Dritter Aufzug.


[34] Nero, Kurio maximus, ein Zenturjo; später Tigellinus, Epaphroditus, ein Bewafneter; noch später Nymphidius, Kosroës, Subrius Flavus; erster und zweiter Begleiter des Kosroës, Volk, Senatoren, Soldaten.

Villa Nero's in den Serviljanischen Gärten bei Rom. Terraßenartige Anlage mit weitem Fern- und Tief-Blik. Das Terrain scheint sich im Hintergrund zu senken. Die Szene wird links von der Schmalseite eines in weißem Stein gehaltenen Villenbaues mit Gartenschmuk und hängendem Laubwerk, rechts von einer in dunklerem Stein gehaltenen Grottenanlage mit bildnerischem Schmuk und springendem Wasser begrenzt. Im Hintergrunde mündet von beiden Seiten ein breiter, nach rükwärts von weißer Marmor-Balustrade mit Figuren begrenzter Parkweg. Der mittlere, dem Zuschauer gerade gegenüber liegende Abschnitt der Balustrade erscheint durchbrochen. Von dort sind zwei Treppen, rechts und links, in den tiefer liegenden Park führend, zu denken. Der hintere Abschnitt dieses Zugangs ist wiederum von einer Balustrade mit Statuen begrenzt. Jenseits dieser sieht man aus der Tiefe eine Doppelreihe hochragender Zipressen sich gegen das Gebäude heranziehen. Die Szene hat

demnach als Zugänge: die zwei Treppenaufgänge jenseits der Balustrade; die zwei Parkwege diesseits der Balustrade auf der Höhe der Szene; ein Seiten-Eingang zu dem Villenbau links. Alles in reichem, grünem Flor mit Bosketts, Statuen u. drgl. –

Nero, im bequemen Hauskleid, der einfach wollenen Toga, die nakten Füße nur mit Sandalen bekleidet, das reiche, rötliche Lokenhaar ohne Diadem, etwas verwirt, er selbst[35] mismutig, in klagender Stimmung, unsicher und furchtsam, komt mit dem Kurio maximus (Priester für die Totenopfer) im Gespräch den Parkweg links herauf, hat eine kleine Rolle in der Hand.


KURIO teilnehmend. Und Dein sonstiges Befinden? – Zufriedenstellend? ...

NERO mismutig. Nein! – Beim Herkules, nein! Nein, ich bin nicht zufrieden. Ich schlafe schlecht – mög' mich Jupiter strafen: seit Wochen weiß ich nicht mehr, was gesunder Schlaf ist! ...

KURIO wie oben. Beschwerden durch Träume? ...

NERO. Träume, – Ahnungen, – schrekhafte Unterbrechungen ... aber auch bei Tag! – nein, nein, – es ist nicht in Ordnung ... ich bin müde, abgespant, verlezt, verbittert ... sag' mal: gibt es Träume bei Tag?

KURIO stuzt. ... Nein!

NERO. ... ich meine: Zustände, Anwandlungen, die die Kräfte des Geistes, die bei Nacht wirken, bei Tag auslösen – sie – äh – gegen unsern Willen zur Entfaltung bringen ... uns ärgern, molestiren? ...

KURIO wie oben. ... Nein! – Nicht, daß ich eigentlich wüßte! ...

NERO. ... Und Andere, – Nebenmenschen – die das in Einem zu Wege brächten ... die uns auf solche Weise zu nahe treten könten? ...

KURIO sehr erstaunt – dann kopfschüttelnd. Nein! – Sicherlich nicht! – Und dann: wer würde es wagen, bei Dir, Zäsar, solches zu unternehmen? ...

NERO ablenkend. ... Na ja! – Dann sag' mal: – weshalb ich dich eigentlich rufen ließ: ... das Grabmal der Agrippina – ist das in Ordnung? –

KURIO. In bester Ordnung.

NERO. ... mit Blumen reich geschmükt?

KURIO. ... mit Rosen und Tulpen reich geschmükt!

NERO. ... und die Marmor-Einfassung?[36]

KURIO besint sich. ... ist in Auftrag gegeben, wird herlich ausgeführt!

NERO mechanisch. ... ist in Auftrag gegeben, – wird herlich ausgeführt ... Komt zu sich. Blumen sollen das ganze Jahr, – das ganze Jahr, – stets in schönstem, frischestem Schmuk dort prangen Kurio verneigt sich. – das Beste und Schönste! – Kurio wie oben. – dann: die Manen sind versöhnt? – die Opfer gebracht? – Wein und Wolgerüche nicht gespart? ...

KURIO. ... Alles auf's reichlichste dargebracht! ...

NERO. ... der Tag der Feralien6 nicht verabsäumt? ... Kurio wie oben.Sich selbst verteidigend. man kann ja nicht mehr tun! – die Lemuren an ihrem Festtag7 versöhnt? ... die Lustrazjonen dargebracht? ...

KURIO. ... Wird Alles jedes Jahr auf's gewissenhafteste beobachtet!

NERO geht, sich besinnend, nach hinten und wieder vor, läßt den Kurio stehen. ... Dann: die Totenopfer für meinen geliebten Pallas? – für den gewesenen Finanzminister Pallas?Kurio bestätigt. – sind ebenfalls besorgt? ... für Montanus?Kurio wie oben. – der arme Mensch, – 'tut mir leid! – warum mußte er mir auch Nachts begegnen! ... Auf den Kaiser einzuhauen! – auf seinen Kaiser einzuhauen! ... Kurio macht eine begütigende Bewegung. – ja, Unwissenheit schüzt eben hier nicht! ... Dann: was haben wir noch für Leichen?: – den guten Britannicus ... dessen Denkmal möchte ich besonders prächtig herausgerüstet wissen! – weil er[37] doch sehr nahe mit mir verwant war – und an Epilepsie litt! – der Aermste! ... seine Büste ist im Tempel der Minerva aufgestelt? – Kurio bejaht. – bekränzt?! – Kurio wie oben.Wieder auf- und abgehend. dann: die eben beiden Halunken Plautus und Sulla ...

KURIO bedenklich. Da haben wir nur die beiden Köpfe! ...

NERO mechanisch. ... da haben wir nur die beiden Köpfe ... und wo die hingekommen sind? ... na, ich will auch hier ein Uebriges tun, und für die Beiden Aschenurnen aufstellen ... es ist ja jammerschad!: solch' vorzügliche Feldherrn-Talente, solch' mustergültige Truppenführer ... aber, dabei bleibt es nicht, und dann wächst der Ehrgeiz, und dann sehen sie diese Maße Menschen zu ihrer Verfügung, und sehen Kränze und Diademe! ... und wenn man auch nie etwas Gewißes erfährt, – die Staatsräson muß hier vorbauen, muß hier eingreifen! ... also Zum Kurio. ich will für diese Beiden die Libazjonen bringen wie für jeden Andern Kurio wie oben. ... dann: unsere liebe, gute, süße Oktavia Fängt zu weinen an. ... das herzige Kind, es tut mir wirklich leid! – Schluchzt, wischt sich ab. erst zwanzig Jahre alt! ... Zum Kurio. also hier soll Nichts gespart werden! ... Pentelischer Marmor zu deiner Verfügung, so viel du willst! ...

KURIO. Leider gehört die Insel nicht zu meinem Bezirk! – die Kaiserin liegt auf Pandataria8 bestattet ... doch will ich durch meinen Kollegen ...

NERO. Ja, tu' das! die Sache liegt mir am Herzen! – Dann: damit wir Nichts vergeßen ...für Poppäa habe ich blutige Tränen geweint – die ewigen Götter wißen es! Blikt schmerzvoll gen Himmel. und unendliche Klagegesänge angestimt! ... selbst gedichtet! ... Er ist schmerzlich ergriffen. ... die beste Kaiserin ist auf[38] ihren Wunsch nach jüdischem Ritus bestattet – ihr Sarkofag auf's glänzendste geschmükt ... hier ist Alles geschehen, was geschehen konnte ... dann: der arme Doryphorus, Torquatus Silanus, der Tanzlehrer Paris ... Ärgerlich. beim Herkules! ich kann nicht an Alles denken, ich habe selbst den Kopf voll! ... morgen soll ich in den »Trojanern« auftreten, – hier Auf die Rolle zeigend. hat mir Lukanus ein Manuskript zum Korrigiren geschikt ...

KURIO rasch begütigend. Für diese und für alle Andern soll auf's Beste gesorgt werden; – die Totenopfer und Lustrazjonen werde ich selbst persönlich überwachen ... nach dieser Seite solst Du ruhig schlafen können, Zäsar – ein allgemeines Totenopfer soll außerdem die Manen aller Derjenigen besänftigen, deren Erinnerung Dir zu nahe treten könte, oder deren Namen du vergeßen haben soltest ... verlaß dich auf mich, Herr! ...

NERO plözlich in die heitere Stimmung umschlagend, nekisch schmunzelnd, macht kleine Schrittchen wie ein Kind, im Ton eines Bittstellers, auf den Kurio zu, streichelt ihm die Wangen. Und, nicht wahr, mein lieber, süßer Klaudius, du komst hie und da zu meinen kleinen Gesellschaften! – du solst die Ziter so gut schlagen – wir brauchen einen vierten Ziterschläger – Terpnus ist immer krank – und wir möchten nächstens eine kleine Pantomime »Bachus auf Naxus« aufführen ... nicht wahr, du komst! ...

KURIO sehr geschmeichelt, mit Würde. Mein kaiserlicher Herr, was ich auf der Ziter verstehe, geht über das geringe Maas dilettantischen Könnens nicht hinaus, und ...

NERO wie oben. Das macht nichts! – Im Chor wirst du dich leicht anschließen ... du tust mir einen großen Gefallen ... und – äh – du verstehst: ich kann nicht Jeden zu mir ziehen – bei der eigentümlichen[39] Stellung, die ich einnehme, und – äh – bei der ungemeßenen Sucht Vieler, sich neben mir als Künstler auszuzeichnen ... muß ich so vorsichtig wie möglich sein ...

KURIO. Ich stehe zu deinen Befehlen! ...


Sie wenden sich Beide nach Hinten und verfolgen noch das Gespräch.


NERO in sehr aufgeräumter Stimmung. Und nicht wahr?: die Träume, das hat nicht so viel zu sagen? ...

KURIO leichthin. ... Vorübergehende Störungen ohne tieferen Grund! ...

NERO wie oben. Und die häßlichen Stimmungen bei Tag werden sich wieder heben? ...

KURIO wie oben. ... Leichte Belästigungen, die die Götter über uns verhängen, um uns an unsere Pflicht zu mahnen ...

NERO. Und mit den Totenopfern und Versöhnungen werden die lieben und teuren Schatten, die von uns gegangen sind, unsere Absicht erkennen und ...

KURIO pastoral. Die ewigen Götter bliken mit neidlosem Wohlgefallen auf jede unserer guten Taten und auch der düstere Fährmann, der die Seelen geleitet, ist nicht unversöhnlich! ... Er verabschiedet sich. Ab links.

NERO. Leb' wol, mein lieber Klaudius! – Die Götter schüzen dich! Wirft dem sich Entfernenden eine Kußhand nach; – komt zurück, bleibt plözlich stehen, legt die Hand an die Stirne, schmerzlich. Ach, diese Leiden! – dieses ewige Zuken! – diese Qualen! – und keine Ruhe ...


Ein Bewafneter aus Nero's Leibwache tritt von rechts auf.


BEWAFNETER meldet. Herr, ein Zenturjo ist draußen, er komt vom Tribun und will zu dir.

NERO. Was will er? Was bringt er?

BEWAFNETER. Er hat einen Sak.

NERO. Einen Sak?[40]

BEWAFNETER. Er bringt einen Kopf.

NERO begierig. Einen Kopf? – Schnell laß ihn herein! ...


Zenturjo tritt auf mit einem Sack in der Hand.


ZENTURJO militärisch. Herr, ich komme im Auftrag des Tribunen und bringe den Kopf ...

NERO einfallend. Burrus'?

ZENTURJO. Den Kopf Burrus'.

NERO schmerzlich bewegt, tritt näher. Laß sehen! Zenturjo öffnet den Sack, zeigt ihm den Kopf. Zurückfahrend, von Schauder ergriffen. Oh! ... Zum Zenturjo. du mußt die Köpfe waschen! ...das geht nicht! – man muß Alles richtig ausführen! ... ich sehe Menschenköpfe nicht ungern, – aber sie müssen sauber sein! – Der Tot hat etwas Rührendes, – in seiner wachsbleichen Starrheit etwas Friedliches, Versöhnendes – aber man darf den künstlerischen Eindruck nicht stören, – ihn nicht durch Schmuzfleke beeinträchtigen! ... Tritt neuerdings näher. Laß sehen! ... Zenturjo zeigt ihm neuerdings den Kopf. ... Die Nase ist auffallend lang; – Schmerzlich. es war ein prächtiger Mann! – aber zu lebhaft, viel zu lebhaft! ... Zum Zenturjo. Wie benahm er sich? –

ZENTURJO. Als ich kam, ihm den Tot anzusagen, schien er keineswegs bestürzt – nur die Frauen, die um ihn waren, und die Freunde, ergingen sich in lebhaften Klagen und Verwünschungen ... Burrus schalt sie und frug: ob das die Grundsäze seien, die er stets hochgehalten, ob das die Lehren seien, die er ihnen stets gepredigt, – ob eine solche Haltung sich für Diejenigen zieme, die ... die ... zur Filosofie Er besint sich, scheint die Materje nicht ganz zu beherschen. ... er sprach von einer gewißen Filosofie! ...

NERO leichthin. Ja, ja, das sind diese Frasen! ...

ZENTURJO besint sich. ... dann sprach er noch vom Wert des Lebens ...[41]

NERO wie oben. Jawohl, – nachdem es verloren ist! ...

ZENTURJO. ... er reichte dann ruhig die Hände hin und ließ sich die Adern öffnen ... wir hatten den Arzt gleich mitgebracht ... da aber das Blut in Folge seiner Erregung und Beklommenheit nur langsam zu fließen begann, so öffnete Chirurg auch die Adern an den Füßen und Kniekehlen ... so brachte man ihn dann in das heiße Bad, wohin ihm alle Freunde und die Freigelassenen mit Weinen und Klagen folgten ... von dort besprengte er dann die Umstehenden und sagte: er weihe diese Tropfen Jupiter, dem Befreier! ...

NERO gleichgiltig nikend. Ja, ja, das sind die üblichen Kraftausdrücke! ...

ZENTURJO fortfahrend. ... da er aber nur langsam sich entkräftete, – und der Tribun mit der Meldung der vollzogenen Hinrichtung zurückzukehren sich zu beeilen schien – so tauchten ihn die Soldaten einigemale unter – dann hieben wir ihm den Kopf ab – den man uns dir zu bringen befahl ...

NERO nach einer Pause, während welcher er nachdenklich auf- und abgeht. ... Der Körper soll sofort bestattet werden – den Kopf gib hinzu – er mag ihn der Unterwelt gebrauchen können – und die Exsequien in der feierlichsten Weise abgehalten werden, auch die Opfer und Totenmahle auf meine Kosten in unverkürzter Weise dargebracht werden – wie für einen Mann, der durch zufällige und unglückliche Weise dem Staat und sich Verderben brachte, und so für seine früheren Verdienste nicht belohnt werden konte! ... Zenturjo ab.

NERO wendet sich nach vorn, überlegt, schmerzlich ergriffen, im Selbstgespräch, halblaut. Es ist mir leid um den Mann ... einen solchen Präfekten bekomme ich nicht wieder! ... aber er übermaas seine Kräfte – er übermaas seine[42] Kräfte .... Er sezt sich rechts vorn, in der Nähe der Grotte, in einen Gartenstuhl, und vertieft sich in die Rolle, deren Inhalt er mit Riken und Gestikulazionen begleitet.


Ein Bewafneter aus Nero's Leibwache tritt eilig von Rechts auf.


BEWAFNETER in großer Aufregung, bleibt hinten an der Balustrade stehen und blikt gegen den Park hinab. Herr, Tigellinus und Epaphroditus kommen in großer Eile den Parkweg herauf – Soldaten und ein Teil der Prätorjaner folgen – es scheint etwas Wichtiges vorgefallen zu sein ...

NERO steht auf, sich nach Hinten wendend. ... Vielleicht die parthische Gesandschaft mit Tiridates, die wir jeden Tag erwarten, in Rom angelangt ... Berührt schmerzlich seine Stirne, für sich. mein armer Kopf! – ich bin nicht in der richtigen Verfassung ... die Leute haben uns besiegt, – und es gilt große Schlauheit ...

BEWAFNETER wie oben, gegen den Garten sehend. Herr, es scheint etwas Dringlicheres ... Tigellinus ist außer Atem – – und weiter hinten kommen neue Truppen – neue Befehlshaber ... Nero wendet sich neuerdings nach hinten, bleibt in der Mitte der Bühne erwartungsvoll stehen. – hier ist Tigellinus selbst! ...


Tigellinus, als Prätorjanerpräfekt, hinter ihm Epaphroditus, kommen die Parktreppe rechts herauf: ihnen folgen demnächst Truppen,

Zenturjonen und Tribunen.


TIGELLINUS außer Atem, auf Nero zu. ... ein unerhörtes Verbrechen! ... Zäsar! – ein Anschlag auf Dein Leben! ... seit Wochen vorbereitet – ist durch einen glücklichen Zufall an's Tageslicht gekommen – Mit warmen Patos, zugleich sich an die hinten Truppen wendend. die ewige Roma hat das Haupt ihres göttergleichen Schüzlings vor Mörderhänden bewahrt! ... Fortuna, die allgütige Göttin hat auf's Neue den stärksten Beweis von der Unersezlichkeit des allgeliebten Nero für Rom, für den Weltkreis geliefert! ... Er zieht sein Schwert. Heil, Zäsar! – Heil! ...[43]

DIE TRUPPEN die sich bis dahin im Hintergrund gehalten, brechen jetzt mit ungestümen Jubel vor und ziehen die Schwerter, durcheinander. Heil, Zäsar! – Heil! – Heil! – dem Liebling der Götter! – dem besten Kaiser, – Heil! Heil dem Woltäter des römischen Volkes ... Sie gestikuliren und unterhalten sich während des Folgenden lebhaft.

NERO bestürzt und erfreut. Was ist's? – Was gibt's? –

TIGELLINUS noch immer außer Atem, nimt seine Rede auf, sehr schnell. ... Du erinnerst dich jenes Sklävinus? ...

NERO. ... des Schlemmers? ... Jaja! –

TIGELLINUS. Gut!: Gestern komt Milichus, einer seiner Freigelassenen, ein entschlossener Bursche, und erzählt in großer Herzensangst, sein Herr treffe die merkwürdigsten Vorbereitungen: er habe sein Testament aufgesezt, vielen seiner Sklaven die Freiheit geschenkt, habe mit denselben in rührendster Weise getafelt und gezecht, viel von unbestimbaren Schicksal gesprochen, und deutlich, trotz sichtbarer Verstellung, zu erkennen gegeben, daß große und verzweifelte Gedanken und Pläne, über deren Ausgang Unsicherheit herrsche, sein Inneres bewegten. Ihm, Milichus selbst, habe er in sehr geheimnisvoller Weise den Auftrag gegeben, Verbandstoffe und blutstillende Mittel in Bereitschaft zu halten, und ein Dolchschwert, welches aus einem Fortuna-Tempel in Etrurien stamte und stets sorgfältig gehütet worden war, zu schleifen und mit scharfer Spize zu versehen. Er, Milichus, obwol seinem Herrn die Freiheit verdankend, könne es nicht über's Herz bringen, einen so schweren Verdacht und bei der großen Misliebigkeit, die in den höchsten Kreisen gegen Nero bestehe Allgemeiner Unwillen bei den Soldaten. unausgesprochen zu lassen ... Wir erstaunten Er weist auf Epaphroditus. auf's äußerste über eine solche, für den Beklagten wenig wahrscheinliche Meldung. Doch[44] ließ ich in Eile Sklävinus sogleich vorführen und seinem Freigelassenen, wie dieser selbst wünschte, gegenüber stellen. Ruhiger. Sklävinus erzählt im wolwollendsten Ton, das Meiste beruhe auf Wahrheit, und er müsse in der Tat seine Verwunderung darüber ausdrüken, wie man ihm, dessen Neigung zu Tafelfreuden in ganz Rom bekant seien, aus einem Zechen mit seinen Hausgenossen einen Vorwurf machen könne; ein paar Sklaven schenke er jedes Jahr die Freiheit, dies sei nichts außergewöhnliches; auch revidire er jährlich sein Testament und mache kleine Zusäze, da er in einem Alter sei, in dem man daran denken müsse, daß die Natur bald ihr Recht werde fordern können. Auch das Schleifen des Dolchmeßers erklärte er auf die behaglichste Weise: es gehöre zum Spargelstechen, wovon er, wie bekant, ein großer Freund und Züchter sei: er erlege nämlich die Spargeln wie ein Fechter Macht Bewegung. mit einem Schwertstoß; das sei eine Liebhaberei von ihm; daß das Dolchmeßer aus einem Fortuna-Tempel stame und ein Votivstük sei, richtig; aber er benüze eben für alle Vorkomniße im Leben mit Vorliebe Gebrauchsstüke der Glüksgöttin; denn auch zum Spargelstechen gehöre eben Glück. Aber ein Punkt, nämlich, daß er Vorbereitungen für Wunden und zur Herrichtung blutstillender Mittel angeordnet habe, – des sei eine faustdike Lüge des undankbaren Freigelassenen, der wol gewußt habe, daß ohne diese Hinzutat sein ganzes Lügengebäude in Nichts zerfallen werde ... Wieder den vorigen Ton aufnehmen, schneller. Dies ward mit so sicherem Ton vorgetragen, daß wir bereits im Begriffe waren, Skävinus zu entlaßen, und Milichus in Haft zu nehmen, als die Frau des Milichus erschien und ihren Mann daran erinnerte, daß ja Sklävinus den vorhergehenden Tag in eifriger, geheimnisvoller Unterredung mit Natails gesehen worden sei. Bei dem[45] Namen Natalis kommen mir neue Bedenken, ich heiße alle Anwesenden dableiben, und schike einen Tribun zu Natalis, der ihn scharf inquirirt und ihm auf den Kopf zusagt: Skävinus habe ihn als Verschwornen angegeben. Zusammenfaßend. Natalis, überrumpelt, gesteht und gibt auf Zusicherung der Straflosigkeit weitere fünfzig Senatoren und Ritter an!! Große Bewegung und Beglükwünschung bei allen Gruppen. ... Als der Tag zum Losschlagen war das Zeresfest ausersehen! Zu Deinem Nachfolger war Piso designirt! Ich eile hieher, um Dir, Zäsar, – in Gegenwart dieser Getreuen Er verweist auf die Truppen und ihre Anführer. ...

DIE TRUPEN brechen in neue Beglükwünschungsrufe aus. Heil, Zäsar! – Heil, dem besten Kaiser! – dem Beschüzer des Volkes ... dem Beschüzten der Götter! – Heil! –

TIGELLINUS fortfahrend. ... um Dir die wunderbare Rettung aus Mörderhänden ... das Walten der großen Fortung, die so sichtlich über deinem Haupte seit deinen ersten Lebenstagen gestanden, zu melden ...

NERO wütend, die Faust ballend. Die Hunde! – ist das der Dank für meine Fürsorge – für meine Opfer – für meine Geschenke! ... dem Staat schenkte ich sechzig Miljonen Sesterzjen ... Landgüter, Häuser, Gärten, Fischwaßer, Monopole habe ich diesen Leuten zu Duzenden an den Kopf geworfen! ... Zitternd vor Aufregung. ich selbst zu Grunde gerichtet – mein Kopf erschöpft in Sorge und Arbeit für den Staat – Fängt zu weinen an.

TIGELLINUS geht mit Nero nach vorn, geheimnisvoll. ... wir haben alle Hände voll zu tun! – Angeberei folgt auf Angeberei – man hört immer frische Namen – es gilt die ganze Bewegung mit einem Schlag in unsere Hände zu bekommen ...

NERO der dem Redner wiederholt mit Gesten seinen Dank ausgedrükt, begierig. ... Ist Thrasea mit in's Nez gekommen?[46]

TIGELLINUS finster. Diesmal leider nicht! – Doch gegen Seneka mehren sich schwere Verdachtsgründe! ...

NERO. Seneka? Das wäre außerordentlich glüklich.

TIGELLINUS eifrig. Enorme Vermögen kommen in Betracht. – Piso allein mit fünfhundert Miljonen Sesterzien. – Es gilt, auf's Eiligste den Testamenten zuvorzukommen und alles Besiztum der Verdächtigen für den Staatsschaz einzuziehen – der Prätor hat über zweihundert Verhaftungen vornehmen laßen. – Konsul Vestinus ist mitverwikelt, ein mehrfacher Miljonär; Flavus ist kompromittirt; Sulpizius Asper ist kompromittirt; Lateranus ist schwer belastet; Mit Betonung. Rufus, – der Komandant deiner Garde, ist mit Piso wahrscheinlich das Haupt der ganzen Bewegung! – Ich habe die Tibermündung sperren, die Mauern besezen laßen; die ganze Etrurische Küste wird bewacht! – Wir müssen enorme Belohnungen für unsere Getreuen aussezen; dem Volk prachtvolle Unterhaltungen bieten – das Volk ist entrüstet über die Vorgänge! – dies Alles verlangt die Heranziehung aller irgendwie erhältlichen Vermögen ... Er ist außer Atem.

NERO der mit großer Angst und Bestürzung zugehört. Mögen die Götter dir in deinem Werke beistehen! – geht alles gut, laße ich deine Bildsäule im Tempel der Fortuna aufstellen ... das Volk soll den Woltäter Rom's kennen lernen und wißen, daß mein keiserlicher Dank die Verdienten zu finden weiß ...

TIGELLINUS. Noch Etwas!: Der Armenische König ist angekommen, um sich durch mit Armenien belehnen zu laßen. Seine Gesanten sind hieher auf dem Wege, um dich zu begrüßen. Es wäre nüzlich, diesen Fremdem von den inneren Vorgängen des Staats nichts wißen zu laßen. Auch ist Tiridates ziemlich[47] hochmütig und scheint nichts von seinen Hoheitsrechten preisgeben zu wollen. Er ließ sich nur schwer dazu überreden, sein königliches Abzeichen zunächst abzulegen und es erst aus deiner Hand wieder zu empfangen. Die Besprechungen über das Zeremoniell sind noch im Gang. Nach Allem, was man hört, war unsere Niederlage doch empfindlicher, als die ersten Berichte lauteten. Die römischen Legjonen wurden bei Arsomosata unter das Joch geschikt! Und Pantus hat sich als ein gänzlich unfähiger, rein persönlich-ehrgeiziger Feldherr erwiesen, dem einen Triumf zuzuerkennen über das Maas alles Erlaubten ging ... Sieh, wie du mit den Leuten fertig wirst! ...

NERO. Wo fand die Niederlage statt?

TIGELLINUS. Bei Arsomosata.

NERO. Wie wird das ausgesprochen?

TIGELLINUS. ... Ar-so-mo-sata! ... ich weiß auch nicht mehr.

NERO. Wo liegt es?

TIGELLINUS. Wo es liegt? – das weiß ich nicht! – Ich glaube, irgendwo in Asien ... ich kann ja einen der Befehlshaber, die die Expedizion mitgemacht haben, fragen ...

NERO. Wie heißt der Schwiegervater von Tiridates? – der hat doch eigentlich bei Arsomosata gekämpft! ...

TIGELLINUS. Der Schwiegervater heißt Bologaeses und ist er Parther König ... doch will, soviel ich weiß, Tiridates davon selbst nicht viel hören und besteht auf seine Unabhängigkeit und seine selbsterworbene Herrschaft ...

NERO indem er sich nach hinten wendet, den abgehenden Tigellinus zu begleiten. Haben sie keine Tempel, keine Götterbilder, keine Kunstschätze? ...[48]

TIGELLINUS. Soviel ich weiß, bringen Dir die Gesanten, die deinen Kunstsinn kennen, wertvolle Gastgeschenke mit; – und wenn Du den einen oder andern Wunsch äußern soltest, wird man sich beeilen, Dir zuvorzukommen ... doch sei vorsichtig, diese Armenejer sind schlau, sie wißen zu handeln – ein Armenjer gilt zehn Juden! – und am Ende kämen die armenischen Götterbilder dem römischen Staate teuer zu stehen ... was die armenischen Götter leisten, leisten unsere auch ... Er ist inzwischen mit Nero in der Nähe der Truppen angelangt, nimt jezt wieder patetische Haltung ein, laut. Und so danken wir Alle denn nochmals mit aufgehobenen Händen den ewigen Göttern und der gütigen Fortuna, daß sie uns das Leben des götlichen Kaisers vor den Mordstahlen dieser gemeinen, verbrecherischen Buben bewahrt ...

DIE TRUPPEN brechen gemeinschaftlich mit erhobenen Schwertern in Freuderufe aus. Heil Zäsar! – Heil dem Beglüker des Volkes! – Heil dem Schüzling der Götter! – dem göttlichen Nero – dem Woltäter der Soldaten – Heil! – Heil! –


Truppen und Tigellinus unter Freuderufen ab nach dem Parkweg rechts.


NERO komt mit Epaphroditus zurük. Eine schöne Affäre! ... Um ein Haar, und diese Mordgesellen hätten ihr Ziel erreicht! ... In wenigen Tagen war das Fest der Zeres ... Was helfen Uns nun Unsere Garden, wenn Verrat auf allen Seiten lauert und selbst in den Reihen der Prätorjaner seine Helfer findet?! ...

EPAPHRODITUS. Das Volk bleibt Dir zugetan; es verehrt Dich, es trägt Dich auf den Händen – es verurteilt auf's Heftigste diese subversiven Neigungen der Gebildeten und Filosofen, – und gewiß werden schon die nächsten Tage Dir Gewißheit darüber geben, wie das Volk über Dich denkt.[49]

NERO. Ja, auf wie lange? – man kann nicht immer Getreide geben, Wagenrennen veranstalten, diese Unsummen ausgeben – einmal komt ein Hungerjahr, oder eine Laune erfaßt sie, oder eine neue Idee – und dann macht diese ganze Maße Kehrt! ...


Während Nero sich mit Epaphroditus nach Vorne wendet, komt, von Bewafneten begleitet, Nymphidius vom Treppenaufgang rechts.


NYMPHIDIUS. Herr, die armenischen Gesanten bitten um die Gnade, Dir den Gruß ihres Königs melden zu dürfen.

NERO. Wie viele sind ihrer?

NYMPHIDIUS. Es sind, ohne das Gefolge.

NERO unwirsch, betastet seinen Kopf. ... Ich hab' heute Nacht so schlecht geschlafen! ... mein Kopf ist ganz auseinander ... und jezt diese Affäre in der Hauptstadt! – Ausbrechend. diese Undankbarkeit! ... Nach einigem Zögern. bringen sie Gastgeschenke? –

NYMPHIDIUS. ... prächtige Geschenke in Silber und Gold und – eine Ziter.

NERO aufmerksam. ... eine Ziter? – dann laß' sie herein! Nymphidius mit Epaphroditus ab, die Gesanten einzuholen.Geht mit schmerzlichem Gesichtsausdruck, die Hand an den Kopf gelegt, im Vordergrund auf und ab, spricht halblaut mit sich. ... Ziter – bin begierig ... diese Barbaren! ... – Lukanus, Terpnus, Eukärus – keiner von diesen Leuten da, wenn man sie braucht! – mit seinen elenden Hexametern, dieser Lukanus – 's ist zum Lachen! nein! ich werde keines dieser Gedichte nehmen – Lukanus ist ein Stümper! – ist nicht modern ... Seneka, ja, ja – es wird ihm an den Kragen geh'n, ich hab's ihm immer gesagt – der alte Fuchs, mit seiner Weltweisheit – nun hokt er im Eisen! – keine Gnade! ... 50 Miljonen – seine Samlungen ... und dieser [50] Piso – wer hätte das geglaubt? so reich, so unabhängig – so ein seiner Mensch – kann ihm nicht helfen: wer sich seinem Fürsten vergreift, greift in die götliche Weltordnung ... Wird gestört, bricht ab.


Kosroës und seine zwei Begleiter, in armenischer Tracht, mit Vollbärten, gefolgt von Sklaven, die goldene Gefäße und harfenartige Saiten-Instrumente tragen, treten, von Nymphidius und Epaphroditus geleitet, von der Parktreppe rechts auf.


NYMPHIDIUS führt sie vor. Die Abgesanten des armenischen Königs bitten, dem göttlichen Nero untertänigen Gruß darbringen zu dürfen.

KOSROËS nach tiefer Verbeugung. Im Auftrage meines Königs komme ich, dem mächtigen Kaiser dem Schuzherrn der asiatischen Völker, untertänigen Gruß zu bieten. Mein Herr bittet den Zäsar, diese Geschenke als Ausdruck seiner Freundschaft annehmen zu wollen.

NERO. Ich heiße Euch willkommen. Wie geht es dem Könige, meinem Freunde?

KOSROËS. Er befindet sich in Rom, in Deinem Palaste, und freut sich der vielen Aufmerksamkeiten, die ihm von Deinen Offizieren und dem römischen Volke erwiesen werden.

NERO. Hat der König die Strapazen der Reise glüklich überstanden?

KOSROËS. Er befindet sich wol.

NERO wendet sich den Geschenken zu. Was schikt mir der König Herliches? – Sind das Zitern oder Harfen?

ERSTER BEGLEITER. Dies, Herr, ist die Magadis – mit 20 Saiten, dies das Epigonion mit 40 Saiten.

NERO. Und die Zahl der Töne?

ZWEITER BEGLEITER. Die Zahl der Töne ist etwas geringer, da mehrere Saiten in Oktaven gespant sind.[51]

NERO. Und gespielt werden sie mit den Händen, oder mit dem Schlaginstrument?

ERSTER BEGLEITER. Mit den Händen, Herr!

NERO. Könnt Ihr sie spielen?

ZWEITER BEGLEITER. Nein, Herr!

NERO. Wie? So hohe Beamte, in der Umgebung des Königs, können auf der Ziter nicht vortragen?

ERSTER BEGLEITER. Wir haben eine eigene Zunft, die Musikanten, Herr! welche die Magadis spielen ...

KOSROËS. Der Ruhm Deines Namens, mächtiger Kaiser, als der eines großen Künstlers, ist durch ganz Asien gedrungen, und mein Herr glaubte, dein Wolgefallen zu erringen, indem er Dir einige Saiteninstrumente des Landes mitübersante. Es befinden sich in unserem Gefolge einige Jünglinge, welche es sich zur Ehre machen werden, dir die Magadis vorzuspielen.

NERO. Schikt sie mir heraus, das wird mich freuen! Auch einige tanzende Mädchen ... Habt Ihr Götterbilder mitgebracht?

ERSTER BEGLEITER. Nein, Herr!

NERO. Wer sind Eure Götter?

ZWEITER BEGLEITER stuzt, nach einer Pause. Es ist Agdistis, die große Götter-Mutter, und Men, der Herr des Himmels und der Erde, der König der Könige, der allgewaltige Herrscher über alles Sichtbare und ...

NERO einfallend. Ja, ja, das sind sie Alle! ... Aber bringt mir sie. – Ich habe eine Samlung ... Korrigirt sich. ich meine: ich – äh – verehre die Gottheiten der mir befreundeten Völkerschaften und stelle sie in die Tempel von Jupiter Stator und Minerva ... es sind Alles mächtige Gottheiten ... und oft wendet man sich zu Diesen und oft zu Jenen ...[52] alle Gottheiten sollen sich unter Rom's mächtigem Schuz wolbefinden – ich habe viel von den parthischen Gottheiten gehört – doch nie welche gesehen – sie sollen sehr schön und mächtig sein – bringt sie mir! – sie sollen mir willkommen sein ... Die Gesanten verbeugen sich.Zurüktretend. Grüßt mir Euren König! ... seine Geschenke haben große Freude gemacht ... Die Feier seiner Installierung werden wir in kürzester Frist mit großer Feierlichkeit von Statten gehen laßen ... Mismutig. wichtige Privatgeschäfte und – Krankheit halten Uns momentan von Rom zurük ... inzwischen mag es Eurem Könige wolgeh'n! ...


Die Gesanten treten unter mehrfacher Verbeugung ab, und verlassen, während die Sklaven die Geschenke auf dem Wege nach links forttragen, über die Parktreppe rechts die Szene.


NERO. Wenn Seneka diese Rede gehört hätte, er wäre geplazt vor Neid ...

EPAPHRODITUS. In Wahrheit, Zäsar, sprichst Du geläufig und prunkvoll! – Die Gesanten waren hingerissen von Deiner Erscheinung.

NERO. Und doch bin ich nichts weniger, wie disponirt; – dieses ewige Kopfweh! ... diese Nachtwachen ... diese Schmerzen, die Schlaflosigkeit ... Er geht wieder seufzend auf und ab.


Tigellinus tritt mit großem Geräusch mit einer Kohorte Soldaten und mehreren Zenturjonen vom Parkweg rechts aus auf. Die Kohorte nimt hinten Aufstellung.


TIGELLINUS in höchster Eile und mit fast verzweifeltem Ton. Die Zahl der Verhaftungen hat 800 überschritten. Wir wissen nicht mehr, wohin mit den Leuten. Die Bewegung hat ganz ungemeßene Dimensionen angenommen. Die Schuldigen werden aus dem Senat, sobald sie verurteilt, in größter Eile auf den Richtplatz für Sklaven geschlept und dort kurzweg zusammengehauen – wir können nicht anders! – Der erste[53] Konsul, Lateranus, mußte, um ihn der Volksjustiz zu entreißen, fast auf offenem Marktplaz niedergemezelt werden. Der zweite Konsul, Vestinus, ein Mann ruhigster Gemütsart, aber von einem der Verschwornen angegeben, versuchte gar keine Verteidigung, er rekte, als der Prätor bei ihm eintrat, ohne ein Wort zu sagen, ruhig die Arme hin und ließ sich die Adern öffnen ...

NERO außer sich, die Hände ringend, schreit. Beim heiligen Jupiter, was wollen die Leute von mir? ... Bin ich nicht ein guter Kaiser? ... Ist das Heil des römischen Staates nicht Tag und Nacht meine eifrigste Sorge? ... Habe ich nicht mein halbes Vermögen geopfert, um das arme Volk mit Getreide zu versorgen, – gab ich ihm nicht Spiele, Wagenrennen, Triumfgesänge? ... In äußerster Verzweiflung. Was will man von mir? – Hat unter Tiberius, ja hat unter Augustus ein Volk in solchem Glük, in solchem Wolstande gelebt? ... Er geht in heller Verzweiflung auf und ab. ... Epaphroditus ihm nach, sucht auf ihn einzureden.

TIGELLINUS zu den Zenturjonen, in großer Aufregung. Der ganze Park wird mit einer dreifachen Reihe Soldaten umgeben. Einlaß wird Jedem verweigert, der nicht zu dem persönlichen Dienst des Kaisers, zu seiner täglichen Umgebung gehört. Auch Offizieren. Der hintere Eingang bei den numidischen Löwen wird mit zwei Kohorten aus den germanischen Legjonen besezt. Die umliegenden Villen sind zu observiren und von der Stadt- Seite dort Eintretende genau zu überwachen! Zenturjonen in verschiedener Richtung ab. ... Nach Vorn kommend, zu Nero. Ein großer Teil der von ihren Mitschuldigen im Laufe der Nacht Angegebenen wurden hier, in Deiner nächsten Umgebung, auf ihren Villen heute Morgen aus den Betten geholt und hieher in Gewahrsam gebracht. In Rom sind die Gefängniße überfült. Der Senat hatte sich als Gerichtshof für die[54] ganze Nacht in Permanenzerklärt. Ganze Züge gefangener Ritter und hoher Beamten durchkreuzten heute Morgen die Stadt. Das Volk steht bestürzt vor dieser Erscheinung und bricht in Verwünschungen auf die Uebeltäter aus ...

NERO weinend. Mein liebes, teures, römisches Volk! ...

TIGELLINUS fortfahrend. ... Es lief zu den Tempeln, brachte Dankopfer der Fortuna und dem Jupiter, und bekränzte Deine Statuen auf dem Forum und auf dem Kapitol ... Ein Teil des Volkes und der Senat sind auf dem Wege hieher, Dich zu beglükwünschen, Dir die Hände zu küßen ...

NERO wie oben. O heilige Roma, hast du seit Sulla und Marius Solches in deinen Mauern gesehn? ...


Man sieht im Hintergrund Gefangenen-Transporte vorüberziehen. Die Gefeßelten, barhäuptig, in vornehmer Kleidung, werden von den Soldaten vorwärts gestoßen.


TIGELLINUS wie oben. Skävinus und Vitalis sind tot! Piso öffnete sich, als er die Soldaten auf sein Haus zukommen sah, die Adern. Den Seneka gab Vitalis sterbend als Mitwißer an. Die Eparchis, eine verkommene Person, die schon vor vierzehn Tagen die Mannschaften auf Deinen Schiffen zur Untreue verleiten wolte, und seitdem in Haft behalten worden war, wurde heute Nacht drei Stunden gefoltert, um sie zu einem Geständnis zu bewegen, und erhängte sich zulezt am Marterpfosten, um nicht ihre Mitwißer angeben zu müßen ... In diesem Augenblik wird im Hintergrund der Garde-Tribun Subrius Flavus als Gefangener eskortirt.Auf ihn hinweisend. – sogar in die Reihen Deiner Garde hat sich der Verrat geschlichen und Leute, die unter ihrem heiligen Eid zu Deinem Schutz designirt waren, haben Dir die Treue gebrochen und sich zu Deinen Feinden geselt! ... Zu Flavus, der von den Soldaten hereingestoßen. Jezt[55] sprich, Ehrloser, wenn du den Mut hast, die Stimme zu erheben; was trieb dich zum Verrat an deinem gütigen Kaiser? – –

NERO auf ihn zu. Undankbarer, den ich mit Woltaten überhäuft, wonach gelüstete es dir, als du zu meinen Feinden übergingst? ...

FLAVUS untersezter, stiernakiger Mensch, trozig, mit blutunterlaufenen Augen, fast brüllend. ... Ich bin nur Soldat – und kann nicht viel Worte machen! ... ich war meiner Pflicht treu – und habe für Dich gegen die Parther geblutet, solange ich wußte, daß Du der glorreiche Vertreter unseres gemeinsamen, teuren Vaterlandes warst ... Geschrei der Umstehenden, die auf ihn einbringen.Zu den ihn Haltenden, wütend. Greift mich nicht so roh an! diese Arme haben Triumfkränze getragen! ... Zu Nero, spukend. doch verachtete ich Dich, als Du zur Memme wardst – das Schwert mit der Ziter vertauschtest – statt der Feinde Deine Verwanten hinschlachtetest ...

EPAPHRODITUS dringt mit gezüktem Schwert auf ihn ein. Schlagt den Hund nieder! ...

FLAVUS wie oben, mit äußerster Anstrengung, brüllend. ... du Mörder du! – Schänder der römischen Freiheit ... Bluthund! ...


Sie dringen mit wildem Geschrei auf ihn ein und stoßen ihn fort. Nero wendet sich mit erschrokener Geste ab.


TIGELLINUS zu den Abziehenden. Macht nicht viel Federlesens! – Eine Grube außerhalb des Parks ausgehoben – den Kopf voraus – den Rumpf hintennach – und zugeschüttet!


Während der Gefangene abzieht und Alles in großer Erregung durcheinandergeht, strömt von allen Seiten eine große Menge Volks, Frauen und Männer, mit Kränzen und Palmwedeln, jubelrufend im Hintergrund zusammen. Sie übersteigen hinten vom Garten aus die Balustraden und bilden eine vielköpfige, sich übereinandertürmende nicht mehr

zu hemmende Maße. Die Senatoren, in weißen Togas mit[56] lorberbekränzten Schläfen, werden als geschloßene Gruppe in der Mitte sichtbar. Alles bricht in Beglükwünschungen und Jubelrufe aus: »Heil Zäsar! – Heil dem Liebling der Götter! – Zäsar Heil!« ... Ehe noch der Sprecher des Senats Zeit hat, vorzutreten, wendet sich.


NERO im Vordergrund stehenbleibend, das Ganze überschauend, widerwärtig. Oh, ja, ja! – Ist schon gut! – Gebt Euch keine Mühe! – Morgen treffen wir uns in Rom! ...


Unter wachsendem Tumult, während die Soldaten kaum im Stande sind, die immer mehr anschwellende Menge zurükzuhalten und fortwährendem Freude-Geschrei.


Fält der Vorhang.


Quelle:
Oskar Panizza: Nero. Zürich 1898, S. 34-57.
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