Paraphrase

[198] »Ein Menschenleben, ach, es ist so wenig!

Ein Menschenschicksal, ach, es ist so viel!«

Grillparzer.


Der Welle gleich, die fern vom Meeresstrande

Spurlos im weiten Ozean verschwimmt;

Der Flamme ähnlich, die nach kurzem Brande

Zu einem toten Aschenrest verglimmt;

Ein Schatten nur in täuschendem Gewande,

Der, kaum erschienen, auch schon Abschied nimmt;

Dem Walten blinder Kräfte unterthänig, –

Ein Menschenleben, ach, es ist so wenig!


Allein in dieser armen Spanne Zeit,

Die uns, den Bildern eines Traums, gelassen,

Welch ein Gedräng' von Schmerz und Seligkeit!

Welch ein Gewog' von Lieben und von Hassen!

Ob nichtig auch dies Sein, das Herz ist weit

Und kühn genug Unendliches zu fassen

Im Los, das ihm für flücht'ge Stunden fiel –

Ein Menschenschicksal, ach, es ist so viel!

Quelle:
Betty Paoli: Gedichte. Auswahl und Nachlaß, Stuttgart 1895, S. 198-199.
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