Der neunte Auftritt

[266] Die Vorigen und Sir Robert.


KARL. Alter Bösewicht! –

LUCIE. Halten Sie ein, Unsinniger! Das Maß Ihrer Verbrechen ist bereits voll! Sie haben keine weiter nötig, treten Sie näher, Sir Robert. Wiederholen Sie mir, was Sie Sir Karln vor kurzer Zeit gesaget haben. Sagen Sie mir in zwei Worten, wer ich bin; ich weiß, Sie wissen es.

ROBERT. Ich würde es Ihnen gesaget haben, auch wenn Sie mich nicht gefraget hätten. Es ist dies die einzige Absicht, die mich der Einsamkeit und der Pflicht, meinen Freund zu beweinen, entrissen hat. Ich weiß Ihre und Sir Karls Liebe. Ich würde ebenso strafbar als Sie selbst sein, wenn ich nur noch einen Augenblick das einzige Mittel verzögerte, welches diese Liebe trennen kann. Lieben Sie denjenigen als Ihren Bruder, den Sie niemals ohne das abscheulichste Laster als Ihren Gemahl lieben können. Sie sind des Sir Willhelms leibliche Tochter, Lucie. Lucie und Amalie, beide in der äußersten Bestürzung.

KARL. Unverschämter! Ich kenne den Eigennutz, der dich diese Sprache gelehret hat.

ROBERT. Warten Sie nur wenige Minuten, und Sie werden sich Ihrer Vorwürfe schämen.

AMALIE. Ach, mein Vater, nicht ein Wort mehr! lassen Sie diese schreckliche Begebenheit in der Dunkelheit, in welcher sie ist.

ROBERT. Nein, meine Tochter, du begehrest eine strafbare Gefälligkeit von mir. Eine übertriebene Zärtlichkeit und Schamhaftigkeit hat meinem seligen Freunde das Vergnügen geraubet, Sie, Lucie, als Vater zu umarmen. Vielleicht würde er sich noch überwunden haben, wenn ihn der Tod nicht übereilet hätte. Sein Andenken ist mir zu heilig, als daß ich es bei einer jeden andern Gelegenheit als der jetzigen durch ein einziges Wort entehren sollte, welches nicht ein Lob für ihn wäre. Doch selbst diese Größe, dieser Eifer der Seelen, mit der er sich seinen Vergehungen entrissen und den Himmel durch die strengste und erhabenste Tugend versöhnet hat, ist der[266] glänzendste Ruhm für sein Herz. Ahmen Sie beide das Beispiel des würdigsten Vater nach und zeigen Sie, daß Sie ebenso rühmlich als er über Ihr Herz triumphieren können. Er war ein Beweis, daß auch das beste Herz seine Minuten hat, in welchen es schwach ist. Er lernete einige Zeit nach Ihrer Mutter, Sir Karl, die bald nach Ihrer Geburt starb, eine gewisse Jungfer Wills kennen. Sie liebeten sich, und die Ungleichheit des Standes bestritt ihre Liebe. Sie erkauften durch Übereilung allzu teuer ein eingebildetes Vergnügen, welches aufhörte, eins zu sein, sobald sie es genossen hatten. Sie, Lucie, waren die Frucht dieser unglücklichen Liebe. Ihr Vater selbst ließ Sie unter dem Scheine eines Kindes, das von seinen Eltern weggesetzet worden wäre, erziehen. Ihre Mutter heiratete bald darauf den Herrn Norris, und es fand sich nach einiger Zeit eine Gelegenheit, daß die Frau Norris Ihre Auferziehung selbst besorgen konnte. Ihr Vater konnte seine Lucie nicht länger entbehren. Er nahm Sie wieder von der Frau Norris weg, die ebensoviel gelitten hatte, als er selbst litte, da er seine größte Freude, von Ihnen als Vater umarmet zu werden, nicht genüßen konnte. Urteilen Sie von seinem Schmerze, da er sich notwendig Ihrer Vermählung widersetzen mußte. Lesen Sie hier sein eigenes Testament, in welchem er Sie nebst einem ansehnlichen Vermächtnisse für seine Tochter erkennet. Sie kennen doch die Hand Ihres Vaters, Sir Karl?

AMALIE. Unglückliche Lucie! elender Karl! o daß mein Herz mehr für euch tun könnte als seufzen! Dieser Anblick von Schrecken und Abscheu ist zu stark für mich. Meine Seele kann ihn nicht länger ausstehen. Sie geht ab.

LUCIE. Warten Sie, Amalie. Sie kennen mich noch nicht in meiner schrecklichsten Gestalt. Zeigen Sie mir die Schrift. Ich kenne die Hand des – Sie liest. Ja, Himmel! du hast meine Flüche gehöret. Du hast mich so lasterhaft sein lassen, als ich es zu sein verlanget habe. Selbst lasterhafter als du, Bösewicht! Erkenne hier deine Buhlerin, deine Schwester und noch mehr, die Mörderin deines und ihres eigenen Vaters! Von meiner Hand hat er Gift empfangen, diese unselige Verbindung zu beschleunigen, doch vielmehr, mich an ihm zu rächen, daß er zweien der abscheulichsten Ungeheuer das Leben gegeben hat. Möchte diese unselige Frucht der Unzucht und Schande, die sich bereits unter meinem Herzen reget, möchte sie geboren werden und leben, um ebenso der Mörder eines gottlosen Vaters zu werden, wie ich die Mörderin des unsrigen geworden bin! Doch ich will sie in ihrem Blute ersticken. Ich will durch ihren Mord noch ein Verbrechen[267] und durch dies Verbrechen noch eine Qual mehr auf dein unschuldiges Haupt häufen. Mitten unter den entsetzlichsten Foltern, die mich erwarten, will ich mich freuen, wenn ich dich ebenso wie mich gepeiniget sehe. Ich, die ich sonst jeden Augenblick auf ein neues Vergnügen für dich sann, will jede Minute auf eine Qual für dich denken. Flüche über dich sollen aus dem Munde hervorströmen, aus dem du ehemals nichts als Zärtlichkeit gehöret hast. Ja, Unmensch, trage diese Flüche deiner Schwester und deiner Frau. Fühle meine Martern, die schrecklichsten, welche die Rache hat, und verzweifle wie ich. Geht ab.

ROBERT. Gott! wie gerecht und streng sind deine Gerichte über die Strafbaren! Armer unglücklicher Freund! Erwachen Sie aus Ihrer Betäubung, Sir. Der Himmel verlanget eine geschwinde Buße, wenn Sie ihn versöhnen wollen.

KARL. Was Buße? ist der Himmel oder ich ungerecht? Doch welcher Donner, welcher schreckliche Donner schallt noch vor meinen Ohren? Lucie meine Schwester und schwanger von mir? Lucie die Mörderin meines und ihres Vaters? Elendes Gewebe von Unsinn und Bosheit! Warum quälen Sie mich, Lucie? Warum versammeln Sie diese Gespenster des Schreckens und der Verzweiflung um mich herum? Alles ist vor mir Nacht und Entsetzen! Törichtes Herz, was bebest du? Nichts, Lucie! Ich will keine Schwester, ich will eine Gemahlin in Ihnen besitzen. Selbst als die Mörderin meines Vaters will ich Sie lieben; war er nicht ein Barbar? Nein, Sie müssen mich – Ha! wo ist Lucie? Verräter! du hast mir sie geraubet. Du hast sie verborgen. Gib sie mir wieder, oder dein Leben soll dir nicht länger geschenket sein, mich noch mehr zu martern.

ROBERT. In was für einem bejammernswürdigen Zustand erblicke ich Sie. Sammeln Sie alle Ihre Vernunft, ich bitte Sie um Ihrer ewigen Glückseligkeit willen, diesen harten Streich auszustehen. Vielleicht hat die göttliche Gerechtigkeit noch kläglichere Szenen des Unglücks zubereitet. Tränen und Reue sind das einzige Mittel, welches die Rache dieser Gerechtigkeit aufhalten kann. Ich ängstige mich für Lucien. Lassen Sie uns weggehen.

KARL. Willst du mir nicht sagen, wo sie ist? Trotz aller deiner List, alter Bösewicht, will ich sie finden. Ich will sie wegen deiner närrischen Träume beruhigen. Ich will sie wieder als meine Gemahlin umarmen; und dann soll[268] keine Marter so schmerzlich sein, die ich dich nicht empfinden lassen will. Er geht wütend ab.

ROBERT. Wohin? wollen Sie noch dem Untergange entgegeneilen? Gott! welche finstere Tage des Elends hast du mich noch erleben lassen.


Quelle:
Die Anfänge des bürgerlichen Trauerspiels in den fünfziger Jahren. Leipzig 1934, S. 266-269.
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