108. Agathokles an Theophanien.

[59] Nikomedien, im Mai 305.


Tiridates treue Freundschaft hat mir Nachricht von deinem Zustande gegeben, und durch ihn erhältst du diesen Brief. Mein Weib! Mutter meiner Kinder! Heilige, verehrte Namen, aber noch mehr – Christin und Bürgerin einer Welt, die auch an deine Kräfte Anspruch macht! Du leidest, du leidest unaussprechlich, und mein ist die Schuld dieser Schmerzen, mein Werk ist dein schrecklicher Zustand! Ich hätte dir ihn ersparen können, es war mein Entschluß, mein Wille, mich für Constantin zu opfern, und den Dolch in deine Brust zu stoßen, von dessen tödtlicher Schärfe ich überzeugt war!

Wärest du nicht die, die du bist, nimmermehr würde ich so mit dir sprechen, nimmermehr die unverhüllte Wahrheit vor einem blöden Auge erscheinen lassen, das ihre Strahlen nicht zu ertragen vermag. Ich hätte entweder den langen Klagen, den unerschöpflichen Thränen eines schwachen Weibes, oder den Vorwürfen eines heftig gereizten Gemüthes entfliehen, und sie in wohlthuender Täuschung lassen müssen. Das Alles habe ich von dir nicht zu fürchten. Du, meine Theophania! wirst weder das Schicksal, noch deinen Freund anklagen, in deiner zarten Seele ist Muth genug, Alles zu ertragen, was die Tugend dir zu ertragen gebeut!

Unsere Entwürfe sind dir bekannt. Vor dir hatte ich kein Geheimniß, auch das Wichtigste, das deiner weiblichen Bestimmung Fremdeste besprach ich mit dir, meinem ersten Freunde! Constantin, mit deinem Werthe bekannt, vertraute dir unbedingt, und du warst mehr als ein Mal Zeugin unserer Verabredungen, oft unsere kluge, sanfte[60] Rathgeberin. Aus das Alles führe ich dich geflissentlich zurück, um dir die Wichtigkeit, die unabänderliche Nothwendigkeit jener Maaßregeln anschaulich darzustellen, an denen du so lebhaften Theil nahmst. Jetzt galt es, entweder ihre segenreiche Erscheinung in der Welt, oder ihre gänzliche Vernichtung. Constantin war gefangen, Galerius hatte seinen Tod geschworen, er konnte ihn nicht leben lassen. Das wußte ich, du, er selbst – und eben so gut wußten wir, daß kein Mittel, als eine glückliche List, ihn befreien konnte. Ein Opfer mußte für das andre untergeschoben, und die Grausamkeit, der Hüter getäuscht werden. Das Alles stand klar vor mir, bei jedem Verzug war Gefahr. Dir entdeckte ich meine Absicht nicht, weil ich theils noch nicht recht über die Ausführung einig war, theils weil ich mein Herz vor dem großen Augenblicke der That nicht zu sehr erweichen wollte. Was hierauf geschah, weißt du. Ich sage dir nichts über meine Empfindungen, als Constantin entfernt, und mein Schicksal unwiderruflich beschlossen war.

Ein heißes Gebet, kindliche Unterwerfung, und kindlicher Glaube an Den, der auch freiwillig für seine Brüder starb, bewahrte mich vor Verzweiflung, und ich warf Mich gestärkt und ruhiger auf Constantins Lager, zog seinen Mantel über mich, und schien zu schlafen, als der Wächter kam, das Abendessen zu bringen. Vor dem folgenden Morgen durfte die Täuschung nicht bekannt werden, wenn nicht das Opfer vergeblich, und Constantin mit mir zugleich verloren seyn sollte. Am andern Tage, als ich Gewißheit hoffen konnte, daß Constantin in Sicherheit seyn würde, und keine Möglichkeit war, mich länger zu verbergen, gab ich mich dem Kerkermeister zu[61] erkennen. Er erstarrte. Ein seltsames Gemisch von Schrecken, Bedauern, Zorn und Achtung zeigte sich in seinen finstern Zügen. Er mußte es dem Augustus melden. Ich trieb ihn selbst an, seine Pflicht zu thun. Du bist verloren, sagte er. Ich wußte es ohne dies. Er ging, seitdem habe ich eine Art von Freund oder wenigstens einen innigen Theilnehmer an meinem Schicksal in ihm erworben. Es ist auch Trost – Trost, den der Himmel sendet!

Nun weißt du Alles, und in deine Brust, die ich zerrissen habe, lege ich meine Rechtfertigung. Kannst du wünschen, daß ich anders gehandelt hätte? Findest du Constantins und des Christenthums Alleinherrschaft zu theuer mit dem Opfer unsers ganzen Erdenglücks erkauft? Regt sich in deiner Brust ein Unwille, ein Vorwurf gegen mich, der es freiwillig zerstörte? Was hättest du mir gerathen, wenn es mir möglich gewesen wäre, dich vorher zu befragen?

Ich weiß deine Antwort, und so bin ich ganz ruhig; ich bitte dich nicht, mir zu vergeben, was du selbst mich thun geheißen hättest, was du in dem Augenblick, wo du dieses liesest, billigest und segnest. Du bist unaussprechlich unglücklich, ich weiß es, dein Leben ist vergiftet, nie wird eine heitre Stunde dich mehr beglücken, die Vergangenheit hat nichts als Qualen für dich, und die Zukunft starrt dich finster an, wie ein Grab. Dir wäre es besser, mit mir zu sterben; du wünschest es, das weiß ich, und wenn auf dieser Erde mir noch eine Freude erscheinen kann, so wäre es die, in deinen Armen zu vergehen. Dennoch fordere ich dich auf, zu leben. Ich fordere dich auf im Namen unserer Liebe, unserer Kinder,[62] unserer Pflicht, im Namen Gottes, der diese Pflichten von uns heischt. Nicht, weil ich das Leben für ein Gut halte – für dich ist es keines – nicht, weil ich an die Möglichkeit einer Heilung durch die Zeit für dich glaube – ich kenne dich, und weiß, daß deine Liebe und dein Schmerz mit deinem Wesen Eins geworden ist – aber weil es Pflicht ist, weil Gott dir Kinder gegeben hat, und in einem ernsten Augenblick ihr Glück von deiner Hand fordern wird, weil die Religion uns verbeut, den Platz zu verlassen, auf dem wir Gutes wirken können, weil endlich der leidende Christ in diesen Zeiten der Entnervung seinen Brüdern das Beispiel hoher Geduld und standhaften Muthes schuldig ist.

Du wirst leben, Theophania! du wirst Alles anwenden, dein Leben so lange zu fristen, als es möglich ist, um unsern Kindern ihre Mutter zu erhalten, bis sie erzogen sind, und deiner nicht mehr bedürfen. Dann folgst du mir gewiß, ein sanfter Tod löset die morschen Bande der längst erschütterten Hülle, die dein Geist ungern trug, und dein Freund, der dich unsichtbar umschwebte, der dein und unsrer Kinder Schutzgeist war, empfängt dich in den Auen des Friedens. O Augenblick der Wonne, wenn jede Pflicht erfüllt, jedes Opfer, auch das des langen Lebens gebracht ist, und du, zitternd vor Lust, in meine Arme eilst. Er kömmt, er kömmt gewiß, und bis dahin wollen wir ihn nicht beschleunigen, sondern verdienen.

Nun lehe wohl, Geliebte! diese Blätter werden nicht das letzte seyn, was du von mir erhältst. Ich hoffe dir noch einmal schreiben, vielleicht – dich noch einmal umarmen zu können. O mitten in den ernsten Gedanken welche die Nähe des Todes in mir weckt, schauert mein[63] Herz vor Freude bei der Hoffnung – ich werde dich hier noch ein Mal, und bald wieder sehen, ich werde dir meinen letzten Abschied, unserm Sohne den letzten Segen bringen!

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 36, Stuttgart 1828, S. 59-64.
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