleine Hand als Riegel da vorgeschoben lassen und uns den Muth benehmen, diesen wegzuschieben, wie wir mit jenen eisernen thaten, die, von Rost zerfressen, wenig Widerstand leisteten?«

»Gleich,« sagte Lucile mit leiser Stimme und wendete ihr holdes Gesicht, zwar lächelnd, aber seiner frischen Farbe[227] beraubt, zu ihrem Gemahle – »mir war eben, als hörte ich sprechen!« –

»Dann tritt zurück, mein theures Kind, es greift Dich dennoch an. Die Phantasie rächt sich für Deine kühne Herausforderung!« –

»Nein,« sagte Lucile – »sie soll nicht stärker sein, als ich!« – Die Thür öffnete sich, Alle traten in ihren weiten Bogen ein – und Allen widerfuhr dasselbe: ein an Schrecken grenzendes Erstaunen.

Wir wurden schon ein Mal, an Fennimor's Seite, in dies Geheimzimmer der Königin Katharina geführt, und werden uns an die eigenthümliche, finstere Pracht desselben erinnern können. Es war wohl geeignet, wenn das Andenken der grauenvollen Bewohnerin den Geist ergriff, eine Bewegung des Schreckens zu rechtfertigen, da, wo die Spuren ihrer Missethaten noch so vollständig erhalten waren! Aber wie sehr mußte sich für Alle der Eindruck steigern, als hinter dem großen Schreibtische der Königin, der auf weißem Marmor ruhend, vollständig erhalten war, eine wunderschöne, weibliche Gestalt aufgerichtet stand, die, todtenbleich und mit starren Augen auf die Eintretenden blickend, ganz einem schönen Geiste glich, der in diese unzugänglichen Räume gebannt war. Dazu kam die fremdartige Kleidung, die niederhängenden, glänzenden, braunen Locken, ohne die Entstellung der damaligen Frisur, das schöne Mieder von weißer Seide, mit den kostbaren Juwelen-Spangen, das sich anschmiegende, in reiche Falten niederfallende Kleid, das die Form des Körpers nicht entstellte, der Aermel, der aufgeschnitten hinten über hing und den schönen Arm, die schlanke, weiße Hand enthüllte, die auf der Lehne des Stuhles ruhete, während die andere fast krampfhaft in die schwarzen Marmor-Schnörkel der Tischeinfassung griff. Dahinter saß, in schweren grauen Damast gekleidet, ein Wesen im höchsten Alter, spukhaft[228] von Ausdruck, das weiße Haar von einer fremdartigen, kleinen Haube kaum bedeckt. Die Spindel und der Faden in der dürren Hand schien versteinert; sie selbst, wie die jugendliche Gestalt, ohne Athem und Leben!

Wir werden begreifen, daß hier ein lautloser Augenblick eintrat, in welchem Niemand etwas Anderes, als anblicken konnte. Doch mit der größeren Leichtigkeit des Geistes, die den Frauen eigen ist, sich in den Zuständen zurecht findend, war auch Lucile die Erste, die sich dem schönen Wunder nahete. Mit dieser Annäherung schien das Leben in dem reizenden Geiste wiederzukehren! Die Brust hob sich, ängstlich flog der Athem über die Lippen, und die erste Bewegung war, daß der schöne Kopf mit seiner Lockenfülle sich auf den Busen senkte.

Lucile blieb bei diesen Zeichen einer großen Gemüthsbewegung einen Schritt noch von ihr, besorgt stehen; da erhob sich die Alte und vorschreitend und die Marquise mit den Augen bewachend, rief sie rauh und streng: »Fürchte Dich nicht, mein Engel! Sie dürfen Dir Nichts thun, sie haben kein Recht an Dir.«

Noch immer schwieg die junge Person, obwol sie die Hand von dem Stuhle zog und sie leise, wie abwehrend, gegen die Alte aufhob, die sogleich verstummend zurücktrat.

»In welcher Weise dürfte auch Miß Eton ihre Freunde fürchten?« fragte nun Lucile mit dem gewinnenden Laut ihrer Stimme; – »denn so stolz sie sich uns auch entzogen hat, darf ich dennoch nicht zweifeln, daß mir der Zufall günstig ist, und ich die Freundin meiner Tante d'Aubaine vor mir sehe. Erlauben Sie mir, Ihnen meinen Gemahl, den Marquis d'Anville, vorzustellen.«

»Madame,« sagte Elmerice, noch immer mit bebender Stimme – »entschuldigen Sie meine Ueberraschung! Ich ahnte nicht, Ihnen in diesen verödeten Gemächern hinderlich werden zu können!«[229]

»Das möchte auch in Wahrheit unmöglich sein,« rief der Marquis d'Anville. »Was könnten wir uns für einen glücklicheren Zufall wünschen, da er unser lebhaftes Verlangen erfüllt, uns Ihnen vorstellen zu dürfen.«

Elmerice verneigte sich mit einer so edeln Würde, daß der Marquis das Wort, welches ausblieb, nicht entbehrte.

»Aber jetzt,« sagte Lucile, während sie Elmerice ganz nahe trat und die schöne, kalte Hand von den Marmorblumen, die sie noch immer festhielt, wegzog; – »jetzt haben wir Sie, und Sie werden sich uns nicht mehr entziehen können – oder wenigstens abwarten müssen, ob wir uns nicht Ihre Gesellschaft verdienen!«

»Madame,« sagte Elmerice, die ihre Besinnung wieder zu erhalten schien; – »ich war so frei, Euer Gnaden meine nothwendige Bestimmung darüber mitzutheilen. Wenn ich jetzt den Muth habe, sie zu wiederholen, muß ich es mir selbst zum Verdienst anrechnen, da ich das Glück Ihrer persönlichen Bekanntschaft genieße.«

»Wie, Sie wollten nicht mit uns leben?« sagte d'Anville, gutmüthig näher tretend; – »o, versuchen Sie es! Wir sind alle jung, heiter, ich darf sagen, gut geartet. Warum wollten Sie nicht in den Kreis eintreten, zu dem Sie in jeder Beziehung gehören?«

»Ich habe eine heilige Pflicht gegen eine theure, alte Freundin übernommen;« erwiederte Elmerice; – »ich darf mich davon nicht ablenken lassen, wie ehrenvoll es auch sein müßte, Ihre Güte anzunehmen.«

Da zuckte sie zusammen; denn auf ihre weiße Schulter legte Emmy Gray die verknöcherte Hand, und sagte in ihrer gebrochenen Redeweise: »Kind, Kind, stoße diese dort nicht zurück, sondern tritt ein in ihre Kreise und siehe zu, was sie beschließen werden. Wohl gehörst Du zu ihnen, und ich muß Dich dort wissen, ehe mein letzter Tag kömmt.«[230]

Elmerice wendete sich und sprach, wie es schien in englischer Sprache, leise bittend zu ihr, während der Marquis sich der Alten nahte.

»Mistreß Gray,« sagte er freundlich; – »erlaubt, daß ich Euch in Ste. Roche willkommen heiße. Immer habt Ihr meinen Besuch abgelehnt; und doch hätte ich gern selbst nachgeforscht, ob es mir nicht möglich wäre, Euch irgend eine Erleichterung Eurer Lage zu verschaffen.«

»Laßt das, Herr,« sagte Emmy trocken; – »Ihr habt keine Macht, mir Etwas zu gewähren; mit Eurer Familie habe ich abgeschlossen! Ich wohne in dem rechtmäßigen Erbe meiner ehemaligen Gebieterin und weiß vollständig, was mir darin zustehet, zu meiner Erleichterung zu verfügen. – Fragt, ob Emmy Gray Euch hier willkommen heißen mag!«

Diese Rede schien Niemanden, als Elmerice zu verletzen. Alle waren auf Emmy's abenteuerliche Weise so vorbereitet, daß ihnen auch Stärkeres erwartet gekommen wäre.

»Thut es immer, Mistreß Gray,« antwortete der Marquis, ohne das ironische Lächeln, mit dem verletzte Eitelkeit sich herablassend zu rächen weiß, wenn sie sich anscheinend zu bezwingen sucht – »Ihr werdet mir dadurch mehr Eigenthums-Gefühl geben, als ich bis jetzt empfinden konnte.«

Emmy blickte trübe zu ihm auf; und dieser Blick, der aus den tief gesunkenen Augen drang, war scharf und klug.

»Wir werden sehen, – ich werde ja hören, wie Ihr seid,« sagte sie dabei; – »Louise, Eure Mutter, war so übel nicht – Lesüeur rühmte sie oft; – nun, wir wollen sehen!« –

»Und Sie?« – fragte nun Lucile, mit Armand herzlich zu Elmerice tretend. »Selbst Ihre alte Freundin, der Sie sich so großmüthig widmen, redet unserem Vorschlage das Wort – und Ihre jugendlichen Wangen, die blässer sind, als sie sollten, fordern Sie gleichfalls auf, unter Menschen zu[231] leben, die mit ihrer Heiterkeit versuchen würden, ihnen wieder Farbenglanz zu geben.«

»Ach Madame,« erwiederte Elmerice, fast überwältigt von der Qual dieser dringenden Anforderungen; – »wie wenig passe ich in Ihre harmlos glücklichen Kreise! Glauben Sie nicht, daß ich Ihre Güte weniger empfinde, wenn ich sie ablehne; aber ich muß mir diese Zurückgezogenheit als eine Güte von Ihnen ausbitten. Vielleicht haben Sie Recht; – und mein krankes Ansehen verräth nur zu sehr, daß ich leidend bin und also der Ruhe bedarf.«

Lucile und Armand betrachteten mit dem größten Antheile das schöne Wesen, das so berechtigt erschien, durch die Vereinigung von Geist, Bildung und äußerm Reize! Ihre Weigerung war keine eigensinnige, ungeschickte Laune; sie kam tief aus ihrem Herzen, sie schien dabei zu leiden – das fühlten Beide. Sie konnten ihre Bemühungen nicht aufgeben!

»Wir wollen nicht unbescheiden werden,« rief Lucile – »Sie sollen in Ihre Einsamkeit zurückkehren können, wenn Sie wollen; nur müssen Sie uns nicht ganz verwerfen, Sie müssen uns alle erst kennen lernen, genug, ich muß eine kleine Brücke zu Ihnen hinüber haben; denn schon jetzt fesseln Sie mein ganzes Herz, und ich könnte Sie nie wieder vergessen!«

Diese letzten Worte erschreckten Elmerice fast, denn sie sprachen aus, was sie gegen die Marquise anfing zu fühlen. Beide blickten sich daher mit zärtlicher Ueberraschung an, und ohne es selbst zu wissen, folgte sie der liebenswürdigen Frau, die sie sanft mit sich zog. »Sie finden in den Nebenzimmern alle meine Freunde, die wahres Verlangen tragen, Sie zu sehen, und entzückt sein werden, Sie kennen zu lernen.«

Jetzt erst, wie sie sich mit diesen Worten der Thüre näherten, an der Bussy und Vardes in sprachlosem Erstaunen stehen geblieben waren, erinnerte sich Elmerice ihrer auffallenden[232] Kleidung. Sie zögerte abermals und rief ängstlich: »Madame, betrachten Sie mich! Ich kann in dieser Kleidung nicht vor Ihren Freunden erscheinen; – ich legte sie an,« fuhr sie beschämt und verwirrt fort, »um dem Herzen meiner alten Freundin wohl zu thun, die damit ihr heiliges Erinnerungsfest feiert; – aber dies, wie mein ganzes Verhältniß, war auf die tiefste Einsamkeit berechnet – setzen Sie mich nicht dem Tadel oder dem Spotte Anderer aus!« –

»Nein, nein, Alle werden entzückt sein, das herrliche Kostüm zu sehen – Allen werde ich erklären, wie es zusammenhängt – Niemand wird diese fromme Nachgiebigkeit verkennen.« –

Vardes hatte schon die Thüre geöffnet; – sie standen in derselben der aus den entfernteren Gemächern zurückkehrenden Gesellschaft beinahe gegenüber.

Da fühlte Elmerice, daß jedes Zurücktreten unmöglich sei, und ihr edler Stolz erwachte. Sie wollte ihre vollkommene Herrschaft über sich wieder haben – und die Anstrengung gelang.

Doch wer könnte das Erstaunen der Gesellschaft beschreiben, als aus den Zimmern der Katharina von Medicis, an der Hand der Marquise d'Anville, eine wunderbare Schönheit hervortrat, deren Kostüm, jener Zeit gehörend, vereinigt mit ihrem marmorblassen Gesichte, sie als eine aufgefundenen Bewohnerin aus diesen Räumen eines vergangenen Jahrhundertes erscheinen ließ! Niemand regte sich von seinem Platze; Elmerice hatte Zeit, Alle zu erkennen. Margot war nicht dabei; sie lehnte seitwärts an einem der merkwürdigen Schränke des Saales, und vor ihr, den Rücken gegen die Eintretenden gewendet, stand der Marquis Leonce, zu eifrig redend, um zu gewahren, was hinter ihm vorging.

»Wir sind so glücklich gewesen, mehr und Besseres zu finden, als wir suchten,« sagte der Marquis. »Miß Eton –[233] die Freundin meiner Tante Franziska, die sich uns so spröde entzogen hat.«

Jetzt mußten die Damen sich eingestehen, daß das schöne Bild lebe; Elmerice zeigte die vollkommenste Haltung und eine so anmuthig verbindliche Miene, als sie die Begrüßungen erwiederte, daß die günstigste Meinung von ihrer Erziehung den Eindruck ihrer Schönheit erhöhte.

»Sie sind in Allem glücklich, liebe Marquise,« sagte die alte Prinzesse de la Beaume; – »während wir hier verlegen und beschämt umher wanderten, verschafft Ihnen Ihr Muth eine so reizende Bekanntschaft.«

»Ja, meine Damen,« erwiederte die Marquise – »ich bin stolz darauf, und noch mehr wie stolz, ich bin sehr glücklich! Bald werden Sie mir für Nichts so dankbar sein wollen, als für diese Probe meines Muthes!«

Alle fühlten, die Marquise wolle ihrer jungen Begleiterin eine möglichst gehobene Stellung geben, und Alle beeiferten sich, einen Kreis um sie zu schließen.

Indessen nahte sich Armand seiner Muhme Margot. »Kind,« rief er – »lassen Sie Ihr tête à tête und kommen Sie zu uns, wir haben Miß Eton entdeckt, die in jenem Zimmer weilte; und es ist unseren Bitten gelungen, sie hierher zu führen.«

Als ob ein Pistol an Leonce's Kopfe abgeschossen würde, so fuhr er bei den Worten seines Bruders in die Höhe. Er wendete sich schnell und sah Elmerice in dem Kreise der Damen stehen, mit Ruhe und Unbefangenheit redend, aber mit einer Blässe bedeckt, die sie wie einen Geist erscheinen ließ.

»O Leonce,« rief Margot, sich auf seinen Arm stützend, »haben Sie je eine wunderbarere Erscheinung gehabt? Und das ist unser lebendig gewordenes Bild aus dem Eudoxien-Thurme!«[234]

»Nun so begrüßen Sie, wie wir Alle, das herrliche Wesen mit Achtung und Güte,« rief Armand, und führte sie Beide der Gruppe zu.

»Ach, da kommt meine Muhme Margot!« rief Lucile. »O komm', mein Liebchen – sieh', unser Wunsch ist erfüllt! Miß Eton, das ist wieder eine Nichte Ihrer Freundin d'Aubaine, die Tochter des einzigen Bruders unserer lieben Franziska!«

Elmerice hatte sie mit ihren Begleitern sich nahen sehen, sie begrüßte sie mit besonderer Freundlichkeit, und verzögerte die Vorstellung des Marquis Leonce, indem sie lebhaft ausrief: »Wissen Sie auch, daß Ihre Cousine mich recht eigentlich auf Ihre liebenswürdige Heiterkeit angewiesen hat? Daß ich also mit ganz besonderem Antheil um Ihr Wohlwollen bitten muß?«

»O Miß Eton,« lächelte Margot – »da hat man Ihnen verschwiegen, daß ich den ganzen Tag – von der ganzen Gesellschaft gescholten werde, und daß nicht Viel an mir bleibt, als an einem unartigen Kinde, mit dem man sich einrichten muß, wie es gehen will.«

»Erlauben Sie mir den Versuch,« erwiederte Elmerice verbindlich – »die ganze Gesellschaft scheint sich mit Ihnen sehr wohl zu befinden!« –

»Sie wollen mich durch Güte erziehen, da alle Anderen darauf bedacht sind, es mit Strenge zu thun; und gewiß, Sie sollen in mir eine willige Schülerin finden; denn die Bewunderung, die ich schon seit lange für Sie hege, kann Ihre persönliche Bekanntschaft nur erhöhen.« –

»Aber, Margot, wollen Sie Ihren armen Vetter ganz verdrängen?« rief d'Anville; – »seine Verbeugung dauert schon so lange, als Sie vor ihm stehen! Nun, Miß Eton,« rief er freundlich, als Margot lächelnd zurücktrat – »nehmen Sie meinen Bruder gütig als Ihren Bewunderer auf!«[235]

Leonce erhob sich hier aus seiner gebeugten Stellung, und mit raschem Entschlusse vor Elmerice hintretend, sagte er fast stolz: »Miß Eton wird geneigt sein, die Bewunderung einer so unbedeutenden Person zurück zu weisen, und Jeder wird vor ihr die Schranken fühlen, hinter denen er sich zurückziehen muß. Das zufällige Glück, Miß Eton hier zu sehen, wird gewiß auf das lebhafteste von mir empfunden!«

Elmerice verneigte sich ernst, ohne zu sprechen; als sie ihr gesenktes Auge vom Boden erhob, streifte es eine leichte, schwarzseidene Schlinge, in welcher Leonce noch immer den früher gebrochenen Arm trug. Ihr Auge blieb daran haften, und ihre Züge verriethen den lebhaften Wechsel ihrer Empfindungen. Sie öffnete zwei Mal die Lippen – endlich sagte sie kaum hörbar: »Sie waren verwundet, Herr Marquis? Gräfin d'Aubaine schrieb mir, daß Sie einen Unfall hatten.«

Leonce hatte jedes Wort von ihren Lippen verschlungen. »Es war ein sehr unbedeutender Unfall!« rief er; und als sie schwieg, fuhr er mit Lebhaftigkeit fort: »ich segne die Veranlassung – und habe zu viel wirklichen Schmerz erlitten, um dies Ereigniß dazu rechnen zu können!«

Der Zufall wollte, daß sie sich bei diesen Worten fast allein gegenüber standen, da die Uebrigen sich besprachen, jetzt die Zimmer der Königin, die alle Schrecken verloren hatten, zu besuchen. Leonce schien nach seiner Erwiederung eine Antwort zu erwarten; – Elmerice stand noch in derselben Stellung. – Plötzlich richtete sie sich auf, blickte ihn ernst und flüchtig an und wendete sich, ihn grüßend, dann zu den Uebrigen.

Als man die Zimmer betrat, hatte sich Emmy Gray daraus zurück gezogen, welches für Elmerice eine Erleichterung, für die Anderen eine unangenehme Täuschung war. Leonce trat an den Schreibtisch, vor dem Elmerice gesessen – und[236] betrachtete bewegt das aufgeschlagene Prachtwerk, in welchem sie gelesen.

Wenn Blicke sich ahnen, so finden sie sich durch alle örtlichen Hindernisse hindurch; – Elmerice und Leonce blickten sich an, durch viele Personen von einander getrennt!

Wir übergehen den Eindruck, den die weitere Besichtigung der Zimmer bei der Gesellschaft hervorrief. Als man sich anschickte, sie zu verlassen, entstand ein neuer Kampf mit Elmerice, welche zu ihrer alten Freundin zurückkehren wollte und dennoch, von Allen liebevoll gedrängt, sich der Gesellschaft anschließen mußte.

Mit unbeschreiblicher Schwermuth sah sie sich plötzlich in dem Zirkel, den zu fliehen, sie so viel Grund zu haben glaubte – sah sich unter heitere, sorglose Menschen versetzt, deren Leben glücklich und sicher begründet schien, während sie mehr, wie je, sich heimathlos, ohne ausreichenden Schutz, ohne Anspruch an eine feste Lebensstellung fühlte! Dabei hatte sie, trotz aller Schonung ihrer Umgebungen, dennoch eine vornehme Neugier zu ertragen, die mit tausend Höflichkeiten doch zu ergründen trachtete, ob eine Miß Eton, die auch nicht zur englischen Aristokratie gehörte, wirklich den Anforderungen einer höheren Geselligkeit Stich halten werde; und die überraschte Bewunderung, mit der man günstige Wahrnehmungen aufnahm, hatte für wahres Zartgefühl etwas Beleidigendes. – »O, wie Recht hatte mein Vater,« seufzte sie – »mit ihrer Höflichkeit erstarren sie mein Herz!«

Freilich machten hiervon Lucile und Armand, ebenso wie die kleine Margot eine ehrenvolle Ausnahme. Diese hatten die Höflichkeit des Herzens, die immer den rechten Ton zu finden weiß, und Elmerice zeigte bei jenen aus Stolz und hier aus wirklich dankbarem Gefühle, eine schickliche Theilnahme an der lebhaft angeregten Unterhaltung.[237]

Dazwischen war ihre Kleidung ein Gegenstand des Entzückens für alle Damen, dem sich mit einiger Zurückhaltung die Herren anschlossen, die alle heimlich einander beschuldigten, an Miß Eton ihr Herz verloren zu haben; denn selbst Armand, der treueste Paladin seiner Dame, sollte sich zu hingerissen gezeigt haben.

Bald hatten die Damen heraus gefunden, daß diese Kleidung auf dem Lande und in diesem alten Schlosse viel passender sei, als die, welche jetzt herrschende Mode war; und Elmerice zeigte sich willig, sich in einem Nebenzimmer den Blicken aller herbei gerufenen Kammerfrauen darzustellen, die sich verpflichten mußten, auf das schnellste mit den vorhandenen Kleidern der Damen diese Metamorphose vorzunehmen.

»Miß Eton, wie allerliebst wird uns morgen die Mittagstafel kleiden!« rief Margot. »Wenn wir geschmückt sind, kommen wir alle in Prozession und holen Sie ab!«

»Ja, und Jeder nimmt einen Namen an aus den Zeiten der Königin, deren Kleider wir nachahmen!« rief Mademoiselle de la Beaume.

»Dann müßten Sie Katharina selbst sein,« sagte Armand. – »Gut,« lachte die alte Dame – »Katharina bekam so gut weißes Haar, wie ich. Doch kann ich bloß eine stolze Königin darstellen; denn ihre übrigen Nüancen kann ich nicht ergründen!«

»Vergessen Sie nicht,« sagte Armand – »daß sie gesellschaftlich, geistreich und liebenswürdig war, worin ihr keine Frau ihrer Zeit gleich kam, und daß dies gerade meinen Vorschlag bestimmte. – Aber Sie müssen sich jetzt eine Tochter, eine Margarethe von Valois wählen!«

»Sehen wir sie nicht vor uns?« rief Mademoiselle de la Beaume – »Gräfin Bussy muß meine Tochter sein!«

»Nun,« rief Lucile – »so will ich Johanna von Navarra wählen, die stolze Bearnerin, die ich so liebe, und Leonce soll mein Sohn sein! Und Sie, Miß Eton, müssen Eudoxia[238] Nemours vorstellen, die eigentliche, wenn auch geheime Beherrscherin dieses Schlosses zu jener Zeit!«

Miß Eton schauderte bei dieser Wahl unwillkürlich zusammen. »Fürchten Sie Nichts,« lachte die alte Prinzessin – »mir lebt kein Gemahl zur Seite; und ich verspreche, weder selbst, noch durch Andere Gift und Dolch zu führen.«

»Ach, Madame,« sagte Elmerice, zu ernst für den Maskenscherz – »der Tod ist nicht das Schimmste! Aber haben Sie die Thränenspur auf dem Betpulte des unglücklichen Fräuleins vergessen? Soll ich dieselbe Stelle einnehmen?«

»Wir müssen uns Alle das Wort geben,« rief Mademoiselle de la Beaume, Elmerice lachend in die Augen schauend – »daß wir unseren jungen, schönen Gast von seiner viel zu ernsten Stimmung heilen. Sie sollen nicht umsonst die Hofdame der lebenslustigen Katharina geworden sein.«

Elmerice erröthete lebhaft und trat fast erschrocken hinter den Stuhl ihrer neuen Gebieterin; und dennoch sah sie, als sie Leonce seitwärts erblickte, wie sein Auge mit so vielem Ausdrucke auf ihr ruhte. Mit welchem Ausdrucke – das wußte sie nicht zu deuten; doch fühlte sie eine Schüchternheit dadurch erweckt, die ihre Haltung bedrohte. – Indeß fuhr die unermüdliche Mademoiselle de la Beaume fort, ihren Hofstaat zu ordnen. »Und Sie? – Margarethe von Valois, meine königliche Tochter, ich präsentire Ihnen hier die berühmte Claudia von Guise als Ihre Hofdame! Doch vergessen Sie nicht, daß Ihr Gemahl, Ihrer schönen Augen wegen, fast der ganzen Hugenotten-Partei abfiel. Ich mache Ihnen ein gefährliches Geschenk,« fuhr sie fort und zog Margot vor sich hin; – »und mein einziger Trost ist, daß Ihr Gemahl auch für die Schönheiten meines Hofes Augen zu haben scheint, die kleine Claudia aber verdecktes Spiel sehr gut versteht und dem verliebten Bearner nicht nachstehen wird.«[239]

Nun ward eben so viel gelacht, als erröthet. – Die übrigen Herren wurden ebenfalls vertheilt. Armand war Heinrich von Guise – Vardes wollte Benserade sein – Graf Bussy Coligny – und Guiche der Busenfreund von Heinrich von Navarra, der schöne jugendliche Condé!

»Ach,« sagte die Prinzessin lachend – »die letzte Wahl gefällt mir. Condé und Navarra hatten immer ihre kleinen Intriguen! Das paßt sich. Aber hütet Euch jetzt vor Eurer Königin; – sie hatte beständig ein Auge auf diesen Prinzen und entdeckte alle seine Geheimnisse!« –

Diese Scherze belebten den Kreis und sicherten eine freie Bewegung; Jeder konnte so viel Geist und Phantasie zeigen, als er besaß, und Alle fühlten sich aufs Höchste erheitert und entzückt.

Und dennoch schien es derjenigen, die dazu Veranlassung gegeben, als sei sie auf das schmerzlichste dadurch verletzt. Als sie endlich bei dem Aufbruche der ganzen Gesellschaft in Fennimors Gemächer trat, in denen sie ihre alte Freundin, trotz des vollen Kerzenscheins, den sie stets darin verbreitete, neben Fennimors Sterbeplatze fest eingeschlafen fand, sog sie dies Bild der Ruhe und des Friedens mit vollen Zügen ein, und eine schwere, unerträgliche Last schien von ihr genommen. »Nein,« sagte sie leise, über der Schlafenden die Hände ringend – »ich kann nicht bei Euch bleiben, ich gehöre zu Dir – Du bist die Einzige, die ich noch beglücken kann – dort hat Jeder erreicht, was er wünscht, und was ihn erfreut – beneiden will ich es ihnen nicht; – aber weshalb soll ich mit lachendem Munde die tiefe Wunde meiner Brust so harter Berührung preisgeben? Warum das Kostüm, was Du, meine heilige Fennimor, trugest, was Dich schmückte – zum Fastnachtsscherze verbraucht sehen, da es den Schein der Aehnlichkeit mit der Tracht jener verufenen Zeit der Medicäerin hat?[240] Nein, hier will ich bleiben und Dir dienen, Emmy, mit dem Schein-Glücke, nach dem Dein armes Herz so begierig griff!«

Gekräftigt, beruhigt durch diesen Entschluß, trat sie hinaus an Fennimors Grab. Sie kniete nieder, und drückte ihr glühendes Angesicht gegen den kalten Marmor. Sie konnte nicht weinen, trotz der tiefen Wehmuth ihres Herzens – ihr Nachdenken war von allen Rückerinnerungen ihrer früheren Tage in Leithmorin erfüllt, es streifte vergleichend das eben Erlebte und erhöhte das bange Klopfen ihres Herzens. »Ach, Fennimor,« sagte sie, sich erhebend – »Deine Enkelin wird nicht glücklicher werden, als Du! Möchte ich erst sein, wo auch Du nur Ruhe fandest!«

Sie kehrte zu der Alten zurück, die, auf einem niederen Sitze ruhend, ihren Kopf auf die Armlehne von Fennimors Stuhl hatte sinken lassen, und betrachtete das alte, düstere Gesicht, worin der Schlaf Nichts aufheiterte, sondern nur tiefere Linien zog, mit einem kindlichen Antheile, der sie auch bald gewahren ließ, daß Emmy nicht den Athem der Gesundheit hatte. Sie kniete nieder und berührte ihre Stirn – kalter Schweiß stand darauf. Jetzt rief sie besorgt ihren Namen. Die Alte fuhr erschrocken in die Höhe und starrte ihren Liebling mit gläsernen Augen an. »Fennimor,« sagte sie – »Reginald ruft seine Tochter! Jene sollen kein Recht haben an ihr, Du sollst sie zu mir hierher bringen!« – Sie raffte sich empor; ihre Bewegungen waren immer heftig, gigantisch. Trotz des hohen Alters zeigte sich der starre Sinn, der jede Hülfe entbehren wollte.

»Emmy,« sagte Elmerice sanft – »Du sprichst es aus, was ich gedacht! Ich will bei Dir bleiben – Jene sollen kein Recht an mir haben – Fennimors guter Geist hat schon Dein Begehren erfüllt – er trieb mich zu Dir zurück – ich will Dir allein gehören!« –[241]

»So, so!« sagte die Alte, sich besinnend – »Du bist ja mein Engel!« Doch fühlte Elmerice überrascht, daß sie ihren Arm faßte; – plötzlich brachen ihre Knie, und sie sank ohnmächtig in Fennimors Stuhl. Außer sich, stürzte Elmerice über sie hin; – sie glaubte, ein plötzlicher Tod habe ihre alte Beschützerin dahin genommen. Doch bald sah sie, daß sie sich noch bewege, und sogleich bemühte sie sich, ihr Hülfe zu verschaffen. Sie löste ihre Kleider, sie rieb ihr Schläfe und Pulse und näßte ihre Stirn mit kaltem Wasser. Bald erwachte die Alte; aber sie war zu schwach, um sich erheben zu können, und hielt doch Elmerice's Hand fest in der ihrigen, als wolle sie sie verhindern, Hülfe herbei zu rufen. Als sie nach einiger Zeit die Sprache wieder erhielt, sagte sie: »Kind, laß uns allein, ich will bei Dir sterben! Laß mich kein Gesicht mehr sehen aus der Welt, die sie getödtet hat – und halte Du sie Dir auch ab. Morgen bin ich wieder wohl,« fuhr sie fort, als sie die Thränen ihres Lieblings sah; – »sei nur getrost, mein Engel, es ist so schön, wenn wir allein sind, da werde ich bald zu Kräften kommen!«

So blieb sie bis gegen Morgen, von Elmerice bewacht, im Lehnstuhle sitzen; ihr Zustand erregte dieser große Besorgniß, da ein banges Keuchen eintrat, das den Ausbruch einer neuen Krankheit fürchten ließ. Gegen Morgen machte sie den Versuch, von Elmerice geführt, ihr Bett zu erreichen, aber es trat eine neue Ohnmacht ein, die den Rest ihrer Kräfte mitzunehmen schien; denn von da an lag sie in bewußtloser Ruhe.

Elmerice sendete nun Asta zu Veronika, und als diese sogleich mit ihr zurückkehrte, sprach sie gegen diese den Wunsch aus, daß sie den Marquis d'Anville um ein Pferd und einen Boten an den alten Arzt bitten möge und der Marquise ihre Entschuldigungen überbringen, da sie Emmy nicht verlassen könne, und deren Ruhe durch Nichts gestört werden dürfe.[242] Zu Allem bereit, beeilte sich Veronika, den Herrschaften aufzuwarten, die sie sämmtlich in der heitersten Laune beim Frühstücke antraf. Die Nachricht, die sie brachte, wurde mit der größten Theilnahme angehört, und der Marquis gab augenblicklich Befehl, daß ein reitender Bote sich nach dem Kloster aufmache. Dort konnte man den alten Arzt vermuthen, und, wenn er schon fort war, über seine weiteren Streifereien Auskunft erhalten.

»Und muß man sich wirklich damit begnügen?« rief die Marquise wehmüthig – »kann man dies liebe, uns so nah angehörende Wesen durch Nichts in dieser traurigen Lage unterstützen?«

»Sie wenigstens, theure Marquise,« erwiederte Veronika – »Sie wenigstens nicht! Denn die alte Emmy ist in diesem Punkte hartnäckiger, wie irgend ein anderer Mensch. Doch habe ich Hoffnung, daß sie mich ertragen wird, und dann kann ich nicht allein unser liebes Fräulein unterstützen, sondern, wenn sie noch ausreichendere Hülfe bedarf, auch Sie davon in Kenntniß setzen.«

Dies tröstete Lucile in Etwas, da sie schon anfing das lebhafteste Interesse für Elmerice zu empfinden und an dies Zusammenleben eine Hoffnung knüpfte, die seit der Bekanntschaft mit Elmerice sich beiden Ehegatten aufgenöthigt hatte.

Die auffallende Aehnlichkeit derselben mit Fennimors Bilde, und die eben so auffallende Liebe der alten, menschenfeindlichen Frau zu Elmerice, hatte die Betrachtung geweckt, wie wenig sie eigentlich von Miß Eton wüßten; wie sie in den Gesprächen der Tante eigentlich nie erfahren, welcher Abkunft sie sei, und stillschweigend angenommen, sie gehöre zu den vielen auswärtigen Freunden der Gräfin, mit denen diese durch Briefwechsel eine stete Verbindung zu erhalten wußte.[243]

Diese unzureichende Auskunft, mußten sie sich gestehen, war nicht absichtlich so gegeben; sie war von Seiten der Tante gewiß nur eine Folge der Voraussetzung, daß sie mehr wüßten; von ihrer Seite jugendlicher Leichtsinn oder Zerstreutheit, welche sie an der Ungekannten nur das Interesse nehmen ließ, daß ihr Umgang die geliebte Tante beglückt hatte. Jetzt, wo der neu erweckte Wunsch, Nachkommen des unglücklichen Reginald zu entdecken mit Elmerice's auffallender Erscheinung zusammenfiel, beschlossen sie, bei der Tante den näheren Verhältnissen derselben nachzufragen. Armand wollte sich mit Leonce darüber berathen, und dieser oder er selbst sollte nach Ardoise zurückkehren und Nachrichten von der Gräfin Franziska einholen, sobald ihre Gäste sie verlassen hätten. –

»Außerdem wird es Zeit,« – sagte Armand – »daß wir Leonce zur Erklärung und zu einem berechtigten und öffentlichen Verhältnisse mit Margot bringen; denn sichtlich ist die Gemüthsbewegung, in der er sich seit gestern befindet, durch Margot unschuldiger Weise veranlaßt, deren unbefangenes Herz aber sicher nicht interessirt war.«

»Nun,« rief Lucile – »auch ich sah ihn gestern Abend, als ich am Fenster des Vorsaals Luft einathmete, ganz außer sich, wie es mir schien, auf dem alten Hofe des Theophim auf und nieder stürzen; und als ich ihn diesen Morgen damit necken wollte und ihm sagte, ich hätte geglaubt, er habe Emmy Gray entführen wollen, bekam ich eine ganze Ladung zorniger Blicke aus seinen düsteren Augen, und die Röthe bestieg seine Stirn, wie ein Feuerzeichen, was Kampf bedeutet! Ich hielt mir die Augen zu, als ob ich mich fürchte, und doch war mir innerlich bei dem Scherze nicht wohl zu Muthe; denn ich ahnte, daß Etwas Ernstes ihn quäle.«

»Er ist, fürchte ich, eifersüchtig auf Guiche,« sagte Armand; – »und was mir auffallend ist und ich fast unzart[244] nennen möchte, ist, daß Guiche seine Neigung für Margot kaum verbirgt. Als wir gestern die alten Zimmer verließen, blieben sie weit zurück; – Margot hatte es mit der Statue des Spinola auf dem Treppensaale zu thun, und Guiche wollte ihr ein Pendant dazu zeigen in dem Zimmer der Gräfin Bussy. Erst folgte ihnen Leonce, und wie mir schien, schon mit sehr übellaunigem, wenigstens auffallend blassem Gesichte; plötzlich aber stürzt er außer sich zurück – die Treppe hinab – ohne mich zu sehen, obwol ich eben erst aus dem Banket-Saale trat, wo ich mit dem Hausverwalter einige Verabredungen getroffen und ihn in dieser Zeit durch die offene Thüre beobachtet hatte.«

»Ja,« rief Lucile – »jetzt erinnere ich mich! Die Anderen hielten es für eine gewöhnliche Galanterie, wie wir sie an Leonce kennen: wir waren nämlich voran gestiegen und schon im unteren Flure, da rief Mademoiselle de la Beaume laut nach Miß Eton, die wir eben vermißten; und in demselben Augenblicke schrie ich laut auf, weil irgend ein Bewohner dieses feuchten Raumes über meinen Fuß schlüpfte. Das hatte Leonce gehört. ›Was ist geschehen?‹ rief er, die Treppe hinauf stürzend; – ›wo ist Miß Eton?‹ Sie stand fast erschrocken neben ihm, und er rief nun: ›Lucile, ich erkannte Ihre Stimme!‹ Aber er war so außer sich, daß wir ihn alle auslachten und ich gleich dachte: weder diese fremde Miß Eton, noch Dein Schrei bringt ihn so außer Fassung!«

»Ich zögerte an der Treppe, mit den Domestiken sprechend,« fuhr Armand fort – »um Margot abzuwarten. Da sie aber so wenig, wie Guiche erschien, trat ich in das Zimmer, in welches sie verschwunden waren; da standen Beide in lebhaftem Gespräche, und eben riß Margot ihre Hand los, die, wie es mir schien, Guiche zwischen den seinigen hielt. Die kleine Unvorsichtige war bei meinem Anblicke ganz außer Fassung;[245] ich gab ihr den Arm und führte sie hinab. Wir schwiegen aber Beide; es schien mir, sie war sehr beschämt; Guiche folgte uns gar nicht und traf erst später bei der Gesellschaft ein. – Von da an ist Leonce aber nicht wieder zu erkennen, und ich muß ihn auffordern, offen mit mir zu reden. Er ist von den Verhältnissen des Grafen Guiche zu gut unterrichtet, als daß er nicht im Stande sein sollte, ihn von seinem unvorsichtigen Werben um Margot abzuhalten. Graf Guiche steht nämlich in diesem Augenblicke sehr unangenehm zur Familie d'Aubaine. Margots Bruder ist mit Guiche bei demselben Regimente, das Bussy kommandirt; eine Abtheilung dieser garde du corps hat den Dienst in Versailles; eine der tausendfältigen Kleinigkeiten, von denen man angenommen hat, daß sie die Ehre eines Offiziers verletzen, glaubt d'Aubaine von Guiche erfahren zu haben. Diese Dinge dürfen sich nie entkräften, selbst nicht an der innigsten, treuesten Freundschaft; denn in diesem Verhältnisse waren Beide und eben aus Montreal von einem Besuche bei Margots Eltern zurück gekehrt. Es mußte also Blut fließen; und obwol Leonce sich bemühte, sie zu versöhnen, forderte doch d'Aubaine das Duell. Da Vardes sein Sekundant war, ward Leonce der Sekundant von Guiche, und leider ward d'Aubaine gefährlich verwundet. Du kannst Dir den Zorn Deines Onkels denken, wie er die Nachricht von der Gefahr seines einzigen Sohnes bekam, und wie aufgebracht er auf Guiche war, dem er in der Partheilichkeit des Schmerzes allein die Schuld zuschob! Jetzt erholt sich der junge Mann und Leonce sucht Guiche mit dem alten Grafen zu versöhnen; da er den Ersteren sehr liebt und alle Schuld d'Aubaine giebt. Doch hat er selbst, als Sekundant des Gegners, den Zorn Deines Onkels zu erfahren gehabt; obwol ich nicht denken kann, daß dies bei dem alten Herrn einen nachtheiligen Einfluß auf unsere Wünsche ausüben wird.«[246]

»Nun, dann kann ich auch nicht glauben, daß sich Guiche um Margot bemüht!« rief Lucile; – »denn dann kennt er Leonce's Wünsche und wird bloß Margot's Verzeihung in Bezug auf den Bruder gewinnen wollen.«

»Wir können das abwarten!« rief Armand; – »doch muß ich mich gegen Leonce erklären – es erregt zu sehr meine Ungeduld.« –

Diese Erklärung fand sich jedoch nicht. Die Geselligkeit und Leonce's sichtlicher Wunsch, Armand zu vermeiden, hielt die Brüder entfernt.

Es war überhaupt eine Störung wahrzunehmen. Zwar waren die Kostüms fertig und bereits angelegt; aber Elmerice's Verschwinden, die traurige Veranlassung desselben hatte die Lustigkeit gelähmt, die man erst von diesem Maskenscherze erwartete. Es war, als ob mit ihrem Ausscheiden sich die Berechtigung dazu vermindert habe, und Mademoiselle de la Beaume erschien am zweiten Morgen in ihrer gewöhnlichen Kleidung und versicherte, sie habe die ganze Nacht von ihrer Toilette Fieber gehabt; denn Katharina von Medicis habe ihr in Person Unterricht geben wollen, sich ihrem Kostüme gemäß zu betragen, und da habe sie zusehen müssen, wie sie nach und nach in ihrer Seele eine wahre Hölle eingerichtet habe. – So erschienen nur noch die jungen Damen zuweilen bei Tafel in ihren Miedern und niederhängenden Locken, die ihnen allen auffallend schön kleideten. Die Herren hatten dagegen ihre Rollen nicht weiter verfolgt, und die Damen wurden auch nur gelegentlich durch Anrufung ihres Namens daran erinnert.

Indessen traf am anderen Mittage die Nachricht ein, der alte Arzt sei angekommen und bereits in den Zimmern der Mistreß Gray. D'Anville stellte an der äußeren Thüre des Thurmes sogleich einen Diener auf, der den alten Herrn zu ihm führen sollte, wenn er von der Kranken zurückkomme; und wir[247] überlassen Alle dieser Erwartung, um zu erfahren, was sich indessen an einer anderen Stelle für diese besonderen Verhältnisse vorbereitete.


Die Gräfin d'Aubaine war, nach der Abreise ihrer jungen Freunde von Ardoise, mit der uneigennützigen Ruhe, die der Hauptzug ihres geläuterten Karakters war, zu ihrem einsamen Leben zurückgekehrt. Lebhaft angeregt durch die Erscheinungen der geistigen Welt, die sie aus ihrer gesicherten Ruhe mit antheilvollen Blicken verfolgte, nahmen die Zusendungen aller in Paris entstehenden, neueren Schriften ihre Zeit ausreichend in Anspruch – wenn wir noch hinzufügen, daß sie das geistvolle Resumé der ihr daraus erwachsenden Betrachtungen mit absichtslosem Fleiße, sich selbst zur Prüfung, in schriftlichen Aufsätzen sammelte. Doch behielt sie nach Außen den vollständigsten Antheil für alle ihr näher gerückten Verhältnisse, und unter ihnen standen ihr die ihrer jungen Freundin jetzt am nächsten, gegen welche sie sich heilig verpflichtet hielt durch das Vertrauen, mit dem die Aeltern sie ihr als Vermächtniß übergeben hatten. Die zärtliche Freundschaft, die das junge, anziehende Wesen ihr eingeflößt, gab ihr eine genaue Kenntniß ihres feinen, leicht verletzlichen Sinnes, und ließ sie über die zweifelhaften Verhältnisse, in denen sie sich jetzt befand, eine berechtigte Unruhe empfinden. Doch hoffte sie noch immer, durch die Anwesenheit der Marquise d'Anville in Ste. Roche, einen ausreichenden Schutz für ihren Liebling annehmen zu dürfen, und fühlte sich schmerzlich getäuscht, als sie die Nachricht zurück erhielt, wie bestimmt Elmerice sich jeder Gemeinschaft mit ihr entzogen habe, wie fest diese neuen Verhältnisse sie zu fesseln schienen.[248]

Sie hatte darüber ein langes Nachdenken und fragte die Erinnerungen ihrer Jugend um Auskunft über Emmy Gray. Aber es war ein undeutliches Bild, was sie vorfand, und weniger hatte die Zeit dies bewirkt, als die damalige Zerstörung ihres Geistes, und daß nach ihrer Genesung die ganze traurige Begebenheit wie mit heiligen Siegeln in dem Munde Aller verschlossen war, die sie umgaben. – Was sie darüber später erfuhr, war ihr durch Madame St. Albans mitgetheilt, die durch ihren Besuch, wie durch die Erwähnung der Nähe des Klosters Tabor, sie wieder zu einigem Antheile erweckt und manche Erinnerungen in ihr aufgefrischt hatte, die sie mit ihren übrigen Schmerzen fest hielt und aus denen sie jetzt einen Begriff von der Lage ihrer Elmerice schöpfte.

Die finstere, feindselige Stimmung, die Emmy Gray zu der ganzen Welt trug, war für die Gräfin eine Ursache mehr, ihre junge Freundin als ein Opfer ihres Mitleidens anzusehen; und wie sie diese weit getriebene Theilnahme mindern solle, das war der Gegenstand ihrer Ueberlegungen. Sie entwarf hierzu in einem Tage mehr Pläne, als ihr ganzes übriges Leben aufzuweisen hatte, nur immer wieder verworfen oder verändert durch ihr großes Zartgefühl. Die Furcht, mit einer Autorität aufzutreten, die sie zu edel und uneigennützig war geltend zu machen, wenn sie nicht durch wirkliche Nothwendigkeit erzeugt ward, machte, daß sie bis zu dem Gedanken gelangte, selbst nach Ste. Roche zu gehen, um durch ihre Nähe Elmerice, die sich ihr sicher nicht entziehen konnte, zu zerstreuen, ohne sie ganz der Theilnahme für ihre alte Freundin zu berauben.

Aber dieß war freilich ein großer Entschluß, den die edle Franziska trotz der Aufopferungen, deren sie fähig war, doch nicht ohne eine große, innere Bewegung fassen konnte, und von dem sie eben so lebhaft wünschte, er möchte ihr erspart werden. Denn Ste. Roche war der Markstein ihres irdischen[249] Glückes! Ste. Roche hatte das unschuldige und tugendhafte Dasein des einzigen Mannes, den sie je geliebt, auf immer zerstört! Wenn sie dorthin dachte, schien es ihr ein riesiges Grabmal, das Alles bedeckte, was ihr je an irdischem Besitze gehörte, – und dennoch kam der Gedanke immer wieder; denn nur ihrem Pflichtgefühle räumte sie eine ausschließliche Herrschaft über sich ein und schon erließ sie einzelne Fragen an Lorint über den Bestand der Reiseequipagen, welche die ganze Dienerschaft in Erstaunen setzten, da die Gräfin seit zehn Jahren das Schloß nicht verlassen hatte. –

In einem jener zierlichen Blätterklosets, welche die Gartenkunst des damaligen Jahrhunderts bestrebt war, mit möglichster Täuschung der Natur abzuringen, ruhte die Gräfin d'Aubaine und sah durch den hohen Bogen des grünen Eingangthores eine große, schnurgrade gepflanzte Allee riesenhoher Platanen entlang, die mit einem malerischen Prospekte auf das Schloß endete, als sie Monsieur Lorint gewahrte, der mit den weiß seidenen Strümpfen, dem gestickten Scharlachrocke und der kleinen weißen Stutzperücke, eine kleidende Staffage dieser einsamen Blätterarchitektur ward. Als er näher trat, bemerkte sie den Glanz des silbernen Tellers in seiner Hand und war nun gewiß, er brächte ihr Briefe. Sie hoffte aus Ste. Roche – und stand auf, um, ihm entgegengehend, sie früher in Empfang nehmen zu können.

Der alte, etwas korpulente Herr beeiferte sich bei dieser Bewegung seiner angebeteten Gebieterin, sie so schnell, als möglich, zu erreichen, und bald stand er, ganz außer Athem, mit dem reich belegten Teller vor der Gräfin.

»Zwei Briefe von meiner Nichte?« rief die Gräfin. –

»Ja, Euer Gnaden, durch zwei sich schnell folgende Boten; außerdem befindet sich noch ein Courier anwesend, der Euer Gnaden eine fremde Herrschaft anzumelden kömmt.« –[250]

»Nun, und wenn?« sagte die Gräfin zerstreut und, schon in den ersten Brief ihrer Nichte vertieft, kaum Lorint's Worte beachtend. Lorint schwieg daher, sich vor das Kloset zurückziehend.

Mit welcher Freude nun auch die erste, begeisterte Erzählung der Marquise von der Bekanntschaft mit Elmerice und den wunderbaren Verhältnissen derselben, das zärtliche Herz der Gräfin erfüllte, da Lucile, von Empfindungen der Bewunderung überströmend, ihrer schnell erweckten Zuneigung mit Ausdrücken er wähnte, die in ihrem eigenen Herzen einen nur zu lebhaften Anklang fanden – so wurde diese Freude doch eben so rasch niedergeschlagen und in Besorgniß verwandelt, als sie den zweiten Brief erbrach und die Krankheit der alten Mistreß Gray und Elmerice's schnelles Zurückziehen erfuhr.

»Mein Gott,« sagte sie lebhaft – »das geht nicht mehr so! Ich muß dennoch zu ihr; – mein armes, theures Kind, ich kann Dich nicht länger verlassen! Vielleicht that ich es schon zu lange und habe das heilige Vertrauen verletzt, das Deine Eltern in mich setzten. – Sorgt, Lorint,« sagte sie, sich zu ihm wendend – »daß wir morgen abreisen können; ich werde nach Ste. Roche zu meiner Nichte gehen!«

Lorint verbarg sein Erstaunen, welches ihm das Blut in das Gesicht trieb, durch eine tiefe Verbeugung. »Ich komme nach dem Schlosse zurück,« fuhr die Gräfin fort, da Monsieur Lorint noch immer stehen blieb – »richtet vorläufig das Nöthigste zu meiner Abreise ein.«

»Zu Befehl, Euer Gnaden!« erwiederte Lorint; – »ich wollte nur unterthänigst an den Courier erinnern, der auf Antwort harret!«

»Ein Courier?« sagte die Gräfin überrascht, da sie jetzt erst die Nachricht hörte – »ein Courier aus Ste. Roche?«

»Nein, Euer Gnaden, ein Courier, der eine fremde Herrschaft anmeldet, welche sich aber nur der Frau Gräfin selbst[251] nennen will, und über die der Bursche keine Auskunft zu geben weiß, da er von dem nächsten Posthause kömmt, wo die Herrschaft erst vor wenigen Stunden eintraf und ihn absendete, um die Anwesenheit Euer Gnaden zu erfragen und diese allgemeine Meldung zu machen.«

»Das ist sonderbar,« sagte die Gräfin; – »ich muß aber dennoch Bekannte annehmen, obwol ich kaum weiß, wer sich dieser eigenen Form bedienen könnte. Doch darf dieser Besuch keinen Einfluß auf meinen Entschluß haben. Besorgt zu morgen meine Equipagen und sagt dem Courier, ich wäre im Begriffe abzureisen, doch bis morgen bereit, Jeden willkommen zu heißen.«

»Auch, glaube ich, können dies Euer Gnaden ohne Bedenken,« fuhr Lorint mit der Vertraulichkeit alter Domestiken fort; – »denn die Herrschaft ist, dem Aufwande nach, mit dem sie reist, von hohem Range.«

»Wir werden dies erwarten,« sagte die gütige Gräfin lächelnd; – »gebt die nöthigen Befehle zu ihrer Aufnahme!«

Doch lange noch blieb sie allein in der schönen Einsamkeit, die sie umgab; sie vertiefte sich in die Mittheilungen ihrer Nichte und suchte sich dadurch in ihrem Vorhaben zu stärken, das sie, bei aller pflichtgetreuen Festigkeit ihres Sinnes, dennoch mit einem geheimen Bangen erfüllte, über das sie nicht Herr zu werden vermochte. Wie Viel sich an diese Empfindungen anreihen mochte, was von der Zeit und ihrem starken Willen verdeckt lag, wäre auf dem schönen, früh gealterten Gesichte zu verfolgen gewesen, obwol es die feine Hand, welche das denkende Haupt stützte, halb verbarg.

So mochte die Zeit schnell an ihr hin gestrichen sein, und vielleicht hatte sie selbst die Abreise und mehr noch den angekündigten Besuch bereits vergessen, als sie die Stimme von Monsieur Lorint vernahm, der, dicht vor dem Eingange des grünen Gemaches stehend, einige unterthänige Worte murmelte.[252] Sie zog die Hand von ihrem Angesichte und sah hinter Lorint eine hohe, männliche Gestalt stehen, und an ihrer Seite eine jüngere, weibliche, die Beide der Gräfin völlig fremd erschienen und sie an ihre erwarteten Gäste erinnerten.

Sogleich erhob sie sich, und mit ihrem edeln und gewinnenden Anstande nahete sie sich den Fremden, die Monsieur Lorint versucht hatte, ihr vorzustellen. Wer hätte sich nicht in dem Augenblicke, als sich die hohe, leichte Gestalt, so würdig von den reichen Falten des schwarzen Kleides umhüllt, ihnen nahete, sagen müssen: sie habe die unverwüstliche Schönheit der Seele, deren Dasein wir beim ersten Blicke empfinden, und die an dem Körper, der wie ein durchsichtiger, aber farbloser Schleier den Geist umgiebt, keinen größeren Verfall zuläßt, als die Verflüchtigung der Jugendreize!

Der Fremde schien, von ähnlichen Betrachtungen bewegt, ihren vollen Anblick genießen zu wollen; denn er blieb in derselben Entfernung vor ihr stehen und ließ sie in ihrer ganzen edeln Erscheinung auf sich zu kommen; aber sein großes Auge, das unter starken, schwarzen Augenbraunen feurig hervorleuchtete, sagte ohne Worte: ich bewundere Dich! Der Fremde zeigte eine sichere, würdevolle Haltung; die Schönheit eines alten Mannes, der sich seiner Jugend ohne Erröthen erinnern darf. Sein weißes Haar hob sich noch voll um die freie Stirn, und die Feinheit der schönen, griechischen Nase verstärkte den edeln Ausdruck seines Kopfes. Er war über der gewöhnlichen Größe, ohne Korpulenz, in reicher, einfacher Tracht, die aber nicht die der französischen Mode war; seine ganze Erscheinung flößte Achtung und Vertrauen ein.

An seiner Seite stand eine junge, weibliche Gestalt, die fast andächtig ihre sanften Augen auf die Gräfin d'Aubaine gerichtet hielt und eins der zarten, blonden Mädchen war, an deren materielle Existenz wir kaum Glauben fassen können.[253]

Die Gräfin gewann die von uns dargelegte Ansicht mit einem Blicke ihrer klugen, erfahrenen Augen; und in der angenehmen Erwartung, einen Namen zu hören, der dieser interessanten Erscheinung entspräche, nahete sie sich mit jener verbindlichen Miene, welche die Frage ausdrückt, die der Mund noch zurückhält.

»Madame,« sagte der Fremde, jetzt ehrerbietig ihr entgegentretend – »ich erkannte Euer Gnaden augenblicklich wieder, obwol so viel Zeit zwischen diesem und unserm letzten Beisammensein liegt, daß mein einst schwarzes Haar Zeit hatte, mich zum Greise zu stempeln; – auch damals genoß Lord Duncan-Leithmorin Gastfreundschaft in Ardoise, und Gräfin Franziska d'Aubaine war die Heilige, die er anbetete.«

»O, Lord Duncan,« rief Gräfin d'Aubaine – »Sie führt in Wahrheit Gottes besondere Güte zu mir! Stets konnten Sie der Freude gewiß sein, die Ihre Ankunft hier erregen mußte; und doch ist sie niemals erwünschter gewesen, als gerade jetzt, wo sie fast zur Nothwendigkeit geworden ist; und in dem Augenblicke, wo ich Sie sehe, fühle ich erst recht die Wohlthat, die mir Ihr Rath gewähren wird.«

»Das habe ich fast erwartet, Frau Gräfin,« erwiederte Lord Duncan; – »und dennoch thut mir Ihre offene, gütige Erklärung darüber unendlich wohl; denn sie hebt den letzten Zweifel, der mich noch beunruhigen konnte. An Sie bin ich nun in jeder Hinsicht verwiesen, da Sie selbst meine Sendung anzuerkennen scheinen.«

»Lassen Sie mich erst diesen Engel begrüßen!« rief jetzt die Gräfin, deren Augen schon längst auf das holde Wesen an seiner Seite geblickt hatten.

»Marie Duncan sehnte sich, Ihre Hand zu küssen,« sagte der Lord und führte das erröthende Mädchen zur Gräfin, die ihr die Arme entgegenstreckte und sie zärtlich an ihre Brust[254] drückte. »Freundin meiner Elmerice, weißt Du, daß sie mir mütterliche Rechte einräumte? Willst Du mir einen ähnlichen Antheil gönnen?«

»Ach, Madame',« rief Marie, seelenvoll zu ihr aufblickend – »möchte ich ein so großes Glück verdienen lernen!«

»Aber Du findest Deine Elmerice nicht!« fuhr die Gräfin fort. – »O, Lord Duncan, werden Sie nicht Rechenschaft von mir fordern und mich für einen schlechten Haushalter erklären, da ich den mir anvertrauten, köstlichen Schatz von mir ließ, schutzlos in fremde, unheimliche Verhältnisse übergehend?«

»Nein, meine theure Gräfin!« erwiederte Lord Duncan; – »ja, eben diese augenblicklichen Verhältnisse des von mir väterlich geliebten, theuern Mädchens sind die Veranlassung, daß ich nach Frankreich kam; – und wie ich ohne Ihren Rath, Ihren Beistand keinen Schritt vorwärts thun kann oder will, so muß ich einräumen, daß Sie mich eben so nöthig haben werden; und da ich Ihre Reisepläne schon kenne, denke ich, wir reisen, wenn Sie mich gehört haben, später zusammen.«

»O, gern, gern!« rief die Gräfin, nachdenkend und bewegt; denn jetzt fühlte sie, Lord Duncan müsse wichtige Mittheilungen zu machen haben, und in dem augenblicklichen Verhältnisse seines Mündels mehr sehen, als sie, die ihre Sorge nur auf die Gemüthsstimmung ihrer jungen Freundin gerichtet hatte. Hoch athmete sie bei diesem Nachdenken auf. Wie viele Jahre waren schonend an ihr hingezogen, und heute ward ihre Erinnerung für die Vergangenheit geweckt – und wie lebhaft durch Lord Duncan ihr Gefühl angeregt, den sie als Freund Reginald's kannte, und dessen Bekanntschaft die glücklichste Zeit ihres kurzen Jugendlebens umschloß!

Lord Duncan errieth die Bewegung seiner edeln Freundin und suchte sie von ihren Empfindungen abzulenken. Die Gräfin verstand schnell seine wohlmeinende Absicht; man trat den Rückweg[255] nach dem Schlosse an, und hier Alles geschickt und schnell vorbereitet findend, führte die verbindliche Wirthin ihre Gäste selbst in die schönen, wohnlichen Gemächer, ihnen nach einer eiligen Reise die erwünschte Ruhe gönnend.

Erst zur Tafel fanden sich die Gäste wieder bei der Gräfin d'Aubaine ein, und Lord Duncan füllte diese Zeit der Unterhaltung mit Erzählungen über sein Familienleben, das, der Gräfin fremd, ihre ganze Theil nahme in Anspruch nahm Doch hörte sie fast mit Schreck, daß Lord Astolf, der jüngste Sohn des Lord Duncan, bereits verlobt sei, und wie sich die junge Marie darauf freute, Elmerice mit dieser Nachricht zu überraschen. Denn noch immer glaubte sie, ihr Liebling trage eine unglückliche Neigung zu jenem Jünglinge, und seit lange hatte sie sich gewöhnt, die Schwermuth derselben dieser Ursache Schuld zu geben.

Lord Duncan hatte die Gräfin um eine ungestörte Unterredung gebeten; man hob die Tafel deshalb zeitig auf, und da Marie Duncan alle Plätze kennen lernen wollte, von denen das Tagebuch ihrer Elmerice so lebhafte Schilderungen enthielt, hatte die Gräfin dafür gesorgt, daß das sanfte Reitpferd, welches Miß Eton zuweilen gebrauchte, der jungen Lady zugeführt wurde. Der alte Förster von Ardoise und ein völlig zuverlässiger Reitknecht bekamen den Auftrag, Miß Duncan zu allen Punkten hinzuführen, welche die junge Dame nennen würde.

Nachdem man das junge, heiter lächelnde Mädchen mit ihrem Gefolge hatte abreiten sehen, führte die Gräfin d'Aubaine ihren Gast nach dem abgelegenen, grünen Kabinet, welches wir bereits kennen; und als sie in den offenen Balkonthüren, die einen begrenzten Blick in die einsamsten Baumpartien des Gartens darboten, Platz genommen hatten, trat eine Pause ein, in der Beide sich zu beherrschen suchten. Die Gräfin fühlte, sie würde mit Lord Duncan nicht zusammen sein können,[256] ohne durch gemeinschaftliche Erinnerungen den wunden Punkt in ihrer Brust zu berühren, und Lord Duncan sah sich ähnlich bewegt; wir werden aus seinen Mittheilungen erfahren, wie viel Recht er dazu hatte.

»Lassen Sie uns offen gegen einander sein, theure Gräfin,« sprach er endlich; – »wir fühlen Beide, daß, was ich Ihnen zu sagen habe, schmerzliche und ewig theure Erinnerungen wecken wird. Aber wenn ich dennoch den Entschluß gefaßt habe, Sie auf diese Weise zu erschüttern, so geschieht es in dem festen Vertrauen, daß Ihnen, wie mir, eine Pflichterfüllung zu wichtig ist, um nicht das Opfer zu bringen, das ich jetzt fordere, indem ich Sie bitte, mich anzuhören.«

Die Gräfin reichte ihm schweigend die Hand, die er fast knieend an seinen Mund drückte. Ihre blassen Lippen bebten in einer Empfindung, der sie keine Worte gestatten wollte; aber Lord Duncan zweifelte nicht an ihrer Einwilligung und hob mit ruhiger Fassung seine Mittheilungen an:

»Als Reginald – aus seinem Vaterlande verjagt ward, suchte er das Vaterland seiner Mutter auf. Er erreichte England mit gebrochener Jugendkraft, und als er das Haus seines Onkels, des Herrn Lester in Yorkshire, betrat, zeigten sich schon Symptome der Krankheit, die ihn bald darauf daniederwarf. – Sie haben oft von dem Vater Ihrer Jugendfreundin gehört; er war in Wahrheit einer der Ausgezeichnetsten seines Standes. Er besaß eine reiche Probstei, und seine vornehme Familie, die den Vater aufgegeben hatte, suchte durch diese ansehnliche Pfründe den Sohn zu heben. Mehr, als sie ihm geben konnte, gab er sich selbst durch seinen würdigen Karakter! Seine tiefe Gelehrsamkeit machte ihn zu einem gesuchten und geachteten Gegenstande; er hatte auf der Universität den Doktorgrad erhalten, war Mitglied der ausgezeichnetsten, gelehrten Gesellschaften, und stand dadurch in den weitverzweigtesten[257] Verbindungen. Eben so bedeutend war seine Gemahlin, eine Miß Eton, deren Vater Bischof in Kalkutta gewesen, und die ihrem Gemahle in jeder Beziehung gewachsen war. Nach dem Tode ihres Vaters hatte sie sich, als die Letzte ihres Namens, mit Herrn Lester vermählt, und nachdem sie mehrere Kinder verloren, blieb ihr nur Margarith, die jüngste Tochter, die Ihre Freundin ward, theure Gräfin!«

»Nur ein Mal habe ich mit Herrn Lester über Fennimor, seine unglückliche Schwester, gesprochen. Er war bis zu Reginald's Ankunft über ihr eigentliches Schicksal in Zweifel geblieben. Wie wir alle, mußte er sie rechtmäßig vermählt halten; auch bekam er bis zu der Geburt ihres Sohnes nur glückliche Nachrichten von ihr und empfing daher die Anzeige ihres Todes, die ihm Graf Leonin selbst machte, mit der schmerzlichen Trauer um ein zu früh aufgelöstes Glück. – Ob ihr Sohn, von dem jene Todesnachricht Nichts erwähnte, lebe oder der Mutter gefolgt sei, konnte Herr Lester nicht erfahren; da alle seine Briefe von da an unbeantwortet blieben. So machte die Zeit, daß er jene Verhältnisse, als für ihn nicht mehr bestehend, nach und nach zu vergessen begann. Emmy Gray's Weigerung, nach England zurückzukehren, und die flüchtige Erwähnung seiner Tochter, bei ihrer Rückkehr aus Ardoise, über ihr wunderliches Leben, überraschte Herrn Lester nicht, da er Emmy von Jugend auf als finster und halsstarrig gekannt hatte, und John Gray, der auf der Jagd verunglückte und einen frühen Tod fand, kein Band mehr für sie war. Dies eine Mal, daß ich nach der Entdeckung, die ihm Reginald gemacht, den unglücklichen Bruder dieses geopferten Engels sprach, wird mir unvergeßlich sein! Er hatte damals schon jeden Gedanken an Genugthuung aufgegeben und rang mit seinem Schmerze um christliche Fassung und Ergebung; aber es war ein Kampf, dem er so oft unterlag, als er davon zu[258] sprechen wagte, und ich habe ihn niemals wieder dazu aufgefordert.«

»Reginald wußte durch Emmy Gray's verhängnißvolle Mittheilung von dem Dasein seines Onkels und von dessen Aufenthalt. Er suchte ihn zu erreichen; aber sein Diener brachte den todtkranken Jüngling bewußtlos in das verwandte Haus. Noch ahnte die edle Familie nicht, wen sie aufnahm, obwol Margarith augenblicklich in ihm den Jüngling wieder erkannte, den sie unter dem Namen Chevalier de Ste. Roche in Ardoise gesehen hatte; dessen ungeachtet genoß er jede Pflege und die zarteste Theilnahme, die endlich den leidenden Zustand brach und ihn dem Leben zurückgab, das er nur noch mit Ergebung ertrug, von jedem frohen Gefühle des Glückes und der Jugend auf immer geschieden.«

»Als er sich seinem Oheim entdeckt hatte, und die ereignißreiche Erzählung seines grausamen Schicksales das Herz dieses edlen Verwandten mit dem Unglücke seiner Schwester vertraut gemacht hatte, erfüllte Beide eine tiefe und gerechte Verachtung gegen die Familie Crecy-Chabanne, deren rechtmäßiges Oberhaupt durch so grausame und hartnäckige Verfolgungen, um jedes Vorrecht der bürgerlichen Gesellschaft betrogen, aus seinem Vaterlande vertrieben ward. – In Folge dieser Empfindungen, und von dem lebhaften Verlangen gedrängt, dieser Familie spurlos entzogen zu bleiben, willigte Reginald ein, den erlöschenden Namen seiner Tante anzunehmen; – und er nannte sich von da an – Eton!«

Lord Duncan brach hier ab; er sah das hinsterbende Lächeln auf dem Gesichte seiner edeln Freundin. Beide schwiegen. Langsam floß endlich Thräne auf Thräne aus ihren gesenkten Augen. Lord Duncan erhob sich, er wollte sich entfernen; – aber ihre reine und erhabene Seele hatte schon gesiegt; sanft streckte sie die Hand nach ihm aus. – »Bleiben Sie, theurer Freund!«[259] rief sie, unter stärker rinnenden Thränen – »o, ich weine mehr aus Freude, wie aus Schmerz! So war sein Schicksal weniger traurig, als ich es erwarten mußte – so genoß er Liebe, treue Hingebung an der Seite der edelsten Menschen! Ach, und er vergaß mich nie; denn – sprechen Sie es aus – sein Vermächtniß war Elmerice!«

Gerührt unterbrach Lord Duncan den beruhigenden Erguß ihrer Gefühle nicht. Still und voll Ehrfurcht blickte er auf diese schöne, würdige, weibliche Erscheinung, die mit allen Zuständen Frieden schließt und ihnen ihren Stachel zu nehmen weiß.

»Lord Duncan,« sagte sie nach einer kleinen Weile – »welches Licht giebt mir dieser Augenblick über mich! Wie unwahr sind wir noch immer gegen uns – und neben welchen absichtslosen Täuschungen gehen wir her, als ob wir sie nicht sähen! Was Sie mir jetzt aussprechen, ist die Ahnung der langen Vergangenheit, seit Margarith Lester mir in schüchternen Andeutungen ihre Liebe, ihre Vermählung mittheilte. Seit ich Elmerice sah, und aus ihren Erzählungen über ihren Vater Manches mir erschien, als ob eine liebe Hand den Schleier von einem unverwischlichen Bilde wegzöge – seitdem belebte sich diese Ahnung aufs neue! O, Lord Ducan, nehmen Sie mein Bekenntniß an: selbst das schöne Antlitz meiner Elmerice rief theure Züge in mir zurück; – und dennoch, dennoch hüllte ich mich schüchtern gegen die Wahrheit ein! Aber ich liebe dies theure Kind so zärtlich, so hingebend, wie ich nur vermocht hätte, wenn mir die Wahrheit aufgedeckt gewesen wäre; und all meine Einrichtungen für ihre Zukunft nach meinem Tode, gestalteten sich so, wie es der Witwe Reginald's – mein schönster Titel blieb dies immer – zukam! O Mylord, wie froh bin ich, sagen zu können: ich war vor Ihrer Ankunft entschlossen, nach Ste. Roche zu gehen; und nicht alle meine Pflichten habe[260] ich aus kränklicher Schonung meines verwöhnten Gefühles vernachläßiget.«

»Reginald« – hob hier Lord Duncan an – »kannte Sie so genau, theure Freundin, daß er gerade so, wie es geschehen ist, den Gang Ihrer Empfindungen voraussetzte. Nicht ich sollte Elmerice begleiten; und da seine Gemahlin ihn überlebte, sollte auch diese erst der Tochter nach Frankreich folgen! Elmerice sollte alle Nachrichten über sein Leben ahnend in Ihnen vorbereiten, und wir nur hinzutreten, um das zu geben, was Ihnen dann noch fehlen würde.«

»So fahren Sie fort,« sagte Franziska d'Aubaine mit Fassung. Aber sie stützte ihr Haupt mit der Hand und entzog ihr Gesicht, damit dem Lord die Zeichen ihres tief erregten Gefühles beschämt verhüllend. Mit einer edlen Schonung erzählte Lord Duncan weiter:

»Nachdem Herr Lester zu einiger Fassung zurückgekehrt war, richtete er seine ganze Aufmerksamkeit auf seinen unglücklichen Neffen und bemühte sich, ihm eine Stütze zu werden. Sie begreifen, mit welcher Liebe und Bewunderung er den reich angebauten Geist, das edle Herz desselben erkennen lernte; wie stolz er im Laufe der Zeit auf ihn ward und wie er ihm seine achtungsvollste Freundschaft schenkte.«

»Doch sein und Reginald's dringendstes Verlangen, einen Wirkungskreis, eine Thätigkeit zu finden, scheiterte wiederholt an Reginald's zerstörter Lebenskraft. Sein Aufenthalt in der Bastille, die er unter den heftigsten Seelenleiden, nach einer kaum überwundenen Krankheit, ohne die nöthige Pflege bewohnen mußte, hatte eine hartnäckiges Siechthum veranlaßt, das ihn viele Jahre nach einander zu derselben Zeit aufs Krankenlager warf und endlich die Aerzte zu dem Ausspruche nöthigte, daß die Luft in England diesem Zustande nachtheilig werde. Doch konnte Reginald in jener Zeit nicht an seine Abreise denken;[261] denn sein geliebter Oheim verlor nach kurzem Krankenlager die würdige Gefährtin seines Lebens.«

»Auf ihrem Sterbebette vertraute sie Reginald die Liebe ihrer Tochter und sagte ihm, sie wünschte, daß er sie heirathe; denn Margarith mache keinen Anspruch an seine Liebe, die er ja doch niemals für ein anderes weibliches Wesen werde empfinden können – Margarith werde wie seine Schwester ihm zur Seite bleiben, seine schwankende Gesundheit stützen und das Leben ihm liebevoll erleichtern. Doch verbat sie sich jede Zusicherung des erschrockenen Reginald und verließ bald darauf die Welt.«

»Von da an lernte unser Freund erst Margarith kennen; denn bei ihrer ersten Bekanntschaft in Ardoise hatte Reginald keinen Raum gehabt für die Wahrnehmung einer anderen weiblichen Erscheinung; aber er näherte sich ihr mit dem Wunsche, durch sein Vertrauen sie von den Gefühlen abzulenken, die erregt zu haben, ihm Kummer machte. Aber seine Annäherung hatte andere Folgen! Jetzt erst trat hervor, was Margarith bisher bescheiden ihm entzogen, daß sie noch immer die Freundin, ja, die Vertraute der Gräfin Franziska war – daß ihre Liebe mit der seinigen um den Rang stritt, und sie das Band werden würde, das ihn mit dem einzigen Glücke seines Lebens in Verbindung erhalten könnte. Sie waren von da an unzertrennlich; – und wie er fühlte, daß er die Neigung des edeln Mädchens, statt sie zu verringern, gesteigert habe, bot er ihr seine Hand an und wiederholte ihr, was sie wußte, daß er ihr kein Herz zu geben habe.«

»Schon damals kannte ich seine Anwesenheit in England; Herr Lester hatte mir ausführlich sein Schicksal mitgetheilt. Zu derselben Zeit wiederholten sich die Versuche des Grafen Leonin, Reginald auszuforschen; da, nach dem im Kloster erfolgten Tode der alten Marschallin, wahrscheinlich sein Verlangen erwachte, sich den Sohn wiederzugewinnen. Auch ich bekam[262] Aufforderungen und ich gestehe, daß ich es versuchte, meinen Einfluß auf Reginald zu benutzen, um ihn für die Vortheile dieser Stellung empfänglich zu machen. Aber ich fand ihn unerschütterlich. Das Andenken an seine gekränkte Mutter vertrat jeden Weg der Versöhnung mit seinem Vater, an den er zwar ohne Haß dachte; aber sich doch völlig unfähig fühlte, in ein kindliches Verhältniß zu ihm zu treten.«

»Ueberdies war er verheirathet – er durfte Nichts mehr hoffen, und er verachtete Rang und Stand, der zu so vielen Verbrechen Anlaß gegeben, mit einer fast an Haß grenzenden Bitterkeit.«

»Gleich nach der geräuschlosen Hochzeit folgten sie mir nach Schottland, welches Herr Lester lebhaft wünschte, da die geforderte Luftveränderung noch immer verschoben worden war; und bei mir, in Leithmorins Bergen, in den grünen Thälern mit ihren zahllosen Quellen erfrischte sich die Lebenskraft unseres theuren Freundes. Dessen ungeachtet führte ihn sein Pflichtgefühl zu Herrn Lester zurück; denn er errieth die immer verhehlten Wünsche seines liebevollen Weibes, die nur mit Sorge den alternden Vater allein wußte; auch brachte Reginald in Wahrheit bessere Lebenskräfte mit und überhob seine Familie für einige Jahre der Sorge für sein Leben. Er bereitete sich in dieser Zeit vor, einen Ankauf in England zu machen, der ihm eine würdige Thätigkeit sicherte, als der plötzliche Tod seines Schwiegervaters und die erneueten Nachforschungen des Grafen Leonin ihn diesen Plan aufgeben ließen, und seine Freundschaft für mich ihn bestimmte, sich nach Schottland zurückzuziehen.«

»Hier lebte er bis zu seinem Ende in der innigsten Gemeinschaft mit meiner Familie und theilte seine Zeit in die Kultur seines kleinen Gutes und die Erziehung seiner einzigen Tochter – unserer Elmerice!«[263]

»Doch erwachte nach der ersten Vernarbung seiner schweren Seelenwunden eine tiefe Sehnsucht nach dem schönen Frankreich, seinem berühmten Vaterlande, in ihm; und es gehörte sein festes Abschließen mit dem Leben dazu, um ihn davon entfernt zu halten. Als er aber seine Kräfte sinken sah und sich selbst nur zu richtig ein frühes Ende prophezeihte, erwachte ein Gedanke in ihm, der seine letzten Jahre erheiterte – Ihnen nach seinem Tode seine Tochter und Gemahlin als ein Vermächtniß zu übersenden, und Elmerice auf dem Boden einheimisch werden zu sehen, den er dennoch am liebsten sein Vaterland nannte – und durch Sie das theuerste Andenken seines Lebens!«

»Was hätte Margarith nicht in ihrem edeln, von ihr angebeteten Gatten verstanden? Wo wäre ihr Antheil je ausgeblieben, wenn er ihn zu erwecken suchte? Die Erziehung Elmerice's nahm von da an diese vorbereitende Wendung, und sie ward in Schottland schon eine Bürgerin Frankreichs.«

»Doch eben so fest suchte er zu der damaligen Zeit alle Bestimmungen so zu ordnen, daß Elmerice über das eigentliche Schicksal ihres Vaters stets in Ungewißheit bliebe und ihrer Familie auf immer entzogen. Wir Alle waren durch die heiligsten Eide gebunden, dies von ihr abzuhalten. Ein Brief an Sie, theure Gräfin, flehte Sie um dieselbe Zusage an; denn er fühlte eine Art eifersüchtigen Zürnens, wenn er sich das herrliche Kind, auf das er mit Stolz und Entzücken blickte, in den Händen einer Familie dachte, die vielleicht mit zweifelnder Miene auf ihre Vorzüge sehen und ihnen die volle Berechtigung weigern könnte.«

»Ein späteres Ereigniß jedoch, das ich Ihnen zu einer anderen Zeit mittheilen werde, veränderte in etwas diese hartnäckigen Bestimmungen; – sie sollten nur so lange Geltung behalten, als das Lebensglück dieses geliebten Kindes nicht[264] wesentlich darunter litte. Ich bekam Erlaubniß, seiner Tochter in Jahresfrist nach Frankreich zu folgen, selbst die Verhältnis se zu prüfen, in die sie alsdann getreten sein würde und den Umständen gemäß nachgiebig zu sein, oder das Geheimniß über ihre Geburt fortbestehen zu lassen, wenn die Lage der Sache sich seinen Anforderungen nicht entsprechend zeigte.«

»So war die Reise hierher ein alter Beschluß, ein Versprechen sogar; aber sie ward durch die Nachrichten, die Marie Duncan von Elmerice erhielt, beschleunigt. Um mit dem geliebten Kinde im sicheren Zusammenhange zu bleiben, hatte ich in beiden Mädchen die Idee erregt, für einander eine Art Tagebuch zu schreiben, und bei der Liebe, die Elmerice zu mir hatte, ward es mir nicht schwer, die Erlaubniß der Theilnahme an demselben zu erhalten. Ich schrieb selbst in dem Tagebuche meiner Tochter – und Elmerice beantwortete dies; ungesucht erfuhr, ich so, was ihr begegnete, und behielt eine Uebersicht, die mich leiten mußte, wenn ich früher, als das Jahr abgelaufen war, es nöthig finden sollte, meine Reise anzutreten. Dies schien mir jetzt der Fall, seitdem sie durch eine jener wunderbaren Fügungen, die wir uns vielleicht sehr mit Unrecht gewöhnt haben, Zufälligkeiten zu nennen, zu dem eigentlichen Brütheerde ihres Schicksals gelangt ist! Emmy Gray, die, wie eine Nemesis über ihrer Rache wachend, das gekränkte Leben zu erhalten wußte, hat sogleich den verwandten Zug mit Fennimor Lester erkannt, ihr deshalb Liebe und Vertrauen geschenkt, ihre Ahnungen in ihr niedergelegt und sie mit dem harten Schicksale ihrer Großmutter und ihres Vaters bekannt gemacht. Von da an zeigen die Briefe des armen Kindes eine tiefe Schwermuth, die sie dem Leben absterben läßt; denn sie will die Vorzüge der Geburt, die ihr bei der Aufdeckung ihrer Rechte zustehen würden, niemals gelten lassen, da sich so viele Verbrechen an deren Raub knüpfen. Ja, sie fürchtet vor Allem,[265] das Andenken ihres Vaters zu beleidigen, wenn sie das zu besitzen trachtete, was er nicht zu besitzen vermochte.« –

»O meine Elmerice,« unterbrach hier Franziska d'Aubaine ihren Freund – »wie würdig bist Du, seine Tochter zu sein!« –

»Die Anwesenheit des Marquis d'Anville, den sie als Ihren Verwandten kennt, theure Gräfin, hat diesen Vorsatz nur befestigt. Wie sollte sie ein Eigenthum besitzen wollen, das in diese Hände übergegangen ist? Dagegen hält sie es für eine heilige Pflicht, bei Emmy Gray auszuhalten, die von der Aehnlichkeit lebt, die Elmerice mit Fennimor hat, und nach so langer, trostloser Vereinsamung durch den Gedanken befriedigt ist, daß sie die rechtmäßige Erbin Fennimors in Ste. Roche eingesetzt hat, und ihr diese die Augen zudrücken wird. Elmerice fügt sich allen ihren Phantasien; sie trägt Fennimors Kleidung sogar, um der armen Alten die höchste Illusion zu gewähren.«

»So, liebe Gräfin, denke ich, kann es nicht länger bleiben! Wir müssen dem edeln Kinde, das es so wohl verdient, jetzt völliges Vertrauen schenken. Sie theilt Emmy's Ueberzeugung; denn, wenn sie auch aus ihrem Leben keine Gewißheit hinzufügen kann, widerspricht doch auch Nichts ihren Annahmen; und daß Miß Lester ihre Mutter, ward bestätigt durch ihre Vermuthungen, die auch Emmy sehr natürlich erklärt hat.«

»So ist denn jetzt noch mehr, wie früher, meine Ueberzeugung bestätigt, daß auch ich nach Ste. Roche muß,« sagte die Gräfin d'Aubaine; – »denn ich werde am besten all die kleinen Schranken durchbrechen können, die zu großes, gegenseitiges Zartgefühl dieser Angelegenheit nachtheilig werden ließ. Ich habe natürlich wenig von den Gesinnungen des Marquis d'Anville über diesen Gegenstand gehört; da meine lieben, nur[266] zu gütigen Verwandten Alles in Schweigen hüllten, was auf diese schmerzliche Epoche meines Lebens hinzuweisen vermochte. Doch erfuhr ich, daß er nach Reginald selbst oder nach dessen Verwandten eifrig forschte – und daß er darin nicht glücklich war, ist mir durch Ihre Mittheilungen erklärt.« –

»Ja!« sagte Lord Duncan – »hier ist sein letzter Brief; er ist aus Ste. Roche datirt und läßt keinen Zweifel über seine uneigennützigen Gesinnungen. Ich habe ihm geantwortet, wie er es verdient – und ihn auf meine baldige Ankunft verwiesen. Doch müssen wir wohl überlegen, was wir mit Elmerice wollen; wird es ein Glück sein, sie in ihre Rechte einzusetzen?«

»Das steht in Gottes Hand, Lord Duncan,« – sagte die Gräfin warm; – »wir haben ein Unrecht gut zu machen – wir dürfen nicht weiter fragen, da das Nächste klar vor uns liegt! Die spätere Frage ist nicht so sehr, wie es erscheinen will, an Aeußerlichkeiten gebunden. Nehmen wir Elmerice den Druck ab, der durch ihre halbe, gekränkte Stellung entstanden ist, und erwarten wir voll Vertrauen und Achtung, wie sie selbst mit ihrem schönen Willen dann eine würdige Haltung behaupten wird.« –

»Der Marquis d'Anville,« hob nach einer Pause Lord Duncan an – »hat einen Bruder« –

»Fürchten Sie Nichts von diesem!« unterbrach ihn die Gräfin schnell. »Leonce ist allerdings nicht reich – und ich weiß, daß d'Anville beschlossen hatte, durch die Art, wie er den Nachlaß des Grafen Leonin jetzt zu theilen dachte, diesen Mangel auszugleichen. Doch tritt der Fall ein, daß Leonce mit der Tochter meines Bruders fast so gut wie verlobt ist und diese ihm Reichthum bringen wird, da Graf d'Aubaine nur zwei Kinder hat.«

Schnell stand hier Lord Duncan auf und trat mit einer sonderbaren Heftigkeit auf den Balkon hinaus. Die Gräfin[267] war jedoch zu sehr in den angeregten Empfindungen vertieft, um es zu bemerken; Lord Duncan ward freundlich und mit dankbaren Worten von ihr entlassen, da er ihr bis zur Abendtafel Ruhe zu gönnen wünschte, und diese Zeit den erinnerungsreichen Plätzen um Ardoise widmen wollte. Doch müssen wir gestehen, daß er die Gräfin d'Aubaine mit viel geringeren Hoffnungen für das Glück der von ihm so väterlich geliebten Elmerice verließ, und oft hören wir ihn wiederholen: »Reginald, Reginald, Deine Nachgiebigkeit kömmt zu spät!«


In dieser Zeit hatte Elmerice an dem Krankenlager ihrer alten Freundin trübe Stunden! Sie konnte sich nicht verhehlen, daß ihr Leiden ernster Art war und vielleicht das letzte ihres Lebens sein werde. Aber der Gedanke, Emmy zu verlieren, war ihr in einem Augenblicke, wo sie dieselbe als ihre einzige Stütze ansah, fast unerträglich. Mit leidenschaftlicher Angst erwartete sie daher den alten Arzt, und als er endlich ankam, eilte sie ihm mit einem so gesteigerten Grade von Schmerz entgegen, daß er sie erstaunt anblickte und, während er ihre Hand wie blos freundschaftlich drückte, doch heimlich und schnell den Zeigefinger an ihren Puls legte, um ihren Gesundheitszustand zu ergründen. Mußte er nun auch ihre Bewegung auf ihre Theilnahme allein schieben, überzeugte ihn doch der Zustand der Alten, daß die größte Besorgniß für dieselbe vorhanden sei. Er hatte kaum den Wunsch, ihr ein Medikament zu geben; da ein ruhiges Einschlafen der gänzlich abgelaufenen Lebenskräfte zu erwarten stand. Um sie jedoch der armen Elmerice, die sie fortwährend für ihr letztes Lebensglück erklärte, so lange wie möglich zu erhalten, verordnete er ein Mittel, welches die Fieberbewegungen aufheben sollte.[268]

Es war Elmerice nicht gelungen, sich den übrigen Schloßbewohnern ganz zu entziehen; die Pforte, die einst Emmy Gray mit so eifersüchtiger Strenge bewachte, schien Schloß und Riegel verloren zu haben, und es blieb Elmerice keine Schutzwehr in ihren Verhältnissen, da von Pflege der Alten fast nicht die Rede sein konnte; indem ihr stiller, träumerischer Zustand kein Symptom zeigte, das einen thätigen Beistand erfordert hätte. Die Damen wurden durch diese Beobachtung ermuthigt, der liebenswürdigen Miß Eton ihre Besuche zu machen, und besonders schien der Marquis d'Anville es seit einiger Zeit von seiner Gemahlin zu fordern; er selbst zeigte sich jeden Morgen vor Elmerice's Thür, um von Asta zu erfahren, wie ihre Gebieterin geschlafen habe.

Er hatte lange Unterredungen mit dem alten Arzte – sendete Boten nach Paris, die ihm Papiere brachten, die er mit dem alten Herrn bei verschlossenen Thüren zu prüfen schien, und dennoch erfuhr Niemand etwas Bestimmtes von ihm; und Alles, was er seiner jungen Gemahlin mittheilte, war der achtungsvolle Brief des Lord Duncan, der seine Ankunft verhieß.

Man hatte an einem der nächsten Tage so eben die Tafel aufgehoben und schweifte durch den schönen Audienzsaal der Königin Katharina, um in dem Burggarten die freie Luft zu genießen, als die gegenüberliegenden Flügelthüren sich plötzlich öffneten, und, ohne vorhergehende Meldung einige Fremde eintraten, unter denen sich eine Dame auszeichnete, deren hohe, schlanke Gestalt von langen, schwarzen Gewändern umflossen war, und deren Gesicht ein Schleier den Anwesenden entzog. Sie ging schnell den Anderen voraus und blieb dann stehen – ihre Hände ausstreckend, als verlange sie, daß man sie ergriffe. Der Marquis und Lucile traten ihr auch schnell entgegen, und in demselben Augenblicke schlug sie den Schleier zurück. Mit einem Schrei des Entzückens stürzte Lucile in ihre Arme, während Alle jetzt die Tante[269] Franziska d'Aubaine erkannten, und Margot, der Marquis, Leonce – ganz außer sich vor Freude und Entzücken – Sich mit dem Ungestüme kindlicher Berechtigung um sie drängten.

Wie war das Herz der Gräfin dazu geschaffen, einen solchen Moment der Liebe zu fühlen und die rührenden Beweise derselben durch die holdesten Worte und Liebkosungen zu erwiedern!

»Doch schon zu lange,« rief sie, sich heiter lächelnd losmachend – »genieße ich eigenmächtig das Glück, Euch wiederzusehen. Ich komme nicht allein – ich bringe einen alten Freund mit mir – Lord Duncan-Leithmorin und Lady Marie, seine Tochter!«

Der Marquis erfüllte nun mit der liebenswürdigen Courtoisie, die ihm eigen und so wohlkleidend war, die Pflichten des gastfreundlichsten Willkommens, und Lucile unterstützte ihn mit ihrer bezaubernden Anmuth, während die Gräfin d'Aubaine von dem übrigen Kreise begrüßt ward, der eben so entzückt war, wie ihre Verwandten, der seltenen Erscheinung der hochgefeierten Gräfin Franziska theilhaftig werden zu können. Mademoiselle de la Beaume war eine alte Jugendbekannte von ihr – die Eltern der Gräfin Guiche waren ihr befreundet – Graf Bussy hatte sie als Knaben oft gesehen – den schönen Grafen Guiche aber, zu Aller Ueberraschung, aus der Taufe gehoben! Genug, es entstand ein Freudentaumel um die hohe, edle Frau, die eine so kindliche, naive Heiterkeit zeigte, daß Jeder Muth gewann, ihr sein Herz zu Füßen zu legen.

»Und dennoch begreife ich mein Glück nicht, theure Tante!« rief Lucile. – »Sie reisend? Sie wo anders, als in Ardoise? Es scheint mir ein Traum, und ich fürchte zu erwachen!«

»Dies Mal nicht, meine theure Lucile!« sagte die Gräfin. »Ich habe in vollem Ernste meine schwerfällige Ruhe aufgegeben, um bei Euch zu sein; doch gestehe ich ein, ich suche außer Euch[270] noch meinen lieben Flüchtling – meine theure Elmerice auf, und zähle auf Euren Beistand, sie uns für immer wiederzugewinnen!«

»O gelänge Dir doch, theure Tante, was wir nicht zu erreichen wußten, ohne eine Art von Zwang gegen ihr tiefes, rührendes Pflichtgefühl auszuüben! Doch Dir wird sie nicht widerstehen – und dann wird unserem Glücke Nichts fehlen!«

»So laßt mich sogleich zu ihr,« sagte die Gräfin und erhob sich. – »Doch will ich nicht gemeldet sein – ich will ihr Herz überraschen.«

Wem hätte nicht Alles, was die Tante Franziska beschloß, das Beste geschienen! Ihre Liebesfülle, von so viel Einsicht und tiefem Menschenblicke unterstützt, brachte einen sich immer wiederholenden Segen über Alles, was sie ergriff. Jeder war im voraus überzeugt, ihr könne Nichts mißlingen; und nur die Ehrfurcht für ihre Ruhe machte, daß man ihre Einmischung so selten begehrte, da sie dieselbe nie versagte, und ihr doch die schüchterne Zurückhaltung anzufühlen war, die sie immer erst mit ihrer Menschenliebe überwinden mußte; da sie die Meinung Anderer über sich nicht theilte, sondern geneigt war, sich unpassend und unzureichend für die an sie gerichteten Wünsche zu halten. –

Elmerice saß an dem Bette der schlummernden Alten. In ihrem Herzen war eine solche Fülle von Schwermuth, daß sie ihr Beschäftigung schien und sie über die trostlose Unthätigkeit täuschte, in welche diese Stimmung sie stürzte, den Trübsinn nährend, der nichts wollte, als ein stetes Nachdenken über die Schmerzen ihrer jungen Brust.

Wie seufzte sie, daß ihr Leben noch lang sein sollte; – da es doch, wenn das schwache Wesen vor ihr versunken sei, für Keinen mehr Werth haben werde! Sie schauderte bei dem Gedanken, diese stille Welt, in der sie so viel Anklang für ihr[271] leidendes Herz gefunden hatte, vielleicht bald verlassen zu müssen, unberechtigt – wie sie Allen erscheinen mußte – hier um eine Stelle für ihr Grab zu bitten. Genug, sie gestaltete in sich das ganze Martyrium der Jugend, die, in den Wünschen des Herzens gekränkt und getäuscht, immer ein vollständiges Unglück in sich zu schaffen sucht, um vom Leben Abschied nehmen zu können und sich berechtigt halten zu dürfen, alle Güter der Erde farblos, ohne Reiz, ohne Werth zu finden. – Wer das schöne, blasse Gesicht der jugendlichen Elmerice beobachten konnte, wie es so ermattet gegen die Lehne des Stuhles gesunken war, der mußte, mit nur einiger Welterfahrung – erkennen, daß sie das Opfer des bezeichneten Zustandes zu werden drohte; und wir können das Gefühl der edeln Gräfin d'Aubaine begreifen, mit dem sie, leise hereingetreten und seitwärts stehen bleibend, ihren Liebling betrachtete.

Sie kannte und hatte es erfahren, was sie in Elmerice's Zügen las! Wie hoffnungslos ihr Schicksal in dieser Beziehung sein werde, hatten ihr Lord Duncan's Mittheilungen über Lord Astolf bestätigt, und sie fühlte das tiefe, mütterliche Mitleiden, was nach Hülfe aussieht und mit dem Geiste der Erfahrung die Mittel ergreift, die der Zeit in die Hände arbeiten, welche keine Wunde unvernarbt läßt und die allerheißesten Schmerzen, von der ersten Stunde an, schon ihrem Ausgleichungsgeschäfte verfallen erklärt und sie mit ihren leisen Pendelschwingungen endlich in ewige Ruhe wiegt. – »Nein, nein,« sagte sie zu sich selbst; – »Du bist zu etwas Besserem bestimmt; – nicht daran darfst Du zu Grunde gehen! Du mußt Dir selbst die Würdigkeit zu einem neuen Leben zuerkennen lernen; diesen edeln Stolz bist Du berechtigt, in Dir zu entwickeln.« – Mit diesem tugendhaften Muth trat sie näher, und Elmerice fühlte eine leichte, sanfte Hand auf ihrer Schulter. Ach, mit welcher Erschütterung blickte sie in die edeln Züge der theuern Frau, die[272] von einer hingebenden Zärtlichkeit belebt waren, die Alles verhieß, was ein leidendes Herz bedarf!

»O, Gräfin d'Aubaine,« sprach Elmerice – und lag, hingerissen von ihrem Anblicke, in demselben Augen blicke zu ihren Füßen; – »Sie finden ein armes, trostloses, undankbares Wesen wieder, das Ihre Liebe vergaß und sie deshalb nie verdiente!«

»Das glaube ich nicht, mein süßes Herzenskind,« sagte die Gräfin sanft und zog sie an ihre Brust. – »Dein Gefühl lag nur verdeckt von den wunderlichen Eindrücken, denen Du hier unterworfen warst. Du hast, ohne liebevolle Warnung und ganz selbst überlassen, Dir ein kleines Martyrium von Pflichtgefühlen geschaffen; das entfernt uns immer von dem natürlichen Leben und macht uns einseitig und verringert die wahre Liebe des Herzens, die wir ausreichend in uns entwickeln müssen.«

Mit der schnellen Umwandlung, welche unverdorbene Jugend, einer höheren und besseren Erkenntniß gegenüber, so leicht und wohlthuend erfährt, fühlte Elmerice beschämt die egoistische Härte, die sich neben ihrer anscheinend berechtigten Handlungsweise in ihr Herz geschlichen hatte.

»Theure, mütterliche Freundin, ich habe gewiß Ihren Tadel verdient,« sagte sie belebter, inniger, als sie es noch wenige Augenblicke früher für möglich gehalten haben würde; »wie schwer ist es, auf der rechten Bahn zu bleiben, wenn man jung ist! Aber jetzt werde ich wieder Ihren Rath genießen; und selbst, daß ich fehlte, wird nur ein Grund mehr sein, daß Sie mich nicht verlassen!«

»Ja, Elmerice, Du verstehst das Wesen der Liebe, und ich bin stolz darauf, zu fühlen, daß Du mir nicht zu viel thätest, selbst in dem Falle, den Du annimmst, und den ich hier noch nicht erkenne. Doch jedenfalls laß' uns nicht so im Allgemeinen unsere Gefühle aufregen. Es ist Nichts so leicht, als[273] das Maaß zu überschreiten, und doch ist das Geheimniß alles Schönen und Guten, Maaß zu halten! – Sag' mir von Deiner alten Freundin, und glaube nur, ich erkenne in hohem Grade Deine Pflichten gegen sie an. Nur das Maaß – das Maaß!« lächelte sie und küßte dem andächtig zu ihr aufblickenden Mädchen zärtlich die Stirn.

Beide traten näher an das Bett der Kranken, die in einem Halbschlummer lag, der jeden Augenblick ihr Aussehen veränderte, was dem alten Arzt als ein sicheres Zeichen ihrer nahen Auflösung galt.

»Ich glaube, mein theures Kind,« sagte die Gräfin d'Aubaine, nachdem sie die Züge der Alten geprüft – »die Natur wird hier bald für immer ausruhen; – und wahrhaft herrlich scheint es mir, daß Gott Dich hierher führte, um heilige Rechte der Dankbarkeit an dieser Frau zu erfüllen, gegen die Deine ganze Familie unerlöschliche Verpflichtungen hat!«

Elmerice wechselte bei diesen Worten schnell die Farbe. Wie schienen sie bei der Gräfin eine früher nicht angedeutete Kenntniß ihres Schicksals zu verrathen! »Diese Verpflichtung besteht wenigstens für meine Ueberzeugung,« sagte sie daher leise – »und es macht mich recht glücklich, wenn Sie mir beistimmen, theure Gräfin! Doch wird auch dieser Trost mir oft dadurch verkümmert, daß ich fühle, wie Emmy's Wahrnehmung sich nachgerade vermindert, und sie in mir nicht mehr die theure Erinnerung sieht, der ich eigentlich diene.«

»So laß' diese Ueberzeugung den Uebergang werden zu den Verhältnissen, die Deiner außerdem harren. Meine Elmerice – meine Tochter, Du hast Pflichten auch gegen mich; ich nöthige sie Dir auf, denn Du hast mich mit Deiner Liebe zu sehr verwöhnt, um sie je entbehren zu können.«

Elmerice schmiegte sich in ihre Arme. Wie fühlte sie die großmüthige Absicht der edlen Frau, ihr eine Pflicht, ein[274] Bedürfniß aufnöthigen zu wollen; – und wie wahr, wie gefühlvoll war doch dabei ihr Ausdruck! Ueberredend schien er ein wirkliches Bedürfniß anzudeuten.

Waren diese innigen Töne des Gefühls zu der Schläferin gedrungen, war sie von selbst erwacht – genug, Emmy's Augen öffneten sich und hafteten mit ihrer eigenthümlichen Schärfe auf Beiden.

»Das wird Deine Gräfin d'Aubaine sein,« sagte sie dann mit ihrem rauhen Tone. »Es ist schon gut, daß sie da ist – ihr will ich wohl das Weitere sagen; – sie hat, wie ich, um meinen Liebling getrauert; – oft habe ich an sie gedacht; – sie muß wissen, was leiden heißt.« –

»Und wir sind uns, wenn auch getrennt, dennoch in manchem ähnlichen Gefühle begegnet, gute Emmy,« sagte die Gräfin d'Aubaine, sich auf den Rand des Bettes setzend. – »Auch in unserer Liebe zu Elmerice; – und recht eigentlich bin ich gekommen, um Dir den Trost zu geben, wie innig ich sie liebe.«

»So schafft ihr auch Recht! Denn wer kann besser, als Ihr, erkennen, daß es Reginald's Tochter ist!« –

Niemals hörte Franziska d'Aubaine diesen theuern Namen ohne eine große innere Bewegung. Seltsam aber traf er sie in diesem Augenblicke, wo sie ihn von der alten, treuen Wärterin des geliebten Mannes aussprechen hörte. Feierlich streckte sie die Hand nach ihr aus und sagte: »Lebe nur noch einige Tage, so wird die Sehnsucht Deines Herzens erfüllt werden!« Sie wurde von der eigenthümlichen Lage fortgerissen und fühlte, daß sie mehr gesagt hatte, als sie sicher war, halten zu können. So ward auch sie von Emmy's gebietendem Wesen beherrscht, und es erregte daher ihren ganzen Antheil, als sie Elmerice neben sich niedergleiten sah, aufs tiefste von den entstandenen Erklärungen erschüttert.[275]

»Nein, nein, Emmy,« stammelte das junge Mädchen – »das Recht, von dem Du träumst, ist für Fennimor's unglückliche Enkelin nicht da! O, meine Wohlthäterin, gehen Sie in Emmy's eigensüchtige Pläne nicht ein! Nie – niemals trete ich Ihren Neffen entgegen; – ich will Nichts vom Leben, als ruhige Zurückgezogenheit! Sichern Sie mir diese an Ihrer Seite, und ich habe Alles, was ich noch begehre!«

»Was aber das Leben von Dir begehren wird, geliebtes Kind,« sagte die Gräfin – »das möchte im Widerspruche damit stehen. Denn glaubst Du, daß wir ihm nichts schuldig sind? Glaubst Du, wir dürfen sagen, es solle kein Recht mehr an uns haben? Nicht also. Der Himmel hat uns ausgerüstet – er fordert die Erledigung der Aufgabe, die er uns diesen Kräften gemäß gestellt hat. Es ist vergeblich, wenn wir uns verbergen – er sucht und findet uns; – darum müssen wir ihm muthig entgegen treten und ihm seine Aufgabe abfragen, in freudigem Gehorsam – mit edler Willenskraft, die, wenn auch kein Glück, doch eine würdige, menschliche Entwickelung begehrt.«

»Folge ihr!« sagte Emmy matt – und sank schlafend zurück.

»Thue das, mein geliebtes Kind!« rief die Gräfin aufstehend. »Asta soll den Schlummer Deiner alten Freundin bewachen, und an der Thüre soll ein Bote harren, der Dir sogleich Nachricht bringt, wenn mit ihrem Erwachen auch Bewußtsein zurückkehrt. Du aber folge mir zu meinen Verwandten, die Dich mit Sehnsucht erwarten.«

Wohl fühlte die Gräfin, wie Elmerice bei diesem Vorschlage in ihren Armen zusammen zuckte; aber sie war entschlossen, sich nicht abweisen zu lassen, und die mütterliche Sicherheit, mit der sie verfuhr, übte eine beruhigende Gewalt über Elmerice aus, der sie sich um so weniger entzog, da hiermit auch das rathlose Gefühl der Vereinsamung aufhörte – So[276] kehrte die Gräfin d'Aubaine in den Salon zurück, wo man sie mit der Spannung der Ungewißheit erwartete. Als die edle, majestätische Gestalt erschien, ihren Liebling an der Hand, drängte sich aus Aller Munde ein Laut der Freude. Noch trug Elmerice die schöne, ideale Tracht Fennimor's, jetzt ihr so gewohnt, daß sie derselben nicht mehr gedachte, und so hatte Beider Persönlichkeit etwas so höchst Ausgezeichnetes, daß Alle einen Augenblick zurückgehalten wurden, als müsse das Auge erst sein Recht genießen – als wäre ihre schöne Erscheinung kaum ein Gut, das man sich anzueignen wagen dürfe!

»Hier, hier!« rief die Gräfin jedoch, lächelnd voreilend; – »hoffentlich werdet Ihr alle die alte Tante loben, der es gelungen ist, Euren Flüchtling zu Euch zurück zu bringen.«

»Elmerice!« rief eine zärtliche Stimme – und Maria Duncan flog in die Arme der Ueberraschten.

Das Entzücken, die theure Freundin so unerwartet wiederzusehen, machte auf Elmerice einen unbeschreiblichen Eindruck; und indem es sie von ihrem augenblicklichen Verhältnisse zur Gesellschaft abzog, gab es sie ihrer eigene, wahren Natur zurück. Ihr Engelsantlitz strahlte von Liebe und Heiterkeit – ihre Bewegungen zeigten wieder die elastische Anmuth, die kindliche Schmiegsamkeit, die ihr zärtlich hingebendes Herz verrieth; und man hätte den Pinsel Lesüeur's herbei wünschen mögen, um den schönen Eindruck zu verewigen, als jetzt die hohe Greisengestalt des Lord Duncan zwischen die zarten Mädchen trat, und Beide, wie an ihren Vater, sich in seine Arme drückten.

Wie reich war Elmerice in kurzer Zeit geworden! Als sie an Lord Duncan's Brust die Augen zur Gräfin Franziska aufschlug, kam sie sich gesichert und außer Zweifel gestellt vor; und ein stolzer Muth erhob sich in ihrem kranken Gemüthe, der sie mit einem Hauche von Glück anwehte.[277]

Wie war auch Alles dazu geschaffen, dies neue Leben und diese Ansprüche ihres jungen Herzens zu nähren! Ueberall kam man ihr entgegen, Jeder wollte sie nach seiner Art zu fesseln suchen, ihre Aufmerksamkeit auf sich lenken, von seinen wohlmeinenden Gesinnungen sie überzeugen; und leichter trat dies hervor, in dem Maaße, als der Gegenstand so vieler Bemühungen Alles bemerkte, erwiederte oder mit dem bezaubernden Lächeln der Freude und Dankbarkeit hinnahm.

Sie übte eine Gewalt über die Gesellschaft aus, von der sie keine Ahnung hatte; Mademoiselle de la Beaume bezeichnete sie, indem sie sagte: »Wenn auch meine eigenen Augen nicht immer hinter Miß Eton herreisten, würde ich doch jedes Mal wissen, wo sie sich befindet; denn wenn sie den Platz ändert, wenden sich alle Köpfe wie auf ein Kommando ihr nach; – und ich verdenke es Niemandem und bin nicht einmal eifersüchtig, daß man darüber meine Schönheit und Jugend vergißt!«

Aber Einer blieb übrig in diesem Kreise, der nur gezwungen die heitere Stimmung der Gesellschaft theilte, wenn wir ihn auch nicht als gleichgültig gegen Miß Eton bezeichnen wollen. Es war Leonce! – Die Peinlichkeit seines Zustandes verrieth sich in jedem Zuge, und seine auffallende Blässe hätte ihn vielleicht sogar Miß Eton verrathen, wenn sie nicht, wie ein schüchternes Reh, den Kreis mit ihren Augen geflohen hätte, wo er sich am meisten aufhielt; da er von den anderen jungen Männern umgeben war, deren leuchtende Blicke sie verscheuchten.

Von da an blieb Miß Eton dem heitern Kreise zugesellt, bis auf die Zwischenstunden, die sie mit treuer Ergebung an dem Lager der armen Alten zubrachte. Der Arzt prophezeihte ihr ein sanftes, schmerzloses Ende und benutzte ihr meist bewußtloses Träumen, um Elmerice langsam von ihrem Lager zu entfernen; da in ihrer Gegenwart, wie er behauptete, eine aufregende Gewalt läge, die diesen friedlichen Zustand leicht zu[278] einer Krisis bringen und ihren Tod schneller und unter heftigen Zufällen veranlassen könnte.

Am anderen Morgen jedoch, nach dem heiteren Frühstücke, führte der Marquis d'Anville Lord Duncan, den alten Arzt und den ehrwürdigen Vikar nach seinen Zimmern, wohin ihnen bald die Gräfin Franziska und Leonce folgten.

»Helfen Sie mir jetzt Alle,« rief der liebenswürdige Marquis, mit einem Tone, der aus dem Herzen kam, als man um ihn her Platz genommen hatte; – »helfen Sie mir Recht stiften und geben Sie mir den Trost, daß Sie mir glauben wollen, wie ich auf das lebhafteste wünsche, ein schmachvolles Unrecht, das meine Vorfahren begingen, gut zu machen! – Hierher, mein Leonce! Laß' Deine umwölkte Stirn – die irgend einem Privatinteresse gilt, dessen Widerstand ich bald besiegt zu sehen hoffe – laß' diese trübe Stirn keinen Zweifel über Deine Gesinnungen erregen, deren edle Uneigennützigkeit ich am besten kenne.«

»O,« rief der Marquis Leonce, lebhaft auf Lord Duncan zueilend, während hohe Röthe plötzlich sein Angesicht färbte – »o, wäre es das? Ist es möglich, haben Sie an mir gezweifelt? Waren Sie, theurer Lord, deshalb so kalt gegen den Jüngling, den Sie einst wie einen Sohn liebten? O, womit habe ich das verdient?«

»Mein Gott,« sagte der Lord, überrascht und verlegen – »welche Voraussetzungen! Ich wüßte nicht, daß ich Etwas versah; bitte aber für Alles um Verzeihung, was Sie beleidigt haben könnte, Herr Marquis.« –

»Das ist nicht die Sprache des väterlichen Wohlwollens, die ich einst aus Ihrem Munde gewohnt war. Sie weisen mich mit der Sprache der Welt zurück; – und doch hätte ich gerade Anspruch auf Ihre Theilnahme – Sie, Lord Duncan, müßten den Unglücklichen nicht verlassen!« –[279]

»Meine Theilnahme, Herr Marquis, hat jedenfalls durch Ihre Fürsorge eine andere Richtung bekommen,« erwiederte der Lord. »Ich habe, denke ich, jetzt nur Gelegenheit, an Ihrem neu entstandenen Glücke Theil zu nehmen; das werde ich gewiß mit der Zeit. Doch zürnen Sie dem Alter nicht, daß es nicht so schnell, wie die Jugend seine Zustände wechselt. Ich sehe es ein, es war zu viel verlangt, als ich Sie bat, ein Jahr auf meine Ankunft hierher zu warten!« –

»Und womit habe ich den Verdacht Eurer Herrlichkeit verdient,« – sprach Leonce, jetzt seinerseits etwas stolz zurücktretend; – »daß ich ein gegebenes Wort gebrochen, was mir unter allen Umständen heilig sein mußte? Sie wissen überdies, daß es ein Wort war, an welchem die letzte Lebenshoffnung meines schwer getroffenen Herzens hing – dessen Erfüllung ich mit einer Sehnsucht erwartete, die mir dies Jahr zu einer Ewigkeit ausdehnte.« –

Lord Duncan's Blicke richteten sich bei diesen Worten, die ein tief bewegtes Gefühl verriethen, forschend auf den jungen Mann, und seine vorher so kalten Züge zeigten wenigstens Antheil, wenn auch noch kein Wohlwollen. »Leonce,« sagte er plötzlich – »ich hatte vielleicht Unrecht, Sie ungehört anzuklagen, Sie sollen mich nicht umsonst an mein väterliches Wohlwollen erinnert haben; ich will Sie hören, und Sie sollen den väterlichen Richter finden; doch vergessen Sie nicht, daß er Sie streng richten wird, wenn Sie jetzt oder früher leichtsinnig Hoffnungen erweckt haben, die sich mit dem Glücke der Betheiligten nicht vereinigen lassen.«

»Ich fange an Sie zu verstehen,« sagte Leonce, »und würde Sie bitten, mir eine augenblickliche Erklärung zu erlauben, wüßte ich nicht, daß uns mein Bruder hier zu einem gemeinsamen und wichtigen Beschlusse zusammen berufen hat, und wäre ich nicht jetzt noch durch ein heiliges Wort gebunden,[280] was es nicht zuläßt, mich so genügend zu erklären, als es nöthig sein wird, um Ihr schweres Mißtrauen zu zerstreuen.«

Schnell grüßten sich Beide, und Lord Duncan's Gesicht hatte sich bei den letzten Worten des jungen Mannes aufs neue merklich verfinstert, wogegen Leonce einen heiteren, freieren Ausdruck gewann.

Bei dieser Unterredung, die auf früher sehr innige und jetzt, wie es schien, gestörte Verhältnisse hindeutete, unterdrückten die Zuhörer ihr Erstaunen, um Beiden Zeit zu einer schnellen Sammlung zu lassen.

»Gräfin d'Aubaine und Sie, meine Herren,« hob nun Lord Duncan sogleich an; – »ich muß um Verzeihung bitten, wenn ich Ihnen, ein unfreundlicher, wilder Insulaner, hier so eben erschienen bin. In Ihrem feinen, gesitteten Frankreich hoffe ich, ist man immer darauf gefaßt, den überseeischen Freunden ein Conto auf ihre rauhen Naturäußerungen zu schreiben – und so lassen Sie mich denn zur Sache übergehen. Ich glaube, meine Freunde, wir sind Alle außer Zweifel, daß Elmerice, unter dem Namen Eton, die Tochter Reginald's, des rechtmäßigen Grafen Crecy-Chabanne ist; – und hier bin ich – der Freund ihres Vaters, dieses unglücklichen Reginald's, in dessen Armen er seinen edeln Geist aushauchte – um diese Wahrheit mit Allem zu vertreten, was Ihr schöner Eifer nur wünschen kann, meine Herren!«

»Gottlob,« rief der Marquis d'Anville, – »so haben wir das Letzte, was uns fehlte: die Identitäts-Erklärung eines vollständig glaubhaften Mannes!«

»Sie haben mehr, mein Herr!« sagte heiter der alte Lord; – »Sie haben gerichtliche, völlig beglaubigte Zeugnisse darüber. Da wir, der englische Bischof, Herr Lester, der Oheim des Grafen, und ich, ihn nicht zur Wiederannahme seines Namens und Ranges bewegen konnten, sicherten wir doch, als[281] er sich vermählte, hinter seinem Rücken den Nachkommen durch die Urkunden, die seine Person nachwiesen und versicherten, die Möglichkeit eines gerichtlichen Beweises. Erst kurz vor seinem Tode, da das Glück seiner Tochter durch eine entstandene Frage über ihren Rang und Titel bedroht erschien, entdeckte ich ihm unsere vorbereiteten Schritte; er gab meinen Bitten nach und erklärte sich nun selbst vor den dazu nöthigen Gerichtspersonen für den Grafen Crecy-Chabanne und ließ die Dokumente darüber ausfertigen.«

Mit freudeleuchtenden Augen empfingen die beiden dadurch enterbten Brüder die wichtige Urkunde, und fast mit Andacht sahen sie die schöne Unterschrift Reginald's neben dem alten Crecy'schen Wappen.

»Wie glücklich bin ich, Mylord,« rief endlich d'Anville – »Ihnen jetzt ein eben so wichtiges Dokument einhändigen zu können. Hier: Ludwig der Fünfzehnte, unser allergnädigster König, hat die Bitten seines ehemaligen Pagen, meines Bruders, erhört und ihm diese Vollmacht in seinem hohen Namen ausfertigen lassen! Sie erklärt den in jenen unglücklichen Prozeß verwickelten Grafen Reginald für völlig unschuldig an absichtlichem Todtschlag, und indem sie die Vermählung seiner Aeltern als gerichtlich rechtskräftig bestätiget, befugt es ihn oder seine Nachkommen zur unbestrittenen Erbfolge aller daher oder daraus entstandenen Besitzthümer der Crecy-Chabanne! Hier – lesen Sie die ausreichenden Bestimmungen dieses wahrhaft königlichen Gnadenbriefes!«

Doch dies that Lord Duncan vors Erste nicht; – er eilte auf Leonce zu und schloß ihn mit Wärme in die Arme. »Edler, junger Mann,« rief er mit feuchten Augen; – »möchte ich in allen Beziehungen Ihnen so meine vollste Bewunderung schenken können – es wäre mir der größte Trost! – Reginald,« rief er dann, die gefalteten Hände andächtig auf seine Brust[282] legend, während sein thränenschwerer Blick den Himmel suchte; – »Reginald, mein erhabener Freund, Dein Name steht jetzt so rein vor der Welt, wie Deine Seele vor Gott! O, welche Wohlthat für mein altes, stolzes Herz – das der Himmel mir in Gnaden vergeben wolle!«

»Ja, und warum erlebte die alte Frau Marschallin nicht diesen Moment?« rief hier der alte Arzt, polternd von seinem Stuhl aufspringend; – »wie hätte ich ihr gegönnt, den Sohn Fennimors mit der Crecy'schen Grafenkrone zu sehen!«

Alle konnten hier, trotz ihrer feierlichen Stimmung, ein kurzes Lächeln nicht unterdrücken, was der alte, muthwillige Herr auch beabsichtigt hatte, da für sei nen Sinn die Erweichung ihm zu sehr überhand genommen hatte.

»Jetzt,« sagte die Gräfin d'Aubaine – »lassen Sie uns keinen Augenblick anstehen, Elmerice ihren Rechten zurückzugeben.«

»Gut, edle Gräfin,« sagte der alte Arzt; – »ich gehe und hole sie.«

»Besser,« sagte Franziska – »wir begeben uns Alle selbst zur Gräfin Crecy und begrüßen sie als unsere theure Verwandte.«

Alle stimmten freudig ein, und man trat sogleich den Weg zu den Gemächern Emmy Gray's an.

Eine Nachtruhe, die wohlthuend auf Emmy's Kräfte gewirkt hatte, gab ihr an demselben Morgen einen jener klaren Geisteszustände zurück, die oft die letzten Tage solcher Kranken so überraschend unterbrechen. – Sie begehrte Luft und Blumen. Asta mußte ihr schweres weißes Haar unter reinen Binden befestigen; sie schmückte sich und ihr Bett mit umsichtiger Anordnung; und als Elmerice endlich hinzukam, staunte diese über das fast festliche Ansehen des Krankenzimmers.[283]

Auf dem Rande des Bettes nahm sie ihren gewohnten Platz ein, und die Alte sagte freudig: »In kurzer Zeit werde ich bei Fennimor sein und ihr sagen können, daß ihre Enkelin mir die Augen zudrückte und meine letzten Tage fast glücklich machte. Dafür wird Dich ihr besonderer Segen erreichen – und Du wirst von da an glücklich und geehrt sein – und Alles wird sich erfüllen nach Gottes Gebot, der die Menschen mit ihrer Bosheit in den Abgrund schlägt.«

»Bin ich dahin – so bist Du meine Erbin. In Fennimors Kleiderzimmer siehst Du eine gemalte Kiste von Zederholz; sie ist mit den Goldstücken der Crecy's gefüllt; denn ich sammelte für Reginald den reichen Tribut, den sie mir zahlen mußten. Jetzt gehört er Dir. Du bist meine Erbin! Ellen, die Kinderlose, mit ihrem kleinen Herzen, hat genug irdisch Gut; – dies soll nicht zum schlechten Gebrauch dienen!«

»Emmy,« sagte Elmerice – »ich will Deine Erbin sein; aber gieb mir uneingeschränkte Vollmacht, mit meinem Erbe nach meiner Einsicht verfahren zu dürfen – und sollte es auch zu Ellens Gunsten sein. Doch soll sie durch meine Hand das empfangen, was ich ihr für gut halte; nicht das rohe Gold, weil es sein könnte, daß es ihr nicht diente.«

»Ja, so bist Du! – ich dachte es wohl!« seufzte Emmy. »Aber wer hat Willen, wenn die Augen sich für immer schließen; – und viel Anderes hätte sie auch nicht gethan! Sie hatte immer ihren Eigensinn gegen mich und konnte schelten, als wenn ich ihr Kind wäre; – und ich sah Dich eben dasselbe Gesicht machen, was sie dann hatte – die Augen, daß kein Blick herausdrang – und den Mund fest geschlossen. Doch laß das und denke nicht, daß ich Dich schelten will – nimm nur zuerst das Geld, damit ich fühle, Du hast es von mir ererbt – dann mache nachher, was Du willst – und laß mir neben Fennimor das Grab graben – und laß keine Menschenhand[284] über unser Heiligthum kommen! Ziehst Du hier fort mit der Gräfin, die, denke ich, ein menschlich Herz hat, so laß Moder und Staub und den Holzwurm ihre Arbeit machen; aber Menschenhand wehre ab. – Du weißt, ich habe mit ihr nichts zu thun, und sie soll auch nachher fern bleiben!« –

»Was ich dann noch hier von Einfluß haben werde, soll zur Erfüllung Deiner Wünsche dienen, Emmy!« –

»Und er wird groß sein!« sagte die Alte, sich gleich einer Sybille aufrichtend und die Arme in die Luft ausstreckend. »Sie werden kommen und Dich einsetzen; – und Fennimors Enkelin – Reginalds Tochter wird im Rechte sein über Alle!«

Ihre Augen erfaßten dabei mit der größten Ruhe, als erlebte sie das Erwartete, die Gräfin d'Aubaine, welche, leise den Männern voran getreten, gerade jetzt sich den Blicken Emmy's zeigte. Eben traten auch die bezeichneten Herren hinter ihr ein; und als Elmerice die wehmüthig gesenkten Augen aufschlug, schien es ihr, als habe die Alte einen Zauber beschworen.

»Kommt näher,« sprach Emmy mit ihrer alten Energie – »hier ist, die Ihr suchet! Und aus den Händen Emmy Gray's empfanget die rechtmäßige Erbin der Crecy-Chabanne!«

Elmerice erhob sich, und ihren Blick fest auf Alle richtend, sagte sie, edel und stolz auftretend: »Ich habe dieser ehrwürdigen Frau in diesen Gemächern den Anspruch zugestanden, den für mich zu nähren, ihr höchstes Glück war. Ich weiß auch, daß die Natur mich zu diesen Ansprüchen berechtigt, und indem ich die Kenntniß ihres Daseins Ihnen Allen gegenüber offen eingestehe, wird mein Wille und meine Ueberzeugung, ihnen zu entsagen, vielleicht meine Gesinnungen außer Zweifel stellen.«

»Lassen Sie mich hoffen,« sagte der Marquis d'Anville, verbindlich vortretend – »daß Sie diesen Willen, der durch[285] Unkenntniß Ihrer wahren Verhältnisse bestimmt ward, ändern werden, wenn Sie uns gehört haben. Wir sind in Wahrheit hier, Sie als unsere theure Verwandte zu begrüßen, und damit als die rechtmäßige Erbin der Crecy-Chabanne!«

Elmerice änderte zwar die Farbe; – aber sie fuhr sogleich entschlossen fort: »Wenn Sie mir den ersteren Rang zugestehen wollen, Herr Marquis, so wird die Waise den süßesten Trost empfangen, lassen Sie mich hinzusetzen: sie wird dies als eine Sühne für die theuren Verstorbenen in Empfang nehmen; – doch damit muß ich zugleich Alles erfüllt erklären, was uns Beiden zu geben und zu nehmen ansteht.«

»Mein Kind,« rief hier Lord Duncan – »willst Du mich, den Freund Deines Vaters, anhören?«

»Ja, Mylord,« rief Elmerice; – »denn Sie sind mein zweiter Vater! Aber Sie werden es auch der Tochter Ihres Freundes ersparen, die Gründe nennen zu müssen, die ihn auf immer von dieser entsetzlichen Erbschaft trennten.«

Ihre Aufregung war bei ihrer Sanftmuth und Bescheidenheit so ungewöhnlich groß, daß Alle mit innigem Antheil auf die schmerzvolle Tiefe des Gefühls schließen konnten, die von ihrem edeln Stolze jetzt nach Außen getrieben ward. Gräfin Franziska blickte mit Entzücken auf die Tochter Reginalds, die ihr so ganz genug that. Sie hätte ihr auch nicht mit einem Blicke zu Hülfe kommen mögen; – sie genoß den schönen Eindruck, so junge, zarte Kräfte so hoch und stark aufgerichtet zu sehen.

Indessen war Lord Duncan näher zu ihr getreten. »Elmerice,« sagte er – »Dein Vater gab mir Vollmacht, über Deinen künftigen Namen und Rang zu entscheiden. Er selbst bekannte sich kurz vor seinem Tode zum rechtmäßigen Sohne Fennimors und zum Grafen Crecy-Chabanne!«

»Mein Vater?« sagte das muthige Mädchen mit sinkender Stimme – »wohl, Mylord; aber«[286]

»Und wir, mein Bruder Leonce und ich,« sprach der Marquis – »sind hier, Ihnen Ihr großes Erbe unverkürzt zu Füßen zu legen.«

»O, nein! o, nein!« rief Elmerice leidenschaftlich – »Sie können von dem Namen, den Sie mir geben wollen, nicht das schreckliche Zeichen des öffentlichen, wenn auch ungerechten Makels löschen. O, wie könnte die Tochter solche Erinnerungen über ihren Vater wecken wollen!«

»Auch dies ist vertilgt,« nahm der Lord noch ein Mal voll Rührung das Wort; – »Dein Vetter Leonce bewirkte diesen königlichen Brief von Ludwig dem Fünfzehnten. Dein Vater, mein Kind, ist von jedem Makel dadurch frei gesprochen; die Vermählung seiner Eltern rechtskräftig anerkannt.«

Das war zu viel! Elmerice nahm mit leuchtenden Augen das heilige Dokument; dann flog sie an Emmy's Bett, welche eine ruhig Zuhörende geblieben war: »Emmy, Emmy, hast Du es gehört? Fennimors Vermählung ist rechtskräftig anerkannt; – Reginalds – meines Vaters Unschuld ist erklärt!« – Außer sich drückte sie die alte, steife, ernst und stolz blickende Gestalt in ihre jugendlichen Arme. Dann riß sie sich empor; ihr Gesicht glühte; die feurigen, blauen Augen strahlten durch heilige Thränen. Sie hob den Arm – die Hand zu den Versammelten in die Höhe und rief mit klingender, freudiger Stimme: »Jetzt bin ich Gräfin Crecy-Chabanne; – doch Louisens Söhne theilen mit mir das Erbe!«

In demselben Augenblicke eilte die Gräfin Franziska auf Elmerice zu und drückte sie mit lebhafter Zärtlichkeit an ihre Brust. »Elmerice, mein geliebtes Kind, würdige Tochter Reginalds! Laß mich Dir zu Nichts Glück wünschen, als zu Deinem edlen Herzen!«

»Ich will Dich segnen, Fennimors Enkelin! Reginalds Tochter!« sprach Emmy Gray mit ihrer ernsten Feierlichkeit,[287] und Franziska d'Aubaine führte Elmerice selbst zu dem Bette zurück, und diese kniete unter den Händen der Alten demüthig nieder. »Jetzt, Herr,« sprach sie, nach ihrem feierlichen Segen – »ist mein Tagewerk beschlossen. Diese Augen haben die Gerechtigkeit des Herrn gesehen! – Rufe jetzt Deinen müden Knecht und laß ihn eingehen in Deine Herrlichkeit! Amen. – Jetzt zeige mir den Jüngling, der Reginald bei seinem Könige vertrat, ich will ihm den Segen einer Sterbenden geben!«

Elmerice erhob sich langsam; aber ihre Augen blieben am Boden. Sie wendete sich zu der theilnehmenden Gruppe hinter ihr und hob schüchtern, ohne zu sprechen, die Hand auf, als wolle sie eine andere damit erfassen. Leonce stürzte vor – er ergriff die zarte, bebende Hand, und ließ sie nicht wieder los, als er vor Emmy niederkniete. So geschah fast unvermeidlich, daß Elmerice noch ein Mal niedergezogen ward, und nun Beide den Segen der Alten vereinigt empfingen. »Scheide Dich jetzt von mir, Tochter, und gehe die Wege des Lebens!« sagte Emmy ermüdet; und dann in Ohnmacht verfallend, sank sie hinten über. Leonce und Elmerice fingen sie in ihren Armen auf – der alte Arzt trat hinzu – einen Augenblick betrachtete er sie, dann sagte er: »sie stirbt noch nicht; aber Ruhe ist ihr nöthig. – Ihr müßt hier fort, liebe, junge Dame,« wendete er sich zu Elmerice. Leonce hielt noch immer ihre Hand, er half ihr sich aufrichten. »Elmerice,« sagte er – »nur einen Blick der Güte!«

Sie ließ ihm die Hand; – aber die Augenlieder waren schwer wie Blei. – Als sie endlich sie bezwang, jagte der holdeste Engelsblick an ihm vorüber – und sich schnell losreißend, eilte sie in Lord Duncans Arme und rief mit einem Strome von Thränen: »Mein Vater, haben Sie ihm gedankt – meinem Vetter Leonce?«[288]

»Und giebt Reginald's Tochter dazu einem Anderen, als sich selbst den Auftrag?« –

»Nein, nein,« sagte Elmerice, sich zu Leonce wendend und ihm abermals die Hand reichend: »Sie – Sie, mein Vetter – mein Bruder von heut' an – Sie haben mir mehr, als das Leben gegeben!« –

»Ich habe seit der letzten, trostlosen Zeit von der Hoffnung gelebt, dies auszuwirken; und wenn Sie Nichts für mich übrig haben, als diese kleine Erinnerung meines Eifers, so wird es doch mehr sein, als das ganze übrige Leben mir bieten kann. Doch, wie ich diese Schmach unserer Familie auszulöschen suchte, ahnte ich noch nicht, wie nahe diese Handlung Sie anging; damals war es nur zwischen mir und Armand beschlossen, an der Vergangenheit gut zu machen, was in unsern Kräften stand.« –

»O, Leonce,« sagte der Lord, während er ihn mit trüber Zärtlichkeit anblickte – »wie gern liebte ich Dich mit der alten Liebe!«

»Wenn Sie mich einmal Ihrer Liebe werth hielten, so habe ich noch heute denselben Anspruch daran,« rief Leonce, den feurigsten Blick seiner schwermüthigen Augen auf Elmerice und den Lord richtend – »ich halte die Prüfung aus!«

»Wir wollen sehen,« sagte der alte Lord, sichtlich erweicht. »Doch unsere edle Gräfin harret auf uns – wir müssen Elmerice ihrer übrigen Familie vorstellen.«

»So bitte ich um den Arm meiner geliebten Muhme,« rief Armand und eilte mit freudigem Lächeln auf Elmerice zu. Als er sie leichten Schrittes hinwegführte, sagte er: »Wie froh, wie leicht bis in den kleinsten Blutstropfen hinein, ist mir jetzt! Nun sind wir alle Ihre Gäste. Nun behalten Sie mich bloß als Ihren Seneschall, als Ihren Haushalter. – O Elmerice, Ihnen fließt ein schöner Segen zu – öffnen Sie ihm Ihr Herz, blicken Sie froh, damit Sie Frohe machen können. Denken[289] Sie nicht gering von der hohen Stellung, die Ihnen Gott anvertraut! Sie ist herrlich, wenn wir ein offenes Herz, einen gesunden Sinn mit uns bringen. Beides haben Sie; deshalb sehe ich so froh Alles in Ihre Hände übergehen, und – deshalb theilen Louisens Söhne das Erbe nicht.«

Die Antwort, welche Elmerice ihm geben wollte, ward durch Leonce unterdrückt, der plötzlich außer sich auf sie zustürzte, indem er ausrief: »Die beiden Grafen d'Aubaine sind angekommen! O, Armand – o Elmerice, jetzt – jetzt!« Mit diesen Worten war ein so leidenschaftlicher Ausdruck verbunden, daß Elmerice schüchtern zurückwich. Doch schon eilte er ohne Entschuldigung davon, – und Armand sagte: »Auch ich danke Gott, daß die Beiden endlich für Leonce die Entscheidung bringen, die Liebe zu Margot wird ihn noch toll machen!« –

»Wie sehr muß ich Ihre Entschuldigung in Anspruch nehmen,« sagte der ältere Graf d'Aubaine, während er dem Marquis d'Anville entgegentrat – »daß ich Sie unvorbereitet um Ihre Gastfreundschaft ersuche.«

»Mein theurer, verehrter Onkel,« sagte der Marquis heiter – »Ich selbst bin seit diesem Morgen hier nur noch Gast! Hier steht die rechtmäßige Besitzerin von Ste. Roche; – doch sage ich gut, daß Sie auch ihr willkommen sind.«

Voll Erstaunen blickte Graf d'Aubaine auf Elmerice, von deren Gesichte so alle Farbe, alle Bewegung verschwunden war, daß sie einem Geiste glich; doch konnte ihre Schönheit durch nichts beeinträchtigt werden und erregte, wie ihr reiches, fremdes Kostüm, die höchste Bewunderung des Grafen.

Der Marquis kürzte die augenblickliche Spannung ab, indem er Elmerice in die Arme seiner jungen Gemahlin führte, die, Alles sogleich errathend, sie mit inniger Liebe empfing. Da er die ganze Gesellschaft in einem Kreise erwartungsvoll um sie gedrängt fand, rief er lebhaft:[290]

»Wünschen Sie mir und meinem Bruder Alle Glück! Es war uns vorbehalten, die alte, schwere Schuld unseres Hauses, die Sie genugsam kennen, zu sühnen. Die rechtmäßige Erbin unseres Oheims, des Grafen Leonin, ist, durch das Hinzutreten des edeln Lord Duncan vollgültig legitimirt, uns wiedergegeben. Miß Eton ist unsere theure Cousine und die Tochter des Grafen Reginald Crecy-Chabanne, dessen rechtmäßige Geburt aus der Ehe des Grafen Leonin und der Miß Fennimor Lester auf das vollständigste von unserm Allergnädigsten König anerkannt worden ist! – So helfen Sie mir denn,« fuhr er fort, in die alte heitere Laune übergehend – »der jungen Erbin zu huldigen, und bedenken Sie Alle wohl, daß Sie jetzt ihre Gäste sind, und ich mich höchstens noch vermittelnd erweisen kann.«

Elmerice bezwang hier alle Gefühle ihres Herzens, um den Anforderungen genügen zu können, die ihr so nahe gerückt wurden. Sie hob ihren Kopf von Lucile's Schulter, und hold im Kreise herum grüßend, sagte sie: »Junge Rechte werden nie respektirt, ich übertrage sie daher meinem Vetter Armand aufs neue. Vielleicht lerne ich unter seiner Anweisung, wie man die Ehre verdient, solche Gäste besitzen zu dürfen.«

Man war mit ihrer Antwort zufrieden. Alle beglückwünschten nun das schöne Mädchen, deren ungewöhnliches Schicksal die allgemeinste Theilnahme erregte; – und in kleinen Partien getheilt, wurde der Rest des Morgens mit Fragen, Antworten und Erzählungen hingebracht, die endlich die wichtige Sache für Alle vollständig erklärten, bis man sich zum Umkleiden zurückzog, welches die Damen im Kostüme der Schloßherrin zu besorgen versprachen.

Als ein Theil der Gesellschaft sich zur Tafel um die zuerst erschienene, junge Wirthin versammelt hatte, fiel Allen die feierliche Art auf, mit der jetzt der Graf d'Aubaine eintrat, an seiner Hand die hochrothe Margot, deren Augen noch von Thränen glänzten. Er führte sie zur Gräfin Franziska, und als sich[291] Margot ihrer Tante in die Arme warf, rief er: »Sie, liebe Schwester, werden durch das Geständniß der kleinen Schelmin dort überrascht sein. Das Kind will heirathen! und ich habe nach alter, schwacher Väter Weise, Ja dazu gesagt.«

»Nun,« sagte die Gräfin Franziska lächelnd – »wir sind Ihnen, lieber Bruder, deshalb nicht abgeneigt und haben selbst heimliche Wünsche dafür genährt.« Bei diesen Worten streckte sie liebevoll ihre Hand nach Leonce aus, der dicht neben dem alten Grafen stand; – doch dieser trat schnell zurück und führte den schönen Grafen Guiche vor, der knieend die Hand der Gräfin zu erbitten schien.

»Wie?« rief Franziska erstaunt – »Graf Guiche?« – »Graf Guiche?« riefen Mehrere laut, und manches Herz im Stillen!

»Bin ich Ihnen denn so ganz unwillkommen? Gönnen Sie mir dies schöne Glück nicht?« sagte der junge Mann, demüthig zur Gräfin aufblickend.

»O nicht doch, nicht doch!« sagte die Gräfin Franziska gütig und doch verlegen – »ich verstehe es nur nicht!«

»Aber,« sagte der Graf d'Aubaine lächeln – »wer sollte denn der Bräutigam sein?«

»Vielleicht ich, mein theurer Graf!« rief Leonce; – »denn so lange meine kleine Muhme gegen ihren Bräutigam stolz that, war der arme Vetter ihre beste Zuflucht!« Der Graf d'Aubaine lachte, und wie man sah, war er glücklich und heiter. Jetzt hatte sich auch Gräfin Franziska gesammelt; und da auf dem Antlitz ihres lieben Leonce keine getäuschte Hoffnung zu lesen war, begrüßte sie den jungen Guiche mit der gewinnendsten Freundlichkeit. Doch wer malt das Erstaunen von Lucile und Armand! Leonce schien es voraus zu setzen und eilte zu ihnen.

»Ich habe Euren Irrthum oft mit Bedauern gesehen,« rief er. »Vergebt mir, geliebten Freunde! Ich war der Vertraute aller Parteien; ich hatte Stillschweigen gelobt. – Die Achtung für Margot's Vater legte es uns auf; denn er hatte[292] die Bewerbung des Grafen Guiche nach jenem Duell ausdrücklich verbeten. Aber ich kannte alle Parteien zu gut, um nicht eine endliche Versöhnung zu hoffen; – und so blieb ich zwischen Allen der Unterhändler und durfte vor dem Gelingen meiner Bemühungen nicht sprechen. Doch Margot's Bruder, selbst von seinem Unrecht überzeugt, ist zu seinem Vater geeilt, und ihm verdanken wir die endliche Ausgleichung dieser Angelegenheit.«

»Nein! nein!« riefen beide Grafen d'Aubaine und der junge Guiche zugleich. »Leonce gebührt die Ehre! Wir hätten es gewiß nicht so klug einzuleiten verstanden, hätte er nicht mit unablässiger Mühe uns endlich Alle zur Vernunft gebracht!«

»Aha,« sagte Mademoiselle de la Beaume – »jetzt erinnere ich mich der kleinen Nachtscene, die ich zu den Spukgeschichten von Ste. Roche zählen sollte! Das waren der Herr Unterhändler, der Rapport machte. Nun, so oder so, es nahm ein gutes Ende – und ich bin im Vortheile; denn mein Neffe hat einen Engel zur Braut bekommen. – Und Sie, mein junger Herr,« fuhr sie zu Leonce fort, »Sie müssen erfahren, daß ich eben meine gute Meinung von Ihnen reparire; denn seitdem ich als Königin Katharina meinen Hofstaat eingerichtet hatte, machte ich Bemerkungen, die mich glauben ließen, es würde mit doppelten Karten gespielt.«

Längst wußte Leonce, daß ihn die alte, kluge Frau errathen habe. Tief erröthend küßte er ihre Hand und entschlüpfte ihren ferneren Worten.

»Und Sie?« rief er, sich leise neben Lord Duncan schleichend – »repariren Sie jetzt auch Ihre Meinung von mir?«

»Aber warum bist Du denn unglücklich, wenn Du ein lieber ehrlicher Junge bist?« rief dieser mit dem alten Tone väterlicher Vertraulichkeit.

»Weil sie mich nicht mehr liebt!« sagte Leonce. Lord Duncan lachte laut auf. »Ach,« sagte er, das alte Lied von zwei eifersüchtigen Verliebten! Sie soll wohl die Schmachtende spielen, wenn Du wie toll einer Anderen nachläufst. –[293]

»Nein – nein, Lord Duncan! Ich sah sie zuerst in Ardoise wieder, wo ich sie von einem armen Wahnsinnigen errettete. Aber mein schöner Traum – wie ich sie damals mit so großer Freude in meiner Familie aufgenommen sah, wurde nur zu bald durch ihre gänzliche Zurückweisung vernichtet, und bei ihrer schnellen Entfernung von Ardoise erwachte sogar mein Stolz! Ich machte thörichte, vergebliche Versuche, sie zu vergessen und« –

»Warest, wie alle Männer – Gott weiß, ich muß es eingestehen, obwol ich selbst zu ihnen gehöre – immer geneigt, die unvernünftigsten Forderungen zu machen, um an die Liebe eines Mädchens Glauben fassen zu können, deren schüchterne Zurückhaltung, die sie doch nur mit dem bittersten Tadel vermissen würden, ihnen das größte Recht zu geben scheint, sich über Hartherzigkeit und Kälte zu beklagen. Ueberall hatte Elmerice Recht« – fuhr er fort – »aber besonders deshalb, weil sie noch nicht wußte, daß ihr Vater Dir durch mich das Ja-Wort aufgehoben hatte, wenn Du Dich bewährtest.«

Er wollte mehr sagen; aber Leonce verlor den Kopf und drückte den alten Lord mit so unmäßiger Gewalt an sein Herz, daß dieser nicht mehr zu Worte kommen konnte. Als er ihn losließ, sah er zuerst den blaßrothen Seidenstoff von Elmerice's Kleide. Er dankte es der starken Hand des Lords, der ihn aufhielt, sonst wäre er augenblicklich ihr zu Füßen gesunken; – aber er sah sie an mit einem Ausdrucke des Entzückens, von dem sie ihre bewegten Augen abwendete.

»Sie sollen mich zu Tische führen, mein theurer Lord,« sagte sie mit einem bebenden und doch klaren Tone der Stimme – »und da man mir das Vorrecht der Hausfrau damit zugesteht, müssen Sie sich mit mir aufstellen, bis unsere Gäste vorüber gezogen sind.«

Wie schön sah sie aus! Ihre Blässe war verschwunden; seit Margot sie bei der Gratulation so lange geküßt, daß es wie[294] Geschwätz erscheinen konnte, hatte sich die feinste Röthe auf ihre Wangen gelagert, und die braunen Locken, die an den Schläfen mit Agraffen von Perlen aufgenommen waren, zeigten den vollen Ausdruck ihrer himmlischen Augen, in denen ein Schein leuchtete, der wie inneres Glück aussah.

Lucile's scharfer Blick merkte Alles, und als sie an Leonce's Arm vorüberging, sagte sie zu ihm: »Nun, meine Hoffnung, Ihre langweilige Natur durch einen fröhlichen Hausstand mit Margot umzuschaffen, wird, denke ich, in anderer Weise bald seine Erledigung finden!«

»O, sprächen Sie wahr!« rief Leonce und drückte ihren zarten Arm so heftig, daß sie um Hülfe schreien wollte. –

Als Elmerice nach der Tafel in dem stillen Zimmer Emmy's an ihrem Bette, dicht vor ihren Augen saß, und Emmy alle ihre Sehkraft sammelte, um noch zuweilen das liebliche Bild ihrer Fennimor aufzufassen, öffnete sich die Thür und Lord Duncan trat an Elmeri ce's Seite.

»Das ist unser Landsmann,« sagte Emmy, als sie ihn sah – »ich kann ihn unter all' den Anderen heraus kennen, die wenig wissen, was einen Mann kleidet.«

»Es ist Lord Duncan, Emmy« – sagte Elmerice – »er war der Freund meines Vaters – jetzt ist er der meinige.«

»Ich kam her, Dich daran zu erinnern,« erwiederte der Lord – »und Emmy's Gegenwart wünsche ich dabei. Sieh',« sagte er – »seit heute Morgen trägst Du den alten, berühmten Namen dieses Hauses, und ich ruhte nicht eher, bis Du ihn annahmst. Wie findest Du mich, daß ich jetzt schon an Nichts angelegentlicher denke, als ihn Dir zu nehmen, oder vielmehr Dir daneben noch einen anderen zu geben.«

Elmerice wurde glühend roth; aber wir gestehen – Dank Margot's Kuß! – sie hörte das Erwartete. Nach einer Pause fuhr Lord Duncan fort: »Aber wird Dir der Name auch recht sein?«[295]

Elmerice lächelte jetzt; denn sie fühlte, wie Lord Duncan schelmisch blickte. »Das kömmt freilich auf den Namen an,« sagte sie endlich.

»Gewiß,« sagte der Lord; – »aber wenn er nun wie – d'Anville klänge?«

Elmerice fuhr zusammen. Sie fühlte, es knieete Jemand neben ihr nieder. – »Ich habe ihn seit lange lieb,« sagte sie endlich schüchtern. – »O, Elmerice,« rief Leonce, der Knieende – »darf ich diesem Himmelslaute vertrauen? Soll meine heiße, innige Liebe diesen Lohn erhalten?«

»Ja, Leonce!« sagte das edle Mädchen. »Er, der uns einst trennte, segnet uns jetzt; – ich war Ihnen treu und ich weiß, daß Sie es mir geblieben sind.«

Sie unterbrach den Sturm seiner Gefühle, indem sie sich zu Emmy wendete: »Emmy, willst Du mir Deine Zustimmung geben zu der Wahl meines Herzens?«

»Ich will es!« sagte Emmy; – »er hat ein uneigennütziges Herz! Das ist das Einzige, warum es sich lohnt, einen Menschen von dem anderen zu unterscheiden. – Herr, rufe jetzt Deinen Knecht – er ist müde!«

Es waren Emmy's letzte Worte. Von da an blieb sie schlafend, bis der Tod seine Hand sanft vollendend nach ihr ausstreckte. Doch für den Augenblick verließ Elmerice sie ohne Ahnung ihres damit beschlossenen Lebens.

Die Verlobten wurden durch Lord Duncan der versammelten Familie vorgestellt; und gewiß ward nie eine fehlgeschlagene Hoffnung in Franziska, Lucile und Armand vollständiger vergütet, als jetzt durch die Vereinigung dieser beiden von Allen so zärtlich geliebten Personen. Der Familienkreis, der sich hier nun bildete, war der reichste, segensvollste Mittelpunkt für das Glück aller Betheiligten; und der rächende Geist, der so lange drohend und züchtigend über dem alten Schlosse Ste. Roche geschwebt, mußte sich versöhnt zurückziehen, und ließ keinen weiteren Nachweis zurück! –[296]

Mit tiefer Rührung ward Emmy's Leiche an Fennimors Seite gebettet; – doch war auch dieser Tod versöhnend und beruhigend.

Vier Wochen später segnete der alte Vikar von Ste. Roche in der schönen, kleinen Kirche, in der Elmerice zuerst mit so schwerem Herzen gebetet, seine junge geliebte Herrin mit Leonce d'Anville und Margot d'Aubaine mit dem jungen Grafen Guiche ein.

Zu dieser Feierlichkeit waren Herr und Madame St. Albans eingeladen und erschienen, da die Letztere bei dem Hinscheiden und Begräbnisse ihrer Mutter nicht gegenwärtig gewesen war. Auch hier gab Madame St. Albans ihre mißlaunige, kritische Weise nicht auf, während die feine Erscheinung ihres Gatten ihm das allgemeine Wohlwollen zuzog.

An dem erwähnten Hochzeitstage fand Elmerice Gelegenheit, Madame St. Albans allein zu sprechen. »Jetzt müssen Sie mir erlauben,« sagte sie – »Sie mit dem letzten Willen Ihrer Frau Mutter bekannt zu machen.«

»O, ich bitte!« unterbrach sie Madame St. Albans; – »dieser letzte Wille, denke ich, ist in der ganzen Gegend bekannt. Euer Gnaden haben nun einmal Glück in Erbschaften; – aus der Tochter meiner Margarith« – hier trat ihr Schluchzen ein – »der einfachen Miß Eton, die unter meinem Dache schlief, an meinem Tische saß, ist nun eine vornehme, großmächtige Gräfin geworden, die, trotz ihrer Millionen, nicht verschmäht hat, die alte Mistreß Gray zu beerben, die ihr eigen Kind deshalb verstieß!«

Elmerice hörte ruhig lächelnd diesen Ausbruch an; sie hatte nicht gezweifelt, daß sie ihn erleben würde und deshalb gewünscht, mit ihr allein zu sein. »Ja, Madame St. Albans,« sagte Elmerice nach einer kleinen Pause – »ich habe es nicht verschmäht, diese Erbschaft anzunehmen; denn meine Weigerung hätte Ihrer Mutter das Herz gebrochen. Aber sie gab mir[297] Vollmacht, Alles nach meinem Gutdünken anzuwenden; – und eben darüber wünschte ich mit Ihnen zu sprechen. Die Erbschaft bestand aus einem baaren Vermögen in Golde, welches, in Beisein des Pfarrers und des Arztes, in der bezeichneten Kiste gefunden ward. Hier ist der Inhalt aufgeschrieben; aber nicht so wünschte ich Ihnen den Nachlaß Ihrer Mutter zu übergeben – nehmen Sie hier den vom Prior vollzogenen Kaufkontrakt von Ihrer bisherigen Pachtung Tabor; sie ist jetzt mit dem dazu gehörenden Walde Ihr und Ihres Mannes unbestrittenes Eigenthum.«

»Heiliger Gott, die ganze Pachtung – und den Wald noch überdies!« rief Madame St. Albans. – »Nun, solch Gut könnte ja einem Baron gehören. Ach, das kann unmöglich sein, dazu langte das Vermögen meiner armen Mutter nicht hin!«

»Machen Sie sich deshalb keinen Kummer,« erwiederte Elmerice, erleichtert durch die Freude der wunderlichen Frau; – »Margarith Eton, ihre Freundin, besaß Vermögen genug, das Fehlende zu decken.«

»Nun, das nenne ich großmüthig!« rief Madame St. Albans. »Tausend, mein Kind – Sie verstehen die Gräfin zu spielen! Doch verzeihen Sie, ich vergaß über der Freude, meinen Dank abzustatten. Nein, wirklich viel – viel zu viel Güte – ich weiß gar nicht, ob ich es annehmen darf!«

»O, nehmen Sie es,« sagte Elmerice herzlich – »und lassen Sie uns nicht mehr davon sprechen! Gewiß, ich bin Ihnen Dank schuldig für die Freude, die Sie mir jetzt gewähren.« –

»Ei, ei, meine liebe Frau Gräfin – das ist nun ein wenig zu fein ausgedrückt für so eine einfache, natürliche Frau, als ich bin! Doch das ist nun einmal Ihre Art, und schickt sich jetzt auch besser für Ihre hohen Zirkel, worin Jemand nicht paßt, der einfach vom Herzen wegspricht. Also noch ein Mal meinen allerunterthänigsten Dank!«[298]

Elmerice eilte, diese peinliche Unterredung zu endigen, und hatte eine schöne Genugthuung durch die edle, ruhige Weise, wie Herr St. Albans ihr reiches Geschenk aufnahm. Beide genossen noch lange ihre schöne Besitzung, die sich in allen Zweigen der Kultur auf das Musterhafteste verbesserte.

Zuerst folgten Elmerice und Leonce der Gräfin d'Aubaine nach Ardoise; – von da gingen sie nach Ste. Roche zurück und suchten es mit der vollständigsten Pietät für das Andenken, was daran haftete, herzustellen. Emmy's Zimmer wurden von Elmerice selbst behütet, wobei ihr Asta zur Hand ging, die, in der nächsten Stadt zur ersten Dienerin vollständig und sorgfältig ausgebildet, ihre junge Gebieterin nicht mehr verließ.

So blieb Ste. Roche noch lange ein wohl behütetes Denkmal vieler Jahrhunderte; denn neben den wieder hergestellten, einfachen Gemächern der Claudia von Bretagne, ihrer Betkapelle und Begräbnißgruft, stiegen die Prachtsäle und Gemächer der Katharina von Medicis, wie der früheren Grafen Crecy-Chabanne, mit ihrem alten Glanze empor. Nur der verhängnißvolle Banketsaal veränderte seine Gestalt! Schwarze sammetne Vorhänge umzogen seine Wände; herrliche farbige Scheiben zierten die riesigen Fenster mit symbolischen Bildern und den Wappenschildern der Crecy's; und über der schauerlichen Tafel, die einst Ludwigs Leiche trug, erhob sich in glänzend weißem Marmor ein von Engeln gestütztes Ruhebett, worauf Ludwigs und Reginalds Statuen, nach guten Gemälden gebildet, Hand in Hand ruhten. Wo aber sonst der Thron der Katharina von Medicis stand, hing hinter einem großen Vorhange – Fennimors Engelsbild! Eben so war der schauerliche Platz am Kamine verschwunden; vor seinem kunstreich verschlossenen, mit schwarzen Marmorbasreliefs verzierten früheren Heerde, standen zwei Betstühle, und hier wurde bei der Gegenwart der Herrschaften stets ein feierliches Todtenamt gehalten.[299]

Durch zweckmäßigen Ausbau war dieser Saal außer aller Berührung gesetzt, während die luftige Gallerie, die daran stieß und zum Eudoxienthurme führte, wieder schon und alterthümlich hergestellt war. Die sich anschließenden Hofdamen-Zimmer waren zu heiteren, luftigen Gemächern aus dem Glanzpunkte dieser Epoche umgeschaffen.

Der Eudoxienthurm blieb aber Elmerice's Eigenthum – ein mit jugendlich schöner Empfindsamkeit gehegtes kleines Bijou, zu welchem nur Leonce in einzelnen glücklichen Stunden Zutritt hatte – wo sie ihr Glück überlegten und Gott dafür dankten!

Nur selten, und nur auf wenige Monate bezogen sie ihre reichen Palais in Paris und Versailles – und immer nur, wenn Armand und Lucile, Margot und Guiche mit ihnen dort zusammen trafen. Dazwischen unterhielten die gastlichen Züge dieser Familien von einem Schlosse zum anderen, bei welchen selbst die Gräfin Franziska nicht fehlen wollte, das herzlichste und genußreichste Familienleben, das durch nachfolgende Ereignisse nur immer reicher und schöner ward. Waren die Familien aber in Ste. Roche, so erschien nicht selten Lord Duncan mit einigen seiner Kinder, als jubelnd empfangener Gast; und immer gehörten zu den theuersten Freunden die Greisengestalten des Vikars, des Arztes und der edeln Veronika, wenn ihr hohes Lebensziel ihnen auch nur noch kurze Zeit gewährte.

So war ein allseitiger, großer Besitz auf gutem Grunde erbaut – auf dem sittlichen Werthe seiner Besitzer! Und wir verfolgen von hier an ihre Schicksale nicht weiter und getrösten uns des Motto's:

»Nicht, was wir erleben, sondern, wie wir es erleben, dies entscheidet über Glück und Unglück!«

Fußnoten

1 Wir werden uns erinnern, daß Lesüeur im Winter abreiste.


Quelle:
Henriette von Paalzow: Der Verfasserin von Godwie-Castle sämmtliche Romane. Band 1–6, Band 6, Breslau 1855.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Das Leiden eines Knaben

Das Leiden eines Knaben

Julian, ein schöner Knabe ohne Geist, wird nach dem Tod seiner Mutter von seinem Vater in eine Jesuitenschule geschickt, wo er den Demütigungen des Pater Le Tellier hilflos ausgeliefert ist und schließlich an den Folgen unmäßiger Körperstrafen zugrunde geht.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon