38. Von einem wackern Mann / der sich selbst nicht mehr kandte.

[72] In jener kleinen Provintz / welche fast durch die gantze Welt eben so bekandt ist / als das grosse Liecht /welches dieselbe erleuchtet / ist ein zimlich[72] berühmtes Dorff wegen eines Roßmarckts / welcher daselbst jährlich gehalten wird. Daselbst wurde ein Procurator zum Amtman bestellt auf eine Zeitlang. Als dieser einsten durch gedachtes Dorff / mit 7. oder 8. Dienern hinter ihm gienge / ward er angeschrihen von einem Bauren / er gienge aber seinen Weg fort / liesse das Geschrey vor Ohren gehen / und stellte sich / als hörte er ihn nicht. Der Baur gehet noch so geschwind fort /lauffet über den Kirchhof / umb den Weg abzuschneiden: redet ihn endlich mit diesen Worten an: Wie da? kennet mich der Herr nicht mehr? Darauf antwortet der Ambtmann etwas ernstlich: Was der Teufel solt ich dich kennen / weil ich mich selbst nicht mehr kenne? Ich hab schier meinen vorigen Zustand vergessen: Und dencke nicht mehr an das jenige / was ich vorher gewesen / nach dem ich siehe so viel grip homines hinter mir gehen / da jederman vor mir den Hut abnimmet. Diese Antwort / also geschwind ertheilet /ward für so gut aufgenommen /[73] daß jedermann anfienge zu lachen. Sie war ungezwungen / und ohne falsch fürgebracht von solch einem Menschen / der weniger vom Ehrgeitz / als von seinem Creditoren beunruhiget worden.

Quelle:
Parivall, J[ean] N[icolas] d[e]: Sinnreiche / kurtzweilige und Traurige Geschichte [...]. Nürnberg 1671, S. 72-74.
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