Der siebente Auftritt

[261] Die Vorigen und Sir Karl.


KARL in einiger Entfernung. Ja, ich sehe Lucien wieder. Aber ach! soll ich sie mit Abscheu oder mit der ehemaligen Zärtlichkeit wiedersehen? Der verdammte Robert! Hätte er meine Brust durch einen grausamern Zweifel foltern können? Nein! seine Betrügerei ist zu klar. Meine Lucie! meine Gemahlin! endlich können sich unsere Seelen auf ewig miteinander vereinigen. Wie? Sie entreißen sich den Armen des zärtlichen Liebhabers? Mit Zittern? mit Abscheu? Himmel, ich bin verloren! Der barbarische Robert ist nicht zufrieden gewesen, mich allein zu martern. Glauben Sie doch seinem Betruge nicht. Sehen Sie seine eigennützige Absicht nicht ein?

LUCIE. Was wollen Sie mit dem Sir Robert? Von was für Betruge reden Sie? Haben Sie noch eine Qual mehr für Lucien? Sagen Sie solche. Aus keinem Munde als dem Ihrigen kann sie mit mehrerm Rechte gehöret werden. Ich will Ihre Mühe damit belohnen, daß ich Ihre Seele einen neuen Schmerz empfinden lasse, den Sie noch nicht zu wissen scheinen. Sie würden sonst die wenigen Minuten, da Sie mich mit Ihrer Zärtlichkeit quälen, mit Flüchen über mich zugebracht haben. Ja! die Rache des Himmels[261] hat Sie zu der bequemsten Zeit zurückgeführet, einen Vater zu rächen, den ich Ihnen geraubet habe.

BETTY. Wie können Sie den zärtlichsten Liebhaber mit Ihrem Geschwätze quälen? Kommen Sie, Sir. Verlassen Sie die Fräulein, bis sie sich gefaßt hat. Sie wissen, sie hat jederzeit viel Neigung für den Sir Willhelm gehabt.

KARL. Liebe und Rache haben mich zurügeführet, meine Lucie an einem ungerechten Vater und an seinem boshaften Freunde zu rächen. Diese Liebe und Rache haben mich List genug gelehret, die grausamen Anschläge, die man wegen unserer Trennung gemachet hat, zu vernichten. Ich habe diesen Augenblick bei meiner Ankunft gehöret, daß der Feind unserer Glückseligkeit tot ist.

LUCIE. Ihr Vater tot? und sein Sohn hier bei Lucien? –

KARL. Pflicht und Betrübnis würden mich zuerst zu seinem Leichname geführet haben, wenn mich nicht seine Grausamkeit und meine Liebe gezwungen hätten, mit Ihnen zuerst die Freude unserer Wiedervereinigung zu fühlen. Aber wie hätte ich eine so schmerzliche Empfangung vermuten können? Wen beklagen Sie? War es nicht der Feind Ihrer und meiner Glückseligkeit? Gütiges Herz! Sehen Sie, der Himmel ist gerecht. Er erlaubet ihm nicht länger, sich unserer Liebe zu widersetzen.

LUCIE. Bösewicht! wissen Sie wohl, daß Sie Lästerungen wider den Himmel reden? Sollen Sie ihn zu dem Urheber des schrecklichsten Lasters machen? Wissen Sie wohl, daß dieser Vater, den Sie Undankbarer ungerecht nennen, in seinen letzten Augenblicken mit dem Munde, mit dem er den fürchterlichen Fluch hätte auf uns legen sollen, den zärtlichsten Segen über uns aussprach? Daß diese Lucie – Verlassen Sie mich, Southwell, wenn ich eine Erleichterung meiner Martern fühlen soll, und wenn Sie nicht selbst mit mir zugleich alles Schreckliche derselben fühlen wollen.

BETTY. Fräulein, Ihr Herz und Ihr Kopf scheinen in gleicher Unordnung zu sein. Besinnen Sie sich doch. Sir Karl, lassen Sie mich Ihnen in zwei Worten den Grund von dieser ausschweifenden Hitze entdecken. Die Fräulein hat sich den schwärmerischen Einfall in den Kopf gesetzet, daß sie durch die dem Sir Willhelm verursachten Bekümmernisse ihm das Leben verkürzet habe. Sie wissen, es hat sich noch niemand in vierundzwanzig Stunden, so alt waren ungefähr die Bekümmernisse des Sir Willhelms, zu Tode gegrämet. Sie kennen indessen Ihr ungestümes Herz. Überlassen Sie[262] es einige Stunden sich selbst. Es wird sich sodann seiner eigenen Schwachheit schämen.

KARL. Liebenswürdige Zärtlichkeit! Ach! Betty, ich fürchte nur, Robert –

LUCIE. Nein, Betty, deine List ist vergeblich. Warten Sie, Sir. Ich will dieses Feuer nicht länger in meinen Gliedern allein wüten lassen. Verdiente ich's allein, unglücklich zu sein? Nein, Sie sollen, Sie müssen es mit mir sein. Barbar, Sie verdienen es in einem noch höhern Grade zu sein als ich. Zittern Sie vor dem, was ich Ihnen sagen will.

BETTY vor sich. Betty, nun ist es Zeit. Sie geht heimlich ab.

LUCIE. Und nun, Southwell, soll ich mich vor Ihnen und Sie mit mir zugleich selbst anklagen? Immer noch stolz mitten in der niedrigsten Gottlosigkeit, widersetzet sich mein Herz, meine Schande zu nennen! Können Sie dann nicht dieselbe in meinem Abscheu, in meiner Verzweiflung, mit der Sie mich kämpfen sehen, entdecken? Saget Ihnen Ihr eignes Herz nicht, wie gottlos ich, wie gottlos Sie selbst sind?

KARL. Vergessen Sie doch, meine liebste Gemahlin –

LUCIE. Nicht Gemahlin! Sprechen Sie diesen Namen nicht aus. Er ist jetzund mehr als die Hölle selbst für mich, soviel Glückseligkeit ich Törin auch sonst darinnen zu finden glaubete. Gott muß ihn mit Abscheu hören und die Strafe beschleunigen, die wir verdienen.

KARL. Ach! meine teuerste Lucie, ich sehe, man hat mein Herz nicht allein mit dem niederträchtigsten Betruge zu verwunden gesuchet. Vereinigen Sie doch alle Umstände; und sie werden finden, daß Ihr Laster Einbildung ist.

LUCIE. Mein Laster, Einbildung? Wissen Sie bereits, was ich bin? Wer hat es Ihnen gesaget? Meine Verbrechen, meine Schande schreien also bereits laut wider mich? Und ich Elende verzögere noch einen einzigen Augenblick ein Leben, welches der Spott, der Abscheu und der Fluch der Welt geworden ist? Welche stumme, welche leblose Zeugen sind die Ankläger meiner Schandtaten geworden?

KARL. Beruhigen Sie sich doch, mein Herz. Meine Brust hat im Anfange ebensoviel gelitten als die Ihrige. Der Verdacht, den man in mir zu erregen suchete, war zu grausam, als daß er mich nicht hätte quälen sollen. Ich zitterte vor der Schande und dem Laster –

LUCIE. Ruchloser! Sie wissen meine Laster, meine Schande, und Sie verdoppeln noch die Ihrigen durch Ihre Zärtlichkeiten? Was zögern Sie? Tun Sie die einzige gute Tat, die Sie in Ihrem Leben können getan haben.[263] Stoßen Sie den Dolch in diese Brust, die Sie durch Ihre verfluchte Liebe zu einer Wohnung der schwärzesten Laster und der Qual dieser Laster gemachet haben. Hören Sie die Stimme Ihres Vaters, diese Stimme, die Rache wider mich verlanget, wenn Sie meine Bitte nicht hören wollen. Nur unter dieser einzigen Bedingung verzeihe ich Ihnen die Grausamkeiten, die Sie an mir ausgeübet haben.

KARL. Ein einziger ruhiger Augenblick würde Sie dieser ungegründeten Verzweiflung, bei welcher mein Herz für Betrübnis blutet, entreißen können. Besinnen Sie sich doch, daß es der Eigennutz und der niederträchtigste Neid sind, die unsere Liebe des abscheulichsten Lasters beschuldigen. Konnten Sie wohl beide ein einfältigeres Märchen erfinden, ihren Endzweck zu erreichen? Wenn hat mein Vater jemals eine Tochter, ja nur ein einziges Kind außer mir gehabt? Wie habe ich also jemals in Lucien meine eigene Schwester lieben können?

LUCIE. Ihre Schwester! Ha! Lucie selbst weiß ihre Laster noch nicht alle. Fürchterliche Dunkelheit! Bald soll sie sich aufklären. Ein schwacher Strahl blitzet durch sie hindurch! Aber wie schrecklich ist er. Ich bin unfähig, das entsetzliche Wort noch einmal auszusprechen. Erklären Sie sich deutlicher, Southwell.

KARL. Warum bin ich doch so unvorsichtig gewesen, Sie mit einem Schmerze zu beunruhigen, den Sie nicht wußten. Lassen Sie uns diesen elenden Betrug der Vergessenheit und Verachtung aufopfern, die er verdienet. Unsere Liebe –

LUCIE. Barbar! martern Sie mich nicht durch Ungewißheit. Sagen Sie mir, wer ich bin!

KARL. Meine Lucie, meine Gemahlin, meine einzige Freude meines Lebens sollen Sie aller Welt und dem Himmel zum Trotz selbst sein.

LUCIE. Nichts! die Mörderin deines Vaters, deine eigene Henkerin und das größte Ungeheuer, Southwells Tochter selbst will ich sein. Wo ist Robert?

KARL. Der Verleumder! der Bösewicht! Er soll meine Rache für die Schmerzen empfinden, die er mir und Ihnen verursachet hat. Ich fodere die ganze Welt auf, mir meine Gemahlin zu rauben. Er will sie umarmen.

LUCIE. Laß mich! Unmensch! Meine Seele zittert, dich mit einem andern, mit einem noch schrecklichern Namen zu nennen. Doch wie? ist es nicht ein Traum? ist es nicht Einbildung? Bin ich es wirklich? Das giftigste Gewürme,[264] das jemals die Erde ernähret hat? Ja, diese Peiniger, diese Vorboten noch größerer Qualen, wenn sie möglich sind, diese Angst, diese Verzweiflung, sagen sie mir nicht, was ich bin? Hölle! sieh deinen Raub! was verziehst du?

KARL. Verfluchter Robert! welche Marter ist ungerecht für dich, wenn es Bosheit ist? Aber wie, wenn es Wahrheit wäre? Unsinnige Furcht! sie kann, sie soll es nicht sein. Was für eine elende Erfindung!


Quelle:
Die Anfänge des bürgerlichen Trauerspiels in den fünfziger Jahren. Leipzig 1934, S. 261-265.
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