14. Agathokles an Phocion.

[63] Nikomedien, im Mai 301.


Nach einer ziemlich beschwerlichen Seereise, wo unstäte Winde, und ein empörtes Meer uns beinahe auf immer von dem Ziele unserer Reise, dem holden Vaterlande, getrennt hätten, langten Tiridates und ich vor acht Tagen in Nikomedien an. Süßer Zauber der heimathlichen Gefilde! Wie sanft bewegst du unser Herz! Wie lieblich erscheint die Küste des Vaterlandes nach langer Abwesenheit! Zwar wirst du mir sagen, nach einer gefahrvollen Seereise wäre uns jedes Ufer erwünscht erschienen? Doch es ist nicht ganz so. Bei Erblickung dieser Hügel, die ich als Knabe bestieg, dieses Gestades, an dem ich so oft lag, um Aug' und Gemüth an der Unermeßlichkeit des Meeres zu stärken, und endlich des väterlichen Hauses, seiner nächsten Umgebungen, wo so Manches vorgefallen war, das noch jetzt süß und schmerzlich meine verödete Brust bewegt – ich fühle mich ergriffen, und ich schäme mich nicht, zu gestehen, daß ich die theuren Gegenstände mit einigen Thränen grüßte, die unwillkührlich über meine Wangen floßen. Auch Tiridates, obwohl noch fern von seinem Vaterlande, war durch den Anblick des asiatischen Ufers des Schauplatzes großer noch unentschiedener Thaten, nicht weniger bewegt, als ich. Wir umfaßten uns, und schwuren ernst und heiter, uns selbst und dem treu zu bleiben, was wir für gut und recht erkannten. So sprangen wir an's Land, so eilten wir in[63] die Stadt, in meines Vaters Haus. Er kam uns sehr freundlich entgegen. Die Gesellschaft des Prinzen, des Lieblings zweier Cäsaren, schielt ihm angenehm für sich, und ehrenvoll für mich. Ich gab mich, ohne weiter zu grübeln, dem Gefühl des Augenblicks hin, und genoß die Freude, meinen Vater so zuvorkommend und gütig zu sehen, mit vollen Zügen. Ich durchlebte einen frohen Tag. Am zweiten ging es schon anders. Wir sollten zum Diocletian. Mein Vater wollte mich ihm vorstellen. Auch Tiridates billigte diesen Schritt, und schien ihn nothwendig zu finden. Mir widerte das Ansehen von Aufwartung und Unterthänigkeit, das er durch die Umwege und feierlichen Anstalten bekam, die jetzt nöthig sind, um sich dem Imperator zu nähern. Ich dachte an das alte Rom, an die Hof- oder Haushaltung der ersten Cäsarn, wie selbst der schlaue Octavian, der edle Marc-Aurel, der tugendhafte Pertinar, aus Biedersinn oder List des Volkes Meinung schonend, nichts anders als Roms erste Bürger schienen – und mein Inneres empörte sich. Was mußte da herumgeschickt, angefragt, gebeten, zubereitet werden! Selbst an unserer Kleidung wurde gemustert. Endlich schien meinem Vater Alles würdig und gehörig bestellt, und wir traten in sehr kostbaren Gewändern, von vielen Sclaven gefolgt, unsern Weg nach dem Palast an. Ich glühte vor Schaam und Unwillen. Ich glaubte in den Mienen jedes Vorübergehenden den verächtlichen Spott über unsere eigennützige Erniedrigung zu lesen. Mir war's, als schwebten in dem Augenblicke die Schatten der Ahnen um uns, und sehen verachtend auf die entarteten Enkel nieder, die sich[64] knechtisch vor dem zu bücken gingen, den sie in ihren Zeiten als einen ihres Gleichen behandelt hatten. Tiridates nahm es viel gelassener auf. An orientalische Sitte gewöhnt, bewegte ihn unsere Lage nur zu seinem Spott, mit dem er sich selbst nicht schonte. So kamen wir in den Palast. Durch eine Reihe Gemächer geführt, in denen asiatische Wollust und Pracht um den Vorrang stritten, ließ man uns endlich in einem der Innersten unter einer Menge schimmernder Sclaven und Clienten warten – warten – drei tödtlich lange Stunden, und – schickte uns in der vierten unverrichteter Dinge nach Hause, weil der Augustus nicht für gut fand, uns vorzulassen. Nur der ausdrückliche Befehl meines Vaters, und mein fester Vorsatz, unser scheinbar gutes Einverständniß, so lange ich in Nikomedien bleiben mußte, nicht zu stören, brachte mich dazu, am andern Morgen den erniedrigenden Versuch zu erneuern. Diesmal dankte ich's dem Einfluß des Tiridates, daß wir ziemlich bald vorkamen. Aber, o mein Phocion! Welche Wunden schlug meinem Herzen der blendende Schimmer, die empörende Eitelkeit, das lächerlichsteife Ceremoniel1 am Hofe dieser gekrönten Sclaven! Aus dem Staube der Dienstbarkeit durch eignen Genius, noch mehr durch Umstände[65] und eine Denkart, der kein Mittel zu schlecht war, auf den Thron erhoben und befestigt, herrscht er mit einem Trotz und Uebermuth über die zitternde Welt, der mit nichts als dem ungeheuren Glücke zu vergleichen ist, das ihn in seiner Laune erhob, und mit bisher beispielloser Treue hegt und pflegt. Nicht daß ich seine wahrhaft großen Geistesanlagen, verkennte, nicht daß ich ihm die Stille nicht dankte, die während seiner Regierung das erschöpfte Menschengeschlecht genießt: aber sehen – sehen muß man so etwas nicht in der Nähe, wenn man unparteiisch bleiben soll!

Er empfing uns ziemlich anständig; aber die Thiara, die von seinem Haupte strahlte, der Thron, auf dem er hoch erhoben, saß, verengten meine Brust, und schloßen meine Lippen. Mein Vater führte das Wort. Er stellte mich ihm vor, er bat ihn um einen Platz unter den Truppen für mich. Ich ließ Alles geschehen, ohne eine Sylbe zu sprechen. Mag mich der Tyrann für einfältig oder störrisch halten, mir gilt es gleich. Doch hat er mich zum Centurio ernannt, und übermorgen gehe ich mit Tiridates zum Heere ab. Hier brennt der Boden unter meinen Füßen. So ungewohnt meiner Denkart das wilde Leben im Lager seyn wird, so wird mir doch dort im Freien, im Getümmel, besser seyn, als hier.

Sisenna Statilius hat das Haus neben dem unsrigen wieder verkauft, es gehört einem unbedeutenden Bürger. Unter einem Vorwande war ich gestern dort. Es ist noch Vieles unverrückt, wie es vor acht Jahren war. Mir war sehr weh und sehr wohl zu Muthe. Ich erkundigte mich nach seinen ehemaligen Bewohnern. Die[66] Meisten in Nikomedien erinnerten sich ihrer kaum mehr doch wollen einige gehört haben, daß Timantius in Syrien, unbekannt, unter einem fremdem Namen gelebt habe, und vor ein paar Jahren gestorben sey. Die Söhne sind zerstreut, die Tochter – o Phocion! wie schlug mein Herz – soll geheirathet haben! Geheirathet!! Also bin ich vergessen! Kann ich es ihr verdenken? Und doch schmerzt es mich! Vielleicht ist sie auch schon todt! Ich weiß nicht, in welchem Gedanken mehr Qual liegt.

Sie zu finden ist wohl jede Hoffnung verloren, und nichts ist, was mir Ersatz gewähren könnte! Calpurnia nun gewiß nicht! Ich habe mich in Rom seltsam von ihr getrennt. Als ich ihr meine Abreise ankündigte, schien sie – nicht bewegt, nicht wie eine Freundin betrübt; sie schien beleidigt, gereizt. Ihre Eitelkeit war gekränkt. Der Sclave, den sie sicher an ihrem Triumphwagen gekettet glaubte, war noch stark genug, sich loszureißen. Das war ihr unerhört, unverzeihlich. Sie behandelte mich nun beständig so, bis zum Tage meiner Abreise, und ich ward sehr ernst durch die Entdeckung dieser Falte in ihrem Gemüthe. So ist auch sie, die so weit über den meisten Weibern steht, von dieser allgemeinen Schwäche nicht frei, und keiner Freundschaft fähig, wenn Eitelkeit sich in's Spiel mischt! Nur Ein Weib habe ich gekannt, in deren reinem mildem Gemüth nichts als Liebe, holde Demuth und Selbstvergessenheit war! Nur Eine! Und wo ist sie? Beim wirklichen Abschiede schien indeß Calpurniens besseres Selbst die Oberhand zu gewinnen. Sie entließ mich, wie die Freundin den werthen Freund, theilnehmend, gütig, gerührt. Wir haben uns zu schreiben[67] versprochen. Die Erinnerung an ihren Liebreiz, an ihre hohen Vorzüge wird mich, wie die Erinnerung an einen froh durchlebten Tag, freundlich begleiten: aber ich glaube versprechen zu können, daß sie meine Freiheit nie stören wird. Dazu sind wir zu unähnlich. Mögen gute Götter sie beschützen, und bald ein würdiger Gatte ihre Vorzüge erkennen und mit Liebe vergelten!

Ich schreibe dir heute nicht mehr. Die Anstalten zu meiner Reise, die ich mit großer Eile betreibe, rauben alle meine Muße. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Diocletian war der erste römische Kaiser, der, vielleicht aus sehr guten Ursachen, in diesem verderbten Zeitalter jene Popularität ablegte, die längst aufgehört hatte, mehr als Maske und eine kluge Schonung alter Volksbegriffe von Republikanismus zu seyn. Er führte persisches Ceremoniel ein, trug eine Thiare, eine mit Perlen besetzte Binde im Haar, und umgab sich mit einer blendenden Hülle von Pracht, Gefolge und Unzugänglichkeit.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 31, Stuttgart 1828, S. 63-68.
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