Der siebente Auftritt

[246] Sir Willhelm Southwell. Lucie.


WILLHELM vor sich. Gott! der schreckliche Augenblick nahet heran, da ich mich selbst als ein Verbrecher wegen eines Lasters anklagen soll, das ich an Lucien strafen will. Zu Lucie. Die Umstände, in denen ich Sie und mich sehe, dringen mir ein Geheimnis ab, das ich sonst noch lange in meiner Brust würde verborgen haben.

LUCIE. Behalten Sie es, was es auch für eines sei. Meine Seele ist jetzt nicht fähig, es anzuhören.

WILLHELM. Sie müssen es – Mein törichtes Herz! welche Bewegungen! – Sie wissen, ich habe Sie geliebet. – Ach, Lucie, könnten Sie doch in meiner Seelen lesen, ohne daß ich reden dürfte?

LUCIE. Ja, ich weiß, Sie haben mich geliebet, solange ich es verdienete, geliebet zu werden.

WILLHELM. Ich bin strafbarer als Sie – Der Tod meiner Frau –

LUCIE. Breitete die erste finstere Wolke über Ihr heiteres Gesicht aus.[246] Es war um diesen unglücklichen Zeitpunkt herum, da Sie sich einer gewissen verlassenen Kreatur erbarmeten und sie von der Frau Norris zu sich nahmen.

WILLHELM. Sie verstehen mich nicht. Ich muß – ich muß Ihnen sagen – Diese Eltern, die Sie –

LUCIE. Nichts von diesen Eltern, wenn ich bitten darf, Sir! Mein umhergetriebenes Herz ist in diesem schwarzen Augenblicke lauter Wut. Ich muß diese Eltern in ihm verabscheuen, so sehr ich mich selbst dafür strafe. Ich bin ihnen nichts als meine Leiden, meine Verzweiflung schuldig. Lassen Sie mich in Ihren Augen nicht noch abscheulicher werden, als ich schon bin. Müssen Sie mich nicht schon genug hassen, daß ich Ihnen Ihren Sohn geraubet habe?

WILLHELM. Ich sollte Sie hassen? Meine ganze Seele ist Liebe für Sie. Was für ein quälender Gedanke für mich, wenn Sie meine Liebe mit Haß belohnen sollten? Würden Sie nicht Ihren Vater hassen?

LUCIE. Nein! mein Vater, erlauben Sie mir einmal diesen Namen, ich habe einiges Recht darzu. Lucie muß Ihnen leider für Ihre Wohltaten Undank, aber keinen Haß zurückgeben. Der Vater meines Gemahls –

WILLHELM. Vergessen Sie diesen unwürdigen Gemahl. Es wird noch ein edleres Herz sein, das Sie glücklich machen kann. – Warum sind doch meine Umarmungen, meine Küsse, selbst meine Seufzer und mein zitterndes Herz zu schwach, Ihnen zu entdecken, was ich empfinde – Ein – Unselige Betty! welcher böse Engel hat dich in dem unglücklichsten Augenblicke hergesandt?


Quelle:
Die Anfänge des bürgerlichen Trauerspiels in den fünfziger Jahren. Leipzig 1934, S. 246-247.
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