1. Calpurnia an Sulpicien.

Rom, im December 300.


Welcher Einfall von Sulpicien, in diesen Tagen auf's Land zu gehen, und den Zeitpunkt, worin die Hauptstadt der Welt in ihrem glänzendsten Lichte erscheint, auf einer einsamen Villa am Ufer der See zuzubringen, die in dieser Jahreszeit von Stürmen gepeitscht und mit Nebeln bedeckt ist! Was, um aller Götter willen, kann sie dort halten? Wie ist es möglich, allen Freuden und Herrlichkeiten der Saturnalien1 zu entsagen, um in der abgeschiedensten Einsamkeit sich selbst zu leben?

Sich selbst! nicht doch. Wer das nicht besser wüßte! Laß immerhin die Welt ist jene Ausrufungen ausbrechen, und vergebens rathen, was dich jetzt in jene Stille lockt: sie soll und darf die heimlichen Reize nicht kennen, die deine Verborgenheit verschönern. Das ist recht und in der Ordnung. Aber daß du auch mir ein Geheimniß daraus machen willst, das kann ich dir nicht verzeihen. Ich darf ja nur Einen Namen nennen, um dein Gesicht mit dem schönsten Purpur zu überziehen, und dich, falls du den Brief in Gegenwart einer gewissen Person liefest, noch reizender zu machen! Aber da würde dir ja ein Dienst damit geschehen, und das will ich in diesem Augenblicke nicht. Es sey dir genug, zu wissen, daß ich von Allem unterrichtet bin, und deine Zurückhaltung dir nichts nützt. Wahrlich, du machst deine Sachen schlau und gut! Unter dem Verwande der Sorgfalt für deine Landwirthschaft erhältst du von deinem Manne die Erlaubniß, und einen großen Dank obendrein, jetzt auf deine Villa zu gehen, um den nachlässigen Verwalter zu überraschen, und – während der gute Ehemann in Rom die Emsigkeit seiner Frau nicht genug rühmen kann, hat sie sich nur Gelegenheit verschafft, ihren Liebling ganz ungestört und nach Gefallen zu sehen.

Doch Scherz bei Seite, liebe Freundin! Die Sache hat eine viel zu ernste Seite, als daß ich länger in jenem Tone fortfahren könnte. Wie war es dir möglich, diesen Schritt zu wagen, und die Augen ganz vor den Folgen, die er wahrscheinlich haben wird, zu verschließen? Tiridates ist liebenswürdig, tapfer, edel, seine königliche Abkunft, sein und seiner Familie Unglück macht ihn anziehend, und ich begreife wohl, daß er einem feinfühlenden gebildeten Weibe, besonders einem, das leider in seinem Hause nichts solches aufzuweisen hat, gefährlich werden kann; ich begreife, daß du ihn liebst: und daß er dich, die schöne geistreiche Frau, dafür anbetet, ist nicht mehr als seine Schuldigkeit. Aber muß man darum so halsbrechende Dinge wagen? Du konntest ja den armenischen Prinzen täglich in deinem Hause sehen. Dein[4] Mann, ich weiß es, schätzt sich's zur Ehre, den Liebling des Cäsar Galerius2 seinen Freund nennen zu können. Er prahlt damit, er gibt sich das Ansehen, die Absichten des Prinzen durch sich und seine Freunde an den Höfen von Mailand und Nikomedien zu unterstützen, und wenn einst Tiridates den Thron seiner Väter besteigt – gib Acht – dein Serranus läßt dann nicht undeutlich merken,[5] daß ohne ihn das Alles wohl nicht geschehen wäre. Was trieb dich denn also fort? Was bewog dich, jetzt nach Bajä zu gehen, wo dein Umgang mit Tiridates weit mehr auffallen muß, als in Rom, und deine häusliche Ruhe, deinen Ruf vor der Welt auf's Spiel zu setzen? Wenn dein Mann, der, wie alle eitle Menschen, eifersüchtig ist, erfährt, was auf seiner Villa vorgeht, (und wie leicht ist das nicht, da deine Leute darum wissen müssen?) wird er nicht toben, rasen und ein Aufsehen machen, das dich dem boshaftesten Gelächter der Stadt Preis geben, dir die Herrschaft über ihn, die allein deine häusliche Ruhe sichert, entreißen, und dir den Aufenthalt bei ihm vollends unerträglich machen wird? Willst du dich dann von ihm trennen? Wird das dein Vater zugeben, der in die Verbindung mit der Anicischen Familie seinen Stolz setzt? Und was steht dir dann für ein Leben bevor?

Es ist wahr, du kannst in Nom deinen Tiridates weder so oft noch so ungestört sehen, als dein Herz wünschen mag. Dein Mann, die Freunde deines Mannes, deine Verwandten, die dich besuchen, sind öfters zugegen. Das ist aber auch das Einzige, was du zu ertragen hast, und – aufrichtig gesprochen – liegt nicht selbst in dieser Störung, in diesen Entbehrungen ganz eigentlich die Würze der Liebe, die wohl ohne sie gewiß nicht halb so warm und reizend seyn würde?

Du nennst mich immer die Leichtsinnige, die Epikuräerin; aber du kennst entweder die Lehren dieses Weisen nicht in ihrem ganzen Umfange, oder du schließest die Augen absichtlich vor ihrem Werth. Kluges Maaß, sparsamer Genuß der Freude, Kraft zur Entbehrung des Liebsten, wenn es die Vernunft fordert, das ist es, was man[6] in seiner Schule lernt, die bei weitem nicht so leicht, so locker ist, als du glaubst. Ich an deinem Platze, zum Beispiel, würde nicht nach Bajä3 gegangen seyn, ich würde mir den Genuß der Freuden, die mich dort erwarteten, aus Grundsätzen versagt haben, und meinen Geliebten lieber seltner, und mit minderer Freiheit sehen, um ihn immer sehen zu können; den großen Vortheil abgerechnet, daß unsre gegenseitige Liebe dann viel länger neu und anziehend geblieben, und mit dem großen Reize der Heimlichkeit gewürzt gewesen wäre.

Du siehst, meine Sulpicia, daß ich besonnener und klüger bin, als du glaubst, und jener Leichtsinn, jene Kälte, die du mir so oft vorwirfst, ist nichts als Ausübung wohl überdachter Grundsätze. Sogar die Lehren der strengen Stoa, die du einst so warm behauptet, und jetzt so arg verlassen hast, verwerfe ich nicht. Ich erkenne z.B. ganz die tiefe Wahrheit des Satzes, daß man alle Güter der Erde an einen solchen Ort stellen soll, woher sie das Schicksal nehmen kann, ohne das Gebäude unserer Ruhe zu erschüttern4. An diesen Platz nun würde ich, wenn ich je liebte (und das könnte sich denn wohl ereignen), auch meinen Geliebten stellen; denn der gehört ja, wie dein Beispiel mich lehrt, ganz vorzüglich zu den edelsten Gütern des Lebens.

Doch was helfen alle diese Vorstellungen! Was hälfe die Beredtsamkeit eines Cicero, gegen die Macht einer Leidenschaft, deren zerstörende Wirkungen ich mit Bedauern[7] an meinen Freunden erfahre, und vor denen mich die gütigen Götter bewahren mögen! Ohne also nur im Geringsten zu hoffen, daß mein Brief dich bekehren werde, will ich blos hiemit die Pflicht der Freundschaft erfüllt und dich gewarnt haben, zugleich aber dich versichern, daß, was auch der Ausgang der Begebenheiten seyn möge, mein Herz, meine Liebe zu dir unverändert bleiben wird, und daß ich meinen Stolz darein setzen werde, wenn – was die Götter verhüten – die Sache schlimm abläuft, dich nie zu verlassen, und aus allen meinen Kräften dein böses Schicksal entweder abzuwehren, oder redlich mit dir zu tragen. Leb' wohl.

Fußnoten

1 Die Saturnalien waren eines der glänzendsten und allgemeinsten Feste in Rom, beinahe das, was jetzt der Carneval ist, und wurden im December gefeiert. Zum Andenken des goldenen Zeitalters, unter Saturns Herrschaft, schien Alles während jener Tage in den Zustand ursprünglicher Gleichheit zurückzutreten; die Sclaven aßen mit ihren Gebietern, und aller Unterschied der Stände hörte auf.


2 Zu der Zeit, in welcher dieser Roman spielt, hatte Rom bereits aufgehört, der Sitz der römischen Kaiser zu seyn. Diocletian, der sich aus dem Sclavenstande zur Würde eines der vornehmst n Offiziers, zum Befehlshaber der k. Leibwache, und nach dem Tode des Kaisers Numerius auf den Thron desselben geschwungen hatte, hatte sich in seinem ehemaligen Waffengenossen und Landsmann Maximian einen Gefährten der Regierung erwählt, und das römische Reich so zwischen ihm und sich getheilt, daß Maximian die Abendländer von Mailand aus, wo er residirte, Diocletian hingegen den östlichen Theil des Reichs in Nikomedien, wohin er seinen Sitz verlegte, beherrschte. Bald darauf fand er nöthig, noch zwei Mitregenten zu erwählen. Maximian gesellte sich den Constantius Chlorus als Cäsar zu, und Diocletian nahm den Galerius in dieser Würde zu sich. Beide Cäsaren standen zu ihren Augusten in dem Verhältniß von Söhnen zu ihren Vätern, auch mußten beide sich von ihren vorigen Gemahlinnen trennen. Maximian gab dem Constantius seine Tochter zur Ehe, und Diocletian vermählte dem Galerius die seinige, Valeria.

Diese vier Beherrscher theilten sich in den weiten Umfang des römischen Reichs. Constantius besaß Gallien, Spanien, Brittannien; Galerius die Ufer der Donau und die illyrischen Provinzen; Maximian Italien und einen Theil von Afrika; Diocletian selbst, Aegypten, Thrazien, und die asiatischen Provinzen. Jeder dieser vier Monarchen war unumschränkt in seinem Bezirke, aber ihr vereinigtes Ansehen erstreckte sich über die ganze Monarchie.

Man sehe Gibbons Geschichte des Verfalls des römischen Reichs, 2ter Theil, woraus überhaupt fast alle geschichtlichen Notizen und Züge in diesem Buche genommen sind.


3 In Bajä, einer der reizendsten Gegenden von Italien, auf dem Wege zwischen Rom und Neapel, hatten die meisten römischen Großen ihre Landhäuser, die sie Villa nannten.


4 Seneca de consolatione.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 31, Stuttgart 1828, S. 4-8.
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