18. Larissa an Junia Marcella.

[84] Edessa, im Junius 301.


Mit schwacher, unsichrer Hand, kaum fähig meine Gedanken zu ordnen, schreibe ich dir, geliebte Freundin! Vielleicht wirst du Mühe haben, die Züge meiner Schrift zu lesen; aber ich finde eine Art von Beruhigung darin, dir zu sagen, was in mir vorgeht, und dich in diesen trüben Stunden um Rath und Trost zu bitten. Dies, und heiße Gebete, unbedingte Unterwerfung unter die Hand desjenigen, der züchtigt, weil er liebt, ist für jetzt Alles, was mir übrigt, um nicht zu unterliegen.

Fünf traurige Jahre der Trennung und mannigfacher Leiden, unter Mangel, häuslichem Zwist und Härte fremder Menschen waren vergangen, ohne daß es meinen glühenden Wünschen, meinem heißen Gebete gelungen wäre, das vom Himmel zu erlangen, was allein mein höchstes Gut ausmachte. Warum es nicht geschah, welche[84] Leidenschaften, welche Zufälle sich in's Spiel mischten, um das stille Glück eines armen Herzens zu zerstören, weißt du. Laß mich schweigen! Das Grab bedeckt unsre Tugenden und unsre Fehler mit gleich dichter Hülle. Genug, es war nicht Gottes Wille! Da reichte ich am Sterbebette eines unglücklichen Vaters dem Demetrius meine Hand. Auf Glück und Liebe hatte ich alle Ansprüche aufgegeben. Warum sollte ich nicht, mit dem Opfer meines verödeten Herzens, meiner verlassenen Familie eine Stütze, dem sterbenden Vater den letzten Trost, mir selbst einen anständigen Wirkungskreis für meine Bestimmung als Weib erkaufen? Drei Jahre lebe ich an der Seite dieses Mannes, drei Jahre erdulde ich schweigend, was ein herrisches Gemüth und kriegerische Sitten einer Frau von so verschiedener Denkart Schweres auflegen können. Ich hatte errungen, was ich suchte – die Achtung meines Gemahls. Ich opferte Gott meine Leiden auf, ich erhielt von ihm Kraft und Geduld zu meinem Berufe, ich war ruhig; denn in mir war Friede.

Vier Tage sind es nun, als ich eines Nachmittags einsam in einer dunkeln Laube des Gartens saß, der die Villa umgibt, in welcher das Hauptquartier unsers Heeres, und für jetzt mein Aufenthalt ist. Ich war mit Zurechtmachung der Wolle1 zu einem Waffenmantel für[85] Demetrius beschäftigt. Jenes Körbchen, das du kennst, das einzige Ueberbleibsel einer bessern Zeit, stand neben mir auf dem Tische, und meine Gedanken irrten in weiten Fernen, als man mich eines Geschäftes wegen in's Haus zurück rief. Nach einer Weile kam ich wieder, und ging auf die Laube zu. Der Anblick eines fremden Mannes, der am Tische stand, und meinen Arbeitskorb betrachtete, machte mich stutzen. Ich ließ den Schleier nieder, und trat näher. O meine Freundin! Wie soll ich dir meine Ueberraschung, meinen Schrecken, und mein Entzücken schildern, als jeder Blick, jedes nähere Betrachten mich überzeugte, daß ich Agathokles vor mir sähe! Seine Aufmerksamkeit auf das Körbchen, das er erkannt haben mochte, hinderte ihn, mich sogleich zu bemerken. Im ersten Taumel der Freude war ich unfähig, Ueberlegungen anzustellen. Ich folgte dem Zuge, der mich gewaltsam zu ihm riß, ich rief ihn beim Namen, er erkannte mich, und ich fühlte in seinen Armen, an seinem sprachlosen Entzücken, daß mich meine Hoffnungen nicht getäuscht hatten, daß ich noch eben so sehr in seinem Herzen lebte, wie zu jener Zeit, da wir, als schuldlose Kinder, ungestört, ungetrennt von ernsten Verhältnissen, mit einander spielten. Ich weiß nicht, wie lange der glückliche Rausch währte, in welchem ich, Alles um mich her vergessend, an seiner Brust lag, und kein anderes Gefühl,[86] als des namenlosen Glückes kannte, den Gegenstand meiner unaussprechlichen Liebe wieder gefunden zu haben. Warum konnte ich nicht in diesem Augenblicke sterben? Warum mußte ich zum Bewußtseyn meines Unglücks erwachen? Demetrius Bild, das Bild meiner Pflicht stieg schreckend vor mir empor. Dieser plötzliche Uebergang, und vielleicht die heftige Erschütterung einer so fremden Empfindung, als mir die Freude ist, schlug meine Kraft nieder, ich fühlte mich einer Ohnmacht nahe. Von ihm unterstützt, von ihm bedauert, an seiner Brust sank ich bewußtlos hin, und wäre so glücklich, so gern in seinen Armen vergangen! Seine Stimme, dieser süße wohlbekannte Klang, rief mich in's Leben zurück. O meine Junia! in welches Leben! Die erste Regung des wiederkehrenden Bewußtseyns mußte ich anwenden, um ihm zu sagen, daß wir auf ewig getrennt sind. Er verstand mich nicht, ich glaube es wohl, seine Begriffe sind wahrscheinlich hierin von den meinigen sehr verschieden. Ich bat ihn, mich zu verlassen, er konnte sich nicht entschließen. Ich zitterte vor seinem längern Bleiben, vor der Schwäche meines Herzens, vor dem Verlöschen des Ueberrestes von Kraft, den ich in mir fühlte. Doch gelang es mir. Sein schönes Gefühl verstand mich. Er verließ mich. Als er fort war, als ich das Ende seines Mantels hinter den Hecken verschwinden sah: da – da fühlte ich erst die ganze Größe meines Verlustes, mein ganzes Unglück und seines! Meine Thränen floßen von Neuem so unaußhaltsam, daß, als meine Frauen kamen, sie mich beinahe zurücktragen mußten. Aber, o meine Junia! wie gern wollte ich leiden, Alles, was Gott über mich zu verhängen für gut fände, wenn ich sein edles Herz von dieser[87] Last befreien könnte! Der Gedanke, noch so treu, so warm von dem Besten aller Menschen geliebt zu seyn, war in dem ersten Augenblicke mir eine Quelle unaussprechlicher Freuden – ist's noch manchmal in einer schwachen Stunde: aber ich kann es vor Gott bezeugen, daß den größten Theil der Zeit, die seitdem verflossen ist, mein zerrissenes Gemüth mit inniger Ueberzeugung wünscht, daß er mich vergessen, daß er seine Ruhe wieder finden, und so glücklich werden möchte, als sein Herz verdient!

Was kann – was soll ich jetzt thun? Mein Gewissen ruft mir oft genug zu, daß jeder leidenschaftliche Gedanke an ihn eine Verletzung meiner Pflichten gegen Demetrius ist, dem ich vor Gottes Angesicht Treue und Liebe bis an den Tod geschworen habe. Nun – Liebe konnte ich nicht geben, und Demetrius in seinen Jahren verlangte sie auch nicht; aber die Treue bin ich verpflichtet zu halten, und diese bricht nicht blos das äusserste Vergehen, zu dem ein Weib herabsinken kann, es bricht sie auch die allzuzärtliche Neigung für einen Andern. Diese Ueberzeugung und die Achtung für meine Pflicht war bis jetzt lebendig genug, um mir Kraft zur Befolgung des Weges zu geben, den ich mir als den einzig richtigen vorgezeichnet habe. Ich habe Agathokles seitdem nicht mehr gesehen. Die Erschöpfung, in welcher ich mich seit jener Scene befinde, und die wahrscheinlich an Krankheit grenzt, hat mir bis jetzt zum schicklichen Vorwand gedient, nirgends zu erscheinen, wo ich ihn treffen könnte. Was das mich kostet, weiß nur Gott, vor dessen Vaterblicke ich mein wundes Herz enthülle, der allein Zeuge meiner einsamen Thränen ist. Aber wie werde ich es in der Länge behaupten können? Agathokles dient[88] unter den Truppen, die dem Befehl meines Mannes gehorchen; er ist seit einigen Tagen zu seinem Legaten ernannt worden, er wohnt in unserm Hause, ich kann es in die Länge nicht vermeiden, ihn zu sehen, und mit ihm umzugehen. Demetrius Gemüthsart, die sich langsam und schwer an neue Gegenstände gewöhnt, machte ihn im Anfange auch gegen Agathokles rauh. Du kannst aus meiner Unwissenheit über seine Gegenwart in unserm Hause schließen, wie wenig Aufmerksamkeit ihm Demetrius schenkte. Das fängt an sich zu verlieren. Ich höre meinen Mann oft, und immer mit größerer Achtung von den Fähigkeiten, den vorzüglichen Sitten, der Entschlossenheit u.s.w. seines neuen Legaten sprechen. So wohl mir dieses Zeugniß für Agathokles Tugenden aus dem Munde eines so strengen Richters thut, so sehe ich doch den Augenblick herannahen, wo er ihn in den Kreis der Wenigen ziehen wird, die er mit seinem Vertrauen beehrt, und gern und oft um sich hat. Was bleibt mir dann für eine Zuflucht übrig! Welche Kämpfe stehen mir, welche Leiden dem Unglücklichen bevor, dem ich so gern jedes unangenehme Gefühl ersparen möchte! Es wird nicht dabei stehen bleiben, es wird zu Fragen, zu Erklärungen kommen, die ich nicht vermeiden, und eben so wenig ganz nach der Wahrheit geben kann. Das ist's, wovor ich zittere, wovor mein Innerstes sich entsetzt.

Ich habe eine Weile angestanden, ob ich Demetrius sagen sollte, daß Agathokles und ich uns schon als Kinder gekannt hätten. Ich wog die Grunde dafür und dawider, endlich siegte der Wunsch, kein Geheimniß vor dem Manne zu haben, dem das erste Recht auf Alles,[89] was mich betrifft, zukömmt, und die Besorgniß, daß eben die Verheimlichung, wenn ein Zufall uns verriethe, ihm Verdacht einflößen könnte. Ich erzählte ihm Alles offenherzig, und verschwieg nur den Grad der Empfindung, der uns damals belebte. Das war, glaube ich, eben so sehr meine Pflicht, besonders bei dem festen Vorsatz des muthigsten Kampfes wider diese Empfindung. Er nahm diese Entdeckung nach seiner Art recht freundlich auf, und ich fürchte nur, daß eben diese Kenntniß ihm den Jugendgespielen seiner Frau noch näher bringen, und den Augenblick des Wiedersehens beschleunigen wird. Dies ist nun aber nach der Lage der Umstände nicht zu vermeiden, und Gott wird mir die Kraft geben, eine Last zu tragen, die er mir selbst aufgelegt hat. Er fordert ja nicht mehr von uns, als wir leisten können. Meine Junia! Nun habe ich dir Alles treulich erzählt, und es ist mir, als ob ich meinen Kummer leichter trüge, seit ich ihn dir vertraut habe, seit ich weiß, daß du ihn, wenn du den Brief wirst gelesen haben, mir tragen helfen wirst. Bete für mich, daß Gott mich nicht verläßt. Auf ihm allein steht meine Hoffnung, meine Zuversicht. Leb' wohl!

Fußnoten

1 Die ehrbaren und wirthlichen Frauen jener Zeit folgten noch dem Beispiele der vergangenen Jahrhunderte, wo die vornehmsten Matronen, ja selbst Fürstinnen und Kaiserinnen die Wolle zu den Kleidern und Mänteln ihrer Gatten und Söhne selbst zum Weben zubereiteten, auch wohl selbst webten. So verfertigte Livia die Gewänder des Octavianus Augustus als er bereits Herr der Well war. Jeder kennt aus dem Homer den listigen Fleiß der frommen Penelope, und das Körbchen mit Spindeln von Purpurwolle, das Helena bei sich stehen hatte, wie Telemachos ihren Hofbesuchte, um Kunde von seinem entfernten Vater einzuziehen. So ein Körbchen hieß Calathos oder Calathiskos und war oft ein Gegenstand des Luxus bei vornehmen Frauen.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 31, Stuttgart 1828, S. 84-90.
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