Von Ernst das 625.

[346] Der Reich det dem Armen Schaden.


Es schreibt Seneca in quadam proclamatione, wie da ist gewesen ein reicher Man neben einem armen Man. Der arm Man het ein Baum, der irt den reichen Man, das man zů seinem Thor nit wol hinyn mocht faren mit Wägen und Kärchen. Der reich Man bat in, er wolt den Baum abhawen und in im zů kauffen geben, er wolt in im wol bezalen. Der arm Man gab im ein hoffertige Antwurt und ein stoltze Teding und wolt es nit thůn. Der reich Man rüst zů, das der Baum in einer Nacht ab ward gebrant, und von dem Baum fielen Funcken und Flamen uff des armen Mans Huß, und verbran im das Huß und, was darin was, auch.

Der arm Man nam den Reichen mit Recht für und klagt uff in umb den empfangnen Schaden. Der reich Man gab sein Antwurt, es wer war, er wolt im gnůgthůn nach der Stat Satzung. Es stünd also geschriben und wer ein Artickel der Stat, wer dem andern Schaden thet mit Willen oder mit Anschlag, der solt fierfeltig widergelten den Schaden. Wer aber dem andern Schaden thet mit Unwillen und nit gern und nit mit Anschlag, der solt den Schaden einfeltig bezalen. Also wer es hie, er het den Baum mit Willen und gern verbrent, den wolt er im fierfeltig bezalen; das aber das Huß verbrant wer, das wer im leid; er het es nit in seinem Sinn gehebt, es wer wider sein Willen geschehen; den Schaden wolt er im einmal bezalen. Also satzt man die Sach zů Recht, und erkanten die erber Lüt, das es bei dem Artickel bleiben solt, und bleib auch also darbei.

Geistlich darvon zů reden, so ist der reich Man Got der Her, der arm Man ist der Mensch, und der Baum ist der Wil des Menschen. Der Baum hindert vil Menschen an der Selikeit und thůt Got Schaden und stot im auch vor seiner Klarheit, wan der Glaub Gottes und sein Glori in demselben Menschen nit uffgat, als wan er nit so eigenwillig wer. Den Baum verbrent Got und bezalt[346] in fierfeltig, wan die Seel in das ewig Feüer geworffen würt. Wan nichtz brent in der Held dan der eigen Will. Nim den hinweg, so ist kein Held mer, spricht Sant Bernhart. Das Huß, das ist der Leib, würt auch verbrent werden an dem jüngsten Tag, so mir erston werden etc.

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 346-347.
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