Zweite Szene

[113] Verwandlung.

Das Himmels-Kabinett steigt langsam nach oben; die Szene wird dunkler, und macht einem tonnenartigen, nach unten sich verlängernden, düsteren, mit grauen Quadern ausgemauerten Tunnel Platz, der sich wie das Innere eines Turmes oder Ziehbrunnens scheinbar bis ins Unendliche nach abwärts erstreckt, und an dessen hinterem Ende eine morsche, verbarrikadierte, vielfach ausgebesserte Holzstiege sich befindet. Auf dieser sieht man bald darauf den Teufel nicht ohne Mühe, ächzend, sich am Geländer fest einhaltend, hinabsteigen, während die gleichzeitig nach oben rückende Szene ihn im Auge behalten läßt. Phantastische Vögel und Ungeheuer, die teils auf Stangen sitzen, teils in Hohlräumen des Mauerwerks lagern, pfauchen und krächzen ihm mit heiserem Ruf ihren Gruß entgegen. – Nach einiger Zeit mündet dieser brunnenartige Gang in einen größeren, finsteren, kellerartigen Raum, der durch ein traniges Öllicht nur teilweise erhellt ist und in dem zunächst nichts weiter zu erkennen ist als ein aus Binsen und Flechtwerk roh zurechtgerichtetes Lager rechts im Vordergrund. Die Öllampe ist auf

der andern Seite und mehr im Hintergrund. Der Teufel, der müde und humpelnd angekommen, geht einige Schritte seufzend hin und her, geht dann nach hinten; man hört eine schwere Truhe aufschlagen; er entledigt sich seines engen, schwarzen Gewandes, das er säuberlich in einen der Kasten legt, um in einem aus Tierfellen zusammengeflickten, warmhaltenden Flaus bald darauf nach vorn zu kommen. Er ächzt wiederum erst einige Schritte hin und her, wie nicht wissend, wohin er sich wenden solle, und setzt sich endlich quer auf sein Binsenlager, zieht die Füße an und vergräbt die Hände tief in das Wollhaar des Kopfes, Stirn und oberen Teil des Gesichtes auf diese Weise verdeckend.


TEUFEL mit sich redend. Da hockst du nun, Hund, wieder allein, und heimgekehrt zu dir; weltverlassen und verachtet; zurückgekehrt von der Audienz; Ahnenloser Geselle ohne Respekt und Reputation; und hast wieder einmal gesehen die goldausgelegten Gemächer der Hohen und Vornehmen.[113] Und du bist immer und bleibst der Lump, der Spitzbub, der krumme Kerl. Und die da droben, die dürfen tun, was sie wollen, es mag noch so platt, niedrig oder gemein sein, es ist immer edel und vornehm, weil es in den Gemächern des Nobeltums passiert. Und du magst tun, was du willst – und wenn du mit dem Kopfe dich bis zum andern Ende der Erde wühltest, – es ist immer niedrig und gemein und schuftig. – Pause, überlegt. Wenn du ein Graf wärest, dann wäre auch dein krummes Bein gräflich. Und wenn du nur ein Türsteher da droben wärest, dann wären auch dein Kopf und deine Gedanken himmlisch und engelhaft, wie dein Kleid, das du dann trügest. Aber so bist und bleibst du ein Hund! – Nur wenn du für sie was tun sollst, was sie selbst nicht können, oder was für sie zu schmutzig ist, dann lächeln sie dir und sagen: »Mein Freund! Mein Freund!« Aber wenn die Audienz vorbei, mußt du wieder herunter in Staub und Kot, und dann heißt's »Pfui Deifel! Pfui Deifel!« – Und so bist du ein erdgeborener, gebückter und verzerrter Kerl dein Leben lang, und humpelst herum mit deinem Fuß, und frissest Ärger und Grimm in dich hinein! Und doch! Und doch bist du mehr! Bist mehr als diese Firlefanz-Leute in ihrem Glück und Wolkenbau! Steckst mitten in der Welt; und in deinem Kopf stecken die Gedanken der Erde! Und wenn du hier allein bist, allein mit deinem Erdgeruch, und dein Kopf sich illuminiert, dann entsteht in diesem vergrämten Kopf, mitten in der Verzweiflung, ein Funken, ein Gift, eine Kraft, die wie ein Blitz, zündend und wetternd, durch die Welt fährt, und die Hülsenköpfe in ihrem Wolken-Heim erbeben macht. – Und brauchst keine Tiaren zu tragen, keine Ambrosia noch Sekt zu trinken, und scheppernd und glänzend dich zu zeigen, um glücklich zu sein. Bist so glücklich; glücklich, wie die andern nicht glücklich sein können! Glücklich in diesem Erdenloch, in diesem kostbaren Tunnel, diesem Hauch von Irdischkeit und Würze, diesem Welt-Geruch, der dich kräftigt und stählt, und Gedanken erzeugt, und zur Arbeit zwingt. – Und brauchst keine Ahnen und Vergangenheits-Register; bist blank und sauber; darfst von neuem, beginnen; brauchst nicht nichts[114] zu tun; die Arbeit sind deine Ahnen! Deine Ahnen produzierst du in die Zukunft! – Arbeit! Arbeit! – Springt auf. Also denn auf zur Arbeit! Er geht längere Zeit auf und ab, bleibt wiederholt stehen und sinnt nach. Also verführerisch soll es sein, das Ding, – na natürlich, sonst beißen sie nicht an; – »etwas Frauenzimmerartiges«, sagte Maria; – sehr gut! – Die Frauenzimmer kennen ihr Geschlecht immer am besten. – Aber giftig soll es auch sein; darin liegt ja die Strafe; und sie sollen das Gift nicht merken, es hinunterschlucken wie Sirup; – sehr gut! – das läßt sich machen. – Aber es soll dabei Seele und Leib vergiftet werden; aber nicht definitiv; nur bis zur Verzweiflung, bis zum Wahnsinn; sie wollen also sehen, wie sich die Menschheit krümmt und bricht; wie sie ihre Seelen ausleeren, wie einen Magen; – ich verstehe; – die Seele soll aber wieder reparierbar sein, – »erlösungsfähig«, wie sie sagen; – na, die Freude kann ich ja ihnen fürs erste lassen; ihnen und ihnen; – vom Leib haben sie nichts gesagt; sehr gut! – Als ob sich das trennen ließe! – Wenn ich den Leib toll und voll verseucht habe, und der ganze Kerl zum Teufel fährt – ah pardon – kaputt geht, dann möchten sie die Seele, nachdem sie schon auf dem Weg zu mir ist, noch erlösen! – Die Barmherzigkeit! – Na, das wird sich ja finden. – Geht wieder schweigend und nachdenklich auf und ab. Was soll das nun aber für ein Gift sein? Welches ruiniert, und doch wieder nicht ruiniert? – Mit organischen und chemischen Giften komm' ich da nicht aus! – Auch kann ich da nicht quantitativ vorgehen. Die schluckten ja und schluckten das Zeug hinunter – besonders, da es so süß ist – und pardauz lägen sie da! Ich kann da nicht dosieren. Ich kann doch kein ellenlanges Rezept an die Bettlade kleben: pro dosi soundsoviel! – Das muß also ein feines, neues und ganz besonderes Gift sein! – Welches weder den Geber noch den Nehmer sogleich vergiftet! – Das muß dann ein feines, schleichendes, langsam wirkendes Ding sein, welches sich ruhig weitervererbt, und in einigen lebenden Exemplaren immer frisch zu haben ist! – Dann – soll das Gift sich an das höchste Entzücken des Menschen anschließen, an den Liebestaumel, an das[115] naivste und köstlichste Glück, welches sie besitzen: damit es sicher zu allen dringt! – Ja, das heißt, das war eigentlich mein Gedanke! – Keine Verschiebung des geistigen Eigentums! – Na ja! – Wie nun weiter? – Woher nimmst du das Gift? – Überlegt, bleibt stehen. Na, aus dir. – Kühl. Gibt es denn etwas Giftigeres, die Adern Durchdringenderes, als du selbst? – Sehr gut! – Was weiter? – Wie wirst du's nun anstellen? – Überlegend, sehr langsam, mit vorgestrecktem Zeigefinger sich vordiktierend. Du mußt das Gift, welches an sich vielleicht zu stark ist und tödlich wäre, erst organisch abschwächen, und dann in einer lebenden Person verwirklichen! Patscht in die Hände. Hoppla, das ist's – Noch einmal: Du mußt das Ding erst organisch so mild machen, daß es ihre Mägen und Leber zunächst gut vertragen, und es gleichzeitig in einem Lebewesen, das ihnen gleich sei, personifizieren! – Sackerlot! – Und zweitens: dieses Lebewesen muß ein Weib sein! Und das Gift muß durch die bekannten Schläuche geleitet werden! – Und drittens: dieses Weib muß schön sein; und ich ihr Vater! – Sapristi! Reibt sich die Hände. Kommen wir auch einmal zum Zeugen! – Geht lange erregt auf und ab. ... Nun, und wenn ich dies Kunstwerk fertig bringe, was krieg' ich dann dafür? – Freund, nimm dich in acht! Diese Gelegenheit kommt nicht wieder! Jetzt hole die lang aufgespeicherten Speisezettel deiner Wünsche hervor! – Besinnt sich. – – Diese Stiege da Schaut nach oben. muß er mir reparieren. Das Gerümpel. Wenn ich da 'mal ausgleite, und breche mir den Fuß, dann bin ich ein ganzer Krüppel. – Dann, diese Falltüre da oben, die ist meiner unwürdig. Da stoß ich mich schon lange daran. Das soll ein schöner, freier Zugang werden, mit einem Geländer daran, und ein paar Teppichen. – Dann, diese Audienzmeierei habe ich ebenfalls schon lange satt. Wird der Zugang oben frei, muß ich auch freien Zugang haben! Ich muß stets unangemeldet kommen können. – Er kann ja auch stets unangemeldet zu mir herunter. – Dann Sehr bestimmt. muß Er mir meine Bücher frei drucken lassen, und ihre breiteste Zirkulation im Himmel und auf Erden erlauben. Das muß ich unbedingt haben. Ohne das gehe ich gar nicht an die Arbeit, Ausbrechend. Wenn jemand denkt,[116] und darf seine Gedanken nicht mehr andern mitteilen, das ist die gräßlichste aller Foltern. – Dieses reinste Entzücken, dieser Tropfen Lust, der Fässer voll Bitterkeit genießbar macht, daß andere das nachdenken, was du vorgedacht hast, – ist das so schwer zu begreifen?! – Also das ist Numero eins! – Dann – muß hier die Ventilation besser werden. – Glotzt lange an der Decke herum. ... Eigentlich könnt' ich mir das Ding hier mit Goldleisten ausschlagen lassen. – Ach, – es wird doch nicht heller ... Wie wär's, wenn Er mich zum Graf machte? – Graf Miraviglioso! Oder gleich ganz italienisch Conte di Miraviglioso; Signor Conte di Miraviglioso. – Pfui, schäm' dich! Hast du nicht gesagt, du willst ein ehrlicher Kerl bleiben? – Nun ja; ich wollte ja nur auf ganz kurze Zeit das tolle Empfinden haben, ganz ohne Grund etwas zu sein. Nur auf acht Tage. – Ich kann ihn ja dann meinem Ausgeher schenken. – ... Ein paar Orden könnt' ich mir bei dieser Gelegenheit geben lassen! – Dazu ist es wieder nicht hell genug da herunten. An der Beleuchtung fehlt es hier überhaupt. – Was noch? – Etwas bessere Garderobe! Dieses spanische Kostüm trag' ich nun schon seit Philipp II. Es ist unerhört. Und nur meine ganz außerordentliche Peinlichkeit erlaubt mir noch, überhaupt oben zu erscheinen. – Dann, um Gottes Willen, etwas Mobiliar. Ein paar Pfund Roßhaar werde ich doch noch wert sein. Und ein paar warme Decken. – Weiter! – Etliche Borten an meine Kleider; wenigstens Leutnants-Rang! – Dann: Einreihen, wenigstens in die letzte Hofrangklasse; mein Gott, ich helfe doch den Leuten in ganz außerordentlicher Weise. – Femer: ein kleines »von« –, und die Möglichkeit einer standesgemäßen Verbindung mit einer der Engel-Klassen; Gott, so ein zartes Geschöpfchen, neben mir, 's wär' ja zum Entzücken; sie mag so dünn und jung sein, wie sie will; ich richt' sie mir schon her! – Was noch? – Ein goldenes Portepee, 'n Kammerherrntitel, ein kleines Krönlein, 'n Herzogskragen oder ... Hält plötzlich inne, greift sich mit beiden Händen an die Stirn und schreit in tierischer Weise hinaus. Äh, – äh! – Bleib' fort! Er hält die Hände weit von sich wie um etwas wegzustoßen, das auf ihn eindringt, und weicht zurück. Äh! – Es kommt! – Es hat[117] mich! – Du Hund, hab ich dir nicht gesagt, wenn du über die Schnur haust, packt es dich! – Pfui Teufel! Spuckt aus, wie um etwas aus seinem Innern zu entfernen. Pfui Deifel! Es kommt! – Der Ekel, – er hat mich! – Pfui! – Pfui! – Oh, es ist zu spät! – Ekel! Ekel! Verdammte Sauce! – – Teufel, weißt du nicht mehr? – Weißt du nicht, daß du nur in der Entbehrung, im Finstern, nur unter der Marter gedeihst? – Und dann will der Kerl stolz sein! – Ah, – ah – Er macht Würgbewegungen, schleppt sich bis zu seinem Lager, wirft sich dort auf den Bauch, wälzt sich in Krämpfen, reißt aus der Matratze Stroh heraus, macht einen Knebel und steckt ihn sich mit in grimmigem Behagen in den Mund; – wird dann allmählich etwas ruhiger, liegt bewegungslos da, und scheint zu schlafen. – Lange Pause.


Währenddem hat sich im Hintergrund an der Rückwand des Gewölbes die Szene wie aufgeklärt; die Schicht wird heller und heller; zuletzt durchsichtig; es ergibt sich eine, wie es scheint, unermeßliche Perspektive; allmählich schwindet auch der letzte trübe Schleier, und man erblickt ein ungeheures Totenfeld, auf dem eine schier unfaßbare Zahl, wie es scheint, lauter Weiber, in Leibesgestalt, mit fahlen Gewändern, die einen hockend, die andern hingestreckt, teils die Arme aufgestützt, teils das Gesicht in den Armfalten vergraben, wie schlafend dortliegen; das Ganze übergossen von einem kalten, flirrenden, mondlichtähnlichen Schimmer. – Tiefe Stille. –


TEUFEL wacht langsam auf, hebt sich mit den Händen aufstützend matt empor; wie er sich umwendet und erblickt die Szene, fahrt er plötzlich zum Sitzen auf, reißt sich den Knebel aus dem Mund. Ah! – Ihr seid mir vorausgeeilt, Gedanken! Betrachtet lange mit Entzücken die Szene. Ihr habt Euch verwirklicht, meine guten Gedanken! – Und die gemeinen sind mir in den Magen gefahren, und haben mich krank gemacht; – so ist's recht! – – Du hast gebüßt, – und bist jetzt wieder ein ehrlicher Kerl! – Legt sich, noch immer etwas erschöpft, wieder in eine mehr ruhende Stellung zurück, aber so, daß er die Szene im Auge behält – matt und langsam. Welche von diesen wähl' ich mir jetzt aus als Mutter für mein glorioses Geschöpf? – ... Schön! – Verführerisch! – Sinnlich! –[118] Giftig! – Hirn und Adern verbrennend! – Ahnungslos! – Tollpatschig! – Grausam! – Berechnungslos! – Seelenschmutzig! – Naiv! – Lange Pause. Er erhebt sich dann zum Sitzen und ruft mit halblauter, aber klarer Stimme, in sanftem Ton. Helena – von Sparta – des Paris Geliebte – Trojanische Königin! – – Im Hintergrund erhebt sich aus der Reihe der Schlafenden langsam eine Gestalt mit langem schleppendem Mantel, der um die Taille durch einen Strick gleicher Farbe zusammengehalten, kommt langsam, wie schlaftrunken, mit geschlossenen Augen, den Lichtschimmer, der ihr aus dem Totenreiche anhaftet, beibehaltend, nach vom und bleibt vor dem Teufel stehen.

TEUFEL. Du bist damals mit dem jungen Laffen, dem Trojaner-Prinzen, auf und davon, und hast deinen Mann, den König, zurückgelassen; rein aus Verliebtheit? – Helena verneint schwerfällig mit dem Kopfe. Was? Nicht einmal verliebt? – Aus Neugierde? – Sie scheint sich zu besinnen; nickt dann wie schlaftrunken. – Nur, weil es dir gefallen hat? – Helena nickt. – Ohne etwas zu denken? – Nickt. – Justament? Wartet und nickt dann. – Und als dann der Krieg ausbrach, da dachtest du? – Nickt mechanisch, besinnt sich aber dann und verneint. – Dachtest dir: Es ist nun einmal so! Nickt und betont. – Geh', leg' Dich wieder schlafen – armes, dummes Ding! –


Sie wartet einen Moment, dreht sich dann langsam um und geht zurück auf ihren Platz, wie sie gekommen.


TEUFEL nach einer Pause, mit der gleichen hellen, sanften Stimme. Phryne – aus Athen – glatteste aller Hetären – komm'! Von dem Totenfeld erhebt sich aus einer andern Reihe ein Weib im gleichen Anzuge wie die erste und kommt näher. Blasseste aller Zauberinnen, du hast Tausende von Männern in dein Garn gelockt, sie arm und elend gemacht, ihnen Geld und Gedanken geraubt, – hast Philosophen genarrt, – Richter bestochen, – Staatsgesetze umgestoßen, – Krieg angezettelt, – Reichtümer angehäuft, – hast dich als Göttin geriert, – dich anbeten lassen, – hast dein Vaterland verhöhnt, – wolltest deinen Namen wie eine schmutzige Reklame auf die Mauern Thebens setzen – und dafür bezahlen, – hast dich nackt[119] vor allem Volk gezeigt, – in Korinth die Tempel und Statuen bauen lassen, – hast fortgehurt, bis deine Haare weiß wurden – und wurdest schließlich in einem Tempel, in den du dich geflüchtet, wie ein unreines Tier erschlagen? Nickt wiederholt stumm auf alle Fragen. – Warum? – Aus Liebe? Verneint. – Aus Leidenschaft? Verneint. – Aus Laune? – Nickt. – Weil du schöner und blasser warst, als alle andern? Nickt. – Hast gar nichts dabei gedacht? – Verneint. – Ließest den Dingen ihren Lauf? – Bejaht. – Geh', du harmloses Kind, du bist unschuldig! –


Geht langsam und schweigend ab, wie die erste.


TEUFEL nach einer Pause, weiter. Héloise, – Äbtissin von Paraclet – Latinistin des 12. Jahrhunderts! – Eine dritte Gestalt erhebt sich aus dem Totenfeld und kommt im gleichen Anzug, wie die vorigen näher. Du hast studiert, – und hast geliebt, – und hast Kinder gebracht, – und hast deinen Lehrer, Abaelard, die Leuchte des Jahrhunderts, verführt, – und deine Familie in Spott und Schande gejagt, – bis sie dir deinen Geliebten zum Kapaun machten, – und dich zur Nonne, – und hast dann deinen verschnittenen Abaelard fortgeliebt, – und ihm brünstige Briefe geschrieben – bis man dich zur Äbtissin machte; – und als Äbtissin hast du weiter studiert, und ihn weiter geliebt, und weiter – wenigstens in der Phantasie – Kinder gebracht, und mit deinem längst abgekühlten Freund imaginative Scheußlichkeiten begangen, die man selbst in der Hölle nicht sagen darf, – und hast ihm geschrieben: lieber wollest du des Abaelard Hure als des Kaisers rechtmäßige Gattin sein; – und als er starb, hast du dir seine Leiche kommen lassen, und hast ihn immer noch geliebt, und ihn mit deinen eigenen Händen begraben; – und dann hast du ihn noch zwanzig Jahre auf Kosten deiner Phantasie weiter geliebt; – bis du selbst starbst? – Hat zu allen Fragen stumm genickt. – Warum? – Aus Liebe? – Bejaht heftig. – Aus reiner Liebe? – Bejaht intensiv. – Kind, du bist ja schon für den Himmel reif! – Halte dich parat, wenn die Posaune ertönt, kommst du zuerst dran! – Inzwischen geh', und schlaf weiter! –


Gestalt geht ab.


TEUFEL für sich. Ich hab' doch verdammt wenig Grandioses in der Hölle; muß mir 'mal 'n Scheusal holen! – Besinnt[120] sich, dann nach einer Pause. Agrippina, – Mutter, Gemahlin und Mörderin von Kaisern, – und Gemordete eines Kaisers, – komm'! – Eine Gestalt erhebt sich aus anderer Gegend. – Du hast etwas viel auf dem Kerbholz, Freundin; – mit 14 Jahren heiratetest du deinen Mann, und läßt dich herbei, ihm nach neun Jahren eines der größten Scheusale, den Nero, zu gebären? – Dafür kannst du nichts! – Tröste dich, wir haben jetzt eine Schule, die dir nachweist, daß du auch für die anderen Sachen nichts kannst; nur ist diese Lehrmeinung noch nicht bis zum Himmel gedrungen. – Du vernachlässigst also deinen Mann, und gibst dich dem Lepidus hin; – das war damals so Sitte! – dann verbindest du dich mit deinem Freier, um deinen Bruder, den Kaiser Caligula, zu ermorden; – es gelingt nicht! – dafür kannst du wieder nichts, – d.h. du warst nicht geschickt genug! – Endlich wird aber Caligula doch ermordet, – wie das damals so Sitte – und du wirst wieder hoffähig; – du versuchst dann vergeblich einige andere vornehme Römer zu kapern, bis sich endlich der reiche Advokat Passimus – den ich für gescheiter gehalten hätte – herbeiläßt, und mit dir eine zweite Ehe eingeht; du vergiftest ihn dann, und beerbst ihn! – doch das haben schon andere vor dir gemacht; das war damals so Sitte! – dein folgendes Stückchen war dagegen schon viel origineller: du spielst so geschickt hinterm Vorhang – von deiner Villa aus – daß du die Kaiserin Messalina von ihrem Gemahl, dem Kaiser Claudius, abschlachten lässest, heiratest dann selbst den Kaiser Claudius und wirst Kaiserin! – Was dann folgte, der von dir inszenierte Selbstmord des Lucius Silanus, die Verbannung seiner Schwester Junia und die Verbannung der Lollia Paulina, deren Kopf du dir nachträglich aus der Verbannung zurückholen lässest, waren mehr Nebenabfälle; du folgtest darin den Sitten deiner Zeit. – Dann verschaffst du dir den Beinamen ›Augusta‹, die Heilige, lässest deinen Sohn Nero von deinem neuen Gemahl, Kaiser Claudius, adoptieren, lässest ihn dann mit der Tochter dieses Kaisers Claudius, Octavia, vermählen, ververgiftest dann diesen Kaiser, deinen Gemahl, und rufst deinen Sohn Nero zum Kaiser aus. – Das war nämlich damals ganz neu! – Du vergiftest dann noch ein paar[121] Konsuln, Prokonsuln und Nebenbuhlerinnen, und wirst letztlich von deinem eigenen Sohn Nero ermordet! – Die Gestalt hat auf alle Fragen stummnickend geantwortet. – Hör' mal, Agrippina, du bist eine ganz scharmante Person, aber ich vermisse in deinem ganzen Tun den eigentlich künstlerischen Impuls – die Naivität; – alles hängt ab von deinem maßlosen Ehrgeiz! – Das ist krankhaft! – Das wird auf die Dauer langweilig! – Wir fassen die Sachen jetzt anders auf! – Nicht ein schöner Mord in deiner ganzen Geschichte! – Ich kann dich wirklich nicht brauchen! – Geh' nur und leg' dich wieder schlafen! – Schlaf sanft!


Gestalt ab.


TEUFEL nach einigem Überlegen, für sich. Jetzt hab' ich noch eine Nummer, die Herodias; – aber halt, ich nehm' statt der Mutter lieber die Tochter! Ruft. Salome, – schöne, junge Tänzerin, – komm' zu mir! – Weit hinten erhebt sich eine schlanke, jugendliche Erscheinung, und kommt näher, eine freundliche, heitere Erinnerung auf ihrem Gesicht. – Sag' mir einmal, mein hübsches Kind, du warst damals auf dem Bankett bei Herodes zugegen? – Bejaht. – Und da tanztest du? – Bejaht. – Warum tanztest du? – Sie weiß es nicht. – Nun, du tanztest eben, weil junge hübsche Mädchen überhaupt gern tanzen, – und weil du Tanzstunde gehabt hattest? – Bejaht. – Und du fandest Beifall? – Nickt. – Und Herodes sagte dir, du solltest dir 'was schenken lassen? – Nickt. – Und du ließest dir einen Kopf schenken? – Nickt. – Einen Menschenkopf? – Bejaht. – Einen lebenden Menschenkopf? – Bejaht. – Weshalb? – Sie weiß es nicht. – Zum Spielen? – Sie zaudert und bejaht schließlich. – Und Herodes schickte dich mit dem Henker ins Gefängnis, und der schneidet dir dort einen Kopf ab? – Nickt. – Das war der Kopf des Johannes? – Bejaht gleichgültig. Der ward dir auf eine Platte gelegt, und du kamst dann damit herein in den Bankett-Saal? – Nickt. – Das Blut lief wohl in der Platte herum, – und machte sie schließlich ganz voll? – Nickt. – Es netzte deine Finger? – Bejaht lebhaft. – War dir das angenehm, oder unangenehm? – Bejaht. – Ja, was? – Angenehm oder unangenehm? – Sie reibt die Hände gegeneinander. – Es kitzelte dich? – Bejaht sehr deutlich. – Du hast wohl sehr feine Finger? – Keine Antwort.[122] – Und dann, – dann schenktest du den Kopf deiner Mutter? – Bejaht. – Warum? – Zuckt mit den Achseln. – Er war eben schon tot? – Nickt traurig. – Und du wolltest doch einen lebenden haben? – Bejaht. – Ja, die abgeschnittenen Menschenköpfe halten sich nicht lang! – – Sag mal, hast du einen von den Leuten gern gehabt, was man sagt, lieb? – Weiß nicht, was sagen, und verneint schließlich. – Den Herodes? – Verneint. – Den Johannes? – Verneint. – Deine Mutter? – Zuckt mit den Achseln und verneint. – Aber deinen abgeschnittenen Kopf, den hattest du gern? –


Bejaht sehr deutlich.


TEUFEL springt plötzlich auf. Kind, du bist mein Fall! – Geht auf sie zu. Aus dir läßt sich noch 'was machen! – Er schließt sie, halb von rückwärts kommend, leicht in seine Arme. Du sollst mir heut' in mein Schlafgemach folgen!


Die Gestalt hört man tief und vernehmlich stöhnen.

Während des Folgenden fallen über dem Totenfeld wie im Vordergrund schwarze, anfangs noch durchsichtige Flore und Schatten herab, die die ganze Szene immer mehr verdüstern.


TEUFEL die Gestalt sanft mit sich nach rechts fortführend. Wir haben große Dinge mit dir vor! – Du sollst die Ahnin eines grandiosen Geschlechtes werden, an das kein Aristokrat hinankann! – Deine Nachkommen werden weder blaues noch rotes, sondern weit merkwürdigeres Blut in ihren Adern führen. – Und du wirst die Mutter sein. – Deine Qualitäten sind einzig in meinem großen, ungeheuren Reich! – Selbst oben, bei Hof, sieht man unsere Verbindung mit gnädigem Wohlwollen! – Er verschwindet mit ihr; die Stimme klingt immer entfernter. Morgen schon darfst du zu deinen Schwestern zurück! – Unser heißes Temperament läßt Schaffen und Entstehen sich in unglaublich kurzer Zeit vollenden! – Zeugen und Gebären rückt durch unsere Gewalten in wenige Stunden zusammen! – Komm', mein Kind, komm'! –


Das Totenfeld ist jetzt verschwunden. Die Flore fallen nun auch im Vordergrund immer dichter; so daß die Szene bald ganz verdunkelt ist. – Man hört in der Ferne noch einen gellen weiblichen Schrei. –

Dann wird es schwarze Nacht, und der Vorhang fällt.[123]


Quelle:
Oskar Panizza: Das Liebeskonzil und andere Schriften. Neuwied und Berlin 1964, S. 113-124.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Liebeskonzil
Das Liebeskonzil: Eine Himmelstragödie in fünf Aufzügen
Das Liebeskonzil
Das Liebeskonzil. Eine Himmelstragödie in 5 Aufzügen.
Das Liebeskonzil. Eine Himmelstragödie in fünf Aufzügen
Das Liebeskonzil: Eine Himmels-Tragoedie in fuenf Aufzuegen

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Clementine

Clementine

In ihrem ersten Roman ergreift die Autorin das Wort für die jüdische Emanzipation und setzt sich mit dem Thema arrangierter Vernunftehen auseinander. Eine damals weit verbreitete Praxis, der Fanny Lewald selber nur knapp entgehen konnte.

82 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon