4.

[161] Kaum hat der purpurne Morgenstrahl

Vom Schlummer geweckt die Erde,

Da hält er vor des Schlosses Portal

Und schwingt sich herab vom Pferde.

Warum er also hastet und jagt,

Er weiß sich's selbst nicht zu deuten!

Ist frei Geleit ihm doch zugesagt

Vom Früh- bis zum Abendläuten!


Er pochet, lächelnd ob seiner Hast,

Jetzt an die eichene Pforte.

Geöffnet wird sie dem frühen Gast

Mit lässig zögerndem Worte.

Er schreitet hin durch der Diener Reih',

Die, halb noch im Schlafe, stammeln:

»Wohl manche Stunde schleicht noch vorbei

Bis sich die Herren versammeln.


Ich denke, deß hat es keine Not!

Sie werden so lang nicht bleiben.

Des Kaisers Befehl, der mich her entbot,

Wird sie auch zur Eile treiben.

Geht! bringet mir einen frischen Trank,

Nach alter, gastlicher Sitte!

Ich will indessen auf dieser Bank

Ausruhen vom langen Ritte!«
[161]

Umsonst! zur erwünschten Ruhe läßt

Ihn Ungeduld nicht gelangen.

Er murmelt, die Hand zur Faust gepreßt:

»Ist das ein Hangen und Bangen!«

Zwei Stunden verschleichen. Die Sonne flammt

Schon hoch am azurenen Sitze, –

Da endlich kommen sie allesamt,

Herr Puchau an ihrer Spitze.


»Wo ist der Kaiser? mein gnäd'ger Herr?«

Baumkircher erhebt die Frage.

»Ach! leider befiel ein Siechtum schwer

Den Kaiser am gestrigen Tage.

Von Fieberglut das Auge getrübt,

Muß sorgliche Ruh' er halten.

So wollen wir nun, wenn's Euch beliebt,

Ohn' ihn der Geschäfte walten.«


Baumkircher tritt an den Sprecher dicht,

Es zucket um seine Brauen.

»So soll ich sein teu'res Angesicht,

Das lang entbehrte, nicht schauen?«

»Ihr hört ja: ihn hält die Krankheit gebannt.

Notwend'gem muß man sich fügen!

Doch hat er uns statt seiner entsandt, –

Ich denke, das mag genügen.«


Baumkircher zögert; er prüft und sinnt,

Ob er sich dem unterwerfe,

Doch, rasch sich setzend, Puchau beginnt

Mit näselnder Stimme Schärfe:

»»Erleuchtung wünschend bei ihrem Thun

Den Herren all', die da kamen,

Beginne ich die Verhandlung nun

In Kaisers Auftrag und Namen!
[162]

Ihr wisset, Ritter, warum er Euch

Vor dieses Gericht beschieden:

Mit Aufruhr verstörtet Ihr das Reich,

Verletztet den Landesfrieden.

Doch will der Kaiser in seiner Huld

Nicht hoffnungslos Euch vervehmen!

Ein reuvoll Geständnis Eu'rer Schuld

Kann sie vom Haupte Euch nehmen!««


Mit festem Mut Baumkircher versetzt:

»Wohl habe ich mich vergangen!

Doch wer ward schwerer als ich verletzt?

In ärgern Schlingen gefangen?

Beging ich Unrecht, so wird davon

Die Schuld nur jener gesteigert,

Die, jahrelang, unter Spott und Hohn,

Mein gutes Recht mir verweigert!«


»Ihr spielt auf Eu're Forderung an?

Nicht rühmlich ist solch' Verlangen!

Sagt! ziemt sich's für einen Rittersmann

So gierig am Gold zu hangen?«

»Am Golde? ich? Nun, bei Christi Blut!

Wem da die Geduld nicht endet!

Hab' ich denn nicht all mein Hab und Gut

Zum Dienst des Kaisers verwendet?


Und hätte der Feind das Purpurkleid

Von seinen Schultern gerissen,

Mir wär' um meinen Verlust nicht leid!

Gern wollt' ich den Bettel missen.

Die nicht von ihm verschuldete Not

Ertrüge ich fest und heiter,

Und willig suchte ich mir mein Brot

Als Landsknecht oder als Reiter.
[163]

Nur daß er, nachdem der Sieg ihm ward,

Mich kalt von sich abgeschüttelt,

Die schlimme Kränkung hat allzu hart

An meiner Treue gerüttelt.

Ein Wort aus des Kaisers Munde bricht

Mein Bündnis mit Ungarns Horden!

Doch wisset: eher ruhe ich nicht,

Bis volles Recht mir geworden.«


»Wohlan! so thut uns vor allem kund,

Wohin jene Summen geflossen,

Die Ihr, hat Eure Behauptung Grund,

Dem Kaiser einst vorgeschossen?«

»Das fragt Ihr mich noch? Bei meinem Schwert!

Die Antwort liegt nah' zu Handen:

Die Söldner hab' ich damit ernährt,

Die für ihn im Felde standen!«


»Gemach! zum Worte, das Einer spricht,

Muß sich der Beweis gesellen,

Drum frag' ich Euch: könnt Ihr dem Gericht

Glaubwürdige Zeugen stellen?«

»Zwar bin ich gewohnt, daß männiglich

Sich meinem Ritterwort beuge,

Doch, muß es sein, so füge ich mich:

Der Eggenberg ist mein Zeuge.«


»Wen, Ritter, habt Ihr uns da genannt?«

Fragt Puchau mit Truggebärden.

»Herr Eggenberg weilt in fernem Land,

Kann hier nicht vernommen werden.

Verzichtet auf seine Zeugenschaft,

Wie gerne er sie Euch gönnte,

Und sucht nach andrer Beweiseskraft,

Bringt Schriften und Dokumente!«
[164]

Baumkircher zieht aus des Gurtes Hut

Ein Täschlein mit Goldgespänge.

»Sind Dokumente zu etwas gut,

Da habt Ihr deren die Menge!

Genügt der Beweis Euch, wirr und kraus,

Dem Tintenfasse entquollen?«

Und auf den Ratstisch streut er aus

Die pergamentenen Rollen. –


Die Stunden enteilen wie im Flug

Beim Forschen und beim Vergleichen;

Geprüft wird jeglicher Strich und Zug,

Geprüft jedes Siegel und Zeichen.

Die Räte schauen sich müd' und matt,

Daß ihnen die Augen schwimmen!

Hier fehlt das Datum auf einem Blatt,

Dort will die Rechnung nicht stimmen!


Wann sah man wohl jemals ein Gericht

So eifrig wie dieses tagen?

Die wackern Herr'n beachten es nicht,

Daß längst es zwölf Uhr geschlagen.

Gewissenhaft ist jeder bestrebt,

Den Wert der Ford'rung zu schätzen,

Bis endlich sich Herr Puchau erhebt,

Dem Fleiße ein Ziel zu setzen.


»Bleibt uns auch manches und vieles noch

Zu sichten, zurecht zu legen,

So mein' ich, wir sollten vorher doch

Ein bischen des Leibes pflegen.

Ein Stündlein sei der Geschäfte Last

Von unsern Schultern genommen!

Ihr, Ritter Baumkircher, seid als Gast

Des Kaisers uns hochwillkommen!«
[165]

»Herr Puchau! laßt uns die werte Zeit

Vergeuden nicht beim Bankette!

Ihr wißt es ja selbst: mein frei Geleit

Gilt nur bis zur Abendmette.«

»Wir halten dran nicht so peinlich fest.

Seid deshalb ganz außer Sorgen!

Mit wenigen Federstrichen läßt

Es sich verlängern bis morgen.«


»Das wolltet Ihr thun?« »Gewiß! gewiß!

Zum beiderseitigen Frommen!

Unmöglich dünkt es mich ohnedies

Noch heut' zu Ende zu kommen.

Doch morgen fällen wir, Euch zu Dank,

Den Spruch nach bestem Ermessen.

Nun aber folgt mir, bei Speis' und Trank

Der Sorgenlast zu vergessen!«


Wie duften die Speisen würzig fein

In silbergetrieb'nen Schalen!

Wie schäumt und perlet der edle Wein

In dunkelgrünen Pokalen!

Als sorglicher Wirt hat Puchau baß

Beim Gast seinen Platz genommen.

Er legt' ihm vor, er füllt ihm das Glas, –

Wohl mög' es dem Ritter bekommen!


Vertraulich rückt er ihm näher und schwört,

Wie sehr ihm's am Herzen nagte,

Daß man so lange, vom Scheine bethört,

Dem Treuen sein Recht versagte.

Und leiser flüstert er ihm in's Ohr:

»So sind die Fürsten, die besten!«

Baumkircher! Baumkircher! sieh dich vor!

Schon neigt die Sonne nach Westen!
[166]

Da, endlich auf Sicherheit bedacht,

Zieht er Herrn Puchau beiseite:

»Verlängert, wie Ihr's vorhin verspracht,

Mir schriftlich mein frei Geleite!«

»Auf meine Gefahr? das geht nicht an!

Zwar diente ich Euch mit Freuden,

Doch über den geächteten Mann

Darf nur der Kaiser entscheiden.«


»Der Kaiser? Sagtet Ihr nicht, er sei

Für niemand zu sehen, zu sprechen?«

»Für mich ist er's wohl! Mir steht es frei,

Die strenge Klausur zu brechen.

Ich eile zu ihm, ihm nach Gebühr

Der Dinge Stand zu erklären.

Harrt meiner indeß im Saale hier,

Bald seht Ihr mich wiederkehren!«


Fort eilt er. – Baumkircher blickt ihm nach,

Verwirrt, mit sich selbst im Streite.

Den Blick gesenkt, durchmißt das Gemach

Er sinnend die Läng' und Breite.

Der Argwohn faßt ihn, mit gift'gem Blick

Das fromme Vertrauen lähmend,

Allein der Ritter weist ihn zurück,

Im Herzen sich seiner schämend.


»Nein!« denkt er, »noch gilt des Eides Band,

Und dieses hält sie gebunden!

Ich bin in einem christlichen Land,

Bin nicht unter Türkenhunden!

Ein Wortbruch? O rettungslose Schmach,

Vor der selbst der Räuber schaudert!«

Und, wieder durchschreitend das Gemach:

»Wie lang doch der Puchau zaudert!«
[167]

Baumkircher! siehst du die Berge nicht,

Die schirmend die Stadt umkränzen,

Im weithin strahlenden Purpurlicht

Des scheidenden Tages glänzen?

Blick auf, und sieh die Wellen im Strom

Wie flüssiges Gold erglühen,

Die steinernen Blumen dort am Dom

Im Abendschein farbig blühen!


Jetzt fährt er empor! Ein wilder Schrei,

Ein Fluch, – und fort aus dem Saale,

An Marschalk und Trabanten vorbei,

Stürmt er hinab zum Portale.

Er schwingt sich mit einem Sprung auf's Pferd,

Er drückt ihm den Sporn in die Weichen,

Er rast dahin wie der Sturmwind fährt,

Wie eilende Wolken streichen!


Schon ist der äuß're Zwinger erreicht!

Gottlob! das Pförtlein noch offen!

Sein stürmisch fliegendes Herz beschleicht

Auf's neue ein frohes Hoffen.

Wie jagt er! wie flattern silberweiß

Im Winde des Greises Locken!

Da, horch! ertönt in den Lüften leis'

Das Läuten der Abendglocken.


Und eh' noch des Wächters Hornruf gellt,

Ist an dem Pförtlein der Ritter!

Weh! vor den Nüstern des Rosses fällt

Herunter das Eisengitter.

Jetzt schmettert auch des Hornes Signal, –

Es singet ihm Sterbelieder!

Doch nein! noch dämmert ein Hoffnungsstrahl!

Den Rappen wendet er wieder.
[168]

Greif aus! greif aus! – Auf felsiger Bahn,

Von Abendnebeln umflossen,

Sprengt er zum obern Thore hinan, –

Auch dies, auch dieses verschlossen!

Es zuckt noch über sein Angesicht

Ein tiefstes, ein letztes Wehe,

Dann faltet er die Hände und spricht:

»Mein Gott! dein Wille geschehe!«


Die Schlüssel kreischen, der Riegel knarrt,

Aufthut sich des Thores Weite,

Die Schergen, die schon des Fangs geharrt,

Umstellen die edle Beute.

Voran ein Priester, des Heiles Pfand,

Das Kruzifix in der Rechten,

Und hinter ihm, im roten Gewand,

Der Henker mit seinen Knechten. –


Baumkircher! du Held, vom Ruhm erkiest

Auf seinen Bahnen zu wallen!

Trotz Schuld und blutiger Sühnung ist

Das bess're Teil dir gefallen!

So grimm kann die Axt des Henkers nicht

Des Lebens Mark unterwühlen,

Wie ihres eig'nen Gewissens Gericht

Die Meuchler auf seid'nen Pfühlen![169]

Quelle:
Betty Paoli: Gedichte. Auswahl und Nachlaß, Stuttgart 1895, S. 161-170.
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