Vierter Dialog

Ueber die Dreieinigkeit

zwischen einem Ateisten und einem Staatsanwalt

[99] ATEIST: Nun, das Schlimmste scheint jezt vorbei zu sein. Die Völker können wieder aufatmen.

STAATSANWALT: Wieso? – Welches Schlimmste? – Wer will wieder aufatmen? – Von' was reden Sie? –

ATEIST: Ich meine, man hat sich geeinigt, das schwerste Joch von dem Naken der armen Deutschen zu nehmen, ein Joch, unter dem sie, bei der gedrükten Haltung, schließlich nichts Anderes tun konten, als zu lachen und schlechte Wize zu machen.

STAATSANWALT: Und diese Leute wollen Sie auch noch aufatmen laßen?

ATEIST: Sie verwechseln Ursache und Wirkung: Sobald sie sich erheben können, werden sie ernst; sie lachen und höhnen, weil ihnen in dieser Situazion nichts anderes übrig bleibt.[100]

STAATSANWALT: Reden Sie um Gotteswillen! Um was handelt es sich? Planen Sie einen Umsturz der bestehenden Gesellschafts-Haltung – ich meine: ein gewaltsames Aufrichten der ... Das heißt also: eine Aenderung der Bürger-Haltung?

ATEIST: Haben Sie nicht davon gehört?: es stehen bedeutsame Veränderungen in der Zusammensezung der Dreieinigkeit unmittelbar bevor.

STAATSANWALT: Was soll das heißen? – Wir können das nicht brauchen! – Das gibt wieder einen Haufen von Büro-Schreibereien ... Wir haben sowieso übergenug zu tun ... wir beschäftigen jezt schon einige Hundert über-etatmäßige, unbesoldete Aßeßoren ...

ATEIST: Es ging eben nicht mehr; die Leute lachen ...

STAATSANWALT: Es ging ganz gut; wir vertreiben ihnen schon das Lachen ...

ATEIST: Eine bestimte Fikzion läßt sich eben über eine Reihe von hundert Jahren nicht aufrecht erhalten. Schließlich komt Einer und plazt hinaus ... oder Einer läßt die Maske zufällig fallen, und – nun laßen sie sie Alle auf einmal fallen – Alles lacht hinaus, und es zeigt sich, daß nur Einer auf den Andern wartete.[101]

STAATSANWALT: Nun, wo geht's hinaus?

ATEIST: Man will an den »Drei« eine Aenderung vornehmen.

STAATSANWALT: Diese brutalen Neuerungen ... wir können das nicht mehr bewältigen ... die Sache ging bisher so glatt: wir hatten drei Personen aber nur ein Delikt! was auch Einer gesagt oder blasfemirt hatte: Alles endigte in der Einen Spize; weil die Drei Eins waren. Wir können doch nicht drei Faszikel anlegen; das gibt wieder endlose Schreibereien ... wer hat nur wieder diesen Unsinn aufgebracht?

ATEIST: Man hat sich geeinigt. Es ging wirklich nicht mehr.

STAATSANWALT: Nun, und wie heißt die Bescheerung?

ATEIST: Man will also den heiligen Geist fallen laßen.

STAATSANWALT: Um Gotteswillen, wo kommen wir hin? Das geht nicht. Der §. 166 ist ungeteilt. Wir stüzen uns auf das Athanasianische Glaubensbekentnis: drei Personen aber ein Paragraf. Wo kommen wir hin? Ich bitte Sie! Wir können den heiligen Geist nicht als Einzelform gebrauchen.[102]

ATEIST: Sie sollen ihn nicht haben. Er wird Ihnen nichts zu tun geben.

STAATSANWALT: Ja, aber was wird denn dann aus diesem separirten Gott?

ATEIST: Er verduftet! – das heißt: er wird eliminirt; ich meine: er wird auf dialektischem Wege beseitigt.

STAATSANWALT ringt die Hände: Das geht doch nicht! – Das geht doch nicht! – Sie können doch nicht einen Gott aus einem Paragraf hinauswerfen ... was soll denn an deßen Stelle treten?

ATEIST: Aeh ... man äh ... will sich auf den guten Geist des Volkes stüzen ...

STAATSANWALT wie oben: Den gibt es ja nicht! – Damit können wir ja praktisch gar nichts anfangen! – Das ist ja ein ganz nebuloser, abstrakter Begriff! – Auf den kann man ja nicht 'nmal 'ne Anklage stüzen, geschweige ein Urteil formuliren!

ATEIST: Das soll auch nicht geschehen. Es ist nur eine Art qui pro quo. Um dem Volke das Eine, den transzendentalen Geist, nicht allzu rasch zu nehmen, verweist man es auf den guten Geist, auf die gute Gesinnung, die im Menschen stekt, auf den Geist der Nazion u.s.w. –[103] Ich weiß nicht, wo das hinaus soll. Ich weiß nicht, wie wir da praktisch fertig werden wollen. Das gibt ja eine fürchterliche Unordnung! – – Das ist der große, schöne Zug, den ich am Christentum so bewunderte, es war so juristisch gedacht, es war direkt kriminalistisch so brauchbar, man formulirte Eine Anklage – mein Gott! wir haben doch ein monoteistisches Religionssistem! – man formulirte Eine Anklage, was auch der Betreffende gesagt haben mochte, man warf ihm die Gotteslästerungs-Anklage in's Gesicht, er erbleichte, und man hatte dann seinen Mann – war's nun ein Profeßor, der sich auf der Rednerbühne hatte gehen lassen, oder ein Bauernflegel, der sein Maul hinter'm Bierglas überfließen ließ – man hatte seinen Mann, und er hatte seine 6–8 Monat oder ein Jahr weg, und Alle, Richter, Gerichtsschreiber, Akzeßisten, waren so zufrieden ... Was machen Sie mir für eine Unordnung?! – Einen Gott aus einem deutschen Reichsgesez-Paragraf hinauswerfen! ...

ATEIST: Es ist ja kein Gott.

STAATSANWALT: Kein Gott? – Wie so?

ATEIST: Es ist nur ein Person.

STAATSANWALT: Eine Person?[104]

ATEIST: Ein Gott, aber drei Personen in der Gottheit.

STAATSANWALT: Also ein Drittels-Gott; das gilt uns gleich; wenn nur: ein Paragraf.

ATEIST: Eben nicht! Eben nicht! – Es gibt keinen Drittels-Gott! – Hier liegt es eben. Die Leute hielten sich an die Dreiheit, an die drei Personen, an die drei Götter. Es ist die Geschichte von den Antropomorfismen.

STAATSANWALT: Was heißt das?

ATEIST: Es ist die Geschichte von den Hosen.

STAATSANWALT: Von was für Hosen reden Sie?

ATEIST: Die Leute fingen an, ihre Götter anzuziehen, d.h.: sie anzukleiden, in Hosen zu steken. Kleider, Jaken, Schuhe, Pelzkappen, ganze Garderoben kamen zum Vorschein.

STAATSANWALT: Um Gotteswillen!

ATEIST: Ja, Sie sagen: Um Gotteswillen. Man weiß wirklich nicht, wie man da[105] sagen soll. Und das Schlimmste war: sie konten die Trinität nicht festhalten; die Drei-Einigkeit; es scheint, es war gegen die Einrichtung der menschlichen Psiche. Die Fantasie verarbeitete das kleine Problem in ihrer Weise: Die Leute hatten von drei göttlichen Personen gehört, aber von einem Gott; und machten nun drei Götter daraus und zogen sie an. Man nent das Antropomorfismus, Vermenschlichung.

STAATSANWALT besint sich: Der Fall ist nicht vorgesehen. Soweit ist die Sache nicht strafbar.

ATEIST: Entsezliche Dinge sind zum Vorschein gekommen!

STAATSANWALT: Was Sie nicht sagen!

ATEIST: Beim Konfirmazions-Unterricht hat sich herausgestellt, daß die Konfirmantinnen – nur im geheimsten Flüstergespräch war es zu erlauschen – sich den heiligen Geist männlich dachten ...

STAATSANWALT: Ach!

ATEIST: Ja, und in Hosen.

STAATSANWALT: Um Gotteswillen![106]

ATEIST: Umgekehrt bei den Knaben schien eine weibliche Figur die Vorstellung zu beherrschen: der heilige Geist in ganz leichter Umhüllung.

STAATSANWALT: Entsezlich!

ATEIST: Man brachte es nicht gleich heraus, was die Knaben darauf geführt haben konte.

STAATSANWALT: Wahrscheinlich irgend ein verdorbenes Fantasie-Produkt.

ATEIST: Nein, es war die Pallas Athene von der Schloßbrüke in Berlin.

STAATSANWALT: Ist das konstatirt?

ATEIST: Es ist konstatirt. Die Sache machte psichologisch das koloßalste Aufsehen. Und man will jezt damit aufräumen.

STAATSANWALT: Womit? Mit den Brükenfiguren?

ATEIST: Nein, mit der Trinität. Mit den Antropomorfismen.[107] Da haben wir's wieder! Das geht nicht! Wir müßen den Paragraf in seiner Einheit festhalten.

ATEIST: Die Psiche weigert sich. Wir haben die Fantasie unserer jungen Leute ...

STAATSANWALT: Das ist ganz gleich. Wenn die Einheit des §. 166 fält, dann rumpelt das Andere nach.

ATEIST: Dann rumpelt das Andere nach. Die Oberkonsistorial-Behörde hat sich aber selbst dafür ausgesprochen.

STAATSANWALT: Für was?

ATEIST: Für eine Regenerazion der Trinität, für eine ...

STAATSANWALT: Daß Sie sich nicht scheuen, ein solches Wort zu gebrauchen! Ueberlegen Sie doch um Gotteswillen, was Sie sagen! Sie springen ja mit Worten um, als ob ... eines der Fundamente des Staates wollen Sie mit einem Hauch Ihres Mundes anihiliren! Sie sind ja schlimmer wie Hegel!

ATEIST: Daß ich es gleich sage: ich bin da zufällig auf ein glükliches Wort gestoßen; das Wort gefält mir: Regenerazion der Trinität: es handelt sich um eine wahrhafte Wiedergeburt ...[108] Was soll denn wiedergeboren werden?

ATEIST: Die Fantasie unserer Kinder; die jungen Leute sollen wieder klar sehen; sie sollen frei umherschauen können, sollen Apollon und Aphrodite mit heller Freude betrachten können, ohne sie als Musterkarte zu nehmen, ohne an ihre Katechismus- Figuren zu denken, ohne den Himmel mit Hypostasieen zu bevölkern, die Hosen und Jaken tragen. Die Schönheit sollen sie in der Natur sehen und die Religion im Herzen tragen ...

STAATSANWALT: Sie reden ja wie ein Pietist. Was sollen sie für eine Religion im Herzen tragen? Den heiligen Geist haben Sie schon zerstört ...

ATEIST: Als Taube zerstört. – Als Pallas Athene! – Als idealen Töchterinstitutslehrer mit ausgefranzten Hosen und blondem Vollbart! – Der heilige Geist ist keine Taube, ist keine Pallas, ist kein Institutslehrer mit M. 900 Gehalt.

STAATSANWALT: Was ist denn der heilige Geist?

ATEIST: Der heilige Geist ist unsere Gesinnung. Es ist unser Woltun und Mitteilen. Ist unser Erbarmen, unser Mitleid. Ist unsere Sprache im Reichstag und vor dem König. Ist unser heiliges Widerstreben und unsere Oposizion. Ist unsere Vaterlandsliebe,[109] unsere Entsagung; unsere Uneigennüzigkeit und unser Bürgersinn ... gegen den braucht es keinen §. 166; den kann man nicht beleidigen; für den braucht es keine Figur, weder eine Nudität noch einen Vogel.

STAATSANWALT: Gehen Sie! Sie reden wie der Herwegh.

ATEIST: Wir sind noch nicht fertig! Wir wollen auch die zweite Figur zertrümmern!

STAATSANWALT: Welche zweite Figur?

ATEIST: Den Herr Gott.

STAATSANWALT: Den Herr Gott! Und das Gewißen schlägt Ihnen nicht?

ATEIST: Nein!

STAATSANWALT: Ist denn das nicht die ehrwürdige Figur, die seit fast 2000 Jahren unser Denken beherrscht, gütig und voll Hoheit zugleich, mit jenem erbarmungsvollen Blik ...

ATEIST: Sie denken an das Mosaik in Ravenna. Es ist jezt wieder hergestellt. Der alte Goldgrund ist prächtig geworden. Aber die Deutschen haben sich nie an das Bild gehalten.

STAATSANWALT: An das Bild ... ist denn die ehrwürdige Gestalt nicht uns Allen gemeinsam?[110]

ATEIST: Nein, in Deutschland ist es meist der alte Oberförster im grauen Vollbart, der in einer Michelangelo'schen Draperie immer »durch den Wald geht«, und pensiv mit dem Zeigefinger auf seine Stirne verweist ...

STAATSANWALT: Sie freveln. Wer sagt Ihnen das?

ATEIST: Man hat es herausbekommen. Eine Zweigabteilung der Londoner »society for psychical research« hat in Deutschland 500 Schulkinder ausgefragt, und immer kam der alte Oberförster heraus ...

STAATSANWALT wankt zurük: Das ist frevelhaft. Ich weiß nicht, ob der Fall vorgesehen ist ... besint sich im Moment kann ich nicht sagen, unter welchen Paragraf dieser kriminelle Akt subsumirt werden kann – und das paßirt mir selten – in jedem Fall muß eine Kinderschuz-Gesezgebung inaugurirt werden ... das ist ja die reinste Kinder-Vivisekzion! ...

ATEIST: Ja, man wolte wißen, wie es in den jungen Köpfen ausschaut.

STAATSANWALT: Und Sie fürchten sich nicht vor dem Zorn des allmächtigen Gottes?

ATEIST: Ich bin gegenwärtig Sprecher einer freireligiösen[111] Gemeinde, und konte mich leider an den Studien nicht beteiligen; den Winter über habe ich meist Versammlungen zu leiten und den Nachmittags-Unterricht an Kinder zu erteilen, gegen das Frühjahr zu werde ich meist verhaftet.

STAATSANWALT: Aber erwägen Sie doch das Ungeheuerliche! – Sie scheinen ja sonst ein ehrlicher Mensch zu sein – erwägen Sie doch das Ungeheuerliche, eine Staatsordnung zerstören zu wollen, den Grund, auf dem unser Königtum wie die Gesellschaft ruhen, den Handgriff des Justizministers wie die Anklagemöglichkeit des Staatsanwalts, die Salbungsordnung des höchsten Adels wie den Ritterschlag des Johaniter-Ordens, die Mauer der Generalsuperintendenten wie die Zufluchtsstätte der Diakonißinnen ... das, worauf unsere Dome ruhen, dieses granitne Fundament wollen Sie zerstören ...

ATEIST: Gedanken sind stärker wie granit'ne Fundamente; wir wollen ...

STAATSANWALT: Sie sind ein Barbar! Gott haben Sie gelästert, den heiligen Geist haben Sie zu einem Strohwisch degradirt, wollen Sie sich auch an dem Heiligsten vergreifen, an Ihm, der kein Begriff, oder etwa nur eine Vorstellung war, wofür Sie das Göttliche halten, sondern der auf Erden gewandelt ist, an Jesum Christum, der die Dornenkrone getragen hat?[112]

ATEIST: Wir haben persönlich nichts gegen die Dornenkrone. Jeder fühlt die Stacheln in seinem Leib. Und wer – hören Sie! – seine höchsten und heiligsten Gedanken an Stelle des Alt-Hergebrachten sezen will, wer seinen Kopf um Alles in der Welt durchsezen will, wird – hören Sie! – mehr leiden müßen, als Irgend ein Anderer, der im 2000-jährigen Geleise bleibt – ja, wird den Tot erleiden müßen und die Dornenkrone tragen müßen ...

STAATSANWALT: ... Er, der sein Blut für uns vergoßen, der sein Leben auf der Schlachtbank für uns dahin gegeben hat.

ATEIST: Ja, da kommen wir schon wieder auseinander!: Kein Mensch kann sein Blut für mich hingeben, wenn ich nicht mag. Ich kann mit dem Blut von keinem Menschen Etwas anfangen, für den, oder für deßen Blut, ich kein Intereße habe.

STAATSANWALT: Was, Sie leugnen den Versöhnungstot Christi, die Lehre von der Erlösung durch das auf Golgatha vergoßene Blut?

ATEIST: Ich halte das ganze Christentum für ein Blut-Ritual, für ein hundertmal schlimmeres und wahrhaftigeres als das angebliche Blutritual der Juden ...

STAATSANWALT: Und der Erdboden verschlingt Sie nicht?[113]

ATEIST: Nein! Laßen Sie sich eine Geschichte erzählen.

STAATSANWALT: Und Sie atmen noch im Christlichen Staat?

ATEIST: Ja, laßen Sie sich eine Geschichte erzählen.

STAATSANWALT: Eine anständige, wenn ich bitten darf.

ATEIST: Vor mehreren Jahren lernte ich einen jungen Mann kennen, in jeder Hinsicht ein prächtiger Bursch, blond, gesund, offen, heiter, tüchtig, gebildet, ein in jeder Hinsicht klarer Kopf, dabei in seinem Gemüt kindlich, weichherzig, vornehm, sauber, in der Sprache Etwas Berükendes, Ueberzeugendes, Für-sich-Einnehmendes – nur, daß er sich zufällig für den deutschen Kaiser hielt...

STAATSANWALT: Hoz Donnerwetter! Was soll das heißen?

ATEIST: Notabene: ohne daß er es zufällig war ...

STAATSANWALT: Ja natürlich selbverständlich.

ATEIST: Und der sich wegen dieser einzigen Idee im Irrenhaus befand.[114]

STAATSANWALT: Selbstredend, ganz außer allem Zweifel.

ATEIST: Dort hielt er sich ruhig, geordnet, war fleißig, sittsam, freundlich, ein guter Beobachter, der die Krankheiten seiner Mitinsaßen wohl erkante, über sich selbst ebenfalls ganz klar, der den Aerzten gegenüber nur von dem unberechenbaren Zwang seiner einzigen Ueberzeugung sprach – ich höre ihn heute noch, wenn er mit seiner aufrichtigen Stimme, wenn man Gäste durchführte und ihm seinen Wahn hervorlokte, ruhig sagte: 'Ich kann's nicht anders sagen, als: ich bin der deutsche Kaiser!' – der den Widerspruch seiner Kaiser-Idee zu seinem Aufenthaltsort klar erfaßte, und doch unverrükbar dabei stehen blieb.

STAATSANWALT: Ein intereßanter Fall, ein sehr intereßanter Fall.

ATEIST: Nun sehen Sie, Ihr Jesus Christus, das war auch so ein 'deutscher Kaiser'.

STAATSANWALT: Um Gotteswillen, wo kommen Sie hin?

ATEIST: Natürlich nante er sich 'König der Juden'. Es ist genau der gleiche Tipus. Nur hatte dieser Galiläer sich nebenbei ein entzükendes etisches Sistem ausgebildet. Und das kam bei dieser Gelegenheit – bei seinem Konflikt mit der Staatsbehörde – zum Vorschein.[115] Und das war eigentlich der Kern von der Nuß.

STAATSANWALT: Sie lästern – das sind zwei Jahre – §. 166 – erschwerende Umstände.

ATEIST: Auch der junge Mann, von dem ich oben sprach, hatte immer die Neigung, in kleinen, süßen, die Welt mit Liebe umfaßenden, Lebensregeln sich zu ergehen. Schon die ganze Erscheinung war eine Herzlichkeit. Wenn er nur nicht, 'deutscher Kaiser' hätte sein wollen.

STAATSANWALT: Hierin lag ja eben die Krankheit.

ATEIST: Nein, sehen Sie gerade diese harmlosen, gutmütigen, kindlichen, unschuldigen Menschen sind es, aus denen der Wahn wie ein Dämon, man weiß nicht woher, hervorbricht. Mit 'Krankheit' kommen Sie hier nicht aus. Sie müßen den Begriff weiter nehmen. Das Merkwürdigste ist, daß solche Menschen, weit entfernt, sich von Andern korrigiren zu laßen, durch ihre Hartnäkigkeit – oder gar wenn die Dornenkrone hinzukomt – Andere zu sich bekehren, so daß es den Eindruk macht, die in ihnen wirkende geistige Potenz habe durch ihre Mächtigkeit die Anderen, Schwächeren sich unterworfen und zu Werkzeugen herangebildet.

STAATSANWALT: Aber ich bitte Sie, Christus war doch Gott, und Ihr junger Mann ein Narr.[116]

ATEIST: Ja, wir haben ihn zum Gott gemacht, wir können ihn auch wieder entgotten; können ihn wie der zum jungen, kranken, einfachen Menschen machen, zum Monomanen, wie jenen jungen Mann, und sein Bestes, seine Morallehre, für uns behalten: Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst! Alles komt auf uns an. Wenn Sie und ich wollen ist Er entgottet. Das ist ein Prozeß, der sich in uns vollzieht. Und wir sind die höchste Instanz. In Berlin warten eine Milljon Menschen auf diesen Prozeß.

STAATSANWALT: Gott ist doch das Absolute. Und Sie erinnern sich doch der Taube – über dem Jordan – die sich auf ihn herabsenkte ...

ATEIST: Ja, daß heißt, der jüdische Staat ging damals mit Jesus genau so um, wie der moderne Staat mit dem jungen Mann, der sich für den deutschen Kaiser hielt. Nur gab es damals keine Irrenhäuser. Also wurde Jesus unter irgend einen Paragraf – diese Dinge sind Ihnen geläufig – eingeschachtelt, und als politischer Verbrecher hingerichtet. Uebrigens kante man damals Geisteskrankheiten ganz genau, und seine ganze Verwantschaft hielt ihn für geisteskrank. Wenn Sie die 3 ersten Evangelien mit kritischem Blik zu lesen im Stande sind und von den ewigen und unausstehlichen Euphuismen und Floskeln der damaligen griechischen Biografen- Schreiber absehen, auch die in ihrer Regelmäßigkeit geradezu belustigenden Interkalazionen:[117] ›dies geschah aber, damit erfüllet würde, was der Profet sagt‹ als willkürliche Zutaten in Abzug bringen – die protestantische Teologie ist seit mehr denn einem Jahrhundert mit dieser Analise beschäftigt – dann erkennen Sie den Vorgang deutlich in seiner politisch-bürokratischen Abwiklung. Sie sehen die Familie, die Mutter, die Brüder, die hinter dem armen Gefolterten dreinlaufen und die neugierige Menge apostrofiren, nicht auf ihn zu hören, es sei nicht richtig mit ihm im Kopfe Mark. 3, 21; Sie können den Bezirksamtmann erkennen, der »von der Anschauung ausgeht, daß«, den Kreisfisikus mit seinem Hörrohr, der »nach Alledem zu der Meinung komt, daß wir es hier zweifellos zu tun haben«, die Spizeln, Häscher, agents provocateurs, Amtsmienen, Sekretäre, Federbüsche, kurz den ganzen administrativen Apparat, um so einen armen Teufel auf den Richtplaz oder in's Irrenhaus zu bringen.

STAATSANWALT: Das käme dann darauf hinaus, daß das ganze Christentum nur ein Betrug ist?

ATEIST: Das hat Ihnen doch schon Friedrich II., der große Hohenstaufen-Kaiser gesagt, der in Palermo begraben liegt. Das hat Ihnen dann der andere Friedrich II., der große Friz, wiederum gesagt, der in Potsdam begraben liegt. Und das hat Ihnen Bruno Bauer gesagt. Wie oft soll man's Ihnen denn noch sagen? – Uebrigens ...[118] Hören Sie auf! – Hören Sie auf! – Sonst rufe ich eine Kellnerin herbei und konstituire die Oeffentlichkeit und Sie werden wegen Gotteslästerung zur Höchst-Strafe, zu 3 Jahren Gefängnis, verurteilt. – Mir schaudert![119]

Quelle:
Oskar Panizza: Dialoge im Geiste Huttens. München 1979, S. 99-121.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon