Dritter Dialog

Ueber die Stadt München

zwischen einem Fremden und einem Einheimischen.

[75] FREMDER: Welche Stadt! Welche Stadt!

EINHEIMISCHER: Welcher Pfuhl, welcher Pfuhl, – sagen Sie lieber!

FREMDER: Laßen Sie mich – laßen Sie mich bewundern! – Das wird das zukünftige Rom. Der Papst ist tot – es lebe München!

EINHEIMISCHER: Nach dem Verbrauch des Weihrauchs könten Sie Recht haben. Wir haben hier 12000 Marienstatuen ...

FREMDER: Das macht nichts – laßen Sie die Leute – es wird immer Menschen geben, die Statuen umklammern wollen – beßer eine Maria, als eine Astarte, die – ah, laßen Sie mich, ich kann's nicht sagen – von ihren Priestern das Entsezliche verlangt ...[76]

EINHEIMISCHER: Beßer die Hoden, als den Kopf verloren!

FREMDER: Nein, nein, so schlimm ist es nicht. Ich sage Ihnen diese Bojer, oder Baier, oder Bajuvarii ... woher komt es eigentlich?

EINHEIMISCHER: Sagen Sie: diese Böozier ...

FREMDER: Nein, nein, so arg ist es nicht! Das ist ein altes Scheltwort ... inzwischen haben sie preußische Exerziermeister gehabt ...

EINHEIMISCHER: ... welche sich das Saufen, und ihnen nicht den Stechschritt gelehrt haben.

FREMDER: ... macht nichts! macht nichts! – nein, was ich sagen wolte: diese Oberbaiern, dieses herkulische Geschlecht, aus Naken und Haar bestehend, und das Meßer im Hosenschliz, brauchte eine ganz kindliche, weinerliche, weiblich-süße Religion, 'was Zartes in Blau – anders waren diese Ochsenfiesel gar nicht zu rühren – und, sehen Sie, das ist ihnen diese Maria – blauer Himmelsmantel, silberne Sternchen, 'ne Tallje zum Abbrechen, süßes Köpfchen, kirschrote Lippen ...[77]

EINHEIMISCHER: Ah, notre Dame de Munich? – »Unsre liebe Frau«?

FREMDER: Précisément! C'est bien cela! – E Bisl 'was zum Gernhaben.

EINHEIMISCHER lacht: Haha, Sie haben das Münchnerische sich rasch angeeignet ... das heißt: Sie müßen Obacht geben! »Gern haben« hat eine entsezliche Nebenbedeutung ...

FREMDER: Wirklich?

EINHEIMISCHER: Pscht! flüstert.

FREMDER: Aha – gut, daß Sie mich darauf aufmerksam machen ... na ja, sehen Sie: jedes Volk hat die transzendentalen Anschauungen, die es braucht – wenn auch das Gehirn ein Bischen dabei leidet – das zu ändern liegt nicht in seiner Macht – das ist der Gang der Geschichte und einer gewißen, wie soll ich sagen? – Völkerplacirung – alle Völker, die während einer gewißen Zeit in der Nähe von Rom lagen, machten diesen Prozeß einer überraschen und überweichen Reifung des Gehirns durch – und schieden damit aus dem Kampfe des Völkergewimmels aus – aber: régardez donc! – sehen Sie dieses Leben hier: dieses flutende Genießen, diese Ueppigkeit, dieses Sich- Selbst-Genügen, dieser Konsum, geistig und fisisch – es ist ja fast wie auf Petron's[78] Gastmahl: man geht hinaus, erbricht sich, und der Schlund ist wieder zum Kizeln frei – diese Resolutheit, Alles sich anzueignen, dieses Nimmer-Rasten, bis die ganze Keule verschlukt ist – man hört zwei Stunden »Tristan und Isolde«, man kann nicht mehr, scheinbar, macht 20 Minuten Pause, verschwindet in einer Nebengaße, komt mit geröteten Wangen erfrischt zurük, dann rasch noch ein Kotlett, ein, zwei Schoppen Bier – und man hört den Rest von drei Stunden »Isolde« – ja, saperlot! gehen Sie in eine andere Stadt – Tiens! régardez hier! – sehen Sie: diese Wangen, dieser Gang, diese Haar flechten, wie das Kleid fließt – nicht so geschmakvoll, wie in Wien, aber immerhin geschmakvoll genug – dieses Mündchen, wie eine Kirsche, dieses Anschauen, wie eine Turteltaube, diese Kraft, diese Weichheit, diese Fülle ...

EINHEIMISCHER: Ja, aber – erlauben Sie mir – das ist – eine ...

FREMDER: Ah so! – mais ça ne fait rien – sie sind Alle so – hier liegt es eben! – das Nicht-Mehr-Unterscheidbare – hier liegt die Kultur – die Ueber-Kultur – ah, laßen Sie mich! – Sie sind ein Peßimist! Sie kennen nicht Ihre Stadt ...

EINHEIMISCHER: Sie kommen frisch hieher, sehen Alles von der neuen Seite. Diese Mischung von Altertümlichkeit und importirter Kultur imponirt Ihnen. Sie sehen nicht les dessous, was unter dem Grasboden wächst. Hier ruht noch Alles, auf Jesuiten-Fundamenten[79] und katolischen Fürstenbauten.

FREMDER: Ja, aber gerade das gibt der Stadt einen gewißen haut-goût.

EINHEIMISCHER: Gehen Sie in irgend eine der großen Kirchen, und Sie werden sehen, wie Ihnen das Mittelalter mit erstikender Gewalt entgegen tritt.

FREMDER: Und doch ist diese uralte Form das, worin sich die Menschen so koloßal sicher fühlen. Hier die Litanei, das opus operatum, verrichtet, und es steht ihnen die ganze Welt offen mit ihren Lüsten und Freuden. Faktisch ist die Religion nur ein Auskunfts-Mittel, weil keiner so viel Zeit hat, sich seine eigene Moral zu machen und sich mit den Transzendentalen, was er gewißermaßen ahnt, auseinanderzusezen. Da komt Einer und sagt ihnen: Tu das und das, murmle das und das, dann bist du versöhnt und darfst draußen, beim Austritt aus der Kirche, deinen geheimen Instinkten freien Lauf laßen ... Ah, wißen Sie, was das heißt, diese Absoluzion? Wie sie sich beeilen, in hübsch geschnürten Paketchen ihre Sünden zur Kirche zu tragen und dann mit gewaschnen Händen wieder fortzugehen? ... Neulich sah ich sie, diese Volks- Maße, in ihrer Verzükung liegen ... Ich wolte jene Kirche besuchen, um das Kuriosum zu sehen, wo auf der Altar-Freske, die das jüngste Gericht darstelt, Goethe unter den Verdamten wie ein Räudiger winselnd dem Teufel zu Füßen liegt und troz alles Flennens und Jammerns eben eine Gabel[80] nach ihm ausholt, um ihn in die katolische Hölle zu stürzen – ich konte nicht vorkommen – die ganze Kirche gefült mit zukenden, schmazenden Körpern, die wie Säke in den Kirchstühlen lagen – ringsum auf den steinernen Fließen Kinder und Weiber in ängstlichen Grimaßen, als ging's zum lezten Gericht – da und dort auf den Betpulten ein isolirtes Lichtchen, wie von einer eben aus dem Sarg gekrochenen Seele – vom Empor herunter larmojante, brösliche Gesänge, als hätte man den Leuten Kolofonium in den Hals geblasen – vorne, ganz vorne am Altar, unter einem Zik-Zak von Lichterglanz weiße, ganz weiße hüpfende Kleider – dann wieder goldgestikte, ganz goldgestikte hüpfende Kleider ...

EINHEIMISCHER: Es sind die Paramente der gerade Amtirenden.

FREMDER: Sie sagen: es sind die Paramente der gerade Amtirenden. Ich sage, es sind farbige Garderoben: es gibt weiße Garderoben und es gibt violette Garderoben; und es gibt gelbe Garderoben und gibt purprurrote Garderoben; und gibt grasgrüne Garderoben und gibt schwarze Garderoben für den Trauerfall.

EINHEIMISCHER: Je nach der Zeit des Kirchenjahrs oder für den Fall einer Totenmeße ...

FREMDER: Je nach der Zeit des Kirchenjahrs, oder für den Fall einer Totenmeße – – ich sage: es sind Frühjahrs-Ausstellungen und[81] sind Herbst-Ausstellungen und sind Sommertoiletten und sind Toiletten für den Trauerfall ... und Odör, halb Oppoponax, halb Klang-Klang, dampft aus blizenden, vergoldeten, geschwungenen Keßelchen, und fült die Köpfe der Damen mit Haschisch, und die Muskeln regen sich zu Derwisch-Strekungen ... Sie sind ein Peßimist! Sie kennen Ihre Stadt nicht! Sie kennen die Orts-Religion nicht! – hören Sie weiter!

EINHEIMISCHER: ... das Rauchfaß verstreut die Wolken ...

FREMDER: ... das Rauchfaß verstreut die Wolken ... Kling-kling!: – Rutsch, der ganze Haufe schwarzer Säke stürzt in den Betpulten zusammen und jammert ... rischteldadibum, rischteldadibum, rischteldadibum ... rödeldö-rödeldörödeldö-rödeldö ... Kling-kling! – nocheimal knikt die schwarze Maße zusammen und die Kirchenstühle ächzen und stöhnen ... rischteldadibum, rischteldadibum, rischteldadibum ... rödeldö-rdeldö-rödeldö-rödeldö ... Kling-kling!: – Jezt komt's!

EINHEIMISCHER: Was komt?

FREMDER: Es komt!

EINHEIMISCHER: Was komt?

FREMDER: Enfin, cette chose – comment dit-on? – ce machin...[82]

EINHEIMISCHER: Es ist die Wandlung.

FREMDER: Mit imäginar aufgesperten Mäulern liegen sie drinnen und schluken – und schlürfen den rötlichen Saft, das Blut – und würgen den Broken hinunter, das transzendentale Fleisch, eines vor fast 2000 Jahren justifizirten Gottes – und das blöde Gehirn nimt die Sugestion an, und mukst sich nicht ...

EINHEIMISCHER: Kein Mensch glaubt ja das mehr!

FREMDER: Hier liegt es eben!: Kein Mensch glaubt es mehr auf seinen Kopf hin – aber Niemand mukst sich! – Jeder denkt sich: ist's wahr, ist's gut! – ist's nicht wahr, macht's nix! – Voilà!

EINHEIMISCHER: Alte Gewohnheiten, die sich fortschleppen ...

FREMDER: Haha! – und nun sollen Sie sehen – jezt werden die Utensilien eingepakt – das Kritschi- kratschi-Rischteldadi-Kruzifax komt in den Schrank – die Oblaten verschwinden – und die diken, schnappenden Goldfische verschwinden in der Sakristei ... und nun erheben sich die Tausenden von Säken – jezt sind sie entsündigt: die Mienen sind noch ganz steif – die Augen starren noch schwarz: die Sugestion ist eben erst im Verschwinden – und nun rutscht es hinaus – in das flirrende, helle Tageslicht[83] – in das Licht, wo die Bestien wandeln – halo! Saperlot! – jezt sollen Sie sehen! – jezt wollen sie sich erholen: Wo geh'n mer hin? – Wo gibt's en Pschorr? – Wo gibt's a Hofbräuhaus? – Wo gibt's en Sedelmair? – Wo gibt's Weißwürst'? – Wo gibt's en Tanz? – Wo gibt's a Musik? – Und nun geht's an! – Das resolute Genießen – mit realen Kinnbaken – bei intaktem Gehirn – das entschloßene Würgen, bis die Keule verschlukt ist – und die Goldfische von vorhin kom men auch – in schwarzen Röken – jezt eßen sie keine Oblaten – tapfer greifen sie ein – – Haha, mon cher, – welches Geschlecht! – Welche Stadt! Welche Stadt! ...

EINHEIMISCHER: Und das Alles wundert Sie? Das imponirt Ihnen? ... Es sind ganz einfache Menschen, schlichte, ruhige, naive Menschen, ohne allen den embarras, den Sie hineinverlegen, weiche, zarte, mariologische Konstituzionen ...

FREMDER: Ich sage Ihnen, es sind Reflex-Menschen – von einer geradezu wunderbaren Sicherheit der Gangart – kein Mensch frägt hier: Warum? – Dies ist nicht die Stadt des Kausal-Nexus – dies ist nicht die Stadt weder der reinen noch der angewanten Vernunft – dies ist die Stadt der eingefahrenen Geleise ...

EINHEIMISCHER: Und das imponirt Ihnen! Ich finde das höchst langweilig. In dieser reichen Dunst-Atmosfäre, auf diesem mariologischen Boden gedeihen die Menschen-Pflanzen[84] allerdings vortrefflich, Beken, Naken, Waden und Busen erreichen eine niegesehne Ueppigkeit – aber das Hirn, mein Herr, die Krone der Pflanze, die Blüte verkümmert, schmilzt ein ... der Siz der Gedanken – der Keim zu Neuem – die Pollenkörner der Idee ...

FREMDER: Was macht's! Was macht's? – Aber daß man ein solches Geschlecht fertig bringen konte – mit so sicherer Gangart – mit fest vorgeschriebenen Bahnen – auf dem Pflaster der Wirklichkeit wie in der Metafisik der Seele – welches nie strauchelt – immer sich gleichbleibt – stets sich neugebiert – mit dem Bier des Sedelmaier und der Dogmatik von Rom sich stets frisch und kräftig erhält – sehen Sie diese prächtige Raße – riechen Sie diesen süßen Seelenduft – rühren Sie diese marmelartigen Formen! ... Gehen Sie nach Linz, nach Salzburg, nach Wien – überall, wo die römische Dogmatik und das süffige Bier hingedrungen ist, dieselbe unvergleichliche Raße – mit den leuchtenden Augen, dem seelenvollen Blik, der lammartigen Güte – in Wien ist das Bier etwas heller, prikelnder: dort sind die Busen etwas hüpfender, die Mündchen etwas kirschroter – aber sonst die gleiche, weiche, schwanenduftige, weiblichgeartete, seelenvolle Raße ...

EINHEIMISCHER: ... jawohl, die aber bei Königgrätz und bei Kißingen die Waffen wegwarf! ...[85] Ja natürlich – saperlot! – man kann nicht gleichzeitig transzendentales Gift schleken und in der Welt der Wirklichkeit große Taten vollbringen! ...

EINHEIMISCHER: Trozdem – ist es nicht schlimm? – Dieser Molusken-Standpunkt! – Wenn man aus der Welt der Taten ausscheidet! – Nur noch als Dünger betrachtet wird! ...

FREMDER: Laßen Sie sich jeden Tag in der Frühmeße den Kopf vollsugestioniren – das Gehirn weich machen mit Mirakeln und Glaubensfakta – das Sensorium einschläfern mit Weihrauch und Opoponax – je öfter der Prozeß wiederholt wird, desto leichter wiederholt sich der Schlaf! ... Das ist wie in Konstantinopel: als Preuße komt man hin; als geistiger Eunuch geht man fort! – Den stärksten Kerl ließ Bismarck nie länger als ein Jahr dort kondizioniren ...

EINHEIMISCHER: Und trozdem loben Sie die Stadt?

FREMDER: Eh bien – pour regarder – pour s'amuser – auf 8 Tage – zum Bewundern – wie man in ein Treibhaus geht – um die Victoria regia zu sehen – man schwizt, die Pulse klopfen, aber – saperlot! – diese Sinnenwelt, diese ... sehen Sie hier! – diese Kleine! – wie das geht – wie das tript – dieser Gang – diese Wangen – dieses Augenschmeißen – dieses Erröten zur rechten Zeit – diese Aufforderung[86] zum Tanz! ... hehe, was mag die kosten! ...

EINHEIMISCHER: Um Gotteswillen! – das ist die Gräfin X.

FREMDER stuzt: Ah so! – Eh bien! was ich sagte: sie sind alle so! Sie sind sich alle gleich! Diese Homogenität der Raße! – Hier liegt es. Die Ueberkultur. Die großen, schwellenden Formen. Das Victoria-Regia-tum, das nur in der Ueberhize gedeiht – wo die saft-grünen Blätter auf Kosten der Blüten gewonnen werden – ist es nicht köstlich? ...


Einheimischer schüttelt mit dem Kopfe


FREMDER: Sie wißen gar nicht, was Sie hier haben. – – Und dann, mon cher, die Hauptsache – haha! – ich glaube, man nent es nie beim eigentlichen Namen – dies gilt für unschiklich – Sie haben, wie der Soldat für den Tornister, zwanzig Benennungen dafür: der Stoff – das Zeug – die Maas – die Kraft – die Halbe – die Ganze – das Quart'l – die Maisch – das Alte – das Neue – das Untergörige – das Obergörige – das Ungespundete – das Gespundete – der Bok – der tote Hund – das Schweißende – das Schwizende – der Haker – der Pschorr – das Hof'- – das Bürgerliche – das Gehopfte – der Salvator – das Märzen – das ...

EINHEIMISCHER: Um Gotteswillen, hören Sie auf.[87] Eh bien – das Opium von München – welches Helden zu Kindern und Kinder zu Helden macht – und alle diese Tausende von Hrinen erst für die große Dogmatik des Lebens vorbereitet ...

EINHEIMISCHER: Es ist ein Sumpf, ein Sumpf, ein schreklicher Sumpf.

FREMDER: Sagen Sie dies nicht! Hier liegt ein großes Prinzip vor. In diesem Fortschwimmen von Generazionen auf der unvergleichlichen, dunklen Brühe liegt eine eminente Lebenskunst. Diese verhopften Gehirne spülen sich über die Abgründe und Fährniße des menschlichen Lebens hinweg – immer fort – Unangenehmes wird vergeßen – Misantropie verstopft – bis in's Jenseits hinüber: hier liegt eine Kunst, eine Leicht-Lebigkeit ...

EINHEIMISCHER: ... welche schließlich das Leben als gegenstandlos nimt ...

FREMDER: Hier liegt eben die Kunst – für gereifte Völker – das Leben als solches nicht mehr zu spüren – laßen Sie mich!: diese Haschisch-Generazionen sind mir die liebsten: sie zanken nicht mehr, sind politisch trätabel, schwimmen im Entzüken, – sehen Sie diese glänzenden Augen – ihre härtesten Charaktere, ihre demantesten Naturen werden weich und eindrükbar, – selbst ihre Verbrecher haben einen weichen, melancholischen Zug ... nein, laßen Sie mich, dieses Bier jezt hab' ich's genant – dieser Bier-Genuß[88] ist eine trefliche Vorkur, eine Vorbedingung für die Aufnahme all' der verschiedenen Sugestionen, die aus dem Norden kommen, das ganze Volk befindet sich in einem glüklichen, erwartungsvollen Stadium ...

EINHEIMISCHER: ... bis es schließlich aufgefreßen wird ...

FREMDER: Peu à peu – das macht nichts! – gewiße Völker sollen aufgefreßen werden – die Griechen mit ihrer Metafisik und Kunst wurden schließlich auch aufgefreßen – und wurden ein Keim im Leben der Völker – wer ging nicht 'nmal gern nach Athen? – um Eleusinische Kulte und Aphroditen- Dienst zu genießen – wer geht nicht 'nmal gern nach München? ...

EINHEIMISCHER: ... um Bier zu trinken! ...

FREMDER: Nein, um Gemüt zu schöpfen – um Lebenskunst zu beobachten – um Genießen zu lernen – um den deutschen Doktrinarismus zu vergeßen – sein Gehirn für'n Jahr auszuhopfen ... haha! – sehen Sie, wie sie dort hoken, die Norddeutschen, und dem Schenkkellner auf Wort und Treu glauben – ihn bewundern, wenn er grob wird – und das gehopfte Isarwaßer hinunterspülen, bis die Augäpfel aufleuchten ... nein, nein! – Ihre Stadt ist bewundersnwert – ist eine Notwendigkeit für Deutschland – nur der Astarte-Dienst auf Kypros kann sich damit vergleichen.[89] Ein Magen- und Schlund-Dienst, bei dem schließlich die Funkzionen von Darm und Nieren die Hauptsache bilden.

FREMDER: Die ganze Welt strömt hieher – nur um dieses Volk eßen und trinken zu sehen. Welche Lust! – Man bekomt Apetit – Man greift selbst zu – läßt sich auf diesen ungehobelten Bänken nieder – man ißt, trinkt, schlempt und schlampampt – eh' man sich's versieht, ist man vermünchnert – hört das fette Herz klopfen – fühlt die Augäpfel sich herausdrehen – und fünf Minuten später frägt Einen ein junger angekommener Fremder mit der Note der Sicherheit: Sie können mir gewiß sagen, wo hier der Weg zum Hofbräu geht?

EINHEIMISCHER: Ja, ja, – der große barbarische Zug unterjocht die Leute.

FREMDER: He! Nehmen Sie gerade die jezige Zeit, nehmen Sie Ostern: kein Fest läßt diese Bevölkerung vorbeigehen, ohne ihre Därme, ihren Schnappsak dran zu knüpfen: alle Schaufenster liegen voll von ungeheuren Quantitäten Wurstwaaren, diken und dünnen, rötlich gefärbten und bläulich durchscheinenden, Sulzen und Eingemachtes, auf Platten und in Vasen, Gepökeltes und Geselchtes, Spekseiten und Schinken, Alles umkränzt und bemalt mit den Oster-simbolen. Schnittwaaren-Lager und Schuh-Magazine werden für die wenigen Tage schleunigst in Scharkutjee-Läden umgewandelt[90] und überall drängt sich die koloßal fettige, hautüberzogene, spekige, ranzige Maße. Ganze Schweine von Spek und Schelatine, mit Rosen umkränzt, erscheinen hinter den Glasfenstern der Läden, in deren Hintergrund man die zentner-busigen Scharkutjees- Gattinnen keuchend ihren Dienst verrichten sieht. Und jede Fleischfaser und jedes Spekwürfelchen, jeder Schinken und jedes Rippenstük war auf dem Altar in der Hochkirche gelegen und ist vom Erzbischof geweiht und besprengt worden. Hier ist die Verbindung mit der Kirche gewonnen und damit ist für dieses prächtignaive Volk das Recht zum Zulangen, das Recht auf Gabel und Meßer gegeben. Jeder noch so einfache und bescheidene Mensch will an diesem Tag ein Stük Schweinernes zwischen den Zähnen haben. Das Schwein steigt in diesen Tagen der Auferstehung Christi zu einem wahrhaft herkulischen Simbol empor und fegt, wie ehemals die goldborstige Wildsau der alten Germanen, grunzend und Fettspuren zurüklaßend, durch die dike Luft Münchens und durch die Herzen ihrer Bewohner. Was sagen Sie dazu? – Ist das nicht prächtig? – Kein anderes Volk hat so die Gabe, Himlisches und Irdisches, wie der Dichter sagt, miteinander zu verweben ...

EINHEIMISCHER: Nur wieder eine neue Gelegenheit zum Freßen.

FREMDER: Freilich, freilich, aber was macht's? – Hier liegt die Gesundheit, die Frische, das Zugreifen, das sichere Instinkt ...[91]

EINHEIMISCHER: ... daß nach dem koloßalen Genuß von solchen Fettigkeiten sich ein enormer Durst einstellen wird.

FREMDER: Mag sein, mag sein – daß das tief in ihrem Unterbewußtsein verborgen liegen mag – aber das gehört zu jenen sicheren Instinkten, die ein Volk zu dem ihm allein Nüzlichen und Notwendigen führt. – Und dann nehmen Sie die, ich weiß nicht, soll ich sagen: dogmatische Kühnheit der Verbindung des Totes des Erlösers mit dem Scharkutjee-Gewerbe. Erst hat man die Leiche Jesu – das ist noch der Charfreitag – man nimt sie simbolisch als Lamm Gottes, das weiße, aber blutüberströmte Lamm; dieses Lamm nimt man und stelt es aus Schweinefett gegoßen mit Rosen umkränzt in's Schaufenster – jezt ist es noch Ostersimbol, und noch könte Alles in den Gränzen der Schiklichkeit bleiben – aber mit dem Fett hat man – optisch, oder gedanklich, oder vielmehr: durch den süßen Geschmak – die Verbindung zum Schwein gewonnen, und nun stürzt diese koloßale Menge von Schinken und Rippenstüken, Sulzen und Spekseiten in die Kirche hinein. Aus dem süßen Osterlämmchen ist das zentnerschwere Schwein geworden. Aus der schmerzhaften Charfreitags-Leiche das fürchterliche, grunzende Tier, welches man aufißt. Ist es nicht enorm? Diese Wandlung vom Freitag zum Samstag. Nur ein so riesig gesundes Volk, wie Sie es in Ihrer Stadt haben, kann sich eine solche kühne Dogmatik erlauben, ohne daß es ihm das Gehirn zerreißt. Mit dem Ruf: Resurrexit: Er ist auferstanden! sezt sich das Volk[92] hin und verzehrt koloßale Maßen von Grieven und Spek. Irgend ein Münchener – ein Bischof oder ein Scharkutjee – muß die Verbindung auf diese Weise einmal hergestelt haben. Die Sitte ist rein Münchnerisch, Süddeutsch, nicht allgemein Katolisch ...

EINHEIMISCHER: Da haben Sie wieder, was ich Ihnen sagte: bei diesem Volk ist Alles Darmarbeit und Nierenfunkzion.

FREMDER: Oder stamt die kaum verständliche Sitte aus dem Mittelalter, wie mir ein anderer Erklärer versicherte? Daß sie sich, um die Juden zu ärgern, die Jesum an's Kreuz geschlagen hatten, und die bekantlich aus rituellen Gründen kein Schweinefleisch genießen, gerade um die Zeit, da Christus wieder lebendig geworden, sich hinsezten und Schweinefleisch in allen Dimensionen und Zubereitungsarten verzehrten, in der Meinung, je mehr sie zu sich nähmen, um so mehr ärgerten sie die in ihren Ghettos still versammelten Juden, und um so größer sei das Verdienst, welches sie sich erwürben, und das »Opfer«, welches sie darbrächten, und um so größer die Freude, die sie ihrem Gott machten – und ist dies der Sachverhalt, wodurch die Münchener erst zu diesem enormen Leibesumfang gekommen sind, deßen sie sich allenthalben in ihren beßeren Exemplaren rühmen ...

EINHEIMISCHER: Eine etwas ranzige Ausrede![93] Oder ist es die Erinnerung an das Eßen von Leichenteilen, welches sie tagtäglich bei ihren Priestern in der Kirche beobachten, und welches die Ursache sein soll, weßhalb sie diese lezteren mit so großer Ehrfurcht, sozusagen als Gott, betrachten – welches bei ihnen, bei diesem resoluten Volk, den Kizel erwekt hat – ich weiß nicht, ob Sie mir dies nachdenken können – nun auch seinerseits einmal, wie soll ich sagen?: travestirte Leichenteile in Form von simbolisirten ham, porc, Schinken, Spek – kommen Sie nach? – sich zwischen die Zähne zu steken, um einmal zu sehen, wie das Ding eigentlich schmekt? – Wie? Was? Was sagen Sie? Haben Sie's erfaßt? – Ist es nicht koloßal? – Ich meine nur ...

EINHEIMISCHER: Um Gotteswillen! – Um Gotteswillen, wo kommen Sie hin?!

FREMDER: Ich meine nur! – Verstehn Sie wohl! – Bei diesem Volk – aus purer Genußsucht – nicht aus sakrilegischem Bedürfnis – o Gott nein! – die täten keiner Fliege 'was zu leid, wenn sie wüßten, daß sie heilig wäre – nein, aus Kinnbakenbedürfnis – rein, um zu Zermalmen – um zu verzehren – heute »Tristan und Isolde«, morgen »Bokpartie«, übermorgen »Kunstausstellung von Nuditäten«, dann Osterfest mit simbolischem Schinkenfleisch, dann »Salvator auf dem Nokherberg«, Redouten mit wallenden Busen und Sekt-Schmeißerei, dann wieder Entsündigung: Fasten, d.h. Fasten-Eßen, Responsorien[94] von Scarlatti, – Stabat mater von Palästrina und dann Rendez-vous in der Konditorei – verstehen Sie? – so mein' ich's! – Alles nebeneinander – Alles zu seiner Zeit – aber Alles! – nicht das Eine nicht, das Andere doch, – sondern Alles! – Verschlingen – genau wie in ihrer Kunst: e Bisl Makart, und e Bisl Max und e Bisl Mistik und e Bisl Du-Prel – aber auch etwas Uhde und etwas Pietismus – und von Allem Uebrigen Andern auch noch recht Viel ... verstehen Sie? – so mein ich's! – Ist's nicht koloßal? –

EINHEIMISCHER: Das reine Sodom und Gomorrha ...

FREMDER: Nein, sagen Sie das nicht! – Um Gotteswillen! – Sie beleidigen! Sie sind ein Peßimist. Peßimist sein heißt denken. Sie sind der einzige Peßimist, den ich in dieser Stadt getroffen habe. Sie müßen die Sache von der Gefühlsseite nehmen. Sonst erfaßen Sie Ihre Landsleute nicht ...

EINHEIMISCHER: Und das ist ein Gegenstand Ihrer Bewunderung?

FREMDER: Ja, mein Gott, weil es einzig ist. Es gehört eben Alles zusammen. So etwas treffen Sie nicht wieder. Nehmen Sie Alles in Einem. Bliken Sie um sich. Schauen Sie sich die Häuser an. Betrachten Sie diese Architektur. Ist es nicht auch hier der gleiche in's Gigantische, Klobige, Breitschultrige, Hüften-Ausladende gehende Stil, der uns zeigt, daß dieses Volk Zähne hat, die keinen Spaß[95] verstehen, und Kinnbaken, die auf jede Sorte von Nahrung eingerichtet sind. Sehen Sie diese Waden-Säulen, dieses vorgekröpfte Gebälk, dem jeder Hemdkragen zu eng, diese Busen-ausladenden Erker, die dann wieder zurükweichenden Giebel, diese geschlizten, kleinen Fenster, Alles Hüften-, Beken-, Knochen- und Empfangs-Arbeit, ein Zeichen, daß bei diesem Volk der Schwerpunkt in der Aufnahmefähigkeit, in der Verdauung liegt. Jedes Haus ein schwankender Münchner. Jeder Münchner eine granitne Balustrade ... Laßen Sie mich, dieses Volk ist nicht zum Umbringen.

EINHEIMISCHER: Wenn nur ein großer Rutsch aus dem Norden hereinbräche, eine kaltsinnige, fischartige, protestantische Einwanderung statthätte, um diese versumpfte, romanische, mariologische Bevölkerung aufzufrischen, um diesen Jesuitenstil umzubiegen, die allzu lauen Herzen kräftiger schlagen zu laßen ...

FREMDER: Das hilft Nichts. Das fand schon unter Ihrem König Max statt. Abgesehen davon, daß die Stok-Münchener dafür ihren König fast vergifteten, wurden die Ankömlinge bald überwältigt, zahm, matsch – das liegt hier in der Luft – der genius loci heißt hier: Quietismus, In-Sich- Selbst-Versenkung, eine Art oberbairischer Buddhismus, wie ihn die Bauern von Feldmoching ausgebrütet haben – hier unterliegt Alles, Friese, Pommer, Däne; nach einem Viertel Jahr sind sie bojfizirt; eine Verzückung ergreift sie, die Augäpfel treten heraus, werden leuchtend, die Herzmuskelfaser[96] wird zart und biegsam, sie begreifen nicht, wie man Norddeutscher sein kann ... nein, nein, laßen Sie diese Stadt, dieses Eldorado der sinlichen Büßer, dieses Capua der Gefühle; ein Gretna-Green muß es in Deutschland geben, wo man, entfernt von den Kämpfen abendländischer Geister, sich mit dem All, dem Brahma des Hopfen-Himmels, dem lallenden Gebetszustand nach oberbairischer Vorstellung sich vereinigen kann. Diese Seligkeit ist ...

EINHEIMISCHER zornig: Wenn nur ein Feuermeer dieses Phäaken-Nest vom Boden vertilgte oder eine Salzflut dieses Sodom mit seinen schwankenden Gestalten zu Stein erstarren ließe! ...

FREMDER: Pfui! – Wie kann man so Etwas sagen! – Pfui! Welche Lebens-Verachtung. Nein, Sie sind kein Münchner! Sie sind Ihrer Stadt nicht wert! Kein Glas Bier soll Ihnen mehr schmeken, keine Hure Sie anfunkeln! ... Sie sind ein Peßimist, ein Waßertrinker, ein Pietist, ein Norddeutscher, Sie denken mir zuviel! ... Kommen Sie, rasch noch eine Maas ... Welche Stadt! Welche Stadt! –[97]

Quelle:
Oskar Panizza: Dialoge im Geiste Huttens. München 1979, S. 75-99.
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