Rosa multiflora

[195] Vor allen deinen Schwestern

Gepriesen seist du mir

Du, die so heut wie gestern

Des Gartens blüh'nde Zier.


Die, wenn die andern lange

Den letzten Duft verstreut,

In freud'gem Lebensdrange

Sich immerfort erneut!


Laß sie nur prunkend stehen

Und hauchen würz'gen Brand!

Sie blühen und verwehen,

Du aber hast Bestand.


Du rankst an welken Hagen

Und zauberst unserm Blick

Noch in des Herbstes Tagen

Den Rosenmond zurück. –


Mir spiegelt sich in jenen

Das Glück, das lockend gleißt

Und, wenn wir's unser wähnen,

Sich unserm Arm entreißt;


In dir der stete Segen,

Den mild ein guter Geist

Auf unsern Erdenwegen

Uns still begleiten heißt.


Hold tritt er uns entgegen,

Wenn bang die Seele ringt,

Der unscheinbare Segen,

Den jeder Tag uns bringt!

Quelle:
Betty Paoli: Gedichte. Auswahl und Nachlaß, Stuttgart 1895, S. 195-196.
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