Vierter Aufzug.


[57] Nero, ein Zenturjo; später ein Soldat, eine Stimme; noch später Akte; dann Tigellinus, zwei Bewafnete; zulezt Charmis, zwei Diener, zwei Sklaven.

Prunkgemach des Kaisers wie im ersten Akt; rechts vorn ein kleiner Spieltisch mit zwei niederen Sizen, die rechts und links stehen; ein dritter höherer Siz steht nach Hinten.

Nero allein, in weißseidener, goldgeränderter Toga, sonst schmuklos, das Haar ohne Spange, in leisen Sandalen, bequem und ohne Haltung, geht längere Zeit, mit sich selbst meditirend, und offenbar erregt, jenseits des Spieltisches nach Rechts und Links, die Hände auf dem Rüken, auf und ab.


ZENTURJO von Rechts hinten, bleibt stehen, will nicht stören, wird dann bemerkt. Ich komme von der Appischen Straße ...

NERO energisch. Ist Seneka tot?

ZENTURJO zögernd. Er befand sich eben bei ernster Arbeit, als die Kohorte bei ihm eintraf ...

NERO widerwärtig. Keine Details! Was soll das? – Ist er tot? – Frech. Is er hin? –

ZENTURJO langsam. Er verblutete diesen Morgen ... Wartet. ... wir waren kaum von ihm erwartet, – und doch schien er nicht im Mindesten bestürzt ...

NERO winkt ihm ab. Danke, danke! – Verbitte mir ein für allemal diese rührseligen Erzählungen! ...[58] Tiraden! – kann mir schon denken, daß er noch zwei Reden gehalten hat, – und noch den Entwurf zu einem Traktat »über die Unsterblichkeit« losgelaßen hat – Ausbrechend. dieses Geschwäz habe ich zwölf Jahre mitanhören müßen! – Wischi-Waschi! – Kling-Klang! – Profeßorenfrasen! ... und dabei hübsch gegen das Staatsoberhaupt konspiriren ... oh, diese Filosofen! – diese Retoren! – diese Aristokraten des Geistes! ... Er geht heftig hin und her.


Pause.


Zenturjo macht eine Bewegung, um sich zu entfernen. – Ja, ist schon gut! – Zenturjo ab.Bei steigender Erregung, spricht mit sich selbst. ... Wieder Einer – und wieder Einer! – und das hört nicht auf, das wächst nach wie bei der Lernäischen Schlange, sezt sich fort auf Kind und Kindeskind, auf Enkel, auf Gattin und Schwester – stekt an wie eine Idee, wie Feuer um Feuer frißt ... Wartet. Sie wollen nicht! – wollen nicht! – wollen sich mir entgegenstemmen! ... Überlegt. Aber, kann ich das helfen? – Kann ich da etwas machen? – Kann ich? ... Bleibt stehen. Nein! – Sie müßen! Geht weiter. – Sie müßen! – Haben Mir die Götter dieses Reich gegeben, um es verkommen zu laßen? – Soll Ich diese Welt, die Mir in den Schoos fiel, zu einem Spielball für Andere werden laßen? – Bin Ich nicht der Talentirteste für dieses Imperjum? – Wachen in Meinen Kopf nicht die Blize des Gedankens, die Fakeln des Schenies? – Warum haben Mir, gerade Mir, hier Zupft an seiner Toga. diesem Fleisch, diesem Blut, diesen Adern die allheiligen Götter dieses Reich gegeben? Mußten sie nicht wißen, daß Ich der Gemeßenste bin? Oder, für den Fall nicht, daß Ich den gemeßensten Gebrauch machen werde? – Warum wurde Burrus nicht Kaiser? – Warum nicht Seneka? – Warum mußte Britannikus sterben? – Agrippina den Dolchen der Mörder erliegen? – Warum[59] hielten sie das Alles nicht auf? – Betonend. Nein, – sintemal Ich hier bin, von der kaiserlichen Glorie umflamt, von den ewigen Göttern hiehergesetzt, will Ich herrschen, sollen die Andern gehorchen, müß-en die Andern gehorchen, und wenn es Senatoren-Köpfe regnen solte! ... Erfrischt; wischt sich den Schweis ab.


Pause.


... Bitter nikend. Diese Spizbuben von Senatoren – diese Halunken von Potifizes – diese – ah, dieses ganze gehaltshungrige, auszeichnungsbdürftige Gesindel mit seinen kleinen Gedanken, soll Ich das arbeiten laßen? – Diesen bunten Haufen heruntergekommener, hinaufgeturnter Beamten, die für einen gnädigen Blik Alles, – Alles unternehmen – soll Ich Die wirtschaften laßen? ... Mit entschiedener Handbewegung. Nein, diese Meute muß zusammengekoppelt werden, die Guten und die Bösen, – die Guten zur Aufmunterung, die Bösen zur Knebelung – diese Leute wollen das Halsband, brauchen das Halsband, fühlen sich wol im Halsband, sind bestimt für das Halsband – Ausbrechend. ah, ja ja: die Freiheit, die römische Freiheit, die alte, römische Freiheit – ja, das mißt Ihr nicht, daß die nicht mehr kommen kann! – daß dieses mächtige, koloßale Imperjum nicht mehr mit dem tribunizischen Veto, mit der konsularen Tatkraft, mit der Geschiklichkeit eines Szipio Afrikannus übersehen werden kann! – die Freiheit ist hier Deutet auf den Fußboden.hier ist die römische Freiheit versammelt – die römischen Freiheiten steken in meinen Kopfhier Deutet auf seinen Kopf. sind die römischen Freiheiten versammelt! Er argumentirt in die Luft. Alles könt Ihr haben – Lust, Freude, Vergnügen, Pantomimen, Flöten-Konzerte, Gerichtsverhandlungen, Tierhezen, Gottesdienste, Sarturnalien – aber durch Mich – hier Strekt weit die Hände hinaus. durch diese Hände – von Mir gehen alle diese Strahlen aus, die Euch[60] erleuchten, Euch erwärmen – Ich will Euch erleuchten und erwärmen, Euch glücklich und froh machen – aber ich will es, muß es, kann es – versteht doch Euren Kaiser! – Ich teile das Alles aus – hierhin und dahin – gerecht und billig – wie es die allewigen Götter befehlen – denn der, durch den die allewigen Götter zu Euch sprechen, bin Ich! ...


Lange Pause.


Er geht langsam und schwerfällig zu dem Tische rechts, läßt sich, mit dem Gesicht gegen das Proszenium, erschöpft nieder, und stüzt müde den Kopf auf. Und doch – und doch!doch ist dieser Kopf in einer grauenhaften Zerrüttung – Langsam. doch weiß Ich oft nicht, woher diese Gedanken kommen, – wohin sie gehen – Fängt zu weinen an. Ihr dreimal heiligen Götter, was habt Ihr in diesem Kopf beschloßen, das ich nicht ergrübeln kann? ... Ruhig und ernst. bin Ich ein Mißetäter? – bin Ich ein Schuft? – bin Ich ein Mörder? – – hat man Mich nicht zum Aeußersten getrieben? – hat das Staatswol nicht die Opfer verlangt? – haben nicht die Götter durch Mich gehandelt? – kann Ich ein Mißetäter sein? – kann Ich ein Mörder sein? – Leiser und betonend. kann – Ich – Schuft sein? ... Noch leiser, paßt auf. woher diese lemurenhaften Geräusche? Start hinaus. – woher diese Einflüsterungen? – – woher diese Verdächtigungen? – sind das Meine Gedanken? – – kann Ich denn ein Schuft sein? – sind es fremde Gedanken? – wie kommen sie dann in Meinen Kopf? – – Nachdenklich. hab' Ich nicht die Manen versühnt? – Weint. der Mutter dreifach heiliges Opfer gebracht? – die Schatten zwanzigfach besänftigt? – die Magier heilige Sühnopfer bringen laßen? – 60,000 Sesterzien für ihr Grabmal ausgeschüttet – ihre Bildsäule zu den Göttern gestelt – es mit Rosen und Blumen umkränzt – Betonend den Finger erhoben. für etwas, was das heiligste Staatswol erforderte![61]Sinkt wieder zurük, leiser. Alles getan! – Noch leiser. Alles ... Er start mit gläsernen Augen vor sich hin.


Pause.


STIMME von Rechts aus der Wand, dicht neben ihm, zischen, mit heller Mund- und Rachenstimme, sehr langsam, die zweite Silbe weit hinausdehnend. Scheu-ß-aaal! –

NERO erwacht. Wer? – Ich! – Warum? – – Erwacht ganz. Ich Götter! – Tollheit! – das kann ja nicht sein ... Springt auf. He, Haloo! – Zenturjo! – Halunken! – wo seid Ihr? ... Läuft nach Hinten.

ZENTURJO stürzt herein, erschroken. Herr und Gebieter, wer stört Dich?

NERO befehlend und auf die Wand deutend. Warst du? ... Wo warst du? – Ohne die Antwort abzuwarten, redreßirt sich. Ach, natürlich! – Tollheit! – Du warst drüben Deutet nach dem Hintergrund. auf der Wache! – Natürlich! – Was willst du? – Ja so! – Na, geh' nur hinüber Inzwischen ist ein zweiter Soldat mit entblößtem Schwert hereingestürzt. – geht nur Alle Beider hinüber! – Was wolt Ihr eigentlich? Er wendet sich ab.Die beiden Sklaven ziehen sich verduzt und langsam zurük.Er fält nach wenigen Schritten auf dem Polster zusammen, wo er schluchzend das Gesicht in der Toga verbiegt. Was ist geschehen? – Was ist geschehen? ...


Pause.


AKTE tritt langsam mit einem der Soldaten, der leise mit ihr spricht, in stummer Besorgnis von Rechts hinten auf; sie ist ganz in Weiß gekleidet, hager, schlank, bleich, die schwarzen Haare ohne jeden Schmuk; sie bleibt in der Ferne in trostlosem Anblik Nero mit gekreuzten, nach unten gefalteten Händen stehen; dann näher kommend. Zäsar, eine grenzenlose Angst treibt mich her zu Dir ...

NERO ist plözlich aufgesprungen, geht stark verwirt, wie wütend auf sie zu. Ha, Hexe, du bist es! – Zauberin! – Lemure! – was wilst du? – Du warft es! – Du warst es! ... Kanalje, sag': Scheu-ßaaal! sag': Scheu-ßaaal! Dringt auf sie ein.[62]

AKTE wirft sich ihm zu Füßen. Bei allen Göttern, Zäsar ...

NERO dringt wütend auf sie ein. Du solst Scheußaal! sagen! ...

AKTE umklammert ihn. ... solch niedrig Wort ist nie über meine Lippen gekommen! – Töte mich, Zäsar, wenn es Dir Gewinn bringt, wenn es Dich glüklich macht – aber erniedrige mich nicht, erniedrige nicht diejenige, die Du einst zu Dir erhoben – – Zäsar, ich beschwöre Dich bei Deinem goldenen Herzen, bei Deiner Herzensgüte, die ich gekostet, und die das Volk anbetet ... Nero beruhigt sich.Springt auf, umschlingt ihn. – was hast Du? – sag' mir, was hast Du – kann ich Etwas tun? – ich will mein Landgut verkaufen, meine Sklaven verschenken, die Kostbarkeiten, die Du mir einst zu Füßen gelegt, hieher bringen, wenn ich eine Minute der Nachtruhe Dir erkaufen kann ... Er sieht von der Seite zu ihr hinüber und trift ihr Auge. – sag', Du kleiner, dummer Junge, was ist das mit Dir? – was hast Du, mein Kind? – Sie troknet ihm die Stirne. beim Herkules, Du bist ja in tausend Totes-Aengsten Ordnet ihm die Haare. – bist ja wie gefoltert – Sie gehen zusammen nach Rechts zu einem der Wandpolster. ...

NERO sizend, freundlich, aber noch mistraunisch, Akte zu seinen Füßen. Hast du 'was gesagt? –

AKTE. Ob ich 'was gesagt habe? – Ich spreche ja die ganze Zeit mit Dir!

NERO. Hast du vorhin 'was gesagt?

AKTE. Vorhin? – Ich habe mit einem Soldaten der Wache gesprochen!

NERO. Was hat er gesagt?

AKTE. Er hat gesagt, daß Du krank bist.

NERO. Krank? – Lächerlich!

AKTE. Daß Du Dich unwol fühlst.[63]

NERO. ... Was hat er sonst gesagt?

AKTE. Er hat Nichts gesagt. – Er wolte mich nicht vorlaßen! Ich sagte: ich müße den Zäsar sprechen ...

NERO. Wo komst du her?

AKTE. Ich komme vom Kapitolinischen – wo ich für Dich gebetet habe – und wo sich plötzlich eine furchtbare Angst meiner bemächtigte ...

NERO schielend. ... Du kleines Närrchen, denkst immer noch an Mich? ...

AKTE mit unterdrüktem Gefühl. O, Zäsar, ich liebe nicht den Herrn der Welt in Dir – ich liebe in Dir den guten Menschen, der mich aus dem Staub geholt, mich von der Gaße genommen, mich, die Sklavin, geküßt, vor aller Welt geehrt, mir sein Herz geschenkt – sein – Herz – ge-schenkt ... Sie schluchzt auf seinen Knieen.

NERO rasch, erhebt sich, geht nach Links vorn, – Akte ihm nach, – mit schmerzlichem Akzent. ... Kind, die Schäferstunden sind vorbei! – die Tändeleien sind vorüber ...

AKTE stürmisch, ihn umhalsend. Was hast Du? – Sag' mir! – Du brauchst mich nicht mehr zu lieben! ... Sag' mir, wo Dein Gefühl verwundet ist – Alles ist ja tot um Dich, was Dir hätte nachstellen können: Britanni ... Er fixirt sie scharf, und die verstumt. – – Schmeichelt. Zäsar! – mein Junge! – sag' mir, wo ich Dir helfen kann ... was Dir fehlt ... Ganz Rom rüstet sich, zum Dank für Deine Errettung aus Mörderhänden den Göttern heilige Opfer darzubringen, und, Du allein bleibst kalt, tot, mutlos, verdroßen! –

NERO grübelnd, sucht in sich, halblaut, langsam. ... Mein Gehör ist so scharf geworden ... ich höre Dinge, die ich beßer nicht hörte ... es ist fatal, Alles in der Welt hören zu müßen ...[64]

AKTE gütig. Was hörst Du? –

NERO mit sich selbst überlegend. ... Es ist Folge meiner Anstrengung, – in diesem großen Verwaltungskörper – Alles genau – er-hören, erfahren zu wollen – die Folge Er wischt sich über das Gesicht, wie um den richtigen Gedanken zu erhaschen. – eines Bedürfnißes, in alle Poren dieser Welt einzubringen ...

AKTE harmlos. Ei, dann schließ Dich doch ein!

NERO. Ja dann eben hör' ich es!

AKTE erstaunt. Dann hörst du es! – Und was? –

NERO zerstreut. Ach – Unannehmlichkeiten des Reichs.


Pause.


AKTE schmeichelnd. Komm, Zäsar – laß dich aufheitern! – hol' Terpnus, – er hat 'ne neue Harfe bekommen – laß das dumme Zeug – sei wieder der Alte! ...

NERO. Nein, laß' Kind! – es ist vorbei! – man lebt nicht eine Sache zweimal – Geh und flehe zu den Manen der Verstorbenen – um Vergebung. – Sie haben sich nach Hinten gewant. – Geh! – Da sie zögert, gebieterisch. Geh!Sie wirft sich ihm zu Füßen, faßt seine Hände, küßt sie, weint; – steht dann auf, und geht, ohne ihn nochmals anzusehen, nach Hinten, zulezt langsam, nach Rechts ab.

NERO hat ihr nachgesehen, steht etwas nach Links, gegenüber dem Spieltisch, horcht gespant nach der rechten Seite.


Lange Pause – es herscht Totenstille.


STIMME von rechts, wie oben. Scheu-ß-aaal

NERO taumelt zurük totenblaß, mit ringendem Atem; – weicht noch mehr zurük; endlich, wie auf einem Umweg, sich nach Hinten rechts wendend, wo Akte abgegangen, wütend, mit erhobener Faust. Ha, Kanalje! ... Geht in langsamen, lauernden Säzen nach Rechts hinten ab.


Pause.


ZENTURJO UND SOLDAT kommen plözlich erschroken hereingestürzt. Er ermordet uns! – Er rast! – Eil' auf die[65] Wache! – Nach Links zeigend. Dort hinaus! Hier begegnen wir ihm! – Er komt! ... – Beide nach links ab.


Pause.


NERO komt von Rechts langsam, stark verwirt, mit gezüktem Dolch; schaut sich starr um; horcht gespant; geht dann, wie lauernd, auf die rechte Seite der Tapetenwand, in der Nähe des Spieltischs, von Zeit zu Zeit horchen und aufpaßend; stürzt sich endlich wie wütend auf die Wand, zersticht und zerreißt die Tapete, zersticht die Polster daselbst, wirft sie herab und zerstreut sie im Saal. Ha, Ihr Halunken – Ihr Mörder! – Diebsgesindel – Ihr Einbrecher! Wagt Ihr so mit dem Herrn der Welt zu sprechen? – Fahrt zum Hades! – An den Galgen mit Euch! – Jammer- – Jammer- – Jammergestalten! ... Er betrachtet in Verzweiflung sein Zerstörungswerk; scheint unsicher über sich; wirft den Dolch weg; jammert und flucht; retirirt endlich voll der furchtbarsten Angst nach Links, wo er sich auf ein Polster flüchtet, die Beine nach oben zieht und mit gespanter Haltung, keuchendem Atem, gänzlich verwirtem Blik die verdächtige Tapetenwand im Auge behält.


Lange Pause.

Man hört draußen Stimmen, Fragen, Rumor. – Endlich tritt Tigellinus mit zwei Bewafneten von Hinten rechts ein.


TIGELLINUS bleibt erstaunt stehen, mit sicherer Vertraulichkeit. Bist Du das? – Zäsar! – Was ist? –

NERO weinerlich. Mich friert, Tigellinus, mich friert ...

TIGELLINUS winkt schleunigst die Begleiter fort; diese ab. Beim dreimal heiligen Genius der Pferdswäscher und Roßbollensamler, ist das eine Aufführung für einen Kaiser? – Laß Dir doch einen thrazischen Ofen kommen! ...

NERO wie oben. Ach Tigellinus, es ist – es ist keine leibliche Kälte ...

TIGELLINUS. Keine leibliche Kälte? – Na, dann laß Dir' ne Hure kommen! – Ruf' die Drusilla! ...

NERO. Ach, mein süßer Tigellinus, bleib bei mir, es ... es ... mich verzehrt die Angst! ...[66]

TIGELLINUS. Gütiger Mars! Da spionier' ich das Reich aus und hole ihm die gefährlichsten Köpfe bis aus Gallien und Asien – und er ergibt sich hier der Furcht! ... Weißt du, daß, wer das Handwerk eines Kaisers ergriffen hat, niemals, nie, für eine Sekunde, aus der Pose des Gottes Strekt sich, macht eine hoheitsvolle Bewegung. fallen darf ... sonst ist er verloren! ... Schauspieler, wie Wir, dürfen nie aus der Rolle fallen, sonst Macht eine droßelnde Bewegung am Hals. pfeift man uns aus! ...

NERO kriecht allmälich herunter von seinem Siz. Ja, ich weiß, Du hast Recht ... aber ...

TIGELLINUS nach Rechts, auf die Zerstörung zeigend. Was ist denn das? – Haben hier die Germanen gehaust?

NERO noch voller Angst. Ich weiß nicht – wie das paßirt ist.

TIGELLINUS. Wer hat die Tapete zerrißen?

NERO sich besinnend. Ich denke das Lattenwerk ist hier gebrochen ...

TIGELLINUS sieht auf die jämmerliche Erscheinung des Zäsar. Guter Freund, Du bist ja wieder in Deinem grenzenlosesten Stadium! ... Ruft nach Hinten. He da! – Seine zwei Begleiter kommen. Auf die Wand weisend. Das hier in Ordnung bringen! und ... dem Hauspräfekten sagen laßen, diese Wand neu zu stüzen – bevor dem geheiligten Haupte des Herrschers Gefahr droht! ... Die Diener bringen rasch die Polster in Ordnung und entfernen sich auf einen befehlenden Wink Tigellinus' wieder.Pointirt. diese Leute sindmir ergeben, aber – wenn dich so ein Prätorjaner sieht – in zehn Tagen ist Galba Kaiser! Nero erschrikt. – Ja, beim Herkules, wer mit Anderer Leute Köpfe spielt, muß den seinen beisammen haben! ...

NERO kleinlaut. Meinst du, daß Britannikus ...

TIGELLINUS gelang weilt. Jezt gehen wieder die Totenregister an! ... Ärgerlich. Britannikus ist tot! – Agrippina ist tot! – Seneka ist tot – Piso[67] ist tot – Soranus hingerichtet – Sulpizius und Torquatus erdroßelt – die Köpfe von Plautus und Sulla habe ich Dir persönlich überbracht! ... soll ich Dir den Fährmann aus der Unterwelt holen? er würde Dir bestätigen, daß diese Leute über den Acherusischen See gefahren, und er sein Trinkgeld bekommen ...

NERO kindlich. ... und auch versöhnt sind? –

TIGELLINUS. Tote haben nichts mehr zu verlangen!

NERO wie oben. ... ihre Manen versöhnt sind? –

TIGELLINUS. Die Manen von Leuten, die dem Kaiser nach dem Leben getrachtet haben, haben kein Recht auf sühnende Opfer und Kränze.

NERO. Und die Lemuren? ...

TIGELLINUS. Lemuren sind Kinderpoßen für Minderjährige, die in den Bädern noch kein Entrée zahlen ... Kaiser glauben nicht an Lemuren – Pferdehändler glauben nicht an Lemuren – Leute, die mit Blut umgehen, Mezger und Kuttelhändler glauben nicht an Lemuren ... wo kämen die Leute hin? ... schon das Handwerk verbietet derartige Dinge ... Macht eine verzweifelte, verächtliche Bewegung und wendet sich ab.

NERO etwas gefaßter. Mein goldiger Tigellinus – ich habe seit Nächten nicht geschlafen! ...

TIGELLINUS. Ja, Du siehst aus, als hätte Dich der Fährmann wieder aus dem Boote gesezt.

NERO. Ich bedarf der Ruhe ...

TIGELLINUS. Ja, und der Hühnerbuljon – Ärgerlich, leise. beim Jupiter, wenn man derartige Zustände hat, bleibt man nicht in der Haupstadt – man geht auf sein Landgut – und macht es wie die Weiber, die sich nur im schönsten Glanze zeigen, und ihre geheimen Zustände im Stillen abmachen, und die Krämpfe verbergen.

NERO sichtlich erholt. Ja, ich war krank! – Schike nach Charmis! – ich muß einnehmen ...[68]

TIGELLINUS. Ja, er soll Dir zum Schlafen geben – und Dich restauriren ... Geht nach hinten, winkt seinem Bewafneten und gibt ihm einen Befehl. Bewafneter ab.


Pause.


NERO er hat jezt seinen Anfall überwunden, redreßirt sich, ordnet sich Haar und Toga, seufzt, sieht sich um, kann es nicht begreifen, wird aber immer beßer, geht zulezt langsam und schläfrig, wie ein Rekonvalszent, nach vorn, bestaunt sichtlich die gefährliche Wand, aus der ihm das Entsezen in so furchtbarer Gestalt nahe gekommen, sieht sich nach Tigellinus um, der im Hintergrund eifrig meditirend auf- und ab geht, greift endlich nach einer kleinen Harfe, die auf den Polstern liegt, sezt sich an den Spieltisch rechts, mit Blik in's Proszenium, klimpert und präludirt ein Bischen, und rezitirt endslich in melodramatischer Weise, mit diskreter Harfenbegleitung, als Ausdruk der süßmelancholischen Stimmung, in der Rekonvalszent sich in solchen Momenten befindet, ein Liedchen eigener Komposizion.


An Eurotas' Ufern, im Blumenhain,

Von Wellen umspielt, vom Zephir geküßt,

Saß die Königstochter von Nimfen bedient –

Weiß – weißschimmernde Leda!


Gesunken war die Sonne in's Meer,

Und Luna stieg im Osten empor,

Umglänzte die Tochter mit silbrigem Schein –

Weiß – weißschimmernde Leda!


Und berükt von der Glieder schneeigem Weiß,

Entzündet in heftigem Liebes-Drang,

Erblikt sie der höchste, der heilige Gott–

Weiß – weißschimmernde Leda!


Schnell eilt er hinunter an's brandende Meer,

Und tauscht mit dem Schwan das seidne Gwand,

Und rudert daher mit Stolz und mit Kraft –

Weiß – weißschimmernde Leda!


Der Königstochter entfähret der Schrei,

Sie greift nach Binsen und Weiden um Schuz,

Die Nimfen entfliehen in wilder Hast –

Weiß – weißschimmernde Leda![69]


Doch der Gott peitscht die Wellen zu wildem Gischt,

Und rekt sich empor und bläst und pfaucht,

Umklammernd, umschmeichelnd das herliche Kind –

Weiß – weißschimmernde Leda!


Und im dunklen Hain, nach gemeßener Zeit,

Die Königstochter gebar ein Ei,

Aus dem sich Kastor und Pollux befreit –

Weiß – weißschimmernde Leda!


Die Helden ertrozten sich Sieg und Ruhm,

Erreichten Italika's glüklichen Strand,

Und zeugten das götliche, Jul'sche Geschlecht –

Weiß – weißschimmernde Leda! – –


Langsamer, melancholisch.


Dein Sohn, o Mutter, ist traurig und krank,

In Mismut versunken sein fürstlicher Sinn,

Lemuren umschwärmen sein tapferes Herz –

Weiß – weißschimmernde Leda! –


Er läßt die Harfe sinken und blikt mit schwärmerischen Augen in die Ferne.

Pause.

Man hört draußen ein Geräusch.


NERO erwacht aus seinen Träumereien. Wie?

TIGELLINUS bleibt stehen, troken. Den Kopf Thrasea's müßen wir noch haben!

NERO erschroken, steht auf. Den Kopf? ...

TIGELLINUS wie oben. Den Kopf Tharsea's müßen wir noch haben ... Wir brauchen jezt freie Bahn! ... Er steht an zu wichtiger Stelle! ... Sein Einfluß im Senat ...


Charmis tritt von hinten rechts mit zwei Dienern ein.


TIGELLINUS ihm entgegen. Ah, Charmis! – gut, daß du komst ... Sie tauschen hinten Grüße; – auf Nero verweisend, kopfschüttelnd. Eine merkwürdige Indisposizion! ... Ab mit seiner Begleitung. – Die übrigen Soldaten und Begleiter halten sich eine Zeit lang hinten auf, verschwinden während des Folgenden.[70]

CHARMIS nach vorne kommend. Heil, Zäsar! ...

NERO weiterhin in der weichlich-ängstlichen Stimmung, die sich als Folgezustand der vorausgegangenen Atake ergibt. Heil, mein lieber Charmis, Heil! – Wie geht's? Was machen die lieben süßen Kinderchen? Wie geht's in der Familie? ...

CHARMIS. Danke, Zäsar, Danke! – sie wünschen Alle dem Zäsar Heil!

NERO. Ich bin krank, mein lieber Charmis, krank! – Komm' her! Sez' dich! – Mach' dir's bequem! – Ich muß mit dir reden! – Ach, beim großen Jupiter, was ich durchgemacht, ich kann es Dir nicht sagen: seit zwanzig Nächten hab' ich nicht geschlafen! ... Charmis macht große Augen – im Folgenden kompleter Scharlatan. – Ja, ja! – Sie sezen sich an den Spieltisch. – hör' mal, mein lieber Charmis, – sag' 'mal: komt es vor, daß – Mauern Er deutet an die Wand. – Wände, Tapeten – reden?

CHARMIS paßt auf. Wände? Tapeten?

NERO. Ja, – Wände, Tapeten, Spiegel, Kandelaber, Teppiche? –

CHARMIS glozt, – nach einer Pause. ... nicht direkt, – daß ich wüßte; – es mag vorkommen! – aber nicht für gewöhnlich ...

NERO mechanisch. Nicht für gewöhnlich. – – Aber wer könte innerhalb einer Wand – aus einer Tapete – reden, wenn es vorkäme? –

CHARMIS glozt. ... wenn Niemand hinterder Wand steht? –

NERO. ... wenn Niemand hinter der Wand steht!

CHARMIS. ... sich Niemand zwischen die Hohlwände hineingeschlichen haben kann?

NERO. ... sich Niemand zwischen die Wände hineingeschlichen haben kann![71]

CHARMIS. Nun, beim Jupiter! nur ein Gott kann in übermenschlicher Weise sich der Wand bedienen, um Unaussprechliches zu künden – nur ein Dämon, der Großes oder Schmerzliches verkünden will, kann durch die Wand, durch Luft, Felder, Bäume, Gras, reden; – nur die Manen eines Verstorbenen können sich so aussprechen wollen...

NERO dumpf wiederholend. ... nur die Manen eines Verstorbenen ...

CHARMIS. ... nur die Manen eines Verstorbenen, dem früh, zu früh, die irdische Zunge verschloßen ward – und, der Wichtiges verkünden will.

NERO nach dumpfen Hinbrüten. So muß ich auf's Neue die Magier kommen laßen, um die Geister zu beschwören ...

CHARMIS unwillig. Laß das! – Mit wegwerfender Handbewegung, leise. Schwindler! – Lauter. Um was handelt es sich? – Was hört Zäsar? –

NERO mit Grausen. Ich höre Mich beschimpft, meinen Namen beflekt, wie der geringste Sklave Mich nicht nennen würde! – – Verhült das Haupt. »Scheußaal!« – schreit es durch den ganzen Palast – durch alle Räume – durch die Gärten – aus allen Löchern – jede Flamme schreit: »Hund!« – jede Tapete keucht ein Schimpfwort ... Weint.

CHARMIS stuzt. – – Aeh – hast Du genau nachgesehen, daß auch kein abgerichteter Spizbube Dich äft? – Daß kein Sklave Dich nart? – Kein bestochener Schelm dich ängstigt! –

NERO kopfschüttelnd. Ich peitsche die Sklaven – sie wißen nichts – sie wißen nichts – sie hören nichts – ich höre, nur ich – der Kaiser Schluchzt.

CHARMIS aufatmend – scharlatanirend. Ah – ist es[72] das? – Ihr guten Götter! – Lächelnd. das komt vom Blut ...

NERO aufpaßend. Vom Blut?

CHARMIS scharlatanirend. von – äh – Schnipft mit den Fingern. zu heftigem Blutgang – äh – Blutandrang gegen den Kopf – äh – Ueberbeschäftigung der Sinne – äh – die der Erregung nicht gewachsen – äh – in ihrer Weise antworten ...

NERO aufmerksam. ... »antworten«! ...

CHARMIS sehr überlegen. Ja, – Sensorium! – Resonanzen im Sensorium! – Kopfspielerei ...

NERO beruhigter. Und warum Schimpfreden? – Auffahrend. warum die gemeinsten Schimpfreden zwischen dem Apenin und Sizilien?

CHARMIS scharlatanirend. Oh ... Scherze! – – der Kopf, der den ganzen Tag Staatsgeschäfte und heiligste Dinge – sozusagen: die Arbeit eines Gottes verrichtet hat, – erholt sich – spaßt – scherzt – justement! – und taucht nun erst recht in der Goße unter ... Lacht troken. hehe ...

NERO lacht gezwungen. Hähä! ... Überlegt, dann sichtlich beruhigt. Und das ist die ganze Katapulte?

CHARMIS sicher. Das ist die ganze Katapulte.

NERO. Hm! – Na, aber hör' mal, Charmis: die Sache ist aber verdamt unangenehm! –

CHARMIS bedenklich. Jaaa – Zäsar hätte früher schiken sollen!!

NERO bedenklich. – – nun, und was ist dazu tun? –

CHARMIS sehr überlegen, kurz. Oh – – nux vomica! ...

NERO erstaunt und freudig. Nux vomica?

CHARMIS wie oben. Nux vomica![73]

NERO. Und – äh – wie? – in Substanz? – troken? – naß? ...

CHARMIS wie oben. Im Diffus – wäßrige Lösung! ...

NERO. Aha! – Und wie ist sie zu haben?

CHARMIS untersucht einen kleinen Lederbeutel, den er aus der Toga zieht, gleichgiltig. Ich weiß nicht, ob ich frischen Extrakt bei mir habe ... es wird sehr viel verlangt, – es ist auch Abortiv-Mittel ...

NERO sehr erstaunt. Ah? ...

CHARMIS überlegen. Ja, – es abortirt Alles – schlechte Winde, – schlechte Früchte – schlechte Gedanken ...

NERO. Aha! – – Kannst Du drum schiken? –

CHARMIS erhebt sich. Ich denke, Zäsar, mein Famulus wird es wol finden – Im Begriff nach Hinten zu gehen. Verzeihung ... Geht nach Hinten und spricht mit einem seiner Diener.

NERO stüzt sizend den Kopf in die Hand und versinkt in tiefes Nachdenken; – – sichtlich erleichtert, dem zurükkehrenden Charmis entgegen. Du verpflichtest mich, Charmis, in ganz außerordentlicher Weise Charmis verbeugt sich tief. – tritst in die Reihe Unserer Freunde und Genoßen ein Charmis wie oben. – der Dank des Zäsar wird nicht ausbleiben! ...

CHARMIS weltmännisch. Dem götlichen Zäsar – dem Sproß aus dem erlauchten Hause des Augustus – dem Vater des Vaterlandes – Spielt seinen höchsten Trumf aus. dem gotbegnadeten Künstler – seine Dienste zu weihen, ist das höchste Glük für den Größten wie Geringsten im Volke ...

NERO sehr gnädig; – wendet das Gespräch. Wie geht es Dir sonst? – Was machen Deine Olivenpflanzungen? – Du treibst jezt große Baumzucht, habe ich gehört? ... Hat der Frost dieses Frühjahr nicht geschadet?[74]

CHARMIS immer sehr unterwürfig. Danke, Alles gut vorübergegangen.

NERO. Was machen Deine Fischwaßer? – Wie gedeihen die Muränen9?

CHARMIS. Gut, gut.

NERO. Womit fütterst Du sie?

CHARMIS. Mit Pferdefleisch.

NERO. Nicht mehr mit toten Sklaven?

CHARMIS. Pferdefleisch ist zarter.

NERO. Ach was! – und Deine Reben? Wie ist Dein Zäkuber10 gediehen?

CHARMIS mit Kußhand. Exzellent!

NERO. Du bist gut in deine Praxis hineingekommen ...

CHARMIS untertänig. Seit mir der götliche Zäsar seine mächtige Gönnerschaft hat zu Teil werden laßen ...

NERO. Ja – diese numidischen Fürsten zahlen – zahlen gut – und bringen ihre prächtigen Leberkrankheiten mit ...


Inzwischen ist Charmis' Diener zurükgekehrt und übergibt seinem Herrn das befohlene Medikament. Charmis gießt von der Flüßigkeit in einen kleinen Becher und überreicht ihn, nachdem er leicht gekostet, Nero, der ihn leert, und sorgsam die Wirkung beobachtet.


NERO mit einem bedeutsamen Blik. Nux vomica?

CHARMIS. Nux vomica!


Sie stehen jezt Beide mehr gegen den Hintergrund links; von hinten sind gleichzeitig mit Charmis' Diener von Nero's Umgebung zwei Sklaven eingetreten.


NERO wendet sich nach Vorn, rechts, gegen den Spieltisch, mit einer einladenden Bewegung gegen den Arzt. Charmis, ein Spielchen?[75]

CHARMIS mit verbindlicher Dienstfertigkeit. Ich stehe zu Befehl.

NERO winkt einem der Sklaven. Zwei Beutel mit Sesterzien – und die kleinen indischen Schalen!


Während der Eine der Sklaven den Spieltisch rechts vorn zurechtstelt, der Andere Schalen und Geldbeutel holt, wenden sich Nero und Charmis ebenfalls nach Born und nehmen am Spieltisch so Plaz, daß Charmis rechts mit dem Rüken gegen die Wand, Nero ihm direkt gegenüber sizt. Die Morra11, welche ein scharfes gegenseitiges Beobachten und Sich-Aug'-in-Auge-schauen verlangt, läßt Beide sich so nahe gegenüber rüken, daß gerade Raum für das Vorstreken der Finger bleibt. Während des Folgenden ziehen sich Diener und Sklaven zurük.


NERO sizend, ihm einen der Goldbeutel zuschiebend. Hier dein[76] Beutel, gleichzeitig Dein Honorar – Mit Humor. wenn es verspielt ist, kommen Deine Gärten dran.

CHARMIS lachend. Zäsar, ich hoffe, mehr als die beiden Säkchen hier nach Hause zu bringen.

NERO sich in Positur sezend. Also!


Beide rüken dicht an den Tisch heran, halten beide Hände zur Faust geschloßen in Gesichtshöhe und bliken sich gegenseitig scharf in's Auge. Mit der Zahl wird jedesmal von jeder Seite eine Anzahl Finger vorgeschnelt.


NERO. Zwölf!

CHARMIS. Drei!


NERO. Acht!

CHARMIS. Fünf!


NERO. Sieben!

CHARMIS. Drei!


Nero hat gewonnen.12 Charmis übergibt ihm eine Anzahl Sesterzien.


NERO. Die Olivenernte wird fällig.

CHARMIS. Noch sind sie nicht reif.

NERO. Neun!

CHARMIS. Vier!


NERO. Drei!

CHARMIS. Acht!


NERO. Drei!

CHARMIS. Vier!


Nero hat wieder gewonnen! Charmis begleicht.


NERO. Dein Muränenteich mag sich parat halten.[77]

CHARMIS. Die Fische brauch' ich, wenn Zäsar zu Gaste zu mir komt.

NERO. Neun!

CHARMIS. Sieben!


NERO. Acht!

CHARMIS. Sieben!


Beide haben die Zahlen erraten.


NERO. Zugleich! – – Deine Fische sind noch nicht fett.


Und so weiter. Die Wahl der Zahlen spielt nach dem Gesagten keine Rolle und liegt im Belieben der Schauspieler. – Nach je drei, vier oder fünf Aufrufen wird im Folgenden von einer Seite gewonnen.

Sie spielen. Cahrmis gewint. Nero begleicht.


CHARMIS. Meine Fische werden wieder munter.

NERO. Nicht auf lange!


Sie spielen. Nero gewint. Charmis begleicht.


NERO. Die Frische kehren zurük.

CHARMIS. Ich hoffe, Zäsar wird mich einladen.

NERO. Gern. Leider sind sie nur mit Pferdefleisch gefüttert.

CHARMIS. Das numidische Sklavenfleisch macht sie tranig.

NERO. Du müßtest einmal einen von den Christiani hineinhängen, deren Blut soll milde und zart sein.


Sie spielen. Nero gewinnt.


NERO. Jezt kommen Deine Gewächshäuser!

CHARMIS. Die Götter sind Zäsar günstig.


Sie spielen. Nero gewinnt.


NERO. Jezt Deine Zitrustische.13[78]

CHARMIS. Noch bleiben mir welche, auf denen Zäsar bei mir speisen kann.


Sie spielen. Nero gewint.


NERO. Deine babylonischen Teppiche!

CHARMIS. Du tritst heute hart auf!


Sie spielen. Nero gewint.


NERO. Deine korinthischen Bronßen!

CHARMIS. Du räumst meine ganze Villa aus. – Warte bis sich das Glük wendet! ...


Sie spielen. Nero gewint.


NERO. Deine Götterbilder – wenn du welche hast.

CHARMIS. Spaße nicht mit den dreimal heiligen Göttern! ...


Sie erheben die Hände auf's Neue wie zum Spiel. Beide sind in Erregung geraten. Schauen sich mit

starren Bliken an. Charmis scheint sein Gegenüber mit groß-aufgerißenen Augen zu fasziniren. Es entsteht eine kurze Pause, während der Beide zum Ausspruch zu kommen zögern. In diesem Moment absoluter Stille ertönt.


DIE STIMME von rechts, aus der Wand, direkt Nero gegenüber, mit klarem, durchdringendem, anklagendem Laut. Scheu-ß-aaaal!

NERO von Entsezen gepakt, springt auf – der Stuhl fält um – start mit fürchterlichem Blik auf Charmis, der ohne Verständis, in seiner Stellung verhart. Sklavenseele, – ist das der Lohn? – – Zauberer, verfluchter! – – ist das Dein Dank? – habe ich Dich deshalb aus Gallien kommen laßen, – Dich mit Woltaten überhäuft, – Wütend. Dich an meinen Busen genährt – Du Schlange! – daß Du mich jezt Schreit. vergiftest? – mit Stimmen vergiftest? – gotteslästerliche Magie treibst? – Wände sprechen läßt? – Menschen sprechen läßt, ohne daß sie die Lippen bewegen? – mich beschimpfst? – Kanalje! ... Hund Du! ... Er dringt wie wütend auf ihn ein; Charmis, in höchster Angst, retirirt nach rechts hinten; Tisch und Stühle fallen um; von hinten eilen zwei Bewafnete mit entblößten Schwertern herbei;[79] die sich auf Charmis stürzen wollen. – Halt! Laßt Mir die Fliege! ... wozu hätte Ich im Ringkampf den Siegespreis davon getragen Er geht auf ihn los.

CHARMIS in höchster Angst. Zäsar, – die Götter haben Dich verblendet! ...

NERO der seinen Gegner gefaßt hat. Stirb, elender Magier! – Er hat ihn nach kurzem Ringkampf überwältigt, drängt ihn auf die Polsterreihe rechts, wo er sich auf ihn wirft und ihn erdroßelt – hält lange auf ihm aus; – dann zurüktretend, zu den Bewafneten. Holt Tigellinus. Eilt zum Prätor! – Ruft den Senat zusammen. – Eine große, neue Veschwörung hat sich aufgetan! – Bewafnete ab.


Er geht in großer Erregung, schweisgebadet, auf und ab, nach Hinten und Vorn; von Zeit zu Zeit zu der Leiche zurükkehrend, sie stumm betrachtend; durchmißt nach allen Seien das Gemach, blikt nach der Deke, studiert die Wände, scheint sich im Zustand höchster Erregung und Erwartung zu befinden, geht nochmals nach Hinten, wie um Ausschau zu halten – es herrscht absolute Stille.

Lange Pause.

Endlich kehrt er zurük und bleibt mitten im Saal in stummer Erstarrung nach Rechts gewendet, stehen. In diesem Moment tiefster Stille ertönt nochmals.


DIE STIMME mit unerbitlicher Schärfe. Scheu-ß-aaal!


Nero start mit aufgerißenen Augen nach der Wand, taumelt zurük, wendet sich dann plözlich ab, verhült den Kopf und bricht endlich mitten im Saal laut wimmernd zusammen.


Der Vorhang fält.


Quelle:
Oskar Panizza: Nero. Zürich 1898, S. 57-80.
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